ZitatWenn besagte "musikalische Grammatik" durch das Publikum zunehmend nicht mehr beherrscht wird, herausfluktuiert, dann ist es logische Folge, dass sich auch das Verhalten der Konzertbesucher zumindest ein Stück weit wandeln wird.
Natürlich ändern sich die Voraussetzungen des Publikums mit der Zeit. Dass in Liszts H-moll-Sonate die Fuge in der falschen Tonart steht, ist einem zeitgenössischen Hörer sofort aufgefallen, weil für ihn die harmonische Sukzession noch "Grammatik" war, für uns eher nicht mehr. Da müssen wir dann schlaue Kommentare lesen um das zu verstehen. Aber wir reden hier doch gar nicht über solche komplizierten Dinge, sondern wirklich das Allereinfachste, populäre und populärste Stücke und ganz elementare Selbstverständlichkeiten. Wenn man selbst die nicht mehr vorraussetzen darf, wird das Dasein vor allem für die Musiker ziemlich frustrierend. Man merkt doch in dem Video, dass Yundi Lee das überhaupt nicht lustig fand. Wenn ich Künstler wäre und nur noch so ein Publikum bekäme, hätte ich schlicht keine Lust mehr aufzutreten.
ZitatWas Du da mit IMHO drastischen Worten umschreibst, lieber Holger, ist Ausfluss Deines Bildungsstandes und Wertekosmos. Es ist mAn verfehlt, andere Musikhören mit derartigen Bezeichnungen zu diffamieren, nur weil sie in ihrem Leben vielleicht andere Schwerpunkte setzen (müssen? gesetzt bekommen haben?).
Musik ist erst einmal - und begrüßenswerter Weise ! - heute in einem hohen Maße für sehr viele Menschen verfüg- und greifbar, völlig egal, für wie kompetent sie eine (selbsternannte) Bildungselite auch hält. Und das ist IMHO auch sehr gut so.
Diese Argumentation ist gefährlich, weil man, wenn man will, darin auch ein Ressentiment erblicken kann. Klassische Musik verkörpert nun mal Werte, ist einfach Hochlkultur wie Dramen von Goethe oder Lyrik von Hölderlin auch. Wer sich damit beschäftigen will, dass er wirklich versteht, muss sich eben ein bisschen geistig anstrengen. Wer andere Schwerpunkte setzt, sollte sich zumindest zurückhalten und z.B. abwarten, bis das erfahrene Publikum klatscht, dann macht er nichts falsch. Anderenfalls ist das genauso ärgerlich für das wirklich kenntnisreiche Publikum wie Störungen durch Bonbon-knisternde Operndamen. Warum sollen die "Ungebildeten" das Recht haben, den "Gebildeten" - und auch den Künstlern - einen solchen Abend zu vermiesen? Es wird von Niemandem etwas verlangt, außer Zurückhaltung. Ich bin auch im 2. Semester als "Grünschnabel" ohne Anmeldung in ein Oberseminar für Fortgeschrittene und Doktoranden gegangen (damals ging so etwas, heute im bürokratisch verschulten Betrieb bedauerlicher Weise nicht mehr), habe dann aber den Mund gehalten und nur zugehört.
Schöne Grüße
Holger