Bericht zum „Fliegenden Holländer“ bei den Münchener Opernfestspielen 2016 am 19. 7. 2016 in der Bayerischen Staatsoper.
Ich bin soeben auf dem Rückweg (seit 6 Stunden unterwegs) und habe im Zug ab Frankfurt einen Tisch mit Elektroanschluss. Da kam ich auf die Idee, ich könnte wohl meinen Bericht schreiben.
Besetzung:
Daland: Matti Salminen
Senta: Catherine Naglestad
Erik: Wookyung Kim
Mary: Okka von der Damerau
Der Steuermann: Dean Power
Der Holländer: Johann Reuter
Bayerisches Staatsorchester
Chor und Extrachor der Bayerischen Staatsoper
Statisterie der Bayerischen Staatsoper
Dirigent: Asher Fisch
Regisseur: Peter Konwitschny
Bühne und Kostüme: Johannes Leiacker
Dramaturgie: Werner Hintze
Chöre: Sven Eckhoff,
Zunächst darf ich vorausschicken, dass ich von der Aufführung ganz überwältigt war, auch wenn ich fand, dass mein Outfit im Vergleich zur absoluten Mehrzahl der festlich gewandeten Damen und Herren der Münchener Haute Volée vielleicht nicht ganz angemessen war, aber, was soll's?
Die warnenden Stimmen im Vorfeld, als ich meine Reisepläne in Kombination mit dem Namen des Regisseurs bekannt gab, die mich auf den zweiten Akt im Fitness-Studio hinwiesen, haben mich umsonst gewarnt, denn die Szene war m. E. Nicht „verunstaltend“, sondern sie stellte, wie in einem im Wortlaut im aufwändigen 130 Seiten umfassenden Programmbuch abgedruckten Gespräch zwischen dem Regisseur, dem Bühnen-und Kostümbildner und dem Dramaturg mit Hella Bartnig zur Sprache kam, einen Bezug zur Gegenwart dar, nicht nur den vordergründigen Vergleich zweier jungen Frauengruppen bei einer gemeinsamen Tätigkeit, sondern sondern gerade am Beispiel dieser wetteifernden Fitnessgruppe auf ihren Hometrainern den Wertewandel zu demonstrieren. Das schien mir als Aspekt sehr sinnvoll, zumal während Sentas Balladenerzählung inhaltlich der Bogen zurück in die Originalzeit geschlagen wurde.
Ein humorvolles Schmankerl war m. E. Auch die Szene, als die Mary (Okka von der Damerau) zu Beginn der Ballade die Worte sang: „ich spinne weiter fort“, sich auf einen Hometrainer schwang und mächtig in die Pedalen trat. Man muss dazu wissen, dass sie ungefähr das Doppelte auf die Waage brachte wie die ihr anvertrauten „spinning“-Mädels.
Auch Erik hatte sich dem Habitus der Spinnerinnen insofern angeglichen, als er sich im Hintergrund hinter einem Pfeiler versteckte und misstrauisch den Fortgang der Ballade beobachtete. Er war in einen weißen Bademantel gekleidet und trug dazu Badeschlappen.
Am Ende der Szene, als Daland und der Holländer das Fitness-Studio betraten, war es interessant zu sehen, wie natürlich sich die beiden dort bewegten, und zusätzliche humoristische Aspekte traten dadurch zu Tage, dass Daland etliche Hometrainer mit großen Perlenkette behing und selbst sich auf einen Hometrainer setzte und kurz in die Pedalen trat. Puristen mögen darob verständnislos den Kopf schütteln. Ich fand es durchaus originell.
Nach der Spinn-Szene ging es dann aber in der historischen Szenerie weiter, ebenso wie im ersten Akt.
Ich fand es sehr pfiffig, dass im Bühnenbild des ersten Aktes statt der Schiffe (wie in Duisburg) nur die Gangways an der jeweiligen Bühnenseite platziert wurden, wodurch in der Bühnenmitte viel mehr Platz für die Aktion des inhaltlichen Geschehens vorhanden war. Selbstverständlich waren die Gangways so beschaffen, dass der Altersunterschied zwischen beiden Schiffen auch an ihnen sofort deutlich wurde, ebenso, wie in der Kleidung der beiden Schiffsbesatzungen.
Außerdem fand ich es sehr gut, dass die Besatzung des Holländers durchgehend mit in das Geschehen integriert war.
Langer Rede kurzer Sinn:
Selbst Puristen müssten mit der Gestaltung des ersten und dritten Aktes, letzterer mit einem frappierenden Ende, durchaus zufrieden sein. Ergänzend zu meinen Ausführungen möchte ich diese Stelle verlinken für diejenigen, die mehr über Konwitschnys Ansatz wissen möchten:
https://www.staatsoper.de/stue…45558854946d45b279#about.
Zu den Ausführenden:
Matti Salminen:
strahlte in der Tat die Bühnenpräsenz aus, die ich erwartet hatte, auch wenn die Stimme nicht mehr die souveräne Durchschlagskraft früherer Jahre hatte, die Wirkung jedoch noch wie eh und je vorhanden war, ganz abgesehen von seinen darstellerischen Fähigkeiten.
Catherine Naglestad, eine Amerikanerin mit skandinavischen Wurzeln:
hat mich vollends überzeugt, eine große Stimme mit lyrischem Potential, die sich vor dem Orchester nicht zu verstecken brauchte. Auch darstellerisch überzeugte sie m. E. durchaus.
Wookjung Kim, ein Südkoreaner:
der den Erik sang, überzeugte durch eine lyrische Stimme, die dennoch genügend Kraft besaß. Im darstellerischen Bereich hat er sicherlich noch etwas Entwicklungsbedarf, aber die Art, wie er den Erik anlegte, nämlich als einen jungen Mann, der eigentlich von Anfang an keine Chance hatte, überzeugte offenbar das Publikum, so dass er mit Frau Naglestad und Matti Salminen den meisten Beifall einheimste.
Okka von Damerau:
die Mary, war, wie ich schon weiter oben ausführte, schon rein von ihrer äußeren Erscheinung, das Gegenteil der ihr anvertrauten „Spinnerinnen“ und füllte ihre Rolle mit viel Humor. Auch das kam gut beim Publikum an, das schon zu Beginn des Aktes die Szenerie leicht amüsiert begleitete.
Dean Power:
ein irischer Tenor, der seit vier Jahren Ensemblemitglied der Bayerischen Staatsoper ist, offenbarte eine leichtgängige lyrische Stimme und hatte doch Einiges unter der Knute Dalands und seiner Matrosenkollegen zu leiden. Vor allem in der Auftaktszene des dritten Aktes wurde er regelrecht zum „Spielball“ seiner Kollegen. Da war nun mal sein Name nicht Programm.
Johan Reuter:
dänischer Bassbariton, schien mir zu Beginn im ersten Akt, auf dieser großen Bühne in diesem großen Haus noch Schwierigkeiten zu haben, sich gegen das Orchester zu behaupten. Das wurde im Laufe des Abends, als er sich sozusagen „eingesungen“ hatte, besser. Er kam aber m. E. nicht an die Qualitäten eines Matti Salminen und einer Catherine Nagelstad heran.
Blieben noch Chor und Orchester, die man nur als superb bezeichnen kann, und ich kann mir auch nicht vorstellen, dass der Chefdirigent Kirill Petrenko das Orchester besser geführt hätte, als es der m. E. vorzügliche Israeli Asher Fish:
tat, der nicht nur das Orchester antrieb, sondern auch in den ruhigen Sequenzen, schon in der Ouvertüre, die lyrischen Elemente prachtvoll entfaltete und die Solobläser zu ihrem Recht kommen ließ.
Alles in Allem war das für mich ein sehr erfüllender Opernabend. Doch die Ereignisse des heutigen Abends in München lassen mich auch traurig zurück, dass der Eine oder Andere, der heute zu leiden hatte oder tot ist, mir vielleicht am Montag- oder Dienstagabend unbekannterweise begegnet ist. Ähnliche Gedanken beschlichen mich schon am Dienstag, als ich von dem Terrorakt in Würzburg über mein Smartphone erfuhr, nachdem ich nur wenige Stunden zuvor auf dem Wege nach München durch Würzburg gekommen war.
In der Hoffnung auf bessere Zeiten
Liebe Grüße
Willi
P.S.: In der Tat stammt der Beginn meines Berichtes vom Mittwochmittag.