QUO VADIS, OPERA? - Versuch einer Diagnose des Opernbetriebs

  • Du meinst wahrscheinlich, dass der WDR keine Live-Opern aus dem Sendegebiet überträgt, denn ansonsten gibt es auf WDR 3 jeden Sonntagabend eine komplette Oper, meist gute Qualität, einige live. Vor allem gibt es auch immer wieder Ausgrabungen. Was mich geärgert hat, dass die "Geistliche Musik mit Bachkantate", die jeden Sonntag von 9-10.00 gesendet wurde, jetzt einer Feld-und-Wiesensendung gewichen ist.

    Canada is the US running by the Swiss (Richard Ford)

  • Was du berichtest, lieber Rodolfo, trifft sicher zu. Aber das, was Holger angesprochen hat, ist etwas anderes, und ich habe das auch schon oft gesprächsweise erfahren:


    Dass (vor hundert Jahren!) die erste Fassung von Ariadne kein Erfolg war, hatte schon damit zu tun, dass es kaum Schnittmengen von Schauspiel- und Opernpublikum gibt. Die Puristen unter den Freunden des Sprechtheaters betrachten die Gattung Oper als "unreine" Mischform von Theater und Musik. Und von der anderen Seite kommen die Puristen der "absoluten" Musik (Sinfonik, Instrumenalkonzert, Kammermusik) und rümpfen die Nase über die "Verwässerung" der Musik durch (schlechte!) Texte in der Oper. Es ist wie ein Zweifrontenkrieg.


    Aber das Gros des Opernpublikums macht es den Spöttern beider Seiten leicht, weil es die Oper vor allem zur Repräsentation benützt. Und die Minderheit der echten Opernfreunde (zu denen wir uns ja alle rechnen, wie ich ohne Arroganz sagen darf, denn da dürften wir uns einig sein), hat rein zahlenmäßig keine Chance, dieses Image zu beseitigen. Wir sind in den Augen der jeweiligen Puristen die Unreinen - ungeachtet dessen, dass wir (wie unser Forum eindrücklich belegt) auch die ungemischten Gattungen zu schätzen wissen.


    Das andere Problem, das Johannes anspricht, also die Klassik als exotische Nische in einer Umgebung von allgegenwärtigem Pop und Rock, ist viel schwerer in den Griff zu bekommen; denn wenn die andere Seite gar nicht mehr weiß, wovon wir sprechen, weil sie es nicht kennt, wie wollen wir uns dann in der Gesellschaft eine Stimme geben, um überhaupt wahrgenommen, geschweige denn verstanden zu werden?


    Fragen über Fragen, die uns sicher noch lange beschäftigen werden - meint, mit herzlichen Grüßen,


    Sixtus

  • Dass (vor hundert Jahren!) die erste Fassung von Ariadne kein Erfolg war, hatte schon damit zu tun, dass es kaum Schnittmengen von Schauspiel- und Opernpublikum gibt.


    Für den Misserfolg gab es ja viele Gründe, lieber Sixtus. Die Uraufführung 1912 im Kleinen Haus in Stuttgart, das 1944 zerstört wurde, erlebten gerade mal 400 Zuschauer. Mehr passten nicht hinein. Eine Karte kostete 50 Mark. Das war ein Vermögen zur damaligen Zeit und entsprach knapp dem Monatslohn eines Arbeiters. Der wird also nicht drinnen gesessen haben. ;) Die Uraufführung war in erster Linie eine total elitäre Nummer. Es gab eine enorme Werbung für die erste Aufführung, die die Erwartungen hoch geschraubt hat. Und dann ein Stück, das in sich nicht gelungen war, wie ich finde. Bekanntlich liefen alle Versuche, es in dieser oder meist veränderter Form wiederzubeleben, ins Leere. Es kann also nicht nur an fehlenden Schnittmengen zwischen Schauspiel- und Opernpublikum gelegen haben. Eine schöne Idee war es, die erste Fassung 1962 im Neubau des Kleinen Hauses zu dessen Eröffnung zu geben. Es gibt davon sogar einen Mitschnitt, der erst unlängst ins Radio kam. Mit einem Unterschied von mehreren. Die Pütz sang die Arie der Zerbinetta aus der zweiten Fassung, obwohl ich überzeugt davon bin, dass sie die viel schwierigere Urfassung auch bewältigt hätte. Es gab, wenn ich es richtig sehe, nie wieder eine originale Aufführung der ersten "Ariadne". Das spricht auch für sich. Ich sagte es ja, das Stück taugt nach meinem Dafürhalten nichts. Es hat nur noch historischen Wert.


    Gruß Rheingold

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Es gab, wenn ich es richtig sehe, nie wieder eine originale Aufführung der ersten "Ariadne". Das spricht auch für sich. Ich sagte es ja, das Stück taugt nach meinem Dafürhalten nichts. Es hat nur noch historischen Wert.

    Ich habe in Salzburg 2012 eine der Urfassung angenäherte Version erlebt, bei der es im ersten Teil Abweichungen gab, der zweite Teil dürfte aber so ziemlich original die Erstfassung gewesen sein - und war ziemlich unertäglich für mich, der die Zweitfassung quasi inhaliert hat. In der Erstfassung taugt das Stück meines Erachtens in der Tat nichts, in der zweiten aber sehr wohl.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Daher finde ich den Musikunterricht nach wie vor wichtig, damit Jugendliche wenigstens eine Ahnung davon erhalten, dass es auch noch andere Musik gibt.
    Abgesehen davon ist auch nicht ganz einzusehen, warum bei wöchentlich 10 oder mehr Stunden Sprachunterricht, der in den höheren Klassen ja weitgehend Literaturunterricht ist, nicht immerhin 2 Schulstunden Musikunterricht stattfinden soll. Musik ist ja keine geringere Kunst als Literatur.


    Dem ersten Satz kann ich nur zustimmen :jubel:
    Leider sehen das viele andere nicht so. Nach meiner Unterrichtserfahrung (einem Jahr) und zahlreichen Gesprächen mit altgedienten Kollegen wird es immer schwerer Fächer zu unterrichten die nicht gleich einen direkt umsetzbaren Nutzen haben.
    Literaturunterricht an höheren Klassen? Ganz ehrlich auf Schulen in denen ich bisher war kann man froh sein wenn man im Halbjahr ein Buch durch bekommt, dass der Großteil gelesen hat.
    Probiere bspw. mal ein Buch über die Weihnachtsferien zum Lesen auf zu geben da darfst du in Deckung gehen, zuerst vor den Schülern dann vor den Eltern :untertauch:
    Hierzu ein Bsp. Ich unterrichte zur Zeit die 4 A in der Oberstufe in Deutsch. Sie besitzen 2 Deutschbücher. In der 1. Klasse mussten sie zusätzlich noch ein Literaturbuch kaufen (es schildert die Literaturgeschichte D/Ö/S). Es kostete 13 Euro. Wisst ihr wie viele das Buch haben? 11 Leute von 26
    Jetzt versucht mal als Musiklehrer Geld ein zu sammeln für einen Opernbesuch.
    Ich sehe was die Schule betrifft keine Chance mehr zu machen, ich befürchte sogar, dass hier in den nächsten Jahren sogar noch von Seiten der "nicht wirtschaftlichen" Fächer ein richtiger Abwehrkampf um ihre Existenz geführt werden wird und muss.


    Dazu aber eben auch eine nahezu vollständig von aktueller kommerzialisierter Popkultur durchwirkte Lebenswelt, ein Aufwachsen mit allgegenwärtigen elektronischen Geräten, die jederzeit Aufmerksamkeit beanspruchen, typischerweise im Fünfminutentakt, dass es immer schwerer fällt, Ruhe auszuhalten oder sich längere Zeit auf *eine* Sache zu konzentrieren. Oder eben auch Eltern, die selbst wenn sie auf Klavier- oder Geigenunterricht bestehen, selbst kaum einen Bezug zur klassischen Musik haben.


    Da sprichst du einen wichtigen Punkt an. Ich bin ja genau im Alter der Smartphonegeneration bzw. nicht weit entfernt davon. Ich unterrichte ja auch bereits an einer Schule im Paktikum.
    Oft hört man von Schülern oder von Freunden "Ich habe für sowas keine Zeit", "Das dauert viel zu lange" , "Wie hältst du das nur so lange aus?"
    Bei vielen Bekannten und Freunden in meinem Alter weiß ich aber ganz genau, dass die manchmal eh nur daheim herum gammeln und sich die hundertste Wiederholung irgend einer Serie anschauen.
    Eben jene Leute sitzen manchmal stundenlang vor dem PC und fragen dann ganz verwundert wie man es nur so lange vor dem Radio aushält.
    Was mir auch auffällt ist, dass vielen Leuten meines Alters und darunter auch gleich langweilig wird wenn nicht immer etwas passiert, wenn nicht sofort etwas neues kommt oder man sich länger als 5 Minuten mit etwas beschäftigen muss, dass dann nicht gleich abgeschlossen ist.
    Einer längeren Geschichte wie in der Oper zu folgen sind manche Leute meiner Meinung nach gar nicht mehr fähig.
    Das ist eines der Hauptprobleme. Zugänge zu Opern, klassischer Musik und dergleichen gibt es meiner Meinung nach gerade heute genug. Alleine die Bibliothek Wien, man findet fast in jeder Zweigstelle genug CDs um (ohne Übertreibung) die nächsten Jahre beschäftigt zu sein. Man muss nur hinfahren und sie sich ausborgen. Und dann erst Youtube, dafür muss man nicht einmal aufstehen!


    Das andere Problem, das Johannes anspricht, also die Klassik als exotische Nische in einer Umgebung von allgegenwärtigem Pop und Rock, ist viel schwerer in den Griff zu bekommen; denn wenn die andere Seite gar nicht mehr weiß, wovon wir sprechen, weil sie es nicht kennt, wie wollen wir uns dann in der Gesellschaft eine Stimme geben, um überhaupt wahrgenommen, geschweige denn verstanden zu werden?


    Vielleicht durch mehr persönliches Engagement....Mir schwebt da etwas vor. Ich würde vielleicht gerne nach der Prüfungszeit Mitte Juli eine Facebookgruppe gründen für junge Opernfreunde an der Uni Wien. Das man sich vielleicht zum gemeinsamen Opernhören trifft oder so etwas...Das Selbe gibt es bspw. schon für Freunde deutscher Literatur....Sie treffen sich regelmäßig und besprechen die gelesenen Bücher...
    Vielleicht gelingt es mir ja etwas ähnliches für Opern und klassische Musik zu installieren.
    Mir gefällt aber der Ausdruck "exotische Nische", das trifft für mich den Nagel auf den Kopf. Ihr glaubt ja gar nicht wie schief man zum Teil als junger Mann meines Alters angeschaut wird wenn man von Mozart oder Rossini spricht. Man fühlt sich wirklich als Exot.....
    Aber ich frage mich, was da so exotisch ist? Ich finde mittlerweile z.B. eine Fr. Rihanna wesentlich verwunderlicher, sich halbnackt ohne jeden Kontext auf der Bühne zu wälzen mit einem Bass der einem fasst die Füllungen aus den Zähnen reißt, das sollte mal schief beäugt werden! 8|

    Die gute Zeit fällt nicht vom Himmel, sondern wir schaffen sie selbst; sie liegt in unserem Herzen eingeschlossen

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  • Welches Alter ist denn Klasse 4A in Österreich?


    Zu meiner Schulzeit (9-jähriges Gymnasium Westdeutschland 1982-91) war der Deutschunterricht in den letzten ca. 4 Klassen im wesentlichen Literaturunterricht. Die gelesenen Texte waren normalerweise eher kurz bis mittellang, also z.B. Andorra, Besuch der alten Dame, Werthers Leiden, Kleist-Novellen, Romeo und Julia auf dem Dorfe etc.
    Motivation war sehr lehrerabhängig, natürlich gab es Leute, die die Bücher nicht oder kaum gelesen haben und gehofft haben mit Kindlers Zusammenfassungen o.ä. durchzukommen. In Deutsch durchzufallen war eher schwierig, man kam im Grundkurs normalerweise mit einer Vier (ausreichend) gerade so durch, wenn man es nicht mit Schwänzen übertrieben hat.
    Englisch war auch weitestgehend Literaturlektüre, jedenfalls in der Oberstufe (z.B. Catcher in the Rye, 1984, Of mice and men), aber hier konnte man natürlich bei zu vielen Fehlern leichter bei mangelhaft landen, Latein ebenso.
    Da ich drei Fremdsprachen und eine als Leistungskurs hatte, hatte ich in der Oberstufe 14 Wochenstunden Sprachen (3x3 +5), 2 Stunden Musik (die ich im letzten Jahr weglassen konnte), gar keine Kunst (da das normalerweise alternativ zu Musik war). Dazu 2h Sport (unabwählbar), 5h Mathe, 3h Physik, ca. 3+2h Geschichte+Politik, 2h Religion; wenn ich recht erinnere ca. 33 Schulstunden. Das hat gelangt...


    Auch im Musikunterricht war die Motivation der Schüler recht gemischt (ein Problem war hier, dass der Unterricht in der 12 genau im Mittagstief ca. 13 - 14:30 stattfand), allerdings nicht so schlecht, da es ja ein Wahlpflichtfach war und diejenigen, die mit Musik absolut nichts am Hut hatten, Kunst gewählt hatten. Wir hatten mindestens drei "semiprofessionelle" (einer wurde später hauptamtlicher Kantor und Organist) Musiker unter den Schülern dieses Kurses, sowie weitere, teils recht gute Laienmusiker.
    Es gab hier auch immer mal wieder einige Stunden, in denen gesungen wurde. Ansonsten erinnere ich mich, dass wir eine längere Einheit zu Jazz und eine "Musik im Umbruch" gemacht haben. Bei letzterer kam u.a. Monteverdi vs. Artusi und der Beginn der Moderne um 1900; vermutlich als weiterer Epochenübergang auch noch Barock - Klassik um 1750, das weiß ich aber nicht mehr.


    Edit: Dazu muss man sagen, dass es in dieser mittelkleinen Stadt ein anderes Gymnasium (von ingesamt ca. 5 ohne die beruflichen) mit (auch) musikalischem Schwerpunkt gegeben hat, das schätzungsweise fast doppelt so viele Schüler, daher ein weit größeres und besseres Schulorchester+Chor und auch die Option eines Musik-Leistungskurses hatte. D.h. niemand ging wegen Musik auf unsere Schule und es kam ab und zu vor, dass jemand der Musik wegen nach der 10. oder so auf die andere Schule wechselte. Es gab allerdings auch auf unserer Schule freiwillig zusätzlich Schulorchester und Schulband, sowie Theater-AG. Ich kann mich allerdings an keinen einzigen offiziellen Theater- oder Opernbesuch, der von der Schule organisiert wurde, erinnern (nur zweimal in der Grundschule ins Kindertheater). Das mag es gegeben haben, dürfte aber stark am Engagement einzelner Lehrer gelegen haben.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Jetzt will ich doch auch etwas aus dem "Nähkästchen" erzählen:


    Meine Schulzeit am Gymnasium war bezüglich kultureller Bildung geradezu idyllisch: die sechseinhalb Jahre waren massgeblich durch Beschäftigung mit Literatur und Musik geprägt. Auch war ich im altsprachlichen Gymnasium in einer Klasse, die sehr interessiert an diesen Dingen war. So hatten wir freiwillig, zusätzlich zum normalen Unterricht, eine ganze auswärtige Woche, in welcher wir uns über 30 Schulstunden mit dem Problemkreis "19. Jahrhundert, Geschichte, Literatur und Musik" unter Mitwirkung der jeweiligen Fachlehrer beschäftigten. Dabei wurde z.B. Wagners "Tristan", sowie Auszüge des "Rings" analysiert und besprochen. Dazu noch der Hinweis, dass mein Musiklehrer der (damals) bekannte Komponist Armin Schibler war. Auch hatte ich einen opernbegeisterten Italienischlehrer, der uns immer informierte, wenn im Opernhaus Starsänger auftraten: So kam ich schon früh zum Erlebnis von "Legenden" wie Cesare Siepi, Tito Gobbi, Windgassen usw..


    Noch ein Wort zu meiner eigenen Lehrtätigkeit: In der Zeit, als unser Opernhaus noch nicht Regie-Theater "verseucht" war, habe ich, obwohl ich ja eigentlich Altphilologe bin, mit gutem Erfolg einen Freifachkurs erteilt, in welchem ich einen Opernführer angeboten habe, in welchem ich die Neuinszenierungen der laufenden Saison besprach. Die Teilnehmerzahl war nicht immens, aber von ca. 80 möglichen Schülern kamen immerhin ca. 20 Prozent, mit welchen ich dann auch in der Freizeit Proben und Vorstellungen besucht habe. Dies habe ich so lange gemacht, wie ich sicher sein konnte, dass die jeweiligen Inszenierungen Bezug auf die jeweiligen Werke nahmen, was nicht nur meinen Bedürfnissen, sondern auch denjenigen der jungen Leute entsprach.


    Zusammenfassend meine ich dass es auch heute einerseits von Seiten der Schulen diverse Möglichkeiten gäbe und andererseits halt auch die Opernhäuser ihren Bildungsauftrag wieder ernster nehmen müssten und mögliche junge Operngänger nicht durch Abstrusitäten abschrecken dürften.

  • Ich kann mich erinnern, des es früher im NDR eine Sendung mit dem früheren GMD der Staatsoper Hamburg, Gerd Albrecht, gab, wo Kinder im Publikum saßen , und er erklärte wie eine Opern Aufführung entsteht, von der Probe bis zur Aufführung. Am Ende wurde dann immer eine Szene daraus aufgeführt. Die Sänger hatten auch immer die Kostüme aus der jeweiligen Oper an.

  • Das ist ja grade ein wahrer Tummelplatz von interessanten Beiträgen!


    Lieber Rheingold, meine Erwähnung der Ariadne-Urfassung sollte nur andeuten, dass sogar schon damals die verschiedenen Sorten Publikum AUCH eine Rolle für den Misserfolg gespielt haben. Über die Folgen (dass wir dem und anderen Gründen das spätere Juwel verdanken) sind wir uns ganz schnell einig. Ich habe übrigens 1962 im Stuttgarter Kleinen Haus die Wiederbelebung der 1.Fassung gesehen und besitze auch den Mitschnitt mit Rysanek, Thomas und Pütz.


    Die übrigen Beiträge können einem ja richtig Mut machen, welche Perspektiven sich da eröffnen für eine Verjüngung des Opernpublikums. Solange ich im Falle eines Scheiterns nicht zur Verantwortung gezogen werde, bin ich frohgemut dabei.


    Jetzt will ich die Schatzsuche im Nähkästchen nicht länger aufhalten!


    Herzliche Grüße von Sixtus

  • Traubi hat genau das gesagt, was ich schon seit den 1970er Jahren bei den eigenen Kindern und später bei den vielen jungen Leuten, denen ich über ihre Schwierigkeiten in Mathematik geholfen und noch helfe bzw. die ich über mein Film- und Videohobby kennengelernt habe (ich habe Schülergruppen beim Videoschnitt geholfen), erfahren habe.
    Wir hatten in den 1950er Jahren einen sehr strengen Deutschlehrer, der nicht nur mit uns fast sämtliche Werke der Klassiker (wie Goethe, Schiller, Hebbel, Kleist usw.) sondern auch viele Werke der damals modernen Schriftsteller (wie Bergengruen, Carossa, Hesse usw.) "durchgeackert" hat. Heute haben die Schüler z.B. bei Goethe Glück, wenn der "Faust gelesen wird, bei uns waren es außerdem der Götz, Iphigenie, Reineke Fuchs, Hermann und Dorothea und eine Reihe Gedichte, die wir lernen mussten (wie z.B Prometheus, den ich heute noch auswendig vortragen kann). Es wurden im Unterricht nur Ausschnitte gelesen und die Reste waren Hausaufgaben, die wir nicht zu boykottieren wagten, denn es wurde abgefragt und Analysen über das selbst Erarbeitete vorgenommen. Außerdem kam auch ein wenig antike Literatur (griechische, römische) sowie Althochdeutsch und Mittelhochdeutsch zur Sprache. Daneben mussten wir alle 2 Wochen berichten, was wir zusätzlich zu Hause gelesen hatten, und wehe, es war nichts Vernünftiges (z.B. erinnere ich mich noch an den Wutausbruch des Lehrers, als jemand berichtete, Ganghofer gelesen zu haben). Dann gab es nicht nur Tadel, sondern auch schlechte Noten.
    Nun war es damals sehr schwer und für mich auch finanziell kaum möglich, an eigene Bücher zu kommen. Es wurde schließlich besser, als die Schule (ich war damals schon in der Oberstufe) von der Stadt Geld bekam, eine Bibliothek aufzubauen. Da die Lehrer wenig Lust hatten, diese aufzubauen, habe ich mich freiwillig gemeldet und während andere Pause hatten und teilweise in meiner Freizeit, arbeitete ich in der Biblothek (Register anlegen, Buchausgabe). Allerdings hatte ich dadurch endlich die Gelegenheit, aus erster Quelle an Bücher zu kommen und habe mich z.B. sofort in die russische Literatur gestürzt (Dostojewski, Tolstoi, Gogol). Wie viel Schüler tun das wohl heute noch.
    Das was ich von Engagement meines Musiklehrers, der nur einfachste Mittel zur Verfügung hatte, hier schon berichtet habe, galt auch für den Deutschlehrer (als Schüler hat man diese Strenge nicht so zu schätzen gewusst, aber im Nachhinein habe ich meinem Deutschlehrer sowohl bein Schulabschluss ein besonderes Lob ausgesprochen und ihm in späteren Jahren noch einmal einen Dankesbrief geschrieben.
    Es kommt sehr viel auf darauf an, dass der Schüler dem Lehrer das Interesse am Fach und seinen persönliche Einsatz dafür anmerkt. Dies kann ich dann nur noch von einem unserer Französischlehrer sagen. Die anderen bewegten sich zwischen dem, was man "Durchschnitt" nennen würde bis hin zu völligen Desinteresse, wie z.B. bei einer Englischlehrerin, deren ganzer Unterricht darin bestand, von den beiden Klassenbesten die Texte im Englischbuch vorlesen und übersetzen zu lassen. Sie selbst sprach mit uns kein Wort Englisch und als ich sie als Klassensprecher einmal darauf ansprach, wenigstens die Begrüßung und die Kommandos auf Englisch zu geben, wäre ich beinahe vor den Direktor zitiert worden. In Nachhinein kann ich mich der Vermutung nicht erwehren, dass sie selbst Englisch nicht beherrschte.
    Auf der anderen Seite hatten wir natürlich auch nicht all die "Ablenkungen" und den technischen Schnickschnack (wie viele Jugendliche können heute noch auf der Straße oder durch die Natur gehen, ohne ständig mit Blick nach und Fingern auf dem Smartphone herumlaufen? >Generation "Kopf unten"< Oder wenigstens trägt man Ohrstöpsel, aus denen aber keine klassische mehr Musik ertönt). UKW und Stereo kam erst auf und Fernsehen im Haushalt war noch in den Anfängen. Es gab nur ein Programm, das aber besser war als die vielen heutigen zusammen. Da hatte das "Kopfkino" noch eine Chance, sowohl über die Literatur als auch über die Musik (vor allem die Oper).
    Zu vielen Opern hatten wir auch über die Literatur andere Beziehungen, weil wir die antiken und klassischen Dichter und die meisten Sagen des Altertums und Mittelalters noch kennen gelernt haben, auf denen viele Libretti fußen. Ich könnte einige Geschichten erzählen, wo ich bei Jugendlichen nach Begriffen aus diesen Bereichen nachgefragt habe, von denen sie nicht einmal mehr eine entfernte Vorstellung haben.

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

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  • Bevor die persönlichen Nähkästchen zur Neige gehen, will ich noch einmal in meinem kramen. Diesmal ganz unten im Bodensatz der eigenen Jugend. Aber das nicht aus bloßer Nostalgie, sondern weil dabei etwas zutage gefördert wird, was mein ganzes Leben geprägt - und zugleich unmittelbar mit unserem Themenkreis zu tun hat:


    In der 7.Klasse meiner DDR-Grundschule hatten wir einen Deutschlehrer, der uns mit Schiller-Balladen bekanntmachte. Die Bürgschaft schlug bei mir ein wie ein Blitz. Das Angebot des Lehrers, eine Ballade freiwillig auswendig zu lernen und, gegen Benotung, vor der Klasse vorzutragen, nahm ich wahr und kassierte eine Woche später eine Extra-Eins. Drei Jahre später, im Gymnasium, 10.Klasse, bekam ich von einem Klassenkameraden, der mein Faible für Schlagersänger kannte, den Impuls, mit ihm ins Stadttheater zu gehen, wo man grade Verdis Don Carlos spielte. (Ich hatte schon zuvor durch denselben Freund den Wildschütz kennengelernt, der mich durch seine Komödiantik begeistert hatte.)


    Die Aufführung rüttelte mich mächtig auf. Und als der Sänger des Philipp bald darauf in unserer Aula die Winterreise sang, entdeckte ich auch noch das Kunstlied, das mich bis heute begleitet. Der Entschluss, Sänger zu werden, stand ab da fest. Das Leben in seiner Brutalität belehrte mich später, dass meine Stimme dafür eine Nummer zu kurz war. Ich absolvierte zwar eine Gesangsausbildung, bestand sogar eine Opernprüfung, entschied mich dann aber sicherheitshalber für den Lehrerberuf. Der wurde mir bald lästig, aber die Liebe zur klassischen Musik, besonders zur Oper, ist sechzig Jahre danach so frisch wie am ersten Tag.


    Was will uns der Erzähler damit sagen? Ich bin meinem Lehrer heute noch dankbar, dass er die Begeisterung für Schiller durch seine List, auf freiwilliger Basis bei den dafür sensiblen Schülern den Ehrgeiz zu wecken, bei mir, einem Bauernsohn, eine lebenslange Liebe nicht nur für Schiller, sondern, unterstützt durch die List meines Schulfreundes, auch für Verdi , Schubert und die ganze Welt der Literatur und Musik geweckt hat. (An den Banausen ging das alles ungerührt vorbei. Es hat nur die erreicht, die dafür sensibel waren.) Das Entscheidende ist wohl, dass die Potenziale aus den Pubertierenden herausgekitzelt weren.


    So viel nochmal aus dem Nähkästchen von


    Sixtus

  • Zitat

    Zitat von Sixtus: Das Entscheidende ist wohl, dass die Potenziale aus den Pubertierenden herausgekitzelt weren.

    Genauso, lieber Sixtus, sehe ich es auch, und dazu gehört schon einiges Talent des Lehrers, und da sind bei weitem nicht alle geeignet. Ich kann das von meinem Musiklehrer und auch einem Französischlehrer sagen. Ob allerdings die autoritäre Methode des Deutschlehrers, von dem ich berichtete, die geeignete Methode war, bezweifle ich. Bei mir hat sie gefruchtet und ich habe durch diesen Zwang sehr viel fürs Leben profitiert. Allerdings gehörte auch der eigene Ehrgeiz dazu. Ich denke, dass dieser auch zumindest in Ansätzen von der Seite des Schülers vorhanden sein muss und dass das Elternhaus in gleicher Weise mitwirken muss, was in unserer Wohlstandsgesellschaft, in der es in erster Linie um materielle Dinge geht, nach meinem Eindruck immer mehr verloren geht.
    Es spielen wohl eine Menge von Faktoren eine Rolle, wenn wir das Bildungsniveau verbessern wollen. Und wir können gegen die Übermacht der heute auf die Jugend einwirkenden verderblichen Faktoren als Einzelne leider nur in geringem Maße etwas tun.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Ja, lieber Gerhard, da sind wir ja mal wieder beieinander. Und ich nehme an, dass andere das auch ähnlich sehen. (Aber man muss ja nicht immer alles schriftlich abnicken.)


    Wir können nicht bei allen jungen (und älteren!) Menschen voraussetzen, dass sie für solche Orchideen-Nischen wie Oper ausgerüstet sind. Aber bei der kleinen Minderheit, die einen Sinn dafür hat, sollten wir immer die passende Wünschelrute bei uns haben, damit sie nicht auch noch verloren gehen. Man stelle sich vor, uns hätte in jungen Jahren niemand aufgespürt - der Verlust wäre nicht auszudenken!


    In diesem Sinne grüße ich herzlich alle Opernfreunde und begebe mich für eine Woche auf eine kleine (opernfreie!) Urlaubsreise "in deutschen Landen". Bis bald!


    Sixtus

  • Es ist ziemlich sicher eine Illusion, dass das, was man in den 1950ern unter (Allgemein)bildung verstanden hat (möglichst viele Gedichte auswendig lernen, am besten von Goethe und Schiller ;)) in näherer Zukunft auf breiter Front wiederkehren wird. Das Gymnasium ist ein Massenbetrieb; Fachabitur eingeschlossen, erhält etwa/beinahe die Hälfte eines Jahrgangs irgendeine Art von "Hochschulreife"; das kann man mit dem vergleichsweise elitären Betrieb vor 50 oder mehr Jahren nicht vergleichen.
    Dazu haben sich die Schwerpunkte verändert. Es mag immer noch miserable Englischlehrer geben, aber in den modernen Sprachen ist der Unterricht m.E. eher etwas besser geworden, da sich rumgesprochen hat, dass Akademiker zumindest einigermaßen Englisch können sollten, außer vielleicht Juristen und Landärzten ;) Wobei sicher auch die anglophone Popkultur, das leichtere und billigere Reisen usw. dazu beigetragen haben.
    Andererseits haben es kulturelle Fächer im engeren Sinne (also über bloße Sprachkenntnisse hinaus) in einem zunehmend technokratischen, auf direkt verwertbare "Kompetenzen" setzenden Umfeld immer schwerer. Das wird zunehmend als Luxus, als elitäre Abgrenzung einer überholten Bildungsschicht gesehen. Die heute erwünschten Funktionseliten sind flexibel, polyglott, smart, die haben keine Zeit für Gedichte.
    (Vgl. schon "Club der toten Dichter")


    Ich halte übrigens die beiden im Eingangsposting genannten Faktoren für weitgehend irrelevant. Einige der größten Sänger des 20. Jhds. sind angeblich/mutmaßlich "verheizt" worden (bzw. haben sich durch unangemessene Partien zur falschen Zeit selbst verheizt), z.B. Callas, über Anna Moffo habe ich ähnliches gelesen. Ich bin kein Sängerexperte, aber es gibt zig Beispiele aus angeblich "goldenen" Zeiten, die hier immer mal wieder genannt werden. Auch die von Rheingold genannten kritischen Texte aus der Zeit um 1970 zeigen m.E., dass dieser Faktor in seiner Bedeutung für die (Nicht)relevanz der Oper in der Breite völlig überschätzt wird. Abgesehen davon, funktionieren die Mechanismen, die einzelne Sänger zu "Stars" machen, auch dann, wenn die "Kenner" die Nase rümpfen (z.B. Netrebko oder gar Bocelli).


    Viel wichtiger ist aber, dass überhaupt nur ein winziger Teil dezidierter Opernfans sich mit so etwas wie fachgerechter Besetzung, Stimmentwicklung usw. befasst. Der normale Opernbesucher will packend unterhalten werden, abgesehen davon, dass Deutschland immer noch auch von den vielen kleineren provinziellen Theatern ohne Gesangsstars lebt. Oper findet eben nicht nur in Berlin, Hamburg und München statt.


    Die Rolle des ominösen Regietheaters scheint mir offen. Zwar glaubt einem das hier kaum jemand, aber es spricht eben einiges dafür, dass unkonventionelle Inszenierungen durchaus ein gewisses, auch jüngeres Publikum ziehen. Wenn Statistiken "fragwürdig" sind, reicht es halt nicht, das zu insinuieren, sondern man muss es mit besser gestützten Zahlen widerlegen.
    Für die "Zukunft der Oper" ist aus rein demographischen Gründen offensichtlicht weitgehend irrelevant, wie viele über 60jährige aus Wut über verunstaltende Inszenierungen schäumen.


    Ganz unabhängig von konkreten Inszenierungen halte ich die oben eher kritisch (wenn ich recht verstanden habe) gesehene Entwicklung weg vom "Sängerfest" zum mitunter auch kontroversen Musiktheater für die einzige Chance der Oper! Ich habe ja anderswo das Sängerspektakel der Barockoper verteidigt und die Entwicklung seitdem ist auch nicht immer geradlinig, sondern dialektisch verlaufen. Aber wesentliche Entwicklungen der letzten knapp 250 Jahre Operngeschichte gingen nahezu immer weg vom "Sängerfest" zum Musikdrama. Und letzteres wurde oft zunehmend "abstrakter". Insofern sind zumindest einige Aspekte des ominösen Regietheaters nur eine historisch folgerichtige Entwicklung.

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  • Wer vielleicht nur 2 oder 3 mal im Jahr in die Oper geht, der möchte natürlich ein Sängerfest erleben. Meine Freundin fragt mich immer, wenn ich einen Sänger kritisiere, weil er schlecht gesungen hat, wie ich sowaß beurteilen könne, da ihrer Meinung nach der Sänger doch " gar nicht so schlecht gesungen hätte ". Einmal hat sie mich sogar gefragt, ob ich mich überhaupt noch auf einen Opernbesuch freuen kann, wenn ich immer mit so einer kritischen Haltung in eine Aufführung gehen würde. Für die nächste Spielzeit an der Rheinoper habe ich schon alle Karten, und werde auch einige Aufführungen mehrmals sehen. Vor allem ist es immer dann interessant, wenn es in einer Aufführungsserie unterschiedliche Besetzungen gibt. In meinem Bekanntenkreis gibt es viele normale Opernbesucher, die der Meinung sind, das es doch keinen großen Unterschied macht, ob unterschiedliche Sänger singen, nach dem Motto : Soprane klingen eh alle gleich . Die Barockoper zählt ja auch zum Nischnrepertoire , aber wenn mal Barockoper an der Rheinoper gespielt wird, sind die beiden Häuser immer voll.

  • Die Rolle des ominösen Regietheaters scheint mir offen. Zwar glaubt einem das hier kaum jemand, aber es spricht eben einiges dafür, dass unkonventionelle Inszenierungen durchaus ein gewisses, auch jüngeres Publikum ziehen. Wenn Statistiken "fragwürdig" sind, reicht es halt nicht, das zu insinuieren, sondern man muss es mit besser gestützten Zahlen widerlegen.


    In meinen Berliner Jahren, in denen ich ein Stammgast in der Komischen Oper war, habe ich genau diesen Eindruck gewonnen: ein jüngeres Publikum kann man sehr wohl mit unkonventionellen Inszenierungen anziehen.



    Für die "Zukunft der Oper" ist aus rein demographischen Gründen offensichtlicht weitgehend irrelevant, wie viele über 60jährige aus Wut über verunstaltende Inszenierungen schäumen.


    :thumbsup::D:D



    Ganz unabhängig von konkreten Inszenierungen halte ich die oben eher kritisch (wenn ich recht verstanden habe) gesehene Entwicklung weg vom "Sängerfest" zum mitunter auch kontroversen Musiktheater für die einzige Chance der Oper!


    Das sehe ich ganz genauso, eben aufgrund der in den vorhergehenden Beiträgen beschriebenen Veränderungen der Rezeptionsgewohnheiten. Die kann man lange und laut beklagen, aber wir werden die Smartphone-Generation nicht umerziehen.


    Wer vielleicht nur 2 oder 3 mal im Jahr in die Oper geht, der möchte natürlich ein Sängerfest erleben. [...] In meinem Bekanntenkreis gibt es viele normale Opernbesucher, die der Meinung sind, das es doch keinen großen Unterschied macht, ob unterschiedliche Sänger singen, nach dem Motto : Soprane klingen eh alle gleich .


    Widersprichst Du Dir da nicht selbst? Ich denke, den Gelegenheitsbesuchern wird es eben nicht so sehr auf die Qualität der Stimmen ankommen, weil sie diese meist auch gar nicht beurteilen können. Sie wollen, dass "schön" gesungen wird und beklatschen am Ende dann eigentlich eher den Komponisten als die Sänger. Auf ein "Sängerfest" legen doch wohl eher die Stamm-Besucher und Opern-Experten Wert, die sich wie Du eine Produktion mehrfach in wechselnden Besetzungen anhören und wirklich unterschieden können, ob gut gesungen wird oder nicht.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Für mich ist es interessant, die Entwicklung der Sänger im Ensemble zu beobachten. Da ich doch relativ häufig in die Oper gehe, weiß ich natürlich, daß nicht jeder Abend ein Sängerfest sein kann und gehe auch nicht mit der Erwartung in die Oper. Als Experte würde ich mich nicht bezeichnen, da gibt es hier im Forum andere Taminos, wie z.B. Caruso, der sich vor allem im stimmlichen Bereich besser auskennt.

  • Was ich oben unvollständig gelassen habe, ist, dass es in den letzten 100 Jahren auch wieder Entwicklungen weg vom Musikdrama, sofern das im Wagnerschen oder auch Verismo-Sinne (die sicher voneinander deutlich verschieden sind) verstanden wird, gab, aber eben nicht zum "Sängerfest".
    Das "Sängerfest" in dem Sinne, wie es manche heutige Opernfreunde wünschen, ist m.E. ein Phänomen, das mit der weitgehenden Erstarrung des Repertoires zusammenhängt. (Daher ist es auch eine ganz andere Situation als in der sängerzentrierten ital. Oper von Scarlatti bis Donizetti, als niemand auf die Idee gekommen wäre, eine 30 Jahre alte Oper aufzuführen.)
    Das wäre sogar eine Gemeinsamkeit zum Regietheater: Weil größtenteils immer dieselben ca. 50 (und davon vermutlich etwa 30 mit einem nochmal überproportionalen Anteil) Stücke gespielt werden, kapriziert man sich entweder auf Gesangsstars und ihre besonderen Interpretationen von einem dutzend "Paraderollen".
    Oder man muss Aspekte des Stücks unkonventionell behandeln, weil eh immer dasselbe gespielt wird; das kann dann zum "Regietheater" führen.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Zitat von Rodolfo39: Wer vielleicht nur 2 oder 3 mal im Jahr in die Oper geht, der möchte natürlich ein Sängerfest erleben.


    Ich bin im Jahr auch höchstens 5 bis 6 mal in einer Oper gewesen. Mehr war schon aus rein finanziellen Gründen nicht möglich.
    Ein „Sängerfest“ habe ich live so gut wie nie erlebt und war auch nicht darauf aus. In großen Häusern war ich nur selten. Einmal war ich in Berlin und einmal in München in den 1950er Jahren, in den 1970er Jahren haben wir mit den Kindern 4mal im Urlaub die Bregenzer Festspiele erlebt - die Preise waren damals sehr moderat und man saß da noch auf langen, schon etwas verschlissenen Holzbänken. Schließlich haben wir einmal in einem Urlaub gerade noch eine Oper in der Arena von Verona auf den günstigen Plätzen in der Gradinata erwischt (damals für 25 DM einschl. Busfahrt von Malcesine). Außer der Vorstellung, die ich mir während eines Kurses in meiner Ausbildung 1958 in München erlauben konnte, damals im Prinzregententheater, eine Oper, die man damals noch in keinem Opernführer fand mit den damals berühmten Sängern, erinnere ich mich auch nicht mehr an die einzelnen Sänger.
    Das Abonnement für meine Frau und mich hatte ich hier vor Ort, wo es kein eigenes Ensemble gibt und Tourneetheater eingekauft wurden. Es wurden in vielen Jahren, vor allem vor der Wende, viele Tourneetheater aus der DDR und aus osteuropäischen Ländern eingekauft, die hervorragende Inszenierungen boten. Auch habe ich in der Regel ein Werk nicht noch einmal gebucht, wenn es im nächsten Jahr von einer anderen Bühne erneut gegeben wurde. Mir ging es in erster Linie immer darum, neue Werke kennen zu lernen.
    Erst, als fast nur noch bei deutschen Tourneebühnen eingekauft wurde und immer mehr die modisch entstellten Inszenierungen grassierten, habe ich mein Abonnement aufgegeben. Das Programm für die neue Saison unserer Stadt, die sich KulturstadtLev nennt, enthält erstmalig keine einzige Oper mehr, eine Operette und sonst nur noch Musicals.
    „Sängerfeste“ habe ich nur im Fernsehen und auf DVD erlebt. Und da habe ich im Moment weit über 200 Werke auch von vielen nur noch selten gespielten Komponisten (wie z.B. Catalani, Cherubini, Martin y Soler, Salieri u.a.) oder selten gespielten Werken bekannterer Komponisten (z.B. Henri VIII von Saint-Saens, sämtliche kaum gespielten Opern von Verdi usw.). Da mein Interesse in erster Linie dem Werk selbst und seiner vernünftigen Inszenierung gilt – und das, was ich live erlebt habe, entsprach immer meinen Ansprüchen (denn auch weniger bekannte Sänger sind oft hervorragend und geben sich oft mehr Mühe als hochgejubelte Stars) – ziehe ich keine Vergleiche und werde mich hier auch nie zur Qualität der Sänger äußern, vor allem, weil ich hier im Forum immer wieder feststelle, dass sich die „Experten“ auch nicht einig sind.
    So unterschiedlich sind die Interessen. Ich gönne jedem, der es sich leisten kann, dass er mehrmals in die gleiche Inszenierung geht oder die Mittel hat, große Häuser in aller Welt zu besuchen und – soweit er glaubt, es für sich beurteilen zu können, Vergleiche zieht.
    Ich brauche keine „Sängerfeste“.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Lieber Gerhard,
    Ich habe das Glück, das ich seit einigen Jahren Mitarbeiter Karten an der Rheinoper bekommen kann, und die sind wirklich sehr günstig. Außerdem ist auch der Fahrpreis mit öffentlichen Verkehrsmitteln im Kartenpreis mit drin. Wenn z,B. Karten im Aalto Theater in Essen 28 Euro im 2. Balkon kosten überlege ich mir auch genau, welche Aufführung ich dort besuchen werde. Nächste Spielzeit gibt es dort Norma , Lohengrin und le Prophete als Premieren. Nach langer Abstinenz werde ich dann auch mal wieder dieses Opernhaus besuchen. Und für mich ist es interessant die Entwicklung der Sänger zu verfolgen. Hans Peter König hat den Marke in Duisburg gesungen, da kannte ihn noch keiner. Mein Sitznachbar sagte damals zu mir : Der wird bestimmt mal ein ganz großer Sänger werden. Und er hatte recht.

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  • Hans Peter König hat den Marke in Duisburg gesungen, da kannte ihn noch keiner.

    Wann war denn das? Ich kante ihn schon aus seiner Hannoveraner Zeit (Boris Godunow 2000 oder 2001).

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Das war kurz nach dem er in Zürich im Opernstudio war. Wir hatten uns damals gewundert, das er den Marke schon so früh gesungen hatte. Aber schon da hatte er ein sehr selbstbewusstes Auftreten und konnte alle Zuschauer für sich vereinnahmen.

  • Von meiner opernfreien Reise mit dem Wohnmobil zurück, kann ich nur bestätigen, was ich hier von Deutschlands Osten lese - wenn auch in ganz anderer Hinsicht: Während die Eifel völlig verregnet war, lachte mir in meiner alten Heimat, der Oberlausitz, drei Tage am Stück die Sonne entgegen. EX ORIENTE LUX !


    Zur Sache: Der These von Johannes, der Weg der Oper führe vom Sängerfest zum Musikdrama, kann ich uneingeschränkt zustimmen, soweit sie sich auf die Geschichte der Gattung bezieht. Ob sich das auch von der Aufführungspraxis sagen lässt, ohne dass die Gattung degeneriert, ist eine ganz andere Frage.


    Vorgestern hatte ich in Saarbrücken eine Falstaff-Premiere zu rezensieren. Die Regie war interessant und intelligent. Aber das heute fast obligatorische Einheitsbühnenbild führte zu einigen Ungereimtheiten, die das Stück bis zur Unkenntlichkeit veränderten. Vor allem zum Schlussbild im Park von Windsor passte das zweistöckige Puppenhaus überhaupt nicht. Man hätte es nur hochfahren müssen und durch eine Parklandschaft ersetzen, dann hätte sich die Poesie dieses Finales entfalten können. Doch mit den verwinkelten Innenräumen ließ sich dieser Zauber nicht herstellen. Aber man will unbedingt sein "Konzept" durchziehen, auf Biegen oder Brechen. Das hat dann mit Musikdrama nicht mehr viel zu tun. Dazu gehört auch eine Sensibilität dem Werk gegenüber, wenn es ans Aufführen geht.


    Wofür ich plädiere, ist nicht eine Rückkehr zum Sängerfest (das darf als Sahnehäubchen dazu kommen!). Mir schwebt ein Musikdrama vor, das aus Respekt vor dem Werk auch eine (dem Haus angepasste) optimale Besetzung aufweist. Musikdrama ja, aber gut gesungen! Dass dies der Quadratur des Kreises nahekommt, ist mir klar...


    Herzliche Grüße von Sixtus

  • Zitat

    Zitat von Sixtus: Aber das heute fast obligatorische Einheitsbühnenbild führte zu einigen Ungereimtheiten, die das Stück bis zur Unkenntlichkeit veränderten. Vor allem zum Schlussbild im Park von Windsor passte das zweistöckige Puppenhaus überhaupt nicht. Man hätte es nur hochfahren müssen und durch eine Parklandschaft ersetzen, dann hätte sich die Poesie dieses Finales entfalten können. Doch mit den verwinkelten Innenräumen ließ sich dieser Zauber nicht herstellen. Aber man will unbedingt sein "Konzept" durchziehen, auf Biegen oder Brechen. Das hat dann mit Musikdrama nicht mehr viel zu tun. Dazu gehört auch eine Sensibilität dem Werk gegenüber, wenn es ans Aufführen geht.

    Lieber Sixtus,


    das zeigt wieder einmal die Fantasielosigkeit der heutigen Inszenierungen. Dass das Geschehen den Zuschauer an unterschiedliche Spielorten versetzen soll, kommt diesen Regisseuren, die ihrer fixen Idee verfallen sind, nicht mehr zu Bewusstsein. Du sagst es: Ihnen fehlt überwiegen die Sensibilität.
    Es geht aber auch anders: Ich weiß nicht, ob die die Übertragung der Manon Lescaut vor einer Woche gesehen hast. Obwohl die Programmzeitschrift ankündigte, der Regisseur habe die Handlung kompromisslos in die Moderne versetzt, fand ich die Inszenierung gar nicht so schlecht und sie hat meiner Ansicht nach dem Werk nicht unbedingt geschadet. Obwohl ich eine Oper lieber in der Zeit angesiedelt sehe, in der sie tatsächlich spielt, war es vom Thema her durchaus möglich, sie auch in modernem Ambiente zu zeigen. Die vier imm Libretto vorgesehenen Spielorte waren vorhanden. Da war die Poststation ein etwas moderneres Gasthaus, der Salon in Gerontes Haus war ein hübsches Boudoir, das Gefängnis in dritten Akt und eine Schräge, auf der die Gefangenen hinaufsteigen mussten,um dann hinter einem Vorhang zu verschwinden, und schließlich in vierten Akt eine Art Ruine mit einer Projektion einer Wüste in Amerika (Monument-Valley?). Die Kostüme waren modern.
    Der Regisseur hat wenigstens nirgendwo in die Handlung eingegriffen und damit die Oper zerstört.
    Einzig hat mich ein wenig gestört, dass Manon im zweiten Akt ein wenig zu sehr auf eine Art Prostituierte getrimmt war. Ich sehe in ihr eher das unausgegorene, im irdischen Tand befangene Geschöpf, das es nicht schafft, sich zwischen Liebe und Reichtum zu entscheiden. Insgesamt jedoch eine der wenigen Inszenierungen der letzten Jahre, die mir akzeptabel erschien. Diese Inszenierung zähle ich - wie nur wenige, hier schon mehrfach erwähnten Inszenierungen der jüngsten Vergangenheit - einmal nicht zum Verunstaltungstheater.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Bei der Manon Lescaut Aufführung aus London war es eine der wenigen male , wo ich die Inszenierung und den Dirigenten besser gefunden habe als die Sänger. Lieber Sixtus ich denke mal , wenn du eine Kritik schreibst, dann hast du auch schon ein bestimmtes Konzept . Würdest du dir von jemanden anderem reinreden lassen und es verändern ? Was mich interessieren würde, wie die Falstaff Aufführung dem Publikum in Saarbrücken gefallen hat und wie sie auf das Regie Team reagiert haben.

  • Diesesmal bin ich nicht ganz bei euch - mir hat die Londoner "Manon Lescaut" nicht sehr gefallen. Sie war sicher nicht die schlechteste, aber die Modernisierung hat es zu beliebig gemacht und daher viele Kanten abgerundet. Meiner Meinung nach entschärft diese Inszenierung viele Gegensätze, die aus der Zeit der Entstehung noch anders zu sehen wären.

  • Lieber Erich,


    damit hast du natürlich Recht. Deshalb wäre mir die Oper auch weit lieber in der Zeit, in der sie nach Libretto angesiedelt ist, gewesen. Aber die Inszenierung hat zumindest der Oper weit weniger geschadet als die leider überwiegende Anzahl der haarsträubenden Inszenierungen der letzten Jahre. Am kommenden Samstag wird "Hoffmanns Erzählungen" von den Salzburger Festspielen übertragen. Ich bin sehr gespannt, was der Regisseur daraus wieder gemacht hat.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Lieber Gerhard,
    Hoffmanns Erzählungen kommt von den Bregenzer Festspielen vom letzten Jahr und nicht aus Salzburg.Die Inszenierung bekam damals sehr gute Kritiken.

  • Lieber Rodolfo,


    du hast Recht. Ich habe das falsch im Gedächtnis gehabt. Auf Kritiken gebe ich allerdings nicht viel, denn viel jubeln ja allen Unsinn hoch. Warten wir es also ab.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

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