Nicolai Gedda – vielseitiger unverwechselbarer Tenor

  • Seine Vielseitigkeit war respektabel. Und doch: Sein Gesang erreichte nur mein Ohr, aber nicht meine Seele.
    Schade!


    Es kommt auf die "Empfindung" an. Man höre einmal seine Arie "Magische Töne" aus Goldmark´s "Königin von Saba". Für mich kaum vorstellbar, dass man damit nicht die "Seele" eines Musikliebhabers erreichen kann.


    Gruß


    Bernard :hello:

    Keine Kunst wirkt auf den Menschen so unmittelbar, so tief wie die MUSIK,
    eben weil keine uns das wahre Wesen der Welt so tief und unmittelbar erkennen lässt



    Arthur Schopenhauer

  • Das ist eine meiner Lieblingsarien. Nicolai Gedda singt die wirklich sehr schön. Aber - wie bereits vorher mehrfach bemerkt - es fehlt die innere Anteilnahme.
    Ich habe jede Menge Vergleichsaufnahmen - ob Peter Seiffert, Herbert Lippert oder Volker Bengl - ganz zu schweigen von den - klanglich eingeschränkten - historischen Aufnahmen von Leo Slezak, Karl Erb oder Hermann Jadlowker - alle gefallen mir irgendwie besser.
    Selbst Rudolf Schock würde ich bei dieser Arie den Vorzug geben - vielleicht weil er eben Muttersprachler ist?

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

  • Lieber Harald,
    was heißt denn hier Muttersprachler?
    Gedda singt doch die Arie in einem hervorragenden deutsch, jedenfalls deutscher als Slezak.


    :hello: Herbert

    Tutto nel mondo è burla.

  • Lieber Harald,
    was heißt denn hier Muttersprachler?
    Gedda singt doch die Arie in einem hervorragenden deutsch,
    jedenfalls deutscher als Slezak.


    :hello: Herbert


    Damit meine ich nicht die Aussprache sondern das Denken und Fühlen in der Muttersprache!

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

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  • Damit meine ich nicht die Aussprache sondern das Denken und Fühlen in der Muttersprache!


    Lieber Harald
    Ich verstehe Dich, weiß, wie Du das meinst und möchte Dir beipflichten. Ich glaube auch, dies ist ein ganz wichtiger Aspekt. Und damit meine ich nicht nur hier Nicolai Gedda, sondern allgemein und generell. Ich empfinde z. B. bei der hervorragenden Interpretation der beiden russischen Volkslieder (Btr. 110) ist er wie "richtig zu Hause". Hier schwelgt förmlich "die russische Seele".
    Herzliche Grüße
    CHRISSY

    Jegliches hat seine Zeit...

  • Das kann ich nicht nachempfinden.
    Die Handlung spielt im Orient und Gedda
    singt die Arie wie einen Traummonolog.
    Für mich ist es auf jeden Fall die ideale Interpretation.
    Natürlich kenne ich auch alle anderen Aufnahmen,
    aber Gedda ist die Referenzaufnahme.
    (Übrigens ist Nicolai Gedda Schwede)


    :hello: Herbert

    Tutto nel mondo è burla.

  • Ich habe neulich hier einen englischen Sänger vorgestellt. Der sang "Die schöne Müllerin" perfekt - in akzentfreiem Deutsch. "Referenz" würde Herbert sagen.
    Als ich ihm hinterher gratulierte - auch zu seinen Deutschkenntnissen - mußte er gestehen, daß er außer "Zwei Bier" kein Wort in unserer Sprache kannte...

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

  • vielleicht weil er eben Muttersprachler ist?


    Mit Sicherheit nicht! Denn Deutsch war eigentlich Geddas erste wichtige Sprache - er verbrachte die frühe Kindheit in Leipzig! Außerdem hat es nie einen sprachgewandteren Sänger gegeben. Zumindest Deutsch, Französisch, Russisch, Schwedisch und Italienisch spricht er akzentfrei. Wenn hier manche bemerken, er erreiche nicht ihre Seele, so ist es deren Pech, hängt aber vielleicht mit dem Stimmtimbre zusammen. Aber sowohl seine französischen wie russischen Aufnahmen lassen auch auf dem Sinnlichkeitssektor eigentlich keine Wünsche offen.


    :hello:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


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  • Von Pech möchte ich in diesem Zusammenhang nicht sprechen, da ich ich mich glücklicherweise für andere Sänger begeistern kann.

    Freundliche Grüße Siegfried

  • Nicolai Gedda war und ist ein Jahrhundertsänger mit feinstem Stilgefühl und unendlich viel Gesangskultur. Ein sehr viel strahlender und spontan überwältigender Tenor ist Fritz Wunderlich. Beide Sänger verkörpern für mich unterschiedliche Typen: Gedda ein großartiger Gesangsstilist und Wunderlich ein unererreichter strahlender Schönsänger. Im Grunde sind beide Künstler schwierig zu vergleichen, zumal beide auch nur in Teilen das gleiche Fach sangen.
    Seien wir dankbar, dass es sie beide gab und durch ihre Tondokument noch gibt und lassen wir jedem in seiner Eigenart den ihm zustehenden Ruhm.


    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Am liebsten sind mir von Nicolai Gedda die frühen Aufnahmen. Künstlerisch und gesangstechnisch können sie es mit den späteren nicht aufnehmen, aber sie bestechen durch ihre Leichtigkeit, ihre Unverstelltheit. Gedda ist noch Versprechen, das er allerdings auch einlösen sollte. So jung, so frei in der Höhe hat selten einer gesungen wie Gedda um 1950. Es haben sich Aufnahmen aus Schweden erhalten mit einem Repertoire, da er auch auf der Höhe seines Ruhms gesungen hat, darunter schon sehr viel Operette - alles auch in schwedischer Sprache. Das "Wolgalied" in Schwedisch, das hat schon was. Seine erste große offizielle Aufnahme ist nach meinem Kenntnisstand diese H-Moll-Messe von Bach:


    Der Mittzwanziger gemeinsam mit Elisabeth Schwarzkopf, Marga Höffgen und Heinz Rehfuss unter der Leitung von Herbert von Karajan. Produzent der im Wiener Musikverein und im legendären Londoner Abbey-Road-Studio Nr 1. London entstandenen EMI-Produktion war Walter Legge, der sofort das Talent Geddas erkannt hatte. Dazu fällt mir eine hübsche Geschichte ein. Legge ruft seine Noch-nicht-Ehefrau Elisabeth Schwarzkopf in der Absicht an, ihr von einem blutjungen Tenor vorzuschwärmen, den er gerade im Radio hört. Die Schwarzkof aber hat gar keine Zeit, weil sie eben einen hinreißenden und vollkommen unbekannten jungen Tenor im Radio hört.


    Die Karriere von Gedda ist beispiellos. Sie lässt sich nach meiner Überzeugung nicht mit anderen Tenören vergleichen, weil er ein an Umfang enormes und sehr unterschiedliches Repertoire sang. Dazu ist alles gesagt in diesem schönen Thread. Beispiellos ist er für mich, weil er auch um die Operette, die deutsche Spieloper und die Moderne keinen Bogen gemacht hat. Er sang auch Volkslieder, Oratorien und eben Kunstlieder. Seine "Ferne Geliebte" ist wirklich unerreicht. Diese Vielseitigkeit ist auch mit der Zeit sein Problem geworden. Er wollte sehr vieles sein und war es schließlich dann doch nicht. Deshalb - ich kehre zu meinem Ausgangspunkt zurück - liebe ich so sehr seine ersten Aufnahmen, wozu auch die Operetteneinspielungen unter Ackermann gehören.


    Herzlich grüßt Rheingold

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Am liebsten sind mir von Nicolai Gedda die frühen Aufnahmen.


    Lieber Rheingold
    Und weil Du in diesem Zusammenhang auch Elisabeth Schwarzkopf erwähnst, möchte ich einen Tip geben, auch für unsere Beethoven- Experten, eine Aufnahme von 1959, die es auch in der damaligen DDR als LP gab und die ich habe:


    Herzliche Grüße
    CHRISSY

    Jegliches hat seine Zeit...

  • Einen preiswerten Überblick über sein Repertoire bekommt man hiermit:



    Arien aus Orphée et Eurydice, Entführung, Manon, La Damnation de Faust, Les Troyens, Werther, Eugene Onegin, Lohengrin.
    (download bei Opera Depot ca. 2,50 €)
    Titelliste:
    1. Laissez-vous toucher par mes pleurs
    2. J'ai perdu mon Eurydice
    Orfée et Eurydice
    3. Hier soll ich dich denn sehen
    4. O wie ängstlich
    Die Entführung aus dem Serail
    5. Merci, doux crépuscule!
    La Damnation de Faust
    6. Nuit d'ivresse (mit Shirley Verrett)
    7. Inutiles regrets!
    Les Troyens
    8. Salut! demeure chaste et pure
    Faust
    9. Je crois entendre encore
    Les Pêcheurs de Perles
    10. C'est vrai ... En fermant les yeux
    11. Je suis seul... Ah, fuyez
    Manon
    12. Pourquoi me réveiller
    Werther
    13. Ja ljublju vas, Olga
    14. Kuda, kuda vy udalilis
    Eugene Onegin
    15. In fernem Land
    Lohengrin


    LG

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

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  • Hallo,


    ich habe hier Geddas Leistungen im Französischen Fach schon gewürdigt und möchte keinen Zweifel daran lassen, daß ich Gedda, neben Alfredo Kraus, für den technisch besten Tenor des 20. Jahrhunderts halte. Betrachtet man das riesige Repertoire jedoch, so muß man, zumindest ich, Einschränkungen machen. Vereinfacht gesagt: Gedda ist ein Spezialist für Spezialitäten. Jeder Opernfan sollte Don Jose, Nadir, Hoffmann, Faust, Dimitri, Sobinin, Lenski, Raoul, Idomeneo und Orfeo von ihm im Schrank haben. Unter den genannten Partien sind einige "Repertoire-Pferde", wie Don Jose, Hoffmann, Faust und Lenski, die Gedda aufgrund seiner technischen Überlegenheit besser beherrscht, als andere. Muß er jedoch ganz gängige Repertoire-Schlachtrösser reiten, so steht ihm, meines Erachtens, seine technische Kunstfertigkeit bei der wirklich überzeugenden Interpretation im Weg: Bei Mozarts Taminio ziehe ich Wunderlich, Schreier, Jerusalem und Araiza Gedda vor, beim Belmonte Wunderlich, Schreier, Araiza und Heilmann. Im Falle von Verdis Herzog von Mantua ist man mit Bergonzi, Kraus und Pavarotti besser bedient, ebenso beim Alfredo Germont. Als Rodolfo in La Boheme stechen ihn di Stefano, Bergonzi und Pavarotti klar aus, bei Rossinis Graf Almavia, sowie Massenets des Grieux und Werther ist Kraus überlegen. Zum Schluß: Es dürfte den vielgescholtenen Rudolf Schock sehr gefreut haben, daß seine Interpretation des Max in Webers Freischütz von 1958 von Kritikern immer höher bewertet wurde, als die von Gedda von 1969. Gedda ist einer der besten Techniker der Operngeschichte, er sang nie schlecht, aber einen perfekten Sänger hat es nie gegeben!


    Gruß,


    Antalwin

  • Lieber Antalwin, Dein Beitrag gefällt mir gut, wenngleich ich etwas davor zurückschrecken würde, bei Gedda vom "technisch besten Tenor des 20. Jahrhunderts" zu sprechen. Auch für mich sang er technisch gesehen in der allerobersten Liga. Nach meinem Eindruck stand ihm seine Technik letztlich sogar etwas im Wege, weil sie sich manchmal zu verselbständigen drohte. Sobinin ist der Gipfel! Es gibt einige Platten mit russischen Kanzonen und schwermütiger Volksmusik, die die Stimmung dieser Partie aufnehmen und mich immer stark berührt haben. Ich würde, um Dein Bild aufzugreifen - sagen: Man sollte viel Gedda griffbereit zum hören haben, in allen seinen Partien aber noch mindestens ein Äqui­va­lent. So ähnlich habe ich Dich in Teilen ja auch verstanden. Du hast Gedda wirklich genau gehört, Respekt!


    Gruß Rheingold

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Auch Nicolai Gedda, der am gleichen Tag geboren wurde wie Mattiwilda Dobbs (LV-Thread), hat heute Geburtstag. Was lag also näher, als auch für ihn die Aufnahme herauszusuchen, in der sie beide singen:



    Auch Nicolai Gedda feiert heute seinen 90. Geburtstag.


    Herzlichen Glückwunsch!


    Willi :jubel::jubel::jubel::jubel::jubel:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Danke, lieber Willi, dass Du an diesen großartigen Sänger erinnert hast. Ich hörte ihn vorhin als vorzüglichen "Raoul" in Meyerbeers "Hugenotten" - einsame Spitze!


    "Menschen, die nichts im Leben empfunden haben, können nicht singen."
    Enrico Caruso


    "Non datemi consigli che so sbagliare da solo".
    ("Gebt mir keine Ratschläge, Fehler kann ich auch allein machen".)
    Giuseppe di Stefano

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  • und wenn es Nicolai Gedda gut geht, ist das auch besonders schön.


    Freuen wir uns also, dass es sich um eine Falschmeldung handelte, aber gut geht es ihm sicher nicht.


    Er, der die Gesangskunst ins schier Übermenschliche entwickelt hat, in seinem Naturel aber eher schüchtern war, musste seiner Berufung Vieles unterordnen und auf Vieles verzichten, was dem Normalmenschen lieb und teuer ist.
    So hat er schon in jungen Jahren an Depressionen gelitten, wohl bedingt durch die Einsamkeit des Genies.
    Dass diese mit zunehmendem Alter sich eher verstärken, ist eine bekannte Tatsache.
    Möglicherweise werden das Einige in unserem Forum, das eher der Dickhäutigkeit als der Sensibilität huldigt, nicht verstehen. Leugnen lässt es sich trotzdem nicht.


    Wer trotzdem daran zweifelt, möge seinen Lenskij hören. Niemand, dem diese Tragik nicht schon zu eigen ist, wird ihn so gestalten können.

  • Lieber hami, ich kann dir nur beipflichten, da ich selbst vor knapp 25 Jahren eine starke depressive Phase hatte, die ich nur durch teils stationäre Behandlung und jahrelange Behandlungen durch einen Psychologen in den Griff bekam. Sie geht nie ganz weg, aber ich kann damit leben.
    Wollen wir hoffen, dass Nicolai Gedda dennoch in Würde leben kann und gut Hilfe hat.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Nach all dem Unerfreulichen der letzten Tage hier etwas viel Wichtigeres für Opernfreunde und Sängerliebhaber:
    Ich habe mich heute Abend mit der Aufnahme einer Sendung beschäftigt, die Arte Montag 00.30h (!) ausgestrahlt hat und die ich allen ans Herz legen möchte:
    Nicolai Gedda, Tenor des hohen D's.
    In dieser Dokumentation (2015) kommen viele Stellungsnahmen von Kollegen (Freni, Moser) und Gesangsexperten wie Kesting zum Zuge, daneben viele Dokumente der langen Karriere bis 2005 zum Zuge.
    All dies belegt, dass die Darstellungsfähigkeit ziemlich unerheblich ist, sobald ein Sänger über die nötige Technik und die Fähigkeit der Färbung der Stimme verfügt.
    Für mich bleibt Gedda, den ich noch live erleben durfte, der letzte grosse überlebende (nach Kraus und Bergonzi) der grössten drei Tenöre der zweiten Hälfte des 20ten Jahrhunderts.

  • Genau, lieber Marcel!


    Wenden wir uns wieder musikspezifischen und interessanteren Themen zu. Nicolai Gedda gehört auch bei mir zu den "Big Five" der Tenöre. Ich hoffe, daß es ihm trotz besorgniserregender Meldungen gut geht. Hier eine interessante Aufnahme aus der Stockholmer Oper:


    W.S.

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  • Auch für mich gehört Nicolai Gedda zu den bedeutendsten und besten Tenören der zweiten Hälfte des 20sten Jahrhunders. Ich höre nun von ihm: Schumanns "Dichterliebe" sowie 12 Lieder von Rachmaninoff - Mitschnitt eines Recitals aus der Queen Elizabeth Hall, London, 02.09.1973. Am Flügel: Geoffrey Parsons. Eine inzwischen schwer zu beschaffende CD, wie mir scheint.


    "Menschen, die nichts im Leben empfunden haben, können nicht singen."
    Enrico Caruso


    "Non datemi consigli che so sbagliare da solo".
    ("Gebt mir keine Ratschläge, Fehler kann ich auch allein machen".)
    Giuseppe di Stefano

  • Nach all dem Unerfreulichen der letzten Tage hier etwas viel Wichtigeres für Opernfreunde und Sängerliebhaber:
    Ich habe mich heute Abend mit der Aufnahme einer Sendung beschäftigt, die Arte Montag 00.30h (!) ausgestrahlt hat und die ich allen ans Herz legen möchte:
    Nicolai Gedda, Tenor des hohen D's.


    Kann mich nur anschließen... eine ganz tolle Dokumentation. Wer schonmal nach Videos oder gar Opern-/Konzertmitschnitte mit Gedda gesucht hat wird ziemlich ernüchtert festgestellt haben dass es da nur ganz wenig gibt. In dieser Doku jedoch sieht man einige qualitativ recht hochwertige Archivaufnahmen. Ich war begeistert! Aktuell noch in der Arte-Mediathek zu sehen!


  • Vielseitig und unverwechselbar! Ja, das ist Nicolai Gedda. Der Treadstarter hatte mit seiner Überschrift einen guten Griff. Ich möchte auf den Operettensänger eingehen, nachdem ich mich durch die oben abgebildete Box gehört habe, nicht durchgehend zu meinem Vergnügen. Nicolai Gedda – My favourite operetta heroes: Das wären der Sándor Barinkay im "Zigeunerbaron" von Johann Strauß sowie René, der "Graf von Luxemburg", Prinz Sou-Cong im "Land des Lächelns", "Nicolo Paganini" und der "Zarewitsch" von Franz Lehár Was Warner Classics auf dem Titel der Sammlung mit diesen fünf Operetten dem Sänger in den Mund legt, wird durch keine Quellenangabe belegt. Es steht einfach nur so da. Hat er es nun gesagt? Mein Gefühl und meine eigenen Recherchen sprechen dagegen. Gedda, der die Neunzig üb erschritten hat, dürfte milde lächelnd darüber hinweg sehen. Seine Sache sind solche marktschreierischen Verabsolutierungen nicht. Er wird auch seinen Frieden damit gemacht haben, dass er noch im hohen Alter von einem Label vermarktet wird, was es zu seiner Zeit so nicht gab. Er hat alle seine Operetten bei der EMI aufgenommen. Im Kleingedruckten auf der Rückseite der Box wird das auch mit dem schlichten Hinweis auf das ehemalige Electrola-Label erwähnt. In diesem Zusammenhang ist nun plötzlich ganz allgemein von den schönsten Operettenpartien Geddas die Rede. Darüber darf gestritten werden. Gedda hat im Laufe seiner langen Karriere Operetten am Meter aufgenommen. "Die lustige Witwe" gleich dreimal. Auf der Bühne ist er in diesem Fach eher selten in Erscheinung getreten. Aus der Metropolitan Opera hat sich ein englisch gesungener "Zigeunerbaron" von 1959 mit Lisa Della Casa als Saffi erhalten, der etwas gestelzt klingt.


    Es begann damit, dass es sich der allmächtige EMI-Produzent Walter Legge Anfang der 1950er Jahre in den Kopf gesetzt hatte, mustergültige Aufnahmen von Operetten vorzulegen. Mit dem noch nicht dreißigjährigen Gedda hatte Legge dafür einen idealen Partner für Elisabeth Schwarzkopf, die er 1953 geheiratet hatte, gefunden. Sie war genau zehn Jahre älter und nach eigenem Bekunden sofort genau so hingerissen von Geddas Stimme wie Legge. Jugend traf auf Erfahrung und Ruhm. Das passte. Denn die Schwarzkopf hatte zu dieser Zeit schon einen Namen, während Gedda seine ersten Erfahrungen auf der Opernbühne vornehmlich in Stockholm gesammelt hatte, wo er eine lokale Erscheinung gewesen ist. Mir fällt eine Anekdote ein. Legge soll Gedda zufällig im Radio gehört haben. Er griff zum Telefon, um seine Frau zu bitten, ebenfalls das Apparat einzuschalten. Die verbat sich die Störung mit dem Hinweis daraus, dass sie gerade eine wunderbare Stimme im Radio höre – Gedda! Ein Resümee dieser fruchtbaren Zusammenarbeit zog der Sänger 1988 in einem Interview mit der Zeitschrift Opernwelt: „Alle meine Aufnahmen bei der EMI halte ich für wertvoll. Weil sie meist von Walter Legge produziert worden sind. Er wird in die Schallplattengeschichte als einer der größten Produzenten eingehen. Wenn ich zum Beispiel an die Operetten denke, die ich mit ihm aufgenommen habe, sie waren schon eine Klasse für sich. Selbst jetzt kann man sie noch anhören und Freude an ihnen finden.“


    Legge hat Gedda entdeckt und gefördert, wofür dieser im Gegensatz zu anderen immer dankbar gewesen ist. Das nimmt mich auch für Gedda ein. 1953 wurden in der Londoner Kingsway Hall unter Otto Ackermann zunächst "Das Land des Lächelns" und "Die lustige Witwe" eingespielt, im Jahr darauf mit dem selben Dirigenten "Wiener Blut", "Der Zigeunerbaron" und "Eine Nacht in Venedig". Das rasante Finale dieser frühen Operetten-Serie bildete "Die Fledermaus" mit Herbert von Karajan am Pult. Die Fassungen folgen meistens nicht dem Original. Aufgenommen wurde in Mono. Das schreckt heutzutage Hörer oft ab. Mich nicht, denn ich habe nicht die Wahl. In diesen Aufnahmen triumphiert die Kunst über die Technik. In Wien hatte Clemens Krauss schon 1950 mit Fledermaus und Zigeunerbaron einen Operetten-Neuanfang nach dem Krieg für die Decca versucht, der allerdings wesentlich konservativer ausgefallen ist als das, was Legge mit Ackermann, Karajan und seinen Solisten glückte. Die verlassen ausgefahrene Gleise. Sie geben der Operette jene Sinnlichkeit zurück, die der Gattung eigen ist. Erstarrungen lösen sich. Es knistert wieder. Und das alles im Studio.


    Die fünf Electrola-Produktionen, die sich nun in der Warner-Box finden, kommen da nicht mit. Sie sind letztlich Massenware für ein sehr breites Publikum, das immer schon gern Operette gehört hat. Nach meinem Eindruck fallen sie in alte Muster zurück. Ungewollt sagen die originalen Cover, denen die Hüllen für die einzelnen CDs im Innern der Box nachempfunden sind, darüber sehr viel aus. Zarewitsch als Tscherkesse verkleidet, Paganini mit wüster Zottelperücke… Kostüme machen noch keine perfekte Aufnahme. Alle Wirkung einer Studioproduktion sollten von der Musik ausgehen, nicht von Bildern und fragwürdigen Kostümen. Alle Titel sind weit verbreitet, nach dem Ende der Schallplatte gleich auf CD übernommen worden. Ihr Vorzug ist der bessere Klang, das breite Stereo, das der Zeit, in der sie eingespielt wurden, nämlich zwischen 1967 und 1977, akustischen Ausdruck verlieh. Dialoge gleichen Hörspielen. Mindestens zwei Lautsprecher schaffen im Wohnzimmer Theateratmosphäre. Es macht Spaß, die Lautstärkeregler mal so richtig aufzudrehen. Die Stimmung ist aber derber, direkter geworden. Duft, Raffinesse und Sinnlichkeit sind verflogen.


    Nun werden die Werke wieder mehr beim Wort genommen. Gute Laune macht sich breit. Immer schön lächlen! Ha, ha, ha, ha, lacht auch der Chor. Dabei wird unter Willy Mattes (Zarewitsch, Graf von Luxemburg, Land des Lächelns), Franz Allers (Zigeunerbaron) und Willi Boskovsky (Paganini) sehr gut musiziert. Geddas Partnerinnen sind allesamt erste Wahl in ihrer Zeit: Anneliese Rothenberger (Lisa und Fürstin Anna Elisa), Rita Streich (Olga und Arsena), Grace Bumbry (Saffi). Lucia Popp, die jüngste von allen, entzückt als Angèle Didier. Kurt Böhme spart als Zsupán nicht am Schweinespeck. Es gibt rasante Ensembles, dann aber wieder scheinen Szenen und Arien in Einzelteile zu zerfallen. Und Gedda selbst, dem diese Box zum Geburtstag geschenkt wird? Stimmlich ist er perfekter als am Anfang, im Ausdruck hat er aber die Unschuld verloren. Noch immer ist dieses Timbre unverwechselbar, unverwechselbar schön. Aber er singt alles gleich, als seien die unzähligen Partien, die er seither in mehreren Sprachen gesungen hat, zu einer einzigen verschmolzen.


    Gruß Rheingold

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Trotz einiger Einschränkungen eine interessante, gelungene Analyse der Operettenaufnahmen des großen, unvergesslichen Stilisten und Schönsängers Nicolai Gedda. Danke für die Mühe und das Ergebnis.


    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Ja, da hat sich Rheingold mal wieder sehr viel Mühe gegeben und Lesenswertes übermittelt. In seinen Beiträgen ist einmal die Bach-Messe unter Karajan erwähnt und die »Fledermaus«.


    Im Rückblick war für Gedda die Zusammenarbeit mit Karajan zu keinem Zeitpunkt glücklich. Die Schwierigkeiten fingen schon 1953 bei »Oedipus Rex«-Aufnahmen in Rom an, wo allerdings der Sänger schlecht vorbereitet anreiste und beim zweiten Mal war es ähnlich.


    Gedda bemerkte damals schon, dass er als Sänger nur ein Zahnrad in der Musikmaschinerie Karajans war; er fühlte sich von ihm öffentlich, das heißt vor Kollegen, gedemütigt und hatte deshalb auch in seiner Anfangszeit an der Scala Depressionen.
    Er sang damals etwa in einem Zeitraum von zehn Jahren für Karajan, fühlte sich aber durch verschiedene Vorkommnisse meist unwohl in der Gegenwart des Stardirigenten. Karajan schätzte zwar Geddas Stimme, aber die Chemie zwischen beiden stimmte nie. 1966, als Nicolai Gedda bezüglich der öffentlichen Wahrnehmung auf dem Höhepunkt seiner Karriere war, trafen die beiden Musiker letztmals in Berlin zusammen; ein für Gedda beleidigendes Zusammentreffen von zweiminütiger Dauer ...


    Ob man solche unglücklichen Konstellationen heraushören kann? Nach all dem, was in diesem Thread zu lesen ist, könnte es schon so sein.

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