Die menschliche Stimme - Fingerabdruck der Seele

  • Ich hab ja immer so ein Problem damit , wenn in Erinnerungen geschwelgt wird und diese dann als Standard für heute Sänger genommen wird. Zum einen hat sich auch die Akustik in den Opernhäuser sowie der Gesangsstiel geändert. Früher wurde ja fast nur in Deutsch gesungen und dafür braucht man natürlich eine ganz andere Atemtechnik als wenn man Oper in Originalsprache singen würde , was die deutschen Sänger angeht.

  • Lieber Rodolfo, da kann ich dich beruhigen. Wenn Wunderlich länger gelebt hätte, wäre er in die Praxis der Originalsprache mühelos hineingewachsen, denn er war sehr musikalisch und hat auch schon italienisch gesungene Aufnahmen hinterlassen, die hohen Ansprüchen genügen (z.B. Don Ottavio unter Karajan).


    Überhaupt gibt es vor und nach seinem Tod viele Sänger, die diesen Übergang ohne Probleme bewältigt haben: in Wien z.B. das berühmte Mozartensemble mit Schwarzkopf, Seefried, Ludwig, Iurinac, Güden, London, Berry, Dermota etc...
    Vielleicht können wir über einige von ihnen unter dem Gesichtspunkt unseres Themas weiter diskutieren.


    Gute Nacht wünscht Sixtus

  • Als Wunderlich seinen Durchbruch hatte, war er dann sehr schnell in München, wo er sich das große lyrische Tenorfach eroberte, weil er seiner Stimme mit Klugheit, Musikalität und Fleiß zu größerer Stablität und Ausgeglichenheit verhalf. Aus der Zeit stammt die Aufnahme des Barbier v.S. mit Köth, Prey und Hotter - und zunehmend seriöses italienisches Repertoire. Leider wurde diese Entwicklung durch seinen tödlichen Unfall im Hause Frick brutal beendet.


    Lieber Sixtus, ich freue mich, wie kenntnisreich du über meinen Lieblingssänger Fritz Wunderlich hier schreibst. Gestatte mir dennoch eine Korrektur: Der tödliche Unfall ereignete sich nicht im Hause Frick, sondern im Hause des befreundeten Unternehmers Blanc in Oberderdingen. Frau Blanc erzählte mir beim letzten Künstlertreffen Details dieser schrecklichen Nacht.

    Freundliche Grüße Siegfried

  • So Sachen passieren, lieber Siegfried, wenn man sich zu weit aus dem Fenster lehnt, ohne immer zu recherchieren. Aber zum Glück hängt nichts Wichtiges davon ab, wo der Unfall passiert ist. Mir wurde es damals so erzählt, und ich sah keinen Grund, näher zu recherchieren.


    Aber ich schlage vor, an anderen Beispielen das Thema Stimmklang und Stimmentwicklung weiter zu veranschaulichen - und möchte erst mal anderen Gelegenheit geben, dazu etwas beizusteuern, bevor ich wieder monologisiere.


    Ich bin gespannt, was da (nicht nur aus früheren goldenen Zeiten, die auch nicht immer golden waren) zutage gefördert wird. Es gibt auch heute noch (und wieder) gute Beispiele dafür.


    Herzliche Grüße von Sixtus

  • Schon öfter, seit ich hier mittanze, fiel mir auf, dass das Interesse und demzufolge die Beteiligung bei den verschiedenen Themen sehr unterschiedlich ist: von müde bis lebhaft. Hier haben wir wohl mal wieder ein müdes Thema erwischt. Aber ich will versuchen, daran etwas zu ändern. Das kann aber nur gelingen, wenn noch einige mitziehen.


    Wenn etwas an der These wahr ist, dass die menschliche Stimme ein Fingerabruck der Seele - oder eine akustische Handschrift - ist, dann wäre es doch interessant, die verschiedenen Stimmen innerhalb einer Stimmlage miteinander zu vergleichen und zu untersuchen, was sie gemeinsam haben, was sie unterscheidet oder gar trennt. Und, nicht zu vergessen: inwieweit sich aus einer lyrisch veranlagten eine dramatische Stimme entwickeln kann.


    Wir betreten damit (falls ihr mehrheitlich mit dem Vorschlag einverstanden seid) ein Gebiet, das sowohl die Individualität des Sängers und seine Entwicklung als auch seine Einsatzfähigkeit im Spielplan eines Opernhauses vorzeichnet. Das ist natürlich in der Rückschau leichter nachzuvollziehen als für die Zukunft vorauszusagen. Aber selbst das ist manchmal , in gewissen Grenzen, möglich.


    Nehmen wir als Beispiel die Schwarzkopf. Sie hat als Koloratursopran angefangen! Wer sie später in ihren Paraderollen gehört hat (ich darf mich zu den Glücklichen zählen), kann sich diese Dame par exzellence schwerlich als Offenbachs Olympia vorstellen. Hatte sie doch ein so unverkennbares Timbre, dass man immer ein wenig Marschallin oder Fiodiligi mithört - egal was sie singt. Andererseits ist es schwer vorstellbar, dass sie irgendwann versucht hätte, Aida, Senta, Sieglinde oder gar Turandot anzustreben.
    Man spürt: Das lag außerhalb der Textur dieser Stimme.


    Ein Gegenbeispiel: Peter Anders, dessen Karriere mit 46 (?) Jahren durch einen Autounfall jäh beendet wurde, hatte, obwohl er in seiner Jugend ein typischer Belmonte - und in der Verkauften Braut (mit Jurinac!) ein großartiger Hans war, kurz vor seinem Tod schon seinen ersten Otello probiert, von dessen Liebesduett (wieder mit Jurinac!) eine wunderbare Aufnahme existiert.


    Woran liegt es, dass die eine Stimme fast unbegrenzt entwicklungsfähig zu sein scheint, während die andere den Zenit ihrer Entwicklung im mittleren Bereich der Expansion erreicht - und gut beraten ist, dieses Terrain nicht zu verlassen? Kann man bei einem jungen Sänger schon erkennen, wie weit und in welche Richtung seine Stimme sich (im Volumen, im Klang, in der Tessitura) entwickeln kann?


    Ich bin die nächsten zwei Tage nicht erreichbar, würde mich aber freuen, wenn man mir in der Zwischenzeit die Tür einrennt. Vielleicht kann ich danach sogar die eine oder andere brauchbare Antwort geben.


    Mit herzlichem Gruß


    Sixtus

  • Man hat mir die Tür nicht eingerannt, und aus Anfang Mai wurde Mitte Juni. Ich hatte gedacht, bei Wunderlich würde es vielleicht zünden mit der Stimme als Fingerabdruck der Seele; aber die Rechnung ging nicht auf.


    Heute nun zündete bei mir Gregors Thread über Bastianini. Und das wäre wieder so ein Beispiel, wo das mit der Stimme und der Seele ins Auge bzw. ins Ohr springt. Dazu kommt, dass nach meiner Erinnerung beide im selben Jahr mitten aus ihrer glanzvollen Karriere gerissen wurden.


    Als die Nachricht von Wunderlichs tödlichem Unfall über den Äther ging, dachte ich: Bei aller Wertschätzung und Bewunderung für Wunderlich - Bastianinis tragisches Ende wurde in Deutschland im Vergleich dazu kaum zur Kenntnis genommen. Ich wertete das als Armutszeugnis für das deutsche Publikum, weil ich beide oft live erlebt hatte - und beide als Weltklassesänger einstufte. Und bei beiden hatte ich den starken Eindruck, dass die Stimme ein Spiegel ihrer Seele war: Wunderlichs Belmonte und Lensky - und Bastianinis Luna und Posa haben mich emotional ähnlich stark berührt: als Dokumente der schmerzlichen Wehmut beim Tenor - und der Tragik des Lebens beim Bariton. Zwei ganz ähnliche musikalische Zeugnisse der Vergänglichkeit irdischen Glücks, beglaubigt vom lebendigen Instrument menschliche Stimme.


    Ich würde mich wundern, wenn es nicht einigen von euch hier ähnlich ginge...


    Geduldig, nachdenklich - und unbeirrbar herzlich grüßt
    Sixtus

  • Lieber Sixtus,


    die beiden von dir genannten haben bei mir eine riesige Lücke hinterlassen, die bis heute nicht gefüllt werden konnte.
    Von Wunderlich's Unfall habe ich damals in Neapel durch eine Zeitung erfahren, Bastianinis Ausscheiden aus dem Opernbetrieb und stilles Ende habe ich erst mit Verzögerung mitbekommen. Obwohl es schon vorher kleine Hinweise auf Probleme gab. Er sang alle seine Partien bis zur letzten Vorstellung ohne irgendeine stimmliche Beeinträchtigung.


    Diese Beiden sind bis heute meine Maßstäbe geblieben, an denen ich ich messe.


    Viele Grüße -
    Erich

  • Danke, lieber Erich, für dein emotional bewegendes Zeugnis!


    Was mich aber besonders interessieren würde, wäre, ob du - und andere - in Stimmen wie diesen beiden, die uns auch ein halbes Jahrhundert nach ihrem Tod noch so tief im Gedächtnis eingeprägt haften, so etwas wie eine seelische Signatur der Persönlichkeit erkennen. Man könnte meiner Meinung nach eine ganze Reihe von Sängern nennen, die uns ähnlich stark bewegt haben bzw. noch bewegen.


    Ich kann mir vorstellen, dass es dazu manche interessante Begegnung gegeben hat (in grauer Vorzeit oder vorgestern!), die erzählenswert ist. Unter den unzähligen Sängern, die wir gehört haben, sind doch immer wieder welche, die nicht nur technische Kunststücke vorführen, sondern zwischen sich und dem Publikum (oder doch zu dem Teil des Publikums, der dafür ein Sensorium hat) eine seelisch-geistige Brücke bauen, über die wir in ein Stück Paradies entführt werden. (Es muss ja nicht immer Walhall sein!)


    Für solche Erlebnisse ist nach meiner Erfahrung, vor allem anderen, das persönliche Timbre verantwortlich, das leider nicht allzu oft zu erkennen ist. Aber wenn dieses Juwel einer Stimme aufscheint, dann hinterlässt es oft einen unauslöschlichen Eindruck beim Hörer. Beispiele gefällig? Ja, aber nicht alles von mir - ich bin auch begierig auf Erlebnisse von anderen! Ihr wisst schon, was ich meine...


    Herzlich grüßt Sixtus

  • Nicht erschrecken bitte! Ich verirrte mich beim Schmökern mal wieder zu diesem meinem Thread und verspüre Lust, ihn wieder aufzunehmen.


    Ich weiß nicht, ob sich der Begriff "Stroh-Bass" im Forum herumgesprochen hat. Vorsichtshalber versuche ich nochmal eine Definition: Ein trockener Bass ohne besondere Eigenschaften - außer dass er trocken ist. Man sollte kein Streichholz in die Nähe legen. Nach dem Anhören vergisst man ihn schnell wieder, weil die Stimme keine spezifische Farbe hat, die man sich einprägt und wiedererkennt. Also so etwas wie ein Sachbearbeiter in Sachen tiefe Männerstimme. Einen solchen hörten wir zuletzt bei der Aida aus Verona. als König. Das Klangvollste an ihm war sein Name: Roberto Tagliavini. Sein Markenzeichen: Er hat alle erforderlichen Töne, wenn auch in unterschiedlicher Qualität. Er ist in vielen Nebenrollen einsetzbar, aber eben auch ohne großen Verlust ersetzbar.


    Eine Stufe wertvoller ist der gediegene, auch in größeren Rollen einsetzbare Bass, der auch mal ein hohes F sauber abliefert, beim tiefen F aber vor allem warme Luft ablässt. Auch er war in dieser Vorstellung zu hören - als Ramphis. Aber er blieb nur mäßig überzeugend, weil auch ihm die tiefen Töne nicht gehorchten - und außerdem die nötige Kraft für diesen Nachfolger des Großinquisitors, vor dem man sich noch fürchten muss, wenn er aus dem Off sein Urteil röhrt.


    So viel für heute zum Thema Bass. Das ist natürlich noch nicht alles, was es zu sagen gäbe. Aber wir haben ja Zeit, und andere wollen vielleicht auch mal zu Wort kommen.


    Für heute grüßt herzlich Sixtus

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  • Nehmen wir als Beispiel die Schwarzkopf. Sie hat als Koloratursopran angefangen! Wer sie später in ihren Paraderollen gehört hat (ich darf mich zu den Glücklichen zählen), kann sich diese Dame par exzellence schwerlich als Offenbachs Olympia vorstellen. Hatte sie doch ein so unverkennbares Timbre, dass man immer ein wenig Marschallin oder Fiodiligi mithört - egal was sie singt. Andererseits ist es schwer vorstellbar, dass sie irgendwann versucht hätte, Aida, Senta, Sieglinde oder gar Turandot anzustreben.
    Man spürt: Das lag außerhalb der Textur dieser Stimme.


    Sixtus


    Nehmen wir zum Beispiel die Schwarzkopf. Ich habe 4 CDs, auf denen sie singt. Als Marschallin ist sie sicher erste Wahl,
    aber als Margiana (Barbier von Bagdad, Konkurrenz: Lucia Popp), als "Kluge" (Konkurrenz: Magdalena Falewicz unter Herbert Kegel und Lucia Popp unter Kurt Eichhorn) und bei den Wunderhornliedern (zusammen mit Fischer-Dieskau) wohl nicht. Die liegen außerhalb der Textur ihrer Stimme, wenn ich Sixtus mal zitieren darf.

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • So viel, fürs Erste, zum Thema Bass vom schelmischen Dr.Pingel!


    Aber vielleicht hat dich mein schräger Beitrag dazu inspiriert. Wir müssen uns ja auch nicht mühsam vom Bass bis zum Sopran hocharbeiten. Ein wenig sprunghaftes Temperament belebt das Spiel.
    Und wenn wir schon beim beim Sopran zwischengelandet sind, gleich noch eine weibliche Bruchlandung, abermals bei Aida:
    Nach der Uraufführung in Kairo empörte sich Verdi, als er erfuhr, dass auch die Amneris mit einer Sopranistin (!) besetzt worden war. Ich stelle mir den temperamentvollen Italiener vor, der hier zum wütenden Wotan wurde: "Kennst du, Kind, meinen Zorn?!"


    Ich kehre jetzt zum Bass zurück, aber eine Sekunde (oder eine kleine Terz) höher als der Basso profondo. Da finde ich den Basso cantante, der in der klassischen Oper gern für die feinen Herren eingesetzt wurde. Der Don Giovanni gehört auch dazu, der heute landauf, landab von Baritonen gesungen wird. Ursprünglich war er dem Basso cantante zugeteilt. Den Bariton gab es ja damals fast noch nicht. Den hat erst Verdi zu dem gemacht, was er heute ist. Und Sänger wie Ezio Pinza und Cesare Siepi waren nicht die schlechtesten Verführer vom Dienst! Bis heute habe ich Schwierigkeiten diese Figur einem hellen Bariton abzunehmen...


    Sogar Wagner hat vom Basso cantante profitiert: nicht nur der Fasolt ist eine Frucht dieser Gene, sogar Wotan, Sachs und Holländer schwimmen in seinem Kielwasser. Aber bevor ich ins Schwafeln komme, gebe ich, mit herzlichen Grüßen, zurück an - ?


    Sixtus

  • Lieber Sixtus, das Beispiel Elisabeth Schwarzkopf hast du in den Ring geworfen, ich habe nur darauf reagiert. Was die Bässe betrifft, findet ihr eine Stellungnahme in meinem Thema "Das blinde Amseljunge revisited", wo ich einiges geschrieben habe zu den drei fulminanten Bässen am Schluss des Don Giovanni (Aufnahme von Klemperer).
    Einen klassischen Basso cantante gibt Marcello Lippi in "La Calisto" von Cavalli ab. René Jacobs hat diese Oper als CD und als DVD herausgebracht. Auf der CD singt Marcello Lippi viel besser als auf der DVD. Näheres folgt demnächst im Cavalli-thread,

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Das trifft sich gut, lieber Dr.Pingel, dass du eine Partie aus Cavallis Calisto erwähnst. Diese Oper hat nämlich in sieben Monaten, am 26.4.2017, 2o Uhr, in Straßburg Premiere. Leider kann ich zu diesem Termin nicht hinfahren, aber vielleicht hole ich das nach. Aber ich musste dabei an dich denken, weil du immer von Cavalli schwärmst. Näheres findest du im Internet unter Opéra national du Rhin.


    Ich spinne jetzt noch ein wenig an dem Faden der Opernfächer weiter, schön der Reihe nach von unten nach oben, lasse mich aber gern von Schelmen von diesem Tugendpfade ablocken, wenn´s der Sache dient.


    "Der Bariton hat den Charakter / vor allem in der Stimme, sagter." Und dass die auch eingehalten wird, dafür hat vor allem Verdi gesorgt mit seinen Vätern, Königen, Schurken, Narren und Freiheitshelden. Und weil diese mittlere Stimmlage weder mit extrem tiefen noch extrem hohen Tönen protzen kann, muss ein markantes, viriles Timbre ihr Aushängeschild sein. Die Stimmlage hat sich zwar international durchgesetzt, hat aber nirgens die zentrale Bedeutung wie in Italien, vor allem bei Verdi. Wagner hat mit Wolfram, Gunther und Amfortas seinen Teil beigetragen, und auch Beckmesser hat davon profitiert.


    Bevor wir die Tenöre abschießen, will vielleicht noch jemand den Bariton etwas Gutes oder Schlimmes nachsagen.


    Dazu fordert, mit herzlichen Grüßen, Sixtus auf

  • Lieber Sixtus,
    den Cavalli kannst du schon vorher kennenlernen. Es gibt zwei Aufnahmen von "La Calisto", beide von René Jacobs, eine CD und eine DVD (Brüsseler Oper). Witzigerweise ist die CD eine Klasse besser als die DVD. Darüber werde ich im Cavalli-thread noch berichten.

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Zitat von »Sixtus«




    Nehmen wir als Beispiel die Schwarzkopf. Sie hat als Koloratursopran angefangen! Wer sie später in ihren Paraderollen gehört hat (ich darf mich zu den Glücklichen zählen), kann sich diese Dame par exzellence schwerlich als Offenbachs Olympia vorstellen. Hatte sie doch ein so unverkennbares Timbre, dass man immer ein wenig Marschallin oder Fiodiligi mithört - egal was sie singt. Andererseits ist es schwer vorstellbar, dass sie irgendwann versucht hätte, Aida, Senta, Sieglinde oder gar Turandot anzustreben.
    Man spürt: Das lag außerhalb der Textur dieser Stimme.


    Sixtus



    den Cavalli kannst du schon vorher kennenlernen. Es gibt zwei Aufnahmen von "La Calisto", beide von René Jacobs, eine CD und eine DVD (Brüsseler Oper). Witzigerweise ist die CD eine Klasse besser als die DVD. Darüber werde ich im Cavalli-thread noch berichten.

  • Lieber Sixtus,
    den Cavalli kannst du schon vorher kennenlernen. Es gibt zwei Aufnahmen von "La Calisto", beide von René Jacobs, eine CD und eine DVD (Brüsseler Oper). Witzigerweise ist die CD eine Klasse besser als die DVD. Darüber werde ich im Cavalli-thread noch berichten.


    Das war ein Irrtum, pardon!


    wok

  • In meinem letzten Beitrag (44) hatte ich wichtige Baritonpartien angepeilt. Verdis Opern sind voll davon, und oft sind es die zentralen Protagonisten, die auf den Klang dieser von Verdi aus dem Basso cantante in die Höhe getriebenen Stimmlage angewiesen sind. Ohne ihren sonoren und zugleich dramatischen Ton ist die Autorität dieser Partien vom Nabucco bis zum Falstaff und Ford nicht glaubwürdig zu transportieren. Es sollten Stimmen mit einem metallischen Kern sein, der von Schmelz ummantelt ist, im Sinne von Zahnschmelz, nicht von Schmalz.
    Die Versuche, Stimmen wie Prey in diesem Fach heimisch zu machen, waren zum Scheitern verurteilt, wiel sie die Figur verniedlichen. Auch Hampson war hier nie ideal, weil zu hell - von Domingos Alterskarriere ganz zu schweigen. Die Prototypen dürften Bastianini und Merrill gewesen sein, heute vielleicht Hvorostovsky.


    Wagner hat sich aus dem dramatischen Basso cantante den Heldenbariton gebastelt, der etwas dunkler klingt und etwas tiefer liegt, mit den Idealtypen Holländer, Wotan und Sachs. Daneben gibt es aber auch den echten Bariton - in der lyrischen Ausprägung als Wolfram, in der dramatischen als Telramund, und dazwischen die zutiefst menschlichen Figuren wie Kurwenal und Amfortas. Letztere müssen über eine reiche stimmliche Farbpalette verfügen, wenn sie glaubhaft sein wollen.


    Ein Sonderfall ist der Beckmesser. Vom Charakter ein galliger Bassbuffo, hat Wagner ihm eine hohe Tessitura verpasst, die ein Bassbuffo nur als Karikatur singen kann. Doch der heutige Brauch, ihn mit einem hohen Bariton zu besetzen, lässt ihn schöner klingen, aber auch langweiliger. Wer ihn einmal vom Edelbuffo Heinrich Pflanzl unter Knappertsbusch gehört hat (München 1955), weiß, was gemeint ist.


    Bevor ich mich in tenorale Höhen versteige und offene Türen in diesem tenorlastigen Forum einrenne, gönne ich mir eine Verschnaufpause - in der Zuversicht, dass unter uns noch andere sind, die über die mittlere Männerstimme etwas zu berichten wissen.


    Herzliche Grüße von Sixtus

  • Hinweis in eigener Sache:


    Es hat sich so ergeben, dass dieses Thema inzwischen im Thread "Die Oper - eine Schöne, die erobert werden will" fortgeführt werden kann. Dort fahren wir da fort, wo wir hier abgebrochen haben: Wir klettern weiter vom Bariton zum Tenor.


    Vielleicht ergibt sich Gelegenheit, diesen Thread mit speziellen Aspekten der menschlichen Stimme, des Gesangs in Oper, Konzert und Lied, wieder aufzunehmen. Aber vorerst geht es weiter beim Werben un die schöne alterslose Dame. Herzliche Bitte also an diesbezügliche Interessenten, den Sall zu wechseln!


    Sixtus