Labelvorstellung: Archiv Produktion - Pionier der Alten Musik

  • Inzwischen habe ich die CD+Katalog erhalten. Die CD mit Konzerten von Stanley, Arne, Boyce, Hellendal sowie Geminianis Bearbeitung von Corellis "La Follia"Variationen op.5/12 und einem Konzert von Avison nach Scarlatti-Sonaten ist hörenswert, aber m.E. nicht unbedingt Pflichtprogramm.
    Am besten gefällt mir bisher Arnes Cembalokonzert g-moll. Insgesamt sind diese um 1710 geborenen Engländer (und der etwas jüngere Holländer Hellendaal) ziemlich konservativ, verglichen mit den "Bach-Söhnen", und ihre Konzerte bewegen sich meist in der Nachfolge von Corelli und Händel.



    Aus dem beiliegenden Katalog scheint mir deutlich zu werden, dass für vergriffene Aufnahmen zunehmend downloads zum Standard werden. In dem Katalog sind eine ganze Reihe von alten Sachen verzeichnet, die ich noch nie auf CD gesehen habe, aber auch etliches relativ Neue ist nur als download gelistet.


    Zwar vermute ich, dass noch viele Jahre (10-20) einzelne neue CDs herauskommen werden (und gebrauchte wird es noch viel länger geben, wie bei den LPs), aber ich glaube, man sollte nicht mehr auf Wiederveröffentlichungen älteren Materials setzen. Klar, wird es da ab und zu was geben, aber das wird größtenteils das Zeug sein, dass eh immer wieder in jeder Billigreihe erscheint, wie Karajans Beethoven (oder passender für Archiv vielleicht das Weihnachtsoratorium unter Richter). Aber für auch nur im Ansatz "Exotisches" ist solch eine Jubiläumsbox momentan die einzige "harte" Erscheinungsform. Wenn man downloads prinzipell ablehnt, sollte man sehen, dass man, was man haben will, kauft, solange es lieferbar ist, ggf. gebraucht, bevor es zum teuren Sammlerstück wird. Wenn Geld und ggf. unlesbare Beihefte keine Rolle spielen, auf jeden Fall auch japanische Angebote beobachten (die häufigen dortigen Wiederveröffentlichungen sind nämlich meist kleine Auflagen und rasch wieder weg).

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Zwar vermute ich, dass noch viele Jahre (10-20) einzelne neue CDs herauskommen werden (und gebrauchte wird es noch viel länger geben, wie bei den LPs), aber ich glaube, man sollte nicht mehr auf Wiederveröffentlichungen älteren Materials setzen.


    Ich glaube, diese Taktik - und ich stimme überein, daß sie für die Plattenbosse verlockend erscheint - nicht aufgehen wird - wie so vieles, das im ersten Moment als Lösung des Problems - schnell reich zu Werden ohne Anstrengung. erscheint - Ich denke da an Pyramidenspiele und zahlreiche "Geschäftsideen" im Internet.
    Denn das Problem - wie ich es sehe, daß es hier zwei Gruppen gibt, welche zueinander nicht kompatibel sind.
    Zum ersten die ältere Generation - oder aber auch jüngere, die sich mit der Vergangenheit und ihren Interpreten verbunden fühlen. Diese Gruppe, sowohl der altere als auch der jüngere Teil sind jedoch mehrheitlich technikfeindlich und werden die Technik des downloads aus den verschiedensten Gründen ablehnen. Es ist ja nicht damit getan die Sachen downzuladen, sie müssen auch auf Festplatte gespeichert werden und dann irgendwie so verwaltet werden , daß man sie irgendwie findet - Zudem ist bei der Lagerung auf Festplatte eine regelmäßige Datensicherung erforderlich, da ansonst kaum die Chance besteht diese Sammlung über einige Jahre zu besitzen. Wenn ich mich erinnere wie schwierig sich selbst das Auffinden unserer Threads mit Hilfe unserer (mittelprächtigen) Suchfunktion gestaltet - dann bin ich in Sachen "Verdrängungung der CD durch Downloads" sehr optimistisch :baeh01:


    Dazu kommt noch die animierende Wirkung eines geschickt gestalteten Covers, die man nicht unterschätzen sollte.
    Hier bietet sich die Lösung an, die übertragenen Daten auf CD zu brennen - wobei die Lebenserwartung von selbstgebrannten CDs unter jener von professionellen Produkten liegt. Hier muß zudem der Preis eines erstklassigen Marken-Rohlings in die Kalkulation einbezogen werden - und der der Farbpatronen und des Premium-Seidenmatt Papiers für das Coverbild- Ich weiß wovon ich rede, denn ich bin dabei die staubanfälligen Kartincovers gegen Jewel -Cases umzutauschen. (Pro Blatt Papier EIN EURO, vom Tintenverbrauch bei HQ-Druck erst gar nicht zu reden) Auch dies wird nur eine Minderheit realisieren (können).


    Die zweite große Gruppe jedoch, die Jugend , ist an den alten Aufnahmen eher wenig interessiert, sodaß diese meiner Einschätzung nach in den Archiven verschimmeln werden.


    Sollte es dann wieder zu einer "Krise" kommen - denn werden vermutlich Lizenzen an Brilliant oder andere Anbieter vergeben werden, welche uns die alten Aufnahmen in optimaler Qualität - und (meist) preiswert noch dazu - anbieten werden.
    Denn der typische Klassikhörer ist schwer einzuschätzen - HIER im Internetforum ist ja nur eine winzige Gruppe davon aktiv, nämlich jene, die sowohl mit KLassik als auch mit Computertechnik vertraut sind - das ist eine extreme Minderheit. Denn ansonst müsste Tamino heute an die 10.000 aktive Mitglieder haben.....



    Zitat

    Wenn man downloads prinzipell ablehnt, sollte man sehen, dass man, was man haben will, kauft, solange es lieferbar ist, ggf. gebraucht, bevor es zum teuren Sammlerstück wird.

    Genau das mache ich seit etwa 5 Jahren - und ich bin mit dem wichtigsten versorgt. So wie es aussieht - wird für die nächsten 3-5 Jahre aber auch in Sachen Nachschub kein Mangel herrschen.


    Zurück zur Archiv-Produktion:
    Viele Aufnahmen der Vergangenheit sind von der Aufführungspraxis her veraltet, und somit nur mehr für einen kleinen Userkreis interessant. In punkto Neuaufnahmen haben die anderen Speziallabel noch die Nase vorn - und ich nehme an es wird sich in den nächsten Jahren daran nichts oder nur wenig ändern.


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Ich glaube, dass Du die "Technikfeindlichkeit" vieler Klassikfreunde falsch einschätzt. M.E. ist das aber alles sekundär. Entscheidend ist, dass die Gruppe, die an älteren Aufnahmen Barock- und älterer Musik interessiert ist, so klein ist, dass man für die schlicht und einfach keine Neuauflagen mehr bringen wird.
    Wie gesagt, man muss sich bei Richters Einspielung der Matthäuspassion sicher keine Gedanken machen, die wird man noch lange, vermutlich auch auf neuen CDs erhalten. Aber Kantaten von Buxtehude, Sinfonien von CPE Bach? Der Markt hierfür ist klein und für 40-50 Jahre alte Aufnahmen dieses Repertoires verschwindend klein.
    Vieles davon ist ja schon bei der LP -> CD Umstellung "verloren gegangen", manches sicher auch nicht zu unrecht, da sich auf dem Gebiet der älteren Musik ja einiges getan hat.
    Gewiss kann man bei entsprechender Geduld gebrauchten CDs oder LPs hinterherjagen und für manche Sammler ist das ja gerade ein Spaß. Aber für viele andere wird ein Download doch die bequemere Option sein. Die Alternative ist nicht, dass man durch Boykott eines Downloads eine CD-Auflage erzwingen könnte. Sondern dass man die Wahl zwischen Download und einer 40 Jahre alten LP auf Ebay hat, oder die Aufnahme eben gar nicht zu hören kriegt.


    Die Archiv-Produktion ist ja erst in den letzten paar Jahren auf Sparflamme gefahren. Ich denke, dass sie viele ihrer Aufnahmen aus der CD-Boomzeit der 1980er und 90er, von denen viele noch immer empfohlen werden, nach wie vor recht gut verkaufen. Auch in den 2000ern gab es zB noch Oratorien mit McCreesh, französisches mit Minkowski, die letzten Telemann-Aufnahmen mit MAK oder Händel-Opern unter Curtis. Aber wie dem beigelegten Katalog zu entnehmen, ist einiges andere aus der Zeit schon in den Downloadbereich gerutscht.

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    (Bob Dylan)

  • Ich glaube, daß man das Label ARCHIV PRODUKTION zu den Akten legen kann.


    Um 2010/11 hatte es den Anschein, daß man einen Relaunch wagen wollte, der Zukauf des Geigers Giulio Carmignola signalisierte einen vielversprechenden Start. Es blieb indes beim Versprechen. Es reichte indes nicht einmal für ein Strohfeuer..
    Eine Neuauflage zahlreicher Aufnahmen aus dem Back-Katalog in einer Mega-Box vor einigen Jahren war eher ein Abverkauf als eine Wiederveröffentlichung. Sicher - da war schon einiges Interessantes dabei. Aber das meiste, davon , was mich davon interessiert besitze ich schon seit Jahren als Hochpreis CDs - und wegen einiger Titel kaufe ich nicht das gesamte Repertoire ein zweites Mal.
    Die Auswahl der Konkurrenz ist groß genug.

    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Nach der grossen Archiv-Produktion-Jubiläumsbox 2013
    erschienen danach einige CD-Boxen und CD-Alben
    mit älteren Aufnahmen im neuen Gewand.


    ,
    ,
    ,
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    Diese beiden CD-Boxen der Archiv Produktion werden ab 07.02.2014
    erscheinen:
    ,

    mfG
    Michael

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  • Irgendwie habe ich den Eindruck, daß hier bereits die Totenglocken für die "Archiv.Produktion" läuten: Totalabverkauf des historischen "Archiv-Repertoires" in diversen Boxen zum Dumpingpreis.
    Ich habe darüber nachgedacht, warum es überhaupt so weit kommen konnte. Dabei ist die Antwort denkbar einfach:
    Das eigentliche Stmmrepertoire, Bach und Händel ist einfach ausgereizt - usprünglich war ja auch nichts anderes vorgesehen. Weiter Komponisten sind einerseits scheinbar nicht profitable genug, und andrerseits bereits bei den konkurrierenden Indepent-Labels erschienen, deren Künstler sind bereits etabliert, die Firmenphilosophie vertraut, und das Repertoire seit Jahren anwachsend. Dazu kommt eine kleiner Verwaltungsapparat, der es ermöglicht auch mit kleineren Auflagen und Spannen das Auslangen zu finden.
    Ich frage mich, wer all diese Boxen kaufen soll. Der Sammlernachwuchs kennt etliche der Protagonisten gar nicht mehr oder erträgt das analoge Rauschen nicht, die älteren, mich eingeschlossen, besitzen schon derart viel aus alten Beständen, daß sich ein Kauf gar nicht mehr kohnt.....


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Ich denke auch, dass die Zeiten der Archiv-Produktionen vorbei ist. Das liegt ja auch daran, dass viele der darin enthaltenen Aufnahmen durch bessere, technisch wie musikalisch gesehen, ersetzt worden sind.
    Ich denke mit Hochachtung an Raymond Leppard, der mit seinen Glyndebourne-Cavallis einen überaus wichtigen Komponisten in der Lücke zwischen Monteverdi und Händel eingeführt hat. Von seinen Aufnahmen aber habe ich nur noch die Booklets, die CDs sind in den Müll gewandert, weil bei den Alternativen, die man heute für Cavalli hat, es keinen anderen Ort für mich gibt (abgesehen davon, dass ja auch niemand sie haben wollte).

    Aller Anfang ist schwer - außer beim Steinesammeln (Volksmund)

  • Die Archiv Produktion der Deutschen Grammophon hat sich nach meiner Auffassung historisch überlebt. Insofern kann ich nachvollziehen, wenn Alfred die Totenglocken läuten hört. Wie ich finde, fasst der Wikipedia-Artikel ganz gut zusammen, was mit dieser legendären Edition einstmals beabsichtigt war:


    Archiv Produktion


    Heute werden die Einspielungen mal schnell zusammengefasst, so dass die ursprüngliche Konzeption nicht mehr ablesbar ist. Darin sehe ich ein gewisses Problem. Wer nicht mehr genau weiß, warum es damals so anders geklungen hat, wird womöglich mit diesen späten Nachauflagen nicht viel anfangen können. Wer genau beurteilen will, was HIP wirklich wert ist, kann es erst richtig ermessen, wenn er gehört hat, was vorausging. Oder? Den Plattenalben lagen noch Texte und Dokumentaionen bei, die höchsten wissenschaftlichen Standars genügten. Es gab sogar randgenähte Hüllen. Jede neue Veröffentlichung glich einem Ereignis und hatte ihrer Preis. Abnehmer dürften ein relativ kleiner und sehr elitärer Kundenkreis gewesen sein. Auch wenn die Gegenwart schon von der Anzahl der einschlägigen Werke her viel, viel mehr zu bieten, sollte die Erinnerung an dieses befdeutende Unternehmen der Schallplattengeschichte hoch gehalten werden. Es ist ohne Konkurrenz. Ich kenne nichts Vergleichbares. Allerdings kann ich - um ein Beispiel zu nennen - wenig damit anfangen, wenn in einer Box mit 18 CDs alles mögliche zusammengerührt wird, was Karl Richter für die Archiv Produkton aufgenommen hat. Wenn es wenigsten der komplatte Richter gewsesen wäre...



    Gruß Rheingold

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Auch wenn ich jetzt ein wenig vom Thema abzugleiten scheine, so möchte ich denn ich kurz antworten.
    Ich sehe das etwas anders. Und daraufgebracht hat mich einst das Labell Hänssler, welche 2000 seine Bachedition unter Rilling als Box auf den Markt brachte und sofort mit der Frage konfrontiert wurde, ob denn die Edition eigentlich noch "zeitgemäß" sei, man habe ja neue Erkenntnisse in Sachen Aufführungspraxis bei Bach.
    Man konterte dort nicht nur taktisch sehr geschickt, sondern - wie ich finde - auch sehr überzeugend:

    Zitat

    "Die Aufnahmen sind über einen Zeitraum von über zwei Jahrzehnten entstanden und zwar mit den größten Künstlern der Zeit. Sie stellen ein Stück Interpretations. und Schallplattengeschichte dar - und man kann nicht einfach so tun -als wäre das nie gewesen"


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



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  • Ich denke schon, dass Interpretationsgeschichte wichtig ist, aber was eigentlich zählt, ist die aktuelle Musik, die so gut wie möglich aufgenommen werden muss; denn ich bin kein Wissenschaftler und kein Musikhistoriker.
    Eine Sache, die ich ganz anders sehe als die meisten: Karl Richter ist für mich als Interpret alter Musik völlig überholt. Ich habe auch nicht eine einzige Aufnahme von ihm. Ich kann trotzdem sehr gut verstehen, dass viele an seinen Aufnahmen aus emotionalen Gründen hängen, denn sie waren zu seiner Zeit wirklich an der Spitze. Bei gibt es etwas Ähnliches mit Schütz. Mit seinen großen Werken bin ich durch die Interpretationen von Wilhelm Ehmann in Herford sozialisiert worden und höre sie immer noch gerne. Musikalische Freunde bedeuten mir regelmäßig, dass das überholt ist. Ich glaube es auch, aber komme nicht so richtig darüber hinweg. Also darf man auch bei Richter sicher ein Auge zudrücken.

    Aller Anfang ist schwer - außer beim Steinesammeln (Volksmund)

  • Karl Richter ist für mich als Interpret alter Musik völlig überholt. Ich habe auch nicht eine einzige Aufnahme von ihm. Ich kann trotzdem sehr gut verstehen, dass viele an seinen Aufnahmen aus emotionalen Gründen hängen, denn sie waren zu seiner Zeit wirklich an der Spitze.


    Ach, lieber Doctor, mit dem überholt ist das so eine Sache. Bei Richter in den großen Passionen oder auch im Weihnachtsoratorium von Bach gibt es wirklich Stellen und Momente, die mich noch heute einfach umwerfen. Man höre sich nur mal die Altarien an, fast schon erotisch im Weihnachtopartorium. Oder bestimmte dramatische Zuspitzungen in den Chören usw. Richter kommt dem Bach doch sehr nahe, auch, weil er diese sinnlichen Punkte findet. Neue Darbietungen erlebe ich nicht selten als ziemlich trocken. Nicht so wahrhaftig wie bei Richter. Und nicht so intensiv. Ich bin ganz und gar nicht gegen HIP. Ich bin aber auch nicht gegen Richter & Co.


    Dieser Tage höre und sehe ich mich wieder mit Begeisterung dutrch den Monteverdi von Hanoncourt. Und ich frage mich, was das eigentlich ist? HIP? Schon längst wieder übetholt? Oder einfach nur ganz große Kunst, auch nach so vielen jahren noch wie am ersten Tag. Ich habe es seither für mein Empfinden nie besser gehört.


    Gruß Rheingold

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent


  • Richter kommt dem Bach doch sehr nahe, auch, weil er diese sinnlichen Punkte findet. Neue Darbietungen erlebe ich nicht selten als ziemlich trocken. Nicht so wahrhaftig wie bei Richter. Und nicht so intensiv. Ich bin ganz und gar nicht gegen HIP. Ich bin aber auch nicht gegen Richter & Co.


    Hier möchte ich jedem Wort zustimmen! Einige meiner aufwühlendsten, erhabensten und ergreifendsten Bach-Momente meines bisherigen Lebens verdanke ich Meister Richter! Wobei auch ich nicht 'anti-HIP' eingestellt bin ...


    Grüße
    Garaguly

  • Lieber Rheingold, lieber Garaguly, so weit sind wir gar nicht entfernt. Bei mir liegt es daran, dass ich Bach auch gesungen habe. Und zwar das Weihnachtsoratorium in der alten, schweren Tradition wie auch in der neuen Leichtigkeit, wie ich das mal nennen will. Mit der Johannespassion war es genau so. Da verliert man den Zugang zu den alten Interpretationen. Aber ich möchte auf keinen Fall euch jetzt davon abhalten, Karl Richter zu hören; ich denke, hier entscheidet jeder selber und vor mir muss sich ja nun wirklich keiner rechtfertigen. Die Sache mit der zu trockenen Interpretation, die möchte ich auf jeden Fall unterstützen. Gerade die Anfänge der historischen Interpretation, also durchaus auch Harnoncourt oder Wenzinger oder die Sachen der Schola cantorum Basiliensis, also eben vieles, was heute als "Das Alte Werk" verramscht wird, war tatsächlich von einer unfassbaren Langeweile, oder sollte man besser Akademismus sagen? Also: stocksteif oder Richter, da sage ich auch Richter!
    Lieber Rheingold, hat Bach wirklich ein "Weihnachtopartorium" geschrieben? Das möchte ich doch bezweifeln. :pfeif:

    Aller Anfang ist schwer - außer beim Steinesammeln (Volksmund)

  • Lieber Rheingold, hat Bach wirklich ein "Weihnachtopartorium" geschrieben? Das möchte ich doch bezweifeln.


    Das kennst Du nicht, lieber Doctor? Es handelt sich dabei um eine frühe Ausgabe der sechs Kantaten, die sogar gedruckt wurde, in einem seltenen Dialekt, der heute nicht mehr gepflegt wird. Das einzige erhaltene Exemplar wurde 1978 bei Sotheby’s versteigert. Niemand weiß, wer der Bieter war. Das entscheidende Angebot erging per Telefon. Die Wissenschaft vermutet, in ihm Dialekt haben sich italienisch-lateinische Einflüsse mit Sächsisch vermischt. Die Bach-Familie sprach ihn immer an Himmelfahrt und zu Weihnachten. Aus den 1920er Jahren gibt es sogar eine leicht gekürzte Walzenaufnahme mit Bertha Vogtländer (Sopran), Metha Himmelspeck (Alt), Gotthold Kaspar Frankenberg (Tenor) und Emil Fleischhauer (Bass). Dirigent ist Emanuel Richter, ein Urgroßneffe von Karl Richter. Es war geplant, diese Fassung auch bei der Archivproduktion einzuspielen. Das Projekt ist allerdings gescheitert. :thumbsup:


    Herzliche Grüße von Rheingold

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

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  • Mit seinen* großen Werken bin ich durch die Interpretationen von Wilhelm Ehmann in Herford sozialisiert worden und höre sie immer noch gerne. Musikalische Freunde bedeuten mir regelmäßig, dass das überholt ist. Ich glaube es auch, aber komme nicht so richtig darüber hinweg. Also darf man auch bei Richter sicher ein Auge zudrücken.

    (*Das Sternchen habe ich hier gesetzt, damit ich einfügen kann, dass dr. pingel vorher über Heinrich Schütz schrieb.) Da haben wir etwas gemeinsam, denn die Aufnahmen der Westfälischen Kantorei waren auch bei mir sehr gefragt. Als ich 1963 als Tenor in die Kantorei an unserer Kirche "berufen" wurde, habe ich einige der Bach-Kantaten, aber auch Werke von Schütz und Pachelbel, die für Kirchenkonzerte einstudiert wurden, vorher privat durch Ehmann gehört. Wilhelm Ehmanns Sohn ist übrigens Mitte der sechziger Jahre als Kantor der in meiner Heimatstadt Hagen als unermüdliche KMD bekannten Käthe Hyprath geworden.


    Unvergessen für mich auch die damals sehr gefragten Solisten wie Frauke Haasemann und Wilhelm Pommerien. Wenn Du weiter schreibst


    Zitat

    ...und höre sie immer noch gerne.

    dann hast Du mir das voraus: Ich besitze keine Aufnahmen mehr.


    :hello:

    .


    MUSIKWANDERER

  • Die Sänger waren damals leider nicht alle gut. Wilhelm Pommerien als Bass war ausgezeichnet, auch Paul Gümmer, dazu Hans-Joachim Rotzsch, Georg Jelden als Tenöre, Johannes Hoefflin eher nicht, aber Frauke Haasemann hatte ein zu starkes Tremolo, auch die Soprane waren ein wenig "piepsig".
    Von Ehmann habe ich alles auf CD, 4 CDs kleine geistliche Konzerte, Exequien, Geistliche Chormusik, Weihnachtshistorie, Passionen. Bitte schick mir eine private E-Mail, was du haben willst, es wäre mir ein Vergnügen, sozusagen unter "Ehemännern"!

    Aller Anfang ist schwer - außer beim Steinesammeln (Volksmund)