Hannover-Initiative gegen das "Regie-Theater"

  • http://www.bi-opernintendanz.eu/


    Rechte Gesinnungen heutzutage, die sich gerne vornehm machen und den Schein bürgerlicher Wohlanständigkeit geben, haben eine sehr erfolgreiche Strategie der Selbstverteidigung entwickelt: Benennt man das rechte Gedankengut, was in den Köpfen herumspukt, als das, was es ist, dann heißt es gleich: Man bedient sich der Nazi-Keule und stellt sie in eine rechtsradikale Ecke.


    So bequem sollte man es den Initiatoren dieser Initiative deshalb nicht machen. In der Beurteilung des Phänomens kann man sich nämlich ganz nüchtern und unaufgeregt auf die Analysen des französischen Soziologen Pierre Bourdieu stützen, insbesondere seinen Begriff der „konservativen Revolution“. Damit wird nämlich einmal deutlich, dass diese – antiliberale, antidemokratische und antihumanistische – rechte „Bewegung“ weit älter ist als der Nationalsozialismus, gründet in antimodernistischer, radikaler Kulturkritik. Sie etabliert sich wie Bourdieu zeigt als ein sprachlicher Diskurs, der sich auf Stereotypen stützt, einen typisierten Sprachgebrauch mit Wiedererkennungswert zum Zweck der Identifikation. Der nationalsozialistische Diskurs über „entartete Kunst“ ist letztlich nur ein zweiter Aufguss dieses intellektuellen Gebräus, entstanden in der Zeit des 1. Weltkrieges, und benutzt exakt dieselben Stereotypen. Was er lediglich auswechselt und sich damit erheblich radikalisiert, sind die Inhalte, die nun militant rassistisch und antisemitisch werden. Das Beunruhigende an diesem Diskurs ist, dass er offenbar bis heute „überlebt“ hat, sich nun in einem dritten Aufguss zum wiederholten Mal mit neuem Inhalt füllt, dem Konstrukt des Regietheaters als eines die bürgerlichen Werte zerstörenden Kultursystems, das es zu bekämpfen gilt.


    Wenn diese Initiative behauptet, demokratisch zu sein (die Seiten der Webseite kann jeder selber lesen und sich ein Urteil bilden), dann muss das für einen Leser, der nicht Anhänger ist und deshalb auch kein Bedürfnis nach Identifikation hat, eher wie ein Deckmantel wirken, um die wahre antidemokratische Absicht zu verschleiern – nämlich das Regietheater durch die Ausübung scheindemokratischer Zensur aus dem Kulturleben zu entfernen. Das entlarvt schließlich die Sprache dieser Webseite, die man nur sprechen lassen muss. Man kann eben nicht einerseits die Absicht der Demokratisierung beteuern und andererseits den „Feind“, das Regietheater, mit Sprachstereotypen „bekämpfen“, die fast ausnahmslos aus dem Diskurs über „entartete Kunst“ stammen. Wenn man so etwas öffentlich kundtut, dann wird man schlicht unglaubwürdig.


    Der Grundirrtum der Hannoveraner Initiative ist dieser zentrale Satz:


    http://www.bi-opernintendanz.eu/index_Worum_geht_es_3.htm


    „Die vielzitierte ’Freiheit der Kunst’ hat da ihre Grenzen, wo Interpretation zur Zerstörung wird.“


    Die Kunstfreiheit hat selbstverständlich Grenzen in rechtlicher (und moralischer) Hinsicht. Eine Operninszenierung darf z.B. nicht konkret Personen namentlich benennen und verleumden. In ästhetischer Hinsicht dagegen gibt es keinerlei Einschränkung der Kunstfreiheit von außen. Die Grenzen, welche sich die Kunst in ästhetischer Hinsicht setzt, setzt sie ausschließlich selbst. Dies entspricht nicht zuletzt der Genieästhetik eines gerade von „Konservativen“ so verehrten Künstlers wie Johann Wolfgang v. Goethe. Das künstlerische „Genie“ gibt sich ausschließlich selbst seine Gesetze – das ist seine Würde und Verantwortung. Wenn sich irgendeine Instanz (der Staat, die Gesellschaft, das Publikum) da einmischt und anmaßt regulierend einzugreifen, dann bedeutet das schlicht die Aufhebung der Freiheit der Kunst, wie sie aus totalitären Staaten bekannt ist (man denke an die „Formalismus“-Debatte in der ehemaligen Sowjetunion).


    In der Folge werden - methodisch im Anschluss an Bourdieu -, die einzelnen Vokabeln und Stereotypen aufgegriffen und direkt gegenübergestellt. Das Zitierte bedarf keines Kommentars und spricht für sich selbst.


    Pierre Bourdieu:


    Es macht sich nach 1918 „jene Art Einverständnis in der konservativen Entrüstung“ breit, „sich dabei von schlichten Slogans und Gemeinplätzen nährend, wie die Klage über den „Individualismus“ (oder die „Ichbezogenheit“), über die „utilitaristischen und materialistischen Tendenzen“, den Verfall der Kultur und die Krise der Wissenschaft usw. Ringer macht auf jene Worte aufmerksam, die, gleich emotionalen Stimuli wirkend, auf den Gesamtkomplex einer politischen Weltsicht verweisen: so etwa Zersetzung und Dekomposition (der Historiker Theodor Mommsen spricht von „nationaler Dekomposition“ und wird von NS-Antisemiten deshalb gerne zitiert, H.K.), die nicht nur die Abschwächung irrationaler oder ethischer „natürlicher“ Bande zwischen den Menschen in der Industriegesellschaft evozieren, sondern darüber hinaus auch die rein intellektuellen Mechanismen, die ihren Teil dazu beigetragen haben, kraft ihrer kritischen Analysen die überlieferten Grundlagen des gesellschaftlichen Zusammenhalts zu zersetzen. Bis zur Genüge zitiert er all die antimodernistischen, antidemokratischen, antiwissenschaftlichen, antipositivistischen Äußerungen, die als Antworten der Mandarine auf die Krise nicht etwa der Kultur, wie sie erklären, sondern ihres kulturellen Kapitals zu gelten haben.“


    So K.A. von Müller Deutsche Geschichte und deutscher Charakter 1927 (zit. nach Bourdieu):


    „Von allen Seiten umdrängt uns das Zerstörende und Zerschwätzende, das Willkürliche und Formlose, das Nivellierende und Mechanisierende dieser maschinellen Zeit, die methodische Zersetzung alles Gesunden und Edlen, die Verhöhnung alles Starken und Ernsten, die Entwürdigung des Göttlichen, was die Menschen emporhebt, indem sie ihm dienen.“

    (1) Das Schlagwort „Zersetzung“


    Die Metapher ist bezeichnend biologistisch. Es geht immer um ein Ganzes, einen Organismus (hier die Kultur als „System“), der sich zersetzt, also um die Frage von Leben und Tod. Ein solcher Zersetzungsprozess ist nur aufzuhalten, wenn man die „Erreger“ dieses Prozesses entfernt. Entweder die Kulturzersetzer werden vernichtet oder die Kultur, welche (angeblich) zersetzt wird (verfault), lautet die totalitäre Alternative um Alles oder Nichts.


    Quelle 1:


    http://www.bi-opernintendanz.eu/index_Rundschreiben_3_7.htm


    „Theaterleitungen zersetzen unsere Literatur unter dem Vorwand der Aktualisierung. Dass damit der Verfall systematisch betrieben wird, scheint niemanden zu interessieren oder mit dem Slogan "nach unten öffnen" von gewissen politischen Strömungen sogar gewollt zu sein .


    Was heute geschieht kann, nicht mehr mit dem Begriff "Freiheit der Kunst" verbrämt werden.“

    Quelle 2: Entartete Musik. Eine Abrechnung. Hans Severus Ziegler, Düsseldorf 1938

    https://de.wikipedia.org/wiki/Hans_Severus_Ziegler


    Ziegler gegen Otto Klemperer (Fenster mit Bild und Titel „Juden gegen Wagner“)


    „Der Jude Otto Klemperer führte als „Generalmusikdirektor“ der Kroll-Oper in Berlin die Generalattacken gegen Richard Wagner. Seine Inszenierung des „Fliegenden Holländer“ wurde zu einem der größten Theaterskandale der Systemzeit. Als er am „Platz der Republik“ abgewirtschaftet hatte, setzte er noch an der Staatsoper „Unter den Linden“ sein zersetzendes Treiben mit einer ebenso berüchtigten „Tannhäuser“-Inszenierung fort. Klemperer ist nach der Machtübernahme in die vereinigten Staaten emigriert. Dort lässt er sich als „Märtyrer“ und „Opfer der deutschen Barbarei“ feiern.“

    Quelle 3: Entartete Musik. Eine Abrechnung. Hans Severus Ziegler, Düsseldorf 1938


    „Wir bekämpfen den zersetzenden, negierenden, eiskalten Scheingeist, der in den letzten Jahrzehnten verkündete, dass uns Beethoven und Wagner nichts mehr zu sagen hätten, und wir bekennen uns zu der großartigen germanisch-deutschen Musik, deren Geheimnis auch in der Seelentiefe des größten deutschen Genies und Wortdichters Wolfgang Goethe rauschte, der einmal ausrief: „Der Gesang hebt wie ein Genius gen Himmel und reizt das bessere Ich in uns an, ihn zu begleiten.“


    Quelle 4-6: Hans Költzsch: Das Judentum in der Musik, aus: Theodor Fritsch, Handbuch der Judenfrage. Die wichtigsten Tatsachen zur Beurteilung des jüdischen Volkes, 38. Aufl. (!!!), Leipzig 1935


    „... wollte wir ferner die Namen derer mit nennen, die in der jüngsten Vergangenheit bei arischer Abstammung jüdisch dachten und handelten, mitschwommen im Strom von Fäule und Zersetzung (der Fall Hindemith, der Fall Krenek, der Fall Mersmann (Hans Mersmann, Musikwissenschaftler, Autor u.a. des Versuchs einer Phänomenologie der Musik, H.K.)) – wahrhaftig, man könnte ein Buch damit füllen.“


    „... man erinnere sich, wie auch schöpferisch wertvolle Musiker (Hindemith!) von diesem Geist der Zersetzung, der Flucht in Sensation und oberflächliches Experiment ergriffen wurden; man erinnere sich, dass der größte Vertreter der Vorkriegsmusik, Richard Strauß, „an den Geist der Zersetzung verlorengegangen ist (Eichenauer)...“

    „Die naive Frage: verliert das deutsche Musikleben etwas, wenn keine Juden mehr mitarbeiten? Ist auch dem ärgsten Skeptiker freudig zu verneinen Außerdem: Wägt man die genannten positiven Werte ab mit den negativen „Verdiensten“, mit den tausendfältigen verderblichen, zersetzenden Auswirkungen jüdischer Kulturpolitik, so bleibt wohl kein Zweifel, wohin die Wage sinkt. Darum kann es im weiten Felde des neuen deutschen Musiklebens keine „Politik der mittleren Linie“ mehr geben, keine Duldung, Verständigung, keine Humanität; wir alle haben vielmehr, in der klaren Erkenntnis, dass nur das den höchsten Wert hat, was lebenssteigernd für unsere Rasse wirkt, die Pflicht, das Judentum in der Musik restlos auszuschalten.“

    (2) Schlagwort „Verhöhnung“

    Quelle 1:


    http://www.bi-opernintendanz.eu/index_Worum_geht_es_3.htm


    „Distanzieren wir uns von der Verhöhnung der bürgerlichen Hochkultur!"


    Quelle 2:


    http://www.bi-opernintendanz.eu/index_Rundschreiben_3_7.htm


    „Die uns erreichenden Kommentare sind teilweise in ihrer Wortwahl sehr drastisch und zeigen die ganze Wut über die gezielte Verhöhnung des Publikums durch absurde Regiegags, für die auch noch Eintrittsgelder verlangt werden.


    Quelle 3: K.A. von Müller Deutsche Geschichte und deutscher Charakter 1927


    „Von allen Seiten umdrängt uns das Zerstörende und Zerschwätzende, das Willkürliche und Formlose, das Nivellierende und Mechanisierende dieser maschinellen Zeit, die methodische Zersetzung alles Gesunden und Edlen, die Verhöhnung alles Starken und Ernsten, die Entwürdigung des Göttlichen, was die Menschen emporhebt, indem sie ihm dienen.“


    Quelle 4:
    http://www.bi-opernintendanz.eu/index_Rundschreiben_1_7.htm


    „Oder zertrampeln wir auch die Blumenbeete in den Herrenhäuser Gärten, damit Hannover keinen Ort öffentlicher Ästhetik mehr hat?“


    Quelle 5: Entartete Musik. Eine Abrechnung. Hans Severus Ziegler, Düsseldorf 1938


    „Ein Volk, dass sich seine Gefühlswerte und Gemütswerte täglich zertrampeln lässt, ohne sich aufzubäumen, ein Volk, dass sich Kleinodien wie das Volkslied verhunzen und damit sich selbst verhöhnen lässt, verliert auch jeden sittlichen Widerstand in politischer und endlich in wirtschaftlicher Beziehung.“



    (3) Schlagwort: Animalischer Sexismus und Sensationsgier, gegen das Experiment


    http://www.bi-opernintendanz.eu/index_Rundschreiben_1_7.htm


    „Wir alle wissen, dass unsere große Literatur durch die gesamte Theatergeschichte mit Respekt auf die Bühne gebracht wurde, da sie ewig gültige Wahrheiten über die menschliche Natur zum Inhalt hat.


    Seit den achtziger Jahren etablierte sich in Deutschland eine Tendenz, die Regisseuren gestattet, die Werke zu dekonstruieren, zu zertrümmern, zu verfälschen, um sie zum Spielfeld privater Probleme zu machen.“
    Eine schlimme Kindheit, sexuelle Obsessionen, politische Erfahrungen werden den Stücken übergestülpt und dann ’Herunterbrechen auf unsere Zeit’ genannt, wobei in der Oper Musik, Text und das Geschehen auf der Bühne nichts mehr gemeinsam haben.


    Die Sensationsgier des Publikums zu befriedigen ist das große Geschäft, wenn Violetta Valéry in der ’Traviata’ als besoffene Schnapsdrossel über die Bühne torkelt und über die Stühle ins Publikum steigt.“

    Quelle 2,3: Hans Költzsch: Das Judentum in der Musik


    „... man erinnere sich, wie auch schöpferisch wertvolle Musiker (Hindemith!) von diesem Geist der Zersetzung, der Flucht in Sensation und oberflächliches Experiment ergriffen wurden; man erinnere sich, dass der größte Vertreter der Vorkriegsmusik, Richard Strauß, „an den Geist der Zersetzung verlorengegangen ist (Eichenauer)...“


    „Ist diese systematische Ausbeutung billigster Geschmacksregionen im Wirkungsbereich noch einigermaßen beschränkt, später auch schnell zu beseitigen und die Verwesungssymptome zu vernichten, so war die Sachlage viel gefährlicher, als die jüdische Rasse und Gesinnung auch in den Dingen der allgemeinen Musik-Erziehung maßgebend wurde...“


    Quelle 4:


    http://www.bi-opernintendanz.eu/index_Kommentar_'Der_Freischuetz'.htm


    Titel:


    „'Der Freischütz' - Ein Ekel-Spektakel“


    „Das Stück muss doch kaputtzukriegen sein! Vorab bittet man um Entschuldigung, dass man seine Sprache, um das Erlebte zu schildern, auf das Niveau der Aufführung absenken muss.


    In der frühkindlichen Analphase stehen geblieben, in der jede Mutter dieser Welt ihr Baby dazu anhält, seine Exkremente nicht überall herumzuschmieren, ergötzt sich das Regieteam dieser Freischütz-Produktion daran, fortwährend damit zu mantschen, zu betatschen, sich drin zu wälzen, während von einem widerwärtigen Gnom mit Knubbelnase, riesigen Ohren, mit hässlichem Gebiss, nacktem Arsch, vorgehängtem, größerformatigem Geschlechtsteil und quälend quäkender Stimme die Frage geklärt werden soll, wieso denn der Freischütz die 'Deutsche Nationaloper' sei.“


    Quelle 5: Entartete Musik. Eine Abrechnung. Hans Severus Ziegler, Düsseldorf 1938


    „Was uns der jüdische Demokratismus und Marxismus als „Fortschritt“ und „Zeitgeist“ aufgeschwindelt haben, war entweder die Lehre von der Primitivität und der Rückkehr zum animalischen nacktesten Triebleben, also die Abkehr von jeglicher Kultur, oder ein geistreich sein sollendes Jonglieren mit Schlagwörtern, mit einer bestimmten Wirkung auf den Tagesgeschmack.“


    Schöne Grüße
    Holger

  • Das künstlerische „Genie“ gibt sich ausschließlich selbst seine Gesetze – das ist seine Würde und Verantwortung.


    Lieber Holger,


    dagegen ist wirklich nichts einzuwenden. Es muss aber erlaubt sein, den großen Ballen Streu von den wenigen Weizenkörnern, was wir Genie nennen, abzusondern.
    Eine schwierige Aufgabe und nicht jeder kann sie bewältigen. Statistisch gesehen gibt es aber viel mehr Spreu als Weizen und deshalb verbietet es sich auch nach den Gesetzen der Logik, jedwede Kritik an verfehlten Inszenierungen als falsch zu verurteilen oder sie gar einer bestimmten politischen Richtung zuzuordnen.


  • Holger hat hier aber Goethe zitiert, das sollte man nicht unterschlagen.
    Im übrigen vergeht mir schon beim bloßen Anschauen der Webseite, um die es geht, die Lust, das zu lesen. Alles in Fettschrift, das ist als ob in einer Unterhaltung jemand nur schreit. Aber wenn ich ein Gegner des sogenannten Regietheaters wäre, würde ich mir jedenfalls eine niveauvollere Unterstützung wünschen.

  • Holger,


    mich würde, unabhängig von dem Text der von dir zitierten Gruppe, interessieren, ob es deiner Meinung nach eine demgegenüber legitime Argumentation gäbe, mir als Individuum oder Gruppe ein anderes Musiktheater zu wünschen. Sprich: Wenn ich keine Dildos und Exkremente auf der Bühne möchte, würde ich dann mit jedweder Argumentation nicht notwendigerweise an der proklamierten Kunstfreiheit scheitern? Sprich: gibt es für Konservative aus deiner Sicht einen Weg sich zu äußern, der sich nicht dem Vorwurf des von dir behaupteten Rechtsradikalismus aussetzen muss?

    "...man darf also gespannt sein, ob eines Tages das Selbstmordattentat eines fanatischen Bruckner-Hörers seinem Wirken ein Ende setzen wird."



  • dagegen ist wirklich nichts einzuwenden. Es muss aber erlaubt sein, den großen Ballen Streu von den wenigen Weizenkörnern, was wir Genie nennen, abzusondern.
    Eine schwierige Aufgabe und nicht jeder kann sie bewältigen. Statistisch gesehen gibt es aber viel mehr Spreu als Weizen und deshalb verbietet es sich auch nach den Gesetzen der Logik, jedwede Kritik an verfehlten Inszenierungen als falsch zu verurteilen oder sie gar einer bestimmten politischen Richtung zuzuordnen.

    Lieber Hami,


    was die wirkliche Kritik angeht, bin ich ganz bei Dir. Schlechte Inszenierungen, die Klischees benutzen, aus Phantasielosigkeit auf Knalleffekte setzen usw. soll man natürlich auch heftig kritisieren können. Den "großen Ballen Streu von den wenigen Weizenkörnern, was wir Genie nennen, abzusondern", ist aber wiederum eine biologische Metapher und meint eine Selektion. Problematisch wird dies dann, wenn sich bestimmte Interessengruppen der Zuschauer sozusagen erdreisten, diese Selektion mit höchstrichterlicher Autorität selbst vorzunehmen, nicht nur entscheiden, welcher Künstler ein Genie ist und welcher nicht, sondern auch noch denen, denen aberkannt wird, Genies zu sein, Berufsverbote erteilen. Da gilt finde ich Analoges zu dem, was der heilige Thomas über das Gewissen sagte: Weil gerade das irrende Gewissen zu respektieren ist, so nicht minder vermeintlich schlechte Kunst. Man kann nicht einfach eine Kunstrichtung wie eine bestimmte Form des Theaters aus dem Kulturleben verbannen wollen (und sei dies mit pseudodemokratisch legitimierten, populistischen Mitteln), nur weil man ihre Ästhetik für falsch hält bzw. sie einem nicht gefällt. Genau das ist ziemlich heuchlerisch auf dieser Webseite. Angeblich sind sie ja für alle Richtungen offen - nur nicht für das Regietheater. Das ist ungefähr so, wie wenn die katholische Amtskirche sagt: Wir sind ja so weltoffen, alle Christen dürfen mit uns Abendmahl feiern, nur die Evangelischen nicht, die müssen draußen bleiben.


    Schöne Grüße
    Holger

  • Sprich: Wenn ich keine Dildos und Exkremente auf der Bühne möchte, würde ich dann mit jedweder Argumentation nicht notwendigerweise an der proklamierten Kunstfreiheit scheitern?

    Ja, natürlich. Ich muß ja auch Lang Lang ertragen, auch wenn dieser Pfad für mich so gar nicht leuchtet... :D



    Sprich: gibt es für Konservative aus deiner Sicht einen Weg sich zu äußern, der sich nicht dem Vorwurf des von dir behaupteten Rechtsradikalismus aussetzen muss?

    Ganz einfach, wenn sie auf totalisierende Polemik und die damit verbundene Verbalerotik verzichten, welche Künstler als Wertezerstörer und eine ganze Kunstrichtung wie ein Verbrechen behandelt. Und vor allem: Sich nicht pseudreligiös als "Retter" des Wahren, Schönen und Guten aufspielen. Kunst wie ein Verbrechen zu behandeln, hatte übrigens Hanslick mal Wagners Polemik gegenüber Meyerbeer kritisch vorgehalten.... ;) Also gezielte, fundierte Kritik üben!


    Schöne Grüße
    Holger

  • Schlechte Inszenierungen, die Klischees benutzen, aus Phantasielosigkeit auf Knalleffekte setzen usw. soll man natürlich auch heftig kritisieren können. Den "großen Ballen Streu von den wenigen Weizenkörnern, was wir Genie nennen, abzusondern", ist aber wiederum eine biologische Metapher und meint eine Selektion.


    Eigentlich ist mit diesen beiden Sätzen das Dilemma schon aufgezeigt. Die Selektion ist eben unsres Fleisches Erbteil und selbst die besten Demokratien können sie nicht vermeiden, schon wegen der Knappheit der Ressourcen.
    Gäbe es genügend Opernäuser für jede beliebige Stilrichtung, wäre unsere Debatte gegenstandslos. Da dem nicht so ist, muss man eben überlegen, wem man die Moneten hinterher wirft. Wenn nun, wie behauptet wird, an den großen Häusern kaum mehr Platz für herkömmliche Inszenierungen ist, schafft das ein Diktat der Minderheit.
    Ich habe dabei auch noch nie vernommen, dass sich ein diesbezüglicher Intendant hätte bereden lassen, für etwas Abwechslung zu sorgen. Von dieser Seite kam auch meist nur arrogantes Abschmettern der Gegenseite.
    Es ist eben die Einseitigkeit die Ärger macht. Von beiden Seiten.

  • Ohhhh
    Ich bin schon sehr verwundert mit welcher Radikalität da gegen eine Bewegung geschrieben wird, die - offensichtlich erfolgreich - gegen die noch existierende Übermacht des Regietheathers kämpft - und - scheinbar - den Zeitgeist trifft.


    Zitat

    Damit wird nämlich einmal deutlich, dass diese – antiliberale, antidemokratische und antihumanistische – rechte „Bewegung“ weit älter ist als der Nationalsozialismus,

    Ich weiß, daß der Satz nicht komplett ist - aber hier bin ich voll einverstanden !!!
    Der Nationalsoziaismus hat sich meiner Meinung nach nur dieses Bedürfnisses nach hierarchischer Ordnung bedient.
    Sa war es dann leicht mit der Drohung jemanden in die rechte Ecke stellen zu wollen - eine Drohung von der eigentlich nur mehr wenige glauben, daß sie irgendeine Wirkung hatm denn die derzeitige Gesellschaft driftet mir geradezu aremberaubender Geschwindigkeit nacht rechts -landet aber dabei höchstens in der "Bürgerlichen Mitte".



    Zitat

    .....gründet in antimodernistischer, radikaler Kulturkritik.

    Hier möchte ich sagen, sie gehört dazu, ist Teil des Ganzen, ein Symptom - aber auch nicht mehr.



    Zitat

    Sie etabliert sich wie Bourdieu zeigt als ein sprachlicher Diskurs, der sich auf Stereotypen stützt, einen typisierten Sprachgebrauch mit Wiedererkennungswert zum Zweck der Identifikation.

    Jede Bewegung verfügt über eine solche Sprache
    "zweitrangig" - als Beispiel -vom Theaterrang, wo der Wert des Opernbesuchers schon an Hand seines Sitz- oder Stehplatzes taxiert werden konnte. siehe auch "hochrangig"
    Die Mächtigen waren stets darauf bedacht bestehende Gesellschaftordnungen zu erhalten - mit allen Mitteln.



    Zitat

    Der nationalsozialistische Diskurs über „entartete Kunst“ ist letztlich nur ein zweiter Aufguss dieses intellektuellen Gebräus, entstanden in der Zeit des 1. Weltkrieges, und benutzt exakt dieselben Stereotypen.

    Hier bin ich teilweise einverstanden - man hat also wieder ein "Urbedürfnis" der Bevölkerung erkannt und es geschick genützt - man schlug 2 Fliegen mit einer Klappe.
    Der Punkt wo ich nicht einverstanden bin ist lediglichm der Zeitpunkt, Konservative Kunst- und Kulturauffassung ist viiiiieel älter.
    Zitat wikipedia

    Zitat

    Gotik -Zunächst durch Giorgio Vasari als abwertende Beschreibung der Architektur verbreitet....


    Wie man sieht gehe ich völlig emotionslos an das Thema heran, geifere nicht und lasse die Zeit arbeiten......
    Was wird denn sein, wenn die MEHRHEIT solche Initiativen unterstützt und das Regietheater und ähnliche Strömungen zu Fall bringen?


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Ich bin schon sehr verwundert mit welcher Radikalität da gegen eine Bewegung geschrieben wird, die - offensichtlich erfolgreich - gegen die noch existierende Übermacht des Regietheathers kämpft - und - scheinbar - den Zeitgeist trifft.


    Ganz nüchtern betrachtet krankt diese Initiative an einem eklatanten Widerspruch - wie die ganze Konzeption der "konservativen Revolution" ein Oxymoron ist und deshalb natürlich zum Scheitern verurteilt.


    Deutlich wird das vor allem hier:


    "Es geht um die Unterwanderung und Vernichtung unserer Werte. Hier wird eine Veränderung der Gesellschaft Tür und Tor geöffnet und ist sie erst einmal eingetreten, kann sie nicht mehr revidiert werden."


    Man kämpft gegen ein System. Paradox daran ist, dass die konservativen "Revolutionäre" wie schon der Name sagt im Grunde diejenigen sind, welche Gesellschaft so wie sie ist gar nicht bewahren, vielmehr radikal verändern wollen. Denn die Moderne - hier in Gestalt des Regietheaters - ist ja als systemerhaltende Kraft der Gesellschaft längst etabliert. Deshalb wird auch die Reaktion des etablierten Systems sein, diesen Anspruch auf radikale Systemveränderung vehement zurückzuweisen. Würde man ihn tatsächlich zulassen, dann akzeptierte man nämlich, dass Regietheater "entartete Kunst" ist. Kein Politiker, der noch bei Trost ist, wird das so geschehen lassen - ansonsten wird er von der Mehrheit der "Liberalen" (zu der auch ich gehöre) nicht mehr gewählt und in den politischen Ruhestand geschickt. Wo sich solche konservativ-revolutionären Vorstellungen wirklich politisch durchsetzen lassen ist eben nicht die Demokratie, sondern nur der totalitäre Staat. ;)


    Schöne Grüße
    Holger

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  • ansonsten wird er von der Mehrheit der "Liberalen" (zu der auch ich gehöre) nicht mehr gewählt und in den politischen Ruhestand geschickt


    Dein Wort in Gottes Ohr, lieber Holger. Angesichts der aktuellen Wahlergebnisse in deutschen Landen habe ich allerdings die Befürchtung, dass die Feinde einer liberalen Gesellschaftsordnung irgendwann wieder die Oberhand gewinnen könnten. Dagegen gilt es anzugehen.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Ich bin ja auch ein großer Freund einer liberalen Gesellschaftsordnung, nämlich der Auffassung, dass jeder möglichst so leben können sollte, wie er möchte. Dazu gehört dann freilich auch, dass Liebhaber von Opernaufführungen, bei denen die Inszenierung nicht "gegen den Strich gebürstet" ist, die Chance haben sollten, solche sehen zu können. Wenn das gewährleistet wäre, dann bräuchten wir uns hier in diesem Forum gar nicht so sehr streiten...

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Ich bin ja auch ein großer Freund einer liberalen Gesellschaftsordnung, nämlich der Auffassung, dass jeder möglichst so leben können sollte, wie er möchte.


    Wenn ich diesen Satz vom RT löse, auf die herrschende allgemeine Lebenswirklichkeit beziehe und dabei "wie er möchte" durch adäquat/angemessen ersetze, dann wünschte ich mir in den betroffenen Bevölkerungsschichten ein ähnliches Engagement wie hier beim RT (das mich ziemlich kalt lässt - ich höre mir demnächst "Die Perlenfischer" konzertant an).


    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Holgers Analyse in seinem Eröffnungsbeitrag scheint mir sehr schlüssig und überzeugend zu sein.


    Ich möchte nur aus meiner laienhaften Perspektive anmerken, dass ich einen sehr deutlichen Unterschied zwischen rechts und konservativ sehe. Konservativ heißt für mich auch, "alles zu prüfen und das Gute zu bewahren", wie es der hl. Paulus in einem Brief einmal formuliert.
    Das heißt ja dann auch, dass man durchaus auch offen für Neues ist, deswegen aber nicht Bewährtes gleich auf den Müllhaufen der Geschichte schmeisst. Als Paradebeispiel für eine konservative Person, der auf keinen Fall ein Rechter ist, wird wohl Kretschmann dienen können. Ich will hier keine politische Diskussion über Parteien und Politiker etc. beginnen, aber ich nennen ihn nur, weil es bei Anhängern und Gegnern gleichermaßen unstrittig ist, dass der Mann als Person urkonservativ ist ( Schützenverein, katholisch, der Region verbunden, findet Daimler Benz gut, die Wirtschaft findet ihn gut......etc)
    Aber er ist eben auch jemand, der Neues (im Sinne dessen, was seit Aufkommen der Umweltbewegung und der Grünen im Lande so in Sachen Naturschutz etc. geschehen ist) versucht, wenn es ihm sinnvoll erscheint, wie z.B. es praktisch hinzubekommen, dass Umweltschutz und wirtschaftliche Interessen nicht Gegensätze sein müssen, sondern sich ganz im Gegenteil verstärken können.
    Man kann also nicht spießig und dennoch sehr konservativ und "bürgerlich" sein, ohne auch nur einen Hauch des Verdachts anzuziehen, ein dumpfer Rechter zu sein. Bis auf die Sache mit dem Schützenverein finde ich die von mir aufgezählten Dinge, die ihn ausmachen auch ziemlich sympathisch, und da stehe ich wohl nicht alleine da. Nur für den neuen Mercedes hat es bei mir noch nicht gereicht, für einen gebrauchten schon.... ;-)


    Bei einem Dirigenten wird immer - wahrscheinlich sogar falsch- gemutmaßt, dass dieser höchstwahrscheinlich irgendwie dem rechten Spektrum zuzuordnen wäre. Die einen bewundern und unterstützen ihn deshalb, die anderen verachten und hetzen gegen ihn, wahrscheinlich auch deshalb. Beides ist sehr schade, und ich lehne das ab, weil es die eigentliche Leistung und Persönlichkeit des Kapellmeisters nur schmälert - auch die Zustimmung aus angenommenen weltanschaulichen Gründen.
    Ich gehöre zu denen, die sein Künstlertum aus musikalischen Gründen bewundern, was ja nicht heißt, dass es für bestimmte Stücke nicht ganz andere Interpretationen geben kann, die ich auch mag, bzw. die ich auch einmal besser finden könnte.
    Dass jemand bei dem, was er so herausbringt, nun immer der Beste wäre, kann einfach nicht sein - höchstens in der Welt von Fanboys


    Was nun das Regietheater angeht, kann ich auch mich hin und wieder nicht des Eindrucks erwehren, dass die organisierten Ablehner aus einem weltanschaulichen Gebräu heraus -zum Teil jedenfalls- motiviert sind. Es geht ihnen in diesem Fall also weniger um die Kunst, als um ihr Weltbild. Wenn die Kunst sich nicht diesem Weltbild anpasst und unterordnet, dann will man "einschreiten" ( rein sprachlich wäre hier ja schon die nächste Stufe das "einmarschieren..." ) . Dass der ein oder andere sich an die Zeit in Nazi-Deutschland erinnert fühlt ( Stichworte Furtwängler, Hindemith, Goebbels...), kann man schon verstehen.


    Ich sage dies übrigens als jemand, der auch Ekel-Inszenierungen mit Blut, Kot etc, etc.... vollkommen ablehnt. Wenn man aus einem Stück einen anderen Stoff macht, dann ist das eben eine schlechte und überaus kritikwürdige Regieleistung.
    Aber im Grundsatz muss ja die Freiheit der Kunst gelten, selbst wenn man es furchtbar findet. Wer das ablehnt, der sieht Kunst nur als Behübschung, als Dreingabe im sonst so harten Leben. Man will sie dann auf etwas Ähnliches reduzieren, wie es auch ein antikes Möbelstück sein kann. Sehr schön, und man bekommt das Gefühl von guter alter Zeit ( ich mag Antiquitäten, kann sie aber selten stellen...)
    Eine Beethoven-Symphonie ist aber mehr als eine schöne Vase - da geht es um Alles. Kunst ist da lebensnotwendig, um das Unsagbare sagen zu können.


    Ginge es nach mir, dann müsste man z.B. Death Metal eigentlich verbieten, weil ich auch sehen kann, was das zum Teil anrichten kann.
    Es hat mit allem was ich Kunst oder Musik nenne, nichts zu tun. Trotzdem muss man es aber in einem freien, liberalen Land hinnehmen und ein Verbot würde es nur noch mehr fördern.
    Fängt man erst mit Verboten an ( "endlich hier mal aufräumen", um es im rechten Sprachgebrauch zu sagen, denn ich übrigens von der Sprach-und Verhaltensforschung äußerst faszinierend finde, weil hier ja auch die Aspekte Wut und Gerechtigkeit zusammengemischt werden, so dass die gerechte Wut, der heilige Zorn und die zu bewundernde Brüllerei dabei herauskommen), dann landet man irgendwann im Totalitären. Bei den Nazis konnte man Probleme bekommen, wenn man Jazz ("Niggermusik") hörte, in der DDR war auch so mancher Musikclub unter Stasi-Beobachtung und Missbilligung, und beim IS kann man einen Kopf kürzer gemacht werden, wenn man westliche Musik hört, bei christlicher Musik wird man u.U. gleich gekreuzigt. Extremisten - egal ob links, rechts oder religiös-weisen in letzter Konsequenz sehr auffällige Verhaltensgleichheiten auf. Das liegt eben daran, dass es sich in jedem Fall um fanatisierte Menschen handelt.


    Sicherlich ist Kunst immer ein Ausdruck der jeweiligen kulturellen Befindlichkeit der Zeit und hat auch seine Anknüpfungspunkte, was die Weltanschauung anbelangt.
    Dennoch finde ich es falsch, wenn man sie um ihrer selbst willen nicht läßt, wie sie ist, sondern in ihr sein Weltbild verwirklicht sehen will.
    Das ist genau so ein Missbrauch, wie auch ein Regisseur seine Macht missbraucht, wenn er ein Stück so schlecht inszeniert, dass man nur noch geschockt werden soll und von der eigentlich wichtigeren Musik weggeführt wird.



    Gruß
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Es kommt halt immer darauf wen die jung Regisseure als ihren Lehrmeister hatten. Entweder sie übenehmen dessen Ideen oder entwickeln eigene. Man sollte jetzt aber nicht nur die Regisseure verteufeln, dann müsste man auch den Intendanten, der den Regisseur angagiert hat und den Dirigenten und die Sänger verteufeln, die bei einer schlecht gemachten RT Inszenierung mitmachen. Nur mein Motto ist, auch wenn ich dafür wahrscheinlich wieder Kritik bekomme, das man nur negativ oder positiv über eine Inszenierung urteilen kann, wenn man live im Opernhaus war. Und das beste Beispiel das Regisseure sich ändern können ist Dietrich Hilsdorf. Wen ich da an seine Inszenierungen in den 80 Jahren im Aalto Theater denke, das war schon RT. Aber heute sind seine Inszenierungen doch sehr konventionell.

  • Zitat

    Aber im Grundsatz muss ja die Freiheit der Kunst gelten, selbst wenn man es furchtbar findet.

    Dem kann ich mich leider nicht anschliessen, es wurde schon so oft vorgekaut, daß sich kaum jemand mehr getraut dem zu widersprechen



    Zitat

    Wer das ablehnt, der sieht Kunst nur als Behübschung, als Dreingabe im sonst so harten Leben.

    Das würde ich unterstreichen - denn genau so ist es. Wenn Ludwig XIV oder ein anderer kunstliebender Monarch die besten Künstler seiner Zeit an seinen Hof holte, dann tat er es um seine eigene Person zu verherrlichen (manchmal auch unter dem Vorwand, Gott zu verherrlichen - aber schliesslich sah man den Menschen als Ebenbild Gottes, natürlich insbesondere den Adel und die Spitzen der Geistlichkeit)Auch Friedrich der Große ließ sein Schloss Sanssouci ("Ohne Sorge")zu seinem Vergnügen bauen, nicht aber, damit sich irgend ein Künstler selbst verwirklichen konnte.


    Denn der Künstler als Person war uninteressant, was zählte war lediglich das Werk, welches allerdings den Vorgaben zu entsprechen hatte. Mozart und Haydn wurden als Lakaien gesehen die ihren Dienst zu verrichten hatten....


    Das Wort "Behübschung" entspräche tatsächlich der Aufgabe - ist aber in den letzten Jahren zu einem Negativbegriff umgedeutet worden ebenso wie "Elite" etc......und daher nicht mehr verwendbar



    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Da müsste man jetzt wohl genauer anschauen, welche Funktion die Kunst in unterschiedlichen Epochen hatte und was die Aufgabe des jeweiligen Künstlers war. Dann würde man vermutlich feststellen, dass es nicht immer um die Verherrlichung des Monarchen oder um sein Vergnügen ging (das trifft in dieser Vereinfachung wohl nicht einmal für die von Alfred genannten Beispiele zu), sondern dass sich das immer wieder einmal geändert hat. Wieso sollte das dann gerade heute und gerade so gelten, wie Alfred das schreibt und wie er es so gerne hätte?

  • Zum ersten: Natürlich ist es verallgemeinernd, aber man könnte noch zig Beispiele bringen. Es gab natürlich auch Künstler, die die Anerkennung von Monarchen genossen - allerdings nur dann, wenn deren KUNSTFERTIGKEIT mit dem Geschmack des Auftraggebers übereinstimmte.



    Zitat

    Wieso sollte das dann gerade heute und gerade so gelten, wie Alfred das schreibt und wie er es so gerne hätte?

    Vermutlich deshalb weil der Zeitgeist im Wandel ist - und wir uns in einer "neokonservativen" oder - wer so will - "reaktionären" Welle befinden, die von einem momentan stets anwachsenden Teil der Gesellschaft gern gesehen und unterstützt wird. Ob das real so ist - oder angebliches Wunschdenken meiner Person - darüber diskutiere ich nicht, schon deshalb nicht, weil es nicht relevant ist.
    Wäre die derzeitige Entwicklung lediglich ein Hirngespinst von mir oder einiger Aussenseiterm so gäbe es vermutlich diesen Thread nicht, wo manchem die blanke Angst vor dieser Entwicklung anzumerken ist, und die meinen man müsse etrrwas tun um sie zu verhindern. Egal wie ich persönlich dazu stehe - diese Entwicklung wird nicht aufzuhalten sein, weil hinter ihr ein gewaltiger gesellschaftliche Rückstau steht, den ich nicht näher erläutern möchte, weil er die Grenzen der Themen in einem Klassikforum sprengen würde.
    Ich verbreite hier also kein "Wunschdenken" meinerseits (wenngleich ich natürlich eine persönliche Meinung habe) sondern lediglich eine Prognose - auf lange Sicht.
    Künstler werden in Zukunft (wie in früherer Vergangenheit)versuchen müssen den Auftraggebern und dem Publikum zu gefallen, wenn sie "Überleben" wollen - soweit mein Credo.
    Der "Hannover Initiative gegen das Regietheater" werden weitere folgen und mittelfristig den gesamten deutschen Sprachraum - und vielleicht auch darüber hinaus - überfluten...


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Es ist ein interessantes, zugleich trauriges Phänomen, dass viele Menschen mit Freiheit und Vielfalt nicht umgehen können. Sie wollen, dass das was sie lieben oder ablehnen, alle teilen. Dass jemand eine andere Meinung oder einen anderen Geschmack hat als sie, finden sie nicht nur unverständlich, sondern bedrohlich.


    Es ist aus meiner Sicht doch eine der größten Errungenschaften der Neuzeit die Erkenntnis, dass sich der Staat aus der Wirkungssphäre des Individuums so weit wie möglich herauszuhalten hat - ich bin da bei Thoreau, nicht bei Stalin. Ein Rückfall in Zustände wie in den dreißiger Jahren, wo Kunst in staatstragend und entartet unterteilt wird, ist unbedingt zu bekämpfen. Als Beitrag dagegen sehe und begrüße ich auch Holgers Analyse.


    Mit dem Regietheater geht es mir so wie Voltaire mit der Meinungsfreiheit: Ich lehne es oft ab, weil es sich in seinen eigenen Konventionen erschöpft und sich zum Teil in einem linken Spießertum totläuft, welches sich für mich genauso deprimierend inszeniert wie sein rechtes Pendant - aber ich begrüße es, dass wir in einer Gesellschaft leben, wo die Vielfalt der Ansätze möglich ist. Auch wenn mir die Pflege der traditionellen Ansätze zugegebenermassen derzeit für eine echte Vielfalt zu kurz kommt, führt der Weg zu einem Ausgleich für mich nicht über Verbote, sondern demokratietypisch über das Organisieren von Mehrheiten.


    Wer wissen will, wie sich das Gegenteil von Vielfalt anfühlt, möge doch gerne eine Studiosusreise nach Nordkorea machen. Das Problem mit dem Menschen ist, dass er oft vergisst, was er am einmal Errungenen hat, kurz: Aus Geschichte nichts lernt.


    Zitat

    Dem Herrlichsten, was auch der Geist empfangen,
    Drängt immer fremd und fremder Stoff sich an;
    Wenn wir zum Guten dieser Welt gelangen,
    Dann heißt das Beßre Trug und Wahn.
    Die uns das Leben gaben, herrliche Gefühle
    Erstarren in dem irdischen Gewühle.


    Momentan gibt es Tendenzen, die uns dazu bringen sollen, dass wir geschichtlich wieder hinter einmal errungene Erkenntnisse und ihre Umsetzungen zurückfallen. Wer die Demokratie und ihre Prinzipien für überholt hält, möchte wohl ausprobieren, wie es sich mit Totalitarismus anfühlt. Dafür gibt es allerdings in der Geschichte mehr als genügend Lektionen...

    "...man darf also gespannt sein, ob eines Tages das Selbstmordattentat eines fanatischen Bruckner-Hörers seinem Wirken ein Ende setzen wird."



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  • Lieber hasiewicz,


    vielen Dank für Deinen ausgewogenen Beitrag, den ich in jeder Hinsicht unterschreiben kann !


    Besser kann man es gar nicht sagen.


    Gruß
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)


  • Auch ich habe Hasiewicz´ Beitrag mit großer Freude heute morgen gelesen!


    Das leuchtende Vorbild für einen wirklich wahrhaftigen Konservativen ist für mich der inzwischen 80jährige Norbert Blüm (CDU, ehemaliger Arbeitsminister unter Helmut Kohl) - gestern war er bei RTL. Alles, was er kritisch zu Europa sagt, spricht mir aus der Seele. Das waren noch Politiker, die man wirklich besten Gewissens wählen konnte.


    Ein wirklich treffender (und trauriger!) Satz von ihm: Europas Grenzen sind weiterhin offen für Waren, aber nicht für Hilfe suchende Menschen:


    https://snacktv.de/videos/norb…lingen-in-idomeni/1620576


    Herzlich grüßend
    Holger

  • Das waren noch Politiker, die man wirklich besten Gewissens wählen konnte.


    Na ja, wenn ich da an seinen mantra-artig wiederholten Satz "Die Renten sind sicher" denke, sehe ich das etwas anders.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Lieber Christian,


    auch von meiner Seite Dank für Deinen Beitrag!
    Retourkutsche: solche Beiträge lassen mir Tamino Heimat sein für 2016.
    Danke.


    Unterschwellig grinsend: wie schön, man würde so mit Hammerflügeln umgehen....aber das nur des Spaßes wegen.


    Ganz herzliche Grüße,
    Mike


  • Na ja, wenn ich da an seinen mantra-artig wiederholten Satz "Die Renten sind sicher" denke, sehe ich das etwas anders.


    Ja, da lag er voll daneben (und ich habe Kohl auch nie gewählt :D ), er hatte einfach die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Aber das sehe ich Blüm gerne nach, denn als Politiker war er immer ehrlich, er sagte das, woran er wirklich glaubte. Heute dagegen haben überall die "Strategen" das Sagen - wie in dieser unsäglichen, hochpeinlichen SPD-Aktion 2 Wochen vor der Wahl, wo sie glaubten, eine populistische Neiddebatte anzetteln zu müssen. Ich muß nicht sagen, was ich von Gabriel halte. ;) Bei Willy Brandt oder Helmut Schmidt wäre so etwas absolut undenkbar gewesen. :hello:

  • Die Sache mit Blüm ist doch ein wenig anders. Sein Satz stimmte immer und stimmt heute noch, wenn man die alte Rentenformel beibehält, die besagt, dass die gegenwärtige Generation die vorige alimentiert. Dann sind die Renten sicher; die Schweiz macht es so. Es war die Regierung Schröder und Fischer und nicht Blüm, die dieses erfolgreiche Modell abgeschafft haben und die privatfinanzierte Riesterrente eingeführt haben, unter mithilfe von so großartigen lupenreinen Demokraten wie Maschmeyer (Freund Schröders) und Riester. Die Idee war, den Versicherungskonzernen Milliarden zuzuschanzen. Das ging Blüm, der ein wahrer katholischer Arbeiterpolitiker war, sehr gegen den Strich.
    Vor Jahren ist Blüm noch einmal in der "Anstalt" (bei Priol) aufgetreten und wurde zu Recht begeistert gefeiert.
    Es tut mir leid, dass es jetzt doch ein wenig politisch wird, aber ich möchte meine Ikone Blüm nicht zu Unrecht demoliert sehen.

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Die Sache mit Blüm ist doch ein wenig anders. Sein Satz stimmte immer und stimmt heute noch, wenn man die alte Rentenformel beibehält, die besagt, dass die gegenwärtige Generation die vorige alimentiert. Dann sind die Renten sicher; die Schweiz macht es so.


    Nur funktioniert dies leider nicht mehr in Zeiten, in denen sich die Altersstruktur unserer Bevölkerung immer weiter verändert, Stichwort demographische Entwicklung: immer weniger Junge sollen immer mehr Alte alimentieren. Darum hat die Regierung Kohl mit Sozialminister Blüm damals ja auch die Rentenreform mit dem sogenannten demographischen Faktor und einer Absenkung des Rentenniveaus von 70 auf 64 Prozent beschlossen. Ich weiß nicht, wie alt Du bist. Wenn Du jetzt schon Deine Rente beziehst, hast Du Glück gehabt. Ich werde dann, wenn es soweit ist, noch allen Grund haben, Herrn Blüm wegen dieses Satzes zu verfluchen.


    Die Schweiz hat übrigens ein 3-Säulen-Modell aus allgemeiner Rentenversicherung, betrieblicher Altersversorgung und privater Vorsorge.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Zunächst einmal ist es m. E. durchaus zu begrüßen, wenn sich Initiativen bilden, die wieder vermehrt traditionelle Inszenierungen auf den Bühnen zum Ziele haben. Das eklatante Ungleichgewicht zwischen traditionellen und modernen Inszenierungen wird wohl niemand ernsthaft in Frage stellen.


    Wenn dies allerdings ins Fahrwasser einer gewissen (extremen) politischen Richtung abzugleiten droht, dann schadet das der Grundidee, läuft man als Unterstützer konservativer Inszenierungen dann doch Gefahr, als Anhänger von AfD und Pegida abgestempelt zu werden, selbst wenn man damit nicht das Geringste am Hute hat.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Man darf allerding nicht vergessen, daß die immer wieder negativ zitierten Gruppen Pegida und Afd, beachtliche Zugewinne an Akzeptanz gewinnen und schon lange keine extreme Minderheit mehr darstellen, sie sind schon derzeit ein nicht unerheblicher Teil der (deutschen) Gesellschaft.


    Aber darum geht es HIER eigentlich nicht.


    Zitat

    Es ist ein interessantes, zugleich trauriges Phänomen, dass viele Menschen mit Freiheit und Vielfalt nicht umgehen können. Sie wollen, dass das was sie lieben oder ablehnen, alle teilen. Dass jemand eine andere Meinung oder einen anderen Geschmack hat als sie, finden sie nicht nur unverständlich, sondern bedrohlich.


    Sollte ich hier angesprochen sein, dann möchte ich das korrigieren.


    Ich möchte in der Regel, das was ich liebe oder ablehne mit niemandem teilen - Im Gegenteil. Ich möchte, daß Klassische Musik und Oper in gewisser Hinsicht ELITÄR bleibt, vor allem aber daß nur solche Leute Zugang finden, welche die Werke unverändert akzeptieren. Wenn sie dies nämlich NICHT tun, dann verändern sie nämlich die Klassikszene so drastisch, daß dies Auswirkung auf MEIN Leben hat. Und spätestens von da an hört sich bei mir der Spaß auf.


    Beim Regietheater hat sich das so ausgeprägt entwickelt, daß "ordentliche" Inszenierungen geradezu von den Spielplänen verschwunden sind, was viele als Minderung ihrer Lebensqualität gesehen haben. Ihr Protest wurde unterdrückt, bzw lächerlich gemacht - und man hat es als selbstverständlich betrachtet, daß der Vulkam erloschen sei. Nun raucht er aber plötzlich und sein Grollen ist unüberhörbar. Viele wollen gar nicht glauben daß das überhaupt möglich ist, aber der Vulkan wird bald Lava und Rauch in Unmengen ausstoßen und wird alles unter sich begraben was sich ihm in den Weg stellt.
    Zugegeben - der Vergleich ist ein wenig melodramatisch - aber zugleich doch auch zutreffend, wie die Zukunft zeigen wird (egal ob uns das dann angenehm oder weniger angenehm sein wird)


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Ich möchte in der Regel, das was ich liebe oder ablehne mit niemandem teilen - Im Gegenteil. Ich möchte, daß Klassische Musik und Oper in gewisser Hinsicht ELITÄR bleibt, vor allem aber daß nur solche Leute Zugang finden, welche die Werke unverändert akzeptieren. Wenn sie dies nämlich NICHT tun, dann verändern sie nämlich die Klassikszene so drastisch, daß dies Auswirkung auf MEIN Leben hat. Und spätestens von da an hört sich bei mir der Spaß auf.

    Da weiß ich nun nicht so recht, was soll es bedeuten, lieber Alfred. ?( Ich mache das Problem mal deutlich an einem zugegeben etwas drastisch übertreibenden Vergleich: Wenn demokratisch beschlossen wird, dass Flüchtlinge in ein Flüchtlingsheim oder in eine Turnhalle ziehen, dann hat das "Auswirkungen" auf das "Leben" jedes Einwohners in der Umgebung. Dann gibt es zwei Möglichkeiten:


    a) Entweder man akzeptiert diese Auswirkungen auf das Leben, auch wenn z.B. der Sportunterricht für Kinder ausfällt, oder


    b) man verhindert, dass "solche Leute Zugang" zu solchen Flüchtlingsunterkünften finden, weil man unter keinen Umständen solche Auswirkungen auf das eigene Leben akzeptiert. Dann aber brennen u.U. die Flüchtlingsheime.


    Wenn offenbar nur a) akzeptabel ist für uns Demokraten, was heißt das also für das RT-Theater, individueller Spaß hin oder her? Genau das wollte Hasiewicz mit seinem Beitrag doch sagen.


    Und noch eine Anmerkung zum Thema "Eliten". Wer an der Met oder an der Mailänder Scala singt, oder in der Carnegie Hall auftritt oder bei Olympia teilnimmt, gehört tatsächlich zu einer Elite. Es gibt aber auch die (höchst problematischen) selbstdefinierten Eliten wie z.B. Scientology. Um welche Art von "Elite" und Elitedefinition geht es also hier? :hello:


    Schöne Grüße
    Holger

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