Eine Panne hat mich zurückgeworfen:
Ich wollte meine detaillierte Antwort auf Willis nächtlichen Einwurf absenden - und weg war er, im Orkus. Deshalb jetzt aus dem Gedächtnis eine Neufassung.
Es liegt mir fern, irgendein Denkmal zu demontieren - schon gar nicht das des Schöpfers der Eroica und der Fünften - und des wunderbaren Concertato "O Gott, welch ein Augenblick!", wo die Handlung stillsteht und das ganze Haus vier Minuten lang die Luft anhält! Aber mich hat auch mein Lebenlang gestört, wie Beethoven davor und danach die Sänger quält mit "Heil! Heil! Heil sei dem Tag!" und "Wer ein sol-ches Weib errun-gen, stimm in un-sern Ju-hu-bel ein!" (Ich habe es oft genug im Chor mitgesungen und kenne es gut!) Des weiteren fiel mir schon damals auf (in Stuttgart, vor 50 Jahren), dass Wieland Wagner nicht ohne Grund die unsäglichen Dialoge radikal entfernt und durch einen Sprecher ersetzt hatte, der dreimal die folgenden Szenen erläuterte - entschieden zum Vorteil des Werkes. Das hat mich für alle Zeiten die (später gehörten) Dialoge ungenießbar gemacht.
Ich habe mich mit meinem Sänger-Freund darüber unterhalten, der den Pizarro u.a. an der MET gesungen hat. Seine Reaktion auf meine Fragen: "Du rennst offene Türen ein, Fidelio ist durch und durch sinfonisch angelegt, das ist im Grunde keine Oper - und schon gar nicht für Stimmen geschrieben. Er wollte eben auch mal eine Oper schreiben, wie fast alle. Und sie musste genau so durch Nacht zum Licht gehen wie die Sinfonien..."
Mozart, Rossini, Donizetti, Bellini haben den Sängern in die Kehle geschrieben. Verdi und sogar Wagner haben die Möglichkeiten der Sänger gut gut gekannt und ausgelotet. Beethoven hat sogar beim Violinkonzert den Solisten angeschnauzt: "Was kümmert mich seine elende Geige?!" Und von Gesang verstand er noch weniger. Dass der Fidelio trotzdem unglaublich bewegende Stellen enthält, bezweifle ich als letzter. Aber das ändert nichts daran, dass das Werk voller Brüche und Schrammen ist.
Verehrung von Genies in allen Ehren. Aber ein so sperriges Meisterwerk als makellos zu sehen, das grenzt schon an Devotion und entspringt dem Wunschdenken. Genießen wir es, wie es ist: als Achterbahn extremer Emotionen - als Beethoven!
Das meint jedenfalls
Sixtus