Bietet ein Streichquartett dem Hörer mehr?

  • Ouups? Hast Du etwas gelöscht? Gerade wollte ich Dir schreiben: "Mach Dir nix draus, der Goethe hat dem Schubert auch das Kuvert ungeöffnet zurückgeschickt..." [oder war das woanders?]


    :hello:


    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Ja, Ulli, ich habe gerade gedacht: Wen interessiert es?


    Dennoch ist es eine nette Antwort von Dir, die die viele Arbeit vergessen lässt :)


    Uwe

    Ich bin ein Konservativer, ich erhalte den Fortschritt. (Arnold Schönberg)

  • A propos Goethe. Er soll den treffenden Satz gesagt haben:


    Ein Streichquartett ist die Konversation von vier intelligenten Menschen (oder so ähnlich).


    Als Laie möchte ich noch anmerken, dass ein aufwühlendes Quartett (z.B. Schuberts d-Moll oder vor allem seines in G-Dur oder einige von Schostakowitsch usw.) sehr wohl auch dem Hörer unter die Haut geht. Wäre dies nicht der Fall, sollten die Interpreten gefälligst im Kämmerlein musizieren, quasi art pour l'art ...


    Ich jedenfalls habe meine aufregendsten Hörerlebnisse mit dem A.Berg-Qu., Guarneri-Qu. und anderen im Konzertsaal erlebt und bin stets beglückt, wenn ich zu Hause eine gute CD in den Player werfe oder im Radio eine wunderbare Konzertübertragung erleben darf.

    Arrestati, sei bello! - (Verweile, Augenblick, du bist so schön!)

  • Nach Jahren habe ich den letzten Beitrag noch einmal genau gelesen. Ja, da stimme ich zu. Wenngleich ich bombastische Orchester- und monströse Opernaufführungen besucht sowie die Musik genossen habe, gehörten die aufwühlendsten Musikerlebnisse eindeutig einigen Streichquartettkonzerten; ganz besonders erinnere ich mich an äußerst emotionale Aufführungen von Beethoven, Bartok und Schostakowitsch.


    Uwe

    Ich bin ein Konservativer, ich erhalte den Fortschritt. (Arnold Schönberg)

  • Diese Frage kann man natürlich nicht allgemein beantworten, aber für mich persönlich ist die Antwort - und das wird hier keinen verwundern - ein eindeutiges Ja. Streichquartette höre ich inzwischen häufiger als jedes andere Genre und mehrere meiner Lieblingswerke sind Streichquartette. Ich habe auch festgestellt, dass ich mir die Streichquartette z.B. von Beethoven sehr oft anhören kann ohne ihrer überdrüssig zu werden. Das gilt für seine Symphonien nicht in dem Maße. Da mag ich einige kaum noch anhören. Und avantgardistische Musik auf dem Klavier oder mit Stimme sind oft ein Graus für mich, nicht aber wenn sie per Quartett dargeboten wird.

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  • Es ist natürlich eine Frage der Erwartungshaltung und des persönlichen Geschmacks, Streichquartette sind von einer Art "spartanischer Schönheit" - oder allgemeiner ausgedrückt, es stehen weniger Mittel zur Verfügung um einen bestimmten Klangeindruck zu erzeugen. Das muß nicht immer ein Nachteil sein, denn der Komponist muß in der Wahl seiner Mittel sparsam sein, bzw sie möglichst effizient einsetzen.
    Im Gegenzug dazu steht, daß man die Komposition nicht "zu Tode orchestrieren" kann.
    Mein Zugang zu Streichquartetten wurde sehr durch ein vor vielen Jahren hier stattgefundenes Weihnachts-Rätsel verbessert. Man musste an Hand eines Soundschnippsels ein bestimmtes Werk erraten. Zu diesem Zweck habe die Tonbeispiele immer wieder gehört und mit anderen verglichen, das führte in manchen Fällen zum sogenannten "Ohrwurm Effekt, Wie dem auch sei, ich habe als die Rätsellösungen verkündet wurden, einige der hier eingesetzten Aufnahmen gekauft.....


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Das Streichquartett ist auch beinahe das einzige Genre, das im 20./21. Jhd. von sehr vielen bedeutenden Komponisten mit anspruchsvollen Werken fortgeführt worden ist, Kammermusik mit Klavier (oder auch Sinfonien) dagegen eher vereinzelt. Schostakowitsch hat nahezu dreimal soviele Quartette komponiert wie restliche Kammermusik zusammengenommen, Bartok ebenfalls mehr Quartette als andere Besetzungen usw.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • „il frutto di una lunga, e laboriosa fattica“, die Frucht einer langen, mühsamen Arbeit schrieb kein Geringerer als Mozart zu einer Serie Streichquartette, die er seinem Vorbild Haydn widmete. Davon zeugen die ausführlichen Skizzen zu diesen Quartetten, die überliefert sind. Der für Mozart ungewöhnlich langwierige Entstehungsprozess lässt erahnen, wie mühsam die kompositorische Arbeit sich für ihn gestaltet hatte. Er wollte seinem Komponistenkollegen sicherlich gefallen und zeigen, was seine Meisterschaft war. Das eingangs erwähnte Zitat ist eine erstaunliche Aussage Mozarts, dem das Komponieren scheinbar leicht von der Hand ging, der ein Werk bereits vollständig in seinem Kopfe hatte und dann zu Papier brachte. Tamino-Mitglied Ulli erwähnt im Thread, dass der junge Mozart das Streichquartett KV 156 am Wirtshaustisch in Bozen niederschrieb.


    Die Frage im Thread ist, ob Streichquartette dem Hörer mehr zu bieten haben als andere Musikgattungen.


    Für die Komponisten aller Epochen nach Haydn und Boccherini, den beiden Gründervätern der Gattung Streichquartett, trifft dies sicher zu. Die Beschränkung auf vier Stimmen ist für sie die Herausforderung.


    Und ich denke, für uns Hörer, die sich mit Streichquartetten auseinandersetzen, ist diese Musikgattung eine Bereicherung. Ich habe mein erstes Streichquartett aus Neugierde gehört. Es waren diejenigen von Peter Tschaikowsky in einer Aufnahme mit dem Carmina Quartett. Auf die besondere Klanglichkeit muss man sich einlassen. Das Gehör wird geschult, wenn man die Stimmen verfolgen will. Die nächste Herausforderung in meiner Musiksammlung waren die Streichquartette Beethovens in den Interpretationen des Alban Berg Quartettes. Es gab Boxen aus frühen, mittleren und späten Schaffensperioden. Ich musste mich lange bemühen, diese Musik zu verstehen. Hilfreich waren Taschenpartituren, mit deren Hilfe ich die Stimmen verfolgen konnte. Das Partiturlesen habe ich mit dieser Musik gelernt. Die Anstrengung hat sich gelohnt. Die Streichquartette Haydns in der Gesamtaufnahme mit dem Keller-Quartett, Mozarts in der Gesamtaufnahme mit dem Hagen-Quartett und Schuberts in der Gesamtaufnahme mit dem Melos-Quartett folgten. Inzwischen sind es hunderte Werke der Streichquartett-Literatur, die in meiner Sammlung stehen.


    Für die ausführenden Musiker der 1. und 2. Violine, Bratsche und Cello sind Streichquartette eine Herausforderung. Fragen der Klanglichkeit, Zusammenspiel der Stimmen, Balance müssen geklärt werden. Es erstaunt mich, wie viele Ensemble junger Musiker es inzwischen gibt. Das ist wohl auch dem heutigen Musikbetrieb geschuldet, denn nicht jeder Streicher, ist er oder sie noch so begabt, findet eine Anstellung.

    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • Das ehemalige Tamino Mitglied Ulli hat Mozarts Streichquartett KV 156 erwähnt. Ein Beispiel eines Streichquartettes, das ihm leicht aus der Feder floss.


    Es spielen: Violini: Marco Ferri, Michele Poccecai; Viola: Francoise Renard; Violoncello: Enrico Ferri.


    So tönt es:




    Mozarts Streichquartett KV 464 als Beispiel aus den sechs Haydn gewidmeten Quartetten zeigt, was "eine Frucht einer mühseligen Arbeit" ist. Es spielt das Hagen-Quartett.


    .

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  • Ein Haufen streitbarer Thesen: :)


    Das Streichquartett besteht aus vier gleichartig klingenden Instrumenten in drei Stimmlagen. Da sind naturgegeben die Mittel beschränkt und das Ganze bietet sich an als Experimentierlandschaft. Warum hat nun das Streichtrio nicht die Funktion übernommen? Das Streichtrio, das ich auch sehr mag, das aber nicht einmal annähernd die Beliebtheit mit dem Streichquartett teilt, scheint dann schon die Mittel zu sehr zu beschränken und den Dialog eventuell zu intelligent zu gestalten :P


    Die Kammermusik mit Klavier scheint mir stärker dem Unterhaltungssektor anzugehören. Bei Haydn, der es genial verstand, Unterhaltung mit Experiment zu vermischen, fällt das vielleicht noch nicht so auf, bei Beethoven verschwindet die Kammermusik mit Klavier aus dem Spätwerk. Unterhaltungsmusik ist im zwanzigsten Jahrhundert völlig anders definiert. In den sogenannten gutbürgerlichen Häusern (in meiner Jugend gab es sowas noch!), zu denen mein eigenes übrigens nicht gehört(e), stand immer ein Klavier (Flügel) zur Verfügung, so dass also das Klaviertrio/quartett dann Grundlage familiären Musizierens wurde. Das scheint aber nichts mehr zu sein, was Komponisten im 20.Jahrhundert noch bewegte.


    IMO interessant finde ich, dass die Kammermusik mit Klavier bei Schumann und Brahms zu meinen gerne gehörten Werken gehört, während ich mich bei den Streichquartetten wirklich anstrengen muss.


    Das Hause Mendelssohn hatte ein so hohes intellektuell musikalisches Niveau, dass Mendelssohn, als er seelisch betroffen war, eines der ergreifendsten Streichquartette überhaupt schrieb ...



    Langer Worte kurzer Sinn: Ja, das Streichquartett bietet gerade bei den jüngeren Komponisten mehr, weil neue musikalische Strukturen da einfacher hörbar gemacht werden als in orchetsraler Musik.....

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  • Man kann das ganze aber auch von der praktischen Seite her sehen, was indirekt bereits geschehen ist, indem astewes bereits darauf hingewiesen hat, daß das Streichtrio weniger verbreitet war und ist, als das Streichquartett.

    Das Streichquartett dürft auch aus ökonomisch - mathematischer Sicht ein Idealfall zu sein.

    Es ist von den Möglichkeiten her ausdrucksstärker als ein Duo oder Trio (man bedenke, daß in der Computertechnik die Möglichkeiten mit jedem Bit verdoppelt werden, auch in einem Diskussionsforum steigt die Vieilfalt der Möglichkeiten mit jedem Nutzer. Man könnt sich folgerichtig also die Frage stellen,weshalb, wenn man diese Sichtweise akzeptiert, nicht das Streichquintett viel beliebter sei.

    Vermutlich ist es eine Frage des Kompromisses: Mit jedem zusätzlichen benötigten Spieler wird es schwerer ein aufeinander eingespieltes Ensemble zusammenzustellen, vor allem im Amateurbereich, wo man auf den Familien- und Freundeskreis angewiesen war.

    Schon im 18. Jahrhundert hörte man Klagen, wie schwierig es denn sei VIER Teilnehmer zu finden.

    Mit jedem weiteren steigen die Imponderabilitäten.

    In der heutigen Zeit finden sich auf viel Musikstudenten zu solch einem Ensemble zusammen, weil man sich nach abgeschlossenem Studium besser profilieren kann als in einem Orchester (so man dort überhaupt einen Platz findet) und weil es leichter ist, als wenn man eine Solistenkarriere anstrebte.

    Die Plattenkonzerene haben die Vorteile eines Streichquartetts ebenfalls erkannt: Für eine CD mit ein oder 2 Streichquartette drauf, kann man den gleichen Verkaufspreis erzielen, als beispielsweise mit einer , wo eine Mahler-Sinfonie drauf ist, oder ein Klavierkonzert, oder......

    Dazu kommt, dass Streichqiartette - vor allem auch solche aus dem 20. Jahrhundert - wesentlich mehr Ausdrucksmöglichkeiten bieten, als man gemeinhin annehmen würde....


    mfg aus Wien

    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Als das Streichquartett Mitte des 18. Jhds. entstand, war das Tasteninstrument zwar verbreitet, aber eben meist entweder solo oder eher untergeordnetes Begleitinstrument. Die barocke Triosonate hatte ja normalerweise zwei Stimmen in Sopranlage + Bass, der dann eben vom Tasteninstrument ggf. mit Mittelstimmen gefüllt wurde. Von Haydn und Zeitgenossen gibt es auch noch Streichtrios mit zwei Violinen + Bass (Cello). Das auch schon vereinzelt vorkommende Streichtrio Vl, Va., Vc. wäre dem Geschmack vielleicht zu mittel/basslastig erschienen.


    Es könnte aber auch ein wenig Zufall sein, dass sich das Streichquartett durchgesetzt hat. Boccherini schrieb noch ähnlich viele Quintette, ebenso Spohr und Onslow noch nach Beethovens Zeit, auch Michael Haydn komponierte anscheinend hauptsächlich Quintette.

    Nun braucht man fürs Quintett eben noch einen weiteren Musiker, dazu war es eben nicht einheitlich; außer der zuerst häufigsten Form mit zwei Bratschen gab es auch welche mit zwei Celli (wie Schuberts) und sogar drei Violinen (vermutlich dann wie konzertante Violine + Quartett).


    Außerdem vermute ich, dass ungeachtet der noch recht zahlreichen Quintette bis zum Beginn des 19. Jhds. die Wucht der Quartette Boccherinis, Haydn, Mozarts und Beethovens einfach den Ausschlag gegeben hat, dass es die Standardgattung und das Quintett zur Ausnahme wurde.

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  • Die barocke Triosonate hatte ja normalerweise zwei Stimmen in Sopranlage + Bass, der dann eben vom Tasteninstrument ggf. mit Mittelstimmen gefüllt wurde

    Das könnte eine Erklärung für die zwei Violinen im Streichquartett sein.


    Es könnte aber auch ein wenig Zufall sein, dass sich das Streichquartett durchgesetzt hat. Boccherini schrieb noch ähnlich viele Quintette, ebenso Spohr und Onslow noch nach Beethovens Zeit, auch Michael Haydn komponierte anscheinend hauptsächlich Quintette.

    Von Joseph Haydn meine ich mal gelesen zu haben, dass er für die zweite Viola keine Verwendunge gefunden habe. Mozart hat das ja irgendwie ziemlich gut hingekriegt :).


    Es scheint dann doch so eine Mischung aus historisch Gewachsenem, Ehrfurcht vor den Meistern Haydn und Beethoven und letztendlich ein Tribut an Praktikabilität zu sein.