Das Hammerklavier - ein klanglicher Irrtum?

  • Und seltsamerweise klingen fast alle neueren Aufnahmen mit Hammerflügeln (meist deutlich) besser als Demus, Badura-Skoda in den 70ern oder eben Serkin 1986. Und zwar nicht "irgendwie besser", sondern meistens eindeutig in Richtung der Stärken modernerer Instrumente: gleichmäßiger über die Register, klangstärker, "runder", weniger klapprig.


    So seltsam ist das nicht, denn es wird in historischer Hinsicht schlicht gepfuscht (und das gerne verschwiegen) beim Nachbau von Hammerflügeln. Das sind nämlich alles Nachbauten mit einer modernen Besaitung. Mit einer "historischen" wäre eine Gesamteinspielung aller Beethoven-Sonaten gar nicht möglich, die Instrumente wären statt dessen pausenlos in Reparatur! Von wegen Originalklang! :D :hello:

  • Zitat von Johannes Roehl

    Mich würden jedenfalls konkrete Beispiele für Passagen, die angeblich auf einem historischen Instrument klar besser herauskommen, interessieren.

    In der Darstellung der “Struktur” kann es kaum Unterschiede geben, wenn hier nicht nach Transparenz bei Kammermusik gefragt ist. Der von Holger Kaletha angesprochene klangmalerische Sinn manifestiert sich – um ein möglichst populäres Beispiel zu wählen – etwa im Kopfsatz der Mondscheinsonate, wo der Dämpfer b.z.w. Moderator Effekte erzielt, der auf einem modernen Flügel nicht reproduzierbar sind.



    Zitat von Dr. Holger Kaletha

    Es wird in historischer Hinsicht schlicht gepfuscht (und das gerne verschwiegen) beim Nachbau von Hammerflügeln. Das sind nämlich alles Nachbauten mit einer modernen Besaitung. Mit einer "historischen" wäre eine Gesamteinspielung aller Beethoven-Sonaten gar nicht möglich, die Instrumente wären statt dessen pausenlos in Reparatur! Von wegen Originalklang!

    Bedeutet “moderne Besaitung” kreuzsaitig? Das war m.W. bei den in der claves-GA genutzten Instrumenten nicht der Fall. Im übrigen sehe ich in der Einführung dieses Prinzips, das nicht erst auf Heinrich Steinweg zurückgeht, kaum den Punkt, der zu einer taxonomischen Umdefinition Anlass gäbe. (Sollte nicht zwischen Nachbau und Rekonstruktion unterschieden werden?)



    Zitat von Glockenton

    Im Übrigen möchte ich noch darauf hinweisen, dass es ja auch andere hervorragende Flügel in unserer Zeit gibt: Bechstein, Bösendorfer, Kawai, Yamaha, Blüthner, Fazioli ..... Irgendwie ist es ungerecht, wenn in der Hammerklavier-Diskussion immer "der moderne Steinway" seine Kritikportion abbekommt.

    Mit der monopolänlichen Stellung, die Steinway in manchen Bereichen erziehlen könnte, geht offenbar eine gewisse Ermüdung der Hörer ob der daraus resultierenden Uniformität einher. Insofern handelt es sich um eine naheliegende Zielscheibe. Darüber besteht offenbar halbwegs Einigkeit: Hammerklaviere verschiedener Hersteller, ob Original, Kopie oder Neuschöpfung, wirken daher bereichernd, ähnlich wie Bechstein, Bösendorffer etc. in alten oder neuen Ausführungen?



    Zitat von Bertarido

    Bei Mozart finde ich den Klang des Hammerklaviers passend, er verschmilzt stärker mit dem Orchester und hört sich – ganz subjektiv empfunden – irgendwie „richtig“ an.

    Zitat von Dieter Stockert

    Mir fällt nur auf, dass beispielsweise bei Schubert- oder Haydn-Klaviertrios die Balance zwischen den Instrumenten besser ist, weil da das Fortepiano auch mal so richtig loslegen kann, wenn es die Partitur vorschriebt, ohne dass dabei die Streicher zugedeckt würden, wie das bei einem modernen Flügel der Fall wäre.

    Zitat von Dr Holger Kaletha

    Das kann ich gut nachvollziehen. Man kann aber zu einem ähnlichen Ergebnis kommen, wenn man einfach einen kleineren modernen Flügel nimmt - nicht einen Steinway D sondern Steinway B z.B.

    Beim Spielen von Kammermusik der Wiener Klassik zöge ich einen Hammerflügel einem Steinway auch aus kleinerer Baureihe vor. Noch entschiedener als Liedbegleiter oder Liedsänger! Der relevanteste unter mehreren Faktoren sind dabei die möglichen Obertonmischungen, welche nun einmal eigenen Gesetzen unterliegen. Sanglichkeit ist dabei auch eine Frage der Klangvaleurs, nicht des dichtestmöglichen Legatissimos. Neben den subtilen Klangfarbenverschmelzungen (interessanterweise gerade bei “Diskantstimmen”) ist auch der “dynamische Meridian” von Belang:



    Zitat von Dieter Stockert

    Hatte ein Komponist dieser Zeit beim pianissimo ein Ideal im Kopf oder hat er einfach das mit dem vorhandenen Instrument mögliche pianissimo gemeint?

    Eine derartige dynamische Vorschrift ist – zumal bei einem Soloinstrument – relativ. Selbstverständlich sind die Abstufungen zwischen mf, p und pp auch auf einem Hammerklavier realisierbar. (Übrigens empfand ich Hammerflügel, aber auch historische Steinways bis hin zu einem relativ modernen "O" von ca. 1925 als grundsätzlich leichtgängiger im Vergleich zu rezenten Modellen)


    Letztlich ist doch die Fähigkeit des Instrument, mit einem Ensemble klanglich verschmelzen zu können, nicht geringer zu schätzen als die Fähigkeit, ein Orchester zu übertönen. Das eine ästhetische Ideal geht vom aus dem Continuo hervorgegangenen concertierenden Instrument aus, das andere wünscht einen möglichst potenten Duellanten …



    Zitat von Dr. Holger Kaletha

    [...]Aufnahme nur des Trauermarsches auf einem Pleyel-Flügel von 1831 [..]. Der Eindruck: Hier dominiert eindeutig der Bass, während wir uns heute an den Steinway-Klang gewöhnt haben mit seinem blühend-obertonreichen Diskant und dadurch sehr durchsichtigen und dynamischen Klang mit eher schlankem Bassbereich. Das Instrument bringt eine dunkel-düstere Klangfarbe mit sich. Die Stärke des Instruments ist eindeutig der tonmalerische Ausdruck. Will man diesen Klang auf dem modernen Konzertflügel nachahmen, dann muss man wie es noch Alfred Cortot praktizierte zu uns heute altmodisch vorkommenden Bass-Oktavierungen greifen.

    Offenbar geht es in der Tat um Vorprägungen, mitunter auch kurzfristiger Art. Komme ich vom Steinway zum Hammerklavier, kann der Diskant etwas asketisch wirken, komme ich vom Hammerklavier, der Orgel oder manchen Cembali zurück zum modernen Flügel, wirkt der Bass eher unterbelichtet (und obertonarm). Das Hammerklavier ist letztlich noch ein Kind des Barock, wo der Klang in der Regel vom Bassfundament heraus aufgebaut wird. Ist ein Steinway objektiv tatsächlich so ausgeglichen, wie gemeinhin geglaubt wird, oder resultiert auch dieses Urteil aus den Grenzen unserer Perspektive?


    Vielleicht stellen ein Hammerklavier von 1805 und ein Konzertflügel von 2005 jeweils Extrempositionen dar. Pauschal betrachtet erscheint Harnoncourts Nullsummentheorie nicht unplausibel:


    Zitat von Dr. Holger Kaletha

    Der schöne, farbige Klang z.B. eines Graf-Hammerklaviers stellt die Frage: Ist die "Optimierung" des Klavier-Instrumentenbaus nicht allzu sehr in eine eindimensionale Richtung gelaufen was immer durchsetzungsfähigere, "hellere" und brilliante Instrumente angeht? Sollte man solche klanglich vorteilhaften Eigenschaften der alten Instrumente beim modernen Instrumentenbau nicht wieder stärker berücksichtigen?

    Zitat von Dr. Holger Kaletha

    Die Satztechnik ist eine Frage des musikalischen Sinnes und nicht nur die einer Klangvorstellung.

    Nun ist die Satztechnik – wie bereits angedeutet – aber auch eine Frage von Klangvorstellungen, daher lässt sich etwa Literatur für bestimmte nicht-anschlagsdynamische Tasteninstrumente (wo die Dynamik u.a. über die Satzdichte reguliert wird) auch nicht ohne weiteres aufs moderne Klavier übertragen. Eine Sinnentstellung homophoner Passagen durch Realisierung mittels eines Hammerklavier vermochte ich übrigens noch nicht wahrzunehmen.



    Zitat von Dr. Holger Kaletha

    Mir geht es zudem wie Glockenton: Der Hammerflügel klingt immer irgendwie nach dumpfem "Holz", erst beim modernen Flügel gibt es einen entmaterialisierten "reinen Ton", der dem einer Geige oder einer Klarinette vergleichbar und ebenbürtig ist. Das ist seine nicht relativierbare ästhetische Qualität.

    Leider wartet man bei einem modernen, gleichschwebend temperierten Klavier vollkommen vergeblich auf einen “reinen Ton” ... :stumm:
    Nebenbei gesagt hoffe ich stets, das Holz einer Geige, eines Klaviers oder einer Klarinette hören zu können - andernfalls müsste ich mir Taubheit attestieren (wie Glockenton bereits schrieb, verleiht gerade die Holzstruktur auch baugleichen Flügeln eine gewisse Individualität).
    Auf den letzten zitierten Satz vermag ich momentan nicht einzugehen, da ich bedauerlicherweise meine Kathedra (hoffentlich nicht unauffindbar) verlegt/-stellt habe.
    ;)

  • Die Balance-Thesen werden leider fast immer nur vollmundig als angeblich offensichtlich behauptet und ich habe so gut wie nie ein konkretes Beispiel bekommen. (Und negative Beispiele auf modernen Instrumenten - "the balances are all wrong, I can still hear the 'cello" (Heifetz bei einer Trioaufnahme) - zählen nicht.)
    Dass dagegen die Balance schon bei den größer besetzten Mozartkonzerten (wie KV 482 und 491) selbst bei Studioaufnahmen (bei denen ich im Zweifel unterstelle, dass "nachgeholfen" worden sein könnte) ein Problem zum Nachteil historischer Instrumente ist, hört m.E. jeder Laie nahezu sofort...
    Und bitte nicht schon wieder das "Argument", der Solist sei damals eben ins Ensemble eingebunden gewesen (im Ggs. zum flachen Virtuosenkonzert des 19. Jhds. sozusagen dem ersten Schritt beim Nuancenverlust und Kulturverfall, der heute beim Smartphone angekommen ist :D). Natürlich war er das, aber er sollte eben auch als Solist brillieren, nicht als Hintergrundgeklimper... und wenn er permanent mindestens forte spielen muss, um ggü. dem Orchester überhaupt gehört zu werden, ist das gerade keine gute Voraussetzung für Nuancen.


    Mir fällt gerade nicht ein, was es war, aber ich meine, ich hätte sogar eine Aufnahme mit Klavierquintetten oder -quartetten, bei denen mir das Hammerklavier gegen eine Handvoll historischer Streicher zu schwachbrüstig vorkam. Klar, aufgrund des perkussiveren, oft "schärferen" Klangs dringt es meistens schon irgendwie durch. Aber bessere Balance, gar per se durch Verwendung entsprechender Instrumente? Höre ich nicht so, das ist nicht ein Fall wie das 2. Brandenburgische, bei der ich klar zustimme, dass die Kombination Violine, Oboe, Blockflöte, Trompete nur mit histor. Instrumenten funktionieren kann.


    Wegen solchen Sätzen wie dem ersten von op.27/2 kaufe ich ja die Aufnahmen auf alten Instrumenten. Leider konnte ich die Effekte weder auf Immerseels (schon lange wieder abgestoßen) noch auf Brautigams Einspielung deutlich wahrnehmen. Die (auch klanglich) interessanteste Mondscheinsonate seit Schnabel ist für mich Schiffs...
    (Ich will freilich nicht ganz ausschließen, dass das auch an uninteressanten Interpreten liegen mag :untertauch: )


    Wie gesagt, ich habe das Zeug (fast) alles im Regal, bin alles andere als ein "Feind" historischer Aufführungspraxis. Ich bevorzuge bei Musik bis ca. 1800 meistens Einspielungen mit historischen Instrumenten, schätze sie bei späterer Musik zumindest als interessante Alternative. Aber die Argumente, dass die entsprechende Musik damit "besser" darzustellen sei, kann ich gerade beim Hammerflügel und insbesondere bei Musik nach 1800 anhand der klanglichen Ergebnisse normalerweise nicht nachvollziehen.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zitat von »zweiterbass« Die Ergebnisse aktueller Musik-Gehirnforschung werden ignoriert.
    Viele Grüße
    zweiterbass

    Lieber zweiterbass,
    Das interessiert mich: Inwiefern?


    Hallo hasiewicz,


    im Thread "Fragen und Antworten der Gehirnforschung, die wir schon immer wissen wollten" wirst Du allgemein fündig; hier im Beitrag Nr. 32 geht es auch ins Detail.


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Darüber besteht offenbar halbwegs Einigkeit: Hammerklaviere verschiedener Hersteller, ob Original, Kopie oder Neuschöpfung, wirken daher bereichernd, ähnlich wie Bechstein, Bösendorffer etc. in alten oder neuen Ausführungen?

    Immer nur unter der Voraussetzung, dass man da etwas hört, dass als wohlklingendes Musikinstrument und nicht etwa als drahtiger Schepperkasten empfunden werden kann, also unter den Vorzeichen eines von historisierenden Vormeinungen unbeeinflussten, am tatsächlichen Klang orientierten Hörens. Die Schwankungen können da bei Hammerklavieren ganz erheblich sein.
    Ich erinnere mich noch leicht an ein Beispiel, das auf Tamino im Zusammenhang mit der Winterreise angesprochen wurde.



    Beim Spielen von Kammermusik der Wiener Klassik zöge ich einen Hammerflügel einem Steinway auch aus kleinerer Baureihe vor. Noch entschiedener als Liedbegleiter oder Liedsänger!

    Dem Teil mit der Kammermusik könnte ich nur zustimmen, wenn auch die anderen Instrumente historischer Bauart sind, also darmbesaitet etc...
    Bei der Liedbegleitung habe ich in Sachen Schubert noch nichts gehört, was mich auch nur halbwegs so überzeugen konnte, wie gute Aufführungen oder Aufnahmen mit dem modernen Flügel. Das Argument mit der Vermischung der Obertöne, dass ja richtigerweise immer für Barockviolinen mit Barockoboen gebracht wird, kann ich für den Fall, dass man eine Stimme und ein Klavier hört, nicht wirklich nachvollziehen.
    Im Gegenteil: sollte der Pianist nicht auch mit seinen Mitteln das Klavier mitsingen lassen? Wenn etwa in der Winterreise wie in einem mehrstimmigen Satz die Bass- oder Altstimmen mit der Gesangsstimme parallel geführt werden, dann ist es doch erstrebenswert, dass am Klavier sozusagen mitgesungen werden kann, was mich zum nächsten Zitat führt:



    Sanglichkeit ist dabei auch eine Frage der Klangvaleurs, nicht des dichtestmöglichen Legatissimos.

    Legatissimo ist eine Artikulationsform, eine überlappende Legato-Spieltechnik. Mit der Frage, ob das Instrument die klanglichen Möglichkeiten hat, bei einem Pianisten, der Kantilenen singend spielen kann auch entsprechend zu singen, wenig zu tun.
    Hier kommt es vor allem darauf an, dass die Sustainphase möglichst lang und klingend sein kann, der Ton also nicht so schnell und kurz abstirbt. Die reichhaltigste Obertonstruktur (wie klingt die denn eigentlich .... metallisch-blechern oder wohltönend voll und rund...?) hilft einem ja nicht, wenn der Ton relativ schnell verklungen ist - dann ist der nämlich weg und man muss bis zum nächsten Anschlag warten.
    Die Kunst des Kantabile ist ja - ich wiederhole mich - aus einer faktischen Reihenfolge von Anschlagsakzenten beim Hörer den Eindruck eines wirklichen Legato-Gesangs zu erwecken, den ja eine Klarinette oder eine Stimme ganz natürlich erzeugt. Und da ist eben ein Instrument mit einer schnell verklingenden Sustain-Phase aus meiner ganz praktischen Sicht im grundsätzlichen Nachteil - Obertöne hin oder her.



    ....komme ich vom Hammerklavier, der Orgel oder manchen Cembali zurück zum modernen Flügel, wirkt der Bass eher unterbelichtet (und obertonarm).

    Die Orgel darf man hier nicht hinzunehmen, denn gegen einen 16` oder gar 32`-Fuß einer großen Orgel verblasst wohl jedes akustische Instrument. Cembalo und Hammerklavier haben eindeutig weniger Bassfülle, dafür aber mehr hinzugemischte Obertöne, die ein polyphones Hören leichter machen. Allerdings ist so ein moderner Flügel in sich von den Registern her durchaus sehr ausgewogen und eben auch - je nach Anschlagsdynamik - sehr variabel, weshalb ich die rhetorische Frage

    Ist ein Steinway objektiv tatsächlich so ausgeglichen, wie gemeinhin geglaubt wird, oder resultiert auch dieses Urteil aus den Grenzen unserer Perspektive?

    im zweiten Teil mit nein beantworte. Nie hatte man in der Musikgeschichte eine derart breite Perspektive, wie wir es von uns behaupten können.



    Pauschal betrachtet erscheint Harnoncourts Nullsummentheorie nicht unplausibel

    Nun ja, Harnoncourts Knödeltheorie bezieht sich auf die Parameter und Aspekte einer Interpretation. Man kann in einer Interpretation nicht wirklich alle Aspekte abdecken. Wenn ich hier etwas hinzugeben, dann wird es an anderer Stelle fehlen. Er bezog sich dabei nicht auf den Klang von Hammerklavieren. Ich kann mich sogar schwach erinnern, dass er in seinem Buch "Musik als Klangrede" das Hammerklaver, bei all seiner scharfen Kritik am modernen Fortschrittsglauben, gegenüber dem Flügel nicht als das vorzuziehende Instrument ansah, weil das moderne Klavier mechanisch und klanglich gegenüber dem eben noch nicht so wie Ruckers-Cembalo ausgereiftem Hammerklavier im Vorteil sei. Das müsste ich aber noch einmal nachlesen. Er hat zwar auch Aufnahmen mit Hammerflügeln gemacht (nicht nur Continuo), aber wirklich überzeugen konnten mich eher seine Mozart-Konzerte mit Gulda und dem modernen Flügel.



    Nun ist die Satztechnik – wie bereits angedeutet – aber auch eine Frage von Klangvorstellungen, daher lässt sich etwa Literatur für bestimmte nicht-anschlagsdynamische Tasteninstrumente (wo die Dynamik u.a. über die Satzdichte reguliert wird) auch nicht ohne weiteres aufs moderne Klavier übertragen.

    Der ersten Aussage kann ich wegen des betonten "auch" zustimmen.
    Ich habe mich aber gerade gefragt, auf welche Musik das zuträfe, und mir fiel das 6-stimmige Ricercar mit seinem grandiosen Schluss aus dem musikalischen Opfer ein, und dann natürlich die Kunst der Fuge, bei der es keine eindeutige instrumentale Zuordnung gibt.
    Klar dürfte sein, dass sowohl ein Hammerklavier oder ein Flügel hier nicht die eigentlichen, barocken Instrumente wären.
    Es fragt sich nur, ob diese schon irgendwie abstrakte, auch etwas tranzendierende und schon zeitlose Musik auf einem zeitlich neutraler klingenden modernen Flügel (von dem man ja auch Jazz und Anderes kennt) in unseren Ohren besser klingt, oder ob es ihr gut täte, wenn man durch den Klang des Hammerklaviers bei jedem Anschlag an historische Zusammenhänge und eventuelle Begrenzungen erinnert wird.
    Wenn man es gut spielt, etwas von Artikulation, Raumklang und Registrierung versteht, dann wäre für mich eh die Orgel das beste Instrument für diese Stücke, aber das ist ja dann ein anderes Thema...


    In meinem Beitrag 25 habe ich auf einen Beitrag von moderato geantwortet und einen Vergleich zwischen zwei hochwertigen Schubert-Einspielungen angeregt (Badura-Skoda / Brendel). Es kann ja nützen, auch einmal am konkreten Beispiel zu diskutieren.
    Hat sich das bei JPC jemand angehört? Die Reaktionen darauf würden mich interessieren. Wenn nein: schade....



    Gruß
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Wie schrieb doch Gerald Moore so schön: "Bin ich zu laut?"
    Für mich interessant, dass stets das Hammerklavier als zu leise wahrgenommen wird, dagegen selten ein Begleitensemble als zu laut.
    Mein Kritikpunkt bei allen Einspielungen der Mozart- oder auch Beethoven- Konzerte mit "alten" Instrumenten.


    Beinahe bin ich versucht, hier einen anderen Thread zu Hilfe zu nehmen, nämlich den der Sozialisation durch Karajan.
    In Bezug auf Claviere scheint das ähnlich zu sein. Woraufhin mich die Frage beschäftigte, woher kommt, dass im Allgemeinen ja nun beinahe alle historischen Instrumente mehr oder weniger gleichberechtigt goutiert werden heutzutage- nur Hammerklaviere eben nicht.


    Immerhin ist es dem Thread hier zu verdanken, dass ich mal wieder einiges an Aufnahmen heraussuchte und hörte.
    Unter anderem die "Mondschein" mit Lubimov und ich dort wiederfand, wovon Gombert schrieb.
    Die "Winterreise" mit Haefliger und Demus und sehr angenehm fand, das Haefliger nicht forcieren muss um in Balance zum Clavier zu stehen.
    Mozarts KV 456 mit Bezuidenhout, Les Arts Florissant unter Jonathan Cohen bei youtube, wobei Cohen hier eben auch so sensibel abgestimmt mehr als nur begleitet, dass das Clavier eben sowohl als Continuoinstrument fungieren kann, als auch als brillierender Solist.


    Und nicht zuletzt dachte ich an, jetzt nicht korrekt zitierte, Sätze des "alten" Bach, der doch 1747 in Berlin Silbermannsche Hammerflügel bespielte und sich nun- nach ersten Kritiken vor allem wegen ihrer Schwergängigkeit - lobend äußerte.
    Woraufhin ich mir das von Glockenton genannte Ricercar auf eben jenem Silbermannschen Flügel wieder anhörte und es dort sehr gut aufgehoben fand. Und fand eben auch wieder, dass ich BWV 1079 eben nicht als transzendentes Werk begreife, sondern als Verbindung des gelehrten Stils und des galanten, wie Friedrich II. ihn ja so schätzte.


    Und ohne darauf rumreiten zu wollen, lieber Glockenton, ich wäre Dir gern gefolgt und hätte anhand eines konkreten Beispiels gern weiterdiskutiert, verbietet sich mir aber zu Schubert, zu Brendel und Badura-Skoda ebenso.
    Einen Gegenvorschlag könnte ich ja unterbreiten: Schuberts Impromptus, meinetwegen auch mit Brendel oder Schiff einerseits, andererseits dann vielleicht doch lieber Lubimov statt Badura- Skoda.


    Was nun die Sozialisation angeht: als ich begann, Musik zu hören, begegneten mir auch zunächst Konwitschny, Masur, Suitner, Böhm, Karajan ..... und endlich, mit 20, erstand ich die "Eroica" mit Szell und fand dort, was ich sonst vermisste.
    Nicht unähnlich dem, was mir in der Klavierliteratur ähnlich widerfuhr, der ich doch mit Gilels und Richter aufwuchs, beide noch immer schätze, aber das, was ich in vielen Werken der Wiener Klassik suchte, sozusagen "im inneren Ohr" hörte, erst annähernd fand mit diversen Hammerflügeln oder auch noch Cembali, letztere besonders bei Haydn und Mozart.


    Einen Schlusssatz zu formulieren, fällt mir schwer und kann nur subjektiv ausfallen. Unser heutiges Instrumentarium war und ist für mich kein absoluter Richtwert der Ästethik. Mir fällt leichter, die jeweilige Musik in Einklang zu bringen mit dem Instrumentarium, das der Komponist zur Verfügung hatte. Oder aber, wie z.B. bei der "Winterreise", Versuchen zu folgen, sie tatsächlich mit heutigen Mitteln zu interpretieren und schätze Zenders "komponierte Interpretation" durchaus sehr.
    Erhebe aber ganz sicher nicht den Anspruch von "so und nicht anders". Ein restaurierter Rembrandt bleibt für mich ein Original, eine Stradivari eine solche, auch wenn sie nicht mit Darmsaiten bespannt ist wie ursprünglich- habe also ziemliche Bauchschmerzen, immer wieder, damit: auf einem Hammerflügel könne man nicht erreichen, was vom Komponisten "gewollt" war.


    Herzliche Grüße,
    Mike


    P.S.: NICHT von meinem i-phone gesendet :D

  • Mit der monopolänlichen Stellung, die Steinway in manchen Bereichen erziehlen könnte, geht offenbar eine gewisse Ermüdung der Hörer ob der daraus resultierenden Uniformität einher. Insofern handelt es sich um eine naheliegende Zielscheibe. Darüber besteht offenbar halbwegs Einigkeit: Hammerklaviere verschiedener Hersteller, ob Original, Kopie oder Neuschöpfung, wirken daher bereichernd, ähnlich wie Bechstein, Bösendorffer etc. in alten oder neuen Ausführungen?

    Dafür gibt es einen doppelten Grund: Vor dem Krieg war Bechstein der meistgespielte Flügel, nach 1945, als die Fabriken in Trümmern lagen, nutzte Steinway die Situation. Der zweite Grund ist ein sachlicher: Der Steinway ist einfach der am universellsten einsetzbare Flügel, auf dem man alles spielen kann - bei einem Blüthner dagegen geht Prokofieff nicht usw. usw. Und er hat das reichhaltigste Obertonspektrum, bei den zwei Okataven, wo es darauf ankommt, ist er halt unschlagbar.



    Eine derartige dynamische Vorschrift ist – zumal bei einem Soloinstrument – relativ. Selbstverständlich sind die Abstufungen zwischen mf, p und pp auch auf einem Hammerklavier realisierbar. (Übrigens empfand ich Hammerflügel, aber auch historische Steinways bis hin zu einem relativ modernen "O" von ca. 1925 als grundsätzlich leichtgängiger im Vergleich zu rezenten Modellen)

    Auf der Flügelmesse war für mich sehr aufschlußreich, dass die Leicht- oder Schwergängigkeit von der Modellgröße abhängt. Die ganz großen Modelle spielen sich meist viel leichter als die mittleren oder kleinen wegen der Hebelgesetze. Das Problem beim pp auf dem Hammerklavier ist einfach, dass der Ton nicht "trägt". Wenn dann eine tragende Melodiestimme kommt, muß der Interpret zwangsläufig mf spielen, damit es nicht zu dünn klingt. Bei Debussy gibt es oft die Bezeichnung pp und darüber en dehors - genau daran scheitert der Hammerflügel.



    Offenbar geht es in der Tat um Vorprägungen, mitunter auch kurzfristiger Art. Komme ich vom Steinway zum Hammerklavier, kann der Diskant etwas asketisch wirken, komme ich vom Hammerklavier, der Orgel oder manchen Cembali zurück zum modernen Flügel, wirkt der Bass eher unterbelichtet (und obertonarm). Das Hammerklavier ist letztlich noch ein Kind des Barock, wo der Klang in der Regel vom Bassfundament heraus aufgebaut wird. Ist ein Steinway objektiv tatsächlich so ausgeglichen, wie gemeinhin geglaubt wird, oder resultiert auch dieses Urteil aus den Grenzen unserer Perspektive?

    Dass der Steinway eine Baßschwäche hat, ist ja ein offenes Geheimnis. Da sind ihm ein Förster oder Fazioli deutlich überlegen. Warum klingt bei Volodos´ Liszt-Platte der Steinway so ungewöhnlich baßmächtig? Weil sie 10 (!) Mikros unter die Bodenplatte des Flügels gehängt haben! :D Aber das sind alles Unterschiede innerhalb der Ausgewogenheit. Bei diesen Hammerflügeln von 1840 kann man dagegen einfach keinen Fortissimo-Baß spielen, ohne dass er uns überfällt. Das kann eben ein Fazioli - einen mächtigen, farbigen Bass haben und trotzdem nicht die Klangarchitektur zum Eunsturz bringen.



    Nun ist die Satztechnik – wie bereits angedeutet – aber auch eine Frage von Klangvorstellungen, daher lässt sich etwa Literatur für bestimmte nicht-anschlagsdynamische Tasteninstrumente (wo die Dynamik u.a. über die Satzdichte reguliert wird) auch nicht ohne weiteres aufs moderne Klavier übertragen. Eine Sinnentstellung homophoner Passagen durch Realisierung mittels eines Hammerklavier vermochte ich übrigens noch nicht wahrzunehmen.

    Ich kenne auch einen Cembalisten, der das Spielen von Scarlatti-Sonaten auf dem Flügel kategorisch ablehnt... :D Bei Chopin ist die widersinnige Wiedergabe der Satzstruktur durch Umkehrung der Gewichte finde ich evident (und das gleich bei 3 Aufnahmen).



    Leider wartet man bei einem modernen, gleichschwebend temperierten Klavier vollkommen vergeblich auf einen “reinen Ton” ... :stumm:
    Nebenbei gesagt hoffe ich stets, das Holz einer Geige, eines Klaviers oder einer Klarinette hören zu können - andernfalls müsste ich mir Taubheit attestieren (wie Glockenton bereits schrieb, verleiht gerade die Holzstruktur auch baugleichen Flügeln eine gewisse Individualität).
    Auf den letzten zitierten Satz vermag ich momentan nicht einzugehen, da ich bedauerlicherweise meine Kathedra (hoffentlich nicht unauffindbar) verlegt/-stellt habe
    ;)

    Natürlich beeinflußt die Resonanz den Klang. Der "dumpfe" Klang beim Hammerklavier rührt wohl daher, dass das Obertonspektrum zu spärlich ist und der dünne Ton nicht trägt. Dann unterstützt die Resonanz des Holzbodens nicht als eine Tonfärbung, sondern dominiert den Klang, wird zum störenden Eigenwert. Wenn dem nicht so wäre (die Konstatierung eines ästhetischen Mangels), warum hätten die Instrumentenbauer das Hammerklavier sonst weiterentwickelt?


    Schöne Grüße
    Holger

  • Lieber Holger,


    Dein: "Ich sage das, also ist es so", ist anstrengend.
    Wenn Debussy verschiedene Dynamiken notiert, dann doch vielleicht weil er sie selbst hat spielen können?
    Hätte er "visionär" notiert, in der Annahme spätere Instrumente könnten "alles", wieso dann nicht gleich noch mehr verlangen?
    Liest sich so, als hätte nicht allein das Clavier die Mängel, sondern auch das pianistische Können eines Debussy.


    Und da "das Hammerklavier" weiterentwickelt wurde, wieso die Flöte, die Violine und andere Instrumente auch?
    Nicht doch auch im Zusammenhang mit der Musik, die sich entwickelte? Das Publikum an schierer Quantität zunahm und damit Räume größer wurden? Virtuosen um die Welt zu reisen begannen und so langsam an allen Enden der Welt gleiche Voraussetzungen vorfanden? Nicht allein Seite des "Virtuosentums", sondern auch dessen, dass zunehmend Bürgertum und nicht allein Adel in Konzerte ging, also Zugang hatte?


    Ebenso vorsichtiger als Du wäre ich bei der "Konstatierung ästethischer Mängel"- kenne ich genügend Musiker, schreiben hier auch welche, die solche Mängel eher in Deiner Argumentationskette sehen, nicht aber bei einem Hammerflügel, ja, sogar eher beim modernen Klavier ausmachen. Einer davon spielt immer wieder gern Beethoven, auf seinem Originalinstrument mit originalen Messingsaiten.
    Allerdings lässt er hier und da Hämmer neu beledern/befilzen- aber er steigt auch nicht in ein Auto, bei dem der Zahnriemen zehn Jahre alt ist. Er allerdings brächte nicht die Höflichkeit auf, Sätze wie "... ist die widersinnige Wiedergabe der Satzstruktur durch Umkehrung der Gewichte..." unkommentiert stehen zu lassen.


    Herzliche Grüße,
    Mike

  • Dann unterstützt die Resonanz des Holzbodens nicht als eine Tonfärbung, sondern dominiert den Klang, wird zum störenden Eigenwert.


    Das finde ich nicht. Ein Hammerklavier klingt eben so, aber die Bewertung (»wird zum störenden Eigenwert«) kann ich nicht nachvollziehen. Ich meine eher, das stört Dich hauptsächlich deshalb, weil Du das moderne Klavier gewöhnt bist. Ich spiele selbst nicht Klavier und ich kam relativ spät zur klassischen Musik. Das macht es vielleicht einfacher für mich, den Klang eines Hammerklaviers zwar anders als den eines heutigen Flügels, aber doch als »normal« wahrzunehmen.


    Ansonsten weiß ich nicht so recht, wie ich die Argumente, die hier gegen das Hammerklavier vorgebracht wurden, gewichten sollte. Ich denke nicht, dass diejenigen Künstler, die sich auf das Hammerklavier spezialisiert haben, das alle nur tun, weil sie meinen, sie hätten in dieser »Nische« bessere Marktchancen. Der Aspekt, dass man als Pianist mit dem modernen Flügel sozialisiert wird und dass es andersherum viel aufwändiger ist, erscheint mir da um einiges naheliegender und überzeugender.

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  • Und ohne darauf rumreiten zu wollen, lieber Glockenton, ich wäre Dir gern gefolgt und hätte anhand eines konkreten Beispiels gern weiterdiskutiert, verbietet sich mir aber zu Schubert, zu Brendel und Badura- Skoda ebenso.
    Einen Gegenvorschlag könnte ich ja unterbreiten: Schuberts Impromptus, meinetwegen auch mit Brendel oder Schiff einerseits, andererseits dann vielleicht doch lieber Lubimov statt Badura- Skoda.

    Das verstehe ich nun wirklich nicht- wieso verbietet es sich Dir geradezu? Wer verbietet das denn? "Es"? Ich erlaube es!..... ;)


    Wirklich, da komme ich nicht mehr so ganz mit. Badura-Skoda und Brendel sind jeweils Meister ihres Fachs, und mein Beispiel zeigt gar nicht eine schlecht gespielte Hammerklavier-Interpretation. Es geht mir beim langsamen Satz vor allem darum, einmal auf das Thema des durch die jeweiligen Instrumente ermöglichten Kantabile zu achten. Das kann man doch machen, oder etwa nicht?
    Ich finde es wirklich erhellender, wenn man einfach einmal dieselben Beispiele im Vergleich hört, als sich ästhetisch-theoretische Glaubensgrundsätze gegenseitig vorzutragen.


    Schade ist das schon etwas, dass offenkundig keiner interessiert ist, das von mir in Beitrag 25 genannte Tonbeispiel in seine Gehörgänge zu lassen, bzw. sich dazu zu äußern.
    Aber es soll mir recht sein: Gerne auch Impromptus in den angesprochenen Besetzungen. Trotzdem verstehe ich nicht, wieso sich mein Beispiel sich für jemanden von selbst verbieten kann, es sei denn, das es Gema-Probleme bei Youtube gäbe.
    Vielleicht ließe sich da ein Missverständnis aufklären...?



    Theoretisches später mehr!


    Erst einmal zum Hören

    Lieber Holger,


    ich wünsche Dir, dass es Dir hinsichtlich der Reaktionen besser ergeht und sich Diskussionsteilnehmer zum Hinhören und Kommentieren bereit erklären. Natürlich habe ich schon in die beiden Versionen der Appasionata gehört. Ich frage ich mich in der Tat, ob es da überhaupt noch einen Diskussionsbedarf geben kann, aber das hören ja Andere vielleicht anders.
    Dazu ggf. morgen von mir mehr, denn jetzt bin ich leider sehr müde und muss mir dringend Schlaf gönnen.


    Auf ein bei Youtube aufnahmetechnisch m.E. noch besser klingendes Beispiel möchte ich noch kurz hinweisen:



    Wie gesagt, ich hoffe, morgen mehr zu den Beispielen beitragen zu können.


    Bis dahin :hello::)


    Gruß
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Dein: "Ich sage das, also ist es so", ist anstrengend.
    Wenn Debussy verschiedene Dynamiken notiert, dann doch vielleicht weil er sie selbst hat spielen können?
    Hätte er "visionär" notiert, in der Annahme spätere Instrumente könnten "alles", wieso dann nicht gleich noch mehr verlangen?

    Mag sein! Aber ich habe diese Debussy-Stücke selber gespielt und weiß wovon ich rede! Für Debussy ist das Hammerklavier einfach ungeeignet und in jeder Hinsicht überfordert.



    Ebenso vorsichtiger als Du wäre ich bei der "Konstatierung ästethischer Mängel"- kenne ich genügend Musiker, schreiben hier auch welche, die solche Mängel eher in Deiner Argumentationskette sehen, nicht aber bei einem Hammerflügel, ja, sogar eher beim modernen Klavier ausmachen.

    Den Musiker möchte ich sehen (und auch Klavierbauer) der bei meinem Beispiel (Beethoven op. 57) die Qualität dieses Instruments gegen den Steinway von Pollini verteidigt.



    Das finde ich nicht. Ein Hammerklavier klingt eben so, aber die Bewertung (»wird zum störenden Eigenwert«) kann ich nicht nachvollziehen. Ich meine eher, das stört Dich hauptsächlich deshalb, weil Du das moderne Klavier gewöhnt bist. I

    Ich glaube schon, lieber Dieter, dass eine nicht vorhandene Tonfülle, die Reizlosigkeit und nadelnde Schärfe des Diskants ein objektiver Mangel ist - auch physikalisch meßbar. Ich höre mir ja durchaus solche Aufnahmen auf historischen Instrumenten an und finde das aus vielen Gründen interessant. Aber die Entwicklung läßt sich eben nicht zurückschrauben.



    Ansonsten weiß ich nicht so recht, wie ich die Argumente, die hier gegen das Hammerklavier vorgebracht wurden, gewichten sollte. Ich denke nicht, dass diejenigen Künstler, die sich auf das Hammerklavier spezialisiert haben, das alle nur tun, weil sie meinen, sie hätten in dieser »Nische« bessere Marktchancen. Der Aspekt, dass man als Pianist mit dem modernen Flügel sozialisiert wird und dass es andersherum viel aufwändiger ist, erscheint mir da um einiges naheliegender und überzeugender.

    Tatsache ist aber auch, dass die allergrößten Klangmeister auf dem Klavier (Horowitz, Gieseking, Rubinstein, Gilels, Michelangeli, Brendel und einige andere) das Hammerklavier nicht mal nur von Ferne angeschaut haben mangels Interesse. Die wirklich ganz hohe Kunst, die sie entwickelt haben, läßt sich auf solchen Instrumenten der höchst begrenzten Möglichkeiten wegen einfach nicht entwickeln.


    Herzlich grüßend
    Holger

  • Die auf dem Hammerklavier vorgestellte Appassionata bestätigt mir geradezu überdeutlich alle Einwände, die man so gegen das Hammerklavier vorbringen könnte.
    Erschütternd geradezu, dass ein Instrument, dass offensichtlich unfreiwillige Sustaineffekte erzeugt (z.B. ab 0.40 und weiter) ernsthaft als adäquate Alternative, ja sogar als bessere Option gegenüber dem modernen Flügel hingestellt wird.
    Auch von der Klangqualität her kann das doch wohl nicht ernst gemeint sein. Von gesanglichen Qualitäten will ich ja gar nicht erst anfangen, aber man höre sich doch einmal ab 1.0 an, wie erbärmlich diese Tonrepetitionen klingen.
    Das soll es nun gewesen sein, dass sich Beethoven so gewünscht hat? Kann man diese Argumentation angesichts eines solchen Klangs wirklich aufrechterhalten?


    Ok, lassen wir es wieder einmal gelten, dass genau dieses Instrument rein zufällig ein schlechtes Beispiel wäre, etc....


    Dann nehmen wir doch einmal eine anerkannte Aufnahme eines ebenfalls anerkannten Pianisten, nämlich die Sonate für Klavier Nr. 31 As-Dur op. 110 von Beethoven mit Ronald Brautigam. Sein Instrument klingt mir schon grundsätzlich besser, fast schon so gut, dass ich mich frage, ob es tatsächlich in einem der Beethoven-Zeit entsprechendem Originalzustand ist....



    bitte Track 8 anklicken.


    Brautigam spielt es schon ziemlich gut, aber die kurze Sustainphase des Instruments verhindert zwar nicht vollständig den Eindruck der Gesanglichkeit, aber eingeschränkt wird er schon etwas.
    Wenn dann die Melodie über den Begleitfiguren der linken Hand singen soll, dann gerät die Begleitung lauter, als es m.E. musikalisch wünschenswert wäre.


    Hören wir nun einmal in denselben Anfang des Stückes in der Interpretation mit Paul Lewis hinein:



    bitte Disk 10 von 10 und Track 4 anklicken.


    Schon beim ersten Akkord wird deutlich, dass der Flügel hier beinahe schon wie eine Orgel oder eben ein Chor singt, warm und gleichzeitig rein intoniert und eine edle Klangqualität im Piano bieten kann.
    Der Triller mit leichter Pedalunterstützung ist ebenfalls singend - eben wie eine Sängerin, die ein Vibrato auf einem Ton macht.
    Wunderbar danach die Stelle mit der Melodie rechts und der Begleitung in der linken Hand. Beides setzt sich musikalisch sinnvoll voneinander ab. Die darauffolgende Stelle mit den sprudelnden Figuren in der rechten Hand zeigt, dass so ein Flügel sowohl weich und warm als auch blitzend-glitzernd klingen kann.
    Das ist es ja, was ein gutes Musikinstrument ausmacht: Man wird in die Lage versetzt, seine musikalisch/klangliche Vorstellung umzusetzen. Ich habe einmal auf einem Flügel gespielt, der auch von Andsnes sehr geschätzt wird (ein Steinway). Es war erstaunlich, dass bestimmte Stellen, die man auf anderen Instrumenten mit großer Übeanstrengung gerade so hinbekommt, damit ganz leicht zu realisieren waren.


    Wenn ich die beiden Vergleiche bewerte (meinen Schubert-Vergleich bespreche ich dann eben selbst später....) , dann steht für mich ausser Frage, wo die große Musik, die große Kunst stattfindet.
    Für mich ist es hier die Brendel-Aufnahme und auch sehr die Lewis-Aufnahme bei meinem Beethoven-Beispiel.
    Mich würde sehr wundern, wenn andere Musikfreunde und Musiker mir da grundsätzlich widersprächen .... jedenfalls, nachdem man vorurteilsfrei hingehört hat.


    Gruß
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Eine interessante Diskussion, mir fehlen momentan die Beispiele im Ohr.


    Zitat von Glockenton

    Hat sich das bei JPC jemand angehört? Die Reaktionen darauf würden mich interessieren. Wenn nein: schade....

    Lieber Glockenton,


    ich habe die Beispiele nicht gehört, besitze sie aber und will das in naher Zukunft nachholen (aber es gibt noch so viel zu hören).
    Ich kann nur sagen, dass ich die Schubert Sonaten gut zu kennen glaubte und dann Padura-Skoda auf historischen Instrumenten gekauft habe. Ich kann mich nicht entscheiden, was ich in der Breite besser finde, es kommen jeweils andere Passagen besonders zum Tragen. Aber das müsste ich präziser am konkreten Beispiel skizzieren, um mich (hoffentlich) verständlich zu machen. Aber ich komme darauf zurück.


    Beste Grüße
    JLang

    Gute Opern zu hören, versäume nie
    (R. Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln)

  • Dann nehmen wir doch einmal eine anerkannte Aufnahme eines ebenfalls anerkannten Pianisten, nämlich die Sonate für Klavier Nr. 31 As-Dur op. 110 von Beethoven mit Ronald Bräutigam. Sein Instrument klingt mir schon grundsätzlich besser, fast schon so gut, dass ich mich frage, ob es tatsächlich in einem der Beethoven-Zeit entsprechendem Originalzustand ist....

    Die Aufnahme habe ich, lieber Glockenton. Ich finde sie auch gut - habe mich dasselbe allerdings auch gefragt, ob das nicht doch ein etwas "modernisierter" Klang ist.



    Wenn ich die beiden Vergleiche bewerte ( meinen Schubert-Vergleich bespreche ich dann eben selbst später....) , dann steht für mich ausser Frage, wo die große Musik, die große Kunst stattfindet.

    Da stehen mir leider nur die Jpc-Hörschnipsel zur Verfügung. Sonst würde ich das auch gerne vertiefen! Mal sehen bis morgen... :hello:


    Herzlich grüßend
    Holger

  • Lieber Glockenton,


    Dir möchte ich gern antworten, warum es sich mir verbietet, Schuberts Sonate mit Brendel und Badura- Skoda zu vergleichen.


    Sattsam bekannt dürfte sein, dass ich kein großer Schubert-Freund bin, noch weniger Brendel schätze, aber auch nicht so unbedingt Badura-Skoda folge. Ich kenne beider Aufnahmen vollständig und würde ich Deinem Hörbeispiel folgen, unterläge ich meinem Vorurteil und urteilte nun ganz sicher nicht objektiv. Mir zumindest geht ab, meine (Hör-)Erfahrungen zu verabsolutieren und zu behaupten, dies und das Werk ginge per se nicht auf einem Instrument, für das es komponiert wurde.


    Darum mein Gegenvorschlag, der ein Entgegenkommen sein sollte, kein Affront.
    Da ich beide Aufnahmen kenne und bereit bin, meine Hörposition zu wechseln wie nicht jeder hier, verbietet sich für mich ein Statemant, das Allgemeingültigkeit postuliert.


    Herzliche Grüße,
    Mike

  • ...nochmal diese Frage: wo klingt ein modernes Klavier denn "rein"?
    Kann es nicht, was ich nicht dem Instrument zum Vorwurf mache.
    Gleichschwebend temperiert existieren keine "reinen" Akkorde mehr!
    Organisten wissen das.

  • Das Hammerklavier ist letztlich noch ein Kind des Barock, wo der Klang in der Regel vom Bassfundament heraus aufgebaut wird.

    Noch als Nachtrag: Das ist eine interessante These, die ich aber nicht plausibel finde, denn das Cembalo ist das ältere Instrument und es klingt eben gar nicht baßlastig, sondern ausgewogen.



    ...nochmal diese Frage: wo klingt ein modernes Klavier denn "rein"?

    Ein Maler unterscheidet zwischen sauberen und schmutzigen, zwischen stumpfen und toten Farben und reinen, die Leuchtkraft und Strahlkraft haben. Ein "reiner" Ton ist einer, wo sich keine fremden Resonanzen einmischen, der souverän für sich selber steht ohne störenden Nachklang, oder metaphorisch ausgedrückt: wo keine Nebengeräusche sich in den Klang mischen. Es gibt zudem ästhetische Qualitäten des Tons wie Tonfülle, Weichheit, Farbigkeit, Lebendigkeit, die Fähigkeit des Tons sich "abzulösen", atmosphärisch zu schweben. Pollini erzeugt bei der Appassionata ein vibrierendes Sfumato - auf dem Hammerklavier haben wir dagegen im Diskant dürftige secchezza. Der Hammerflügel kann zwar tonmalerisch klingen, aber eben nur im Mittenbereich und nicht überall. Dann hat man auch hier den ästhetischen "Widerspruch" zwischen farbigen Mitten und einem kratzenden, stechenden, völlig farblosen Diskant, den der Interpret dann "verdecken" muß durch Betonung der Mitten, gegen die "Logik" des Tonsatzes. Wobei man sagen muß: Auch bei modernen Flügeln gibt es viel Schrott (Billigimporte aus Asien auf der Messe), wo der Hochtonbereich auch platt und tot ist. Und es gibt jede Menge Fehlkonstruktionen, selbst von namhaften Herstellern. So habe ich einen Blüthner angespielt, mit fürchterlich gläsernem, einfach unschönem Diskant. Der uns begleitende Klavierbauer hat dann gleich erklärt, woher das kommt...


    Schöne Grüße
    Holger

  • Da stehen mir leider nur die Jpc-Hörschnipsel zur Verfügung. Sonst würde ich das auch gerne vertiefen! Mal sehen bis morgen...

    Lieber Holger,


    da beide Hörausschnitte mit Bräutigam und Lewis jeweils von Takt 1 beginnen und wir ja wohl beide die Musik kennen, meine ich schon, dass es in diesem Fall reicht, einmal nur diese Anfangstakte zu vergleichen. Wenn man nicht eine ganze Sonate, sondern einige exemplarische Takt nimmt, dann wird es m.E sogar konkreter. Es würde mir schon reichen, wenn Du Dir einmal die JPC-Hörschnipsel zu Gemüte führtest....;-)



    Organisten wissen das.

    Ja, die Unterschiede zwischen den Stimmungen und dergleichen sind mir aus Theorie und Praxis bekannt.
    Mir kam es jetzt aber weniger auf Akkorde und Akkordcharakteristiken an, als auf die Reinheit in Bezug auf die Klangqualität. Selbst wenn ein Hammerklavier gestimmt sein mag, dann klingt es mir oftmals dennoch verstimmt.
    Bei Cembali ist das nicht so. Wenn die in Terzen mitteltönig gestimmt wurden ( also nicht für Bachs WTK), dann können die sogar unglaublich stramm und rein klingen, jetzt auch von der Stimmung her.



    Einen Gegenvorschlag könnte ich ja unterbreiten: Schuberts Impromptus, meinetwegen auch mit Brendel oder Schiff einerseits, andererseits dann vielleicht doch lieber Lubimov statt Badura- Skoda.

    Bei youtube habe ich von Lubimov oder Schiff ausschließlich Sachen gefunden, bei denen sie Schubert auf dem modernen Flügel spielen.
    Einerseits verstehe ich den Gedankengang, aber andererseits sehe ich es auch als ausweichend an, wenn man sich dem Vergleich nicht stellen will, weil man mit Vorurteilen gegenüber den Interpreten zu kämpfen habe.


    Der Schubert-Vergleich ( hier reichen auch ein paar Takte JPC) ging wie folgt:



    Disk 8 von 9, Track 5 Andantino


    und



    Disk 2 von 7, Track 2, Andantino


    Um bei diesem Instrumentenvergleich auf Vorbehalte gegen die Interpreten einzugehen, starte ich noch einen zweiten Versuch mit demselben Andantino von Schubert, diesmal auch in voller Länge.


    Hammerklavier: Andreas Staier



    und Flügel: Mitsuko Uchida



    Man hört bei der zweiten Vergleichspaarung, dass Uchida sich ein erheblich langsameres Tempo leisten kann, weil die Töne ihres Instruments eben nicht so schnell absterben, sondern eine singende Qualität haben.


    Staiers Instrument klingt wesentlich besser, als der Hammerflügel dieses Herrn, den Holger in seinem Beethoven-Beispiel postete.
    Es ist wohl auch schon weiter entwickelt, was den Instrumentenbau angeht. Der Ton ist auch erheblich beständiger und klarer als beim Beispiel mit dem Hammerklavier (wohl älterer Bauart?) welches Badura-Skoda spielt.
    Dennoch kann auch dieses historische Instrument den Vergleich zu Uchidas Flügel m.E. nicht bestehen. Der klingt weicher und klarer zugleich, voller, singender, edler im Timbre....
    Für mich ist das klar das ernstzunehmendere Musikinstrument, welches dem Pianisten Ausdrucksmöglichkeiten bietet, die sich wohl die meisten Musiker wünschen.
    Nicht nur der taube Beethoven, sondern auch der Schubert hatte m.E. zunächst seine abstrakte (Klavier)Musik im Ohr, weniger den Klang eines Instruments aktueller Entwicklungsstufe. Hier klingt es nach einer naiven Traurigkeit, nach einem Verlust, der nicht so einfach wieder gutzumachen ist. Besonders gut ist es hier Uchida gelungen, dies zu vermitteln, vielleicht sogar eindeutiger als Brendel, den ich aber auch sehr mag. Um diese Wirkungen zu erzeugen, komponieren Musiker zunächst einmal ihre Musik. Sie schreiben um ihre Hörer zu berühren, weniger für spezifische Instrumentenbauer.


    Ich erkenne an, dass sowohl die Version mit Badura-Skoda (musikalisch) und vor allem auch mit Staier (klanglich) nicht zur Kategorie " das meinen die doch wohl nicht ernst" gehört. Das hat schon seinen Reiz und ist auch wirklich gut gemachte Musik.
    Im Vergleich mit den Aufnahmen, die mit dem modernen Flügel entstanden sind, können diese Einspielungen aus der Sicht des Ausdrucksmusikers und des Liebhabers einer noblen Klangqualität aber nicht bestehen, so wie ich das höre.


    Wer diese Beispiele - auch die angeführten Beethoven-Beispiele (Bräutigam vs. Lewis) oben - auch so oder anders beurteilt, könnte das ja einmal hier veröffentlichen. ....... da bin ich aber gespannt.


    Gruß
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

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  • Bei Debussy gibt es oft die Bezeichnung pp und darüber en dehors - genau daran scheitert der Hammerflügel.

    Und Jos van Immerseel schreibt zu Debussy:


    Debussy ist großartig in seiner imaginären und suggestiven Kraft, mehr jedoch noch durch das ungehörte Neue seiner Sprache, die reich an enormen Kontrasten und Gefühlsformen ist. Er hantiert neue Konsonantsbegriffe, gebraucht neue Modi, akzeptiert neue Modulationsprinzipien und wendet die Polytonalität wohlklingend und raffiniert an.
    Er verarbeitet östliche Einflüsse und geht in allem bis zum Äußersten. Nicht von der Theorie sondern vom Klang, so wie er wirklich ist, geht er aus.
    Dem Klavier entlockt er alle Klangmöglichkeiten, was nach ihm niemand mehr schafft. Die Subtilität seiner Klaviertechnik kennen wir aus seiner Notierung und aus Beschreibungen wie: »Er spielte fast immer mit Halbfarben, jedoch mit vollem und intensivem Klang, ohne jegliche Härte im Anschlag« (M. Long). Aber auch die Welte-Mignon-Rollen sind von unschätzbarem Wert, vor allem wenn man die Reproduktion visuell miterleben kann. Besonders seine Pedaltechnik ist verblüffend und von anderer Dimension als die gegenwärtig gebräuchliche. Am 25. November 1909 sagte Debussy zu Andre Caplet: »Ich habe mich noch mehr als vorher überzeugen lassen, daß Beethoven äußerst schlecht für das Klavier komponierte« (Fr. Lesure). Ob Debussy dies wortwörtlich meinte, oder ob er vergaß, daß Beethoven für einen anderen Klavier-Typ komponiert hatte, wissen wir nicht, aber er lag wohl nicht verkehrt: Beethoven auf einem Flügel von achtzig Jahren später, stimmt akustisch nicht.
    Würde Debussy auch so sprechen, wenn er seine Musik auf einem Flügel von achtzig Jahren später hörte, also auf einem Flügel von heute? Wahrscheinlich, denn der gegenwärtige Flügel hat sich mehr und mehr vom Klangideal um die Jahrhundertwende abgewendet. Doch glaubt der Pianist (und somit auch der Hörer) weiterhin, daß der heutige Flügel »besser« ist, wahrscheinlich, weil die älteren Instrumente, mit denen er in Berührung kommt, einen schlechten Eindruck hinterlassen: sie sind nicht mehr reguliert, die Dämpfer und die Hammer sind verschlissen oder mit Staub saturiert, oft sind sie nicht fähig, die Stimmung zu halten, und die Mechanik läuft schwerfällig. So kam ich auch mit hunderten von Trümmerhaufen, Facelifting-Flügeln und modernisierten Flügeln in Berührung. Bis mir eines Tages im Jahr 1976 ein Kollege wie schon so oft einen Erard in perfektem Zustand signalisierte. Nur, daß es diesmal wirklich ein Flügel in hervorragender Verfassung war: Die Mechanik und die Hammer zeigten nicht den geringsten Verschleiß und waren unzweifelhaft authentisch, sogar die Saiten waren noch wie neu – was ein Wunder für einen Flügel von achtzig Jahren ist. Zur Zeit der Aufnahmen hatte er ein Alter von 95 Jahren, noch immer keine Eingriffe erlebt und war noch immer in voller Blüte. Mit seinem Quintklang, von langem Ton aber mit präziser Artikulierung, und mit seinen Registerunterschieden zwischen dem parallelsaitigen Baß und dem melodischen Diskant war das Instrument das ideale Medium für die Sprache Debussys; transparent und farbenprächtig. Die Mechanik ermöglicht es, demiteinte-Effekte zu erreichen, und durch Unterschiede in der Anschlags-Schnelligkeit erhält der Flügel ein ungekanntes Tonspektrum. Die Anwendung der französischen leichten Fingertechnik ist hierbei wohl unentbehrlich: auf einen anderen Anschlag reagiert der Flügel sofort negativ.
    Eine andere Besonderheit ist das Pedal mit Unterdämpfung, kontrolliert durch Federn. Wenn dieser Mechanismus perfekt geregelt ist, besteht die Möglichkeit, Akkorde im Diskant über einem gehaltenen Baß zu synkopieren (ohne die Tasten eingedrückt zu halten), damit die sonore Wahrnehmung wirkungsvoll bleibt, und man das berühmte dritte Pedal nicht nötig hat. In seinem Konzept geht Debussy häufig von so einem liegenden Baß aus (wahrscheinlich das Ergebnis seines kurzen Orgelstudiums oder des Kontakts mit dem Klavier-Pédalier, so wie sie damals häufig in Paris zu finden waren). Durch den Erard-Pedal-Mechanismus kann man die Farbe und die Intensität vom Baß verändern, und zwar lediglich durch das Wechseln der Diskant-Akkorde: gewißlich eine besondere Erfahrung!
    Dieser Flügel von 1897 (das Unternehmen wurde damals von Amedée Blondel geleitet) ist eine »Demi-Queue« von 2,12m, eine Länge die damals oft für Konzert-Vorträge und Kammermusik (später auch für Aufnahmen) gebraucht wurde. In diesem Fall geht es um das »reiche Modell, im Stil von Ludwig XV, aus Walnußholz, verziert mit Holzschnitzereien«, wie es in Erards Katalog aus dem Beginn des Jahrhunderts beschrieben ist.
    Und so sehr es auch vorstellbar ist, Debussy auf anderen französischen und deutschen Instrumenten seiner Zeit zu spielen, war bei der Wahl des 1897-Erard für diese Aufnahme seine einzigartige Qualität ausschlaggebend und zwingend.
    Debussy auf einem historischen Flügel – Debussy »alte Musik« –? Unsinn?
    Dieser Erard ist nun seit mehr als fünfzehn Jahren mein bester Freund. Und ich habe gelernt, daß er auch Debussys Freund gewesen ist.

  • Man hört bei der zweiten Vergleichspaarung, dass Uchida sich ein erheblich langsameres Tempo leisten kann, weil die Töne ihres Instruments eben nicht so schnell absterben, sondern eine singende Qualität haben.


    Diese Begründung überzeugt mich überhaupt nicht, sie soll m. E. nur eine bestimmte Meinung untermauern.


    Ein Andantino ist ein schnelleres Andante - ob Uchida hier das richtige, passende, der Tempovorschrift entsprechende Tempo gewählt hat (schon für Andante ist es zu langsam!)?


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Lieber Dieter,


    hier spielt Debussy (einfach wunderbar!):



    Die CD unten ist auf einem Bösendorfer aufgenommen:



    Debussys Erard war natürlich schon ein moderner Flügel und kein Hammerflügel (wie auch Griegs Steinway B von 1890, ein wunderbar klingendes Instrument)! ;)


    Moniques Haas´ Erato-Aufnahmen (Debussy, Ravel) sollen auf einem Erard gemacht sein. Ich kann das aber nicht verfizieren!


    Herzlich grüßend
    Holger

  • Ushida ist toll - Pollini aber auch (natürlicher und intimer kann man das kaum aussingen):


    Stimmt genau, lieber Holger!


    Pollinis Konzept: eine noble Mehrstimmigkeit wird wunderbar natürlich und klar ausgesungen. Sopran und Bass korrespondieren mit einander in edler Zweistimmigkeit, während die in den Intervallen jeweils nach unten fallende Abwärtsbewegung der Mittelstimme im Tonsatz die Funktionen "Alt" und "Tenor" übernimmt und - wie gesagt- in eine Bewegung übersetzt.
    Diese Elemente klar herauszuarbeiten erfordert einen Weltklasse-Pianisten und einen Weltklasse-Flügel, der die klaviertechnischen Möglichkeiten bereitstellt. Beides ist hier vorhanden.


    Uchida interpretiert das Stück noch mehr in Richtung "Verlust" und "wenig Hoffnung", was ja auch zu zentralen Themen der schubertschen Musikwelt gehört. Bei ihr klingen die Anschläge noch weicher, vom Tempo und der Agogik her etwas zögerlicher. Einmal sah ich einen Film, bei dem ein kleines Mädchen nach einer durchlebten Bombennacht des 2. Weltkriegs in Süddeutschland auf einmal auf sich allein gestellt ist und wie gelähmt durch die Trümmerlandschaft am nächsten Morgen läuft. Dazu hätte diese Musik gepasst.
    Uchida schafft es hier, mit einer sehr aufwendigen Pedalisierung, den Bass wie ein Pizzikato von der Melodie abzusetzen ( Badura-Skoda versucht das auch, nur klingt es bei ihm und auf dem Hammerflügel eben längst nicht so beeindruckend) und bei gewissen Stellen vom ohnehin schon leisen dolce-Spiel noch mehr zurückzugehen. Auch das ist extrem schwer und bedarf einer Weltklasse-Pianistin und eines Weltklasse-Instruments. Beides ist auch hier vorhanden.


    Danke auch für das andere Beispiel, lieber Holger!



    Pollini schafft es hier, diese typische Schubert-Berührung hervorzurufen. Es ist ein einziges Singen, und wir hören ein Stück, welches - obschon in Dur - irgendwo auch furchtbar traurig klingt.
    Bei Schubert trifft man das ja oft an, z.B. Impromptu As-Dur, ein Trio aus der großen C-Dur-Symphonie, der Anfang des zweiten Satzes der sogenannten "Unvollendeten" ...... Bei diesen Stücken ist das Dur-Glück nur scheinbar vorhanden - im Grunde genommen hören wir dort eine zutiefst traurige, den Menschen tief anrührende Musik.


    Beim echten Hammerflügel, den offensichtlich Badura-Skoda einsetzt, will sich für mich dieser Zauber einfach nicht einstellen.
    Disk 4 Track 7 (jpc)



    Ich höre, dass der Pianist sehr bewusst, geschmackvoll und handwerklich beherrscht eine sehr gute Leistung liefert.
    Aber dieser Zauber, dieser schwebende Gesang ..... eben das gewisse Etwas, das fehlt. Allein schon durch den Klang des Instruments werde ich da immer wieder auf den Boden geholt.


    Wie gesagt, ich will dem Hammerklavier seine Daseinsberechtigung nicht absprechen und respektiere, wenn Leute sich mit dem Klang anfreunden. Aber angesichts solcher Vergleiche - und man könnte mehr davon anstellen- ist mir die absurde Position mancher Leute völlig unverständlich, die gegen den modernen Flügelklang polemisieren und eine Interpretation von Brendel, Uchida oder Pollini auf diesen Instrumenten als inadäquate Bearbeitungen hinstellen. Man liest das gelegentlich hier und da, erfreulicherweise aber nicht hier.


    Und ja: Der Erard von Debussy ist natürlich wunderbar. Aber über solche Instrumente dreht sich die Diskussion wohl weniger als um das wirkliche Hammerklavier, das uns durch den Youtube-Film der Appassionata vorgestellt wurde. Dieses wiederum, kann ich vom Klang her nun gar nicht wunderbar finden....


    Gruß
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Lieber Glockenton,


    was ist für Dich ein "wirkliches Hammerklavier", wenn der Erard keines ist?


    Nun ja, ich kenne und nenne Aufnahmen mein eigen mit Musik Schumanns, Chopins, Rossinis auf Erard- Flügeln - alle sehr wohlklingend!
    In fast jedem der Bookletts aber liest man das sanfte Stöhnen der Pianisten: die Erards seien unglaublich schwer zu spielen und man verdürbe sich mit dem Spiel des modernen Klaviers die Anschlagtechnik, die man braucht, um die alten Claviere angemessen zu traktieren.
    Pauschal zusammengefasst: je mehr Kraft man einsetzt, um so "brüchiger" wird der Klang, er bricht tatsächlich quasi in sich zusammen.
    Das richtige Maß zu finden, diesen schwergängigen Instrumenten diese zauberhaften Klänge zu entlocken, entspricht beinahe dem Erlernen eines neuen, fremden Instruments.


    Und genau diese Herangehensweise wünschte ich mir auch für frühere Instrumente - ebenso allerdings auch vom Hörer.


    Herzliche Grüße,
    Mike

  • Lieber Glockenton,


    was ist für Dich ein "wirkliches Hammerklavier", wenn der Erard keines ist?

    Lieber Melante,


    lass uns jetzt nicht in Gefahr geraten, spitzfindig zu werden, denn wenn man verstehen will, was ich meine, dann versteht man das m.E. auch. Ich denke, die oben von mir genannten Tonbeispiele machen das schon deutlich. Dazu hörte ich von Dir jedoch entweder grundsätzliche Reservierungen hinsichtlich der Interpreten (Brendel, Badura-Skoda) oder eben konkret nichts. Das ist etwas schade und könnte eher als ausweichend, denn als überzeugend verstanden werden.


    Holger schrieb ja auch einen klärenden Satz:



    Debussys Erard war natürlich schon ein moderner Flügel und kein Hammerflügel (wie auch Griegs Steinway B von 1890, ein wunderbar klingendes Instrument)!

    Die Grieg-CD mit Andsnes schätze ich klanglich und musikalisch sehr. Selbst diese CD macht jedoch jene DG-Aufnahme für die einsame Insel mit Emil Gilels (enthält auch andere Stücke) keineswegs obsolet. Bei Gilels Grieg wünscht man sich eigentlich nicht, dass er das auf einem historischen Instrument gespielt hätte, weil dieses Musizieren mit diesem Klang wunschlos glücklich machen kann.



    Das richtige Maß zu finden, diesen schwergängigen Instrumenten diese zauberhaften Klänge zu entlocken, entspricht beinahe dem Erlernen eines neuen, fremden Instruments.


    Und genau diese Herangehensweise wünschte ich mir auch für frühere Instrumente - ebenso allerdings auch vom Hörer.

    Wenn es um die früheren Instrumente geht (und genau die meinte ich doch!), die meines Wissens eher leichtgängiger als moderne Flügel sind, dann könnte man ketzerisch sagen, dass sich die Musiker damit ihren Anschlag und die Hörer sich damit ihren Sinn für den Vorrang musikalischer vor historischen Werten verdürben. Nun, solche Extrempositionen will ich ja gar nicht einnehmen.


    Dass ein Barockorchester mit darmbesaiteten Stainer-Geigen, Barockoboen, Barockpauken ..... usw. musikalisch einfach farbiger, ausdrucksvoller, balancierter und somit auch "schöner" als ein Orchester mit modernen Instrumenten klingt, ist für mich jedenfalls unbestritten.
    Die Stainer-Geige ist ein perfektes Meisterstück, ihr Obertonreichtum und ihre edles Timbre ist einfach wunderbar. Ebenso mischen sich die Barockoboen mit diesem Violinklang ideal, und auch solistisch klingt es damit weich, edel und einfach sehr musikalisch, wie es etwa Marcel Ponseele in Herreweghes Bachaufnahmen beeindruckend vorführt.
    Obschon die historischen Instrumente in meisterhafter Hand hier musikalisch einfach besser und überlegen klingen, machen sie dennoch historisch informierte Aufführungen mit heutigen Instrumenten nicht per se überflüssig, denn mir ist eine musikalisch gute Interpretation mit suboptimalen Instrumenten lieber als gar keine oder eben als eine schlecht gespielte Darstellung mit alten Instrumenten.


    Nur der faktische Klang und das musikalische Ergebnis rechtfertigen m.E. wirklich den Einsatz historischer Instrumente. Wenn ich damit die alten Werke musikalischer und lebendiger vermitteln kann, dann nichts wie her damit.
    Sie lediglich aus historisch-antiquarischen oder gar dogmatisch-pedantischen Gründen zu verwenden, sozusagen um damit irgendeine Korrektheit zu erzielen, halte ich für relativ uninteressant, selbst wenn ich ein Faible für schöne Antiquitätenmöbel hätte, könnte ich sie mir leisten.


    Doch die zu einfache Analogie "was für Schütz und Bach gut ist, wird ebenso bei Schubert und Brahms überlegene Ergebnisse zeitigen" funktioniert eben klanglich-musikalisch nicht.
    Ob eine Mozart-, Beethoven- oder gar Schubert/Brahmssymphonie mit alten (und durchaus ausgereiften) Orchester-Instrumenten noch derart überzeugender und besser klingt, wie ein Barock- oder Frühbarockensemble bei barocker oder frühbarocker Literatur, wäre eine schon andere Sache. Bei Mozart und Beethoven klingt es "anders", aber m.E. nicht mehr zwingend "besser". Man kann beides gewinnbringend verwenden und hören. Bei Schubert und Brahms hingegen überwiegen dann für mich die Vorzüge der heutigen Instrumente, die ja eben auch eine großartige Tradition haben und deshalb auf keinen Fall mit solchen Plastikanalogien wie dem kurzlebigen Smartphone oder bösartigen Fast-Food-Vergleichen überzogen werden sollten.


    Wenn man sich nun entscheidet, ein Mozart-Klavierkonzert mit einem "historischen" Orchester zu machen, dann muss eben auch das Hammerklavier her. Die Kombination "Alte Instrumente plus moderner Flügel" wäre in der Tat ein klanglicher Stilbruch, ganz abgesehen von der Höhe des Stimmtons.
    Mir kommt es dann aber zunehmend auf die musikalisch-klanglichen Aspekte des Klavierparts an, weshalb ich dann in solchen Fällen lieber eine Aufnahme mit modernem Flügel und damit konzertierenden modernen Orchesterinstrumenten höre. Ich finde, dass es der Musik und deren Ausdruck dann dienlicher ist.


    Wie musikalisch die Musik am Ende klingt, ist doch das Entscheidende für den Hörer und den Musiker, genauso wie letztendlich ein Essen noch so ernährungswissenschaftlich korrekt und gesund sein kann, aber am Ende doch danach beurteilt wird, ob es gut schmeckt oder eben nicht. Sicher ist das auch eine Geschmacksfrage, aber es gibt beim Essen ja auch Parameter für einen guten oder weniger guten Geschmack. Ich kenne z.B. niemanden, der faule Eier mag. Wenn man einmal solche Sendungen wie "Küchenschlacht" gesehen hat, dann kommt immer am Ende die Beurteilung durch den Spitzenkoch. Der hat ganz klare Parameter für gut und weniger gut, selbst wenn er auch eigene Präferenzen hat. Man kann also nicht alles als relativ und "ist eben Geschmackssache" abtun. Es gibt Bereiche auf hohem Niveau, die in der Tat Geschmackssache sind, aber es gibt auch klare Indizien für ein weniger gut schmeckendes Essen.
    Nicht viel anders ist es eben auch in der Musik und in der hier besprochenen Frage.


    Deshalb haben Holger und ich ja einige Beispiele in die ansonsten viel zu theoretisch / dogmatisch abgehobene Diskussion gebracht, um konkret und dicht an der Musik seine eigenen Geschmackserlebnisse differenziert benennen und seine Präferenzen begründen zu können.


    Die von mir zitierten Aufnahmen mit dem Hammerklavier zeichnen sich durch innerhalb der Hammerklavierwelt gute Instrumente und meisterliche, anerkannte Pianisten wie Badura-Skoda, Brautigam oder Staier aus. Für die von mir ebenfalls erwähnten Gegenbeispiele mit modernem Flügel und den Pianisten Brendel, Lewis oder Pollini gilt das natürlich auch.
    Anhand weniger Takte ist es möglich, die darstellbaren Parameter hinsichtlich Klang und Ausdrucksvermögen der verwendeten Instrumente gegenüberzustellen und seine eigenen PräFerenzen am konkreten Beispiel zu erläutern.
    Ich habe das jedenfalls getan und warte eigentlich immer noch....


    Gruß
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Ich schildere noch einmal einige Eindrücke.


    Zuerst das Andante von D 845.


    Mir kommt da beim Hammerklavier einfach die "ästhetische" Dimension nicht zur Geltung. Bei Badura-Skoda hört man einen musikalischen Charakter und ein Instrument, das mehr Klopfgeräusche ohne Ton als Töne produziert (was bei Staiers erheblich besserem Instrument natürlich nicht der Fall ist). Da meint man wirklich, auf dem Klavier wird vor allem "gehämmert" als dass Töne hervorgebracht werden. Aber darum geht es mir jetzt nicht, sondern etwas anderes. Pollinis Aufnahme - die Joachim Kaiser geradezu verehrt, zu Recht, finde ich, auch für mich ist das eine "Jahrhundertaufnahme" - schafft eine Transzendierung ins Ästhetische: Musik schildert nicht nur einen Charakter, sondern wird zur Apotheose trauriger, zarter Schönheit. Pollini "tupft" die Töne wie ein Maler mit Marderpinsel aufs Papier, d.h. es entsteht ein Klangkontinuum, aus dem sich dann die einzelnen Töne mehr oder weniger ablösen. So entsteht eine romantische "unendliche Melodie" und eine Homogenität des Klanges, der "schillert" in den verschiedensten Farben. Und noch etwas kommt hinzu: Der Pianist kann hier ein "Klangideal" verwirklichen, eine eigene Klangästhetik auf dem Klavier konzipieren. Das zeichnet die wirklich ganz großen Pianisten aus. Genau das geschieht hier - der Pollini-Klang ist wesentlich durch seinen Schubert beeinflußt.


    D 959


    Hier wird dieser Aspekt noch verstärkt. Ushidas Aufnahme ist wunderschön, aber interpretatorisch auch angreifbar. Das Ideal der Romantik war die große Symphonie - und symphonische Züge zeigen sich finde ich gerade in dieser Schubert-Sonate. Der Satz enthält ja auch ein Rezitativ - das ist ein Anklang an das Musiktheater, die Oper. Bei Ushida wird diese Musik höchst "weiblich" empfindsam geradezu entweltlicht zum Schwanengesang - das Rezitativ seiner Urgewalt beraubt. Das klingt eher wie ein Impromptu als der Satz einer "großen" Sonate - ist aber durchaus typisch für ihre Spielart - die "Davidsbündlertänze" klingen bei ihr auch mehr nach Eusebius als nach Florestan. :D Ganz anders Pollini: Bei ihm merkt man das männliche, "große Ich", was tief verletzt ist, an seiner Wunde leidet, verzweifelt aufbegehrt bei aller Zartheit und Intimität. Er reduziert das "Symphonische" nicht durch eine radikale Intimisierung wie Ushida. Bezeichnend die Bässe, die zwar wiederum sehr ästhetisch sich in das Ganze einbinden, gleichsam aber zur tragischen Aporie werden als "Hemmungen" des melodischen Flusses. Andere Interpreten, wie Krystian Zimerman, den ich mit dieser Sonate im Konzert hörte, sind da noch radikaler. Bei Zimerman wird der Baß zum diabolischen Pferdefuß. Auf solche Interpretationsfragen kommt es mir jetzt aber nicht als solche an. Sie demonstrieren vielmehr, dass es der moderne Konzertflügel erlaubt, ganz unterschiedliche interpretatorische "Weltanschaungen" zu verwirklichen, verschiedene ästhetische Ideale. Dagegen finde ich Staier einfach langweilig. Das Instrument ist deutlich ausgewogener als so manche andere (wobei auch der Baß im Rezitativ das musikalische Geschehen eher zudröhnt), aber auch farbloser. Man höre mal, was Pollini für zarte Pastelltöne an tonfarblichen Abstufungen aus seinem Instrument herauszaubert. Bei Staier klingt es dagegen so, als hätte man eine Schwarz-Weiß-Kopie eines Gemäldes von Caspar David Friedrich vor sich. Ich kann nun wirklich nicht erkennen, was mir ein solcher Vortrag an neuen Einsichten in Sachen Schubert bietet, abgesehen davon, dass dies hochprofessionell gespielt ist. Sogar was die Klangfarbigkeit angeht ist der moderen Flügel hier überlegen. Und bezeichnend redet man nur noch über den Flügel - und nicht die Interpretation oder das, was wahre "Kunst" des Klavierspiels erreichen kann: nämlich das "Materielle" zu transzendieren und Musik zu einen rein geistigen Erlebnis werden zu lassen. Genau dieses "Ätherische" (Kunst entführt uns in ein "Geisterreich" abgeschieden von der Realität (E.T.A. Hoffmann)) gehört aber zum Wesen der Romantik. Insofern kann ich mit der These, dass Musik aus dem 19. Jhd. auf dem sehr, sehr irdischen (um nicht romantisch zu sagen "prosaischen") Hammerflügel "authentischer" klinge, nicht viel anfangen. Wie will man das belegen?


    Ob ein Flügel leicht oder schwer zu spielen ist, hat letztlich nichts mit dem Alter des Instruments zu tun, sondern liegt an der verwendeten Mechanik.


    Und natürlich sind nicht immer die neuesten Instrumente die klanglich besten (wirklich weit gefehlt!). Michelangeli war ja nun wohl der Klangperfektionist auf dem Klavier schlechthin, der die Mechanik des Flügels besser kannte als die Techniker von Steinway. Für seine Aufnahme der Brahms-Balladen op. 10 und von Schuberts Sonate D 537 suchte er drei Wochen lang nach einem geeigneten Instrument - und wählte schließlich einen Steinway Baujahr vor 1920, also einen hoch betagten "Oldtimer"! ;)



    Schöne Grüße
    Holger

  • Lieber Holger!


    Herzlichen Dank für Deinen letzten Beitrag !


    Was bleibt mir da übrig?
    Ich sage nur: Ich stimme zu, vollständig :):hail:


    Alles Gute Dir :)


    Lieben Gruß :hello:


    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

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