Doppeltes Pech, lieber hami1799!
Nicht jeder hier pflegt eine Abneigung gegen die Missa solemnis, allerdings habe ich seit Gardiners Live-Aufnahme vorerst die Hoffnung begraben, eine wirklich adäquate Einspielung hören zu können. Vielleicht entspricht der satztechnische Aufwand, ähnlich wie bei Mahlers 8., nicht den aufführungspraktischen Möglichkeiten...
Und nun zurück zum Thema:
Zitat(von zweiterbass: ) Palestrina hat sich dem Druck der röm. Kurie z. T. gebeugt, welche die Polyphonie wegen der schlechten Textverständlichkeit ablehnte und von den Komponisten sakraler, textgebundener Musik eine Abkehr von der Polyphonie forderte. Die Missa Papae Marcelli weist deutliche Züge auf, dass Palestrina die strenge Polyphonie teilweise aufgab zu Gunsten einer besseren Textverständlichkeit.
Der Bekanntheitsgrad der Marcelli ist zweifellos Folge der neuzeitlichen Legendenbildung. Palaestrina stand den verhandelnden Kardinälen weniger nahe als manch anderer seiner Kollegen, die Messe steht in keinem unmittelbar zeitlichen Kontext zu den entscheidenden Konzilsrunden, welche, soweit es die Quellenlage hergibt, wohl auch zu keinem expliziten Verbot irgendeiner musikalischen Praxis führten.
Im Hinblick auf auf polyphone Kompexität und harmonischem Abwechslungssreichtum gibt es interessantere und (um ein Lieblingswort Alfreds zu verwenden) spannendere Werke. Auch in potentiell "konzilsnahen" Messen finden sich immer wieder kontrapunktische Meisterstücke. Zwar sind Gloria und Credo der "Missa Sicut lilium inter spinas" nicht frei von homophonen Passagen, doch handelt es sich um eine klassische [Selbst-]Parodiemesse auf der Basis von vier Themen. Das erste wird sogleich im Kyrie I "durchgewalkt", im Agnus Dei erklingen schliesslich alle Soggetti in dichter Reihenfolge.
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Zitat(von Chorknabe: ) je weiter ich mich von der Klassik entferne umso spannender wird es für mich.
Anhand der Palestrinarezeption wird auch der Traditionsschnitt deutlich, der nach dem zweiten Viertel des 18. Jahrhunderts die unmittelbare Verbindung zur klassischen Vokalpolyphonie weitgehend trennt. Zwischen etwa 1725 (Fux' "Gradus"...) und 1750 wird Palaestrina noch lebhaft rezipiert. Zelenka werkelt an Palaestrina-Bearbeitungen, Bach studiert offenbar die Missa Sine nome, während er an Teilen der h-moll Messe arbeitet, etwa zur selben Zeit verfasst Domenico Scarlatti diese Referenz an den "Palaestrina-Stil":
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P.S: Hallo Chorknabe, in diesem Themenbereich würde wieder jemand mit umfassender Josquin-Erfahrung gebraucht, sonst landen wir hier am Ende noch bei Ries und bei Hummels Messen