Miklós Rózsa - nicht nur Filmmusik

  • Ich kannte ihn zunächst nur als Komponisten für Filmmusik, ehe mir vor Jahren durch seine Biografie klar wurde, dass er auch Musik für den Konzertsaal geschrieben hat: der Ungar Miklós Rózsa, am 18. April 1907 in Budapest geborener Sohn eines begüterten Fabrikanten, gestorben am 27. Juli 1995 in Los Angeles. Er war von 1943 bis zu seinem Tod mit Margaret Finlason verheiratet; das Ehepaar hatte zwei Kinder: Nicholas und Juliet.


    Zu Rózsas Vita: Der Fünfjährige bekam Geigenunterricht von Lajos Berkovits, einem Schüler von Jenö Hubay. In seiner Jugendzeit erwachte in ihm das Interesse für die Volksmusik seiner Heimat, die in seinem op.4, den „Variationen über ein ungarisches Bauernlied“, hörbar sind. 1926 ging Rózsa nach Leipzig um beim Reger-Schüler Hermann Grabner Komposition zu studieren. Der hat sich kurz darauf euphorisch über Rózsas op.1, einem Streichtrio, und dem op.2, einem Klavierquintett, geäußert und mit Hilfe von Karl Straube, dem Thomaskantor, für den Druck der Werke durch Breitkopf und Härtel gesorgt. Der berühmte Verlag hat dann viele der „klassischen“ Kompositionen Rózsas über fünfzig Jahren hinweg herausgebracht. Nicht unerwähnt soll bleiben, dass Rózsa neben dem Musikstudium auf ausdrücklichen Wunsch seines Vaters auch noch ein Chemiestudium aufnahm, dass er aber sehr schnell wieder aufgab, weil die Musik stärker war.


    Nach dem Studienabschluss mit „cum laude“ 1929 blieb er zunächst als Grabners Assistent in Leipzig - zusammen mit seinem Studienkollegen Wolfgang Fortner. Als ein Konzert mit eigener Kammermusik an der Pariser École Normale de Musique erfolgreich ausging, ließ er sich 1932 dort als freischaffender Komponist nieder. Hier schloss er u.a. mit Arthur Honegger Freundschaft und kam durch dessen Anregung zur Filmmusik. Honegger hatte mit der Musik zu „Les Miserables“ vorgemacht, dass man anspruchsvolle Filmmusik komponieren und damit sogar Geld verdienen konnte. Rózsa jedoch musste sich zunächst mit Fanfarenklängen für die Pathé-Wochenschau begnügen und wählte vielleicht auch deshalb das Pseudonym Nic Tomay für diese anspruchslose Arbeiten.


    1935 schrieb Rozsa für die „Markova-Dolin-Company“ das Ballett „Hungaria“, das zwei Jahre im Londoner „Duke of York's Theater“ lief. Dieser Erfolg ließ den Komponisten in die britische Hauptstadt übersiedeln, wo als erste Auftragsarbeit die Musik für den Film „Tatjana“ entstand. Es folgten für das Filmstudio von Alexander Korda (einem Landsmann Rózsas) weitere Kompositionen, darunter „Vier Federn“ und „The Spy in Black“. Als 1940 wegen der deutschen Luftangriffe auf London die Arbeiten für „Der Dieb von Bagdad“ nach Los Angeles verlegt wurden, blieb Rózsa kurzentschlossen hier und avancierte schnell zu einem der ersten Filmkomponisten Hollywoods.


    Zwischen 1937 und 1982 hat Rózsa fast einhundert Filmmusiken komponiert, darunter die Oscarprämiierten „Ich kämpfe um dich“ (Originaltiel „Spellbound“, Regie führte Alfred Hitchkock, die Hauptrollen spielten Ingrid Bergman, Rhonda Fleming und Gregory Peck, 1945), 1948 „A Double Life“ (den Filmtitel wählte Rózsa übrigens später für seine Autobiographie) und 1959 „Ben Hur“; außerdem schrieb er für die Filme „Rächer der Unterwelt“ (1946), „The Naked City“(1948), „Asphalt Dschungel“ (1950), „Quo vadis?“ (1951), „Ivanhoe - Der schwarze Ritter“ (1952), „Julius Caesar“ und „Die Ritter der Tafelrunde“ (beide 1953), sowie 1961 „El Cid“ und „König der Könige“ Partituren - um nur einige zu nennen. Die Spellbound-Musik (Regie George Cukor) hat Rózsa zu einem etwa 12minütigen Klavierkonzert umgearbeitet, das 1946 von Leonard Pennario uraufgeführt wurde. Der angesehene Pianist hat (u.a.) auch Rózsas Klavierkonzert op.31 in der Konzertsaison 1966/67 mit dem Los Angeles Philharmonic unter Zubin Mehta aus der Taufe gehoben.


    Trotz großer Erfolge hatte Rózsa mit den Hollywood-Bossen immer wieder Ärger, denn seine Musik gefiel dem Establishment nicht immer - man wollte spätromantische Musik von ihm. Rózsa blieb aber allen Wünschen gegenüber hart und seiner Klangrede treu. Als weiteres Beispiel für seine Unnachgiebigkeit sei hier noch einmal die Musik zu „Spellbound“ genannt: Rózsa benutzte hierin erstmals das Theremin, eines den Klang einer Geige erzeugenden elektronischen Instruments (erfunden von dem Russen Lew Termen, der sich in den USA Leon Theremin nannte), wobei der Spieler durch Bewegungen entlang einer unsichtbaren Luftsäule die Töne erzeugt. Als die MGM-Bosse den Einsatz dieses Instruments für die Christus-Szenen in „Ben Hur“ verlangten, lehnte Rozsa mit der Begründung ab, es gebe für diese Szenen nur ein „richtiges“ Instrument: die Orgel. In der Tat weist die Partitur zu „Ben Hur“ kein Theremin auf.


    Wenn die Arbeit für das Medium Film auch den überwiegenden Teil von Rózsas Tätigkeit einnahm, so hat er seine „Klassik-Produktion“ nicht ganz eingestellt: 1950 entstand das Streichquartett op.22, und 1953 schrieb er das Violinkonzert op.24 für Jascha Heifetz, der es auch aus der Taufe hob. Als in den 1960er Jahren traditionell-symphonische Filmmusik kaum noch gefragt war, konzentrierte sich Rózsa wieder mehr auf seine Konzertwerke. So entstanden beispielsweise Mitte der Sechziger das Konzert für Klavier und Cello und die Sinfonia Concertante für Violine, Cello und Orchester; 1979 kam als Nachzügler noch das Bratschenkonzert hinzu.


    Aus den späten Jahren ist die Partitur zu „Das Privatleben des Sherlock Holmes“ (1970) erwähnenswert, weil Rozsa der Bitte von Billy Wilder nachkam, Themen aus dem „Heifetz“ Violinkonzert zu verarbeiten. 1977 schrieb er die Musik zu „Providence“ von Alain Resnais und erhielt dafür den „César“; der nostalgische Spionagethriller „Die Nadel“ von 1981 war Rózsas vorletzte Filmarbeit, seine letzte Partitur schrieb er 1982 für die Steve-Martin-Komödie „Tote tragen keine Karos“. Diese Partitur ist insofern interessant, als der Film aus Schnipseln klassischer Kriminalfilme der vierziger Jahre zusammengesetzt ist, von denen einige Rózsa damals schon vertont hatte. Irgendwie muss man an das Parodie-Verfahren der Barockkomponisten denken...


    Ein schwerer Schlaganfall im September 1982, der Rózsas linke Körperhälfte paralysierte, beendete seine Karriere als Komponist. Dennoch brachte er noch einige Werke für Soloinstrumente zur Papier, darunter die „Sonate für für Violine-Solo“ op.40 (1986) und „Introduktion und Allegro für Solobratsche“ (op.44). Kurz vor dem Schlaganfall hatte er noch seine Autobiographie vollenden können. Darin bekennt er, nie ein großer Freund des Mediums Film gewesen zu sein, und das er diese Arbeit in erster Linie als „Broterwerb“ ansah. Aber, so betont er weiter, wie alle seine Kollegen habe er immer sein Bestes gegeben, und seinen Stil nie verleugnet. Am 27. Juli 1995 starb Miklós Rózsa an den Spätfolgen des Schlaganfalls.


    Zu Rózsas Lebzeiten waren seine Konzertwerke sehr gefragt und wurden von den Größen der Dirigierzunft wie Eugene Ormandy, Bruno Walter, Georg Solti, Charles Münch und Leonard Bernstein aufgeführt. Bruno Walter äußerte in einem Interview, dass die gründliche deutsche Ausbildung des Komponisten, darunter seine Vorliebe für kontrapunktischen Satz, in seinen Werken hörbar werde.


    In den Fünfziger Jahren hielt sich Rózsas mehrmals in Deutschland auf, wobei eine enge Beziehung zu den Nürnberger Symphonikern entstand. So hat 1982 Rózsas Kollege Elmer Bernstein Musik für ihn eine umfangreiche Retrospektive aufgenommen. Im selben Jahr hatte Rózsa hier letztmalig selbst eine Neuaufnahme der „Dieb von Bagdad“-Musik dirigiert. Für eine Suite aus „Das Dschungelbuch“ (mit Elmar Gunsch als Erzähler) leitete Klauspeter Seibel 1981 das Nürnberger Orchester.


    Von großer Bedeutung könnten die Polydor-Aufnahmen mit dem Royal Philharmonic Orchestra aus den 1970er Jahren sein, wären die Bänder nicht verloren gegangen. Damals spielte der Komponist unter dem Titel „Rózsa Conducts Rózsa“ eine breite Palette seiner Filmmusiken ein.


    Immerhin wurden viele seiner mit Opuszahlen versehenen Konzertwerke vollständig, einige sogar mehrfach, aufgenommen. Zu nennen sind die Aufnahmen des Violinkonzerts: 1956 mit dem Widmungsträger Jascha Heifetz, 1995 mit Igor Gruppman, 2003 mit Robert McDuffie für Telarc, 2007 von Anastasia Khitruk für Naxos und 2009 mit Matthew Trusler und den Düsseldorfer Symphonikern für Orchid Classics.


    Janos Starker und Leonard Pennario dokumentierten die für sie geschriebenen Konzerte für Cello bzw. Klavier; in jüngerer Zeit auch Lynn Harrell, Danielle Laval bzw. Evelyn Chen (Klavier) und Brinton Smith, Raphael Wallfisch, Peter Rejto (Cello). Auch das Bratschen-Konzert wurde mehrfach eingespielt (Lawrence Power, Paul Silverthorne, Gilad Karni, Maria Newman), sowie die Sinfonia Concertante für Violine und Cello und das Konzert für Streichorchester. In der Mitte der neunziger Jahre spielte Koch International unter dem Dirigenten James Sedares in Neuseeland fast alle erhaltenen Orchesterwerke Rózsas digital ein. Auch die Chor- und Kammermusik ist größtenteils auf Tonträgern erhältlich.


    :hello:

    .


    MUSIKWANDERER