• Lieber Gombert,


    da hast Du ja eine gewaltige Orgel aufgeboten.


    Toller Klang!



    Wieso weichen überhaupt Stimmungen der Orgeln voneinander ab, wenn sie doch eigentlich dem gleichen System (wohltemperiert) verpflichtet sind? Gab es zu der Zeit noch keine Stimmgabeln?

  • Hallo,


    ich habe mir nicht die Mühe gemacht zu prüfen ob das Fugato über die ganze Länge des Stücks eine Fuge ist, anfangs ja, später m. E. mit sehr viel Freiheit.


    Das Besondere an der Aufnahme ist jedoch das Clavichord, was einen sehr feinen, nuancenreichen Klang hat und nur im Rahmen kammermusikalischer Aufführungen eingesetzt werden kann. Zur Tonerzeugung und Anschlagtechnik des Clavichords:
    Anders als bei Cembalo und Spinett, deren Saite nachklingt, auch wenn die Anschlagtaste verlassen wird (es sei denn, sie wird vom Spieler mit dem Pedal gedämpft), klingt die Saite beim Clavichord so lange, als die Taste gedrückt bleibt und der Klang wird sofort durch die Anschlagmechanik unterbrochen, wenn die Taste verlassen wird; es ist also ein Vorgang wie bei der Orgel. Da die Hände des Spielers und Mechanik des Clavichords gut sichtbar sind, kann dieser Vorgang sehr gut nachvollzogen werden.
    Es kommt aber noch hinzu: Der Klang wird durch die Anschlagmechanik sofort unterbrochen wenn...., was jedoch dadurch gesteuert werden kann, wie schnell/langsam die Taste verlassen wird; wenn die Taste langsam verlassen wird, tritt die Dämpfung ebenso langsam ein - es ergibt sich also ein Dynamikeffekt, der wesentlich vom Können des Spielers abhängt, sofern er diesen Effekt wünscht (was bei einem Fugato nicht so sinnvoll sein kann - in dieser Aufnahme ist es auch nicht zu hören). Diesen Dynamikeffekt hat der Orgelspieler natürlich nicht (dafür hat er das Schwellwerk), da die Anschlagtaste ein Windventil öffnet/schließt und dies muss sofort und vollständig erfolgen, anders würde die Tonhöhe sehr stark leiden.


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Hallo zweiterbass,


    eine sehr kenntnisreiche Analyse, Chapeau!


    Inzwischen ist die bestellte CD mit "Musik für das Lautenklavier" eingetroffen: Robert Hill spielt auf einem von Keith Hill gebauten Lautenklavier.


    Ich habe jetzt noch nicht die Details verglichen, die wir weiter oben diskutiert haben, meine aber nach einem ersten Hineinhören, daß es eigentlich keine Möglichkeit gibt, ein Lautenklavier mit einem Cembalo zu verwechseln, der Klang ist sehr viel "stumpfer".

  • Lieber m-müller,
    zunächst noch einmal vielen Dank für das Hasse-Stück; gutes Instrument, guter Interpret - nebenbei wird auch noch angedeutet, warum sich der Komponist am Dresdner Hof durchzusetzten vermochte.


    Zu Vincent Lübeck in "Pseudo-Stade" und Grauhof:

    Zitat

    Wieso weichen überhaupt Stimmungen der Orgeln voneinander ab, wenn sie doch eigentlich dem gleichen System (wohltemperiert) verpflichtet sind? Gab es zu der Zeit noch keine Stimmgabeln?


    Die Stimmgabel gibt es zwar seit dem frühen 18. Jahrhundert (obgleich natürlich noch kein verbindlicher Kammerton festgelegt war). Nur liess sich ein Tasteninstrument ohnehin über den gesamten Tonumfang und alle Tonarten nur relativ (korrekt/rein) stimmen, da anders als etwa bei Saiteninstrumenten die zwölf Halbtöne der Oktave fest eingestimmt werden müssen. Andernfalls hätte man sich ja die ganze Debatte etwa um mitteltönige oder wohltemperierte Stimmung ersparen können und die Musikgeschichte wäre geringfügig langweiliger verlaufen.


    Wohltemperiert heisst nicht unbedingt absolut gleichstufig. Tatsächlich handelt es sich um einen Sammelbegriff für verschiedene Kompromissvorschläge. Angestrebt wurde die Verwendbarkeit möglichst vieler Tonarten, auch jener, die bei mitteltöniger Stimmung nicht anwendbar waren, gleichzeitig sollte der Quintenzirkel ohne Anfall von "falsch klingendem Überschuss" geschlossen werden, ohne dabei die rein klingenden Terzen völlig zu verdrängen.
    Da nicht alle diese Ziele im gleichem Mass erreichbar waren, unterscheiden sich die verschiedenen Temperierungen durch ihre entsprechenden Prämissen.
    Die Anhänger der Mitteltönigkeit zeigten sich ja unerfreut über den bei "wohltemperierten" Orgeln unreineren Klang der mit mehreren Vorzeichen versehenen Tonarten oder die Verstimmung der Terzen zugunsten der reinen Quinten. "Werckmeister III" ist auch heute eine beliebte "Kompromiss-" Stimmung bei erhaltenen norddeutschen Barockorgeln, auch wenn diese ursprünglich auf mehr oder weniger reine Weise mitteltönig gestimmt waren, man sich aber nicht auf damit verbundenen Einschränkungen hinsichtlich der spielbaren Literatur einlassen möchte. In diesem Fall werden die Quinten c-g, g-d, d-a und h-fis um 1/4 pythagoreisches Komma verkleinert, wodurch sich der Quintenzirkel mit acht reinen Quinten schliessen lässt.
    Die "Stimmung" nach Kirnberger z.B. ist genau genommen überhaupt nicht temperiert, sondern basiert auf einem Auswahlverfahren aus mehreren reinen Quinten. Die Treutmannorgel aus Beitrag 239 ist in "Kellner/Bach 1/5" "gestimmt", letztlich auch keine rein gleichschwebende Temperierung - und die Verbindung zu Bach ist nebenbei eine konstruierte (es ist noch immer umstritten, ob Bachs "Wohltempererierung" überhaupt gleichstufig war)


    Übrigens waren wohl auch manche norddeutschen Grossorgeln bereits Ende des 17. Jahrhunderts nicht mehr mitteltönig gestimmt. Buxtehude etwa liess möglicherweise seine beim Palmsonntagsangriff von 1942 zerstörten Orgeln in der Lübecker Marienkirche nach Werkmeister III stimmen, jedenfalls tauchen in manchen späteren Werken wie BuxWV 137, 141, 142 oder 146 Töne wie as oder dis auf, die im mitteltönigen "Wolfszirkel" liegen.

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  • Apropos Buxtehude.


    Zitat

    Zitat m-müller
    da hast Du ja eine gewaltige Orgel aufgeboten.


    Dürfen es noch 18 Register mehr sein? Die "Temperierung" der hier beim g-moll Präludium verwendeten Schnitgerorgel war bei/nach ihrer aufwendigen Restaurierung in den achtziger Jahren sehr umstritten. Der Restaurator Jürgen Ahrend bevorzugte eine relativ reine Mitteltönigkeit, der Organist wollte hingegen in die Lage versetzt sein, den gesamten Bach spielen können. So einigte man sich auf eine gemässigte Mitteltönigkeit mit einer "Abweichung" von 1/5 Syntonisches Komma, die kein historisches Vorbild hat.


    /7_liS3WlN9w


    BuxWV 149 ist eines der wirkungsvollsten Werke des Komponisten, hier nicht nur mit sehr adäquatem Instrument, sondern auch mit einem ebendsolchen Interpreten. Der abwechslungsreiche "Stylus Phantasticus" verbindet sich mit der einem gewissermassen mehrteiligen rhetorischen Modell nach dem Schema Proposition - Confutation (1. Fuge) - Confirmatio (Zwischenspiel) - Confutatio II (2. Fuge) - Conclusio.
    Die altbekannte Originalität Buxtehudes manifestiert sich hier bereits durch die toccataähnlichen Einleitung in Form einer Chaconne. Sie beginnt mit einer Art Fanfare aus regelmässigen, sequenzartigen Sechzehnteln. Nach ostinatohaften Pedaleinsatz ab Takt 7 werden die Sextolen im weiteren Verlauf durch akkordische Figurationen, imitierende Skalenpassagen etc. variiert.


    Das Thema der ersten Fuge (T. 21-56; 1:05min), im Ricercar-Stil, wirkt beinahe schon "arios", wirkt im Anschluss an die effektvollen Eröffnung zugleich aber auch etwas trocken. Zweimal wird das aus dem Ostinato abgeleitete Thema durchgeführt. Ein zweites Hauptmotiv entstammt der kontrapunktierenden Weiterentwicklung des Comeseinsatzes.


    Das Zwischenspiel (T. 57-80, Allegro) ist periodisch aufgebaut und entwickelt sich harmonisch über g-F-B-c-Es zurück nach g. Bei akkordischer Gesamtgestaltung erinnert die Bassfiguration zunächst an Buxtehudes Triosonaten, ab Takt 70 wird sie zu einem an das Vorspiel erinnerndes Ostinato. Ton Koopmans Pedalspiel macht dieses Zwischenspiel zum heimlichen Herz des Gesamtstücks, das tänzerische Element erhält hier eine Wildheit, die entfernt an die späteren Ritornelle Zelenkas erinnert, in welche die Vokalfugen eingebettet werden. Schliesslich übernimmt die Oberstimme das bisherige Pedalmotiv.


    Das in punktiertem Rhythmus erklingende Thema der zweite, diskantbetonten Fuge (T. 80-161, 3:07) ist eine Abwandlung von jenem der vorangegangenen Fuge, deren Anfangstöne bei gleichzeitigen metrischen Veränderungen umgestellt werden. Es wird viermal mit dem Kontrasubjekt durchgeführt. Letzteres tritt auch als selbständiges Thema auf und erhält eine sukzessiv grössere Bedeutung in der melodischen Weiterentwicklung des Satzes. In harmonischer Hinsicht bemerkenswert ist die mit einer unvorbereiteten Septime einsetzende Wendung nach b-moll. Der finale Themeneinsatz erfolgt im Pedal als Dux in der Molltonart der Subdominante. Zum Abschluss wird eine Brücke zum Einleitungsostinato geschlagen.


    Die Coda ist wiederum toccataartig gehalten, nach einem betonten Ganzschluss in c-moll geht es in die Grundtonart.

  • Inzwischen ist die bestellte CD mit "Musik für das Lautenklavier" eingetroffen: Robert Hill spielt auf einem von Keith Hill gebauten Lautenklavier.


    Hallo m-mueller,


    auch bei JPC gibt es diese CD - da gibt es Hörschnipsel. Zum Lautenklavier von Keith Hill auf dem Robert Hill spielt: In den höheren Registern handelt es sich mit Sicherheit um Metallbesaitung, die tiefen sind Darm- oder Kunststoffbesaitung; also J. S. Bach hatte gewiss kein Lautenklavier bzw. -werk mit Metallbesaitung. Dadurch klingt dass Instrument in den hohen Lagen wie ein wohltönendes Cembalo, aber in den tiefen Lagen ist es vom Klang der Laute/Theorbe doch ziemlich entfernt.


    Ich habe mich inzwischen auch im Internet über Lautenklavier schlau gemacht. Der Unterschied zum Cembalo besteht m. E. besonders in dem wesentliche größeren Resonanzraum, weil der bei dem Lautenklavier eben bauchförmig wie bei einer Laute ist.
    Es klingt aber recht ansprechend, wenn auch die unterschiedliche Besaitung m. E. nicht so gut zusammen passt - der Klangunterschied ist zu groß, es klingt wie 2 Instrumente.


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Apropos Buxtehude.


    Lieber Gombert,


    danke für diesen Hinweis und die erhellende Analyse ! Ich habe das Werk gleich mehrfach hintereinander gehört (das mache ich immer so, wenn ich etwas wirklich kennen lernen will). Wenn jemand den prachtvollen barocken Klang einer sehr schönen Orgel demonstrieren möchte, gibt es kaum einen passenderen Beleg.... !
    Schön ist auch dein Hinweis auf Zelenka. In der Tat stehen sich die Stimmungen in diesem Werk und manchen Ritornellen Zelenkas durchaus nahe. Wenn auch kaum jemand die widerspenstige Kraft Zelenkas erreicht (sorry, hier bin ich voreingenommen).
    Jedoch hat mich dies auf die Qualitäten Buxtehudes aufmerksam gemacht und lässt vermuten, dass unter diesem Namen (für meinen persönlichen Genuss sowie eventuell auch für diesen Thread) noch manche Schätze zu entdecken sind !


    Viele Grüße
    Bachiana :hello:

    Man sagt, wenn die Engel für Gott spielen, so spielen sie Bach, füreinander aber spielen sie Mozart.
    (Sir Isaiah Berlin)

  • Im Anschluss an Beitrag 246 noch eine Fuge in g-moll, bereits unter "Beste Fugen" angesprochen, doch nicht mit dem folgenden Video versehen - einmal mehr Ton Koopman, diesmal an der Grossen Sibermannorgel im Freiberger Dom.



    BWV 578 mag die beliebteste solitäre Orgelfuge Bachs sein, nicht zuletzt wegen des prägnanten, gewissermassen spielgelsymetrisch aufgebauten Themas. Es entzieht sich der typisierenden Einordnung, da es u.a. Elemente des norddeutschen Spielthemas, einer Canzonenfuge oder - infolge der leeren d-Saite - eines Violinthemas enthält, ohne einer dieser Kategorien gänzlich zu entsprechen.



    Über fünf Takte hinweg wird das dreiphrasige (T. 1-2, 3, 4-5) Thema vorgestellt, in Takt 6 beginnt die reale Beantwortung. Insbesondere vor dem zweiten Zwischenspiel sind immer wieder Elemente einer Permutationsfuge präsent; so finden sich etwa vollständige Stimmenvertauschungen.



    Ein erster Scheineinsatz, vielleicht eher eine Beinahe-Engführung, erfolgt in Takt 25, der Themeneinsatz in der Tonikaparalelle in Takt 33, in der Subdominante ab Takt 50. Konsequent-lakonisch wird das Werk durch einen finalen Themeneinsatz im Pedal beendet, diesmal für eine ebenfalls knappe Kadenz verkürzt.



    Dieser Abschluss ist bezeichnend für den äusserst stringenten Aufbau des Stücks. Derartige frühen Orgelfugen Bachs werden in der Musikwissenschaft oft nicht sehr geschätzt, da sie an der kontrapunktischen Elaboriertheit von Werken wie BWV 538, 540 oder 547 gemessen werden. Doch bilden sie eine singuläre Erscheinung in der Geschichte der barocken Orgelmusik, da sie noch nicht den rezeptionsgeschichtlich massstabsetzenden späteren Bachfugen entsprechen, gleichzeitig und trotz formaler Übereinstimmungen auch nicht mehr viel mit den typischen Werken der etwas älteren nord- oder mitteldeutschen Orgelkomponisten - von Leyding bis Buttstedt - zu tun haben.



    Hätten jene wohl mit redundant-motorischer Rhythmik gearbeitet, vermag Bach auf eine subtilere Weise die beinahe kinetische Energie aufzubauen, welche Koopmans Interpretation noch betont. Mögen sich die kontrapunktischen Künste auch nicht in höchste Höhen aufschwingen, bleibt der vierstimmige Satz sehr dicht und konsequent gearbeitet, zumal selbst die Zwischenspiele voller motivischer Bezüge zum Thema sind.


    [media]/PhRa3REdozw[/YouTube]

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  • BWV 578 mag die beliebteste solitäre Orgelfuge Bachs sein,


    Gombert, danke für diese schöne Analyse einer großartigen Fuge !


    Ich kann gut verstehen, warum dieses Werk zu allen Zeiten so erfolgreich war. Bach hat hier offenbar tatsächlich wenig Wert auf kontrapunktische Verarbeitung gelegt. Die erste Durchführung des Themas geht vollständig durch alle Stimmen, die darauffolgenden "Durchführungen" bringen das Thema teils gar nur in einem einzigen Einsatz. Die ausgedehnten Zwischenspiele haben sehr starken Charakter eher einer Fantasie oder eines Präludiums, als den einer Fuge.

    Mögen sich die kontrapunktischen Künste auch nicht in höchste Höhen aufschwingen,


    Vielleicht wollte Bach auch gerade dieses ? Spielfreude und überschäumende Klangpracht gegenüber komplex-geistiger Tonkonstruktion zu bevorzugen ? Die Nachwelt hat es ihm offenbar gedankt ...


    :hello: Bachiania

    Man sagt, wenn die Engel für Gott spielen, so spielen sie Bach, füreinander aber spielen sie Mozart.
    (Sir Isaiah Berlin)

  • Hallo Gombert,


    vorerst beschränke ich mich auf den Klangeindruck, den die Fuge (und deren Interpretation durch Koopman) bei mir hinterlassen hat: Da höre ich mit Freude eine große Energie im Vorwärtsdrang der Rhythmik - was mich an die Bearbeitung der Sinfonia aus BWV 35 durch A. Guilmant (siehe dortigen Thread) erinnert.


    Wenn ich Fragen zu Deiner Analyse habe, komme ich noch auf Dich zu.


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Koopmann knallt das ziemlich runter, ich mag es eigentlich lieber bombastischer.


    Aber sehr einleuchtende Analyse, wobei ich die musiktheoretischen Passagen nur scheinbar verstehe (heißt: ich verstehe nix, es hört sich aber trotzdem gut an) - aber die Folgerungen sind sehr gut dargestellt und waren mir auch neu.

  • Hier eine Kombination aus zwei wenig bekannten Namen:
    Alexander Kopylov hat in seinem Opus 12 3 Fugen zusammengefaßt, deren erste in c-moll unten zu hören ist.


    Gespielt wird die Fuge von Erakko Ipolitov, einem Amateur aus Japan.


    Und die Kombination aus Stück und Interpret ist ebenfalls sehr ansprechend.


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  • Einzigartig in Buxtehudes Oevre ist das grosse Präludium BuxWV 142. Stehen die fugierten Abschnitte sonst häufig im Schatten der verspielten, aus der Improvisation geborenen präludierenden oder sonstigen freien Passagen, ist es hier umgekehrt. Das streckenweise ungewöhnlich ernste Werk steht denn auch in e-Moll, einer Tonart, die auch bei manchen Trauerkompositionen des Komponisten zu finden ist. (Damit dürfte dieses Stück nebenbei auch nicht mehr für rein mitteltönig temperierte Orgeln geeignet gewesen sein).



    Wie üblich startet das Werk mit einer Art Fanfare. Bei insgesamt homophonem Satz spielt die Figuration eine entscheidende Rolle. Das simple Anfangsmotiv wandert durch die Stimmen. Für buxtehudische Verhältnisse ist dieses eigentliche Präludium letztlich auffällig unauffällig.



    Alle Fugen basieren auf einem jeweils eigenen Thema, doch sind diese auf zurückhaltende Weise motivisch aufeinander bezogen. Zu den Gemeinsamkeiten von Nummer eins und zwei gehören neben der Chromatik auch Oktav- und Quintsprung.



    Motivisch ähnelt die erste Fuge den canzonettenartigen norddeutschen "Spielfugen", ist jedoch vierstimmig gesetzt und verlangt den Einsatz des Pedals. Ein chromatisches Motiv wird dem ersten, recht lebhaften Thema entgegengestellt.



    Die zweite Fuge bildet nicht nur den Mittelpunkt des Werks, sondern dürfte auch die kontrapunktisch raffinierteste Passage in Buxtehudes Gesamtwerk darstellen. In den ersten beiden Durchführungen erscheint das Gegenthema als krebsgängige Form des Hauptthemas in der Unterquinte, zugleich wird die Skala transformiert. Ein weiteres Gegenthema erscheint in der dritten Durchführung. Es wird mit dem Hauptthema sowohl in dessen unmittelbarer Form wie auch in dessen Umkehrung verarbeitet. Auch die später auftretende Engführung arbeitet mit diesem Prinzip. Zunächst wird in der Fuge eine erhebliche chromatische Spannung aufgebaut. Eine verminderte Quarte in Form des "saltus duriusculus" am Ende des zweiten Themas unterstützt diesen Eindruck. Sukzessive wird der Abschnitt jedoch zu einer besinnlicheren Einfachheit geführt.



    Das Zwischenspiel ist akkordisch geprägt. Harmonisch ist es ungewöhnlich schlicht - wie überall in diesem Werk treten die freien Abschnitte bescheiden gegenüber den Fugen zurück, in diesem Fall insbesondere gegenüber der Farbigkeit der zweiten Fuge.



    Die dritte und letzte Fuge ist faktisch eine Gigue im 12/8-Takt, nun frei von Chromatik. Auch der bekannte Oktavsprung taucht wieder auf, diesmal ergänzt durch einen Quintabstieg. In betontem Kontrast zur vorangegangenen Fuge ist dieser Abschnitt nur locker polyphon gesetzt. Nach zwei Durchführungen verflüchtigt sich die Fuge endgültig in eine quasi concertante Form.



    Aus heutiger Sicht erscheint BuxWV 142 beinahe wie ein Vorgriff auf manches späte Orgelwerk Bachs, wobei sich hier allerdings im Rahmen eines gewissermassen symmetrischen Aufbaus die grösste satztechnische Verdichtung in der Mitte des Werks findet.




    [media]/iMOSsUklqQY[/YouTube]


    Bei der Orgel dürfte es sich um die aufwändigste Rekonstruktion dieser Art in den letzten Jahrzehnten handeln. Im Kern ist sie eine Kopie der 1942 durch einen Luftangriff zerstörten Schnitgerorgel des Lübecker Doms (auch das Gehäuse ist rekonstruiert, jedoch ohne die reichen Verzierungen). Darüber hinaus wurden aber auch (klangliche) Komponenten anderer Schnitgerorgeln hinzugefügt - insgesamt versuchte man in Göteborg auf Basis diverser Messungen so etwas wie eine ideale, prototypische norddeutsche Barockorgel zu bauen...

  • Ausnahmsweise reagiere ich zunächst mal nicht inhaltlich. Sondern möchte euch etwas fragen, m-mueller und Gombert : mit welcher Methode fügt ihr beide die youtube Videos diese Beiträge ein? Mein Smartphone (Android System) zeigt nämlich das Video aus Beitrag 255 von m-mueller an, jenes hingegen von Gombert aus Beitrag 256 nur als leeren Platzhalter. Vielleicht ließ sich das Problem lösen oder die Ursache finden, indem ihr erklärt, wie ihr es macht?


    Danke, sagt Bachiania :)


    P. S. Vielleicht liest dieses auch Theophilus und kann irgendwie helfen...

    Man sagt, wenn die Engel für Gott spielen, so spielen sie Bach, füreinander aber spielen sie Mozart.
    (Sir Isaiah Berlin)

  • Zitat

    mit welcher Methode fügt ihr beide die youtube Videos diese Beiträge ein?

    Die Y.T. - Adresse ab dem letzten slash und im Editor per "You Tube"-button verlinkt.
    Hier ein anderes Video mit BuxWV 142 (Müller-Orgel Leeuwarden) in doppelter Verlinkung.


    /F2pwIWk4zn8


    http://youtu.be/F2pwIWk4zn8


    P.S. Kupuilow ist nicht uninteressant, ein spätromantischer russischer Komponist mit passagenweise fast historisierenden Ausflügen in die mitteleuropäische Musikgeschichte.

  • Vincent Lübeck koppelt im E-dur-Werk aus den Beiträgen 236 und 239 genau genommen drei Fugen
    aneinander, die kein Thema teilen, wenngleich thematische Bezüge bestehen. Der musikalische
    Gestus kontrastiert, noch gestützt durch den Wechsel vom manualiter- und pedaliter
    Spielweise. Nach dem Präludium folgt eine motettenhafte Fuge, dann eine weitere im
    Canzonettenstil. Die letzte im 3/4-Takt (und metrischen Verschiebungen) ist die elaborierteste,
    über ein Doppelthema gearbeitet und auch harmonisch am abwechslungsreichsten.

  • Im Anschluss an Buxtehude noch ein weiteres Werk des norddeutschen Orgelbarocks in e-Moll.
    Das grosse Präludium von Nicolaus Bruhns kann als fünfteilig beschrieben werden (so wie bei
    Buxtehude üblich), tatsächlich ist es aber durch die beständigen Affektwechsel faktisch
    noch kleinteiliger angelegt. Obgleich diese zahlreichen Werkabschnitte formal wenig miteinander zu
    tun haben, verbindet sie Momente des Originellen und Improvisierten - so bewahrt das Stück für den
    Hörer wesentlich mehr Kontinuität, als bei abstarkter Analyse zu vermuten wäre. Die freien Abschnitte vor
    und zwischen den Fugen bieten auffahrende Gesten und überraschende harmonische Wendungen. Auch die Fugen selbst betten sich in dieses vermeintliche Konglomerat gut ein, zumal auch sie jener "Bewegungsfreudigkeit" unterliegen, welche viele norddeutsche Präludien dieser Zeit kennzeichnen. Das chromatische Thema der ersten Fuge (T. 21-80) kontrastiert mit zwei bizarr-rhythmischen Kontrasubjekten. In der zweiten (T. 132-153) wird ein deutlich synkopiertes Thema Grundlage einer sehr eigenwilligen Gigue.


    /9sPJ4WvJo_o


    http://youtu.be/9sPJ4WvJo_o


    Die Orgel Christian Müllers in Haarlem gehört neben den Instrumenten in der Hamburger Jakobikirche und der Schnitgerorgel in Zwolle zu den grössten Werken des norddeutschen Barock, wurde aber gegenüber der in Beitrag 258 eingestellten Müller-Orgel in Leewarden etwas stärker verändert.

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  • Nachtrag:


    Im Video zu BuxWV 142/ Beitrag 258 (mit Bezug auf Beitrag 256) beginnen die Fugen bei 1:08, 2:54, 7:10 min
    Bei Bruhns grossem e-Moll-Präludium/Beitrag 260 bei 1:16, 6:26 min
    BuxWV 149/Beitrag 246: die zweite Fuge beginnt bei 3:57

  • Gespielt wird die Fuge von Erakko Ipolitov, einem Amateur aus Japan


    und auf einem Digital-Piano, dessen Anschlagsteuerung mir seltsam (einheitliches Forte?) vorkommt.

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler


  • und auf einem Digital-Piano, dessen Anschlagsteuerung mir seltsam (einheitliches Forte?) vorkommt.


    Es scheint mir schon eine Lautstärkendynamik vorzuliegen, allerdings nicht so ausgeprägt wie auf einem Flügel. Aber mir ging es mehr darum, darzustellen, daß auch Amateure mit Amateur-Equipment ordentlich Fugen spielen können.

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  • Bei der Orgel dürfte es sich um die aufwändigste Rekonstruktion dieser Art in den letzten Jahrzehnten handeln. Im Kern ist sie eine Kopie der 1942 durch einen Luftangriff zerstörten Schnitgerorgel des Lübecker Doms (auch das Gehäuse ist rekonstruiert, jedoch ohne die reichen Verzierungen). Darüber hinaus wurden aber auch (klangliche) Komponenten anderer Schnitgerorgeln hinzugefügt - insgesamt versuchte man in Göteborg auf Basis diverser Messungen so etwas wie eine ideale, prototypische norddeutsche Barockorgel zu bauen...


    Hallo Gombert,
    dabei dürfte die Stimmung der Orgel - welche eigentlich? - ziemlich daneben gegangen sein, so höre ich es zumindest bei BuxWV 142, 1. Fuge; Weiteres habe ich mir erspart.


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Hallo Gombert,


    Fragen zu BWV 578, g-Moll, Dein Beitrag Nr. 250


    Die Tonikaparalelle in Takt 33:
    1. Takt, 1. Ton, Thema=g‘ – 1. Ton, Takt 33 links Unterstimme=b, oktaviert=b‘ – es handelt sich also um eine Dur-Paralelle (B-Dur) zu einer Moll-Tonika (g-Moll). Richtig?


    Die Subdominante in Takt 50 = c‘‘(g-Moll) ist für mich klar.


    Viele Grüße
    zweiterbass,

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  • Hallo Gombert,


    zu Deinem Beitrag Nr. 258, BuxWV142:
    Die Orgel (kennst Du Ihre Stimmung?) hat nur ganz leichte Intonationsprobleme – aber so klingen eben m. E. Orgeln aus dieser Zeit (nicht der Nachbau aus Göteborg) – und da macht es Freude, Buxtehude zu hören. Neben 2 weiteren YouTube-Aufnahmen (Orgel?) gibt es noch die YouTube-Einspielung auf einer Orgel aus der Schweiz Bj. 2004, die hört sich für mich auch gut an (aber Barockorgelklang?).


    Zu Deinem Beitrag Nr. 260 , Bruhns Praeludium e-Moll: Die Orgelpunkte anfangs geben dem Werk sofort eine mächtige, klangvolle Wirkung (in Verbindung mit der prächtigen Barockorgel), die Fugeneinsätze sind gut zu hören – insgesamt ein abwechslungsreiches Werk. Aber auch die YouTube-Einspielung aus Italien ist für mich gut, die Orgel klingt etwas weicher weil anders (abwechslungsreicher) registriert und das fortlaufende Notenblatt kann z. T. das Runterladen der Noten sparen.


    Viele Grüße
    zweiterbass

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