Verblassender Ruhm von Interpreten - Vol 1 - Die Dirigenten

  • Der nun folgende Thread leitet den Beginn einer Serie von Treads ein - geplant ist eine Trilogie, sollte mehr draus werden: auch gut.
    Das Thema ist die Divergenz zwischen Ruhm zu Lebzeiten - der sich ja durchaus schwankend gestaltet haben kann - und posthum - Kurzzeit und Langzeit.



    Der Verlauf ist in vielen Fällen immer wieder derselbe:
    Zu Lebzeiten laut bejubelt (wobei es hier feine Nuancen gibt)
    Danach Betroffenheit beim Eintritt des Todes:
    Unvergessen - unersetzlich - Referenz auf ewig
    Anschliessend auf ca 10-15 Jahre vergessen
    Dazwischen (meist) kurzes Aufleben zum 100. Geburtstag.
    Entweder Anlässlich desselben, oder aber auch später:
    Wiederentdeckung eines "Großen Dirigenten", eines "Meilensteins der Interpretationsgeschichte" - "Eines Künstlers von zeitloser Modernität", eines "Klangmagiers, wie keinen zweiten" oder aber "eines einstigen Visionärs" der "gegenwärtige Zeitstömungen schon lange vorausgeahnt hat"


    Letzerews Attribut wird meist jenen zugesprochen, die nach dem Tode "entdeckt" - aber nicht "Wiederentdeckt" wurden - weil nämlich zu Lebzeiten kein Hahn nach ihnen krähte.


    In all diesen Fällen werden dann aus den staubigsten Winkel der Archive, wo man die alten ungeliebten Bänder verschimmeln ließ, all das was noch irgendwie Töne von sich gab in die Remastering-Studios transportiert, und die Tontechnik vor die unlösbare Aufgabe gestellt, an sich unbrauchbaren Klang zeitgemäß zu verbessern, an den Standard unserer Zeit anzupassen.


    Oft werden hier auch sogenannte "Erstveröffentlichungen" kreiert - dann nämlich, wenn das musikalische oder tontechnische Resultat, den einst Berantwortlichen, al ungenügend erschien, und man von der Produktion als Tonträger absah......


    Dennoch - speziell Dirigenten wurden verhältnismäßg öfter in die Vergessenheit geschickt, als beispielsweise Sänger oder Pianisten, vermutlich weil bei denen die Unverwechselbarkeit eher gegeben ist, als bei Dirigenten, daß dort manches wirklich unverzichtbar ist (?)


    Aber oft werden Dirigenten schon zu Lebzeiten vergessen - über die Gründe darf hier nachgedacht werden.


    Aber auch die generelle Divergenz zwischen Nachruhm und Status zu Lebzeiten ist nicht uninteressant. Karl Böhm zum Beispiel war zu Lebzeiten stet ein führender Dirigent - den Ruf als konkurrenzloser Mozart- und Schubertdirigent ertwarb er jedoch erst im Alter ....


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • In dieser "Chronologie des Ruhms" fehlt mir die praktisch bei jeder berühmten Persönlichkeit nach dem Tode irgendwann eintretende Phase der Kritik, die zumeist noch vor dem "Vergessen" stattfindet. So nach dem Motto Viel Ehr', viel Feind'.


    :hello:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Zitat

    In dieser "Chronologie des Ruhms" fehlt mir die praktisch bei jeder berühmten Persönlichkeit nach dem Tode irgendwann eintretende Phase der Kritik, die zumeist noch vor dem "Vergessen" stattfindet. So nach dem Motto Viel Ehr', viel Feind'.


    Lieber Theophilius


    DANKE für diesen wichtigen Hinweis.
    Allerdings verhindert diese Phase zumeist das eigentliche Vergessenwerden. Der Nachruhm eines Künstlers wird durch nichts so gefördert wie das posthume "Wadlbeissen" durch oft unbedeutende lokale Kulturredakteure, die sich auf diese Weise einerseits einen Platz in der Kritikerhölle, bzw einen auf dem Parnass der Giftspritzer versprechen, - andrerseits aber das Verdienst für sich in Anspruch nehmen dürfen dem Angegriffenen auf diese Art und Weise zu "unsterblichem Ruhm" verholfen zu haben.


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat

    Dennoch - speziell Dirigenten wurden verhältnismäßg öfter in die Vergessenheit geschickt, als beispielsweise Sänger oder Pianisten (...) Aber oft werden Dirigenten schon zu Lebzeiten vergessen - über die Gründe darf hier nachgedacht werden.


    Ich versuche schon seit einiger Zeit, diese Dirigenten zu ermitteln. Wenn ich dann und wann durch ein größeres und gut sortiertes Geschäft für CD's gehe, fallen mir immer wieder die Namen Böhm, Karajan, Solti, Knappertsbusch, Furtwängler, Mitropoulos usw. auf (die Namen stehen nicht aus Absicht in dieser Reihenfolge!). Die sind also noch da. Etwas enger wirds dann schon bei Busch, Scherchen, Heger, Rosbaud usw. Denen bleibt nur die Historien-Nische. Aber immerhin...


    Ich habe den Eindruck, daß eine kontinuierliche Ausdünnung eher mit den Geschäftspraktiken der Labels zu tun hat, als es am mangelnden Interesse der Käufer liegen könnte. Wiewohl die Bereitstellung der Tondokumente ja auf vielfältige Weise Geld kostet. Und: Die Majors möchten daher wohl lieber ihre aktuellen Interpreten verkaufen - denke ich mal. Vielleicht ist es aber auch nur ganz banal: Je länger der Künstler vor unserer Zeit verschied, umso geringer das Interesse an seinen hinterlassenen Tondokumenten. Es soll ja sogar in den besten Familien vorkommen, daß man eines Tages ehemals liebe Verwandte (oder auch gute Freunde) "vergißt"...

    .


    MUSIKWANDERER

  • Zitat

    Je länger der Künstler vor unserer Zeit verschied, umso geringer das Interesse an seinen hinterlassenen Aufnahmen....


    Ja und nein. Bei Aufnahmen mit "historischem" Klangbild ist die Gefahr natürlich sehr groß. Aber auch hier gibt es Ausnahmen. Furtwängler ist - so scheint es - bis heute unvergessen. Ähnliches lässt sich über Ferenc Fricsay sagen. Aber auch er war über einen längeren Zeitraum "vergessen". Viele seiner Aufnahmen waren noch in mono - ein absolutes "no go"
    in den mittleren Sechziger - Jahren und danach. Was nicht Stereo war wurde allmählich vom Markt genommen und durch andere Aufnahmen ersetzt. Der Stern Karajan glühte in jener Zeit am hellsten. Und er glüht noch bis heute. In diesem Zusammenhang ist zu hinterfragen: Warum ? Karajan war - im Gegensatz zu seinem Ruf ja weder ein Partylöwe, noch sonst irgendwie dominiant. Seine "Aura" bestand vorzugsweise aus seiner Intelligenz, seinem Perfektionismus, der vorzüglichen PR seines Plattenlabels und dem "willigen Publikum", das stets einen Ersatzgott suchte - und gefunden hatte. Nach Karajans Tod fanden sich dann genug Gegner, die den verblichenen Maestro derartig unqualifiziert angriffen, daß er stets in Erinnerung blieb- bis heute, soll heissen sie polierten die Statue auf, die sie stürzen wollten. Andere Dirigenten hatten dieses poshume "Glück" nicht - sie bekamen einen schönen Nachruf - und sind heute vielen Klassikhörern der jüngeren Generation einfach unbekannt. Es liegt - aus meiner Sicht - doch eher am Kauffverhalten des Publikums als an jenem der Vermarkter. Denn es ist natürlich billiger eine 50 Jahre alte Aufnahme neu zu verpacken (und nicht mal das wäre notwendig) als einen eher uncharismatischen "Jungstar" neu aufzubauen.
    Hier können und sollen Namen gennnt werden, denn nur durch die stete Erwähnung dieser Namen wird vielleicht EINIGEN des Vergessenwerden erspart bleiben. Dass es in letzter Konsequenz unvermeidlich ist, ergibt sich schon aus den vielen Neuaufnahmen, denn alles kann der Musikfreund nicht kauft - und schon gar nicht bewusst hören.


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Es ist ganz natürlich, dass der Ruhm von Dirigenten verblasst, wenn sie nicht mehr unter uns weilen. Es gab aber m.E. noch nie ein so umfangreiches Angebot an historischen Aufnahmen und Wiederveröffentlichungen. Von fast allen historisch bedeutenden Dirigenten sind fast alle Tonträger verfügbar, zumindest die kommerziell erstellten plus oft unzählige Konzertmitschnitte. Noch nie konnte man sich also so gut über die Leistungen dieser informieren. Aber wie ja auch hier im Forum öfters diskutiert, sind gerade für jüngere Hörer z.B. Aufnahmen aus der Monozeit quasi nicht-existent. Dort beginnt die Interpretationsgeschichte eben erst mit Karajan und Bernstein.

  • Es gibt schon manchmal Entwicklungen, die nicht so recht nachvollziehbar sind; oft hängt das gar nicht an dem jeweiligen Künstler und auch nicht nur an der Plattenfirma, sondern an breiteren Entwicklungen. Sicher ist der Mono/Stereo-Einschnitt manchmal wichtig, aber bei zB Toscanini oder Furtwängler vollkommen egal. Deren Einspielungen waren praktisch durchweg sowohl in der LP- als auch in der CD-Zeit problemlos erhältlich.


    Dann gibt es den Fall, dass ein Künstler besonders als "Spezialist" für ein bestimmtes Repertoire berühmt gewesen ist, dieses Repertoire aber überhaupt oder seither sehr viel intensiver beackert wird, so dass die posthume Konkurrenz erdrückend wird. Z.B. Ansermet bei Debussy, Ravel, Stravinsky usw., Knappertsbusch oder Jochum bei Bruckner, Scherchen oder Abravanel bei Mahler. Oder Pianisten der 50er/60er, die zwar noch dem Namen nach bekannt sind, die aber doch erheblich von den Nachkommenden an den Rand gedrängt wurden: Stefan Askenase, Adam Harasiewicz, Tamas Vasary und sicher noch ein paar mehr. Es gibt eben alle 5 Jahre einen neuen Chopin-Wettbewerb und zig andere junge Pianisten, die die Standardwerke einspielen.


    Freilich gibt es anscheinend "Selbstläufer", was die Veröffentlichungspolitik der Plattenfirmen erklären mag. So zB bei Sony: Von Gould wird in regelmäßigen Abständen alles neu herausgebracht (in den knapp 30 Jahren seit CD gab es typischerweise 3-5 Auflagen von Goulds Aufnahmen, von manchen vielleicht noch mehr), jeder Radiomitschnitt als Entdeckung vermarktet usw.
    Dann kommt Bernstein, dann ganz lange nichts, dann Szell und Walter, dann wieder lange nichts, dann vielleicht Ormandy.
    Ebenso gibt es den Effekt, dass spätere (Stereo)-Einspielungen die älteren der Dirigenten "verdrängen" (zB bei Szell und Walter). Durch Labelfusionen kann das verstärkt werden.


    Der anderswo erwähnte "Regionaleffekt" kommt auch noch dazu. Dirigenten wie Ormandy oder Stokowski galten in Europa anscheinend weitgehend als oberflächliche Orchesterzauberer (wobei sie ein sehr breites Repertoire eingespielt haben), was an ihren langjährigen Wirkungsorten in den USA sicher anders gewesen sein dürfte.
    Noch deutlicher habe ich bei zB Keilberth, Hollreiser, Suitner den Eindruck einer eher regionalen Bedeutung.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Über "regionale Größen" habe ich ja an anderer Stelle schon geschrieben. Aber ich möchte auch eine Anmerkung zum "Mono-Problem" machen. Mono war um 1960/65 ein Problem - mono Platten waren so gut wie unverkäuflich. Später gab es diese Problem kaum,. denn Mono Platten gab es dann kaum. Furtwängler und andere Dirigenten seiner Generation hatten dieses Problem nicht. Denn sie galten als "historisch" - Das waren Schellackplatten. Sie waren bei Einführung der Stereophonie bereits tot - man musste also auf die Alten Platten zugreifen - oder verzichten. Anders war das schon mit noch aktiven Dirigenten. Hier erwarteten Produzent und Publikum Neueinspielungen in Stereo und negierten die soeben produzierten Aufnahmen in edlem mono. Oft fanden die Neueinspielungen nicht, oder zu spät statt. Sie waren oft routiniert, statt inspiriert - und man merkte ihnen die Eile an, in der sie entstanden sind.
    Aeit ca 1990/95 gibt es vieler der damals gestrichenen Aufnahmen wieder auf CD - oft mit Stere-Aufnahmen gemischt - und oft nicht mal mit dem Hinweis, dass diese oder jene Aufnahme MONO sei. So etwas wäre 25 Jahre zuvor einfach unmöglich gewesen - und ich erinnere mich, dass ich mich damals gefragt habe wer denn sowas noch kauft.
    Indes die nächsten Generationen waren bescheidener als wir - und akzeptierten das merkwürdigerweise....


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat

    Aber wie ja auch hier im Forum öfters diskutiert, sind gerade für jüngere Hörer z.B. Aufnahmen aus der Monozeit quasi nicht-existent. Dort beginnt die Interpretationsgeschichte eben erst mit Karajan und Bernstein.

    Kann ich in dieser Form nicht bestätigen. Viele junge Hörer nehmen Aufnahmen, die vor ihrer Geburt entstanden, durchaus wahr, damit auch solche, die in Mono eingespielt wurde. Andere ignorieren derartige Einspielungen tatsächlich, damit fallen allerdings Karajan und Bernstein [egal ob Mono oder Digital] ebenso fort wie Toscanini und Furtwängler.


    Zitat

    Der anderswo erwähnte "Regionaleffekt" kommt auch noch dazu.

    Ja, und es wäre zu begrüssen, wenn in Bewusstsein dessen manche Äusserungen im Forum hin und wieder etwas relativiert würden.

  • Bzgl. "Regionaleffekt": In den USA waren Bernstein, Szell, Ormandy, Stokowski, Reiner, Leinsdorf und Toscanini wohl präsenter als Furtwängler, Karajan, Klemperer, Knappertsbusch und Böhm, die kaum oder gar nicht in Amerika wirkten. Ich kann mir z. B. schwerlich vorstellen, dass der Böhm-Mozart in den Vereinigten Staaten um 1970 als "der" Mozart galt. Oder dass der Karajan-Beethoven in den 60ern alles überstrahlte. Wenn man sich so die Kommentare auf US-Seiten ansieht, scheint es eher so, als hätten damals Szell, Ormandy und kurz drauf Bernstein das Beethoven-Bild dominiert, die in Europa entweder negiert (besonders Ormandy) oder wegen (angeblicher) schlechter Pressqualität gemieden wurden.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

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  • Ich habe zwar die 1960er nicht erlebt, aber ich habe große Zweifel daran, dass "Mono-Aufnahmen" unverkäuflich gewesen wären. Auf praktisch allen LPs meiner Eltern, die mir als Kind um 1980 begegneten, stand zu lesen: "stereo, auch mono abspielbar" (ich erinnere mich u.a. so gut, weil ich keine Ahnung hatte, was das bedeuten sollte). D.h. es gab in den 1960ern, vermutlich bis in die 70er (ich weiß nicht, wie alt diese LPs waren) noch eine große Zahl von Hörern, die anscheinend nur Mono-Abspielgeräte besaßen, sonst hätte man diese "Abwärtskompatibilität" gar nicht sicher gestellt.


    Bis Mitte/Ende der 1960er wurden zumindest im Populärbereich obendrein parallel Mono und Stereo-Platten derselben Alben produziert.
    In der Klassik (und im Jazz) gab es zwar die klangtechnisch problematischen Pseudo-Stereo-Aufnahmen (grob: die Höhen auf einen Kanal, die Bässe auf den anderen), aber ein Sublabel wie "Heliodor" (DG) hatte nicht nur diese künstlichen, sondern auch echte Mono-Aufnahmen im Angebot. Ich habe bzw. hatte einige dieser Scheiben aus den 60ern/70ern im Regal. Und da ich die selten gezielt, sondern eher "en gros" auf Ebay u.ä. erworben habe, vermute ich sehr stark, dass das keine Seltenheiten, sondern verbreitete LPs waren.


    Wie auch immer, ich habe zwar nur Stichproben, aber die alten Platten ja teilweise selbst vorliegen oder bei Bekannten gesehen: Mono- und Schellack-Aufnahmen, die als "Klassiker" gesehen wurden, waren mehr oder minder durchweg als LPs und auch sehr schnell Ende der 1980er als LPs erhältlich. Das ließe sich anhand von Katalogen sicher auch problemlos nachprüfen. Natürlich gilt das nicht für alles Mögliche, aber es gilt für das Meiste von Musikern wie Toscanini oder Furtwängler.


    Das mag in Alfreds Biotop kaum jemanden interessiert haben, aber es gab diese Sachen in vielfachen Auflagen. Im Falle Fricsays war die Mono-Zauberflöte (davon hatten meine Eltern einen Querschnitt in Pseudo-Stereo) gewiss nicht Jahrzehnte aus dem Katalog und Mitte/Ende der 1970er, nur wenige Jahre vor dem Digitalzeitalter brachte die DG "Dokumente" eine komplette Edition("silberne Cover") heraus, die nicht nur die Mono-Studio-Aufnahmen Fricsays enthielt, sondern für die man sogar klanglich eher noch eingeschränktere Funkaufnahmen teilweise erstmals veröffentlicht hat (zB Mozarts Requiem).

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  • Wenn man sich so die Kommentare auf US-Seiten ansieht, scheint es eher so, als hätten damals Szell, Ormandy und kurz drauf Bernstein das Beethoven-Bild dominiert,

    Zu George Szell kursierte damals unter den US-Plattenhändler der Spruch: Szell doesn't sell, so dass ich nicht glaube, dass die Beethovenaufnahmen von Szell besser gingen als die von Karajan. Dagegen spricht auch das Angebot am second hand Markt, wo es die Karajanbox im Dutzend gibt, man aber relativ lange warten muss, bevor einem die Szellaufnahme über den Weg läuft.

  • Auf praktisch allen LPs meiner Eltern, die mir als Kind um 1980 begegneten, stand zu lesen: "stereo, auch mono abspielbar" (ich erinnere mich u.a. so gut, weil ich keine Ahnung hatte, was das bedeuten sollte). D.h. es gab in den 1960ern, vermutlich bis in die 70er (ich weiß nicht, wie alt diese LPs waren) noch eine große Zahl von Hörern, die anscheinend nur Mono-Abspielgeräte besaßen, sonst hätte man diese "Abwärtskompatibilität" gar nicht sicher gestellt.

    Bis Mitte/Ende der 60er Jahre verfügten die meisten Haushalte nur über Mono-Abspielgeräte, die sich häufig mit dem Fernseher und Radio in einer gemeinsamen Vitrine befanden. Die frühen Schallplatten von Beatles und Rolling Stones wurden häufig auch in Mono und Stereo produziert. Viele Sammler bevorzugen da heute die Monoaufnahmen.


  • Wir bleiben im Wahrheit beim Thema - trotz einiger Abschweifungen. Vielleicht sollte man erwähnen, daß Alfred in den 60iger Jahren bei Donauland (damals noch nicht Bertelsmann) gearbeitet hat. Die Schallplattenbteilung war mein Lieblingsbereich. Fricsay war kurz vorher verstorben, daher wurden seine Aufnahmen in für die Buchgemeinschaften freigegeben. Vorerst wurde zu Beginn der Stereo-Ära jede Platte in zwei Versionen gepresst: MONO oder STEREO. Später (1967/68?) wurde dann auf den Stereo-Platten der Kleber "STEREO- auch mono abspielbar" angebracht. wobei wohlweislich verschwiegen wurde, daß die Mono-Nadel bei öfterem Abspielen allmählich Teile der Stereoinformation regelrecht wegfräst.
    Und natürlich hatten wir auch noch Mono-Platten im Angebot - aber man wusste, daß dies keine Zukunft hat - und nahm sie aus dem Programm, sobald es Stereo-Aufnahmen gab. Im Falle der Zauberflöte gab es die alte Böhm-Aufnahme mit den Wiener Philharmoniikern (STEREO 1955 !! - Sofiensäle Wien -DECCA), dann die neueste Stereoeinspielung, ebenfalls mit Böhm, aber mit den Berliner Philharmonikern und Fritz Wunderlich UND von DECCA die Konkurrenzaufnahme unter Solti. DAMALS wäre die - noch gar nicht so alte - Fricsay MONO Aufnahme unverkäuflich gewesen. Auch ich hätte sie nicht gekauft - Vor ca 2 oder 3 Monaten habe ich aber diesen Fehler korrigiert und sie als 11. Gesamtaufnahme (DVDs und Blueray Discs nicht mitgezählt) meiner Sammlung einverleibt. Fricsay als Legende hat quasi "überlebt", da er EINIGE Aufnahmen gemacht hat, die m.E quasi konkurrenzlos sind. Dazu gehören Mozarts "Jupiter Sinfonie" - wo er IMO selbst Karl Böhm übertrifft , Smetanas "Moldau" und auch seine Bartok Klavierkonzerte.


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Einigen wir uns vielleicht darauf, dass sowohl Schellack -> LP als auch Mono -> Stereo und LP -> CD Zäsuren waren, die aber jeweils etliche Jahre Übergangszeit mit sich brachten. Die letzte davon habe ich mehr oder minder bewusst miterlebt und sie hat beinahe 10 Jahre gedauert (ca. 1983/84-Anfang der 1990er). Und jeder dieser Übergänge hatte natürlich "Opfer", d.h. Aufnahmen oder Künstler, die erst einmal oder gar nicht auf dem neuen Medium präsent waren.
    Es gibt aber eine ganze Reihe von Aufnahmen, die seit langer Zeit Klassikerstatus besitzen und beinahe durchgehend auf allen Medien präsent waren, auch wenn nicht jeder Plattenladen sie jederzeit geführt hat, waren sie im Katalog und prinzipiell lieferbar. Z.B. Beethoven-Sinfonien mit Toscanini oder Furtwängler.


    Es gibt sicher Dirigenten, die "historisches Pech" hatten, da sie, gemessen am Stand der Ton- und Aufzeichnungstechnik ziemlich früh verstorben sind und/oder wenige Aufnahmen hinterlassen haben. Beispiele hierfür wären zB Koussevitzky und Fritz Busch. Bei letzterem haben allerdings die Glyndebourne-Aufnahmen der 1930er Klassikerstatus. Erich Kleiber hat nur eine einzige Stereo-Aufnahme geschafft, den Figaro, aber dieser, sowie der Rosenkavalier und ein paar Beethovensinfonien sind ebenfalls kaum je vergriffen gewesen.
    Dirigenten, die meinem Eindruck nach eher verblasst sind, obwohl sie gar nicht so wenige (Stereo)Aufnahmen hinterlassen haben, wären Keilberth, Krips und Leinsdorf. Auch Jochum könnte dazugehören; besonders seine Bruckneraufnahmen sind zwar ebenfalls "Klassiker", aber hier gibt es verglichen mit den 1960ern inzwischen so viele andere Optionen, dass ich mir ein zunehmend nachlassendes Interesse gut vorstellen kann.

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    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Auch Jochum könnte dazugehören; besonders seine Bruckneraufnahmen sind zwar ebenfalls "Klassiker", aber hier gibt es verglichen mit den 1960ern inzwischen so viele andere Optionen, dass ich mir ein zunehmend nachlassendes Interesse gut vorstellen kann.


    Ich glaube nicht, daß Jochum auch nur ansatzweise vom Vergessenweden bedroht ist. Zum einen sind da seine zwei Brucknerzyklen - an denen kommt man meiner Meinung nach ebensowenig vorbei, wie an Karajans Beethoven-Sinfonien-Zyklen oder dem Mozart- und Schubert- Sinfonie Zyklus von Karl Böhm. Dann kommt dazu noch die legendäre Londoner Aufnahme der letzten Haydn Sinfonien und seine Carmina Burana. Auch als Mozart-Dirigent machte er eine gute Figur. Kaum je aus dem Katalog gestrichen dürfte sie "Enführung aus dem Serail" - und sei es nur wegen Wunderlich.
    Es geht hier nicht darum wer nun endgültig "recht hat" - sondern um persönliche Einschätzungen zu bekunden. Die Erwähnung von "gefährdeten" Dirigenten hier in diesem Thread - mag wieder ein wenig Aufmerksamkeit auf sie lenken - und so wird vielleicht noch die eine oder andere derzeit noch erhältliche Aufnahme ihren Weg in die private Sammlungen finden - und so vor dem endgültigen Vergessenwerden bewahren......
    In letzter Konsequent jedoch - bedingt duich die immer wieder stattfindenden Neuaufnahmen, wird eines Tages sowohl die Tonträgerinduistrei als auch der private Sammler der Zukunft eine Auswahl treffen müssen. Alles kann man schliesslich nicht hören.


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat

    Johannes Roehl: Dirigenten, die meinem Eindruck nach eher verblasst sind, obwohl sie gar
    nicht so wenige (Stereo)Aufnahmen hinterlassen haben, wären Keilberth,
    Krips und Leinsdorf. Auch Jochum könnte dazugehören; besonders seine
    Bruckneraufnahmen sind zwar ebenfalls "Klassiker", aber hier gibt es
    verglichen mit den 1960ern inzwischen so viele andere Optionen, dass ich
    mir ein zunehmend nachlassendes Interesse gut vorstellen kann.

    Zitat

    Alfred Schmidt: Ich glaube nicht, daß Jochum auch nur ansatzweise vom Vergessenweden bedroht ist


    Auch ich glaube nicht, daß die Erinnerung an EUGEN JOCHUM und dessen Wirken und Aufnahmen allmählich verblaßt. Allein schon seine Aufnahmen der HAYDN-Sinfonien mit den BERLINER PHILHARMONIKERN, insbesondere der Sinfonien Nr. 88 + Nr. 99 sind für viele HAYDN-Verehrer sicher unverzichtbar.


    Auch was JOSEPH KEILBERTH, JOSEF KRIPS und ERICH LEINSDORF anbetrifft, so bin ich sicher, daß diese Dirigenten zumindest bei den nicht ganz jungen Musikfreunden noch lange im Gedächtnis bleiben werden.


    JOSEPH KEILBERTH dürfte schon wegen seines 18-jährigen Wirkens mit den BAMBERGER SYMPHONIKERN, die er zu einem wunderbar homogenen und international hoch angesehenen Klangkörper gemacht hat, noch für längere Zeit unvergessen bleiben.


    Ähnlich wie EUGEN JOCHUM hat sich auch JOSEF KRIPS ebenfalls als vorzüglicher HAYDN-Dirigent einen wohl bleibenden Namen gemacht - natürlich auch als MOZART-Interpret - die Werke beider Komponisten lagen ihm im Blut! - und wer seine Interpretation der Sinfonie Nr. 92 mit den LONDONER SYMPHONIKERN. oder z. B. der Sinfonien Nr. 94 und 99 mit den WIENER SYMPHONIKERN kennt, der wird ihn mit Sicherheit nicht vergessen, und vermutlich seine Begeisterung an andere Musikliebhaber weitergeben.


    Und was den Wahlamerikaner aus Österreich, ERICH LEINSDORF, angeht, so war dieser in Europa wohl nie so berühmt und geschätzt wie in den USA. Aber viele seiner Interpretationen bieten nicht nur Brillanz, Spritzigkeit und absolute Präzision, sondern sie offenbaren häufig auch tiefe Einsicht in das Innenleben einer Komposition und Gespür für den natürlichen Ablauf, und nicht zuletzt auch eine bestechende Noblesse des Musizierens. Einige seiner BEETHOVEN-Aufnahmen sind absolut hörenswert, und seine Einspielung z. B. der frühen MOZART-Sinfonien Nr. 21, 22, 23 und 24 mit den LONDONER PHILHARMONIKERN dürfte kaum Gefahr laufen, in Vergessenheit zu geraten. Oft ist es gerade die Interpretation von Werken kleineren Zuschnitts, die die Interpretationskunst eines Dirigenten offenbart.


    Im übrigen würde natürlich auch das Verblassen eines Dirigenten nichts über dessen künstlerische Qualitäten aussagen.


    wok

  • In letzter Konsequent jedoch - bedingt duich die immer wieder stattfindenden Neuaufnahmen, wird eines Tages sowohl die Tonträgerinduistrei als auch der private Sammler der Zukunft eine Auswahl treffen müssen. Alles kann man schliesslich nicht hören.



    Ich habe meine Zweifel, dass das so geschieht wie mir das ganze Thema etwas hergeholt und theoretisch erscheint. Da sind doch viele sehr subjektive Eindrücke dargestellt worden, die nicht so richtig zu belegen sind. Dabei haben aus meiner Sicht auch alle, die etwas geschrieben haben, Recht. Noch ist es doch so, dass sämtliche hier genannten Namen von Dirigenten auf dem Markt präsent sind. Nach meiner Beobachtung sogar in dem Verhältnis, wie sie sich auf Einspielungen verewigt haben. Lutgra hat das schon herausgestellt. Nie gab es so viele Titel aus Vergangenheit und Gegenwart wie heute. Man muss den Markt schon etwas weitergreifend betrachten und nicht in einer Momentaufnahme. Was es in den katalogen nicht mehr geben mag, ist meist dennoch vorhanden. Nicht alle können immer gleichzeitig vertreten sein. Ich glaube letztlich nur an Fakten. Wer sollte denn nun wo an welchem Hebel sitzen und auswählen in dem von Alfred erwarteten Sinne? Da läuft vieles zufallsgesteuert. Und das ist spannend. Plötzlich ist da etwas, was einen in helle Aufregung versetzt wie unlängst der Mitschnitt von Bartoks "Blaubart" aus Lucerne unter Kubelik bei Audite. Viele Menschen, die sich für Musik interessieren, bedienen sich nicht nur auf dem CD-Markt. Die warten nicht darauf, dass irgend ein Label aktiv wird. Das ist eine enorme Erweiterung der Angebote, was zu berücksichtigen ist. Mein spezielles Interesse für Oper und Sängern hat mich auch in Rundfunkarchive geführt und in private Sammlerkreise. Krasse Beispiele: Ein Sammler, der leider verstorben ist, hatte beispielsweise sämtliche Aufnahmen mit Wittrisch, die in die Hunderte gehen, ein anderer besitzt den kompletten Abendroth, wieder ein anderer hatte tatsächlich die gesamte akustische Hinterlassenschaft von Peter Anders, bestehend fast fünfhundert Titeln zusammen. Ich könnte auch Künstler nennen, die noch leben. Sammeln ist nicht auf Historisches beschränkt. Hätte ich mich immer nur auf die Musikindustrie verlassen, ich wäre längt ausgetrocknet. ;)

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Ich halt es auch eher für müßig, über Ursachen zu spekulieren. Aber Fakten lassen sich schon anhand von Präsenz im Katalog, Häufigkeit von Wiederauflagen, Häufigkeit als "Standardempfehlung" feststellen. Wer ca. 1980 die Bruckner-Sinfonien aus einer Hand wollte, hatte nicht allzu viele Optionen außer Jochum. Karajan und Solti hatten noch keine kompletten GA, Wand war vermutlich noch eher ein Geheimtip. Jochum war noch am Leben und ziemlich offensichtlich der lebende Brucknerdirigent schlechthin. Dass die Situation heute anders ist, muss ich wohl nicht ausführlich erläutern. Wenn in noch einmal 20 oder 30 Jahren die Zahl derer, die mit Jochum "aufgewachsen" sind, verschwindend gering wird, würde ich von einem weiteren "Verblassen" ausgehen. Was nicht heißen soll, dass alle seine Aufnahmen komplett aus den Katalogen verschwinden. Wenn Streaming/Downloads erhalten bleiben, sind die Kosten für das Vorhalten von Aufnahmen über diesen Weg relativ gering.
    Im Falle von Krips oder Keilberth muss ich schon kurz nachdenken, ob ich überhaupt eine Aufnahme mit denen im Regal habe.


    Ein weiteres Feld, das noch viel deutlicher "Verblassen" zeigt, ist die Barockmusik, teils auch noch Haydn und Mozart. (Es gab in den 60ern/70ern mehrere abgebrochene Haydn-Projekte unter Dirigenten wie David Blum, Leslie Jones, Max Goberman, Ernst Märzendorfer (der hat angeblich sogar alle Sinfonien eingespielt), von denen fast nichts jemals auf CD erschienen ist. Einzig der Dorati-Zyklus hat diesen Übergang überlebt. Selbst einige der spannendsten HIP-Aufnahmen aus den frühen 1980ern unter Derek Solomons sind nie auf CD erschienen.)


    Zwar gab es neulich wieder eine Münchinger-Box bei einem Zweitverwertungslabel, aber hier würde mich überhaupt nicht wundern, wenn solche Bach-Aufnahmen in noch ein paar Jahren kaum jemand mehr kennt. Karl Ristenpart? Fritz Werner? Diesen Namen bin ich sicher nie in den ersten 10 Jahren meines Klassikhörens begegnet. Manche Aufnahmen wurden inzwischen wieder aufgelegt, aber das sind inzwischen obskure Geheimtips, während es vor 40 Jahren vielleicht gängige Einspielungen gewesen sind.
    Es geht um Tendenzen, gerade auch in Blick auf die Zukunft, daher ist es kein schlagkräftiger Einwand, wenn Forianer, die vor 40 Jahren mit bestimmten Aufnahmen bekannt wurden, darauf hinweisen, dass sie Künstler xy selbstverständlich noch kennen und in Ehren halten.
    Im Gegenteil, wie das Abendroth-Beispiel zeigt, stürzen sich Sammler oft gerade auf "Geheimtips".

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    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Ich habe meine Zweifel, dass das so geschieht wie mir das ganze Thema etwas hergeholt und theoretisch erscheint. Da sind doch viele sehr subjektive Eindrücke dargestellt worden, die nicht so richtig zu belegen sind.


    Hallo Rheingold1876,
    ich ehe das Thema durchaus nicht als theoretisch an - andrerseits habe ich nichts gegen theoretische Themen ;)
    Natürlich sind hier durchaus subjektive Eindrücke wiedergegebn - aber gerade die sind sehr wichtig. Namen werden genannt und einem so in Erinnerung gerufen. Einige davon sind ohnedies nicht wirklich gefährdet - andere indes doch. Wobei man sich - wiederum subjektiv - die Frage stellen muß - inwieweit sie einen interessieren.
    In der Tat - ich habe weder von Keilberth noch von Leinsdorf viele Aufnahmen Aufnahmen in meiner Sammlung - was da ist, das wurde aus anderen Gründen als des Dirigenten wegen gekauft - sie dirigieren im allgemeinen Repertoire, das mir weniger liegt.

    Zitat


    Wer sollte denn nun wo an welchem Hebel sitzen und auswählen in dem von Alfred erwarteten Sinne?


    Nicht den Hebel - den Rechenstift. Und wer ? - Freund Controller
    Letztlich aber bestimmt der Klassiksammler. Was nicht gekauft wird , das fliegt aus den Katalogen. Das war schon immer so, wird aber indes verschärft wirksam, da immer mehr Neuaufnahmen auf den Markt drängen....


    Mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



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  • Die wiederholte Nennung von Joseph Keilberth als vom Verblassen bedrohter Dirigent wundert mich zumindest. Wer sich nur ein klein wenig für Wagner interessiert, wird diesen Namen nicht vergessen können. Viele Mitschnitte der 50er- und 60er-Jahre sind eigentlich unersetzlich. Nicht nur der jetzt endlich greifbare erste Stereo-"Ring" von 1955, sondern auch der erste "Fliegende Holländer" in Stereo (selbes Jahr), sein "Lohengrin" von 1953, sein "Tannhäuser" von 1954 (hier ebenfalls von 1955 auch Stereo-Auszüge) sowie seine Münchner "Meistersinger" von 1963 (Wiedereröffnung des Nationaltheaters). Es gibt sogar noch einen "Tristan" von 1966 mit Astrid Varnay.


    Es mag ja stimmen, dass andere Aufnahmen von Keilberth heute eher unbekannt sind, aber er war auch zu seiner Zeit kein reiner Wagner-Dirigent. Da gibt es neben dem berühmten "Freischütz" und der "Arabella" z. B. einen kompletten Zyklus von Beethoven und Brahms sowie einige Symphonien von Bruckner, Dvořák, Mozart und Haydn.


    Um mal zu belegen, dass das bereits zu LP-Zeiten so war, hier mal einige Cover:





    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Johannes Roehl
    Wenn ich im letzten Beitrag nicht auf Deine Einwände geantwortzet habe, dann liegt das daran, daß Dein Beitrag veröffentlicht wurde, während ich noch - langsam wie immer - an meinem geschrieben habe.
    Ja - Münchinger war eine Zeiterscheinung. Und das wusste er auch. Er wollte daß sich sein Orchester - die "Klassische Philharmonie Stuttgart" nach dessen Tod auflöste - und er wusste warum. Ich bin mir nicht sicher ob seinem Wunsch entsprochen wurde, denn über dieses Orchester (gegründet 1966) findet man nichts mehr im Internet. Es hatte eine unverwechselbaren, spezifischen Klang und ich liebe meine 2 Cds mit Sinfonien von Mozart sehr...
    [am]http://ecx.images-amazon.com/i…I/61LWlYO3EFL._SY300_.jpg[/am]
    Es gibt übrigens ein Orchester gleichen Namens, welches in den späten 80ern von Frieder Bernius gegründet wurde und sich aus Mitgliedern anderer Orchester zusammensetzt. Der Name Karl Münchinger findet dort keine Erwähnung...


    mfg aus Wien
    Alfred



    clck 1153

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Mit verblassender Ruhm ist m.E. durchaus kompatibel, dass ein Sammler bestimmter historischer Aufnahmen an einem Künstler "nicht vorbeikommt". Ich kann mich nicht erinnern, je einen kompletten Beethoven- oder Brahms-Zyklus unter Keilberth auf CD gesehen zu haben. Abgesehen von einer oder zwei Bruckner-Sinfonien (v.a. die 6.) kann ich mich auch nicht daran erinnern, dass diese Aufnahmen empfohlen oder hervorgehoben worden wären. Als Orchesterdirigent war Keilberth in den gut 25 Jahren, die ich Klassik höre, ein bloßer Name
    Klar, es gibt ein paar berühmte Opernaufnahmen (wobei man bei Opern m.E. oft den Dirigenten "einklammern" kann, weil die häufig aus anderen Gründen berühmt sind). Aber der legendäre Ring ist erst ein wenigen Jahren wieder erhältlich, vorher war die einzige herausgehobene Einspielung dieses Dirigenten, die mir spontan einfällt, der Freischütz. Die einzige CD, die ich besitze (aber vermutlich noch nie durchgehört...) ist die Brilliant-Ausgabe der "Frau ohne Schatten". Übrigens auch bezeichnend, dass die DG so etwas nach einer CD-Auflage Mitte der 1990er 13 Jahre später Brilliant überlässt statt selbst nochmal neu aufzulegen.
    Wenn ich sehe, was Keilberth alles aufgenommen hat, davon gar nicht wenig in Stereo und bei einem großen Label (Telefunken) scheint mir das Interesse in den letzten 45 Jahren seit seinem Tod doch erheblich gesunken zu sein.


    Das sind freilich alles nur tentative Beispiele; wenn jemand bessere weiß, her damit. Es wird aber doch wohl niemand behaupten wollen, dass alle (oder auch nur die meisten) Dirigenten der letzten 80 Jahre HEUTE entsprechend ihres Ansehens zu Lebzeiten bekannt, geschätzt und auf Tonträgern präsent sind.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Lieber Johannes,


    es ist schon richtig, dass (auch bei Tamino) der Name Keilberth sehr selten genannt wird, wenn es um Zyklen von Beethoven und Brahms geht. Es ist auch wahr, dass die Aufnahmen tlw. recht schwierig zu beschaffen waren/sind. Die Neunte von Beethoven etwa ist erst seit einigen Jahren dank des NHK-Labels allgemein erhältlich. Ich machte mir jetzt mal die Mühe, sie zusammenzutragen. Vieles ist vergriffen oder nur mehr als sündteurer Import erhältlich. Zumindest existieren die Aufnahmen aber.





    Tatsächlich wäre es an der Zeit, dass Teldec hier mal eine Keilberth-Box herausbringt. Womöglich werden wir uns noch bis zum Keilberth-Jahr 2018 (50. Todestag) gedulden müssen.

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    – Luís de Camões

  • Was mich schon an der Fragestellung per se interessiert - sprechen wir vom verblassenden Ruhm in Insiderkreisen und Klassikliebhabern oder beim "normalen", nicht-Insider-Publikum? Ich denke, dass außergewöhnliche Interpreten wie z.B. Jochum oder Krips in Insiderkreisen nichts von ihrem Ruhm verloren haben, allerdings dem breiten Publikum kaum mehr was sagen. Ich denke, dass dem "Otto Normalverbraucher" von den Dirigenten des vorigen Jahrhunderts sicherlich Karajan, wahrscheinliche auch Böhm, Bernstein, Toscanini im Gedächtnis geblieben sind. Regional dann noch Celibidache, Toscanini, Solti. Aber die meisten anderen sind wahrscheinlich jetzt schon vergessen...

    Hear Me Roar!

  • Ich denke, dass dem "Otto Normalverbraucher" von den Dirigenten des vorigen Jahrhunderts sicherlich Karajan, wahrscheinliche auch Böhm, Bernstein, Toscanini im Gedächtnis geblieben sind. Regional dann noch Celibidache, Toscanini, Solti. Aber die meisten anderen sind wahrscheinlich jetzt schon vergessen...

    Warum Solti regional sein soll, erschließt sich mir ebenso wenig wie die Frage, welche Region wohl gemeint sein könnte. Dass Toscanini sowohl nur regional aus auch überregional im Gedächtnis geblieben sei, finde ich besonders bemerkenswert. :thumbsup:

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • So eigenartig es klingen mag - ich gehe davon aus, daß "Otto Normalverbraucher" von heute lediglich mit dem Namen KARAJAN etwas anfangen kann. Ich teile die "Menschheit" in drei Gruppen ein.


    a) die stumpfe Masse ("otto Normalverbraucher)
    b) den Klassikhörer (Genusshörer, Klassik-Radio-Hörer, Klassik-Abonnement-Publikum
    c) den Klassikkenner (Tamino ist hier ein guter Ort, aber es gibt auch zahlreiche Kenner, die internet- und computerfeindlich eingestellt sind)


    Über Gruppe A kann ich nur sagen, daß sie schlimmer ist als ihr Ruf. Selbst getestet: Auch Namen wie Pavarotti oder Gruberova sind diesen Leuten ein Fremdwort - auch Melba (trotz des berühmten Desserts)


    Gruppe B wird die genannten Namen alle kennen, aber nicht alle zuordnen können


    Gruppe C ist teilweise oft besser informiert, als einige Tamino-Mitglieder. Sie kennen fast alles sind aber oft extrem introvertiert - sogar mehr als ich selbst.......


    Aber ich glaube es geht hier auch um wirklich lokale Grössen. Mit fällt immer wieder der Name Müller-Brühl ein - für dessen Thread sich bei Tamino kaum ein Mitglied interessiert hat..........


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Ich spreche schon von "normalen" Klassikhörern. Also nicht von hardcore-Sammlern einerseits oder von denen, die einmal die Woche ein Wunschkonzert anschalten, andererseits. Dabei meine ich nicht in erster Linie, ob man weiß oder nicht weiß, ob Keilberth ein Dirigent war oder ein Tenor. Den Namen hatte ich vermutlich auch mit 17 schon mal gehört (aber Abendroth oder Ristenpart gewiss nicht). Sondern ob ein Künstler über Aufnahmen, Videos, Empfehlungen u.ä. im Bewusstsein ist und die Tonträger zumindest teilweise problemlos (d.h. nicht nur auf dem Flohmarkt oder in Japan) zu kaufen sind. Keilberth ist aufgrund des vor wenigen Jahren "wiedergefundenen" Stereo-Rings vielleicht inzwischen kein so gutes Beispiel mehr.
    Aber ich behaupte mal, dass wenn man z.B. die Empfehlungen für Beethoven- und Brahms-Sinfonien in irgendeinem Internetforum oder Penguin Guide oder was auch immer der letzten 20 Jahre durchschaut, man nicht regelmäßig auf Keilberth stoßen wird. Selbst wenn man sich auf Dirigenten beschränkt, die nicht später als Keilberth verstorben sind (also ebenso viel oder mehr Zeit hatten, zu verblassen) wette ich, dass man Weingartner, Toscanini, Furtwängler, Mengelberg, Walter, Schuricht, Munch, Szell weit häufiger genannt finden wird, dazu noch erheblich mehr, die noch nicht so lange verstorben sind oder immer noch leben. Mag im Falle Keilberths sein, dass auch ohne den "neuen" Ring ein paar Opernaufnahmen das Verblassen verhindern.
    Aber zB Krips? Ist der heute noch eine übliche Empfehlung bei Mozart-Sinfonien? Habe ich so meine Zweifel, jedenfalls ganz sicher nicht mehr in dem Maße wie noch vor 20 Jahren. Seine Mozart-Opern? Gegen zB Böhm einerseits und die Aufnahmen der letzten 30 Jahre andererseits sehe ich das eher als "Geheimtip" finde kaum verwunderlich, wenn jemand, der heute zwischen 18 und 30 ist, mit dem Namen nichts anfangen kann bzw. jedenfalls keine Aufnahme kennt.

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  • Die wiederholte Nennung von Joseph Keilberth als vom Verblassen bedrohter Dirigent wundert mich zumindest.


    Das kann ich aber nur aufgreifen. Sein Name war doch nie verblasst. Aktuell sind um die dreißig Operngesamtaufnahmen unter seiner Leitung zu haben - siehe Amazon oder JPC. Wer bietet mehr? Allein die offiziellen Bayreuther Mitschnitte waren nie vom Markt, zu dem eben auch die kleinen Labels gehören wie Walhall. Man kann doch nicht nur die Großen wie Grammophon ins Feld führen. Nach meiner Beobachtung sind immer neue Titel hinzu gekommen mit den Jahren. Nicht nur auf dem Gebiet der Oper. Keilberth ist für mich kein glückliches Beispiel für das Verblassen des Ruhm eines Dirigenten. Ehr ist das Gegenteil der Fall. Mich dünkt, der Mann wird immer berühmter, je länger er tot ist. Allein die Veröffentlichung des ersten Bayreuther "Rings" in breitestem Stereo bei TESTAMENT in London (mitgeschnitten wurde von Decca), dem sich die alternativen Mitschnitte von "Walküre" und "Götterdämmerung" sowie eine luxuriöse Schallplattenausgabe anschlossen, spricht Bände für den anhaltenden internationalen Ruf dieses Dirigenten. Wem wurde schon soviel Ehre zuteil? Eine internationale Großtat ist also mit ihm verbunden.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

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