Beethoven - leidenschaftlich: Klaviersonate Nr 23 in f-moll-op. 57 "Appassionata" - CD-Rezensionen und Vergleiche (2014)

  • Die offenbar großartige Gieseking-Aufnahme werde ich mir auch zu Gemüte führen, lieber Willi. Ich muß sehr an mich halten, nicht eine neue Sonatentür bezüglich der "Appassionata" aufzumachen. Aber das würde in viel (natürlich beglückende) "Arbeit" ausarten. Mein Zeitbudget ist im Moment leider eher knapp bemessen! Auf jeden Fall werde ich meine Sammlung nach historischen Aufnahmen durchforstern... :hello:


    Herzlich grüßend
    Holger

  • Es läuft uns ja nichts weg, lieber Holger, und wir sind auch nicht auf der Flucht.


    Liebe Grüße


    Willi :D

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).


  • Die allgemeine Wertschätzung der Aufnahmen Svjatoslav Richters kann ich nach dem Hören seines Prager Konzerts nur teilen. Eine wahrlich große Aufnahme, welche alle Qualitäten von Richters unvergleichlichem Klavierspiel zeigt. Über dem Beginn liegt eine gespenstische Ruhe in die dann die Forte- und Fortissimo-Kraftausbrüche wie Naturereignisse einfallen. Dabei übertreibt Richter keineswegs das Tempo. Da ist diese unglaubliche Konzentration und denkerische Besonnenheit, welche eben nicht die Vielschichtigkeit dieser Musik einem permanenten, uniformen Expressivo-Gestus opfert. Dazu kommt das „Zwingende“ und Energisch-Zupackende seines Spiels, der Grimm und diese Intensität, Richter-typische bannende Konzentriertheit. Pianistisch ist das zudem von einer transzendentalen Virtuosität.


    Es gibt allerdings noch eine Aufnahme, die dieser singulären Bedeutung von Richters Vortrag in keiner Hinsicht nachsteht: Lazar Bermans Konzertmitschnitt von 1962.



    Ganz anders der Beginn. Bei Berman gibt es eine Phrase, die ungeduldig einen drohenden Ausbruch antizipiert, Stöße von einem Erdbeben eines Vulkans, die den großen Ausbruch ahnen lassen. Berman entfesselt alle Gewalten der Leidenschaft, allerdings mit einer überragenden Besonnenheit und Gestaltungskraft. Auch er versteht es, trotz aller tobenden Forte-Gewalten die Vielschichtigkeit dieser Musik nicht zu unterschlagen. Wie er das Seitenthema plastisch gestaltet, ist schlicht aufregend. Bei ihm wird das arme Seitenthema in der Durchführung schließlich von den dynamischen brodelnden Massen regelrecht verschluckt, sein freier Atem erstickt. Das ist sogar noch beängstigender als bei Richter. Im Variationssatz trifft er die Mischung aus Unruhe und verführerischer Süße (es steht „dolce“ in der Partitur) vielleicht sogar noch besser als der Titan Richter. Das Finale ist kaum glaublich. Was Berman da an Kräften freisetzt, verschlägt einem den Atem. Leidenschaft, die aus den Fugen gerät und in einem Sturm in der Coda endet. Berman zeigt mit dieser Aufnahme, dass er nicht nur ein Großer, sondern ganz Großer ist.


    Walter Giesekings Studioaufnahme von 1956 ist ebenfalls grandios!



    Der Beginn ist mit dem typisch „leichten“ und sinnlich farbigen Ton von Gieseking im Vergleich mit Richter und Berman vielleicht ein wenig undämonisch. Aber auch bei Gieseking werden die leidenschaftlichen Ausbrüche mit aller Gewalt vorgezeigt, der Vortrag hat Energie und leidenschaftliche Hitze. Klaviertechnisch ist das zudem ebenfalls von transzendentaler Kraft. Eine beeindruckende Aufnahme. Alle drei verfallen übrigens nicht in den Fehler, den Variationssatz zu einem lyrisch-schönen Intermezzo zu verharmlosen. Gieseking spielt ihn von allen dreien sogar mit der größten Herbheit.


    Von Xaver Scharwenka (1850-1924) gibt es vom 1. Satz eine Welte-Mignon Aufnahme aus dem Jahre 1905 (auf einer inzwischen nicht mehr erhältlichen Teldec-CD). Scharwenka war zu Lebzeiten ein sehr geschätzter Pianist. Diese Rollenaufnahme wirkt allerdings ein wenig zahm. Es ist sehr schade, dass Eugen d´Alberts Interpretation, die von den zeitgenössischen Hörern mehrfach als alles überragend beschrieben wurde, nicht aufgezeichnet wurde.


    Schöne Grüße
    Holger

  • Lieber Holger,


    schönen Dank für diese drei vergleichenden Betrachtungen. Es fällt einem ja leicht, wenn man so großartige Aufnahmen miteinander vergleichen kann. Leider kenne ich die Berman-Aufnahme noch nicht, ich werde mich doch mal darum kümmern müssen.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Es hat mich doch die Appassionata "gepackt". Es folgen einige Rezensionen. (Ich denke mir, komplementär zur "Pathetique" ist das erhellend, da gibt es einige Verweise.) Das wird unvollständig bleiben, aber Willi kann ja das andere ergänzen! :)



    Bei Vladimir Horowitz muss man wissen, dass seine CBS-Aufnahmen Anfang der 70iger eine Art „Selbstreinigungsprozess“ waren, wo er ganz bewusst auf jede virtuose Theatralität verzichtete. Das gilt nicht nur für Chopin, insbesondere die Trauermarschsonate, sondern offensichtlich auch die Appassionata. Horowitz hat das im Konzert sicher wesentlich spektakulärer gespielt. Hier geht er sehr sorgfältig mit dem Notentext um, versucht die Poesie in dieser Musik zu wecken. Was mir fehlt ist die Unerbittlichkeit des „Sturm und Drang“. Horowitz verharmlost zwar nicht, doch klingt der Beethoven eher wie ein flattriger Schumann. Es fehlt ein wenig die klassische Strenge und Phrasierungsgenauigkeit, besonders im Variationssatz fällt das auf. Das ist mir zu improvisatorisch frei. Das Finale hat wie der Beginn marschartige Züge, ist trefflich charakterisiert in einem Tempo ohne Übertreibungen. Sehr interessant gespielt ist das, aber die große Erschütterung vermittelt das auch nicht.




    Ähnliches ist von Arthur Rubinstein zu sagen. Rubinsteins Appassionata beeindruckte Joachim Kaiser ungemein – er steigerte sich im Konzert bis zur Raserei. Davon vermittelt die einfach viel zu ausgewogene Studioaufnahme leider so gut wie gar nichts. Das ist wunderbar gespielt freilich, wie Rubinstein phrasiert, wie ungemein organisch er den Auftritt des Seitenthemas mit einer Zeitverzögerung vorbereitet, im Hauptthema den Kontrast der Bewegungsrichtungen (Vorwärtsdrängen, Zurücknahme) herausarbeitet, das ist beeindruckend. Das alles wirkt aber einfach zu schön, zu gemäßigt unexzentrisch. Deutlich anders sein letztes Konzert für Israel 1975. Da kommt auf einmal eine Impulsivität zum Vorschein, welche die Studioproduktion nicht zulässt. Freilich merkt man Rubinstein auch hier an, dass er inzwischen gealtert ist. Von „Raserei“ kann auch hier keine Rede sein – trotz aller Impulsivität bleibt das in der Grundhaltung eher gemessen-gemäßigt. Ich hoffe doch, für Rubinsteins „Raserei“ gibt es in der Rubinstein-Box (die ich leider nicht habe) ein Dokument. Der Interpretationsansatz ist 1975 deutlicher erkennbar als in der Studioaufnahme von 1963: das Hinsteuern auf einen dynamischen Höhepunkt in der Durchführung. Das Variationsthema spielt Rubinstein „con moto“ wie von Beethoven gefordert doch sehr herb im mf statt p – in der Wiederholung allerdings ins Leisere zurücknehmend. Im 1975iger Konzert wird etwas Tumultartiges jedenfalls in Ansätzen im Finale hörbar, was in der Gelassenheit der Studioproduktion nahezu untergeht.



    Emil Gilels gelingt in seiner DGG-Studioaufnahme das eigentlich Unbegreifliche zu zeigen, dass auch die „Appassionata“ eine klassische Sonate ist. Was für ein überragendes Formverständnis der große Russe besitzt, welche unerschöpfliche pianistische Kraft und Meisterschaft, zeigt schon der Beginn. Man fragt sich: Wie kann man das eigentlich anders spielen? So klar kommt die Frage-Antwortstruktur heraus, das sich regende Drängen, die Unruhe des Trillers. Wieder einmal bewundert man Gilels, wie penibel genau er den Notentext liest (ohne jemals pedantisch zu wirken!) und die riesige Dynamikspanne vom ganz Leisen bis Lauten voll auskostet. Die klassische Ästhetik betont, dass ein musikalisches Thema ein „Ethos“ verkörpern soll, einen festen Charakter. Bei Gilels vermisst man nichts an extremer Kraft, an Beethovenschem Grimm und Trotz. Das „Klassische“ zeigt sich jedoch darin, dass all diese Ausbrüche Ausdruck von innerer Festigkeit sind und gerade nicht eines „Überbordens“, des Verlustes an Selbstkontrolle. Gilels überschreitet die Grenze vom Ästhetischen zum Unästhetischen nie, die extremen Gegensätze und Gewaltausbrüche bleiben eingefasst in die „Form“, ihre Funktion der Kontrastierung. Bei Gilels kommt in der „Appassionata“ nicht Leidenschaft zum Ausdruck, welche dem Subjekt beängstigend über den Kopf wächst, sondern ein selbstbewusster und selbstbeherrschter Wille in seiner ungebremsten Willenskraft. Was für eine Seele, was für ein Einfühlungsvermögen Gilels doch hat! Das Seitenthema erscheint inmitten der Gewaltausbrüche mit einer leisen Schüchternheit, wie ein Mensch, der von einem lärmenden Ereignis aufgeschreckt ängstlich durch eine Tür schaut. Der Fortissimo-Ausbruch in der Durchführung ist wahrlich gewaltig. Da zeigt sich ein Gemüt, was souverän und selbstbewusst sagt: Ich habe unbändige Kraft und lebe sie auch aus, weil ich es kann, über all diese Ausdrucksgewalt gesund und frei gebiete. Eine besondere Sternstunde ist auch der Variationssatz. Der Marschrhythmus hat bei Gilels in seinem Schlendrian etwas leicht Widerwilliges. So ungemein klar und zugleich fesselnd expressiv gespielt habe ich das noch nie erlebt. Das Finale zeigt die nötige Unerbittlichkeit in der sich immer wieder grimmig und trotzig antreibenden Vorwärtsbewegung. Auch hier zeigt sich bei Gilels ein Höchstmaß an selbstkontrollierter Gewalt. Die Coda ist wahrlich spektakulär. Wie Gilels in diesem Höllentempo kraftvoll und glasklar die Töne in den Flügel meißeln kann, grenzt an ein Wunder. Eine unbeschreibliche Aufnahme eines wahrhaftigen Klaviertitanen – ein Beethoven von erhabener Größe!



    Maurizio Pollinis „Appassionata“ gehört zu seinen Großtaten. Selten kann man den ersten Satz mit einer solchen organischen Geschlossenheit wahrnehmen. Schon der Auftakt fesselt mit seinem dunkel gefärbten Ton und einer kontinuierlich sich aufbauenden dynamischen Steigerung und Spannung, die sich dann mit dem abstürzenden Lauf in die Tiefe entlädt. Pollinis Interpretationsansatz ist eine große Seelenbewegung in ihrem unaufhörlichen An- und Abschwellen zu zeigen. „Entwicklung“ kann man dieses Pollinische Kontinuitätsprinzip auch nennen. Pollini gelingt es damit auf seine Weise sehr überzeugend aufzuzeigen, wie sich die klassische Form bei Beethoven von Leidenschaft durchpulst dynamisiert. Auch Pollini behält die Selbstkontrolle, zeigt Beethoven mehr als energischen Willensmenschen denn als Besessenen von Leidenschaft. Aber leidenschaftliche Erregtheit ist überall zu spüren, ein Vibrieren der Musik, das nie aufrührt. Alle Register von Pollinis überragendem Beethovenvierspiel kommen zum Tragen – die Sinnlichkeit, der schöne Ton, die energische Nachdrücklichkeit aufrührerischer Geste, welche den rebellischen Geist Beethovens verrät. Das ist bei aller Dynamik berührend „schönes“ Klavierspiel ohne aber jemals zu beschönigen. Besonders schön, wie das Seitenthema bei Pollini gleichsam aus der Tiefe aufsteigt. In der Durchführung meldet sich mit Macht das Stürmen und Drängen – es bebt die Erde. Das Variationsthema des zweiten Satzes zeigt ein wunderbares Wechselspiel von Verhaltenheit und Auftrumpfen – eine dabei sehr formbewusst wohlgesetzte Thematik. Das Finale brodelt, wenn es auch nicht die Kraftakte der großen Russen aufbietet. Die Coda – in nicht ganz so spektakulärem Tempo – fügt sich organisch an das Ganze an. Die funkenschlagende, bis an die Schmerzgrenze gehende ungeheure Kraft, die Pollini in den 70iger Jahren im Konzert aufbieten konnte (ich habe ihn damals mit Beethoven erlebt!) kann diese wunderbare Studioaufnahme nicht mehr vermitteln. Da ist der Meister in einer anderen Lebensphase angelangt (und wird wohl wie Wilhelm Kempff sagen: im Alter will ich am Klavier nicht mehr schwitzen!). Dankenswerter Weise hat die DGG eine Bonus-CD beigelegt, einen Mitschnitt aus dem Wiener Konzert vom 4. Juni 2002. Da kommt noch etwas von der gewaltigen Energie früherer Tage zum Vorschein. Das Variationsthema wirkt hier etwas schlichter, das Finale im Tempo gemächlicher, dafür aber hat es größere Wucht. Diese Pollini-„Appassionata“ gehört auf jeden Fall zu den Referenzen – Pollini at his best!



    Das man an die berühmte „Appassionata“ auch ganz anders herangehen kann, zeigt Claudio Arrau. Gehört habe ich einen Mitschnitt aus dem Rundfunk der italienischen Schweiz, Aufnahme Ascona 9.1.1959. Arrau verleiht dem Anfang Bedeutungsschwere, beginnt ungemein nachdenklich, wodurch eine große Ausdrucksintensität entsteht. Man bekommt das Gefühl eines unbestimmt Drohenden, dass etwas Schreckliches bevorsteht. Arraus Spiel zeigt sich wie gewohnt als sehr „wuchtig“. Dabei meidet es jegliche Exaltiertheit. Arraus Ansatz ist es, die „Appassionata“ als ein Seelendrama zu inszenieren, ein gequältes Subjekt, das an seiner großen Emotionalität leidet, der es wie ein verhängnisvolles Schicksal ausgeliefert ist. Das Hauptthema hat kaum Vorwärtsdrang, da werden eher statuarisch die Blöcke gegeneinandergestellt: ein klassischer Kontrast. Die Paniastik ist wunderbar: ein sehr farbiges, sinnliches und beseeltes Spiel. Statt Gewaltakte vorzuführen wälzt sich bei Arrau eine gemarterte Seele, ächzt und stöhnt, dröhnt bisweilen... Eine sehr authentische Sicht! Beim Variationsthema des 2. Satzes „wühlt“ Arrau, bringt die Musik aus dem Gleichgewicht, zeigt den verborgenen Konflikt. Im Finalsatz nimmt Arrau das Allegro „ma non troppo“ („nicht zu viel“) sehr genau. Der Satz beginnt bei ihm verhalten, um sich dann aber mehr und mehr zu steigern. Auch hier entsteht der Eindruck eines Seelenkampfes. Vor der Coda kulminiert bei Arrau die Dramatik. In der Coda selbst kann der aufmerksame Hörer so etwas wie Überdruss und Verzweiflung wahrnehmen. Arraus Beethoven ist ernst und authentisch – auch diese Aufnahme gehört zu den „großen“.



    Solomons makellos schöne Aufnahme könnte man charakterisieren als „nicht Wildheit, sondern beunruhigte Klassizität“. Ein ruhiger Beginn, aus dem heraus die bewegenden Kräfte erwachen. Das Hauptthema stürzt quasi in einer hastigen Vorwärtsbewegung voran – ganz ähnlich wie in Rubinsteins Konzert in Israel. In der Folge setzt sich eine Rastlosigkeit des Vorwärtstreibens fest, die auch auf das Seitenthema abfärbt. Solomon gestaltet immer wieder den Wechsel der Affekte, die Ablösung von Unruhe durch Inseln der Ruhe – das Interpretationsmodell ist wohl die aus der Ruhe heraus entstehende Unruhe. Die Durchführung gibt sich zwar höchst bewegt, aber auch in keiner Weise bedrängend. Das „con moto“ des Mittelsatzes übergeht Solomon, nimmt das Thema statt dessen sehr bedächtig und getragen, fast schon choralhaft-feierlich. Damit kontrastiert dann ein sehr geschwind, wie ein Wind quirlig dahinhuschendes Finale, unruhig vorbeirauschend bis zum Schluss. Über die Niederungen psychologisierender, leidenschaftlicher Bedrängtheit weiß sich Solomons schöne Seele auch hier erhaben. Pianistisch ist das alles fabelhaft, aber auch keine wirklich tief beunruhigende Passioniertheit.


    Fortsetzung folgt! :) :hello:


    Schöne Grüße
    Holger

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  • Lieber Holger,


    schönen Dank für diese multiplen Rezensionen von wahrhaft maßstäblichen Beethoven-Pianisten und und ihren Interpretationen. Du schreibst, du hast den Horowitz von 1973 vorgenommen, da ist es ja interessant zu hören, wie der Horowitz von Mai 1959 aus der Carnegie Hall klingt. Alle anderen Pianisten habe ich ja auch noch vor mir, d. h. von Arrau habe ich ja schon fünf Aufnahmen rezensiert, die von 1959 habe ich leider nicht, aber es ist eine Aufnahme von 1963 von den Schwetzinger Festspielen zu mir unterwegs.
    Was Rubinstein betrifft, so ist auch interessant zu hören, wie die 1963er Live-Aufnahme aus Nijmegen sich im Vergleich zur fast zeitleich entstandenen Studio-Aufnahme anhört. Er hat dieses Konzert in Nijmegen ja auch für das deutsche Publikum gespielt, trat aber nach dem Krieg nicht mehr in Deutschland auf. Und dann habe ich neben dem Last Recital (wo er übrigens die Wiederholung der "seconda parte" auslässt, zum einzigen Mal) noch eine Aufnahme von 1954, wo er ja noch fast "ein junger Mann" war.
    Als nächster ist bei mir Emil Gilels an der Reihe, aber ich weiß nicht, ob ich das nach der Chorprobe noch schaffe. Gilels wiederholt übrigens in der 1961er Live-Aufnahme "la seconda parte" auch nicht.
    Gespannt bin ich dann auch auf Pollini, desse von dir besprochene Aufnahme wohl nicht unter das "Kaisersche" Urteil fällt?


    Liebe Grüße


    Willi :)

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  • Beethoven, Sonate Nr. 23 f-moll op. 57 "Appassionata"
    Emil Gilels, Klavier
    AD: Juni 1973
    Spielzeiten: 11:00-6:29-7:52 -- 25:21 min.;


    Emil Gilels kommt in seiner Berliner Aufnahme (der fünften insgesamt) gemessenen Schrittes daher. Man darf aber jetzt nicht glauben, dass er jetzt ein entspanntes Spielchen veranstaltet. Das ist alles höchst spannungsreich musiziert. Hier weiß einer, was auf ihn zukommt, und er hat keine Angst davor. Man hat in jeder Sekunde das Gefühl, dass Gilels genau spürt, wie Beethoven das gedacht hat und wie er es vom Interpreten fordert.
    Temporal ist er noch mal bald eine Minute langsamer als Richter, er ist im Bereich des mittleren Arrau, das Klangbild ist superb, er macht sich die dynamische Spannweite auf ganz natürliche Art zu eigen, die Fortissimi geschehen einfach, das Klopfmotiv ist nicht dergestalt, wie es weiland Michael Gielen in seiner Lesart der Fünften, der erklärte, dass sein Klopfmotiv so schnell war: "Das Schicksal ist halt ungeduldig".
    Bei Gilels ist das Klopfmotiv geduldig, hier ist das Schicksal unausweichlich, weshalb soll es sich beeilen. Erstaunlich ist, dass Gilels bei seinem Konzert in Moskau im Januar 1961, noch eineinhalb Minuten schneller war. Um es ganz genau zu wissen, habe ich mir jetzt die Aufnahme von Gilels allererster Appassionata, dem Livekonzert vom 11. Juni 1951 in Florenz, bestellt. Mal schauen, wie da seine Zeiteinteilung war.
    Die dynamischen Kontraste sind, dem musikalischen Inhalt angemessen, gewaltig, die sfp in Takt 26 und 30 wie Schreie, die klopfenden Achtel wie maschinell, unerbittlich.
    Welch ein (trügerischer) Kontrast dagegen das Dolcethema, das den Protagonisten für kurze Zeit in scheinbare Sicherheit wiegt, bevor in Takt 42 das Ganze unwiderruflich durch die beiden Forteakkorde beendet wird, wie der triste Pianotakt 43 und die kalten Triller in 44-46 und die gemessen, aber unaufhaltsam in die Tiefe strebenden Achtel es aussagen.
    Eventuell noch vorhanden Zweifel werden aber spätestens mit der mächtigen Forteattacke des Schlusssatzes ausgeräumt, der dann ab Takt 61 in eine leise, zarte Tongebung changiert, ohne aber etwa tröstlich zu klingen.
    Ergreifend spielt Gilels den ersten zögerlichen Teil der Durchführung, von dem wir ja schon wissen, dass es nicht gut endet. Gilels zeigt in seiner Lesart, das auch die langsamere Gangart dem Kopfsatz der Appassionata wie auf den Leib geschneidert sein kann, wenn sie so überlegt und überlegen umgesetzt wird wie von ihm (oder auch von Arrau).
    Die dann folgende lyrische Überleitung zum dritten Teil der Durchführung (des Dolcethemas) spielt Gilels grandios, als wenn auch hier das Wort von Günter Wand Gültigkeit hätte: "So, und nicht anders". Dieser dritte Teil ist hier wahrhaftig ein Höhepunkt des ersten Satzes, und in der düsteren Überleitung ab Takt 130 scheint sich wahrhaftig der Hades aufzutun.
    In der Reprise steigert Gilels noch einmal den dramatischen Charakter, in dem er den dynamischen Spannungsbogen durch den langsameren Ablauf noch intensiviert- vergeblich das nochmalige Dolcethema, selbst beseligend in der hohen Oktave hilft es nicht, sonder steuert direkt in die nächste, von Gilels ebenso genial gespielte ff-Attacke hinein, die wilden Triolen und die fantastischen Arpeggien bis hin zum kotrastreichen Ritartando-diminuendo, der Gilels eine nur wenig gegenüber dem Allegro beschleunigte Coda von allerdings höchster dynamischer Kraft und Eindringlichkeit folgen lässt, die ebenfalls wieder mit einem grandiosen temporalen und dynamischen Kontrast in den letzten sechs Takten abgeschlossen wird.
    Ein grandioser Satz von jederzeit kontrollierter Kraft und Aussagekraft, von größten dynamischen und musikalischen Kontrasten, wo schon im Anfang das Ende beschlossen scheint.


    Durch seinen klaren natürlichen Klang auch in der tiefen Oktave nimmt Gilels dem Höher von Anfang an die mögliche Illusion, es handele sich hier womöglich um ein romantisches Rührstück. Natürlich liegt hier einerseits ganz klar ein Kontrast dieses Satzes insgesamt zum Kopfsatz vor, aber genauso kontrolliert und klar, wie Gilels den Kopfsatz angelegt hat, spielt er auch dieses Andante. Auch hier beachtet er, wie schon im Kopfsatz die dynamischen Anweisungen in der Partitur auf das Genaueste, d. h. er spielt da ein Forte, wo eines steht und geht nicht darüber hinaus.
    Ein Höhepunkt ist für mich hier die zweite Variation (Sechzehntel (Takt 33 bis 47), wo Gilels, übrigens nicht zum ersten Mal in dieser Sonate, seine enormen Fähigkeiten im lyrischen Legatospiel wieder einmal unter Beweis stellt. Auch in der dritten Variation beachtet er die gestiegenen dynamischen Ausschläge, aber alles ist weiterhin kontrolliert und ausgewogen- ebenfalls ein toller Satz. Gilels hätte das Pendel nach der einen (romantisierenden) oder anderen (dramatisierenden) Seite ausschlagen lassen können, aber er hat sich für den klassischen Weg entschieden und damit, wie ich finde, den Willen des Komponisten erfüllt.


    Im Finale bleibt Gilels seinem einmal eingeschlagenen Weg treu. Temporal ist er natürlich schneller als im Kopfsatz, aber da ist ja noch der Zusatz "ma non troppo", den er erfüllt. Er hat ja schon im Kopfsatz gezeigt, dass man mit dem (an)gemessenen Tempo alles erreichen kann, wenn man die dramatischen, tragischen Funken aus der Partitur zu schlagen versteht, die ihr innewohnen. So erreicht er den dramatischen Impetus, ohne zu rasen. Er zeigt, dass die Appassionata nicht nur eine Seite hat.
    Und so zeigt er auf kleinem Raum im ersten Teil von "la seconda parte", dem Durchführungsteil, vor allem im hochdynamischen Teil ab Takt 138 bis hin zu Takt 183, dass dieses Drama in dem leicht verringerten Tempo (gegenüber den "Rasern") strukturell mindestens ebenso gut, wenn nicht noch besser, aufzuschlüsseln ist als im "Formel I"-Tempo. Und die Überleitung zum Reprisenteil (Takt 184 bis 210) ist ja nachgerade vom anderen Stern- ein dynamischer Kontrast und ein interpretatorischer Leckerbissen vom "Feinsten", dem in der dynamisch noch höher stehenden Reprise der nächste Kontrast folgt- grandios die Schlusssteigerung!!
    Gilels wiederholt hier "la seconda parte" im Gegensatz zu der 12 1/2 Jahre zuvor entstandenen Aufnahme. In der Coda zeigt Gilels, das auch der die Fetzen fliegen lassen kann, aber selbst in diesem dynamisch höchststehenden und virtuos aberwitzigen Schluss bietet er eine durchhörbare Struktur, die nur den größten gelingt.


    Diese Aufnahme gehört ebenfalls ganz an die Spitze!!


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
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  • Lieber Willi,


    Deine Gilels-Rezension ist eine besonders bewegende - da hast Du Dich selbst übertroffen! :) :) :) Es wäre wirklich hoch spannend, Gilels Aufnahme aus den 60igern bzw. das Turiner Konzert heranzuziehen. Ich nehme an, der Eindruck wird ähnlich sein wie bei der Pathetique. In meiner Sammlung habe ich die beiden Aufnahmen (zum meinem Ärger!) leider nicht. So viel hat man schon, doch es fehlt immer wieder etwas. Von Horowitz gibt es noch eine ältere RCA-Studioaufnahme. Ich fand aber immer die CBS-Aufnahme ausgewogener, weswegen auch sie in meiner Sammlung fehlt. Zwei von den später veröffentlichten Carnegie-Hall-Konzerten habe ich mir auch gekauft, die Appassionata ist aber nicht dabei. Bei Rubinstein ist es eigentlich immer so, dass sich Konzertaufnahmen drastisch vom Studio unterscheiden. Das nehme ich an wird das Konzert in Nijmegen belegen. Von Arrau gibt es eine ganze Menge Mitschnitte - besagten (CD ist vergriffen!), kann ich Dir natürlich gerne zukommen lassen. :hello:


    Herzlich grüßend
    Holger

  • Lieber Holger,


    vielen Dank für dene lobenden Worte. Übrigens mit meiner Horwoitz-Aufnahme verhält es sich so, dass die Appassionate 1959 in der Carnegie Hall aufgenommen wurde und die Mondschein-Sonate und Waldstein drei Jahre vorher bei ihm zu Hause. Deswegeen sind die letzteren beiden wohl in Mono, aber das ficht mich vor allem bei Klavier-Solo-Aufnahmen ja schon seit Längerm nicht mehr an.


    Liebe Grüße


    Willi

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  • Beethoven, Sonate Nr. 23 f-moll op. 57 "Appassionata"
    Lazar Berman, Klavier
    AD: 16. 2. 1962
    Spielzeiten: 9:19-5:36-6:53 -- 22:48 min.;


    Lazar Berman spielt das Allegro assai erheblich rascher als der spätere Gilels, knapp 1 1/2 Minuten. nichts desto trotz, wie mir scheint, sehr beherrscht, mit einem klaren Klang und moderaten dynamischen Akzenten auf den Trillern bis zum ersten Forte, das beherzt kommt, und anschließenden satten Fortissimi. Den Triller am Ende des Hauptsatzes und die beiden sfp-Akkorde Takt 26 und 30 spielt er sehr geschärft, einhergehend mit einer Tempoverschärfung in den Unisono-Achteln ab Takt 24, was, trotz des folgenden Dolce-Themas, herannahendes Unheil ahnen lässt.
    So lässt denn auch sein Dolce-Thema mit den finsteren Bässen keine wirkliche Freude aufkommen und ist auch durch ein von ihm markant gespeiltes Forte in Takt 42 rasch wieder beendet, gefolgt von einem verhalten traurigen p-Takt und im gleichen Ausdruck folgenden drei Triller-Takten und dem Achtelabstieg, dem dann subito der machtvolle Forte-Fortissimo-Sturm der Sechzehntel im Schlusssatz folgt, der dann im Übergang zur Durchführung langsam (und leise) zum Erliegen kommt. Berman spielt diese Passage grandios, desgleichen den zögerlichen ersten Teil der Durchführung.
    Sehr klangstark ist auch der zweite Teil ab Takt 79, in dem das Thema stets die Oktav wechselt, der aber den unheilvollen Ton nie verliert, was Berman in den Takten ab 89 durch die donnernden Sechzehntel in der Begleitung noch unterstreicht, wodurch dann ein großer Kontrast zu dem nachfolgenden lyrischen Übergang zum dritten Durchführungsteil entsteht, in dem das Dolcethema bearbeitet werden wird. Dieser lyrische Teil atmet bei Berman aber auch keine gelassene Ruhe, sondern eine bewusst angespannte, rastlose Unruhe. Das Gleiche gilt für diesen besagten dritten Durchführungsteil. Von Dolce ist nicht viel zu verspüren, das längst im Gange befindliche Drama thront über Allem, wenngleich er die Fortissimi mit dem Klopfmotiv in der düsteren Überleitung nicht so exzessive spielt, wie schon gehört, sondern transparent und beherrscht, wodurch aber die Schärfe im Klopfmotiv besser zum Tragen kommt.
    In der Reprise spielt Berman die fünffachen Fortissimo-Takte in einer besonders ausdrucksstarken Steigerung, die dann wieder in die raschen Achtel münden, die mich in ihrem Ausdruck an dämonisch grinsende mendelssohnsche Kobolde erinnern.
    In der Wiederholung des Dolce-Themas hebt Berman hier die beiden Forteschläge, die das Thema beenden, noch stärker hervor als in der Exposition, was genau der bisherigen ständigen Steigerung zum Satzende hin entspricht. Dazu gehören auch die gehörig gegen den Strich gebürsteten hohen Oktaven, selbst im Dolce-Thema, das in diesem Crescendowirbel ab Takt 208 rettungslos untergeht in einem Tumult, der jetzt von wirbelnden Triolen und Arpeggien beherrscht wird, deren klangliche Oberfläche an klingende Eiszapfen erinnert. Selbst das Ritartando-Diminuendo hat diese kalte Konsistenz, und in der auch hier schon entfesselten Coda spannt Berman bereits unüberhörbar den Bogen zur Finalcoda.


    Das Andante con moto spielt Berman etwas rascher als Richter und wesentlich rascher als Gilels. Dennoch entsteht im Thema ein großer Kontrast. Berman taucht hier tief in den Dolce-Charakter des Themas ein, was erstmals im Ablauf dieser Sonate Entspannung verheißt und was er durch ein wunderbar warme Tongebung unterstreicht.
    Aber bereits in der ersten Variation taucht schon wieder eine gewisse rastlose Spannung auf. Berman erhöht das Tempo deutlich und seine staccato gespielten Achtel in der oberen Oktave erzeugen diesen Eindruck von Rastlosigkeit.
    Doch noch ist nicht aller Tage Abend. In der zweiten Variation serviert uns Berman wieder Entspannung pur durch ein grandios gesieltes sempre ligato, das zwar auch sehr bewegt ist, aber auf eine entspannt fließende Art.
    Die dritte Variation ist dann Lyrik auf höchstem temporalen Niveau, auch dynamisch sehr bewegt, aber immer noch sehr positiv in der Aussage und mündet dann am Schluss wieder in das abermals grandios gespielte Thema, der letzten Ruhe vor dem Sturm.
    Dieser Sturm bricht dann im Finale auch unter den Händen Bermans über uns herein, zwar nach den anfänglichen Fortissimo-Akkorden sich dynamisch leise fortsetzend und sich allmählich entwickelnd, aber schon von Anfang an mit hoher (Wind-)Geschwindigkeit, und spätestens in der zweiten Hälfte der Exposition kommen dann die sfp in den Takten 86, 88 und 90 wie Pistolenschüsse. Daran ändert auch nicht der neuerliche Anlauf aus dem pp am Beginn von "la seconda parte" etwas. Schon 20 Takte später ist das forte wieder erreicht und Berman spielt mit großer Wucht die vierfachen Oktavverschiebungen ab Takt 168, die nach einem sehr kontrastreichen Übergang zum Reprisenteil führen. Auch den spielt Berman dynamisch höchststehend, mit gleich hohem Tempo und wiederholt selbstverständlich "la seconda parte".
    Die Presto-Coda ist genauso beeindruckend wie die von Swjatoslaw Richter, aber ich finde, nicht so hemmungslos, nicht so im "Alles-oder Nichts"-Modus, sondern, falls das überhaupt geht, mit etwas mehr Kontrolle, aber einfach überragend!!


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup:

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  • Lieber Willi,


    wunderbar, Deine Besprechung! Noch so ein Höhenflug von Dir! Das ist so schön geschrieben, dass die Worte fast lebendige Musik werden.... :) Bei Berman ist immer wieder faszinierend das absolut klare und saubere Spiel selbst in den extremen Passagen. Es gibt noch einen Berman-Mitschnitt aus den 70igern - die Zeiten sind da etwas länger. Ich hoffe, ich finde demnächst eine Mußestunde, die beiden Versionen mal zu vergleichen, ob es da Ähnlichkeiten mit Gilels gibt. Bei Gilels ist der Mitschnitt aus den 60igern ja auch geschwinder!


    Hetzlich grüßend
    Holger

  • Lieber Holger,


    die beiden Gilels-Mitschnitte von 1961 und 1951 werde ich auch bald einstellen und in diesem Falle meine Vorgehensweise, zuerst alle kompletten Aufnahmen vorzustellen, unterbrechen. Heute habe ich erst die sechste Arrau-Aufnahme durchgehört und werde meine Bilanz hier einstellen.


    Liebe Grüße


    Willi :)

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    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).


  • Beethoven, Sonate Nr. 23 f-moll op. 57 "Appassionata"
    Claudio Arrau, Klavier
    AD: 1973 Schwetzingen, live
    Spielzeiten: 10:50-7:03-8:11 -- 26:04 min.;


    Claudio Arrau tritt in dieser meiner sechsten Appassionata von ihm 1973 bei den Schwetzinger Festspielen auf. Er spielt auch in dieser Aufnahme das Allegro assai in gemäßigtem Tempo, aber von Anfang an mit exzellenter Durchhörbarkeit und voller Ausnutzung der dynamischen Spannweite. Er ist zum Zeitpunkt der Aufnahme mit 70 Jahren nach wie vor auf seinem künstlerischen Zenit.
    Auch er versucht natürlich, den Kontrast des Dolce auszukosten, aber die Partitur lässt ihm, wie auch allen anderen Pianisten, keine Möglichkeit dazu. nach dem unerbittlichen Takt 42 mit dem trockenen Forte, den frostig-klaren Takten 43 bis 46 und dem zielstrebigen abstieg der Achtel in Richtung des Schlusssatzes, den er mit großer Stringenz, aber ohne die letzte dynamische Wucht vorträgt und über die atemberaubende Ausgestaltung des Überganges zur Durchführung in der hohen Oktave diese im ersten Teil mit zwei tieftraurigen Takten (65, 66) beginnt, aber gleich darauf, wie auch schon in der Exposition, die Trillertakte sehr scharf akzentuiert und damit den dramatischen Impetus schon in diesem zögerlichen Teil anheizt.
    Den zweiten Teil mit dem Oktavenwechsel des Themas spielt er sehr zielstrebig aber immer noch dynamisch nach oben offen.
    Im Übergang zum dritten Teil, in dem das Dolce-Thema durchgeführt wird, versteht er es wunderbar, den lyrisch-positiven Eindruck so lange wie möglich aufrecht zu erhalten. Doch im Dolce ist dies nur noch von kurzer Dauer, und hier steigert er naturgemäß die dramatische Kurve und gestaltet eine kalt-sinistre Überleitung zur Reprise.
    Diese spielt er nach wie vor, wie den ganzen Satz, temporal moderat, aber dynamisch unablässig gesteigert und lässt einfach die gesteigerten Akkorde verklingen, bevor es im diminuendo wieder dem Dolce-Thema zugeht, das aber nur noch oberflächlich "dolce" ist, die begleitenden Bässe sind längst in einer finstereren Region., ebenso wie der Abschluss des Dolce nach dem Forte in Takt 181, wie dann auch das darauf folgenden Forte-Gewitter bestätigt.
    In der Steigerung ab Takt 213 mit den sich anschließenden Triolen und Arpeggien geht Arrau weit über das bisher von ihm Gehörte hinaus, lässt quasi kurzzeitig die Leinen los, kehrt aber sofort zu seinem kontrollierten, aber nichts desto trotz ungeheuer aufregenden Spiel zurück und zeigt ein weiteres Mal, hier in Takt 238, wie wichtig ihm wirklich alle Noten sind, indem er das kurze Crescendo von pp nah p wirklich ausführt, was viele Pianisten vernachlässigen.
    In der anschließenden Coda beschleunigt er natürlich auch, aber auf der Basis seines moderaten Grundtempos. Pianistisch wäre er natürlich zu einem weitaus höheren Tempo in der Lage, aber das ist nicht seine Art.
    Jedenfalls ist der Kopfsatz so aufregend genug und mit Blick auf die Partitur so schlüssig, dass es aus der Sicht des Pianisten und auch des Hörers keines anderen Tempos bedarf.


    Arraus Andante con moto ist derart grandios, dass mir fast die Wort fehlen. Ich glaube, keine der bisherigen 20 Aufnahmen, die ich gehört habe, erfüllt so sehr die Erwartungen an diesen großartigen langsamen Satz wie Arrau in dieser Aufnahme. Er findet nicht nur das richtige Mittelmaß zwischen sanftem Andante und aufregendem "con moto", wie es hier angebracht scheint. Jedenfalls habe ich bei dieser Darbietung keinen Moment gezaudert, dass es so nicht richtig sein könnte. Es passt nicht nur so wunderbar zu Arraus lebenslangen Tempovorstellungen der Beethovensonaten, sondern auch zu der Bedeutung und der Größe dieses Satzes in dieser Sonate passt, der alles andere als eine Erholungspause zwischen den beiden hochdramatischen Ecksätzen ist, sondern ein Bindeglied, in dem sich die unglaublichen musikalischen Figuren der Ecksätze in verminderter Form wiederfinden.


    Claudio Arrau verliert auch im Finale nicht sein temporales Management aus den Augen, im Gegenteil, im Gegensatz zu manchen seiner Kollegen befolgt er die Beethovensche Tempovorschrift "Allegro, ma non troppo" genau. Das macht im Endeffekt zu den "Rasern", wie Joachim Kaiser sie nannte, zwar nur gut eine Minute aus, aber es passt genau zum temporalen Binnenverhältnis seines für diese Sonate lebenslangen Zeitgefühls. Dynamisch kann man auch wie Arrau überzeugen, wenn man eine etwas andere Tempovorstellung hat, vielleicht gar die richtige?
    Jedenfalls gestaltet Arrau in der von ihm selbst gewählten Zeit den dynamischen Ablauf grandios und bleibt selbst in dieser über 40 Jahre alten Aufnahme strukturelle keine Antworten schuldig. Da sitzt jede Note, da passt jeder Akzent, und der dramatische Impetus kommt keine Sekunde zu kurz.
    Abgesehen davon, dass er wiederum keine einzige Note Beethovens schuldig bleibt, ist auch der Aufbau des Finales wiederum frappierend, dynamisch wie rhythmisch. Man könnte Untersuchungen anstellen, ob Pianisten, die den Satz eine Minute schneller spielen, ein geschlosseneres Gesamtbild abliefern, das würde m. E. zu nichts führen: hier haben wir einen schlüssigen Gegenentwurf zu den insgesamt schnelleren Einspielungen, der aber nichtsdestoweniger seine absolute Daseinsberechtigung hat.
    Temporal zwar immer noch typischer Arrau, aber vom Ausdruck her vielleicht sein größter Wurf!!


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Zitat

    William B.A.: Irgendwie hatte ich die Jahreszahl 1953 im Kopf, weiß der Henker, woher.
    Ich hatte mir die Dateien ja im MP3-Format heruntergeladen, und da war
    kein Booklet dabei

    Ja, da hat Christian B. recht: Die Moskauer live-Aufnahme der Appassionata datiert vom 09. 06. 1960. Wo DU aber auch nach meinem Dafürhalten recht hast, ist dies mit Deiner Feststellung, daß man diese Sonate nur noch besser spielen kann, wenn man SVJAOTOSLAV RICHTER heißt!! Aber selbst er konnte m. E. diese Aufnahme nicht mehr toppen, und ob die darauffolgende Aufnahme in der Carnegie-Hall noch "besse"r war, darüber streiten die Gelehrten!.


    Gruß
    wok


  • Beethoven, Sonate Nr. 23 f-moll op. 57 "Appassionata"
    Emil Gilels, Klavier
    AD: Januar 1961
    Spielzeiten: 9:29-6:36-4:24 -- 20:29 min.;


    Emil Gilels ist in dieser Live-Aufnahme von 1961 um 1 1/2 Minuten schneller als 12 Jahre später in der Berliner Aufnahme. Hier ist, wie ich finde, noch etwas vom Ungestüm des jüngeren Gilels zu verspüren, er nutzt den dynamischen Spielraum voll aus, akzentuiert die Trillertakte sehr stark, , spielt das Klopfmotiv im Gegensatz dazu sehr langsam und dunkel, schärft die Diskant-Noten in Takt 26 und 30 und spielt die Unisono-Achtel (Takt 24 bis 34) fast rastlos schnell vorwärts.
    Das Dolce-Thema spielt er sehr klar und die beiden Forteakkorde in Takt 42 sehr kräftig. Die Trillertakte und die absteigenden Achtel wie mit einem Eishauch überzogen und den anschließenden Schlusssatz sehr kernig und wiederum ungestüm, die flirrenden Sechzehntel in der hohen Oktave klingen unglaublich.
    Den ersten, zögerlichen Teil der Durchführung spielt er wieder sehr akzentuiert in den Trillern und schließt einen dynamisch hochstehenden zweiten Teil mit den Seitenwechseln des Themas an, wobei er am virtuosen Schluss dieser Passage in den tiefen Sechzehnteln es gehörig grummeln lässt.
    Der lyrische Übergang zum durchzuführenden Dolce-Thema ist auf eine erfrischende Weise anders als schon Gehörte, da kommen die Subito Fortepiani in kräftigem Forte, alle Töne klar wie Gebirgswasser.
    Das Dolce-Thema selbst wird in der Durchführung schnell zerlegt im dynamischen Aufwärtswirbel und die anschließenden Sechzehntel-Aufwärtsfiguren spielt er atemberaubend, ebenso die düstere, unaufhaltsame Überleitung zur Reprise.
    In dieser legt er in Dynamik und Bewegungsenergie noch einmal zu, wie ich meine, vor allem, da es diesmal 5 Fortisssimo-Takte sind statt drei in der Exposition, und an den letzten schließt er einen gleißend-grellen Triller-Takt im Forte an.
    Das neuerliche Dolce-Thema macht diesmal einen schwerfälligen, schwermütigen Eindruck und wird abermals von einem strikten Forte beendet, und nach dem beinahe bodenlosen Achtelabstieg setzt die Fortehatz mit einem Knall ein, und nach dem Diminuendo ab Takt 203 setzt sich wieder für einen kurzen Moment Licht durch in der hohe Oktave zunächst der begleitenden Sechzehntel und dann des Dolcethemas, aber Nichts währt ewig und ein Dolcethema in der Appassionata erst recht nicht, rasch wird es nach oben crescendiert, zerpflückt und der zweite Teil so lange crescendiert, bis die zerstörerischen Triolen einsetzen, es verschlucken und ihrerseits in den Arpeggien aufgehen. Auch stattet Gilels das abschließende Ritartando-Diminuendo mit einem gehörigen dynamischen Gefälle aus.
    Die Coda lässt auch hier bei Gilels das Finale schon vorausahnen.


    Das Andante con moto ist überragend im Ausdruckend, organisch in der dynamischen Ausgestaltung, wobei erstaunlich ist, dass er temporal schon in dieser früheren Aufnahme die gleiche Gelassenheit und Ruhe ausstrahlt wie in der 1973er Aufnahme, er ist sogar noch geringfügig langsamer als 1973, und im Ganzen ist dies temporal natürlich ein gewaltiger Kontrast zum Kopfsatz.
    Wie in der späteren Aufnahme lässt er jedoch schon hier dynamisch keine plötzlichen Ausschläge zu, sondern kontrolliert die Entwicklungen sehr klug. Dennoch sind die Fortissimi in einem organischen Anstieg in den Takten 71 und 79 gut zu vernehmen.


    Das Finale ist dann pure Raserei, und ich hätte es nicht geglaubt, dass es noch schneller geht als bei Richter und Berman. Selbst, wenn Gilels "la seconda parte" wiederholt hätte, wäre er auf 6:39 min. gekommen, Richter und Berman auf je 6:53 min. So kann man sie leider nicht komplett vergleichen, aber ich meine, dass trotz des Höllentempos hier bei Gilels auch im Presto immer noch Kontrolle vorherrschte. Das ist unglaublich. Ich befürchte jetzt fast, dass die Florenzer Aufnahme von 1951, die in wenigen Tagen bei mit eintreffen sollte, auch nur in der Kurversion vorliegt. Wie dem auch sei, dann kann ich wenigstens die beiden untereinander vergleichen. Und auch in meiner jetzigen Sammlung sind ja einige Beethoven-Pianisten mit der Kurzversion vertreten, so Barenboim und Gelber und natürlich, wie immer, Backhaus.


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup:

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  • Beethoven, Sonate Nr. 23 f-moll op. 57 "Appassionata"
    Richard Goode, Klavier
    AD: 1991
    Spielzeiten: 9:00-6:20-7:36 -- 22:56 min.;


    Richard Goode gehört zu den Pianisten, die den Kopfsatz schneller nehmen. Er beginnt tief im Pianissimo, spielt einen klaren, natürlichen Ton und betont die Trillerakzente in den Takten 9 und 11 deutlich, führt auch das nachfolgende Ritartando sehr schön aus. Das erste Forte ist sogleich markant und die ff-Takte sind von großer Kraft. In der Überleitung zum Dolce-Thema verleiht er den beiden Diskantakkorden im sfp die nötige Wucht und Schärfe.
    Das Dolce führt er sehr stimmungsvoll aus, das Crescendo gewinnt durch die kräftige Begleitung noch an Kontur, und nach den hellen Triller-Takten und der abwärts schwebenden Achtelkette führt er einen kraftvollen Schlusssatu aus, in dem sich das Fortissimo in den drängenden Sechzehnteln deutlich von den Forti abhebt.
    Bei allem raschen Tempo verliert aber auch Goode nie die Kontrolle über das musikalische Geschehen, lässt die Musik schön fließen, breitet aber gleichzeitig die Struktur von Melodie und Begleitung deutlich aus.
    Im ersten Teil der Durchführung verzögert er die ersten beiden Takte 65 und 66 im geheimnisvollen pp, gestaltet sie wie eine Frage, die Trillertakte sind hell und deutlich akzentuiert und münden nach dem Piano in Takt 78 in eine kräftige Vorwärtsbewegung der Sechzehntel mit den Oktavwechseln des Themas und münden nach der Sforzandokette in Takt 91 und 92 in eine sehr stimmungsvoll musizierte lyrische Überleitung, in der er die sfp-Akkorde wesentlich moderater spielt als Gilels.
    Das Dolce-Thema hat auch bei Goode nur eine kurze Überlebensdauer, bevor es in den Crescendi der Durchführung versinkt.
    Die Überleitung ist auch bei Goode heftig, aber nicht so nebulös düster, sondern transparent kalt und immer noch im raschen, kontrollierten Vorwärtsdrang.
    Die Reprise gestaltet Goode dynamisch noch kontrastreicher als die Exposition, beginnt tief im Pianissimo und treibt die fünf Fortissimo-Takte hoch bis zum ff/fff, wobei der Takt 162 richtig frostig-grell wirkt, ebenso wieder die beiden Diskantakkorde.
    Auch die Sechzehntelketten nach der kurzen Dolce-Episode sind wieder dynamisch sehr hochstehend und werden nur kurz von dem Diminuendo ausgebremst, bevor Goode sie nach dem berückenden Dolcethema in der hohen Oktave wieder stark ansteigen lässt und den Fortissimowirbel der Dreier-Sechzehntel und der Arpeggien entfacht und über das vorbildlich gespielte Ritartando-Diminuendo in die rasante Coda mündet.
    Ein Kopfsatz der schnelleren Art mit konstantem Vorwärtstrieb, furios und dennoch stets kontrolliert gespielt!!


    Richard Goode beginnt das Andante aus einem tiefen Pianissimo, beachtet aber die dynamischen Akzente in der zweiten Hälfte des Themas und im Crescendo der zweiten Hälfte der ersten Variation. Er nimmt die dynamische spanne nicht ganz so weit wie Andere. Die zweite Variation spielt er im Rahmen des dynamischen Managements grandios, auch die dritte Variation, die er wiederum moderat steigert, ist äußerst ergreifend. Im Ganzen stellt dieses Andante einen großartigen Kontrast zum Kopfsatz dar, vor allem temporal, aber auch dynamisch, ohne auch nur im Geringsten in ein romantisches Rührstück abzugleiten.


    Im Finale wählt auch Goode ein rasches Tempo, wenn er auch nicht so "rast 2ie Richter, Berman und zuletzt Gilels. Sein Spiel bleibt weiter kontrolliert und auch in der Dynamik nicht überbordend. Hier sitzt jeder Ton, hier überschlägt sich Nichts. Auch die moderateren Akzente beachtet er auf das Genaueste und legt so z. B. im ersten Teil von "la seconda parte" sehr schön die dynamische Struktur offen. Die Steigerung hin zur "Atempause zwischen Durchführungs- und Reprisenteil von la seconda parte spielt er ganz souverän bis hin zum ff. Bei alledem ist noch mal zu bemerken, dass die ganze Aufnahme, auch hier im Finale, sehr klar und durchhörbar ist und man jede Note an ihrem Platz findet. In der Reprise ist auch der zweite Teil in der hohen Oktave ganz wunderbar musiziert und die Schlusssteigerung am Ende des Reprisenteils sehr schön bis zum Fortissimo gesteigert. In der Wiederholung von la seconda parte sei noch mal vermerkt, dass auch die "Atempause" (Takt 184 bis 210) zwischen Durchführung und Reprise grandios gespielt ist.
    Grandios in ihrer Klarheit, Kontrolliertheit, ich möchte fast sagen Perfektion und dabei doch mitreißenden Wirkung ist auch die Coda.


    Eine große Aufnahme!!


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup:

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  • Beethoven, Sonate Nr. 23 f-moll op. 57 "Appassionata"
    Friedrich Gulda, Klavier
    AD: 1967
    Spielzeiten: 7:27-5:30-7:13 -- 20:10 min.;


    Friedrich Gulda nimmt den Kopfsatz extrem schnell, das ist m. E. für sich ja noch nicht falsch, da "Allegro assai" ja so viel heißt wie "sehr schnell". Aber er gerät m. E. dabei in die Gefahr, die "Bedeutungsschwere", die in bestimmten Wendungen liegt wie z. B. in den beiden aufeinanderfolgenden Terzen in Takt 1 mit Auftakt, auszudünnen, zumal er diese Stellen auch noch tief im Pianissimo ansiedelt. Dadurch erreicht er zwar eine sehr große dynamische Spannweite, weil er natürlich auch die Obergrenze im Fortissimo sehr hoch ansiedelt.
    Ich frage mich, wenn die Passage nach den drei zugegebenermaßen sehr eindrucksvollen ff-Takten ab Takt 24 einen sportiv-virtuosen Charakter annimmt, ob die Interpretation dann nicht an musikalischer Tiefe abnimmt und etwas weniger Tempo mehr gewesen wäre. Er ist hier immerhin 3 1/2 Minuten schneller als Gilels 6 Jahre später und knapp 4 Minuten schneller als Arrau 2 Jahre früher.
    Sehr beeindruckend ist allerdings die Stelle am Ende des Dolce-Themas in Takt 42 mit den nachfolgenden fahlen Trillern und dem Achtelabstieg.
    Auch der Schlusssatz Takt 51 bis 58 mit Übergang ist durchaus überzeugend.
    Auch der erste, zögerliche Teil der Durchführung mit den deutlichen Trillerakzenten gefällt mir, ebenso wie der zweite Teil mit den Oktavwechseln des Themas.
    Allerdings erscheint mir der lyrische Übergang Takt 93 bis 108 zu verhuscht, weil zu schnell und mit zu wenig Tiefgang. Das habe ich schon ganz anders gehört.
    In der dramatischen Durchführung des Dolce-Themas wiederum setzt Gulda das hohe Tempo zu einer großartigen dramatischen Steigerung ein, wohingegen die düstere Überleitung in Guldas Spielweise m. E. ab Takt 130 an Dämonie, aber auch an Durchschlagskraft verliert.
    In der Reprise überzeugen wieder die Fortissimo-Takte mit dem Trillertakt 162 und die aufsteigenden Trillertakte sowie der Absturz der Achtel die Fortebewegung der Sechzehntel.
    Als es wieder zu einer kurzen lyrischen Phase mit dem Dolcethema kommen soll, lässt das hohe Tempo ein Dolce-Gefühl beim Hörer (mir) kaum aufkommen, wohingegen die temporale Zuspitzung in den wirbelnden Triolen und den Arpeggien wieder sehr wirkungsvoll ist, und das Ritartando-Diminuendo ist wirklich gut, auch die deutliche Steigerung in Takt 238.
    Und die Coda ist natürlich glänzend bis zu den letzten 6 Takten, die zwar dynamisch sehr überzeugend geraten, aber temporal "zu schnell zu Ende sind".


    Gulda zeigt in dem Andante, dass er auch "lyrisch" kann. Er beginnt sogar im Thema und in der ersten Variation mit vorsichtigen dynamischen Akzenten und stellt auf diese Weise einen gehörigen Kontrast zum Kopfsatz her. Bemerkenswert ist , wie er in der ersten Variation die Synkopen in der Begleitung stärker betont als seine Kollegen und auf diese Weise einen veränderten, durchaus aufregenden Rhythmus erzeugt.
    Auch in der zweiten Variation, die er "sempre ligato" wunderbar fließen lässt, akzentuiert er zwar merklich, aber immer noch etwas zurückhaltend. Auch in der dritten Variation legt er mehr Wert auf Fluss und Harmonie, als wenn er sagen wollte : "Ich mache es jetzt mal genau umgekehrt", und er geht auch hier nicht bis zum Äußersten, sprich Fortissimo. Dennoch gefällt es mir ausnehmend, zumal er ein nahezu gleich groß ausgedehntes dynamisches Spektrum nur etwas weiter nach unten verlegt hat.


    Im Finale ist Gulda nicht ganz so rasch wie Richter und Berman und Gilels von 1961 und zumindest in der Exposition wohl mit dem Vorwärtsdrang, aber nicht mit der maximalen Dynamik, die möglich wäre. Auch im ersten Teil der 2seconda parte", dem Durchführungsteil, könnten die legendären achtfachen Vier-Oktaven-Stufen Takt 168 bis 176 noch den letzten Fortissimokick vertragen. Wiederum nun fast nicht mehr überraschend ist die "Atempause, Takt 184 bis 210, von Gulda hier wirklich atemberaubend gespielt. Sehr eindrucksvoll spielt er auch im Reprisenteil die hohe Oktave ab Takt 260, während am Schluss der Reprise in Takt 302 wieder ein wenig am Fortissimo fehlt. Gulda spielt la seconda parte auch noch einmal.
    Die Presto-Coda spielt er natürlich auch souverän, aber wie ich finde, sehr kontrolliert und erreicht hier dann doch das Schluss-Fortissimo. Was Furor, Dramatik und den Blick in die tiefen Abgründe betrifft, kann er m. E. Richter, Berman und Gilels nicht erreichen.
    Eine Aufnahme, vom Pianistischen her ohne Fehl und Tadel mit einem, wie ich finde, zu schnellen Kopfsatz, dem Andante als musikalischem Höhepunkt und einem Finale, das interpretatorisch sicher noch Luft nach oben hat.


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup:

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  • Beethoven, Sonate Nr. 23 f-moll op. 57 "Appassionata"
    Vladimir Horowitz, Klavier
    AD: 1959
    Spielzeiten: 9:55-5:27-8:13 -- 23:35 min.;


    Vladimir Horowitz beginnt im tiefen Pianissimo, spielt die ersten Takte dynamisch mit moderaten Akzenten, legt dann aber ab dem ersten Fortetakt 13 mächtig zu und erreicht in Takt 17 ein veritables Fortissimo. Seine Klanggebung ist im Bass sonor und im Diskant hell und in den Sfp Takt 26 und 30 geschärft. Temporal liegt er auf der Linie von Gilels zwei Jahre später entstandener Moskauer Aufnahme.
    Das Dolcethema spielt er mit all seinen lyrischen Fähigkeiten, stellt aber in Takt 42 durch zwei mächtige Forteakkorde den großen emotionalen Kontrast her und mit den folgenden hellen, halt glänzenden Trillern und den abwärts strebenden gleichartigen Achteln geht er in die machtvollen dunklen Fortesechzehntel., in denen er auch viel Wert auf die Struktur legt und sich dazu Zeit lässt und den Fortgang sehr kontrolliert spielt. Sehr schön auch der Übergang zur Durchführung vor allem in der hohen Oktave.
    Im ersten, zögerlichen Teil der Durchführung akzentuiert er die Trillertakte wesentlich stärker als in der Exposition, und im zweiten Teil setzt er die dynamisch hohe Spielweise fort mit einer nochmaligen Steigerung in den Sforzandi ab Takt 91, denen er eine sehr ausdrucksstarke lyrische Überleitung zur Durchführung des Dolcethemas folgen lässt.
    Dieses treibt er souverän nach oben, bis es in den Aufwärts-Sechzehnteln versinkt, die wiederum in eine furchterregende düstere Überleitung zur Reprise führt.
    In der Reprise setzt Horowitz das dynamisch äußerst kontrastreiche Speil fort, in den fünf ff-Takten findet eine ständige Verschärfung statt, die in dem Trillertakt 162 zum vorläufigen Höhepunkt kommt, bevor es wieder diminuendo zum Dolcethema zurückgeht, das zumindest für vier Takte wieder etwas (trügerische) Ruhe verbreitet. Doch nach den abstürzenden Achteln geht es mit Gewalt wieder düster weiter. Auch hier spielt Horowitz weiter mit kontrolliert moderatem Tempo, was auch der Struktur in der hohen Oktave zugutekommt. Einmal darf das Dolcethema noch in der hohen Oktave zu uns sprechen, bevor es in den dynamischen Steigerungen zerbröselt. Horowitz spielt die Triolen und Arpeggien mit großer Kraft und Stringenz und schließt die Reprise mit einem großartigen Ritartando-Diminuendo ab.
    In der Coda erhöht er noch einmal die Schlagzahl aber immer noch passend zu seinem temporalen Gesamtkonzept und spielt am Schluss ein atemberaubendes "Verhauchen" des Satzes.


    Ähnlich wie Gilels in seiner 1961er Aufnahme spielt auch Horowitz das Andante mit viel Ausdruck und Emotion, aber dennoch, vor allem in der dynamischen Entwicklung, mit viel Kontrolle. Er steigert merklich in der zweiten Hälfte des Themas, dann weiter in der zweiten Hälfte der ersten Variation, aber es sind keine Eruptionen zu befürchten.
    Diese kontinuierliche Steigerung geht auch in der zweiten Variation weiter, der atemberaubend gespielten sempre ligato-Variation.
    Auch in der letzten Variation steigert er weiter temporal und dynamisch, wieder wunderbar ausdrucksvoll gespielt.


    Auch im Finale verliert Horowitz die temporale und emotionale Kontrolle nicht zu Gunsten eines sich kontinuierlich entwickelnden musikalischen Verlaufes und einer transparenten Struktur. Dynamisch und rhythmisch ist er dabei durchaus auf der Höhe. Sehr schön steigert er gegen Ende von "la prima parte".
    Auch am Beginn von "la seconda parte", im durchführenden Teil, fällt wieder auf, wie genau Horowitz auch die kleinen dynamischen Regungen beachtet, bevor gegen Ende dieses Teils die große Steigerung kommt. Die "Atempause" spielt auch Horowitz ganz großartig.
    Im Reprisenteil spielt er auch die obere Oktave wieder ganz berückend, bevor es nach der Schlusssteigerung an die Wiederholung von "la seconda parte" geht.
    Besonders hebt Horowitz in dem Durchführungsteil sowohl beim ersten als auch jetzt beim zweiten Mal die beiden sempre forte-Stellen ab Takt 146 und 154 hervor, "kontrolliertes Ungestüm" sozusagen.
    In der Presto-Coda dreht Horowitz noch mal kräftig auf, nicht nur dynamisch, sondern auch temporal, aber vor allem dynamisch. Bei weiterhin voller Kontrolle brennt Horowitz hier ein wahrhaft großes pianistisches Feuerwerk ab.
    Diese großartige Einspielung lässt bei mir sogleich großes Bedauern darüber aufkommen, dass wir von Horowitz nicht mehr Beethoven-Sonaten vorliegen haben.


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup:

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    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Das sind alles sehr erhellende Rezensionen, lieber Willi. Von Horowitz ist die "alte" Appassionata vielleicht besser als die neue (CBS). Bei Gulda denke ich werden meine Eindrücke ganz ähnlich sein. Goode kenne ich gar nicht. Von Horowitz gibt es nur ein paar Beethoven (von den späten die op. 101 glaube ich). Da werde ich meine Sammlung mal durchforsten. Seine "Pathetique" gehört ja wirklich zu den schönsten Aufnahmen. :hello:


    Herzlich grüßend
    Holger

  • Lieber Holger,


    ich habe nur diese eine CD von ihm mit der Mondschein-Sonate, der Waldstein-Sonate und der Appassionata. Was ich faszinierend finde, ist die Tatsache, dass Gilels bei seiner 1973er Aufnahme 57 Jahre alt war, Horowitz bei seiner 1959er Aufnahme 56 Jahre, Zufall? Kaiser nannte Gilels' Weg, sich der Appassionata zu nähern, "Geballte Gemessenheit". Ich sehe Horowitz in dieser Aufnahme auf einem ähnlichen Weg.


    Liebe Grüße


    Willi :)

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  • Lieber Holger, hier haben wir eine sehr überzeugende Lesart in Klarheit, Natürlichkeit und Werktreue, quasi dem späteren Gilels nahestehend:


    Beethoven: Sonate Nr. 23 f-moll op. 57 "Appassionata"
    Wilhelm Kempff, Klavier
    AD: September 1964
    Spielzeiten: 9:51-6:00-8:48 -- 24:39 min.;


    Wilhelm Kempff spielt den Kopfsatz im gleichen Tempo wie Horowitz. Dynamisch ist er gleich von Anfang an voll da, spielt satte fortissimo-Takte, wartet mit geschärften sfp-Akkorden in Takt 26 und 30 auf und spielt dann ab Takt 31 ein berückendes Diminuendo zum Dolce-Thema hin. Dieses spielt er klar hervortretend und schließt mit zwei harten Forte-Akkorden ab, denen eisüberzogene Triller und Achtelabwärtstöne folgen.
    Er beginnt den Schlusssatz nicht mit einem Forte-Paukenschlag, sondern sieht ihn als große Steigerung an, die er exzessiv spielt und die auch noch bis in die Überleitung hin: klare, gefrostete Töne.
    Schon der erste, zögerliche Teil der Durchführung ist bei Kempff sehr kontrastreich. Er beginnt tief im pp und betont die Trillertakte energisch.
    Im zweiten Teil der Durchführung ist diesmal im Gegensatz zum Schlusssatz der Exposition die Forte-Sechzehntel-Bewegung von Anfang an dynamisch hochstehend und er spielt sie mit dem gleichen dramatischen Vorwärtsdrang wie die Exposition.
    Der lyrische Übergang zum dritten Durchführungsteil ist bei Kempff nicht in sich gekehrt, sondern, klar, natürlich, dynamisch gut strukturiert.
    Dieser dritte Durchführungsteil hat es auch bei Kempff in sich, wobei mir besonders die unerbittlichen, sich steigernden hämmernden Achtel der Begleitung imponieren, die das Dolcethema unerbittlich in sich aufsaugen. Auch die aufsteigenden Sechzehntel sind höchst bedrohlich und dramatisch, interessanterweise mehr noch als die achtfachen Klopfzeichen in der düsteren Überleitung zur Reprise.
    Diese spielt Kempff auch ganz großartig, vor allem die fünffache Fortissimo-Takt-Folge mit den schrillen Triller-Zwischentakten. Berückend ist wiederum das abschließende Diminuendo, mit dem er einen großen Ausdruckskontrast zu dem vorherigen dramatischen Geschehen setzt. Ganz großartig ist auch seine Ausführung der hohen Oktave ab Takt 200 mit dem Dolcethema in Takt 210 bis 212 mit der anschließenden dramatischen Crescendierung und den Triolen und Arpeggien, die er nicht auf Virtuosität ausrichtet, sondern auf Klarheit. Noch ein scharfer Kontrast ist sein abschließend beinahe staccatoartig gespieltes Ritartando-diminuendo, dem er eine dynamisch höchst bewegte und auch temporal verschärfte Coda mit einem atemberaubenden am Ende noch retardierten Diminuendo-Schluss folgen lässt.


    Ein grandioses Andante, in dem Kempff mit seinem äußerst natürlichen klaren Klang, das musikalische Geschehen in Fluss haltend, durch die exakte Befolgung der dynamischen Zeichen eine sich kontinuierlich vom Thema an steigernde Darstellung dieses doch sehr bewegten und sich bewegenden Satzes gibt, der in den satten Fortissimi seine Höhepunkte findet und am Schluss mit der Rückkehr zum berückenden Thema den wunderbaren Kreis schließt.


    Auch im Finale hält sich Wilhelm Kempff an die temporale Satzbezeichnung Allegro ma non troppo und legt den Focus auf die dynamische und rhythmische Ausgestaltung des unerbittlich voranschreitenden Satzes. Seine Sforzandi kommen knallhart, und in der größtenteils dynamisch hochstehenden "prima parte", dem exponierenden Teil, stellt er die Ausweglosigkeit des in diesem musikalischen Schicksal Gefangenen höchst eindrucksvoll dar.
    Diese Darstellung behält er auch im ersten Teil von "la seconda parte", dem durchführenden Teil bei, der im Fortissimo in der vierfachen Oktavverschiebung der Unisono-Oktaven gipfelt- grandios!!
    Auch im Sempre pp-Übergang zum Reprisenteil bleibt er seiner klaren, natürlichen Tongebung treu, was den Achteln zusätzlich eine "Raureif-Krone" aufsetzt. Auch sein Reprisenvortrag ist sehr beeindruckend, und er wiederholt wie die Meisten "la seconda parte".
    Mit der temporal auch etwas zurückhaltenderen Coda, die aber nichts desto trotz aus seinem Grundtempo heraus durchaus presto ist, stellt auch er "die andere Seite", wie Joachim Kaiser es ausdrückt, der Appassionata dar. Zugunsten höchster dynamischer und rhythmischer Klarheit und Intensität verzichtet er auf soghafte "Raserei". Vom ersten Ton des Kopfsatzes an bis zum letzten Ton des Finales verfolgt er, wie ich finde, höchst erfolgreich diese Philosophie.


    Eine grandiose Aufnahme!!


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Lieber Willi,


    den Kempff von 1964 werde ich mir natürlich auch zu Gemüte führen und mit der DGG-Aufnahme aus den 30iger Jahren vergleichen. Das wird besonders spannend! (Gestern und heute war ich mit dem Testen von LS-Kabeln beschäftigt! :) )


    Herzlich grüßend
    Holger

  • Lieber Holger,


    ich weiß nicht, welche Kabel du testest, aber ich bin mit meinem alten Kimber Kable 8 PR (25 € /m) immer noch gut zufrieden.
    Ich stelle übrigens gleich einen neuen Hörbericht ein über jemanden, der die gleichen Initialen aht wie Wilhelm Kmepff und ich, und ich darf dier soviel verraten, das Ergebnis ist ganz hevorragend.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).


  • Beethoven, Sonate Nr. 23 f-moll op. 57 "Appassionata"
    Walter Klien, Klavier
    AD: 1964
    Spielzeiten: 9:39-6:06-8:10 -- 23:55 min.;


    Walter Klien beginnt die Exposition mit ganz dunkel getönten Bässen, stellt aber schnell in den Trillertakten den Kontrast der Dynamik und der Tonfarbe her. Seine Triller sind richtig beißend, und seine Fortissimi sind machtvoll. Auch im Übergang zwischen Hauptsatz und Dolcethema bringt er scharfe sfp-Akkorde, pochende Unisono-Achtel in der Begleitung.
    Im Dolcethema sind die Bässe nicht mehr ganz so dunkel und verhangen, andererseits ist auch sein doppelter Forteakkord in Takt 42 nicht ganz so radikal wie der Wilhelm Kempffs. Da fällt mir doch gerade ein, dass beide die gleichen Initialen haben wie ich, was aber gar nichts mit dem Thema zu tun hat, aber so geht es manchmal.
    Der Takt 423 ist von Klien tieftraurig gespielt und die Triller und absteigenden Achtel sind ähnlich von Eis überzogen wie bei Kempff. Ganz frappierende ist gar die Wirkung des Taktes 50 in dem er die tiefen Bässe immer noch so dunkel spielt wie zu Beginn- ein Wahnsinnskontrast zu den Achteln vorher und den wiederum helleren Fortesechzehnteln des sehr beeindruckenden Schlusssatzes in der Folge. Auch der Übergang zur Durchführung ist sehr ausdrucksvoll.
    Der nächste unerwartete Kontrast geschieht am Beginn der Durchführung, in der er die Tiefbässe in Takt 65 noch sehr dunkel spielt und drei Takte später schon den hellgleißenden Triller spielt. überhaupt betont er alle Trillertakte vorbildlich.
    Auch der zweite Teil der Durchführung mit dem Seitenwechsel des Themas ist eng am Notentext ganz großartig gespielt, und die großartige Steigerung geht in einen berückend gespielten lyrischen Übergang zum dritten Durchführungsteil über, in dem das Dolce-Thema durchgeführt wird. Hier tritt besonders am Ende die Molleintrübung hervor.
    In diesem dritten Durchführungsteil entfaltet Walter Klien eine sehr intensive Steigerung, in der das Thema untergeht und spielt eine dramatisch verdichtete Sechzehntel-Phrase Takt 123 bis 129, wo wir in die düstere Überleitung eintauchen, die noch um so düsterer wirkt durch Kliens unnachahmlich gespielte düster-dumpfe achtfache Klopfsymbole - großartig!!
    Auch in der Reprise zieht Klien die dunkel pochenden Unisono-Achtel weiter durch- das habe ich so noch nicht gehört! Im Wiedereinsetzen des Forte und Fortissimo bricht das Chaos aus. Mein Gott, noch einer mit dieser ungeheuren Power. Die fünf Fortissimo-Takte mit den Trillerzwischentakten sind einfach grandios!!
    Im Übrigen spielt er die Reprise in gleich beeindruckender Weise wie die Exposition. Hinreißend besonders auch wieder die hohe Oktave mit dem Dolcethema, das gleich drauf im Taumel von Triolen und Arpeggien versinkt. Genial auch sein die Reprise abschließendes Ritartando-Diminuendo, das in eine dynamisch ohnehin schon mit der schärfsten Klinge ausgefochtenen und temporal beschleunigten Coda übergeht, die dazu noch mit den jetzt schon für Klien typischen dunkel dräuenden Bässen in ihrer Wirkung verstärkt wird, bevor sich alles in einem faszinierenden "Morendo" auflöst.


    Im Andante con moto überrascht uns Klien nun schon nicht mehr mit der Weiterführung seines dunklen Tiefbasses, den er offenbar durchgehend als Stilmittel einsetzt und damit ungeahnte Wirkungen hervorruft, die außerhalb dieser Dolce-Umgebung nicht nur positive Gefühle hervorrufen.
    Klien steigert im Thema noch moderat, vielleicht bis zum mezzopiano, aber in der ersten Variation hat er das mf/f doch schon wohl erreicht. Weiter geht es auch in der zweiten, übrigens berückend legato gespielten Variation nicht, was ja auch die Partitur nicht hergibt.
    Aber auch in der dritten Variation geht er eigentlich über das Forte nicht hinaus, was aber die Geschlossenheit seiner Interpretation unterstreicht. In dem zurückgekehrten Thema schließt er ein grandios gespieltes Andante ab.


    Das Finale beginnt er mit sehr schweren, massiven Fortissimo-Akkorden, die von vornherein anzeigen, wo die Richtung hingeht, nämlich geradewegs und gehörigen Tempos in den Untergang. Das wird noch mal besonders deutlich am Ende von "la prima parte" in den massiven Unisono-Akkorden in die Überleitung von "la seconda parte" hinein.
    In dessen ersten Teil, dem Durchführungsteil, nimmt Klien aus dem Pianissimo sogleich wieder den dynamischen Furor auf und steigert glutvoll in die vierfache Oktavverschiebung Takt 168 bis 176 hinein, bevor jeweils drei Takte mit aufsteigenden Sechzehnteln, jeweils getrennt durch eine Generalpause, , in die atemberaubend gespielte "Atempause" hineinführen, die mit dem Reprisenteil weitergeführt werden.
    Auch die Reprise spielt Walter Klien ganz großartig, wobei jederzeit offenbar wird, wie souverän er das musikalische Geschehen beherrscht und wie er ihm durch seine dunklen Bässe eine ganz spezielle Note verleiht und nebenbei ein ständiges äußerst kontrastvolles Spiel zwischen Diskant und Tiefbass abliefert. Auch Walter Klien wiederholt selbstverständlich "la seconda parte".
    Es sei an dieser Stelle auch gesagt, dass er im Durchführungsteil von la seconda parte den Wechsel von Nonlegato-Noten zu Staccato-Noten fließend vollzieht und damit einen kleinen Geschwindigkeitsschub erzielt, was ein zusätzliches Steigerungsmoment in diese Phrase bringt.
    Sein Presto ist, wie die ganze Sonate, äußerst kontrolliert, aber gleichzeitig dynamisch sehr mächtig, und er gehörte für mich zu den Pianisten, von denen wir gerne mehr Beethoven gehört hätten. ich habe seinen ganzen Mozart und seinen ganzen Schubert, aber da fehlt noch was.


    Walter Klien gehört sicherlich zu der Gruppe von Pianisten, von denen Joachim Kaiser sagt, dass sie als nicht typische Beethoven-Pianisten z. B. hier in der Appassionata zu ganz erstaunlichen Ergebnissen gekommen sind.


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

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  • ich weiß nicht, welche Kabel du testest, aber ich bin mit meinem alten Kimber Kable 8 PR (25 € /m) immer noch gut zufrieden.
    Ich stelle übrigens gleich einen neuen Hörbericht ein über jemanden, der die gleichen Initialen aht wie Wilhelm Kmepff und ich, und ich darf dier soviel verraten, das Ergebnis ist ganz hevorragend.


    Lieber Willi,


    Walter Klien kenne ich nur aus dem Radio von früher - habe ihn von daher aber in sehr guter Erinnerung. Das ist das Schöne an so einem Projekt, dass man auf solche Namen stößt, die man komischer Weise vernachlässigt hat.


    Ich brauche einfach ein neues Kabel, weil das alte zu kurz ist für den Umbau des Racks, um den Fernseher in die Anlage zu integrieren. So "billig" werde ich leider nicht wegkommen, wie es aussieht. (Dazu schreibe ich Dir per Mail, hier gibt es ja keine Hifi-Sparte mehr! ;) )


    Herzliche Grüße
    Holger


  • Beethoven, Sonate Nr. 23 f-moll op. 57 "Appassionata"
    Michael Korstick, Klavier
    AD: Juni 2008
    Spielzeiten: 8:40-6:31-7:18 -- 22:29 min.;


    Michael Korstick spielt den Kopfsatz gemäß der Satzanweisung ziemlich schnell, beginnt im tiefen Pianissimo und hebt sogleich auch die ersten Trillertakte mit der nötigen Schärfe und Dynamik hervor. Er entwickelt auch in den Fortissimo-Takten ordentlich Kraft, ebenso wie in den sfp-Akkorden Takt 26 und 30. In den Unisono-Achteln ab Takt 24 bringt er auch eine temporale Unerbittlichkeit zum Ausdruck.
    Im Rahmen dieses Tempos kommt auch im Dolce-Thema keinen Moment Entspannung auf, und die beiden Forteakkorde in Takt 42 und die anschließenden drei Trillertakte und der kalt glitzernde Achtelabstieg lassen keinen Zweifel über die musikalische Richtung aufkommen.
    Und der machtvolle Schlusssatz und der hochvirtuose Übergang zur Durchführung sind einfach herausragend gespielt.
    Den ersten, zögerlichen Teil der Durchführung spielt auch Korstick scharf gefärbt und dynamisch hochstehend in den zweiten Teil mit den Oktavwechseln des Themas und dem gehörigen drastischen Vorwärtsdrang, wobei die Sechzehntel sich in der Begleitung ab Takt 89 bedrohlich dunkel färben.
    Der lyrische Übergang ab Takt 93 ist natürlich in der schnellen Spielweise Korsticks mit den wiederum hackenden Achteln nicht wirklich lyrisch, sondern weiterhin mit dem latenten Konfliktpotential geladen.
    Und so lässt er denn das Dolcethema in seinem Durchführungsteil ebenso gnadenlos untergehen wie schon andere seiner Kollegen.
    Die düstere Überleitung ab Takt 130 ist bei Korstick noch zusätzlich besonders dynamisch, alles mit sich reißend, was noch zusätzlich durch die hämmernden durchlaufenden Achtel deutlich wird.
    Und in der Reprise, speziell in den unerbittlichen Achteln und den mächtigen Fortissimo-Takten nimmt das Drama weiterhin seinen Lauf.
    Nach dem neuerlich nurmehr lethargisch auftauchenden Dolcethema setzen die wieder machtvoll einsetzenden Sechzehntel diesen Verlauf weiter fort.
    Wunderbar spielt Korstick auch die folgende Passage, als das Dolcethema unter den in der oberen Oktave nunmehr perlenden Sechzehnteln wieder auftaucht und es sogar selbst bis in die hohe Oktave schafft, aber es nützt nichts, nur der zweite Teil des Themas begehrt noch dreimal auf, dann geht alles im Strudel der Triolen und Arpeggien unter. Und im Ritartando-Diminuendo spielt Korstick m. E. das fünfmalige Klopfmotiv besonders (höhnisch) fahl- großartig!!
    Die Coda mit ihrer temporale, dynamischen und rhythmischen Gestaltung hat schon absolut finale Dimensionen und ist einschließlich des "Morendo"-Schlusses grandios gespielt!!


    Michael Korstick gehört zu jenen Pianisten, bei denen ich mich schon vorher freue, wenn sie einen langsamen Satz spielen, weil ich weiß, dass ich dann nicht enttäuscht werde.
    Und gerade der langsame Satz der Appassionata, ist ja einer, bei dem es mit langsam spielen nicht getan ist. Er ist sowohl temporal wie auch dynamisch sehr bewegt. und das merkt man bei Korstick in dynamischer Hinsicht schon im Thema, wo er die dynamischen Anweisungen genau befolgt und temporal spätestens in der ersten Variation, die er im Vergleich zum Thema schon sehr schnell spielt und vor allem rhythmisch durch die exakte Einhaltung der Achtelpausen in der Melodie und den trocken eingeworfenen Synkopen in der Begleitung, und in der zweiten Hälfte setzt er selbstverständlich die dynamische Steigerung fort.
    Selbst die zweite Variation, "sempre ligato", versinkt nicht in purer Legato-Seligkeit, sondern da sticht schon das erste sfp in Takt 37 deutlich heraus und in den Takten 42 bis 46 steigert er auch deutlich, wo es erforderlich ist.
    In der dritten Variation steigert er weiter, temporal wie vor allem dynamisch und am Schluss auch bis zum Fortissimo. Das ist auch im plötzlich wieder einsetzenden Andante-Dolce temporal und dynamisch höchst kotrastreich und einfach grandios gespielt!!


    Das Finale spielt Korstick natürlich mit hohem Tempo, nicht ganz so schnell wie Richter, Berman Schnabel oder der 61er Gilels, aber etwa wie Gieseking, aber auch mit höchster dynamischer Bewegung und, wie immer, mit höchster Kontrolle.
    Vor allem die zahlreichen Sforzandi im durchführenden Teil von "la seconda parte" kommen wie Hammerschläge und die vierfach oktavierten Unisono-Oktaven ab Takt 168 bis 174 kommen sehr klar und genau. Auch der Übergang, das "Atemholen" ist brillant gespielt.
    Die Reprise ist wiederum dynamisch sehr hochstehend gespielt und endet in einer großartigen Steigerung. Korstick wiederholt selbstverständlich "la seconda parte".
    Die Coda ist sehr schnell und sehr dynamisch und vor allem in ihrem dennoch kontrollierten Ablauf grandios gespielt- wie die ganze Sonate!!


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup:

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  • Beethoven, Sonate Nr. 23 f-moll op. 57 "Appassionata"
    Stephen Kovacevich, Klavier
    AD: Februar 1999
    Spielzeiten: 10:07-5:56-7:59 -- 24:02 min.;


    Stephen Kovacevich spielt den Kopfsatz in moderatem Tempo, etwa eine Minute schneller als der späte Gilels, aber fast eineinhalb Minuten schneller als beispielsweise Gieseking. Er steigert im ersten Teil des Hauptsatzes bis zum poco ritartando nur sehr moderat, dann ab dem ersten Forte in Takt 13 nutzt er die dynamische Spannweite voll aus, vielleicht, um die Hauptbetonung stärker auf diesen Akkord zu legen.
    Auch die Subito Fortepiani in Takt 26 und 30 kommen heftig, und im Diminuendo geht er fein zurück.
    Das Dolce spielt er ebenfalls bedächtig, aber in den tiefen Bässen herrscht doch gehörige Unruhe und in Takt 42 wird die positive Stimmung auch schon wieder beendet, ein trauriger Takt 43 und eisige Trillertakte und ebensolcher Achtelabstieg folgend.
    Kraftvoll setzt er dann den Schlusssatz ein, durchaus in den Takten 53 und 55 ein Fortissimo erreichend und im Übergang zur Durchführung berückend diminuierend.
    Im ersten Teil der Durchführung klingen die ersten beiden Takte 65 und 66 richtig kraftlos und ratlos, und auch die Trillertakte sind, obzwar betont, doch sehr zögerlich.
    Den dritten Teil spielt er dynamisch sehr hochstehend mit klangvollen Sechzehnteln in der Begleitung.
    Das lyrische Zwischenspiel ab Takt 93 wirkt in diesem moderaten Tempo richtig zu Herzen und musikalisch tief gehend - wunderbar! Aber das Dolce-Thema geht trotz des anfänglich schönen kurzen Gesanges in der Steigerung ab Takt 116 unter und Kovacevic lässt in der düsteren Überleitung ein wirklich dunkel dräuendes Bassgewitter folgen.
    Auch die Reprise gestaltet er von Anfang an durch di fahl pochenden Bassachtel als zwar sich langsam entwickelnde aber ausweglos drohende musikalische Gebilde, die dann auch durch die Stringenz der sich auftürmenden fünf ff-Takte bestätigt werden.
    Auch das neuerliche Dolcethema und seine desillusionierende Beendigung durch die Trillertakte und den Achtelabstieg spielt Kovacevic auch in diesem Tempo sehr überzeugend. Hier in diesem moderaten Tempo wirkt diese Passage etwas abgedunkelter drohend.
    Im neuerlichen Forte rauschen die Sechzehntel nicht behände, sondern sie wälzen sich machtvoll und unaufhaltsam. Die Fahrt der Sechzehntel ab dem Diminuendo in Takt 203 mit dem nachfolgenden Dolcethema in der hohen Oktave spielt Kovacevic grandios. Gerade auch im Dolcethema wird in dieser klanglich hervorragenden Aufnahme die strukturelle Änderung der Bassakkorde hervorragend hörbar. Auch die Triolen und Arpeggien spielt Kovacevic einfach großartig, gefolgt von einem wunderbar abgestuften Ritartando-diminuendo.
    Auch die Coda spielt Kovacevic nicht nur schneller, sondern auch als krönenden Abschluss dieses sehr ausdrucksvoll gehaltenen Kopfsatzes mit einem grandiosen "Morendo"-Schluss.


    Ich finde auch Kovacevics Lesart des Andante grandios, und zwar auch, weil sie etwas anders angelegt ist als die dynamisch eher an die Ecksätze angepassten Lesarten anderer Pianisten. Auch er strukturiert diesen Satz dynamisch, aber nicht so heftig wie andere.
    Er sieht m. E. dieses Andante nicht wie eine kleinere Insel zwischen zwei größeren, auf denen ein raues Klima herrscht und auf dieser kleineren Insel das Klima nur durch die Landabdeckung der beiden größeren Inseln etwas weniger rau ist, sondern wie eine kleinere Insel zwischen zwei großen Inseln, wo in der Tat ein etwas milderes Klima herrscht, obwohl die Wetterentladungen auf den größeren Inseln sehr wohl zu sehen sind.


    Das Finale spielt Kovacevic auch "ma non troppo" und dynamisch sehr bewegt, auch den vielfältigen Hebungen und Senkungen aufmerksam nachspürend.
    Auch in "la seconda parte" fällt auf, wie sorgsam er die sfp-Akkorde und Sforzandi beachtet. Auch die vierfachen Oktavverschiebungen von Takt 168 bis 176 sind großartig, desgleichen der Übergang zum Reprisenteil.
    Auch seine Darstellung der Reprise gipfelt in dem großartigen Spiel in der hohen Oktave ab Takt 260 und der großen Steigerung in den Oktav-Akkorden ab Takt 291.
    Nach der Wiederholung von "la seconda parte" spielt auch Stephen Kovacevich eine mitreißende Coda, wie die ganze Sonate, unter voller Kontrolle.


    Eine großartige Leistung!!


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup:

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  • Beethoven, Sonate Nr. 23 f-moll op. 57 "Appassionata"
    John Lill, Klavier
    AD: ?
    Spielzeiten: 10:39-6:40-7:51 -- 25:10 min.;


    John Lill nähert sich er Appassionata, auf dem, wie Joachim Kaiser ihn nennt, dem sogenannten "Zweiten Weg, der geballten Gelassenheit. Er ist nur wenigen Sekunden schneller als Emil Gilels ins einer Studioaufnahme von 1973, und er lässt auch trotz des moderaten Tempos jederzeit die geballte Kraft der verheerenden Ausbrüche aufblitzen, sei es andeutungsweise in den Trillertakten oder in den Subito Fortepiani, vor allem aber in den machtvollen Fortissimotakten 17, 20 und 22. Auch seine Lesart des Dolcethemas ist trügerisch und wird in Takt 42 sogleich abgestraft.
    nach dem von Lill dunkel trostlos dargestellten Übergang zum Schlusssatz Takt 51 setzt dieser machtvoll ein und Lill schwingt ihn zu satten Fortissimo-Höhen empor, und im Übergang in den hohen Sechzehntel überzieht eine dicke Eisschicht die hohe Oktave, das klingt ganz krass und zeigt, dass die Wirkung dieser Stelle, das Empfinden ihrer Aussage, vollkommen unabhängig vom Tempo ist, dass man sich vielleicht mit gemäßigterem Tempo noch tiefer in die musikalische Aussage wühlen kann.
    Auch bei John Lill beginnt die Durchführung ähnlich schwer und desillusioniert wie bei Stephen Kovacevic. Auch die Trillertakte sind wenig ermutigend. So geht es im zweiten Teil weiter, als das Thema unerbittlich von der tiefen in die hohe Oktave gejagt wird und umgekehrt. John Lill spielt das großartig, unerbittlich die Sechzehntel nach vorne spielend, wobei ihm die lyrische Überleitung zum dritten Durchführungsteil in besonderer Weise gelingt, indem er bis zum Diminuendo, als die Stimmung kippt, noch ein positives Gefühl verbreitet hat.
    Schließlich geht auch hier im dritten Teil der Durchführung das Dolce-Thema im strikten Anstieg unter, und auch bei ihm geraten die achtfachen Klopfer düster und massiv.
    Lill spielt die Reprise so dynamisch wie schon die Exposition und steigert energisch in den fünf Fortissimo-Takten. Nach den neuerlichen Trillern und dem Achtel-Abstieg tritt auch Lill ein unerbittliches Sechzehntel-Gewitter los und führt uns an deren Ende kurz in eine betörende hohe Oktave mit dem Dolcethema, das aber gleich darauf wieder im Sforzandosturm und den anschließenden Triolen und Arpeggien versinkt. Sein Ritartando-diminuendo ist wegen seiner geringeren Grundgeschwindigkeit besonders eindrucksvoll, weil auch der Kontrast zur nachfolgenden Coda besonders frappierend ist.
    Diese ist grandios in ihrer Eindringlichkeit und dynamischen Stärke und mit dem wunderbar kontrastierenden "Morendo"-Schluss.


    Auch John Lill spielt ein grandioses Andante, wobei er m. E. ein ähnliches Konzept verfolgt wie Stephen Kovacevich. Auch er dosiert die dynamischen Steigerungen in der zweiten Hälfte des Themas sowie in der zweiten Hälfte der ersten und zweiten Variation etwas vorsichtiger als andere.
    In der dritten Variation steigert er stärker, aber ganz organisch bis zum fortissimo und endet in einem wiederum sehr anrührenden Thema.


    Im Finale zieht Lill das Tempo an und entfaltet ein Höchstmaß an dynamischem Impetus. Das hat dramatische Wucht der besonderen Art.
    Auch bei ihm kommen im durchführenden Teil von "la seconda parte" die Sforzandi wie Peitschenhiebe. Auch die vierfachen Oktavverschiebungen kommen mit massiver Gewalt. Sehr kontrastreich ist seine "Atempause".
    Sehr beeindruckend auch seine hohen Oktaven ab Takt 260 und seine massiven Unisono-Takte am Ende von la seconda parte. Auch er wiederholt natürlich la seconda parte.
    Die Coda ist nochmals aus besonderem Holz geschnitzt. Dynamisch höchststehend überdreht er hier nicht, sondern steigert im Rahmen seines temporalen Gesamtkonzepts zu einer ganz hinreißenden Steigerung!!


    Ebenfalls eine großartige Aufnahme!!


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

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