Der Musiker Ehrenplätze



  • Der Bariton Johann Ludwig Leichner wird wohl nur wenigen Musikfreunden noch ein Begriff sein; er wurde 1836 in Mainz geboren und hatte keine Chance, dass seine Stimme der Nachwelt erhalten blieb. Aber er hat sich ein Denkmal gesetzt, indem er im Großen Tiergarten in Berlin ein Wagner-Denkmal finanzierte.


    Ludwig Leichner hatte zunächst ein Chemiestudium begonnen, das er wegen dem frühzeitigen Tod seiner Eltern aufgeben musste. Seine stimmliche Begabung wurde entdeckt und die Stimme in Wien 1859-63 ausgebildet.
    Seine Bühnenkarriere begann er unter dem Pseudonym Carlo Rafael 1863 am Stadttheater von Bamberg. Den Beruf des Opernsängers übte er 13 Jahre lang an verschieden Bühnen aus.
    Er war begeisterter Wagnerianer und reiste sogar zum großen Meister nach Luzern. Die Sammlung im Wagner-Museum in Eisenach sponserte er mit einem Betrag, der heute etwa 320.000 Euro entspricht.


    Woher kam das viele Geld?
    1876 beendete Leichner seine erfolgreiche Sängerkarriere und studierte nochmals Chemie an den Universitäten von Wien und Würzburg und schließlich an der Berliner Universität. Danach gründete er eine Puder- und Schminkenfabrik in Berlin, die Weltruf erlangte. Es gelang ihm die für den Theaterbetrieb wichtige Herstellung einer brauchbaren fleischfarbigen Schminke ohne Zusatz von schädlichen Bleibeimengungen. Mit dieser Neuerung erschien er bei der Berliner Gewerbeausstellung von 1879 und hatte durchschlagenden Erfolg.

    Das Richard-Wagner-Denkmal im Berliner Tiergarten - direkt an der Tiergartenstraße - ist das letzte Monument das der Bildhauer Gustav Eberlein in Deutschland geschaffen hat; ein typisches Beispiel Wilhelminischer Staatskunst, das am 1. September 1903 (manche Quellen nennen den 1. Oktober 1903) mit fast unvorstellbarem Pomp eingeweiht wurde, sogar der Maler Adolph von Menzel hielt eine der Festreden.
    Einen Eindruck von den Einweihungsfeierlichkeiten vermittelt ein vom Hofmaler Anton von Werner fünf Jahre später angefertigtes Gemälde. Zu diesem Zeitpunkt stand Eberlein, der Bildhauer, Zeichner und Maler war, auf der Höhe seines Schaffens, seine Werke waren in ganz Deutschland zu sehen, aber auch in Rom oder Buenos Aires. Man mag zu dieser Art Kunst stehen wie man will, wie letztendlich mit seinem künstlerischen Nachlass umgegangen wurde ist ein Skandal.


    Aber dieses Wagner-Denkmal steht nun immer noch da und wurde 1987 sogar mit einer Plexiglas-Konstruktion schützend überdacht. So ist die 2,70 (der Meister war nur 1,66 groß) Meter hohe Marmorfigur Richard Wagners vor Witterungseinflüssen einigermaßen geschützt. Der Komponist thront auf einem Sessel. Ein Bündel Notenblätter ist zu sehen und diverse Gestalten aus seinen Werken umgeben den Sockel. Man sieht unter anderem Wolfram von Eschenbach mit der Lyra; auch Lorbeerkranz und Eichenzweig dürfen bei einem Denkmal dieser Epoche nicht fehlen.


    Wer sich für Details dieses Denkmals und das Gemälde von der Einweihungsfeier interessiert, findet im Internet eine Fülle sehr guter Beispiele.


  • Georg Friedrich Händel wurde am 5. März 1685 in Halle an der Saale geboren und starb am 14. April 1759 in London, wo er, wie von ihm gewünscht, in der Westminster Abbey beigesetzt wurde.
    Mitunter wird Händel als der erste Europäer bezeichnet und da ist gewiss etwas dran, denn der Sachse, wie er oft bezeichnet wurde, übte seinen Beruf in verschiedenen Ländern aus und änderte anpassungswillig seinen Familiennamen in Italien zu »Hendel«, wurde verschiedentlich auch als »Haendel«, »Händeler«, »Hendler« oder »Handell« erwähnt und blieb schließlich bei dem Namen »George Frederic Handel« in England hängen.


    Die Person und Position von Händel wird besonders deutlich, wenn man Johann Sebastian Bach als Kontrast daneben stellt; die beiden sind im gleichen Jahr, etwa 200 km voneinander entfernt, geboren und hatten sich nie getroffen. Anders als der nur einen Monat jüngere Johann Sebastian Bach, war Händel durchaus nicht zum Musiker bestimmt gewesen, obwohl er bereits im Kindesalter bei Hofgesellschaften durch seine Musikalität aufgefallen war; für ihn war eine Juristenlaufbahn angedacht. Doch mit der Berufung als 17-Jähriger an die Hallenser Domkirche beginnt seine Musiker-Karriere. 1703 erweitert er seine Kenntnisse in Hamburg, spielt dort im Orchester des ersten deutschen Opernhauses, trifft bedeutende Musiker und komponiert einige Opern.
    1706 reist Händel auf eigene Kosten zu Studienzwecken nach Italien, wo er sich vier Jahre aufhält; in Hamburg sollen Kisten mit Kompositionen zurückgeblieben sein, die man bis heute nicht gefunden hat.
    Nach diesem Italienaufenthalt sieht man Händel kurz am Hof in Hannover, dann geht es 1710 zur ersten Reise nach England. Händel kehrt zwar im Sommer des folgenden Jahres noch einmal an den Hannoverschen Hof zurück, aber sein Entschluss künftig in England zu leben, ist längst gefallen. Im Oktober 1712 begibt er sich wieder nach London, wo er - von Reisen abgesehen - den Rest seines Lebens verbringt.


    Er war mit Abstand der erfolgreichste Komponist seiner Zeit. Er behauptete sich gut in dieser schillernden Welt der in der Blüte stehenden Oper und verfügte über ausreichendes kaufmännisches und diplomatisches Geschick, um seine Musik und sich selbst in Szene zu setzen. Seine Kontakte sind vielfältig und er schöpft aus einem Reservoir von Versatzstücken, die er geschickt in neue Werke einzufügen versteht. Händel, stets darauf bedacht, dass seinen Werken auch wirtschaftlicher Erfolg beschieden ist war flexibel. Als es in Sachen Oper nicht mehr so gut lief, wandte sich Händel dem Oratorium zu. Es gab dann gewöhnlich pro Saison zwei neue Oratorien, die meist Themen aus dem Alten Testament zum Inhalt hatten. Zumindest »Messiah« muss man hier erwähnen, wollte man alle bekannte Händel-Stücke nennen, würde das diesen Rahmen sprengen.
    Wer vor so einem Denkmal steht, sollte als Beschauer zumindest einen groben Einblick in das Leben dessen haben, der da oben steht. Das erste Händel-Denkmal wurde bereits 1738 errichtet und in Vauxhall Gardens zu London aufgestellt; diesen Vergnügungspark gibt es nicht mehr, die Statue steht heute original erhalten im Victoria and Albert Museum.
    Die Stadt Halle hat ihrem großen Sohn erst 121 Jahre später ein Standbild errichtet, das am 1. Juli 1859 enthüllt wurde. Wer sich über das Datum wundert - vorgesehen war die Einweihung für den 14. April 1859, dem 100. Todestag des Komponisten, aber der Bildhauer - Hermann Rudolf Heidel, ein Schwanthaler-Schüler - war längere Zeit erkrankt.


    Die bronzene Hände-Statuel steht auf dem Marktplatz, gegenüber seiner Taufkirche. Heute ist da direkt eine Straßenbahnhaltestelle. Von diesem Standort aus blickt der Meister nach London, seiner Hauptwirkungsstätte und Wahlheimat.
    Über drei Granitstufen erhebt sich das 19 Tonnen schweren Marmor-Postament. Die Bronzestatue hat eine Höhe von 3,20 Meter und wiegt 1500 Kilogramm.
    Ganz im Gegensatz zu der Statue von 1738 in London, die Händel ganz leger in bequemer Haltung sitzend in Hauskleidung mit Mütze und Hausschuhen, und vor allem ohne Perücke zeigt, ist in Halle ein reifer, korpulenten Händel in der Tracht seiner Zeit zu sehen, also Leibrock, Kniehosen, Schuhe und Strümpfe, den Galanteriedegen an der Seite und gewaltiger Lockenperücke auf dem Haupt. Imposant lehnt er sich an das rechts neben ihm stehende Notenpult im Rokokostil, auf dem die Partitur des Messiah liegt. Von den drei Seiten des Pultfußes trägt eine die Jahreszahl 1741, die an das Jahr erinnert, in dem Händel sein größtes Werk, den Messias, komponiert hat. Auf der Rückseite ist eine Darstellung der Orgel spielenden Cäcilia von Rom zu sehen. Rechts und links sind als Vertreter der geistlichen und weltlichen Musik der große Sänger David bzw. der Repräsentant der Gesangskunst und des Saitenspiels der griechischen Götterwelt Orpheus eingearbeitet. Vorn trägt das Denkmal die einfache Inschrift: HAENDEL auf der Rückseite die Widmung: »Errichtet von seinen Verehrern in Deutschland und England«. Früher war das Denkmal von einem verzierten Schmuckgitter aus Eisen umgeben, Bilder von dieser Situation findet man im Internet.
    Dass dieses Denkmal mit Zustimmung des preußischen Königs errichtet wurde ist schon erwähnenswert, denn vordem war das Privileg einen Denkmalsockel zu besteigen eher gekrönten Häuptern und Feldherren vorbehalten.
    Zum Zwecke der Finanzierung wurde am 1. Mai 1856 ein Händel-Comité ins Leben gerufen, das einen Spendenaufruf an Musikfreunde in ganz Deutschland und Europa startete. Und dieser Ruf wurde erhört. Das Britische Königshaus spendete im Namen Englands nahezu ein Drittel der Gesamtkosten (2.492 Reichsthaler) und leistete neben den Hallensern den größten Beitrag zur Errichtung dieses Denkmals. Daneben gab es in vielen Städten eine Menge von Konzertaktivitäten, deren Erlös in die Spendenkasse floss; dazu kamen dann noch Privatspenden. Die Annalen weisen aus, dass insgesamt 7.966 Reichstaler, 26 Silbergroschen und 1 Pfennig zusammen kamen.


  • Diese Tafel ist nicht etwa an der Außenfassade angebracht, sondern im Innenbereich


    Es sind vielleicht fünf Gehminuten vom Händel-Denkmal auf dem Marktplatz bis zu Händels Geburtshaus in der Große Nikolaistraße 5, das heute ein umfangreiches Museum beherbergt. Als ständige Dauerausstellung findet man »Händel - der Europäer« und »Historische Musikinstrumente«
    Dieses Geburtshaus ist das genaue Gegenteil von Franz Lachners Geburtshaus in Rain (siehe Beitrag Nr. 27), nämlich ein Anwesen von beträchtlicher Größe, das bereits im Jahre 1558 in den Akten erwähnt wird. 1666 erwirbt Georg Händel, der Vater des Komponisten, seines Zeichens herzoglicher Kammerdiener und Leibchirurg, dieses Eckhaus.
    Dort wird am 23. Februar1685 sein Sohn Georg Friedrich Händel geboren und wohnt da bis zu seiner Abreise nach Hamburg im Jahre 1703.


    1697 stirbt der Vater des Komponisten. Das Haus bleibt noch einige Jahre im Besitz der Familie Händel; es wird, je nach den familiären Bedürfnissen, angebaut und umgebaut. Ratsmeister Friedrich August Reichhelm lässt das renovierungsbedürftige Haus wieder aufbauen, wollte das Haus als Denkmal erhalten, starb aber plötzlich. So wurde das Anwesen 1783 versteigert. Ab dem Jahr 1784 wechselte dieses Haus dann mehrfach den Besitzer und diente unterschiedlichen Zwecken. Als Kolonial-und Materialwarenhandel, zeitweise wird eine Destillation betrieben, eine Tabakfabrik war auch einmal untergebracht, und es wurde mit Lackfabrikaten und Möbeln gehandelt.
    Als ein gewisser Rüprecht das Haus 1827 erwirbt, kauft er auch gleich das Nachbargrundstück dazu, was später zu Irritationen und Streitigkeiten darüber führt, was denn nun das »richtige« Händel-Haus sei.
    1937 kauft die Stadt Halle das Haus und baut es kontinuierlich als Musikmuseum aus.
    1985 - Zum 300. Geburtstag Georg Friedrich Händels - wird die Erweiterung des Museums vorgenommen, indem historische Nachbargebäude einbezogen werden.


    Der hallesche Stadtrat beschließt im Jahre 2007 die Umwandlung des Händel-Hauses in eine Stiftung.


    2009 zum 250. Todesjahr Händels, wird das Haus umfassend saniert und die neue Händel-Dauerausstellung »Händel – der Europäer« eröffnet.
    Es ist in diesem Rahmen ja nicht möglich eine ganze Fotostrecke hier einzustellen, aber diese Bilder können immerhin einen kleinen Einblick vermitteln, wie es drinnen aussieht.

  • Lieber hart, ich danke Dir für die Händel-Informationen mit Fotos aus Halle. Das habe ich, wie auch Deine übrigen Postings, mit großem Interesse gelesen.


    :hello:

    .


    MUSIKWANDERER



  • In Löbejün kommt man nicht mal eben zufällig vorbei, man muss es schon explizit ansteuern; in Verbindung mit einem Besuch bei Georg Friedrich Händel bietet es sich geradezu an. Von Halle aus liegt Löbejün nördlich und die Entfernung beträgt gerade mal um die 30 Straßenkilometer.
    Löbejün ist heute ein Ortsteil der Stadt Wettin-Löbejün in Sachsen-Anhalt.


    Als ich an einem sonnigen Spätnachmittag dort eintraf war der Ort praktisch menschenleer, wirkte irgendwie verwunschen. Der Platz, auf dem der große Sohn der Stadt in Stein gemeißelt steht, ist gepflegt und blitzsauber.
    Die Chronik sagt, dass die Löbejüner das Denkmal anlässlich des 100-jährigen Geburtstags des Komponisten gestiftet und vor dem Geburtshaus des Komponisten aufgestellt hätten. Es sei eine von dem Berliner Bildhauer Friedrich Schaper geschaffene Bronzebüste gewesen, die 1942 im Zuge der Buntmetallerfassung eingeschmolzen wurde. Der Löbejüner Steinmetzmeister Priebs fertigte jedoch einen Gipsabdruck an, der dann später wiederum dem Steinmetzmeister Riedel als Vorlage diente.
    Die neue Büste aus Porphyr steht seit 1947 auf dem alten Marktplatz. Im Jahre 2006 wurde die Büste restauriert und mit einem neuen Sockel versehen.
    Steht man vor dem Denkmal - gegenüber dem Rathaus - blickt man in Richtung St. Petri Kirche, die man etwa nach 150 Metern erreicht. Diese Information ist insoweit wichtig, weil sich direkt neben der Kirche das Geburtshaus des Komponisten Carl Loewe befindet.

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  • Das 1530 als Schulhaus errichtete Geburtshaus von Carl Loewe wurde 1886 wegen Baufälligkeit abgerissen. An gleicher Stelle entstand 1886/87 auf den Grundmauern des Geburtshauses ein neues Schulgebäude – das heutige Carl-Loewe-Haus.
    Heute werden Leben und Werk von Carl Loewe auf etwa 400 Quadratmetern zeitgemäß in modernem Rahmen präsentiert. Es rentiert sich für Loewe-Interessenten nach Löbejün zu fahren, denn man findet weltweit nichts Vergleichbares.


    Carl Loewe wurde am 30. November 1796 als zwölftes Kind des Kantors und Organisten Andreas Loewe und dessen Frau Marie in Löbejün geboren. Von seinen Eltern erhielt er eine kunstsinnige Erziehung - so steht es im Lexikon. Das war schon ein guter Einstieg für einen werdenden Komponisten. Während seiner ersten Schuljahre sang der junge Loewe im Köthener Knabenchor. Wesentliche musikalische Weiterbildung erfuhr Loewe durch Daniel Gottlob Türk, für den er in Halle im Stadtsingchor als Sopransänger sang, aber mitunter auch schon als Solist hervortrat. Auch Johann Friedrich Reichardt, der in Giebichenstein bei Halle lebte, war an der musikalischen Weiterentwicklung Loewes beteiligt.
    1817 begann er in Halle sein Theologie- und Philosophiestudium. Aus diesem Wissenshintergrund erklärt sich wohl auch seine musikalische Behandlung vieler Texte. Da er während seiner Studienzeit regelmäßig im Hause des Staatsrates von Jacob verkehrte ( mit dessen Tochter er sich 1820 vermählte), wo Unterhaltungen über Kunst und Literatur gepflegt wurden, profitierte er noch zusätzlich im Umgang mit der hochgebildeten Schicht. Im Jahre seiner Vermählung traf Carl Loewe auch mit Goethe zusammen und hätte diesem gerne seinen »Erlkönig« vorgesungen, was jedoch mangels eines Klaviers nicht realisiert werden konnte.


    1920 wurde er als Kantor an der St. Jacobikirche und als Lehrer an das Marienstiftsgymnasium nach Stettin berufen. Die Stettiner Behörden verlangten jedoch vorher eine Prüfung durch Zelter, die Loewe natürlich mit Bravour bestand.


    Carl Loewe beschäftigte sich in erster Linie mit Vokalmusik, eigentlich kein Wunder, da er über eine außerordentlich gut ausgebildete Tenorstimme verfügt haben soll. Zu seiner Studienzeit, als er noch über keinen eigenen Fundus verfügte, trug er an der Universität oft Zumsteegs Balladen vor, mit denen er sich ausführlich beschäftigte und würdigte Zumsteeg so:


    »Tief ergriff mich die Musik dieses alten, mit Unrecht zurückgestellten Meisters. Ihre Motive sind charakteristisch und geistreich, sie folgen dem Gedicht mit vollkommener Treu. Freilich waren sie meist sehr aphoristischer Natur. Ich dachte mir, die Musik müsste dramatischer sein und unter ausgearbeiteten Motiven gestaltet werden, etwa so, wie ich meine Balladen zu setzen versucht habe.«


    In der Tat erkennt man den Unterschied schon in Loewes erster Ballade »Erlkönig«, wo Sohn, Vater und Erlkönig eine eigene Struktur erhalten. Diese Ballade hat wohl auch neben der berühmten Schubert-Vertonung Bestand.
    Loewe unternahm auch ausgedehnte Konzertreisen in Deutschland und ins benachbarte Ausland, wohl auch in der Absicht seine Kompositionen populär zu machen; wie berichtet wird, soll er auch das Wiener Publikum mit seinem hinreißenden Vortrag begeistert haben.


    Mitunter wird bei Loewe bemängelt, dass in seinem Kompositionsstil keine Entwicklung stattgefunden habe, die vielleicht auch deshalb erwartet wird, weil er - fast gleichaltrig mit Schubert - eine weitaus größere Lebensspanne zur Verfügung hatte.
    Von Schubert weiß man, dass manche Lieder in unterschiedlichen Fassungen vorliegen, das war Loewes Sache nicht. Zu diesem Punkt schreibt er in seiner Selbstbiografie:
    »ich habe nie das Ändern an meinen Arbeiten geliebt. Manches blieb ihnen zu wünschen übrig, doch wie einmal das Manuscript lautete, so muß es bleiben, ich war nie im Stande auch nur eine Note zu ändern.«


    Die 1992 gegründete Internationale Carl-Loewe-Gesellschaft hat sich der Pflege und Erforschung des Werks des Komponisten verschrieben.

  • Lieber hart, verbindlichsten Dank, dass Du den Weg nach Löbejün gefunden hast. Die Stadt steht auch auf meinem Musikreiseplan. Nur ist es schwierig, ohne Auto hinzukommen von Berlin aus. Ich möchte auch am gleichen Tag wieder zurück sein. Die Loewe-Gesellschaft soll ja inzwischen eine Menge Material zusammengetragen haben, in das ich gern Einblick nehmen möchte. Ein englischer Sammler vermachte ihr die Tonträger sämtliche Lieder, die je - oder zumindest bis zu einem bestimmten Zeitpunkt - aufgenommen wurden. Loewe wurde seit der Erfindung der Schallplatte sehr oft eingespielt. Die Sammlung soll in ihrem Umfang enorm sein. Es ist geplant, sie zu digitalisieren und damit der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Dazu gebricht es aber auch an Geld. Gut, dass nach außen hin sichtbar wird, was für einen bedeutenden Sohn die Stadt hervorgebracht hat.


    Eine der schönsten historischen Editionen ist diese:



    Sie enthält 36 Titel. Die älteste Aufnahme darauf ist "Heinrich der Vogeler" von 1902 mit Karl Scheidemantel, der ein bedeutender Wagner-Sänger im Baritonfach gewesen ist. Einer meiner Favoriten ist Alexander Heinemann.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Ein englischer Sammler vermachte ihr die Tonträger sämtliche Lieder


    Lieber Rheingold,
    wenn Du schon die Tonträgersammlung in Löbejün ansprichst, dann sollte man an dieser Stelle auch des schottischen Historikers und Sammlers Ian Robertson Lilburn dankbar gedenken, der im September letzten Jahres, 86-jährig in London verstarb.
    Das war ein bemerkenswerter Mann. Man sagt, dass er die Balladen Loewes auswendig kannte. In den1960er Jahren begann er Loewe-Aufnahmen auf allen möglichen Tonträgern zu sammeln, wobei 2000 Schellackplatten den Schwerpunkt der Sammlung bilden. Diese Sammlung war ein außerordentlicher Glücksfall für das Museum in Löbejün.
    In dieser Sammlung werden vermutlich nur die drei von Gottlob Frick gesungenen Loeweballaden: Die Uhr, Erlkönig und Odins Meeresritt fehlen, die erst kürzlich als Rarität aufgetaucht sind.

    Einer meiner Favoriten ist Alexander Heinemann.


    Den in Deinem Beitrag angesprochenen Alexander Heinemann stelle ich dann auch noch vor - betrachten wir diese Abschweifungen als Eindrücke eines Museumsbesuchs...
    Heinemann, Alexander, Bariton, * 26.5.1873 Berlin, † 16.10.1919 Berlin; er begann eine Ausbildung als Instrumentalmusiker, studierte vor allem Klavier- und Violinspiel, wandte sich aber in den Jahren um die Jahrhundertwende dem Gesang zu. Er war für kurze Zeit Schüler des Berliner Pädagogen Adolf Schulze, bildete sich jedoch weitgehend autodidaktisch zum Sänger aus. Er widmete sich ausschließlich dem Konzertgesang und galt bald als einer der bedeutendsten Lied-Interpreten seiner Generation. Seine Liederabende brachten ihm zunächst seit 1895 in Berlin wie in den übrigen deutschen Musikzentren, dann in ganz Europa, große Erfolge ein. 1906-10 hörte man ihn alljährlich in Wien; er trat als Liedersänger in Holland (u.a. 1905 in Scheveningen) wie in den skandinavischen Ländern auf. Er unternahm 1911-13 mehrere Nordamerika-Tourneen, bei denen er sein Lied-Repertoire zum Vortrag brachte. Seine Interpretation der Balladen von Karl Loewe galt als klassisch, wobei er auch diese Balladen »dramatisch« (also in darstellerischer Form) zu gestalten versuchte. Im übrigen enthielten seine Programme das deutsche Kunstlied aus allen Epochen der Musikgeschichte (Er gab auch »historisch aufgebaute« Liederabende). Er war gleichzeitig als angesehener Gesangpädagoge tätig und leitete während mehrerer Jahre eine Vokalklasse am Stern'schen Konservatorium in Berlin. Einer seiner Schüler war der berühmte Bariton Joseph Schwarz, ein weiterer Max Begemann.
    Die Stimme des großen Liedersängers ist durch eine Anzahl schöner Schallplattenaufnahmen überliefert; die ältesten kamen auf G & T und HMV heraus, dann folgten amerikanische Columbia-Platten und Edison Amberola-Zylinder. Auch auf den Marken Odeon, Pathé und Anker vertreten.


    [Nachtrag] Heinemann, Alexander; während seinen USA-Tourneen trat er in zwei Sunday Night-Konzerten an der Metropolitan Oper New York auf. Er war auch ein hoch geschätzter Oratoriensolist (u.a. in »Samson« und »Israel in Ägypten« von Händel, »Schöpfung« von J. Haydn).
    [Lexikon: Heinemann, Alexander. Kutsch/Riemens: Sängerlexikon, S. 10496 (vgl. Sängerlex. Bd. 2, S. 1544; Sängerlex. Bd. 6, S. 367) (c) Verlag K.G. Saur]

  • Lieber Rheingold,
    wenn Du schon die Tonträgersammlung in Löbejün ansprichst, dann sollte man an dieser Stelle auch des schottischen Historikers und Sammlers Ian Robertson Lilburn dankbar gedenken, der im September letzten Jahres, 86-jährig in London verstarb.
    Das war ein bemerkenswerter Mann. Man sagt, dass er die Balladen Loewes auswendig kannte. In den1960er Jahren begann er Loewe-Aufnahmen auf allen möglichen Tonträgern zu sammeln, wobei 2000 Schellackplatten den Schwerpunkt der Sammlung bilden. Diese Sammlung war ein außerordentlicher Glücksfall für das Museum in Löbejün.


    Lieber hart, das ist eine sehr notwendige Ergänzung. Ich blieb so allgemein, weil mir im Moment des Schreibens sein Name nicht einfiel. :( Noch eine Bemerkung zu Alexander Heinemann, die an Dich gerichtet, sicher überflüssig ist: Sein Grab hat sich auf dem großen Jüdischen Friedhof im Berliner Ortsteil Weißensee erhalten.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent



  • Das ist ein Denkmal oder eine Gedächtnisstätte der besonderen Art, ein vergleichbares Ehrenmal war bisher in diesem Thread noch nicht Gegenstand von Betrachtungen; es befindet sich in der Brahms-Promenade der Gemeinde Tutzing, nur wenige Schritte vom Ufer des Starnberger Sees entfernt.
    Elly Ney hatte sich vor allem um die »Tutzinger Musiktage« verdient gemacht, die sie 1958 ins Leben rief und die 30 Jahre Bestand hatten. Sie wurde für ihr künstlerisches Lebenswerk mehrfach geehrt: Durch die Büste im Park, einer nach ihr benannten Straße und einem Gemälde, das im Tutzinger Rathaus aufgehängt wurde.
    Noch vor wenigen Jahren sahen die Touristenfotos von dieser Büste anders aus als heute; da war auf den Aufnahmen noch unterhalb der Büste zu lesen:
    ELLY NEY
    1882-1968
    PIANISTIN
    TUTZINGER
    EHRENBÜRGERIN

    Nach 62 Jahren verlor eine bis dahin dominierende Partei die Kommunalwahl im Ort und ein parteiloser Bürgermeister, ein Jurist, zog ins Rathaus ein.
    Er ließ die Porträts der bekannten Pianistin Elly Ney und des Cellisten Ludwig Hoelscher aus dem Veranstaltungssaal des Rathauses entfernen. Der neue Bürgermeister wies darauf hin, dass Ney eine glühende Verehrerin Hitlers und Antisemitin gewesen sei. Es wurde auch diskutiert ihr posthum die Ehrenbürgerreche abzuerkennen, aber schließlich meinte man, dass diese höchste kommunale Auszeichnung mit dem Tod der Beethoven-Interpretin ohnehin erloschen sei.
    Der Gemeinderat von Tutzing beschloss am 9. Februar 2009 - gegen den Antrag des parteifreien Bürgermeisters - das Elly-Ney-Denkmal an seinem Platz zu belassen, aber ein Zusatzschild mit einer Information zu ihrer nationalsozialistischen Verstrickung anzubringen.
    Ein Antrag auf posthume Aberkennung der Ehrenbürgerschaft wurde im Gemeinderat Tutzing mit 2:17 Stimmen abgelehnt. Für die Beibehaltung des Namens Elly-Ney-Straße stimmten 14, dagegen 5 Gemeinderäte. Die weitere Pflege des Ehrengrabs auf Kosten der Gemeinde wurde mit 11:8 Stimmen beschlossen. Für eine Entfernung des Ney-Denkmals an der Brahms-Promenade stimmten 6, dagegen 13 Gemeinderäte.
    Im Februar 2009 gab es dann nochmals große Aufregung um das Denkmal; ein 18-Jähriger Schüler aus dem Raum Weilheim besudelte das Denkmal mit roter und gelber Farbe.

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  • Das Brahms-Denkmal findet man natürlich in der Brahmspromenade, und es ist nur ein paar Meter entfernt von Elly Neys Büste.
    Der Gedenkstein wurde 1933, anlässlich des 100. Geburtstages des Komponisten gesetzt und befindet sich in unmittelbarer Nähe zum Ufer des Starnberger Sees. Der Chronik zufolge ist es ein Werk von Josef Weisz (1894-1969), einem Buchillustrator und Holzschneider, der dort Anfang der 1920er Jahre bis 1932 lebte.
    Natürlich gibt es einen Anlass, warum der Stein da steht. Am 14. Mai 1873 nahm Johannes Brahms in Tutzing bei dem Gastwirt Konrad Amtmann Quartier. Für fünfundzwanzig Bayerische Gulden mietete er sich im ersten Stock ein Zimmer mit Kabinett. Für das Klavier waren zusätzlich sechs Gulden fällig, aber dieses Hausmusikmöbelstück hatte er nur angemietet, damit niemand drauf spielt...
    Ein besseres Klavier fand er bei den Vogls im sogenannten »Voglhäuschen«, das war ein auf einer Landzunge, die etwas in den See ragt, errichteter Pavillon, den sich das damals wohl berühmteste Sängerpaar erbauen ließ. Therese Thoma, so ihr Name vor der Eheschließung mit dem Heldentenor Heinrich Vogl (1845-1900), war gebürtige Tutzingerin und wurde als 15-Jährige von dem Hofkapellmeister Franz Lachner (siehe Beitrag Nr. 27) entdeckt und ans Konservatorium nach München vermittelt.
    In diesem Pavillon erklangen erstmals die an Ort und Stelle komponierten Lieder »Agnes« und »Eine gute, gute Nacht«, neben den anderen zu Opus 59 gehörenden, im Frühling geschaffenen Liedern.
    Johannes Brahms hat es in Tutzing und Umgebung offensichtlich recht gut gefallen, denn er blieb den ganzen Sommer über hier, bis September. Vermutlich war das kein Erstbesuch in der Gegend, denn er schrieb an den Dirigenten Hermann Levi:
    »Tutzing ist weit schöner, als wir uns neulich vorstellen konnten. Eben hatten wir ein prachtvolles Gewitter; der See war fast schwarz, an den Ufern herrlich grün, für gewöhnlich ist er blau, doch schöner, tiefblauer als der Himmel, dazu die Kette schneebedeckter Berge – man sieht sich nicht satt.«
    In diesen Tagen trug sich Brahms mit dem Gedanken eine Oper zu schreiben, »Ritter Bayard« sollte das Werk heißen. Brahms reiste deswegen sogar einige Male nach München, trank dort auch mit Paul Heyse eine Waldmeisterbowle, aber letztendlich kam keine Oper zustande, sondern er vollendete in Tutzing die Streichquartette c-Moll und a-Moll op.51 sowie die Lieder und Gesänge op.59.
    Das bedeutendste Ereignis dieses Aufenthalts waren - so der künstlerische Leiter der Tutzinger Brahmstage, Christianm Lange - jedoch die Haydn-Variationen op.56, wobei die Fassung für zwei Klaviere zeitlich vor der Orchesterfassung entstanden ist. Zahlreiche gesellige Abende in München bei Levi, Ernst von Possart oder Freiherr von Liliencron schufen immer wieder entspannenden Ausgleich zur Konzentration der kompositorischen Arbeit.

  • Lieber Hart,


    danke für die ständigen, interessanten Informationen und Impulse, die Du rund um die Ehrenplätze der Musiker gibst. Ich kannte wohl die im Theater unentbehrlichen Leichner-Produkte, die Geschichte darum kannte ich jedoch nicht.


    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!


  • Die Bronzefigur vor dem Museum ist ein Werk von Prof. Karl Ulrich Nuss




    Die Vorgeschichte des Museums


    Im Mai 1905 erscheint im »Schwäbischen Merkur« ein Artikel über den drohenden Abriss des alten Schulhauses in Schnait. Aus Gründen der Sparsamkeit wurde in Erwägung gezogen eventuell das neue Gebäude am Standort des alten Gebäudes zu errichten - aber das war schließlich das Geburtshaus von Friedrich Silcher.
    Der Leiter des Schwäbischen Sängerbundes intervenierte und gab zu bedenken, dass es nicht sein könne, dass das Haus in dem Friedrich Silcher geboren wurde und seine Jugend verbracht hatte, nicht erhalten bleibt. Bundeskasse und Ländervereine stellten mehrere Tausend Mark zum Schulhausneubau zur Verfügung und schlossen mit der Gemeinde einen Vertrag, dass das alte Schulhaus, so wie es seit hundert Jahren dort stand für die Nachwelt erhalten bleibt und dem Schwäbischen Sängerbund für seine Zwecke überlassen wird. Im August 1905 sichert sich der Schwäbische Sängerbund zunächst zwei Räume der ehemaligen Silcherwohnung für eine künftige Nutzung. Aber zunächst wohnte noch der letzte Dorfschullehrer in dieser Amtswohnung. Als dieser 1910 stirbt, ist das die eigentliche Geburtsstunde des Museums.
    Nun musste man sich um die Bestückung des Raumes bemühen und fand bei der Familie Silcher in dieser Sache Unterstützung. Die mehr als 80-jährige Tochter Silchers, Frau Stadtpfarrer Günzler, lebte noch in Cannstatt und zeigte, zusammen mit anderen Anverwandten, reges Interesse an der Sache. Es kam eine stattliche Anzahl an Silcher-Reliquien zusammen, aber es fehlte noch ein Klavier. Im Tanzsaal eines Wirtshauses in Brackenheim fand sich schließlich ein solches Instrument, das jedoch in einem jämmerlichen Zustand war. Wie der Wirt erklärte, bot ein Amerikaner 1.200 Mark, aber in seiner Eigenschaft als schwäbischer Sänger würde er es dem Silcher-Museum für 1.000 Mark überlassen. Während man nun endlich über eine Spende von tausend Mark verfügte, meldete sich der Wirt abermals brieflich mit dem Hinweis, dass der Amerikaner nunmehr 1.800 Mark böte, er es aber als Sangesfreund dem Museum für 1.500 Mark zur Verfügung stellen würde... - das Geschäft kam nie zustande. Aber es fand sich eine arme Witwe, die ein Klavier anbot, das zu Silcher in enger Beziehung stand und fragte ängstlichen Blickes, ob 50 Mark zu viel seien. Die Museumsinitiatoren waren in dieser Situation großzügig... Man schaffte das Klavier zu einer Pianofortefabrik nach Stuttgart, die das gute Stück fachgerecht herrichtete.
    Das waren die Anfänge dessen, was heute hier zu sehen ist. Friedrich Silcher wurde in diesem1767 erbauten Haus, in Schnait bei Schorndorf, am 27. Juni 1789 als drittes Kind des Schullehrers Johann Karl Silcher geboren. Seinerzeit war ein schwäbischer Dorfschulmeister, seine Familie und sein Haus noch sehr eng mit der Dorfgemeinschaft verbunden. Die Besoldung war nicht gerade üppig, und vom Jahresgehalt musste noch ein Obolus an die Witwe des Vorgängers, die fünf Kinder zu nähren hatte, abgetreten werden. Alles war eng, das Gehalt und die räumlichen Voraussetzungen. Es mussten 240 Schüler unterrichtet werden, manche sogar stehend, der Enge wegen.
    Eine herausragende Stellung hatte der Schullehrer in musikalischer Kompetenz. In aller Regel findet man diese Tätigkeit mit dem Amt des Organisten verknüpft und das Schulhaus war eine ganz natürliche Pflegestätte der Musik. Auch dieses Schulhaus befindet sich - wie auch das in Löbejün, wo Carl Loewe geboren wurde - in allernächster Nähe zur Kirche.
    In diese Verhältnisse wurde »Frieder«, so sein Rufname, hineingeboren und er ist in dieses Milieu hineingewachsen. Seinen leiblichen Vater verlor Friedrich Silcher als er gerade mal sechs Jahre alt war, seine Mutter blieb nicht lange Witwe, noch im gleichen Jahr heiratete sie den Amtsnachfolger ihres Mannes, Christian Heinrich Wegmann, der dem Kleinen ein guter Vater gewesen sein soll. Es war damals durchaus üblich, dass ein Schulmeister mit dem Amt auch die Sorge um die Witwe des Vorgängers und ihre Kinder übernahm, und es war üblich, dass der Sohn in die Fußstapfen des Vaters trat. Wer denkt hier nicht unwillkürlich an Schubert?
    Nach seiner Schulentlassung im Jahre 1803 ging der nunmehr 14-jährige Frieder zu einem der Familie bekannten Schulmeister im benachbarten Geradstetten, eine Gehstunde von Schnait entfernt, in die Lehre, um sich drei Jahre lang auf den Lehrerberuf vorzubereiten. Auch in dieser Zeit spielte die Musik eine wesentliche Rolle, denn die Gemeinde Geradstetten war in der ganzen Diözese für vorbildlichen Kirchengesang bekannt. Zudem erhielt der angehende Junglehrer beim Sohn des Ortspfarrers Unterricht in Latein und Zeichnen.
    Das Zeugnis der ersten Schulvisitation von 1804 hatte folgenden Wortlaut:
    »Provisor Philipp Friedrich Silcher, weiland Johann Carl Silchers, Schulmeister in Schnait hinterlassener Sohn...im 15. Jahr, von Michaelis vorigen Jahres allhier, ist in der Lehre, informiert in einer besonderen Klasse die jüngsten Kinder, gibt Lehrgeld, läßt sich gut an im Lernen und Unterricht, führt einen guten Wandel. Testimoniuim (Zeugnis): ist lehrbegierig und zeigt viele Neigung für den Beruf, den er erwählt hat, scheint vorzügliche Anlage zur Musik und zum Zeichnen zu haben.«


    Als freier Schulgehilfe arbeitete er noch für einige Monate bei seinem Stiefvater in Schnait, spielte auch wieder die Orgel seiner Taufkirche, ging dann jedoch zu Nikolaus Ferdinand Auberlen nach Fellbach, der als vorzüglicher Pädagoge und Musiker bekannt war. Dort kam Silcher auch erstmals mit der Pädagogik Pestalozzis in Berührung. Danach sieht man ihn als Privatlehrer. Zwischen 1809 und 1815 ist Silcher als Lehrer an der Ludwigsburger Mädchenschule tätig und es entstehen erste Kompositionen, auch Begegnungen mit Carl Maria von Weber und Konradin Kreutzer sind dokumentiert. 1819 entwickelt sich die wichtige Freundschaft mit dem Schweizer Volkspädagogen Hans Georg Nägeli.
    1821 beginnt die öffentliche Konzerttätigkeit mit Tübinger Studenten, die sich über Jahrzehnte fortsetzt. Am 26. August 1860 stirbt Friedrich Silcher, nur wenige Wochen nach seiner Pensionierung, in Tübingen, wo sich auch sein Grab befindet (siehe »Der Musiker Gräber«, Beitrag 128)
    Silchers Wirken war sehr umfangreich und lässt sich in diesem Rahmen nicht in allen Details darstellen. Silcher wird ja primär als Komponist wahrgenommen, auch wenn da stets auch pädagogische Ambitionen mit im Spiel waren. Was man über ihn wissen sollte, stellt sich in Kurzform so dar:
    Der Sohn eines Schulmeisters aus Schnait im Remstal wirkte von 1817 bis 1860 als Musikdirektor der Universität Tübingen, widmete sich in dieser Zeit aber auch als Anhänger der Volksbildungsidee der Laienbildung. Er schuf mehrere hundert Werke der Kirchen-, Jugend- und Hausmusik und förderte die um 1800 entstehende Sängerbewegung.
    Ab 1826 veröffentlichte Silcher sein Hauptwerk: über 140 Volksmelodien mit berühmten Titeln wie »Die Lorelei« / »Jetzt gang i ans Brünnele« / »Muss i denn zum Städtele naus« und »Der gute Kamerad«.


    Dieser Museumsbesuch ist vor allem deshalb beeindruckend, weil das Haus einerseits absolut authentisch ist und andererseits durchaus modern und zeitgemäß daherkommt.


    Schon die Anfahrt durch die Weinberge ist eine schöne Einstimmung. Wer etwas mehr über Friedrich Silcher und seine Lebensumstände erfahren möchte, ist hier am richtigen Ort und wird seine Freude haben. Zunächst wird dem Gast eine 15-Minütige einführende Tonbildschau angeboten, danach kann der Besucher die über mehrere Stockwerke verteilten Räume begehen und die Exponate im Detail studieren. Zu sehen sind:
    Dauerausstellung mit Autographen, Frühdrucken, Möbeln u. Musikinstrumenten zu Leben u. Werk Friedrich Silchers. Rekonstruktion der Wohnräume im Geburtshaus. Darstellung der Geschichte der Sängerbewegung sowie der Geschichte der Heimatgemeinde Silchers und der Schnaiter Dorfschule. Silcher-Archiv. Konzertprogramme der Tübinger Universität (1820-1860). Nachlässe v. Musikern des Schwäbischen Sängerbundes.


    Museumsanschrift:
    Silcherstraße 49
    71384 Weinstadt - Schnait
    Das Museum ist Mitte November bis Mitte Februar geschlossen!



  • Baden-Baden wurde praktisch im 19. Jahrhundert als Bäderstadt wiederentdeckt und entwickelte sich zu einem international bedeutsamen Treffpunkt von Adligen, Künstlern und wohlhabenden Bürgern.
    Wer dafür sensibilisiert ist, übersieht die zwei Gedenktafeln, die für Clara Schumann und Adolpha Le Beau an Wohnhäusern in der Stadt angebracht sind nicht. Aber man kann sie leicht übersehen, wenn man nicht weiß, dass sie existent sind.
    Die beiden Musikerinnen lebten viele Jahre in der Stadt, kannten sich auch, konnten jedoch keine positive Beziehung zueinander aufbauen. Beide waren hervorragende Pianistinnen, waren aber von Kindheitstagen anders »programmiert«
    Während Claras Vater - er entwickelte eine eigene Methode zum Erlernen des Klavierspiels - seine Tochter zum Wunderkind ausbildete, war das nicht der Ansatz von Adolphas Eltern. Dass für die Tochter frühzeitig eine Karriere als öffentlich auftretende Pianistin geplant war, geht aus der Autobiographie zweifelsfrei hervor. Die Eltern widersetzten sich zunächst nur einer Karriere als Kindervirtuosin. Adolpha selbst sagte:
    »Man hätte gern ein Wunderkind aus mir gemacht. Meine Eltern wünschten dies jedoch nicht. Ich sollte erst ruhig alles Nötige lernen und nach künstlerischer Ausbildung öffentlich auftreten.«


    Clara Schumann in Baden-Baden
    Die Gedenktafel am ehemaligen Wohnhaus von Clara-Schumann (heute in Privatbesitz) in der Hauptstr. 8, wurde 1959 von der Frankfurter Robert-Schumann-Gesellschaft gestiftet und eingeweiht.
    Am 23. Juli 1851 verbrachte Robert Schumann mit seiner Frau Clara auf der Durchreise in die Schweiz schon einmal einen ganzen Tag in Baden-Baden. Unter anderen trafen sie da auch Wilhelm Kalliwoda, der später die 16-jährige Adolpha Le Beau im Klavierspiel unterrichtete.
    Clara Schumann entschloss sich 1862 – sechs Jahre nach dem Tode Robert Schumanns – sich und ihren Kindern in Lichtental eine Heimat zu geben und kaufte mit Hilfe ihrer Freundin, der berühmten Sängerin Pauline Viardot-Garcia, mit der sie schon seit 1838 befreundet war, von der Advokatenwitwe Becker ein Häuschen an der Lichtentaler Allee. Zehn Jahre, von 1863 bis 1873, wohnte sie mit ihrer Familie dort.
    Der Einzug wurde im Sommer 1863 von den ältesten Töchtern besorgt; Marie führte mit der Köchin den Haushalt. Clara widmete sich in den Sommern ganz ihren Kindern, gab ihnen selbst Klavierunterricht, trieb Sprachstudien in Englisch und Französisch mit ihnen, man las und musizierte gemeinsam und unternahm viele Spaziergänge. Die Kinder zählten diese Sommer zu den glücklichsten ihres Lebens, auch wenn es durchaus ein festes Tagesprogramm gab. Zahllose Besucher gingen im Haus Lichtenthal Nr.14 ein und aus, natürlich auch Johannes Brahms, der in einem in der Nähe gelegenen Häuschen (siehe Beitrag Nr. 28) einige Sommer verbrachte.
    Clara Schumann hoffte beim Einzug in ihr neues Domizil, dass wohl Theodor Kirchner ihr erster Gast sein werde. Kirchner schwärmte nämlich nicht nur für Robert Schumanns Musik, sondern auch für Clara. Aus dem nahen Wildbad schrieb sie ihm:
    »Schön wäre es, überraschen Sie mich einmal mit recht viel Musik unter´m Arm und recht viel 4 Händigem!«. Kirchner benutzte jedoch seinen Aufenthalt in Baden-Baden, um sein Geld zu verspielen.


    Als Kirchner im Juni 1864 erneut auftauchte, verspielte er auch das von Clara geborgte Geld, worauf sie ihm die Freundschaft aufkündigte. Kirchner war einer der wenigen Menschen, der Clara mit »Du« ansprechen durfte. Im nächsten Brief findet man wieder das förmliche »Sie« Sie war von Kirchner tief enttäuscht und bezeichnete ihn sogar als »großen Lumpen«.
    Alles in allem scheint Clara Schumann in Baden-Baden viele gute Tage verlebt zu haben.
    Auch nach dem Verkauf des Hauses 1873 kehrten Clara und ihre Töchter im Sommer oder Herbst oft hierher zurück, selbst wenn es manchmal nur für wenige Tage war.
    Ihren 70. Geburtstag feierte sie 1889 ebenfalls in Baden-Baden; wie sie damals sagte, war das ihr »Eintritt ins Greisenalter«. Ihr letztes öffentliches Auftreten fand am 12. März 1891 in Frankfurt/Main statt.



    Luise Adolpha Le Beau
    Die Gedenktafel für Luise Adolpha Le Beau wurde am 23. Juli 2004, an einem Geschäftshaus angebracht. Die Adresse lautet: Lichtentaler Straße 46.
    Um die Leistungen von Frauen in Baden-Württemberg sichtbar zu machen, hat das Sozialministerium im Jahr 2001 ein Förderprogramm aufgelegt. 13 Kommunen hatten sich an dem Projekt beteiligt und 62 Frauen mit Gedenktafeln geehrt. Die Initiative ging also hier offenbar nicht von Musikfreunden, sondern von der Frauenbeauftragten der Stadt aus.
    Aktuell ist in dem Haus ein Fernseh-, Radio - und Elektrogeschäft mit drei großen Schaufenstern untergebracht. Das auf Le Beau hinweisende Schildchen in DIN-A-4-Format geht in der es umgebenden Reklame völlig unter. Soweit der visuelle Eindruck eines Passanten.
    Aber man muss ja nicht von der Gedenktafelgröße unbedingt auf die musikalische Größe der so geehrten schließen. Die Frau war bienenfleißig und zwar auf verschiedenen Ebenen.
    Luise Adolpha Le Beau war Komponistin, Pianistin, Musikkritikerin, Musikschriftstellerin, Klavier- und Musiktheorielehrerin. Der Vollständigkeit wegen sei noch erwähnt, dass Le Beau das Violinspiel erlernte und eine Gesangsausbildung absolvierte.
    Erst Im Alter von 43 Jahren zog Luise Adolpha Le Beau mit ihren Eltern nach Baden-Baden. Dort baute sie eine erfolgreiche und fruchtbare Zusammenarbeit mit den örtlichen Musikern auf und fand die Unterstützung der Großherzogin Luise von Baden (1838-1923) für Aufführungen ihrer Werke. Aber natürlich hatte sie schon viel früher Kontakt zu Baden-Baden, denn sie war in der Region, im nahe gelegenen Rastatt, geboren.
    Am 27. November 1867 spielte sie in ihrem ersten öffentlichen Konzert in Karlsruhe u.a. eine der Solopartien in Johann Sebastian Bachs Konzert für drei Klaviere in d-Moll, BWV 1063; da war sie 17 Jahre alt.
    Auf Empfehlung des Münchner Hofkapellmeisters Hermann Levi hatte Luise Adolpha Le Beau bei Clara Schumann in Baden-Baden im Sommer 1873 Klavierunterricht; nach zwölf Stunden brach Le Beau den Unterricht, wie sie selbst darstellt, wegen Clara Schumanns Methoden im Unterricht und persönlichen Differenzen jedoch ab. Die 23-jährige Klavierschülerin gibt in ihrer Autobiografie einen Einblick:


    »Es ist immer mißlich, den Nimbus zu schmälern, der sich um berühmte Namen wob und ich gestehe, daß es mir deshalb doppelt schwer fällt, dieses Kapitel zu schreiben Da ich aber der Wahrheit die Ehre geben muß, so bleibt mir keine andere Wahl, als meine Erlebnisse und Eindrücke in Bezug auf Frau Clara Schumann so zu schildern, wie sie waren; ich bedaure selbst am tiefsten, daß diese gewiß große Künstlerin mir persönlich so wenig sympathisch gewesen ist. Als ich sie kennen lernte, war Frau Schumann 54 Jahre alt; ihr Wirken war abgeschlossen, ihr Leben meist Mühe, Arbeit und Kummer gewesen Ich wußte dies und war auch gerne bereit, viele Eigentümlichkeiten und Unliebenswürdigkeiten ihres Wesens damit zu entschuldigen. Anderseits hatte Frau Schumann aber auch viel Gutes im Leben erfahren: reiche Freunde unterstützten sie, es wurde ein Vermögen für ihre Kinder gesammelt und jeder Musiker war ihr mit Freuden gefällig, wenn es galt, Konzerte zu arrangieren. Hätte sie damals, genau mit denselben Kunstleistungen als unbekanntes junges Geschöpf nochmals ihre Laufbahn beginnen müssen, sie würde wohl kaum die Hälfte der Erfolge errungen haben, die ihr vierzig Jahre früher und dann als Gattin Robert Schumanns zu Teil geworden waren. Nach so vielen Ehren und so vielen künstlerischen Förderungen, wie Frau Schumann sie erleben durfte, hätte doch wohl nach allem Leid noch ein Rest von Wohlwollen für junge, aufstrebende Talente zurückbleiben müssen, wie solches in ihrem Herzen ja früher Raum gehabt hatte. Leider habe ich davon aber nichts verspürt und diese meine Wahrnehmungen wurden mir später von sehr vielen Personen bestätigt, die mit Frau Schumann in künstlerische Berührung kamen; selbst auch von solchen, welche sie zu Lebzeiten Robert Schumanns in ihren glücklichsten Jahren zu Düsseldorf kannten.«


    Ja, da hat die »Chemie« wohl nicht gestimmt, was wohl auch daran gelegen haben mag, dass Le Beau einer etwas anderen Musikrichtung nicht gerade abgeneigt war.
    »Als ich nun, nach vorangegangenem Besuch meines Vaters bei Frau Schumann, an dem von ihr bestimmten Tag mit meinen Eltern nach Baden fuhr, um in der bekannten, an der Lichtentaler Allee gelegenen Villa der Frau Schumann vorzuspielen, beging ich in meiner Arglosigkeit und völligen Unkenntnis der Verhältnisse die größte Unklugheit und spielte ihr Bachs D-Moll-Gavotte (allerdings auswendig) in Bülow'scher Vortragsbezeichnung vor. Damit forderte ich unbewußt ihre Gereiztheit heraus.«
    Die beiden Damen hatten sicher auch deswegen Schwierigkeiten miteinander, weil die viel jüngere Adolpha eigentlich keine Virtuosenkarriere als Pianistin anstrebte, sondern sich immer mehr als Komponistin verstand.
    Le Beau nahm zu ihrer Zeit durch ihren für Frauen ungewöhnlichen Beruf eine Ausnahmestellung ein. Sie war eine professionell in der Öffentlichkeit stehende Pianistin und Komponistin, deren Œuvre immerhin 65 Werke mit Opusnummern umfasst. Auch als Rezensentin für Musikzeitschriften hat sie einiges geleistet. Hinzu kommt noch, dass ihr auch die Ausbildung junger Musikerinnen stets sehr am Herzen lag.
    Anlässlich ihres 75. Geburtstages im April 1925 konzertierte sie mit eigenen Klavierwerken im Kurhaus Baden-Baden.


    Am 17. Juli 1927 ist Luise Adolpha Le Beau in Baden-Baden im Alter von 77 Jahren gestorben. Sie wurde neben ihren Eltern auf dem Stadtfriedhof begraben.




  • In den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts hat es der Gemeinderat abgelehnt, die Hauptstraße in Clara-Schumann-Straße umzubenennen. Somit findet man das Haus mit der Gedenktafel heute in der Hauptstraße 8.
    Eigenartig ist, dass Luise Adolpha Le Beau von der Villa der Frau Schumann spricht: »...um in der bekannten, an der Lichtentaler Allee gelegenen Villa der Frau Schumann vorzuspielen.«
    Heute steht da ein stattliches Haus, direkt am Flüsschen Oos gelegen, mit einem schönen Blick auf die berühmte Lichtentaler Allee - nach hinten raus.
    Allerdings hat das heutige Haus ein völlig anderes Aussehen, im Internet gibt es Bilder vom ursprünglichen Haus, das Clara Schumann in einem Brief vom 14. Juni 1863 an Brahms so beschreibt:
    »...mein Haus wirst Du aber kaum bemerkt haben, da es das kleinste unter allen ist, von außen fast wie ein Bauernhäuschen, im Innern freilich nicht - ich habe drei Flügel, also genug Platz.«
    Und ihrem Tagebuch vertraut sie unter dem Datum des 1. August an:
    »Ich habe mir ein Häuschen angesehen, welches mir so gut gefällt, daß ich darauf geboten habe. Da ich den ganzen Winter herumreise, so wäre es doch ganz zweckmäßig, wenn ich im Sommer ein festes Domizil hätte, wo ich dann auch zeitweise die Kinder um mich hätte. So wie bisher führe ich doch das schrecklichste Leben, weiß im Sommer nie wohin, fühle mich nirgends heimisch und finde auch zu eigenem Studium weder Zeit noch Sammlung. Hier in Baden hätte ich die schöne Natur und auch künstlerischen Verkehr, denn alles kommt ja hierher - vielleicht nur zu viel.«
    Gerade ein Haus vorher ist heute die Bus-Haltestelle »Aubrücke«. Nach wenigen Schritten überquert man das Flüsschen Oos und ist dann auch schon in einer der schönsten Flaniermeilen, der renommierten Lichtentaler Alleee, 2.300 Meter lang, die im 19. Jahrhundert, als Baden-Baden den Beinamen »Sommerhauptstadt Europas« hatte, nicht nur Felix Mendelssohn Bartholdy, sondern auch den Kaiser von Brasilien, Queen Victoria nebst Dackel und viele andere hochgestellte Persönlichkeiten sah...


    Kommt man über die Aubrücke, hält man sich rechts und sieht dann schon den Bénazet-Pavillon, der den Beginn des Dahliengartens markiert. Zunächst gelangt man zur Brahms-Büste. die 1997 anlässlich des 100. Todestages des Komponisten feierlich, aber ohne Musik enthüllt wurde, wenn man vom Vogelgezwitscher dieses Frühlingstages einmal absieht.
    Die Bildhauerin Maria Fellinger, die zum Freundeskreis von Brahms zählte, schuf die Büste nach Fotografien 1898. Bei der Büste im Park handelt es sich um einen Abguss.
    Im Rahmen dieser Feierlichkeiten entstand die Idee auch Clara Schumann adäquat zu ehren.


    Seit 1999 steht nun auch Clara Schumanns Büste etwa 30 Schritte links von Brahms. Es ist nicht das Gesicht, das viele von den 100-DM-Scheinen kennen (nach einer Lithografie von 1838), sondern die gealterte Pianistin, wie sie Franz von Lenbach in einem Pastell von 1878/79 dargestellt hat.

    Die jüngste Büste von Clara Schumann fertigte Joseph von Kopf, später saß sie Adolf Hildebrand Modell.
    Bei dieser Büste in der Lichtentaler Allee handelt es sich um einen Abguss des im Krieg zerstörten Originals von Friedrich Christoph Hausmann aus dem Jahre 1896. Wer sich die Büste genau anschaut, erkennt auf dem Sockel einige Noten - das Eingangsmotiv zu Robert Schumanns Klavierkonzert op. 54.


    Bei den Einweihungsfeierlichkeiten beging man Clara Schumanns 180. Geburtstag. Wie die Presse berichtete, umspielten drei Hornistinnen der Baden-Badener Philharmonie das Geschehen mit sanften Akkorden. Dem Zeitungsbericht zufolge sei die Musik von Brahms gewesen, und es heißt weiter:
    »Wer die Büste näher betrachtete, sah in dem strengen Blick der alten Dame unterm Witwenhäubchen Protest auflodern.«

  • Tamino XBeethoven_Moedling Banner


  • Meyerbeer, Auber, Rossini und Wagner erklärten übereinstimmend, dass sie die Musik selbst sei, denn sie war nicht nur eine bewundernswerte Sängerin und Pianistin, sondern auch die mit Abstand größte Gesangspädagogin ihrer Zeit - Aglaja Orgeni war wohl ihre bekannteste Schülerin - und ihre eigenen Kompositionen waren keine Spielereien, sondern ernstzunehmende Stücke, die sogar heute noch präsent sind.


    Sie stammte aus einer Familie, die wie der Urquell des Gesangs erscheint. Ihre ältere Schwester war die berühmte Maria Malibran (*1808), ihr Bruder der Bariton Manuel Patricio Rodríguez García (*1805) - und der Vater dieser drei sangesfreudigen Kinder ist der 1775 in Sevilla geborene Tenor und Gesangslehrer Manuel Patricio Rodriguez Garcia.
    Es ist ein absolutes Muss, dass man das erwähnt, denn diese Familie ist, ganz speziell was den Gesang betrifft, außergewöhnlich. Paulines Bruder war ja nicht irgendein Bariton, sondern der wohl berühmteste Gesangslehrer des 19. Jahrhunderts und Erfinder des Laryngoskops, was ihm die Ehrendoktorwürde der Universität Königsberg bescherte - und er wurde bei all dem 101 Jahre alt, auch das eine Spitzenleistung.


    Pauline Garcia wurde am 18. Juli 1821 in Paris geboren. Beide Eltern waren weltberühmte Sänger. Die Familie reiste nach längeren Engagements in Paris und London 1824 nach New York und von dort weiter nach Mexiko.
    1829 kehrten die Garcias, wegen des Bürgerkriegs in Mexiko, auf teilweise abenteuerlicher Reise wieder nach Europa zurück.
    Auf dieser Überfahrt soll die kleine Pauline bereits den ersten Gesangsunterricht von ihrem Vater erhalten haben. Er hatte eigens dazu einige Kanons in verschiedenen Sprachen komponiert, welche die kleine Pauline spielend lernte. Aber der Vater beabsichtigte eigentlich eher eine Pianistin aus ihr zu machen, noch in Mexiko ließ er der Tochter Klavierunterricht erteilen, der durchaus auf eine Karriere als Pianistin zielte. Kaum in Paris angekommen, bestand er darauf, dass sie von Franz Liszt unterrichtet wurde. Der Vater starb aber bereits 1832. Im Folgenden war Paulines Mutter die treibende Kraft, dass auch ihre jüngere Tochter zur Sängerin ausgebildet wurde.

    So debütierte Pauline Garcia, noch nicht einmal 16 Jahre alt, im Rahmen eines Konzerts in Brüssel, das ihr Schwager, der Geiger Charles de Bériot dort gab. Mit ihrer drei Oktaven umfassenden Stimme erregte sie entsprechendes Aufsehen. Man ist in solchen Fällen auf die schriftlichen Berichte von Zeitzeugen angewiesen, denn Tondokumente dieser Stimme kann es nicht geben. Dennoch gibt es heutzutage CDs mit Musik von Pauline Viardot-Garcia, denn sie betätigte sich - wie eingangs schon erwähnt - auch als Komponistin, aber betonte das nicht so stark wie etwa Le Beau, sondern war primär als Sängerin unterwegs. Während ihrer ersten Konzerttournee, die sie und ihren Schwager 1838 auch durch Deutschland führte, trat sie mit eigenen Vokalkompositionen auf, zu denen sie sich selber am Klavier begleitete.
    In Leipzig lernte sie Clara Wieck-Schumann und Robert Schumann kennen. Schumann veröffentlichte eines ihrer Lieder in seiner Neuen Zeitschrift für Musik und widmete ihr später seinen Heine-Liederzyklus op. 24.
    Ihr Operndebüt gab sie als Desdemona in Rossinis Otello in London und trat so in die Fußstapfen ihrer berühmten und so früh (an den Folgen eines Reitunfalls) verstorbenen Schwester. Paulines Vater war ein Freund Rossinis und so ist es nicht verwunderlich, dass sie zeitlebens eine hervorragende Interpretin dieses Komponisten war. Auf einer Italienreise lernte sie Rossini in Bologna dann auch selbst kennen, woraus eine lebenslange Freundschaft resultierte.


    In ihrem Leben tauchen ständig berühmte Personen dieser Zeit auf. Alfred de Musset verliebte sich in die Sängerin und Hector Berlioz stand ebenfalls in der Schlange der Bewunderer. George Sand machte Pauline Garcia zur Heldin eines ihrer vielen Romane, »Consuelo«, heißt das Werk, das Meyerbeer und Liszt in Musik setzen wollten...


    Ab 1840 heißt die Sängerin nun Pauline Viardot-Garcia - sie heiratete den 21 Jahre älteren Kunst- und Literaturhistoriker Louis Viardot. Er war Direktor des Théâtre-Italien, eine Pariser Institution. Er gab nach der Heirat seine Stellung auf und begleitete seine Frau auf ihren Konzertreisen, die sie in den folgenden Jahren durch ganz Europa führten. Die wichtigsten Auftrittsorte waren London, Berlin, Dresden, Wien, St. Petersburg, wo sie von 1843-1846 an der Oper engagiert war und den russischen Schriftsteller Ivan Turgenjew kennenlernte. Turgenjew verliebte sich in sie und lebte bis zu seinem Tode Tür an Tür mit dem Ehepaar Viardot, wobei sich die Herren gut verstanden und in der Jagd einem gemeinsamen Hobby frönten.
    Die Begeisterung Turgenjews kommt wohl am spektakulärsten zum Ausdruck, wenn man zitiert, was er alles für die von ihm angebetete Künstlerin tun würde, nämlich:
    »auf ihren Befehl hin auf dem Dach zu tanzen, nackt, mit gelber Farbe angestrichen«.
    In St. Petersburg sang sie neben dem italienischen Repertoire auch Werke von Michael Iwanowitsch Glinka und Alexander Dargomyschsky auf Russisch. Es ist überliefert, dass Pauline Viardot in jeder Vorstellung über sich hinauswuchs; an ihrer Seite oft der »König der Tenöre« - Giovanni Battista Rubini, dem allerdings das russische Klima nicht gut tat.
    Der Komponist Daniel-François-Esprit Auber schreibt in einem Brief:
    »Sie spricht und singt in fünf Sprachen, spielt wie ein Engel Klavier, ist in der Harmonie so bewandert wie kaum jemand, singt so gut wie ihre Schwester und komponiert Dinge, von denen ich stolz wäre, sie gemacht zu haben«
    Mit Turgenjew sprach sie Deutsch. Ansonsten kam das Sprachensortiment so zusammen: Spanisch wegen ihrer Familie; Französisch wegen ihres Geburts- und Heimatlandes Frankreich; Italienisch wegen ihrer Karriere als Opernsängerin; Deutsch, weil sie nicht nur Gastspiele in Deutschland gab, sondern auch etliche Jahre in Deutschland lebte; und Russisch wegen ihrer engen Beziehung zur russischen Kulturszene. In der Literatur finden sich auch Darstellungen, wonach sie sogar sieben Sprachen gesprochen haben soll.
    Es gibt kaum prominente Namen aus dieser Zeit, zu denen Pauline Viardot-Garcia keinen Kontakt hatte.


    1863, also mit 42 Jahren, zog sie sich praktisch von der großen Bühne zurück. Ihr letzter großer Bühnenauftritt in Paris war die Titelrolle in Glucks »Orpheus«, eine Rolle, die sie 1864 nochmals am Karlsruher Hoftheater sang (Pauline erlaubte sich zwischen 1872 und 1874 immer mal wieder öffentlich zu singen). Sie verließen Paris und ihr Chateau Courtavenel an der Seine und kehrten Frankreich aus politischen Gründen den Rücken, Paulines Gatte wollte Napoleon III. nicht länger ertragen - 1851 wurde die Pariser Wohnung der Viardots von der Polizei durchsucht...


    Mit ihrem Mann, ihren drei jüngeren Kindern (Claudie, geb. 1852, Marianne, geb. 1854, Paul, geb. 1857) und Ivan Turgenjew ließ sie sich in Baden-Baden nieder. Im Sommer 1863 kauften sie ein Haus im Schweizerstil mit großem Areal an der damaligen Tiergartenstraße (heute Fremersbergstraße 27), welches im 20. Jahrhundert durch Neubauten ersetzt wurde. Dazu ließen sie sich eine Tonhalle und ein Theater errichten.
    Ein zierlicher, mit Geschmack eingerichteter und akustisch guter Saal ist am andern Ende des Gartens der Villa Viardot entstanden, durch gläserne Deckenfenster von oben beleuchtet, mit Büsten und Bildern bestückt. An den dunkelgrün tapezierten Langwänden glänzt eine Galerie alter Meisterwerke - und was das für Meisterwerke waren!
    Das besondere musikalische Prunkstück war jedoch die Orgel, davor ein Flügel von Pleyel, der hier nicht vergessen werden sollte. Die Orgel stammt von Aristide Cavaillé, einem der bedeutendsten Orgelbauer aller Zeiten, 1851 entworfen. Ganz billig war dieses Instrument nicht, 10.256 Francs standen zu Buche, Pauline musste damals ihren Schmuck veräußern.
    Madame Viardot komponierte und produzierte, unterrichtete Schülerinnen aus aller Welt, wobei sie mit ihren Schülerinnen und Kindern Konzerte gab und eigene Bühnenwerke vor der internationalen Baden-Badener Gesellschaft aufführte. Die Libretti schrieb Ivan Turgenjew. .
    Sie komponierte aber auch mehr als hundert Lieder auf Texte von Musset, Turgenjew, Puschkin, Gautier, Mörike und Goethe, die größtenteils noch zu Lebzeiten publiziert wurden. Von »Le dernier sorcier« soll Liszt so begeistert gewesen sein, dass er sich für eine Aufführung in Weimar einsetzte.
    Fast noch berühmter als ihre eigenen Lieder wurden ihre Transkriptionen von 12 Mazurken von Chopin, die sie mit Gedichten von Louis Pomey unterlegte und sehr oft in Konzerten sang. Entsprechend bearbeitete sie auch Walzer von Franz Schubert und ungarische Tänze von Johannes Brahms.
    In Baden-Baden trafen sich auch Clara Schumann und Pauline Viardot-Garcia wieder und von Clara Schumann ist der Ausspruch überliefert:
    »Die Viardot ist die begabteste Frau, der ich je in meinem Leben begegnet bin« - aber wer ist schon unfehlbar und vollkommen? An Brahms schreibt Clara in einem Brief vom 3. November 1864 über die Einweihung der »Kunsthalle« im Garten der Baden-Badener Villa und beurteilte das Orgelspiel der Kollegin eher kritisch:
    »Die Orgel klingt wundervoll und hätte einem wohl Freude machen können, wäre sie würdig behandelt gewesen, aber mit dem Pedal konnte Mad. Viardot noch nicht spielen und begann nun mit der Ddur-Fuge […] von Bach, die sich miserabel ausnahm«
    In anderen Publikationen wird dagegen festgestellt. dass die Sängerin auf der Orgel noch sicherer als auf dem Klavier gewesen sei.
    Aber so ein kleiner Kritikpunkt stand einer Anfreundung von Brahms nicht entgegen, der auch eigens für sie ein Geburtstagsständchen komponierte, das er selbst dirigierte. Pauline revanchierte sich und sang am 3. März 1870 in Jena die erste öffentliche Aufführung seiner Alt-Rhapsodie op.53.


    Als 1870 der deutsch-französische Krieg ausbrach, mussten die Viardots Baden-Baden verlassen. Sie lebten zunächst in London und kehrten erst später nach Paris zurück, wo sie in Bougival, 15 Kilometer westlich von Paris, ein großes Anwesen mit Park kauften. Turgenjew ließ sich im Park ein Holzchalet bauen.
    Pauline sang 1873 die Uraufführung von Massenets Oratorium »Marie Magdaleine«. Gabriel Fauré war in dieser Zeit sehr eng mit der Familie verbunden. Camille Saint-Saëns begleitete Pauline oft in Liederabenden und widmete ihr seine Oper »Samson und Dalila«
    Das Jahr 1883 brachte nichts Gutes; im Mai starb Louis Viardot und im September Turgenjew.
    Danach verkaufte Pauline Viardot das große Anwesen und zog sich in eine Wohnung in Paris zurück.
    Am 20. Mai 1896 war ihre langjährigen Freundin Clara Schumann in Frankfurt gestorben, die in ihren letzten Jahren auf den Rollstuhl angewiesen war. Pauline war dankbar, dass ihr ihre Vitalität weitgehend erhalten blieb und ließ es sich nicht nehmen nach Frankfurt zu reisen, wo am 23. Mai in der Mylinusstraße zur frühen Morgenstunde die Trauerfeier stattfand und sich viele Weggefährten eingefunden hatten, um sich hier von Clara Schumann zu verabschieden.

    Pauline sind danach noch einige lebenswerte Jahre vergönnt gewesen. Einige Tage vor ihrem Tod gab die nunmehr alte Dame noch eine Stunde. Sie war eigentlich nicht krank, obwohl sie bis ins hohe Alter rauchte. Wie man sich erzählt, sagte sie kurz vor ihrem Tod: »Noch zwei Tage habe ich zu leben« - und so geschah es, Pauline Viardot-Garcia starb am 18. Mai 1910 im Alter von 89 Jahren in Paris.


    Die Stadt Baden-Baden ehrte diese außergewöhnliche Künstlerin mit einer Bronzebüste am Stadtmuseum. Wer die Bedeutung dieser Frau kennt, kann eigentlich vom Standort der Stele nicht begeistert sein, denn ich behaupte einfach einmal - und liege damit wohl nicht falsch - , dass das Werk von Birgit Stauch, die diese Büste schuf, von den meisten Passanten der Lichtentaler Allee überhaupt nicht gesehen wird. Man hat mir zwar erklärt, dass es eine Blickachse zur Büste Turgenjews gibt, aber die hätte sich auch so einrichten lassen, dass Pauline Viardot besser zur Geltung kommt; der Standort ist aber insoweit günstig, dass er nicht weit von ihrem ehemaligen Wohnsitz entfernt ist, nur wenige Minuten bergan.
    Am 12. Oktober 2004 wurde diese Gedenkstele eingeweiht.
    Anmerkung:
    Wer sich für Details in dieser Sache interessiert, findet diese in dem Buch »Wenn Musik der Liebe Nahrung ist« - Künstlerschicksale im 19. Jahrhundert. Der Autor Dietrich Fischer-Dieskau hat hier diese große Sängerfamilie und das Umfeld kenntnisreich portraitiert. Das Buch ist 1990 bei DVA erschienen.



  • Der Uff-Kirchhof in Stuttgart-Bad Cannstatt gehört zu den ältesten Friedhöfen in Stuttgart und ist beim breiten Publikum wohl eher bekannt, weil dort prominente Persönlichkeiten wie beispielsweise der Motorenbauer Gottlieb Daimler, der Autorennfahrer Hermann Lang oder der Freiheitsdichter Ferdinand Freiligrath bestattet sind.
    Im Internet findet sich ein altes Schwarz/Weiß-Foto, das eine aufwändig gestaltete Grabstelle im Stil der damaligen Zeit zeigt. In der Bildhauerarbeit erkennt man musikalische Attribute und obenauf ein großes Kreuz. Dieses Foto ist unterschrieben:
    Molique´s Grabstätte
    auf dem Uffkirchhofe in Cannstatt

    Wer heute an diesen im Gras liegenden, teilweise schon moosdurchwachsenen Versalbuchstaben vorbeigeht, bekommt erst durch angestrengtes Studieren davon Kenntnis, dass hier ein Musiker seine letzte Ruhe gefunden hat, und wer nachschlägt erfährt, dass Molique einer der großen Geigenvirtuosen seiner Zeit war. Es war nicht herauszufinden, wann diese Schriftzeilen hierher kamen...


    Damit man sich diesen Musiker etwas vorstellen kann, seien hier zunächst einige Zeilen des damals einflussreichen Musikkritikers Eduard Hanslick eingefügt, um die Gestalt Moliques lebendig werden zu lassen, und im Anschluss daran noch eine Mitteilung einer Münchner Zeitung:


    »Bernhard Molique ist nach dem kurzen Besuch, den er 1817, noch ein Jüngling, als Begleiter seines Meisters Rovelli in Wien gemacht noch dreimal als Concertgeber in Wien gewesen. 1831 dann 1839, endlich 1845. Jedesmal gewann er die höchste Achtung der ernsten Musikfreunde und Kenner, die außerordentlichsten Lobsprüche der Kritik, und dennoch brachte er es kein einzigesmal zu einem wahrhaft durchschlagenden Erfolg oder auch nur zu einem vollen Concertsaal bei obendrein niedrigen Preisen. Wenn man den Charakter der Epoche sich vergegenwärtigt, so löst sich das Räthsel - denn räthselhaft blieb diese Zurücksetzung eines der ersten und gediegensten Violinmeister immerhin Molinque´s haltungsvolles, ruhiges Spiel, seine männlich ernsten, gediegenen, dabei etwas formalistischen Compositionen, endlich seine Persönlichkeit hatten nichts von den "interessanten" Zuthaten und dem romantischen Zauber des modernen Violinvirtuosen. Molique war ein ernster, etwas unbehilflicher Schwabe, von behäbigem, gedrungenen Körperbau, trug weder geheimen Liebesschmerz noch langes Haar, dafür - o Graus - eine schwarze Hornbrille! Daß er stark Tabak schnupfte, konnte keinem Zweifel unterliegen. Wie konnte solch´ eine solide Pastorenerscheinung die Herzen gewinnen neben einem Liszt, Thalberg, Ole Bull, Ernst, Servais und anderen mervailleusen Naturen?«


    Im Münchener-Conversations-Blatt Nro. 156 ist in Frakturschrift unter dem Datum Sonnabend, den 17. Oktober 1829, folgendes zu lesen:


    »Der k. Hofmusikdirektor aus Stuttgart, Hr. Molique, befindet sich seit kurzem hier, und wird dem Vernehmen nach demnächst ein großes Vokal- und Instrumental-Conzert veranstalten. Herr Direktor Molique war lange Zeit eine große Zierde unseres Hoforchesters, und mit wachem Vergnügen erinnern wir uns der hohen Kunstgenüsse, die uns sein ausgezeichnetes Violinspiel so oft gewährte. Da er unstreitig in den Rang der ersten Violin Virtuosen gehört, so bedarf es wohl nur der einfachen Erwähnung dieses bevorstehenden Conzerts, damit alle Kunstfreunde sich dafür interessieren.«


    Der Name Molique ist nicht typisch schwäbisch, die Familie war französischer Abstammung, sie kamen aus dem Unterelsass. Die Eltern von Bernhard Molique schlossen ihre Ehe 1801 in Nürnberg, wo der Vater unbesoldeter Stadtmusiker war. Sohn Bernhard wurde am 7. Oktober 1802 in Nürnberg geboren. Der Vater unterwies den Knaben in Musik und als 6-Jähriger hatte er am 3. September 1809 bereits einen öffentlichen Auftritt, wobei er die Violinvariationen von Wranitzky zu Gehör brachte. Als der berühmte Spohr 1815 in Nürnberg gastierte kam es zu einer ersten Begegnung von Louis Spohr und Bernhard Molique. Danach reiste Spohr nach München, um vor König Maximilian zu spielen. Als sich ein Jahr später dann auch Bernhard Molique nach München begab, wird vermutet, dass Spohr dabei seine Hände im Spiel gehabt haben könnte.
    Tatsache ist jedoch, dass der junge Molique bei Pietro Rovelli in München eine zweijährige Ausbildung erhielt, die ihn wiederum befähigte, sich in Wien als Orchestergeiger zu betätigen.


    Zum Jahresanfang 1820 sieht man Molique wieder in München. Er wird Nachfolger von Rovelli, der wieder in seine Heimatstadt Bergamo zurückgegangen war. Seine Leistungen wurden mit einer Gehaltserhöhung belohnt und nun konnte geheiratet werden. Die Trauung fand am 10.10.1825 statt, die Braut war eine Schauspielerin vom Hoftheater.
    Als im gleichen Jahr der 1. Kapellmeister starb, wurde eine zunächst angedachte Beförderung Moliques zum 1. Kapellmeister wegen seines jugendlichen Alters abgelehnt.
    1826 kam ein Angebot als Königlicher Musikdirektor und Konzertmeister in Stuttgart tätig zu sein, was Bernhard Molique freudig annahm.
    Man hatte mit Molique den richtigen Mann an die rechte Stelle geholt, und Molique, dessen ganze Wesensart von Haus aus schon typisch süddeutsche Züge zeigt, fühlte sich auch bald ungemein zu Hause in Schwabens Hauptstadt. Fast 23 Jahre füllte er seinen Posten am Hoftheater aus; während seiner Stuttgarter Zeit entstand die Hälfte seiner Kompositionen.
    1840 konzertierte Molique erstmals in England, wo ein Konzert sogar von der Königin besucht wurde. Zwei Jahre später hört man ihn wieder in England und das dritte Mal 1848.
    Trotz verlockender Angebote aus dem Ausland mochte er sein geliebtes Stuttgart nicht verlassen. Aber schließlich wagte er 1849 dann endlich den Sprung übers Wasser und wurde für einige Jahre da drüben sesshaft. Das Revolutionsjahr 1848 und Einschnitte ins heimische Theater-Budget könnten den Absprung beflügelt haben.


    Im sehr konservativen England war das nicht der schlechteste Platz für Bernhard Molique, der ja kein Anhänger musikalischer Neuerungen war. Mendelssohn und Spohr standen in höchster Gunst. Molique, der beiden nahe stand, wurde verstanden und anerkannt, ja seiner Fortschrittlichkeit wegen sogar gelobt.
    In London widmete sich Molique viel mehr als zuletzt in Stuttgart der Kammer-und Hausmusik, pflegte Kontakte zu den Größen des Musiklebens. Sein Haus war später Sammelpunkt fremder Kunstgenossen und auch der Landsleute. Molique zählte bald zu den bekanntesten musikalischen Persönlichkeiten Londons. Er erwarb sich auch Ansehen als Lehrer und hatte eine stattliche Anzahl Schüler. Neben Geigenunterricht erteilte er auch Kompositionslehre.
    1861 wurde er als Professor für Komposition an die »Royal Academy of Music« gerufen; zeitweilig war er Präsident der Londonder Conservatoriums-Konzerte.
    1866 entschloss sich Molique nach Deutschland zurückzukehren, da sich sein Gesundheitszustand weiter verschlechtert hatte, er klagte über häufige Kopfschmerzen.
    Sein Abschiedskonzert wurde 1866 von einem »Comitee aus Angehörigen der Aristokratie, der Finanzwelt, der Kunst und der Wissenschaft« unter dem Protektorat der Herzogin von Cambridge in der Londoner St. James's Hall veranstaltet. Das war von anderer Qualität, als der frostige Abschied vom Stuttgarter Theater, wo seinerzeit nach 23-jähriger Tätigkeit kein Dankeswort zu vernehmen war.


    Wieder nach Deutschland zurückgekehrt, verbrachte Molique noch ein halbes Jahr am Starnberger See. Danach nahm er seinen Wohnsitz wieder in Cannstatt bei Stuttgart. Doch sein Leiden (Schlaganfälle, Lähmungen infolge eines Geschwürs im Kleinhirn) verschlimmerte sich und am 10. Mai 1869 wurde er davon erlöst. Zwei Tage später begrub man ihn auf dem Cannstatter Uff-Kirchhof. Sein lebenslanger Wunsch, einmal im Frühling zu sterben, ging damit in Erfüllung.


    Bezüglich seines Violinspiels sind wir auf Zeitzeugen wie Hanslick angewiesen, Tonträger gab es damals noch nicht... - aber CDs mit seinen Kompositionen sind uns heute vielfältig zugänglich.




  • Wer in den Wäldern um Baden-Baden spazieren geht und sich etwas in die Höhe bemüht, findet hier nicht nur eine Wolfsschlucht, die Carl Maria von Weber als Vorlage für seinen »Freischütz« gedient haben könnte - er soll 1810 hier gewesen sein - sondern auch einen Furtwänglerweg, der oberhalb dieser Wolfsschlucht verläuft.
    Carl Maria von Weber weilte laut Stadtchronik im Juli 1810 in Baden-Baden und besuchte bei einem seiner Ausflüge ins Murgtal auch die Schlucht, die damals noch namenlos war. Weber las zu dieser Zeit gerade die Volkssage »Der Freischütz« von August Apel. Aus diesem Zusammentreffen folgerte ein Reiseführer von 1843, die Schlucht habe ihren Namen »aus dem bekannten Freischütz« bezogen.


    Historisch sicherer ist die Geschichte des Furtwänglerweges, der gegenüber dem Krankenhaus von Ebersteinburg beginnt. Furtwängler liebte Ebersteinburg und die stillen Wege der Gegend und kam oft hierher, um Ruhe und Erholung zu finden.
    Am 23. Januar 1953 dirigierte Furtwängler mit hohem Fieber in Wien und brach auf dem Podium zusammen. Seine zähe Konstitution ermöglichte es ihm jedoch weiterzuarbeiten und er dirigierte in Wien und Luzern sogar Werke, die ihm nicht gerade auf den Leib geschrieben waren.


    Im November 1954 erkrankte Furtwängler an seinem Wohnsitz in der Schweiz in Clarence bei Montreux an einer schweren Lungenentzündung. Er rief Dr. von Löwenstein, den Chefarzt des Ebersteinburger Krankenhauses, zu sich und trat dann auf eigenen Wunsch am 12. November die Reise nach Ebersteinburg an.
    Seiner Frau kündigte Furtwängler an, dass er an dieser Erkrankung sterben werde. Elisabeth Furtwängler berichtet, er habe den Tod überhaupt nicht gefürchtet, sie jedoch gebeten, die letzten Tage bei ihm in der Klinik zu bleiben.
    Trotz aller ärztlichen Bemühungen verschlechterte sich sein Befinden, und er starb hier am 30. November, um 17:00 Uhr, im Alter von 69 Jahren.
    Mit zunehmendem Alter ließ sein Gehör nach. Bei seinem letzten Konzert in Berlin, am 19. September 1954, vermochte er ausgerechnet bei seiner Zweiten Symphonie manche Stimmen nicht mehr zu hören. Experimente mit einem Hörgerät brachten keinen Erfolg. Anschließend, bei der Einspielung der »Walküre« bewahrte das auf ihn eingespielte Orchester Furtwängler vor »Patzern«. Sein Tod ersparte ihm das Schicksal Beethovens, den er am meisten verehrt und bewundert hatte.


    Ein Jahr nach seinem Tode gaben seine Baden-Badener Freunde den Auftrag, am Felsenweg von Ebersteinburg nach dem Alten Schloss, der nun Furtwänglerweg heißt, eine Inschrift in einen großen Battertfelsen zu schlagen. Der Bildhauer Layer aus Baden-Baden hat die von Forstmeister Belzer von Alberti und Dr. von Löwenstein verfasste Inschrift in den schwer zu bearbeitenden Stein gemeißelt. Die Inschrift lautet:


    ZUM GEDENKEN AN
    WILHELM FURTWÄNGLER,
    DEN GROSSEN MENSCHEN,
    DIRIGENTEN UND KOMPONISTEN
    ER STARB AM 30.11.1954 IM
    KRANKENHAUS EBERSTEINBURG
    ER WAR EIN FREUND DIESER
    LANDSCHAFT, ER LIEBTE DIE EIN-
    SAMKEIT IHRER WEGE UND DEN
    FRIEDEN IHRER WÄLDER


    Wer heute den FURTWÄNGLERWEG begehen möchte, orientiert sich - etwas außerhalb des Ortes - an dem Hinweisschild: »Krankenhaus Hospiz Kafarnaum«. Wenige Schritte von diesem Hinweisschild entfernt, führt der Weg - durch ein Holzschild im Wald gekennzeichnet - in den Wald hinein. Nach 800 Metern auf dem breiten Fußweg, kann man dann rechts oben, oberhalb eines Brombeergestrüpps, die Felseninschrift sehen.


  • Man flaniert durch Baden-Baden, sieht plötzlich ein bekanntes Gesicht zwischen einer Kirschlorbeerhecke und fragt sich, wie kommt der hierher?
    Nachfragen ergaben, dass sich der schon sehr betagte Opernsänger Ermano Sens-Grosholz, 1918 in Lugano geboren, für die Errichtung dieser Stele eingesetzt hat, die zum 55. Todestag von Wilhelm Furtwängler eingeweiht wurde.
    Interessant ist, dass das Kulturamt der Stadt heute nicht mehr weiß, wer diesen Kopf geschaffen hat; mit Kultur ist das eben so eine Sache ...


    Ermano Sens-Grosholz verlas - laut Pressemitteilung - eine Laudatio von Christian Frietsch auf den großen Komponisten:
    «Die Verbundenheit von Wilhelm Furtwängler zu unserer Stadt ist von großem Ausmaß und sicher auch unstrittig. Heute vor 55 Jahren starb der große Dirigent und Komponist in dem heute zu Baden-Baden gehörenden Ortsteil Ebersteinburg. In der Zeit des Ersten Weltkrieges im Jahre 1917 hatte Wilhelm Furtwängler mit dem Mannheimer Nationaltheater und Richard Wagners Ring der Nibelungen die erste Aufführung in Baden-Baden. Damit begann die enge Bindung zu unserer Stadt, doch bevor der große Musiker regelmäßig hierher an die Oos kam, sollten fast 30 Jahre einer steilen, bewunderten aber auch konfliktreichen Karriere vergehen.»


    Vor diesen Einweihungsfeierlichkeiten gab es politische Bedenken. Mit Besorgnis hatte die Jungorganisation einer Partei diese angemeldet und meinte:
    »Die Errichtung eines solchen Denkmals für eine Person wie Wilhelm Furtwängler, der Funktionsträger des Nazi-Apparates war, ist inakzeptabel. Sollte die Stadt die historische Problematik nicht erkennen, könne sie in Verruf geraten, es mit der kritischen Auseinandersetzung und Aufarbeitung unserer Geschichte nicht ernst zu meinen.«


    Da haben diese jungen Leute bei ihrer Recherche wohl eine einseitige Literaturauswahl getroffen und sich nicht umfassend informiert. Wer sich wirklich ernsthaft mit dieser Problematik auseinandersetzen und informieren möchte, sollte die 495 Seiten des Buches »KRAFTPROBE« lesen; der Autor Fred K. Prieberg hat hier eine Menge Fakten und Details zusammengetragen. Dieses Buch endet eigentlich auf Seite 436, der Rest ist ein beeindruckender Anhang.


    Weniger Leseaufwand muss man bei Joachim Kaiser treiben, der in einem Beitrag in dem Buch »Ein Maß das heute fehlt« das Folgende formuliert:
    »Um was ging es eigentlich zwischen 1945 und 1954? Furtwängler war natürlich nie Nationalsozialist gewesen. Er konnte in den Entnazifizierungsverhandlungen sogar von sich behaupten er habe "als Einziger innerhalb des deutschen Musiklebens gegen den Nationalsozialismus Stellung genommen, wofür in der Tat eindrucksvolle, von eigensinner Courage zeigende Belege existieren. Vergessen wir doch nicht: Im Zusammenhang mit Furtwänglers Auflehnung innerhalb des Systems gab es keineswegs bloß Zeitungsartikel und Rücktritte und Polemiken. Sondern viel Bedrohlicheres. Goebbels hatte in einer Rede im Berliner Sportpalast im Dezember 1934 öffentlich und machtschäumend viertelstundenlang namens der Partei und Hitlers gegen Furtwängler getobt! Und zwar, weil Furtwängler in aller Öffentlichkeit, nämlich in einer Berliner Tageszeitung, die Rückkehr jüdischer Künstler wie Max Reinhardt und Bronislav Hubermann - die er bei Namen nannte - ins deutsche Kulturleben gefordert hatte. Einige Zeit später hatte Wilhelm Furtwängler geradezu arrogant deutlich mit der völkischen, die Qualitätsfrage ausschließenden Kulturpolitik abgerechnet, welche sich damals gegen den vermeintlichen Kulturbolschewisten Paul Hindemith wandte!
    Das hatte Furtwängler getan. Viele, die ihn später tadelten, waren damals viel schweigsamer und anpassungsfähiger gewesen.«


    Auch in Dietrich Fischer-Dieskaus Buch »Jupiter und ich« findet man eine sehr differenzierte Darstellung der Problematik um Furtwängler. Dieskau stellt hier dar, dass sich »Jupiter«, so nennt Fischer-Dieskau den Dirigenten, 1933 gründlich getäuscht und übersehen hatte, wie seine konservative Einstellung sich in Teilen mit der Nazi-Ideologie zu decken drohte.
    Wenig bekannt ist, dass Furtwängler schon 1934 an Emigration dachte, und es waren immerhin Arnold Schönberg und Max Reinhardt, die ihm zuredeten, die Bastion in Deutschland zu halten.
    Einen wesentlichen Grund für sein Bleiben in Deutschland verschwieg Furtwängler: Er wollte seine todkranke Mutter nicht hier allein zurücklassen.
    Als 1949 die Einladung an Furtwängler erging, in Chicago zu dirigieren, zu einer Zeit also, in der er als fast verklärter Künder seiner Kunst dastand und Amerika hätte Interpretationen bieten können, wie sie dort niemand zustande brachte, da protestierten Horowitz und Rubinstein, die sonst sehr selten einer Meinung waren, da protestierten Eugene Ormandy, Isaac Stern, Fritz Reiner und viele andere.
    Nie mehr würden sie in Chicago auftreten, sollte Furtwänglers Auftritt gestattet werden. Furtwängler zog sich verbittert zurück, denn zu dieser Zeit wurde er in den europäischen Metropolen wieder enthusiastisch gefeiert wie während der 1930er Jahre. Er verstand sich stets als offizieller Repräsentant des musikalischen Deutschland.
    Allerdings wurde in der Zeit seiner letzten Konzerte in Europa über eine Amerika-Tournee mit den Wiener Philharmonikern verhandelt, die dann durch den Tod Furtwänglers nicht mehr zustande kam. Vermutlich hätte er dann dort 1955 einen freundlicheren Empfang erwarten dürfen, wenn er mit dem Orchester aus der »Frontstadt« Berlin und anschließend mit den Wiener Philharmonikern musiziert hätte.
    Furtwängler entstammte einem elitären Elternhaus und hatte demnach eine völlig andere Sicht auf die Dinge, als »normale« Menschen. Er verstand sich ja zunächst als Komponist und zweifelte wohl weniger an seinen Kompositionen, sondern eher an der Bildung des Publikums. Furtwängler bezeichnete den Beruf des Kapellmeisters als Exil. Aber da stand er ja nicht alleine, sondern in einer Linie mit Strauss, Pfitzner und Mahler, wobei diese heute natürlich eindeutig als Komponisten wahrgenommen werden.
    Der Vater förderte den Sohn nach Kräften und »kaufte« ihm sogar ein Orchester, aber dem Vater war es nicht mehr vergönnt die weitere Entwicklung Furtwänglers zu erleben, sicher wäre er mächtig stolz gewesen.
    In Zürich, als Anfänger, dirigierte Wilhelm Furtwängler Franz Lehárs »Lustige Witwe«; das konnte natürlich nicht gut gehen; Eberhard Straub schildert das in seinem Buch »Die Furtwänglers« so:
    »Der vergrübelte deutsche Jüngling brachte diese köstliche Nichtigkeit um all ihren Charme, indem er sie wie eine Affäre am Hof der Gibichungen in Wagners Worms behandelte. Lehár tobte über die "sinfonische Ramasurie" eines "gewissen Furtwendler", eines Hallodri, der "meine Witwe so sehr geschändet hat, dass sie bald in der Schweiz keiner mehr anschaut, und dass, wo man dort so gut zahlt!" Zum Nutzen und Vorteil Lehárs nahm Furtwängler schon im April 1907 auf eigenen Wunsch seinen Abschied.«


    Etwas später war Furtwängler dann am Hoftheater zu München Hilfskapellmeister. Dort nahm ihn Felix Mottl unter seine musikalischen Fittiche und führte ihn an Wagner heran.
    Der eigentliche Durchbruch dürfte Furtwängler in Lübeck gelungen sein, wo er vier Jahre verbrachte und sich zum »jungen Genie« entwickelte. Hier baute er sich ein Repertoire auf, das etwa 120 Werke umfasste.
    Artur Bodanzky, der Wagner-Spezialist, wechselte an die Metropolitan Opera New York und hatte Furtwängler für Mannheim entdeckt. Mannheim war für ihn privat kein unbekanntes Terrain, seine Großmutter und deren Tochter lebten in der Stadt.
    In der Zeit des Ersten Weltkrieges, im Jahre 1917, hatte Wilhelm Furtwängler mit dem Mannheimer Nationaltheater und Richard Wagners »Ring der Nibelungen« die erste Aufführung in Baden-Baden. Damit begann die enge Bindung zu dieser Stadt.


  • Wenn man durch die Lande fährt und an einem Haus eine Gedenktafel sieht, wird Interesse geweckt. So auch bei der Durchfahrt durch Lenzkirch im südlichen Schwarzwald, einem Ort mit etwa 5.000 Einwohnern, wo diese Fotos entstanden; das Haus liegt in unmittelbarer Nähe einer Tankstelle.


    Der Komponist Paul Hindemith hatte sich 1935 hierher zurückgezogen und wohnte in der ehemaligen Pension Döbele in der Freiburger Straße 36. Die damaligen Inhaber wussten anfänglich nicht, welch berühmter Gast bei ihnen für 4,90 Reichsmark täglich Quartier bezogen hatte. Luise Döbele, so ist überliefert, soll auf Nachfrage von einem »Städter, der Erholung braucht und viel Musik macht» gesprochen haben.
    Für Hindemith schien dieser Aufenthaltsort wohl ideal, um seine berühmteste Oper »Mathis der Maler« zu vollenden. Das Werk erzählt das Leben des Renaissance-Malers Matthias Grünewald, Schöpfer des berühmten »Isenheimer Altars«. In Lenzkirch schrieb Hindemith nachweislich auch den Text des beeindruckenden Librettos. Die Oper wurde dann am 28. Mai 1938 in Zürich uraufgeführt.


    Nach der Machtübernahme der Nazis bekam auch Paul Hindemith die Auswirkungen der neuen Kulturpolitik rasch zu spüren: Goebbels bezeichnete ihn als »atonalen Geräuschemacher«, viele der bereits erschienen Werke wurden von der Reichsmusikkammer als »kulturbolschewistisch« abgestempelt und verboten. Auf den Index geriet auch sein Werk, »Mathis der Maler«: Die Oper und die gleichnamige Symphonie brachten Hindemith mächtigen Ärger mit den Machthabern dieser Zeit ein. Sie verstanden die scheinbar harmlose Geschichte um den Maler Matthias Grünewald und seinen Kampf um Freiheit als politisches Bekenntnis gegen Hitler.
    Die Restriktionen und Aufführungsverbote der faschistischen Diktatur nahmen in der Folgezeit immer mehr zu. Der Komponist reiste nach seinem Lenzkircher Aufenthalt immer öfter ins Ausland, bevor er 1938 in die Schweiz emigrierte und zwei Jahre später in die USA übersiedelte, wo er an der Yale University lehrte. 1953 kehrte Hindemith ins Nachkriegseuropa zurück, konnte jedoch an seine früheren Erfolge nicht anknüpfen, sondern musste sich von Theodor W. Adorno nachsagen lassen, dass er ein bloßer Musikant, ein Handwerker sei ...


    Diese Gedenktafel wird ganz bewusst an dieser Stelle eingefügt, damit auch hier noch einmal darauf hingewiesen werden kann, wie sehr sich Furtwängler für Hindemith einsetzte. Wilhelm Furtwängler machte am 25. November 1934 mit seinem Artikel »Der Fall Hindemith« in der Deutschen Allgemeinen Zeitung publizistisch wirkungsvoll auf die Situation Hindemiths aufmerksam: Niemand von der jüngeren Generation habe für das Ansehen der deutschen Musik im Ausland so viel getan wie Hindemith. Man könne es sich nicht leisten, auf Hindemith zu verzichten. Hermann Göring und Joseph Goebbels reagierten verärgert.


    Paul Hindemith starb zehn Jahre nach seiner Rückkehr aus Amerika, 1963 in Frankfurt am Main.

  • Tamino XBeethoven_Moedling Banner
  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Lieber Hart,


    danke für Deine ausgezeichneten Beispiele und Informationen über der Musiker Ehrenplätze und Gräber. Das ist eine ganz hervorragende "Forscherarbeit", die äußert wertvolle Erkenntnisse und belegtes Wissen liefert. Du Glücklicher arbeitest damit weitgehend allein an wunderschönen Themen. Wir unverbesserliche "Streithammel" schlagen uns derweil bei der unendlichen Diskussion um das Regietheater die Köpfe ein. Aber vielleicht, wenn wir noch "älter" und vielleicht ein wenig weise werden, kommt auch bei uns die Klugheit dazu. Deine Beispeile und die Texte sind so wertvoll, dass Du einmal überlegen solltest ob daraus nicht ein Bildband entstehen könnte. Das Bildmaterial und die Texte dafür hast Du ja schon. Ich bestelle schon heute 3 Exemplare!


    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Ich bestelle schon heute 3


    Lieber Operus,
    schönen Dank für die Blumen, aber wo kämen wir denn hin, wenn sich jeder gleich drei Bücher unter den Nagel reißen würde ... wir hätten vor den Buchhandlungen Zustände wie bei Harry Potter.
    Und zum Regietheater:
    Der Katalane Calixto Bieito ist im Anmarsch auf Schwetzingen! Er wird erstmals bei den Schwetzinger Festspielen 2015 eine Oper inszenieren - man wird von mir diesbezüglich hier nichts lesen, da hilft nur Schweigen ...


  • Die beiden Steine stehen vor Ort einige Meter voneinander entfernt





    Das Geburtshaus von Fanny und Felix Mendelssohn stand in der Großen Michaelisstraße 14 zu Hamburg, unten war ein Frühstückslokal mit Bierausschank und ein Delikatessengeschäft. Das Haus befand sich in unmittelbarer Nachbarschaft von Michel und Elbe.
    Fanny wurde hier am 14. November 1805 geboren, ihr Bruder Felix am 3. Februar 1809. Aber bereits 1811 erfolgte der Umzug nach Berlin; die Mendelssohns fühlten sich in Hamburg wegen der französischen Besatzung nicht wohl.
    Berlin und Leipzig haben natürlich im Schaffen Mendelssohns - der Nachname des Onkels Bartholdy wird erst später angehängt - eine größere Bedeutung.
    Aber man hatte in Hamburg das Bedürfnis darauf hinzuweisen, dass die beiden Musiker hier geboren sind. Felix Mendelssohn-Bartholdy, von Robert Schumann als der »Mozart des 19. Jahrhunderts« bezeichnet, ist der breiteren Bevölkerung ein Begriff, weniger bekannt dürfte sein, dass die ältere Schwester Fanny Hensel, die mit einem Hofmaler verheiratet war, heute in Fachkreisen auch als durchaus ernstzunehmende Komponistin gilt, die etwa 500 Werke komponierte, wovon nur verschwindend wenig im Druck erschien ist. Sie wirkte mit ihren damals in Berlin berühmten »Sonntagsmusiken« eher »halböffentlich«, also einerseits im privaten Rahmen, aber auch nicht ganz im Verborgenen. Mit ihrem jüngeren Bruder bildete sie eine Künstlergemeinschaft, wurde jedoch vom Bruder und vom Vater unmissverständlich auf ihre weibliche Rolle hingewiesen, die mit musikalischer Professionalisierung nicht vereinbar sei. Erst kurz vor ihrem frühen Tod entschloss sich Fanny Hensel eine kleine Anzahl ihrer Werke herauszugeben.


    So stehen nun in Hamburg zwei Stelen, deren Aufstellungsort sich zumindest in der Nähe des nicht mehr vorhandenen Geburtshauses der Mendelssohn-Geschwister befindet. Der Standort ist auf der dem Michel gegenüberliegenden Straßenseite der Ludwig-Ehrhard-Straße. Der Weg hinter den beiden Denkmalen trägt die Bezeichnung »Geschwister-Mendelssohn-Stieg«. Nicht nur Felix, sondern auch seine Schwester hier zu ehren bot sich an, weil beide hier - wie bereits erwähnt - in allernächster Nähe das Licht der Welt erblickten und es 1997 genau 150 Jahre her war, dass beide starben.
    Die Vorderseite der Steine zieren Porträts der beiden. Auf der Rückseite der Denkmäler befinden sich Notenzitate. Bei Fanny ist es der Anfang vom »Schwanenlied«, ihrem Opus 1. Dort ist alles auch so, wie es sein soll. Bei Felix' Stein jedoch, auf dem das erste Thema vom ersten Satz des berühmten Violinkonzerts zitiert wird, hat sich der Steinmetz verhauen: Im dritten Takt ist die erste Note eine Viertelnote. Richtig wäre eine halbe.
    Im Herbst dieses Jahres haben sich sogar Privatleute gefunden, die dafür sorgen wollen, dass es im Bereich der beiden Denkmalsteine auch ordentlich ausschaut, sogar an Frühjahrsblüher wurde gedacht.



  • Als Heinrich Marschner 1830 eine sichere Anstellung suchte, fand er diese am Königlichen Hoftheater zu Hannover und erlebte in seiner 28 Jahre währenden Tätigkeit drei verschiedene Regenten.
    Er eröffnete hier 1852 das neue und damals flächenmäßig größte Theatergebäude Deutschlands, das war 22 Jahre nach seinem Amtsantritt.


    Es fügte sich gut, dass fast zeitgleich mit Marschner ein neuer Regent nach Hannover kam, Wilhelm IV., der als hochgebildeter Musikliebhaber großes Interesse am Hoforchester hatte. Interessant ist, dass Marschner zu dieser Zeit ein erfahrener Kapellmeister und berühmter Komponist war, aber in der 15 Monate währenden Probezeit nur 1000 Taler erhielt, während der 1. Tenor mit 2500 beglückt wurde.
    Während seiner Zeit in Hannover komponierte er immerhin vier Opern: »Des Falkners Braut« (1832) / »Hans Heiling« (1833) / »Das Schloß am Aetna« (1836) / »Der Bäbu« (1838).
    Gegen Ende der 1830er Jahre befindet sich Marschner auf dem Höhepunkt seiner kompositorischen Laufbahn, wobei jedoch zu erwähnen ist, dass die nach »Hans Heiling« entstandenen Opern nicht mehr so erfolgreich waren. Als in dieser Zeit die italienischen Opern auf den Plan traten, war Marschner darüber nicht gerade glücklich, aber die hohe Herrschaft verlangte danach; hier galt der Satz: Wer zahlt, bestimmt die Musik.
    Insbesondere galt dies auch für den neuen Herrscher, Georg V. ab 1851, der sich extrem reaktionär gebärdete, aber auch exzellent musikalisch gebildet war und selbst komponierte. Nun waren Wagner und Berlioz angesagt, und um deren Werke aufführen zu können, wuchs die Anzahl der festangestellten Orchestermitglieder von bisher 45 auf 75. Unmittelbar nach der Eröffnung des neuen Hoftheaters (1852) bat Marschner um seine Entlassung, weil er bisher vergeblich um eine lebenslange Anstellung kämpfte. Die ins Auge gefasste Abwanderung nach Köln fand nicht statt, Majestät bewilligte 2000 Taler Gehalt bei lebenslänglicher Anstellung mit Pensionsberechtigung. In den folgenden Jahren hatte Marschner große familiäre Sorgen, denn von seinen zehn Kindern aus zweiter Ehe starben die meisten in kurzen Abständen weg, letztendlich blieb ihm nur eine Tochter. 1855 heiratete er seine vierte Frau, eine Sängerin, die um 31 Jahre jünger war, es gab Gerede in Hannover ...
    Mit Erreichen des 65. Lebensjahres wurde Marschner pensioniert. In seinen letzten Lebensjahren versuchte er auf zahlreichen Reisen sein Opernschaffen zu aktivieren, was jedoch nicht mehr gelang. Heinrich Marschner hatte sich überlebt und starb zehn Tage vor Heilig Abend des Jahres 1861.


    Aufruf in der Niederrheinischen Musikzeitung im Januar 1862 zu Beiträgen für das Marschner-Denkmal in Hannover:


    »Der am 13. d. Mts. erfolgte Tod Heinrich Marschner´s hat die Gemüther aller Deutschen, welche der Entwicklung ihrer nationalen Kunst mit Theilnahme folgen, in schmerzliche Trauer versetzt. Wohin die Kunde gedrungen ist, da sind auch die Stimmen dankbarer Anerkennung laut geworden, dass das Vaterland in dem Geschiedenen einen Mann verloren hat, hoher Ehren werth, einen gottgesegneten Geist, dessen Schöpferkraft eine Quelle edelsten Genusses war für die Mitlebenden, und es bleiben wird für die kommenden Geschlechter. Wo in unserem grossen Deutschland der Pflege der Kunst eine Stätte bereitet ist, da hat auch das gesangesfrohe Volk an den Tönen des Meisters sich erquickt, hat mitgetrunken aus dem Born der Harmonieen, in denen er, mitfühlend mit dem Volke in Leid und Freude, das Empfindungsleben der Nation gespiegelt hat, in Weisen ihres eigensten Charakters demselben künstlerisch Gestalt verleihend. Solche Schöpferkraft auf dem Gebiete des Schönen soll der Deutsche feiern mit Stolz als eine Ehre seines Namens, über das flüchtige Wort hinaus soll dauerndes Erz den Ruhm des Meisters und mit ihm der Nation verherrlichen. An welchen Theil, an welchem Ort des grossen Vaterlandes könnte die Mahnung hierzu dringender herantreten, als an Land und Stadt Hannover, die zweite Heimat des edlen Todten, wo er die Tage seiner höchsten Kraft, seines segenreichsten Wirkens lebte! An die Hannoveraner zunächst desshalb wenden sich die Unterzeichneten, nachdem sie sich vereinigt haben, um den Plan, Heinrich Marschner in der Residenzstadt Hannover ein Denkmal zu errichten, zur Ausführung zu bringen. Aber auch an die Freunde des Geschiedenen im weiten Vaterlande richten die Unterzeichneten die Bitte, dem zu schaffenden Werke durch freundliche Gaben ihre Unterstützung angedeihen zu lassen. Dem ganzen Deutschland hat Marschner´s Herz geschlagen, dem ganzen Deutschland hat seine Muse gesungen, das ganze Deutschland hat sich seiner Muse gefreut. So werde denn auch das Denkmal Marschner´s ein neues redendes Zeugnis von dem einigen Geiste, der alle Glieder der Nation beseelt! Hannover, den 30. December 1861.
    Graf v. Bennigsen (Präsident). Dr. E. Frederich, Joseph Joachim u.s.w. Die Expedition der Niederrheinischen Musikzeitung (M. DuMont-Sehauberg´sche Buchhandlung, Hohestrasse Nr. 133) nimmt Beiträge aus Köln und der Rheinprovinz in Empfang.«


    Wie in alten Schriften dargestellt wird, gingen nach diesem Aufruf die Beiträge eher spärlich ein, zumal kolportiert wurde, dass Marschners Tochter Toni mit sieben Kindern in drückenden Verhältnissen zu Hamburg lebe - es wird berichtet, dass dies Falschmeldungen waren.
    Die berühmtesten Bildhauer dieser Zeit beteiligten sich, wegen des geringen Geldbetrages von nur 9000 Talern, nicht an der Ausschreibung zur Anfertigung des Denkmals. Den Auftrag erhielt dann der aus Celle stammende Ferdinand Hartzer.
    So ein Personendenkmal war im 19. Jahrhundert wohl die höchste Ehrung, die einer Person zuteilwerden konnte. Heinrich Marschner war schließlich der erste hannoversche Generalmusikdirektor und war so populär, dass die Firma Bahlsen um 1900 herum einen »Marschner-Keks« im Sortiment hatte (ich bin sogar im Besitz eines Rezeptes zur Herstellung einer Marschner-Torte).
    Das Denkmal wurde am 11. Juni 1877 vor der Oper feierlich eingeweiht. Fotos von diesem Tag zeigen, dass das ursprüngliche Denkmal umfangreicher gestaltet war. Auf dem alten Foto sieht man nämlich zu Füßen des Komponisten rechts und links noch zwei Frauengestalten, die - so ist in alten Beschreibungen zu lesen - die dramatische und lyrische Musik symbolisieren sollen. Andere Quellen sprechen von Musik und Gesang oder auch Poesie und Musik.


    Eine gewisse Symbolik kann man auch konstatieren, wenn man weiß, dass das Marschner-Denkmal seinem ursprünglichen Standort entrückt ist, und nun in einiger Entfernung zur Oper aufgestellt wurde, weil man um 1960 an der Oper eine Tiefgarage benötigte. Heute steht Heinrich Marschner etwas abseits der Oper - an der Georgstraße.


  • Hinweistafel in Leipzig


    Diese Gedenktafel am Haus der Funkenburgstraße 8 in Leipzig weist auf Lortzings Wohnung im ehemaligen Gartenhaus hin. Leute, die diese Daten kritisch hinterfragt und in alte Adressbücher geschaut haben, meinen, dass die Angaben auf dieser Tafel falsch sind. Otto Werner Förster sagt, dass diese Angaben auf den Altphilologen und Stadtbibliothekar Gustav Wustmann zurückgehen, der sie in seinem »Bilderbuch aus der Geschichte der Stadt Leipzig« 1897 publiziert hat. Diese Daten wurden dann in der Folgezeit immer wieder so abgeschrieben und verbreitet. Lortzing schrieb zwar im März 1938 an seinen Verleger:
    »Meine Wohnung ist die große Funkenburg«, aber diese Postadresse galt auch für die verstreuten umliegenden Grundstücke. Lortzing wohnte ein Stück daneben. Laut Leipziger Adressbuch Frankfurter Straße 28. Als Lortzing im Jahre 1844 Kapellmeister wurde, zog er mit seiner Familie in das Gartenhaus mit Anbau hinter der Funkenburg.
    Die jungen Lortzings waren aus Detmold gekommen, wo sie am Hoftheater beschäftigt waren. Ihre Eltern, ebenfalls Bühnenkünstler, waren bereits früher nach Leipzig übergesiedelt.
    Leipzig war im Vergleich mit Detmold eine ganz andere Stadt und hatte damals schon 50.000 Einwohner, war damals schon Messestadt, eine Stadt der Literatur und Musik. Es war aber auch ein Wechsel vom Hoftheater zu einem Stadttheater.
    In dieser Zeit schrieb Regina Lortzing an ihre Schwester:
    »Mein Mann ist sehr fleißig, er muß viel Komödie spielen, denn er ist hier sehr beliebt, und außer dem Komödiespielen componiert er auch noch sehr fleißig.«
    Ja, er war hier sehr beliebt, vor allem beim Publikum, genau wie vorher in Detmold auch. Intrigen, von denen er durch seinen Freund Robert Blum bereits im Vorfeld erfuhr, kosteten ihn das Amt. Das folgende Engagement war in Wien, danach kehrte er nochmals für kurze Zeit nach Leipzig zurück.




    Gedenktafel - Luisenstraße 53 / Berlin-Mitte


    Albert Lortzing traf am 30. April 1850 mit der Eisenbahn in seiner Heimatstadt ein, um sein Engagement am Volkstheater anzutreten. Die Fertigstellung des Theaters hatte sich zwar etwas verzögert, aber Lortzing war von seiner neuen Wirkungsstätte sehr angetan.
    Zunächst wohnte er in unmittelbarer Nähe des Theaters, gleich links um die Ecke, in einem kleinen möblierten Zimmer in der Schumannstraße 15.


    Über diese provisorische Bleibe schreibt er an seine Frau:
    »Wäre ich nur mindestens für meine Person eingerichtet und hätte meine Sachen, Klavier, Noten etc., aber dazu habe ich, solange ich Chambre garni wohne, keinen Platz, denn in meinem Zimmer kann kein Instrument stehen ...«


    Als ihm die Vermieterin urplötzlich kündigte, zog er für ein paar Tage in »Töpfer´s Hotel« an der damaligen Karlstraße 32 (heute Reinhardtstraße).
    Seiner Familie, die noch in Leipzig weilte, berichtete er:
    »Es läßt sich hier ganz schön leben, - aber Geld muß man dazu haben. Nun ist noch das Unglück, daß man so fürchterlich weit und viel zu gehen hat, und so viel Appetit bekommt; ich wenigstens habe immer Hunger ...«
    Mitte Juni konnte der Familienvater dann endlich seiner Frau nach Leipzig berichten, dass er in Berlin eine Wohnung gefunden hatte und das las sich so:


    »Gestern habe ich den entschiedenen Schritt gewagt und eine Wohnung gemietet. Sie besteht aus 5 Piecen. Zwei Stuben vorne heraus, drei mehr oder weniger kleinere nach hinten; Küche, Keller und Bodenraum etc., zwei Treppen hoch - kostet aber hundertvierzig Taler. Du wirst ach und weh schreien, aber es ging nicht anders; die kleineren Wohnungen zu 100 Taler waren alle für uns zu klein ...«


    Es war die letzte Heimstatt des Komponisten. Eigentlich konnte er sich diese Wohnung bei Lichte besehen überhaupt nicht leisten. Seine Opern brachten ihm nichts mehr ein und sein Engagement als Kapellmeister war recht dürftig besoldet. Das Jahr 1850 ging trostlos zu Ende, denn sowohl politische als auch finanzielle Gründe führten zur Schieflage des Theaters. Lortzings Vertrag, der bis Mai 1851 gelten sollte, wurde bereits zum 1. Februar gekündigt. Auch mit der Gesundheit des in erbärmlichen Verhältnissen lebenden Komponisten stand es nicht gut.
    Am 18. Januar 1851 stand Albert Lortzing im Friedrich-Wilhelmstädtischen Theater zum letzten Mal am Dirigentenpult, und am 24. Januar verließ er seine letzte Wohnung für immer.

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  • Heute steht Heinrich Marschner etwas abseits der Oper - an der Georgstraße.

    Leider auch völlig abseits des Spielplans der Niedersächsischen Staatsoper Hannover. Es gibt zwar noch den Marschner-Saal, aber Musik von ihm erklingt schon lange nicht mehr in diesem Hause. Zu seinem 150. Todestag im Dezember 2011 machte die Hannoveraner Staatsoper NICHTS, keine Neuinszenierung, keine Matinee oder Soiree zu seinem Gedenken, nicht mal eine Ouvertüre oder ähnliches wurde im wenige Tage später stattfindenden Sinfoniekonzert ins Programm genommen, einfach NICHTS! :no:


    Wenn ich mich hier aber nun schon "einklinke", möchte ich dir, lieber "hart" großen Dank und Respekt für deine hiesigen Beiträge bekunden! :yes: :jubel: :hello:

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Lieber hart,
    auch von meiner Seite ergeht ein herzlicher Dank für die Mühe, mit der Du (nicht nur) diesen wunderbaren thread gestaltest.
    Ich habe leider die Leipziger Musiker in letzter Zeit ein wenig vernachlässigt und bin umso dankbarer, dass Du Lortzing gewählt hast.


    Es kann gut sein, dass der übermächtige Chronist Wustmann mit dem Wohnort nicht ganz richtig lag und in der Folge einfach von ihm abgeschrieben wurde (ich kann das für einen Fall, der allerdings nichts mit Musik zu tun hat, bestätigen).
    Als Orientierung könnte man vielleicht darauf hinweisen, dass die heutige Tschaikowskistraße im Waldstraßenviertel die ehemalige Gartenallee bildet. Das Gartenhaus selbst ist ja leider verloren, es existieren aber soweit ich mich erinnere noch alte Photographien (unter anderem als Postkarten).
    Die Gedenktafel wurde 2013 auf private Initiative restauriert. Leipzig erinnert immerhin mit dem "Lortzing-Wettbewerb für Nachwuchssänger" an der Hochschule für Musik und Theater an den Komponisten.


    Nochmals herzlichen Dank und beste Sonntagsgrüße
    JLang

    Gute Opern zu hören, versäume nie
    (R. Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln)





  • Etwa 300 Mendelssohn-Nachkommen aus allen Teilen der Welt reisten an, als der Regierende Bürgermeister von Berlin im Jahre 2007 die Familienmitglieder einlud. Damals gab es zwar auch Friedhofsbesuche, aber die Kapelle war zu dieser Zeit noch in erbärmlichem Zustand.
    Diese Gedenkstätte, über die hier berichtet wird, ist eine Kapelle aus dem 18. Jahrhundert, die scheinbar dem Verfall preisgegeben war und den Friedhofsgärtnern als Geräteschuppen diente.

    Das Gebäude wurde dann jedoch mit großem finanziellem Aufwand (900.000 Euro) restauriert und am 3. November 2013 eingeweiht. Musikalisch wurde die Feier mit Werken von Fanny Hensel, Albrecht und Felix Mendelssohn Bartholdy sowie Arnold Mendelssohn umrahmt.


    Die Gedenkstätte befindet sich auf den Friedhöfen vor dem Halleschen Tor am unteren Mehringdamm. Wer von der gegenüberliegenden Straßenseite kommt, hat eher den Eindruck, dass sich hinter der Mauer eine Geisterbahn befindet, so ist die ehemals schöne Klinkermauer verunstaltet (Stand Sommer 2014).
    Dort sind 28 getaufte Nachkommen des jüdischen Philosophen Moses Mendelssohn und ihre Ehepartner begraben.
    Die Gesamtanlage besteht aus den Friedhöfen I, II und III der Jerusalems- und Neuen Kirchengemeinde, dem Friedhof I der Bethlehems- und Böhmischen Gemeinde, dem Friedhof der Herrnhuter Brüdergemeinde und dem Friedhof I der Dreifaltigkeitsgemeinde.
    Auf diesem Friedhof, den man über den Mittelweg und dann rechterhand erreicht, befindet sich die rekonstruierte kleine Kapelle nahe den Ehrengräbern der Mendelssohn Bartholdys mit der Dauerausstellung zur Geschichte der Familie Mendelssohn.
    Man steht verwirrt vor dem imposanten Stammbaum dieser Riesenfamilie, aus dem natürlich für Musikfreunde der Name von Felix Mendelssohn Bartholdy herausragt, wobei seiner älteren Schwester Fanny erst in den letzten Jahren etwas mehr Aufmerksamkeit gewidmet wird. Einer breiteren Öffentlichkeit noch weniger bekannt ist Arnold Mendelssohn, der sich als Kirchenmusiker hervorgetan hat, während Albrecht Mendelssohn Rechtswissenschaftler war, aber im engen Familienkreis »Felix« genannt wurde und der für sein Leben gern Kapellmeister geworden wäre; er komponierte gelegentlich.
    An einer zehnmal vier Meter großen Wand gibt es einen Stammbaum über sieben Generationen. An der ehemaligen Altarwand prangen Reproduktionen von romantischen und modernen Künstlern, die Nachkommen Moses Mendelssohns waren oder in die Familie eingeheiratet haben. Auf 26 erleuchteten Textfoto-Tafeln werden Kurzbiografien präsentiert, auf 24 weiteren thematische Einblicke in Einflussbereiche der Familie: Wirtschaft, Politik, Kunst, Mäzenatentum, Literatur, Musik, Religion und Philosophie. Mehr als 300 Abbildungen gehören zu dieser Schau, viele Porträts und Dokumente sind erstmals zu sehen, ein Großteil von Mitgliedern der weltweit verstreuten Familie zur Verfügung gestellt. In der Vitrine steht auch eine Büste Felix Mendelssohn Bartholdys, ein Bronzeabguss einer Marmorbüste von Rietschel, die auch schon ein paar Jahre Geschichte hinter sich gebracht hat.
    Ursprünglich stand sie nämlich in der neuen Anlage am U-Bahnhof Mendelssohn-Bartholdy-Park, wo sie am 9. Mai 2000 feierlich enthüllt wurde.
    Was in den Jahren danach geschah, drückt die Presse so aus:
    »Im Lauf der Jahre erwies sich der Standort der Büste am U-Bahnhof leider problematischer als erwartet. Der verantwortliche Bezirk konnte Pflege und Säuberung der Büste und des Sockels nicht im notwendigen Umfang sicherstellen ...«


    In unmittelbarer Nähe des bronzenen Bruders steht die neu geschaffene Gipsbüste seiner auch komponierenden Schwester Fanny Hensel; der Künstler Björn Paulissen hat sie neu geschaffen. Da Fanny Hensel zu ihren Lebzeiten kein Star war und sich mit der Inszenierung von Hausmusiken zufrieden geben musste, war an eine Büste nicht gedacht.
    Paulissen hat sich an Zeichnungen und Gemäldedarstellungen von Fanny orientiert und seinen gewonnenen Gesamteindruck dann plastisch ausgedrückt.


    Wie war das nun mit der Künstlerin Fanny Hensel, die ihrem kleinen Bruder Felix zunächst altersbedingt voran ging?
    Man kann schon pauschal sagen, dass es zwischen den beiden Geschwistern viel Harmonie gab, auch in musikalischen Dingen. Ernst wurde es, wenn es Fanny an die größere Öffentlichkeit drängte, das heißt, wenn sie ihre Werke gedruckt sehen wollte.
    Hier bot er - der kleine große Bruder - seine Hilfe zwar an, tat aber gleichzeitig kund, dass er es nicht mochte:


    »Aber zureden etwas zu publiciren kann ich ihr nicht, weil es gegen meine Ansicht und Überzeugung ist. Wir haben darüber früher viel gesprochen und ich bin immer noch derselben Meinung - ich halte das Publiciren für etwas Ernsthaftes (es sollte das wenigstens sein) und glaube man soll es nur thun, wenn man als Autor sein Leben lang auftreten und dastehn will. Dazu gehört eben eine Reihe von Werken, eins nach dem anderen, von einem oder zweien allein ist ein Verdruß von der Öffentlichkeit zu erwarten, oder es wird ein sogenanntes Manuscr. für Freunde, das ich auch nicht liebe. Und zu einer Autorschaft hat Fanny wie ich sie kenne, weder Lust noch Beruf, dazu ist sie zu sehr eine Frau wie es recht ist, erzieht den Sebastian und sorgt für ihr Haus, und denkt weder ans Publikum, noch an die musikalische Welt, noch sogar an die Musik, außer wenn dieser erste Beruf erfüllt ist. Da würde sie das Druckenlassen nur darin stören, und ich kann mich eben einmal nicht damit anfreunden.«


    Als Felix vom Tod seiner Schwester erfuhr, ist er gänzlich zusammengebrochen. Im Gedenken an Fanny entsteht das Streichquartett in f-Moll - eine Art »Requiem« für seine Schwester. Dass Felix Mendelssohn Bartholdy seiner Schwester noch im gleichen Jahr in den Tod folgte, wird allgemein mit dem Tod seiner Schwester in Zusammenhang gebracht.


  • Die Sopranistin Maria Cebotari wird an an der Berliner Hessenallee 12 mit einer Gedenktafel geehrt. Sie wohnte sieben Jahre in dem Haus im Ortsteil Westend in der Nähe des Olympiastadions. Für einen Straßenamen wie in Wien oder Dresden hat es nicht gereicht. In Berlin lebten die ersten weiblichen Weltstars der Oper, die diesen Namen auch verdienten. Lilli Lehmann, Johanna Gadski, Frieda Hempel und Frida Leider wären zuvorderst zu nennen. Sie sind in der Stadt auch begraben, blieben aber bei der Benennung von Straßen immer unberücksichtigt. Als ich vor ein paar Jahren gemeinsam mit Freunden für eine Frida-Leider-Straße streiten wollte, bekam ich zwar freundliche Post vom damaligen Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit und vielen anderen Persönlichkeiten, letztlich erklärte sich aber niemand zuständig. Auf den unteren Behördenebenen, wo über Straßennamen letztlich entschieden wird, wusste niemand, wer diese Leider überhaupt gewesen ist. Nur nicht an Straßennamen rühren! Berlin verfällt zwar bei jeder sich bietenden Gelegenheit in eine regelrechte Gedenkhysterie und wirft reflexartig massenweise Kränze an jeder Hausecke ab, für Sänger bleibt aber nicht viel übrig. Arm aber sexy! Wer so ein Motte ausgibt für eine Stadt, der sagt unfreiwillig sehr viel aus über das nicht vorhandene geistige Klima. Diese Cebotari-Tafel ist aber auch schon etwas - wobei man auf die sprachlichen Formulierungen mehr Sorgfalt hätte verwenden sollen. Westend war ein von etlichen Künstlern bevorzugtes Quartier. Die Leider wohnte gleich um die Ecke. Auch Dietrich Fischer-Dieskau lebte gemeinsam mit seiner Frau Julia Varady dort.


    Das Stammhaus der Cebotari in Berlin war die Staatsoper, wo sie ein auffallend umfängliches Repertoire bediente. Sogar die Carmen war darunter. Als Mitschnitt haben sich große Teile der Uraufführung der Oper "Das Schloss Dürande" von Othmar Schoeck nach Eichendorff aus dem Jahr 1943 erhalten. Sie sind vorbildlich im Rahmen der schweizerischen Jecklin-Edition veröffentlicht worden - und zwar als das, was sie sind: Bruchstücke. Das Label Cantus Classics hat das Dokument später einfach übernommen und so getan, als handele es sich um die vollständige Oper.


    Maria Cebotari war mit dem österreichischen Schauspieler Gustav Diessl verheiratet, der 49jährig noch vor ihr starb. Sie hatten zwei Söhne, Fritz und Peter, die vom englischen Pianisten Clifford Curzen und seiner Frau Lucille Wallace-Curzon, einer bedeutenden Cembalistin, adoptiert wurden. Als ich neulich an ganz anderer Stelle (nicht in einem Forum!) etwas über Maria Cebotari schrieb, bekam ich unerwartete Post aus England von Fritz, der sich auch im Namen seines Bruders dafür bedankte. Das hat mich dann doch gerührt. Und hier ein schönes altes Familienfoto der Curzens:


    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Arm aber sexy! Wer so ein Motte ausgibt für eine Stadt ...


    Da hast Du mir aus der Seele gesprochen, lieber Rheingold, auch die Behandlung der Mendelssohn-Büste vor der Sicherstellung in der Kapelle spricht Bände ...
    Als Maria Cebotari starb war ich noch ein Schuljunge und interessierte mich nicht so sehr für diese Dinge, aber ich weiß noch, dass das für die allgemeine Öffentlichkeit ein großes Thema war. Die Presse sprach von diesem Begräbnis in Wien als einer der eindrucksvollsten Kundgebungen von Liebe und Verehrung, die ihr zuteilwurde. Wenn ich es recht erinnere, hat man ihren Sarg vor der Beisetzung noch einmal um das Opernhaus getragen.


    Damit Interessierte Details über die sängerische Laufbahn von Maria Cebotari nachlesen können, stelle ich den Text eines bewährten Sängerlexikons zu Deinem Beitrag.


    Cebotari, Maria Sopran, * 10.2.1910 Kischinew in Bessarabien, † 9.6.1949 Wien (nach langer Krankheit). Ihr eigentlicher Name war Maria Cebutaru. Sie schloß sich dem Moskauer Künstlertheater, einer Wanderbühne von Emigranten an, die in ihrer Heimat gastierte, und heiratete später deren Leiter, den Grafen Alexander Wiruboff. 1929 entschloß sie sich in Paris Sängerin zu werden. Nach kurzem Studium bei Oscar Daniel in Berlin wurde sie 1931 durch Fritz Busch an die Staatsoper von Dresden verpflichtet. Ihre Antrittsrolle war hier die Mimi in »La Bohème« große Karriere in Dresden bis 1943. Sie sang in Dresden 1932 in der Uraufführung der Oper »Mister Wu« von E. d'Albert, am 6.12.1933 in der von Mark Lothars »Münchhausen«, am 25.6.1935 die Aminta in der Uraufführung der »Schweigsamen Frau« von Richard Strauss, am 31.3.1936 in der Uraufführung der Oper »Der verlorene Sohn« von Robert Heger, am 13.4.1940 die Julia in der Uraufführung von H. Sutermeisters »Romeo und Julia«. Seit 1935 gastierte sie regelmäßig an der Berliner Staatsoper, seit 1941 war sie deren reguläres Mitglied, seit 1936 auch der Staatsoper Wien verbunden. In Berlin bewunderte man ihre Butterfly, ihre Daphne in der Premiere der gleichnamigen Richard Strauss-Oper (1939), ihre Antonida in Glinkas »Ein Leben für den Zaren« (1940), der Oper von Rom als Konstanze und als Eurydike im »Orpheus«. Bei den Festspielen von Salzburg namentlich als Mozart-Interpretin bewundert. 1931 sang sie dort den Amor im »Orpheus« von Gluck, 1932 das Meermädchen im »Oberon« von Weber, 1938 und 1946-47 die Gräfin in »Figaros Hochzeit«, 1938 die Sophie im »Rosenkavalier«, 1939 und 1945 die Konstanze in der »Entführung aus dem Serail«, 1939 und 1948 die Eurydike im »Orpheus« von Gluck; dazu wirkte sie in Salzburg bei Konzerten mit. Sie war eine der beliebtesten Film-Sängerinnen ihrer Generation. Ihre Erfolge beim Tonfilm hatte sie seit 1936 (»Mädchen in Weiß«), vor allem als Partnerin des berühmten italienischen Tenors Benjamino Gigli (»Mutterlied«, »Amami Alfredo«). In den Film »Drei Frauen um Verdi« (1941) stellte sie die mit dem großen Komponisten befreundete Sängerin Teresina Stolz dar, in einem anderen die unvergessene Primadonna Maria Malibran. 1938 trennte sie sich von dem Grafen Wiruboff und heiratete den Filmschauspieler Gustav Diessl (1899-1948). 1943 folgte sie einem Ruf an die Staatsoper von Wien; hier war sie in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg sehr erfolgreich. Sie trat in den Nachkriegsjahren auch als Gast in Zürich, Graz, Innsbruck und Bern auf. Am 6.8.1947 sang sie bei den Salzburger Festspielen in der Uraufführung von »Dantons Tod« von G. von Einem die Partie der Lucille, am 15.8.1948 in der Uraufführung von »Le Vin herbé« von Frank Martin die Iseut. Als letzte Rolle sang sie, bereits schwer erkrankt, am 1.4.1949 in Wien die Laura im »Bettelstudenten« von C. Millöcker. Zwei Monate später erlag sie einer unheilbaren Krankheit. Die beiden verwaisten Söhne des Ehepaars Diessl-Cebotari wurden nach dem frühen Tod ihrer Eltern durch den englischen Pianisten Clifford Curzon adoptiert. - Leuchtende, ausdrucksvolle Sopranstimme, die sich in einem breiten Bühnen- und Konzertrepertoire bewährte, zumal als Richard Strauss-Interpretin, aber auch im Mozart-Repertoire überzeugend. Auf der Bühne wie im Film durch ihre charmante Erscheinung ausgezeichnet.
    Lit.: A. Mingotti: »Maria Cebotari« (Salzburg, 1950).
    Schallplatten der Marken Parlophon, HMV, Polydor, Urania und DGG. Ihre früheste Aufnahme findet sich auf HMV, ein Duett aus »La Bohème« zusammen mit Marcel Wittrisch, von 1932. Sie sang auf Melodram die Partie der Gräfin in einer Aufnahme des Finales des 2. Aktes von »Figaros Hochzeit« aus einem Gastspiel der Wiener Staatsoper an der Mailänder Scala von 1947, auf der gleichen Marke das Sopransolo in der 2. Sinfonie von Gustav Mahler. Auf Preiser ist sie als Luisa Miller in Verdis Oper (Dresden, 1943), auf Acanta als Susanna in »Figaros Hochzeit« (Stuttgart, 1938), auf Jecklin Disco in »Das Schloß Dürande« von Othmar Schoeck zu hören.


    [Nachtrag] Cebotari, Maria; sie gastierte in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg auch in Italien, so 1947 am Teatro Massimo Palermo als Butterfly und als Traviata, 1948 an der Oper von Rom als Donna Anna im »Don Giovanni«. - Schallplatten: KochSchwann (Titelrolle in »Turandot« von Puccini, Reichssender Stuttgart, 1938).


    [Lexikon: Cebotari, Maria. Kutsch/Riemens: Sängerlexikon, S. 4024 (vgl. Sängerlex. Bd. 1, S. 601) (c) Verlag K.G. Saur]

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