Ludwig van Beethoven: Sinfonie Nr 5 op 67 "Schicksalssinfonie"

  • Zitat

    Jacques: Jetzt aber Schluss, sonst kriege ich ein rote Karte von Willi.

    Warum denn, lieber Jacques, davon kann doch keine Rede sein. Erstens bin ich bis auf unsere unterschiedlichen Ansichten über Paavo Järvis Lesart mit deinen anderen Ansichten über Karajan (was ja auch aus meinen Karajan-Postings hervorgeht) absolut einer Meinung, sowie auf die Zukunftsaspekte in Beethovens Musik bezogen, die sich ja auch auf die Ausführungen Glockentons bezieht, und zweitens bin ich nicht derjenige, der rote Karten verteilen darf. Wohl aber darf ich meine Meinung wahrnehmen. Und die habe ich auch früher schon, vor allem, was Beethovens Klavierwerke betrifft, sogar auch Mozarts, in anderen Threads vertreten und war da anderer Ansicht als die Freunde historischer Instrumente.
    Ich hatte vor vielen Jahren mal zwei CD's erworben mit den Beethoven-Klavierkonzerten 1, 2 und 5, gespielt von Robert Levin und Sir John Eliot Gardiner und dem Orchestre Révolutionnaire ét Romantique, und da gefiel mir der dünne Klang des "fortepiano", auf dem Robert Levin spielte, überhaupt nicht. Das klang mir überhaupt nicht wie "Beethoven". Noch schlimmer war es einige Jahre später, als Jos van Immerseel mit seinem Orchester Anima Eterna eine gnze Reihe von Mozart-Konzerten in der Essener Philharmonie aufführte. Für das erste Konzert hatte ich eine Karte in der 8. Reihe Mitte. Van Immerseel dirigierte vom Instrument aus, einem historischen Fortepiano aus seiner eigenen reichhaltigen Sammlung historischer Tasteninstrumente. Man hörte ihn nur in den Solostellen. In den Tuttipassagen sah man ihn nur spielen, zumal sein Orchester eine gehörige Wucht entwickelte. Das war nicht meine Welt, und ich habe dann vom Kauf weiterer Karten Abstand genommen.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).


  • Beethoven, Symphonie Nr. 5 c-moll op. 67 "Schicksalssamphonie"
    SWR-Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg
    Dirigent: Michael Gielen
    Spielzeiten: 6:52-8:26-4:41-9:43 -- 29:42 min.;


    Nun habe ich auch die Fünfte in Gielens Lesart gegengehört, und er ist wirklich sehr schnell unterwegs, im Kopfsatz von allen vier LIVE-DVDs am schnellsten, und auch im Andante ist er flott, fast genau wie Järvi und eine Minute schneller als Abbado. Das Feuer, das bei Karajan, Järvi und auch bei Abbado brennt, will sich hier nicht so recht entzünden, obwohl sich die Blechbläser unter Führung von Prof. Walter Scholz und ihre Kollegen vom Holz sowie der ausgezeichnete Paukist alle Mühe geben und blasen und schlagen, was geht, und auch die Streicher lassen die Saiten ordentlich schnurren. Aber das Soghafte, dass sich vor allem bei einem Karajan, aber auch bei Järvi einstellt, vermisse ich bei dem hier doch recht unterkühlt wirkenden Michael Gielen ein bisschen. Nicht, dass wirnssn falsch verstehen, dass ist sehr gut musiziert, aber es fehlt noch ein Tick abseits der Noten, das, wie Günter Wand sagte, was hinter den Noten steht.
    Wenn Gielen sagt, wenn es um das Klopfen des Schicksals geht:

    Zitat

    Michael Gielen: Warum kann es denn nicht schnell klopfen? Es ist halt ungeduldig".

    dann muss man das auch hören können, dann müssen die Streicher etwas schroffer klingen, nicht nur etwas schneller.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Mich ließen doch Josephs und Wolfgangs Elogen auf Bernsteins Aufführung der Fünften mit dem Bayerischen RSO 1976 nicht ruhen, und da habe ich mich mal auf Youtube umgetan und konnte tatsächlich das ganze Konzert (in 6 Teile aufgeteilt) erleben, denn ein Erlebnis allerersten Ranges war es ohne Zweifel, damit braucht sich Bernstein auch vor Karajan 1962 oder 1972 nicht zu verstecken:


    Obwohl im Tempo langsamer, so ist es doch dramatisch an der allerobersten Kante anzusiedeln, mitreißend ohne Ende, und natürlich hat sich Bernstein, hier noch mit 58 Jahren bestens bei Kräften, nicht nur von dieser eruptiven Musk hinreißen lassen (ohne allerdings auch nur im Geringsten die Kontrolle zu verlieren), sondern auch das wirklich hervorragende Orchester, in damalig üblicher Großbesetzung, mitgerissen zu einer wirklichen Sternstunde.
    Da dieses Konzert offenbar in einer Videoaufnahme vorliegt (das Beispiel in Youtube war von Classica Japan), wäre es doch für den Bayerischen Rundfunk wohl kein großes Problem, davon im nächsten Jahr zum 25. Todestag Bernsteins eine DVD herauszubringen, zumal im bspann zu lesen war, dass als Solist Claudio Arrau aufgetreten ist also sicherlich noch ein Beethoven-Klavierkonzert aufgeführt worden ist.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Dass du gerade Gielen abstrafst, kann ich nicht einfach so kommentarlos stehen lassen. Zu mal du Feuer bei Järvi mit Dahinbrausen zu verwechseln scheinst. Beides hat etwa Gleiches zur Folge, ist aber nicht dasselbe.


    Während Järvi Motiv für Motiv im Eilzugtempo aneinanderreiht, dadurch über manches Detail munter hinwegspielt, dass sich erst durch das Atmen entwickeln kann, liefert Gielen hier einen kernigen Beethoven: voll in Saft und Kraft stehend, in Deutscher Orchesteraufstellung. Er lässt die Musik atmen... Ich will nicht verhehlen, dass Järvi imposante Stellen zu bieten hat, aber summa summarum, ist das definitiv nicht mein Beethoven. Und Gott sei dank, stellen sich immer mehr Kritiker ein.



    :hello: LT

  • Da dieses Konzert offenbar in einer Videoaufnahme vorliegt (das Beispiel in Youtube war von Classica Japan), wäre es doch für den Bayerischen Rundfunk wohl kein großes Problem, davon im nächsten Jahr zum 25. Todestag Bernsteins eine DVD herauszubringen, zumal im bspann zu lesen war, dass als Solist Claudio Arrau aufgetreten ist also sicherlich noch ein Beethoven-Klavierkonzert aufgeführt worden ist.


    Ja natürlich lieber Willi,
    das von Arrau fantastisch gespielte Klavierkonzert Nr.4 und die Leonore III gehören mit zum Programm dieses denkwürdigen AI-Konzertes unter Bernstein (alles ist in der abgebildeten-DGF-Box enthalten.
    :thumbup: Es freut mich, dass Du die Sinfonie Nr.5 in dieser überwältigen Aufführung nun auch kennenlernen konntest. Das Du dieses Hörerlebnis genau so begeistert beurteilst wie Josef und ich, darüber gab es bei mir nicht den geringsten Zweifel. :angel: Eine Sternstunde bei der Fünften !

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Lieber Willi,


    Um Gottes willen, nein, Du hast mich falsch verstanden. Der Grund ist hier:


    Werdet ihr nicht langsam ein wenig off topic, lieber Felix und lieber Jacques?


    Da hatte sich Boccherini (ganz von selbst :D) ausgebreitet und ich wollte einfach nicht daß dasselbe hier mit Karajan stattfindet. Ich wollte nicht den Fluß der Diskussion stören. Es genügt, wenn ich mit meinen harten Kritiken ins Forum platze. Das mache ich übrigens nur mit sehr fragwürdigen Interpreten. Du bist ein Pärvi-Anhänger, hast aber ganz gelassen reagiert und ich weiß dies zu schätzen. Ich habe inzwischen Thielemann gehört und finde es in Ordnung. Vor Jahren war ich auf den Beethoven-Zyklus von Gielen gespannt, weil ich ihn gut von der Neuen Musik Ecke kannte. Der hatte mich auch ziemlich enttäuscht.
    Eines möchte ich noch klarstellen: wenn ich für die Fünfte von Partiturtreue spreche, hat es nur mit den Noten, den Phrasierungen und der Dynamik zu tun. Für mich sind Tempo, Reprisen und Instrumentation zweitrangig und müssen alle drei, meiner Meinung nach, der gegenwärtigen Zeit angepaßt werden. Konkret heißt das, daß ein guter Dirigent aus Intinkt ein richtiges Tempo wählen wird; die Komponisten selbst schwanken oft in ihren eigenen Werken. Ob Beethoven die Reprisen wollte oder nicht ist im CD-Zeitalter irrelevant. Und selbst lange vor dieser Zeit, Ende des 18. Jahrhunderts hat sich Grétry gegen das Prinzip der Reprisen geäußert, indem er schrieb, daß die Reprisen nur für die Aufführungen gelten. Von der Instrumentation habe ich schon gesprochen und wenn Karajan mehrere Hornisten spielen läßt, spricht es für seine hohe Musikalität und sein profundes Verständnis von Beethovens Intentionen.


    Viele Grüße
    Jacques :hello:


  • Der Karajan-Enthusiasmus von Glockenton, Jaques und anderen an diesem thred Beteiligten ließen mich meine ambivalente Haltung zu diesen Aufnahmen hinterfragen. Hier nun der Versuch einer differenzierten Beurteilung, auch im partiellen Kontext ähnlicher, meist zeitgenössischer Aufnahmen. Die angesprochene Järvi-Einspielung (RCA) wird nur bedingt zum Vergleich herangezogen, da ich mich auf die zu Zeiten Karajans übliche Breitkopf&Härtel - Ausgabe (weitgehend identisch mit der alten Peters) beschränkt habe. Grundlage sind die erste und die letzte Aufnahme mit den Berliner Philharmonikern. Der Text sei als Ergänzung zu den oben genannten Beiträgen verstanden, bitte nicht als Widerspruch im engeren Sinne, sondern als Überlegungen auf Grundlage vorangegangener Äußerungen.


    Jaques Einwurf

    Zitat

    Eines möchte ich noch klarstellen: wenn ich für die Fünfte von
    Partiturtreue spreche, hat es nur mit den Noten, den Phrasierungen und
    der Dynamik zu tun. Für mich sind Tempo, Reprisen und Instrumentation
    zweitrangig und müssen alle drei, meiner Meinung nach, der gegenwärtigen
    Zeit angepaßt werden.

    folge ich dahin, daß die Reprisenfrage unberücksichtigt bleibt. Tempo und Instrumentation möchte ich nicht außer Acht lassen, zumal diese Aspekte sowohl direkte als auch mittelbare Auswirkungen auf die erstgenannten Parameter haben.


    Zitat

    dass Karajan nicht genau der Partitur folgt, dass er Wiederholungen
    auslässt, dass er manchmal nicht einen einzigen Hornisten, sondern
    mehrere spielen lässt

    Zitat

    wenn Karajan mehrere Hornisten spielen läßt, spricht es für seine hohe Musikalität und sein profundes Verständnis von Beethovens Intentionen.

    Zuvor diese Anmerkungen: Beethoven unterlag offenkundig den technischen Beschränkungen der zeitgenössischen Instrumente. Unter anderen Umständen, d.h. Hörnern mit größerem Tonumfang, hätte er den Hornpart möglicherweise anders auskomponiert. Hier greift allerdings das ebenso klassische wie zutreffende Argument: Für andere Instrumente hätte Beethoven ander(e)s geschrieben. Beethovens hypothetische, fiktive, potentielle Intentionen antizipieren zu wollen erscheint fragwürdig. Spielen Hörner und Fagott b.z.w. Oboe unisono, werden die Holzbläser in den Karajan-Aufnahmen i.d.R. untergebuttert. Die Instrumente unterliegen den gleichen dynamischen Angaben, was zu Beethovens Zeit einen gemischten Klang ergab, während mit dem heutigen Instrumentarium die Holzbläser untergehen. Trotz theoretischer Befolgung des Notentextes liegt hier eine faktische Intervention vor. Eine klare Uminstrumentierung findet sich dann im 4. Satz, wo Holzbläser sogar vom nicht notierten Horn ergänzt werden. Ich finde solche anachronistisch-teleologischen Eingriffe bedenklich, obwohl inkonsequenterweise selbst einige
    Gegner des modernen Regiethea :stumm:... .Beethoven hat exklusiv für den Finalsatz 3 Posaunen verlangt, da wäre auf Wunsch ggf. auch ein 3. Horn für das ganze Werk drin gewesen.


    Zitat

    Was sollen auch die zwei viel zu kurze Orgelpunkte am Anfang? Die
    Trageweite des Werkes ist im Keim erstickt ! Nur lange Orgelpunkte
    (Karajan) vermögen eine adäquate Dramatik zu entfalten

    Ich konzentriere mich hier einmal auf die Fermaten des Anfangsmotivs. Im Gesamtkontext aller Aufnahmen sind die Tempi von Karajan und Järvi gar nicht so verschieden. 1962 ist Karajan schon recht rasch und wählt die gleichen Tempi wie Reiner und der keineswegs langsame Furtwängler, 1984 liegt Karajan auf Toscanini-Niveau und erreicht beinahe die von Beethoven angegebene und von Järvi befolgte Metronomzahl. Ich kann an dieser Stelle auch keine eklatanten Textverstöße Järvis erkennen. Das Tempo weicht nicht wesentlich von Beethovens Parametern ab, die zweite Fermate ist länger als die erste (auch Karajan ist beim Halten derselben nicht so extrem wie sein Vorvorgänger Nikisch), die Klarinette besser zu hören als bei K., wo sie eher erahnt werden muß. Karajan setzt auf Effekt und bevorteilt die tiefen Streicher - wie noch häufig im Verlauf dieser Sinfonie auf Kosten der eigentlich so guten Holzbläser. Mindestens 1962 erklingen die Kontrabässe eine Oktave tiefer als notiert (?!) und dringen durch frühzeitiges Anspielen auch stärker durch. Diese Effektsuche geht mit dem Ritardando in Takt 19/20 und der anschliessenden langen Fermate weiter, wobei Karajan weniger eigenwillige Zäsuren produziert als Nikisch oder Furtwängler.


    In der Darstellung der weiteren Verarbeitung des "Schicksalmotivs" erweist sich Karajan allerdings als flexibler und phantasievoller als Järvi, der ohnehin anderen Prämissen folgt. Das Farbkaleidoskop der Berliner Philharmoniker ist selbstverständlich grösser (ebenso wie der Klang eines guten HIP-Kammerorchesters vermutlich farbenreicher wäre). Dafür empfinde ich die i.A. gute Durchhörbarkeit bei Järvi als Vorteil. Das diesbezugliche Urteil hinsichtlich der Karajan-Aufnahmen fällt unterschiedlich aus. Die dynamisch bedingten Balanceprobleme Takt 44-55 bewältigt Karajan gut. Die in musikhistorischem Kontext bemerkenswerten und originellen Bläserpartien in T 182-194 sind bei Karajan je nach Aufnahme kaum oder überhaupt nicht hörbar. De facto ist dies eine Abweichung von der Partitur, die nicht auf die Aufnahmetechnik geschoben werden kann. In Arthur Nikischs mittlerweile über 100 Jahre alten Aufnahme sind diese Stimmen deutlicher, obgleich sich hier ein Orchester vor einem Trichter versammeln mußte. Vermutlich sind die Berliner Philharmoniker in reduzierter Besätzungsstärke aufmarschiert; hier zeigt sich der Nachteil von Karajans aufgeblähtem Orchestersound. Auch die polyphonen Strukturen bei b.z.w. vor Beginn der Coda dürften IMO noch etwas deutlicher ausgeformt sein.


    Karajan macht auf dicke .... und heroisiert diesen in der Tat nicht pathetikfreien Satz noch zusätzlich, während Järvi eher entheroisiert. Mich hat dieser Ansatz zunächst irritiert, aber eine Blick in die Partitur zeigt dessen Legitimität, die Irritation gründet also tatsächlich mehr in der Hörsozialisation als in einer vermeintlich beträchtlichen Exzentrik Järvis gegenüber den Noten. Vermutlich werde ich doch nicht selten Karajans effektvoller Überredungskunst unterliegen, auch wenn antiphonal aufgestellte Violinen vermisst werden.


    Zitat

    Andante con moto :
    Am Anfang glaubt man einen Walzer zu hören. Was sollen diese
    Verzögerungen Takt 4,5,6, und später diese merkwürdige Phrasierungen ?


    Ja (abgesehen vom Walzer). Ist Järvi zu schnell? Vielleicht lässt er hier tatsächlich eher Allegretto spielen. Bei Karajan höre ich umgekehrt eher eine Art "Andante non moto". Dabei ist er immer noch schneller unterwegs als viele seiner Kollegen, Solti etwa macht ein veritables Adagio daraus (möglicherweise ist die Wahrnehmung dieser "Bewegungsvorschriften" altersabhängig, jedoch wäre der foreneigene Kl'Empereur Joseph II. ein Gegenbeispiel, mal ganz abgesehen vom jungen Alfred ;) ). Jedenfalls ist Järvi nah an den Metronomangaben. Wichtiger jedoch: Beethoven hat hier ein lyrisches Thema geschrieben, einen schlichten Dialog zwischen Streichern, die Zugehörigkeit zur Wiener Klassik ist nicht zu überhören. Haydns Zeitgenossenschaft wird bei Jarvi klar, Karajans Beethoven scheint mit dem jungen Wagner persönlich bekannt. Ich höre bei Karajan kein "piano dolce", eher etwas zwischen mp und mf. Ergo wird auch der dynamische Kontrast zum forte in Takt 7 eliminiert, ebenso in den folgenden 9, 11.

    Zitat

    Was mir auch gefällt ist die große Dynamik : richtige leise Stellen, gelungene crescendos, sehr schöne dynamische Schattierungen

    Da Beethoven die Dynamik offenbar nicht überall ausschrieb ist etwas "dynamische" Phantasie nicht unangebracht. Die gegebenen Anweisungen sollten dafür m. E. um so sorgfältiger beachtet werden. An weiteren Stellen wird die niedergeschriebene dynamische Vorschrift möglicherweise sogar befolgt (der Hörer muss leider spekulieren), aber durch die Bestzung von fast Mahlerschen Dimensionen hinsichtlich der Orchesterbalance in der Praxis konterkariert ("schöne dynam. Schattierungen" gibt es dennoch zu hören). Bereits am Beginn des 2. Satzes fallen weitere typische "Karajan-Probleme" auf: schon ab dem ersten Takt werden Stakkatopunkte ignoriert, die Oboen ersaufen im Blech (T 32ff) etc. . Darüber hinaus finden sich weitere agogische Manipulationen, welche die vorgegebenen Temorelationen gänzlich unberücksichtigt lassen.


    Verehrte Karajan-Freunde, nun geht es aufwärts! Das Scherzo hat ein gutes Tempo, wieder recht nah an des Komponisten Vorgaben. Hier ist die Agogik Järvis ausgeprägter. Karajan befolgt auch die erste "poco ritardando" - Anweisung, und zwar ab der angegebenen Stelle (!). Die intrikanten Passagen ab ca. Takt 100 sind schön differenziert und phrasiert. Besonders gelungen ist die gespenstische Reprise, der romantisierende Ansatz ist hier stimmiger als im 2. Satz.


    Hier fallen mir wieder einmal Paralellen zwischen der in obigen Beiträgen schon genannten Aufnahme von Fritz Reiner und "Karajan/Berlin I" auf. Karajan hat sich bekanntlich noch im Aufnahmestudio Einspielungen anderer Dirigenten angehört und vielleicht manches von Reiner adaptiert; ich meine zwischen der Philharmonia-Aufnahme und der von 1962 gewisse "Reiner-bedingte" Unterschiede zu vernehmen. Allerdings ist das Chicago SO das schlechtere Orchester und die "große Linie" wird hier tendentiell zugunsten des größeren Detailreichtums aufgegeben.


    Zwar vermisse ich am Ende des 3. Satzes ein echtes ppp, doch der Übergang und die Proportionen zwischen den beiden letzten Sätzen gehört zu den großen Meriten der Karajan-Aufnahmen. Bei der Konkurrenz ist das Scherzo nicht selten langsamer als das Finale, oder das Finale wird überproporional beschleunigt, offenbar um so etwas wie einen Antiklimax zu vermeiden. K. kluge Disposition macht dergleichen unnötig. Am Anfang des 4. Satzes sind die Bläserstimmen angenehm diffenziert. Leider gilt dies nicht unbedingt für den weiteren Verlauf. Die extra dem Finalsatz zugeführten Instrumente kommen wenig zur Geltung. Selbst in einer so wichtigen Passage wie der "Instrumentationsumkehrung" ab Takt 240 ist die Piccoloflöte kaum zu hören. Und was ist mit dem Kontafagott? Nur weil Beethoven es vermutlich nicht mehr hören konnte müssten doch nicht auch die Karajanhörer darauf verzichten? Die Durchführung überzeugt mich bei Furtwängler, C. Kleiber, Mrawinsky und Reiner mehr. Auch die kanonischen Antworten der tiefen Stimmen im Finale wünschte ich mir bei Karajan etwas deutlicher (und vielleicht sogar mit Kontrafagott...).Insgesamt gehören für mich der 3. und 4. Satz der fünften Sinfonie - neben dem Kopfsatz der zweiten b.z.w. neunten - aber doch zu den großen Würfen der ersten Berliner Gesamtaufnahme.


    Die Beethoven-Aufnahmen sind durch Karajans Fähigkeit die Musik in großräumigen Taktperioden organisieren zu können geprägt. Diese führt zu ähnlich großräumigen, zielführenden Phrasierungen. Die kleinteiligen Prasierungselemente werden daher eher vernachlässigt. Die fließende Artikulation bestimmt nicht nur Rhytmus und Melodik, sondern stärker als üblich auch den Klang. Auch harmonische Vorgänge und die Nachvollziehbarkeit der motivischen Entwicklung werden tendenziell eingeebnet. Eine sprechende Phrasierung und Artikulation (nicht unmittelbar in einem Harnoncourtschen Sinne zu verstehen) ist daher nur bedingt möglich. Karajans Aufnahmen wirken hierdurch wie aus einem Guss und verfehlen in Kombination mit dem guten und effektvollen Orchesterspiel ihre Wirkung nicht. Ich vermisse allerdings die zahlreichen kleinen Widerhaken - wie etwa Synkopisierungen - , die so ungemein typisch für Beethovens Musik - und später für Brahms - sind. Reiner betont bei ähnlichem Konzept diese Momente stärker. Das Ideal ware eine ausgeglichene Mischung aus diesen fließenden, zentrifugalen Elementen und jenen den Fluss absichtlich hemmenden, retardierenden Details, welche für diese Musik quasi konstituierend sind. Eine Annäherung an dieses Ideal bietet vielleicht Carlos Kleiber, bei dem sich diese widerstrebenden Aspekte beinahe aufheben.


    Seine wohl als unmittelbare Konkurrenten empfundenen Kollegen/Rivalen Bernstein und Solti übertrifft Karajan allemal, verlangt aber wg. Einseitigkeit auch nach Alternativen. Neben C. Kleiber und Reiner kommen da u.a. noch Furtwängler (übrigens nicht nur am Anfang, sondern auch am Ende der Sinfonie wesentlich schneller unterwegs als das Klischee es will), Gielen (CD), E. Kleiber, Konwitschny, Leibowitz (der 2. Satz gefällt mir besser als bei Karajan), Mrawinsky, Scherchen oder der weit überdurschnittlich partiturtreue Suitner in Frage. Gardiner hat's mir zu eilig, Järvi ist, obwohl die 5. nicht seine beste Beethoven-Aufnahme darstellt, insgesamt ebenfalls eine sinnvolle Alternative. Chailly erscheint, trotz Karajan-konkurrenzfähigem Orchester, etwas zu metronomorientiert (übertrifft Karajan IMO aber in der 1. und 7. Sinfonie).


    Beste Grüße !




  • Lieber Gombert,


    das war ein sehr wertvoller Beitrag zur Rezeption der Fünften, zumal du auf der Grundlge der Partitur geurteilt hast. Ich habe bei den Beethoven-Sinfonien leider noch keine Partitur, weiß aber von meiner Arbeit in den Sonaten-Threads, wie sinnvoll die Partitur als Beurteilungsgrundlage ist und wie wenig Vergleiche man, vor allem an Schlüsselstellen anstellen kann, wenn man sich nur auf sein Ohr verlassen muss und wohl beurteilen kann, ob der eine oder andere diese oder jene Passage schneller oder langsamer, lauter oder leiser, mit oder ohne Ritartandi etc. dirigirt hat, aber man nicht weiß, ob das so in den Noten steht oder nicht. Ich werde mir doch noch wohl für die eine oder andere Sinfonie eine Partitur anschaffen, auch wenn der Arbeitsaufwand bei der Orchester-Partitur m. E. ungleich größer ist als beim Solo-Klavier.
    Aber für einen Laien, wie ich einer bin, lernt man mit dem Lesen der Partitur, wie ich inzwischen festgestellt habe, sehr viel besser die Struktur eines Stückes kennen.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

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  • Ich habe weiter oben ja mal einen kleinen Vergleich zwischen Karajan, Carlos und Erich Kleiber gepostet. So etwas wie die Länge der Fermaten am Anfang finde ich zugebenermaßen ein marginales Detail; das würde mir vermutlich nur bei extremen Fällen positiv oder negativ auffallen und offensichtlich ist eine Fermate ja gerade eine Stelle, die eben nicht ausgezählt werden soll, so dass man hier nur schwer sagen kann, was "partiturgetreuer" ist.


    Ich habe Järvi noch nicht gehört (da nur die DVDs), aber anhand meiner Beispiele oben zeigt sich auch schon, dass zwischen "Grandiosität", also einem mächtigen, mitreißenden Klang, der typischerweise von Streichern und Blech dominiert wird und Transparenz (was den Holzbläsern zugute kommt) immer gewisse Kompromisse geschlossen werden müssen. Auch Kleiber junior ist hier nur in einzelnen Passagen "besser" als Karajan (1962), die transparenteste von den dreien ist bemerkenswerterweise die Mono-Aufnahme Erich Kleibers.
    Vielleicht beispielhaft dafür die verbreitete (inklusive Karajan, allerdings nicht bei den Kleibers) Retusche in der Reprise des zweiten Themas. Die ursprüngliche Hornfanfare hat Beethoven hier auf die Fagotte übertragen, vielleicht, weil er sonst ein zweites Paar Hörner benötigt hätte. Da es heutigen Ventilhörnern gleich ist, lässt man die Fanfare auch in der Reprise von Hörnern spielen (bzw. ggf. von Fagotten und Hörnern, wobei letztere meist übertönen). Nun hat Beethoven aber in dieser Sinfonie im Finale bekanntlich (zum ersten Mal in einer Sinfonie) drei Posaunen, Piccolo und Kontrafagott eingesetzt (um besseren Lärm zu machen als 6 Pauken). Es ist nicht allzu wahrscheinlich, dass er vor einen dritten Horn (wie schon in der Eroica) zurückgeschreckt wäre, wenn ihm das im Kopfsatz ein Anliegen gewesen wäre. Überdies hat Beethoven die gesamte Passage um das zweite Thema herum anders instrumentiert (als in der Exposition), mit wichtigen Partien für Oboen und Fagott. Nur gehen diese Passagen bei vielen Interpretationen a la Karajan (die ich sonst schon sehr packend finde), weitgehend unter, ähnlich wie die entsprechenden Stimmen vor dem berühmten Oboensolo, das dann "aus dem Nichts" kommt, was ein toller Effekt ist, aber vielleicht gar nicht Beethovens Absicht.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Ohne meine Begeisterung und Bevorzugung für Karajans Beethoven Nr. 5 in Frage zu stellen möchte ich doch gesagt haben, dass ich meine grundsätzlich ablehnende Haltung zu Järvis Musizieren mit der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen durchaus korrigiert habe.


    Der Grund hierzu liegt in dieser momentan von mir gerade aus einer Musikbibliothek ausgeliehenen DVD



    die ich soeben als Blue-ray bestellte ( in der Hoffnung, dass die dortige Sprachangabe "Afrikaans" ein Fehler bei JPC war).


    Ich habe selten ein Orchester spielen sehen, dass wirklich derart den Namen "Kammerorchester" verdient. Man sieht und hört einfach, dass die Musiker nicht nur ihre Stimmen perfekt abspielen, sondern die Gesamtheit in Beziehung zu sich selbst hören und tatsächlich die Partitur sehr gut kennen. Das, so finde ich, ist auf jeden Fall ein enormer Pluspunkt.
    Es gibt ja zwei theoretische Extrempositionen: Einmal die grosse "Hammelherde" die ein autoritärer Taktstockmensch zusammenhält und die von ihm in richtige Bahnen gelenkt wird.
    Dann die sehr sensiblen Streichquartett-Feingeister, die jede Stimme der Anderen in- und auswendig können und bei denen der Austausch eines Viola-Spielers schon ein kaum zu lösendes Problem darstellen kann, weil sie derart aufeinander eingespielt sind.
    Zur ersten Position muss ich sicherheitshalber sagen, dass mir bekannt ist, dass Spitzenorchester wie die Berliner- oder Wiener Philharmoniker (und andere sicher auch) ihr Standardrepertoire auch so gut können, dass sie ein Konzert ohne Dirigenten geben könnten, wie es bei den Berlinern ja z.B. zum Gedenken an Karl Böhm auch geschah.


    Dennoch sah und hörte ich bei der Deutschen Kammerphilharmonie mit den Schumann-Symphonien ein derartiges "sich Hineinbegeben" in den Raum der Musik, ein äusserst waches und kommunikatives Musizieren, dass es mich für sich einnehmen konnte.
    Für einen Dirigenten sind das nichts anderes als traumhafte Zustände - auch ein Chordirigent würde sich das sehr wünschen....
    Järvis Interpretationen konnten mich bei Schumann erstmalig überzeugen. Würde ich so eine Symphonie transkribieren müssen, wäre diese Aufnahme wohl aufgrund ihrer gebotenen Möglichkeit, mit den Ohren durch die transparent gemachte Partitur zu wandern, mit meine erste Wahl (ansonsten auch COE/Harnoncourt )
    Auch die Phrasierungen fand ich hier stets logisch nachvollziehbar. Dort spielen offensichtlich sehr versierte Spitzensolisten mit. Es wunderte mich z.B. nicht, dass ich mit Veronica Kröner (Violine) ein mir bekanntes Gesicht aus dem Concentus musicus Wien im Bild sah. Ebenso findet man dort Leute wie Tanja Tetzlaff, von der es ja eine tolle neue Aufnahme der Brahmssonaten für Cello und Klavier gibt, die ich sehr mag.


    Doch will ich jetzt hier nicht im falschen Thread über eine Schumann-Aufnahme sprechen, sondern eben nur mitteilen, dass ich anfange, das Musizieren der Kombination Deutsche Kammerphilharmonie Bremen + Järvi grundsätzlich zu schätzen. Es hat nicht den Glanz, die Wucht und die grossorchestrale Dramatik etwa eines Karajan-Klangbildes (vor allem nicht im Blech, aber auch sonst), aber kann dem gegenüber mit einer sehr ausgearbeiteten Phrasierung, Dialoghaftigkeit und Durchhörbarkeit punkten.


    Um Järvis Beethoven noch einmal eine Chance zu geben, habe ich mir folgenden Film auf im Netz angehört:



    Satz 1: gefällt mir gut. Diese Interpretation ist trotz der Unterschiede mit dem kürzeren Aushalten der ersten Unisono-Noten im Anfangsmotiv nach den Achteln, der runderen, gestischeren Phrasierungsdynamik/Artikulation und des kammermusikalischen Orchesterklangs diejenige, die Karajans Auffassung vom musikalischen Grundverständnis her am nächsten kommt. Ein sehr ähnliches Tempo, eine flüssige Dramatik, die kleinen Crescendi der Hörner und der Holzbläser innerhalb des grossen ersten Tutti-Crescendos, uvm.
    Zudem mag ich dieses sehr hingebungsvoll gespielte Oboensolo.


    Satz2: Viel Gutes, aber den Einstieg finde ich in seinem Aufschwung bei den Celli zu lustig, zu kurz artikuliert. Die grundsätzliche Phrasierungs-Denkweise bei der Hörbarmachung der bewegten Figuren ist m.E. genau wie bei Harnoncourt "richtig verstanden". Ein rein flächiges, pathoses Legato ist hier eigentlich nicht die richtige Lösung. Dennoch finde ich hier, das Harnoncourt die Balance zwischen klarer musikalischer Ausprache der Phrasen und einer ebenfalls notwendigen Gesanglichkeit besser gelingt. Zudem mag ich nicht, dass die Celli bei Järvi den Spitzenton des Themas (es müsste ein Eb sein, wenn es As-Dur ist) mit einem quasi Non-Vibrato verhungern lassen. Wenn man Vibrato als Ausdrucksmittel sieht, warum dann gerade auf einem ausdrucksvollen Spitzenton weglassen? Das würde kaum ein Sänger machen, auch die meisten schlanken "Barocksänger" nicht.


    Satz3: Ein ebenfalls sich in Karajan-Nähe befindliches Tempo, aber vielleicht doch ein bisschen zu schnell. Das fällt mir dann auf, wenn die Dur-Sequenz mit den Bässen am Anfang kommt (habe jetzt nicht die Partitur). Das grenzt an den Eindruck des "Verhetzten".
    Bei dem Misty-Übergang zum 4. Satz gefällt mir die Wahl des Paukenschlägels sehr gut.


    Satz4: Das Tempo - wiederum sehr ähnlich wie bei Karajan- finde ich passend. Es gibt mehr Details zu bewundern, schöne Fagottstellen z.B. und eine ausgearbeitet und flexible Artikulation, der ich oft sehr zustimmen kann.
    Järvi erreicht nicht ganz die bis zum Schluss hinstrebende dramaturgische Stringenz eines Karajans, ebenso nicht diese strahlend gleissende Klanglichkeit (wieder vor allem im Blech, aber nicht nur) die einem die Gänsehaut kommen lässt. Es fehlt auch der von mir geliebte wagner-karajanische Ausdruck bei der Blechbläserstelle (im Video ab 25.10) hinsichtlich majestätischer Tiefe.
    Dann gibt es einige wirklich noch nie so gehörte Stellen mit einer kecken Piccoloflöte.
    Allerdings finde ich schon, dass dieser Satz hier sehr gelungen ist. Wiederum ist es trotz des anderen Klangbilds und der anderen, mehr klangrednerischen Ausarbeitung, die Interpretation, die mich am deutlichsten an Karajan erinnert.
    Die Reduzierung des dynamischen Ambitus wird wohl musikhistorisch eher ein "richtiger Beethoven" sein, und kann nicht leugnen, dass die dynamischen Proportionen des Kammerorchesters stimmig sind. Dennoch kann man den grossorchestralen Beethoven mindestens genauso, wenn nicht sogar mehr mögen, weil man - wie schon einmal sagte- den Vorgriff auf die wagnerische Wucht aufgrund des strukturell enthaltenden Vorgriffes als legitim empfinden und einfach gutfinden kann.


    Die instrumentale Perfektion ist hier auf höchstmöglichem Niveau, was auch für die Schumann-Aufnahme gilt.


    Vielleicht sollte ich mir diesen Beethoven-Zyklus dennoch zulegen, sozusagen als Alternative zu meinen Favoriten Karajan, Thielemann, Harnoncourt und Wand. Es gibt auf jeden Fall dort gute Ideen zu holen. Zudem muss ich aus fachlicher Sicht einfach sagen, dass ich Järvi direktionstechnisch/schlagtechnisch sehr effektiv und lehrreich finde. Aus moderner Sicht macht er da alles "richtig". Allerdings sagt das ja nichts über das klingende Resultat aus (Herreweghe fiele durch alle Prüfungen hier bei uns an der Hochschule - wenn man ihn nur sähe), aber es ist für einen, der sich mit der Materie selbst beschäftigt, sehr lehrreich zuzusehen (auch bei Thielemann, wobei der sehr Orchesterdirigent ist, d.h. für die Chordirektion funktionieren nicht alle seiner wie ich finde tollen Gesten...)


    Gruss
    Glockenton


    Nachtrag: Den Järvi-Schumann finde ich bisher doch noch im Ganzen überzeugender als den Järvi-Beethoven. Beim zweiten Satz etwa der 6. liegen zwischen Järvi und dem hier phantastischen Thielemann wirkliche Dimensionen dazwischen. Hier ein durchaus sehr intelligentes, eher unromantisches Musizieren der Partitur, dort der schon beinhahe körperliche Transport des Hörers an eine Bachszene, bei dem einen das Herz aufgeht. Das ist aber ein andere Geschichte.

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Lieber Glockenton,


    Ich finde deine Betrachtungsweise der Fünften in der Interpretation Järvis sehr aufschlussreich. Allerdings unterscheidet sich deine Herangehensweise etwas von meiner. Ich habe in keiner der neun Symphonien Järvi mit Karajan verglichen. Das bringt in meinen Augen nichts. Bei der Aufnahme der neun Symphonien in der Bonner Beethovenhalle war Karajan seit 20 Jahren tot. Außerdem hat Karajan ungefähr mit der doppelten Orchesterstärke aufgenommen. Desgleichen hat er kaum eine Wiederholung gespielt, im Gegensatz zu Järvi.
    Was nun die Fünfte betrifft, so könnte man vielleicht Karajan besser mit Reiner (59) vergleichen, den ich heute hereinbekommen habe. Auch der lässt die Wiederholungen aus, und dann stellt sich heraus, dass er im Vergleich zu Karjan 62 weitgehend das gleiche Tempo spielen lässt, allerdings im Kopfsatz etwas langsamer ist und im Finale ene Minute schneller. Was das Brio, den dramatischen Impetus betrifft, tun sich die beiden nicht viel.
    Wenn ich morgen Zeit finde, werde ich meine Höreindrücke von Fritz Reiner schildern. Über Karajan habe ich ja schon Eingies geschrieben. An seiner Leistung, was die Beethoven-Symphonien betrifft, wird schwerlich jemals jemand vorbeikommen, auch Järvi nicht. Aber er ist jemand, der im 21. Jahrhundert, jedenfalls bis jetzt, am ehesten in der Lage zu sein scheint, ein ähnliches Ausrufezeichen zu setzen, wie Karajan es ja mehrfach gemacht hat. Ich habe in meiner Sammlung drei CD-Gesamtaufnahmen Karajans (60er, 70er, 80er) und eine DVD-GA sowie mehrer Einzel-DVDs ebenfalls aus den 80er Jahren. Da scheint es sich wohl um die gleichen Aufnahmen zu handeln, die auch als CD erschienen sind.
    Jedenfalls ist mein Rat an dich, wenn du die DVD-GA Järvis haben solltest, sie öfter zu hören. Du wirst von Mal zu Mal mehr begeistert sein.
    Ich habe übrigens im Schumann-Thread gepostet, dass ich aufgrund deiner und Wolfgangs Begeisterung über die Schumann GA sofort bestellt habe. Zugleich habe ich geschrieben, dass ich vor einigen Jahren in Kiel ein Konzert mit Järvi und den Bremern genossen habe, in dem vor der Pause Mendelssohns Vilolinkonzert mit Hillary Hahn und nach der Pause Schumanns Vierte zur Aufführung gelangten und als Zugabe das Allegretto aus Beethovens Achter- ein tolles Konzert!!


    Ich habe gerade nachgeschaut, in den Postings Nr. 369 und 370 habe ich Karajan 72 (DVD) und Järvi 2009 (DVD) hintereinader besprochen und miteinander verglichen.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Lieber William, da würde mich doch interessieren, ob Du die in Beitrag 397 beschriebene These zum Verhältnis
    Reiner - Karajan (62) für plausibel oder wenigestens theoretisch denkbar hältst.


  • Ich höre gerade seit langer Zeit mal wieder in die Aufnahme von Fritz Reiner mit dem Chicago Symphony Orchestra. Tatsächlich erinnert es stellenweise an die Karajan-Aufnahme von 1962 (oder besser umgekehrt, die von Reiner ist ja etwas früher entstanden).


    Ob das Chicago SO das schlechtere Orchester ist, finde ich ein wenig gewagt, schließlich gilt gerade die "Reiner-Ära" als die ganz große Zeit dieses US-Orchesters und die Blechbläser dürften den Berlinern sogar überlegen sein. Die Pauken sind allerdings wirklich etwas unterbelichtet und bei Karajan eindeutig besser hörbar (auch besser als in seinen späteren "Aufgüssen").


    Insgesamt finde ich diese Aufnahme (wie auch die der Siebten) aber ein wenig glatt, so sehr ich Fritz Reiner auch sonst schätze. Eine interessante Alternative ist m. M. n. übrigens auch George Szell mit den Wiener Philharmonikern 1969 live, wenn wir schon bei diesem Interpretationsansatz sind.


    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Zitat

    Gombert: Lieber William, da würde mich doch mal interessieren, ob du die in Beitrag 397 beschriebene These zum Verhältnis Reiner-Karajan (62) für plausibel oder wenigstens theoretisch denkbar hältst.

    Wenn du die Möglichkeit meinst, lieber Gombert, dass sich Karajan 1962 von der zuvor entstandenen Aufnahme Reiners das eine oder andere Positive angeeignet haben könnte, so halte ich das absolut für möglich. Du erwähntest auch, Unterschiede zwischen der 1962er Aufnahme Karajans und der in den 50er Jahren entstandenen Monoaufnahme mit dem Philharmonia Orchestra festgestellt zu haben, die veilleicht durch die Kenntnis der Reiner-Aufnahme entstanden sein können. Ich habe die Mono-GA Karajans nicht, werde sie mir auch nicht anschaffen, obwohl sie gute Kritiken bekommen hat, aber ich habe mit meinen vier Gesamtaufnahmen jetzt genug Karajan.
    Um interpretatorische Feinheiten zwischen den beiden Aufnahmen festzustellen, müsste ich sie mal gegenhören, allerdings erst, wenn ich Zeit dazu habe und die Partitur. Ich habe übrigens festgestellt, dass es wenig bringt sich die Partitur aus dem Internet auszudrucken. Da ist mir das Format zu klein.
    Ich muss mich in einer anderen Aussage aus deinem Beitrag allerdings auch Joseph anschließen: auch ich halte die Chikago Symphony nicht unbedingt für schlechter als die Berliner Philharmoniker. Sie gehören m. E. zusammen mit den Wienern, den Berlinern und dem Concertgebouw zu den TOP Five weltweit, wobei ich mir über den fünften Platz nich so ganz im Klaren bin.


    Liebe Grüße


    Willi :)

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  • Ich muss mich in einer anderen Aussage aus deinem Beitrag allerdings auch Joseph anschließen: auch ich halte die Chikago Symphony nicht unbedingt für schlechter als die Berliner Philharmoniker. Sie gehören m. E. zusammen mit den Wienern, den Berlinern und dem Concertgebouw zu den TOP Five weltweit, wobei ich mir über den fünften Platz nich so ganz im Klaren bin.


    Die Chicagoer sind wirklich absolute Spitze, lieber Willi. Ich hörte sie in Chicago in Haitinks letzter Saison - mit den Beethoven -Symphonien Nr. 2 und 3. Ein unvergeßlicher Abend. Eine schier unglaubliche Homogenität, Spielkultur, klangliche Delikatesse und Virtuosität. Da ist kein Superlativ zu hoch gegriffen! Früher unter Reiner hatten sie immer schon diese einmalige Virtuosität und Souveränität - seit der Haitink-Äre ist noch diese betörende Spielkultur hinzugekommen. "Besser" kann da kein Orchester sein! Bei Ravel toppen sie sogar die für ihren Ravel und Debussy berühmten Bostoner - ich habe da den direkten Vergleich mit Daphnis et Chloe, beidesmal dirigiert von Bernard Haitink. :)


    Schöne Grüße
    Holger

  • @ Liebestraum: Herzlichen Glückwunsch zu deinem neuen Avatar, lieber Liebestraum, zeigt es doch einen Komponisten, der eine meiner drei absoluten Lieblingsopern komponiert hat. Die anderen beiden sind Fidelio und die Zauberflöte.


    Liebe Grüße


    Willi :)

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  • In Hinsicht auf die Orchesterqualität bezog ich mich ausschließlich auf die beiden genannten Aufnahmen.
    Hier bieten die Berliner mehr Raffinesse, während das CSO nicht ganz das Niveau etwa der Reiner/Bartok-Einspielungen erreicht.
    Die Blechbläser sind selbstverständlich sehr präsent, ein amerikan. Publikum wird sich wohl immer nur bedingt mit den Trompeten der Berliner Philharmoniker anfreunden können. Ich entsinne mich allerdings an so einige Aufnahmen, in denen sich das Chicagoer Blech auf Kosten anderer Instrumentalgruppen profiliert (kommt auch "live" vor).

  • Lieber Gombert,


    ich hatte heute gegen Abend bei einer Besprechung der DVD von Beethovens Pastorale (Oktober 1972, Regie Hugo Niebeling), mich darüber gewundert, dass die Bläsersektion der Berliner Philharmoniker vor dem 4. Satz (Gewitter) plötzlich von 20 auf 28 Personen gewachsen war. Vielleicht war auch darauf die von mir bemerkte "apokalyptische" Wirkung der Trompeten im Gewittersatz zurückzuführen. Sie haben weitaus mehr beigetragen als die Pauken.


    Liebe Grüße


    Willi :)

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  • Nach erneutem Abhören der Reiner-Aufnahme muss ich mich fast dem Urteil bzgl. des Orchesters anschließen. Eine Neuling würde ich diese Aufnahme nicht unbedingt als erstes Beispiel für die legendäre Chicago-Orchesterqualität anpreisen. Mir wird da zuweilen etwas arg nüchtern musiziert. Selbst die Blechbläser ergehen sich nicht in Ekstasen, wie man es bei Reiner anderswo öfter vernehmen kann (vornehmlich auch live). Ich finde, Fritz Reiner hat doch noch deutlich exemplarischere Aufnahmen vorgelegt, ich denke nur z. B. an die Wiener "Meistersinger" von 1955, an die Live-Aufnahmen von Schumanns Zweiter oder Wagners "Rienzi"-Ouvertüre, um nur mal ganz wenige zu nennen. Natürlich ist das sehr gut, aber das Fünkchen zur absolut herausragenden Aufnahme fehlt mir bei Beethovens Fünfter.

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    – Luís de Camões

  • Hallo Joseph II.,


    dein Empfinden sei dir bezüglich Reiners 5. völlig unbenommen. Fakt ist, dass gerade diese Aufnahme bei Erscheinen in den USA einschlug wie eine Bombe. Sie blieb nicht ohne Einfluss. Dem Dirigenten gelang mit dieser Aufnahme ein wirklicher Gegenentwurf zu Toscaninis Sichtweise. Sie war ein wirklicher Meilenstein! Aber nicht nur das, sondern bis hinein in die Gegenwart lassen sich viele Interpretationen auf Reiner zurückführen: Karajan, Szell, Solti usw. Auch wenn du die Pauken oder Bläser immer etwas präsenter haben möchtest, war es doch mehr Reiners Ansinnen hier in der 5. Beethovens ein "revolutionäres" modernes Zusammenspielen zu erzeugen. Allein den Übergang vom 3. zum 4. Satz hat man bis dato (vor jetzt 55 Jahren) noch nie so dynamisch-frisch, dramatisch-zupackend gehört!


    Reiner war nie ein Freund von ekstatischen Interpretationen - das sieht man schon an seinem Dirigierstil. Er folgte dem Notentext. Auch auf die Frage eines Produzenten, ob er die Aufnahme (bezogen auf ein Werk von Richard Strauss) nicht noch einmal neu und etwas "schmalziger" aufnehmen möchte, folgte eine Ablehnung. Auch wenn sein Tschaikowski-1. Klavierkonzert im Finale so dahinstürmt, war alles wohl dosiert und nicht ekstatisch überdreht. Reiner hatte immer eine bestimmte Vorstellung, wie ein Werk aufzuführen ist, daher gibt es kaum Unterschiede - egal ob live oder Studioproduktion. Davon zeugen oft Aufnahmen, die ähnlich einer öffentlichen Aufführung, quasi sofort ohne Unterbrechung aufgezeichnet und dann auch so veröffentlicht worden sind. So viel zu der hohen künstlerischen Qualität des Orchesters unter Reiner.



    :hello: LT

  • In Bezug auf Reiners Aufnahme der Fünften sind wir durchaus einer Meinung, lieber Liebestraum. Ich halte sie für eine außerordentlich gute, schwungvolle Aufnahme mit einem dramatischen Vorwärtsdrang und einem groißartigen Klang, der viel Struktur erkennen lässt. Ich freue mich jetzt schon auf die Neunte, die auch zu mir unterwegs ist.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Damit wir uns nicht falsch verstehen: Die Aufnahme von Reiner ist sehr gut. Für mich ist das ein ähnlicher Fall wie die Einspielung von Carlos Kleiber. Beide haben ihre Fan-Gemeinde (bei Reiner vor allem in Übersee). Allein, mir ist bei der Fünften eine gewichtigere Interpretation persönlich noch lieber. Meinem Ideal am nähesten kommen insofern Klemperer (Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, 30. Mai 1969) und Knappertsbusch (Berliner Philharmoniker, 9. April 1956).


    Wie wir an anderer Stelle bereits feststellten, gibt es einen kompletten Beethoven-Zyklus von Fritz Reiner: Nr. 1 (1961), 3 (1954), 5 (1959), 6 (1961), 7 (1955) und 9 (1961) mit dem Chicago SO im Studio (bis auf die "Eroica" alle in Stereo), Nr. 4 und 8 (1958) mit dem Chicago SO live, Nr. 2 (1945) mit dem Pittsburgh SO im Studio.

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    – Luís de Camões

  • Ob das Chicago SO das schlechtere Orchester ist, finde ich ein wenig gewagt, schließlich gilt gerade die "Reiner-Ära" als die ganz große Zeit dieses US-Orchesters und die Blechbläser dürften den Berlinern sogar überlegen sein. Die Pauken sind allerdings wirklich etwas unterbelichtet und bei Karajan eindeutig besser hörbar


    Hallo Josef und Willi,


    die Reiner - CD mit den Sinfonien Nr.5 und 7 hatte ich mir im Januar zugelegt. Ich berichtete in Beitrag 385. Zunächst hat mich die unglaublich natürliche Klangqualität von 1954 !! vom Hocker gehauen und die geradlinige und fetzige TOP-Int.
    Die von Dir als "etwas unbelichteten" Pauken hört man mit Kopfhörer übrigens deutlich genauer. Da ich die CD aus "familientechnischen Gründen" mit KH hören musste, war mir das mit den Pauken gar nicht als erwähnenswerter Punkt aufgefallen.
    ;) Natürlich sind das bei Reiner/CSO keine (gei...) Pauken, a´la Deutsche Kammerphilharmonie Bremen mit P.Järvi (egal ob mit oder ohne KH).



    :angel: Ganz herausragend auch die Coriolan-Ouvertüre mit Fritz Reiner auf dieser CD.
    Bisher ging die Karajan-Aufnahme mit den Berliner PH (DG), die in der Ouvertüren - GA und auch sonst mehrfach als Filler auf Karajan-Beethoven-CD´s mit drauf ist, als mein absoluter Favorit (Karajan 8:57).
    Aber diese straffe hochdramatische Int von Reiner, hat mich absolut "geflasht". Das ist der Wahnsinn, mit welcher Spannung Reiner dieses kurze Meisterstück aufbaut. Und das wirkt kein bischen zu schnell, obwohl er gut 2Minuten kürzer ist (Reiner 6:53). :thumbup: Mein neuer Coriolan-Favorit.
    Ähnlich herausragend auch die Fidelio-Ouvertüre.

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Mit Interesse habe ich mich durch den gesamten Thread gelesen, da Beethovens 5. für mich früher meine Lieblingssymphonie war (heute abgelöst von Mahlers 6. und Schostakowitschs 11.).
    Mit dem ersten Satz tue ich mir heute am schwersten, weil er bei den meisten Dirigenten so gleich klingt. Dank Beethovens Metronomangaben unterscheiden sich viele Interpretationen ja auch kaum vom Tempo.
    Bei youtube findet man ja fast alles, deshalb habe ich mir einfach einige Versionen dort herausgesucht:


    Zunächst habe ich mir gleich die Klempersche Version von 1969 angehört. Mal nicht das Standard-Tempo. Allein deshalb gefällt mir diese Aufnahme sofort. Gute Klangqualität, für mich typischer majestätischer Klemperer. Langsam, aber nicht langweilig. Aber im Finale auch nicht mitreißend.


    Nun Zum Finalsatz unter Szell (1969). Schnell... und im direkten Vergleich mit Klemperer gefällt mir diese Geschwindigkeit doch besser, fast ist es mir sogar zu schnell. Das Blech ist wirklich recht präsent, was mir aber ebenfalls gut gefällt. Nach Hören aller nachfolgend aufgeführten Interpretationen würde ich mir diese am ehesten nochmal anhören.


    Nun Furtwängler (1954), ebenfalls das Finale. Tempo etwas langsamer wie bei Szell. Gute Interpretation, aber nichts, was mir besonders auffällt. Der Schluß ist mitreißend...


    Also höre ich mir jetzt nur noch die Finali an..
    Böhm (Tokio 1977): Tempo auch eher gemäßigt. Es klingt alles so, wie es soll..
    ok, das Klangbild ist sehr gut und ausgewogen... es klingt wie aus einem Guss..


    Mich beschleicht schon wieder das Gefühl, dass Interpretations-Vergleiche bei Mahler spannender sind :)


    Kletzki: meine persönliche Referenz. Die tiefen Streicher kommen gut heraus. Die Musik wird nicht ganz so pathetisch zelebriert. Das Tempo ist für mich genau richtig.


    Rattle (2002): Flott mit einigen Akzentuierungen, die ich so nicht kannte und die mich aufmerksam zuhören ließen. Am Ende vielleicht ein wenig zuviel knall & bumm.
    Aber das ist es letztlich, was für mich eine Interpretation spannend macht: Wenn die bekannte Musik durch gewisse Betonungen/Steigerungen/dynamischen Anpassungen plötzlich anders, neu erklingt. Stokoski war doch ein Meister gerade dahingehend... Also mal sehen, wie bei ihm das Finale klingt.


    Stokowski (1969): Viel weniger aufgedonnert als erwartet. Einzige Auffälligkeit für mich: eine laute Piccolo-Flöte


    Harnoncourt: Diesmal der 1. Satz. Interessant, mir aber etwas zu schnell und zu dynamisch/fetzig


    Knappertsbusch (1962): Diesmal wieder Finale. Sorry, zum Einschlafen...


    Nun noch Bernstein und Karajan. Bernstein konnte mich nicht überzeugen, Karajan klingt gut, aber irgendwie auch nicht viel anders als Kletzki. Oder höre ich nur nicht genau genug hin? :)


    Ich habe in meinem Leben schon viele Interpretationen dieser Symphonie gehört, aber nachhaltig in Erinnerung geblieben ist mir keine. Vielleicht hat da die alte LP meiner Mutter einen zu bleibenden Eindruck hinterlassen. Die habe ich als Kind ständig angehört. Dirigiert hat Paul Kletzki die Teschechische Philharmonie. Vielleicht mag sich ja jemand diese Version anhören:
    Youtube-Link des 4. Satzes: http://www.youtube.com/watch?v=fjRAX0VlaJI

  • Lieber zifrank,


    vielen Dank für Deine lesenswerten Ausführungen! In vielerlei Hinsicht teile ich Deine Auffassung.


    Vielleicht ein paar kurze Anmerkungen:


    Klemperers 1969er Aufnahme ist sicher seine extremste. Wenn Dir das zu langsam ist, versuche mal irgendeine frühere.


    Furtwängler war m. E. live deutlich besser als 1954 (ich nehme an, Du meinst die EMI-Studioaufnahme). Auch hier könnte das Abhören der 1947er Aufnahme ein Gewinn sein (25. Mai ist noch besser als 27., gibt beides).


    Wie es der Zufall will, hörte ich die Stokowski-Aufnahme auch die Tage. Sie ist tatsächlich für seine Verhältnisse nicht besonders exzentrisch, aber durchaus packend.


    Bei Knappertsbusch ist die 1956er Aufnahme mit den Berliner Philharmonikern deutlich besser. Das Frankfurter Orchester kann da einfach nicht mithalten.


    Nur soviel dazu, sicherlich könnte man darüber Romane schreiben. ;)


    Liebe Grüße
    Joseph

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

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    – Luís de Camões


  • Ich habe mir mal wieder diese Aufnahme Karajans angehört, die im Februar 1972 live aufgenommen wurde, also zwischen seiner ersten und zweiten reinen Audio-Gesamtaufnahme. Sie hat folgende Spielzeiten:
    7:11-9:08-4:47-8:32 -- 29:38 min.;
    Natürlich hat Karajan damals immer groß instrumentiert, aber wo, wenn nicht in den ungeraden Nr. 3, 5, 7 und 9 war das vertretbar. Und die Berliner Philharmoniker waren zu der Zeit sicher auf einem Höhepunkt ihres Könnens und klangen auch mit großer Besetzung sehr transparent.
    Von der Explosivität mit der insbesondere die beiden Ecksätze hier musiziert werden, halte ich diese Aufnahme immer noch für eine der Referenzen, und das liegt nicht nur an Karajan, der sein Orchester voranpeitscht, sondern auch am Orchester, das diesen Weg mitgeht. Selten habe ich ein Orchester gesehen, das so extrovertiert musiziert, in dem die Körpersprache so mit der Musik verschmilzt wie hier in der GA, die Ende der Sechziger, Anfang der Siebziger Jahre entstanden ist. Järvi und seine Deutsche Kammerphilharmonie Bremen sind auch wieder so eine Erscheinung. Ich finde, wenn der Körper dergestalt das Instrument unterstützt, und ich habe dies selbst in unseren Chorkonzerten erlebt, wächst die Ausdruckskraft und die Wahrhaftigkeit der Musik.
    Leider haben die Aufnahmen Karajans alle einen Generalfehler, nämlich dass er unter Auslassen der Wiederholungen den Hörern einen Teil dieser herrlichen, großartig musizierten Stücke vorenthält.


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

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