Ist Mahler überschätzt?

  • Zitat

    farnielli: Ich habe bisher im Forum noch niemanden über vergleichbare Schwiergkeiten mit Bruckner schreiben hören..

    Liegt das vielleicht daran, lieber farinelli, dass im Forum sonst Niemand vergleichbare Schwierigkeiten mit Bruckner hat?


    Liebe Grüße


    Willi :)?(

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Zit: farinelli: "Mahlers Musik reflektiert immer auf die Abgeleitetheit seines musikalischen Materials, während Bruckner, wie ich fürchte und du ja auch anzudeuten scheinst, an seine musikalischen Ritterspiele glaubt."
    Es sind solche brillant-aphoristischen und die Sache im Kern treffenden Formulierungen, die einem die Lektüre in diesem Forum zuweilen zu einem wahren Vergnügen werden lassen.

  • Bei der Beurteilung von Musik, so meine ich, kann Wissenschaft sicherlich behilflich sein, ein endgültiges Ergebnis wird sie nie bringen.

    Also, ich denke die Musikwissenschaft kann schon zu "objektiven" und weitgehend endgültigen Erkenntnissen kommen, sonst wäre Sie keine Wissenschaft. Und die Bedeutung bestimmter Komponisten (Bach, Mozart, Beethoven, Mahler, Stravinsky..) für die Entwicklung der Musik steht doch wohl außer Zweifel. Eine ganze andere Frage ist die, ob ich persönlich die Bedeutung eines Komponisten für MICH genauso einschätze. Warum haben Menschen Probleme zu sagen, ja xyz war ein wichtiger Komponist, aber mir sagt seine Musik nichts. Ich kenne/kannte Menschen, für die endet die Musikgeschichte mit Bach, für andere beginnt sie erst mit Beethoven, manche können Mozart nicht ausstehen, andere Wagner. Alles völlig in Ordnung. Trotzdem muss ich doch anerkennen, dass es bedeutende und wichtige Komponisten waren.

  • Wissenschaft sucht nach Wahrheit, nicht nach Wertungen. Klar, das lässt sich bei Kunstgeschichte, Musikwissenschaft u.ä. nicht immer ganz sauber trennen. Aber es ist schon ein Unterschied, ob man eine wissenschaftlich sinnvolle Frage, etwa die Entstehungsgeschichte einer Sinfonie von Mahler, bearbeitet, oder eine ästhetische Wertung haben will. Das zweite ist keine wissenschaftliche Fragestellung. (Wobei natürlich eine gewisse Vorauswahl getroffen wird, von welchen Werken überhaupt jemand Interesse hat, eine kritische Edition, die Entstehungsgeschichte u.ä. zu eruieren.) Es ist gewiss ein Missverständnis, von der Musikwissenschaft eine eindeutige Antwort auf die Frage zu verlangen, ob Mahler "besser" sei als Bruckner, so wie man den Physiker fragen könnte, ob die Lichtgeschwindigkeit in Glas oder Plexiglas höher ist.


    Bzgl. Mahler und Bruckner weiß ich nicht, ob Farinellis Eindruck richtig ist. Vielleicht bei den oben genannten Wand und Celi. Aber bei der Mehrzahl der Hörer und Musiker? Ich habe ja auch nur anekdotische Belege, aber den Eindruck, dass es nicht wenige gibt, die beide Komponisten schätzen. Oder aber zu beider Musik ein differenziertes Verhältnis pflegen.
    Und längst nicht alle Bruckner-Hörer sind monolithische Verehrer (selbst wenn dieser Komponist wie sonst nur Wagner mit diesen Fans gestraft zu sein scheint...) Mein Verhältnis zu Bruckner ist gespalten, seit ich mit 17 oder so zum ersten Mal eine seiner Sinfonien auf CD gehört habe.


    In Internetforen scheinen mir sowohl Bruckner- wie auch Mahler-Fans eher überrepräsentiert (u.a. weil männliche und klangtechnikbegeisterte Hörer hier überrepräsentiert sind). Und wie schon mehrfach im Forum genannt wurde, ist die Bruckner-Verehrung immer noch recht eng auf den deutsch- und englischsprachigen Raum beschränkt. In den romanischen Länder spielt sein Musik kaum eine Rolle, in den slawischen meines Wissens auch keine so herausgehobene.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zwiegespalten scheint mir aber weit eher die musikalische Welt Bruckners zu sein. Denn gewisse seiner Ecksätze, etwa die Finali der 7. und 8. enthalten so viel Händeringendes, Aufgeblähtes, so viel naives und plattes Pathos, daß sich bei mir als Zuhörer nicht selten ein Gefühl der Peinlichkeit einschleicht. Ich habe bisher im Forum noch niemanden über vergleichbare Schwierigkeiten mit Bruckner schreiben hören. Der krause, umständliche Zug seiner ausschweifenden Diktion baut seine Bögen mitunter über unterkomplexe Sequenzierungen auf, und gäbe es nicht immer wieder den weihevollen Adagio-Gestus auch in den Ecksätzen, möchte man um die musikalische Substanz mancher Passagen fürchten. Ein strahlender Blechbläsertriumph ist bei Bruckner ein zu Tode gerittenes Stilmittel, über das hinauszugelangen nicht möglich ist.


    Bruckners Musik zerfällt für mich u.a. in die Aspekte warmer, inniger, reifer und intimer Gesten und solche, die martialisch, grandios, triumphal sein wollen, aber sich für mich nicht aus den intimen Passagen ergeben, sondern aus entliehenen Posen gespeist scheinen.


    Mahlers Musik reflektiert immer auf die Abgeleitetheit seines musikalischen Materials, während Bruckner, wie ich fürchte und du ja auch anzudeuten scheinst, an seine musikalischen Ritterspiele glaubt.


    Lieber Farinelli,


    ich erinnere mich an ein Konzert während meiner Studienzeit, wo Peter Gülke, damals Generalmusikdirektor in Wuppertal, Bruckners 5. in der Wallfahrtskirche Neviges dirigierte. In der Pause unterhielten sich zwei Musikwissenschaftler. Der eine meinte: "Wenn ich diese Musik analysiere, ist das Material völlig trivial. Ich wundere mich dann aber, was trotz alledem für eine tolle Musik dabei herauskommt!" Bruckner ist in der Tat ambivalent. Da gibt es das schwerfällige Blech, die theatralische Geste, die Erhabenheit suggerieren soll, ganz im Geiste des 19. Jhd., wo man die Theaterapotheose für die Wirklichkeit nahm. Das ist höchst unelegant und sehr "deutsch" im Vergleich mit Mahler, bei dem auch das schwere Blech immer eine tänzerische Leichtigkeit bewahrt. Mahler ist unendlich flexibel, Bruckners Musik dagegen hat - er war ein großer Bewunderer von Richard Wagner - eine gewisse Steifigkeit, vergleichbar dem Walkürenritt. Deutscher geht es nicht - völlig ungraziös dieser Ritt, herrisch auftrumpfend und vor allem laut: Tätärätä. Mrawinskys Aufnahme kann mich mit dem Walkürenritt versöhnen, weil er ihn "undeutsch" dirigiert: Statt dem triumpfalen Tätärätä betont er den rhythmischen Unterbau, daß es nur so "swingt". Bei Bruckner muß ich aber sagen, daß ich über diese theatralischen Äußerlichkeiten einfach hinweghöre. Das Substanzielle sind die dynamischen Entwicklungen, die Fähigkeit, ein Thema nicht einfach hinzustellen, sondern sich langsam verdichten und entwickeln zu lassen. Da ist er en detail höchst originell. Wirklich nachhaltig beeindruckt hat mich Furtwänglers Aufnahme der 5. aus der Kriegszeit, aufgenommen im von Bombenangriffen bedrohten Berlin. Das ist einfach entwaffnend natürlich - Musik, wie sie organischer nicht sein kann. Wenn man bislang keinen Zugang zu Bruckner gefunden hat, dann findet man ihn gewiß hier!


    Schöne Grüße
    Holger

  • Hallo,


    es ist wirklich wahr:man beschütze die Meister vor Ihren Anhängern!
    Bei Bruckner fingen die Probleme schon damit an,daß seine Schüler ihn zu Bearbeitungen seiner Werke drängten,wenn auch in der ehrenhaften Intention,die Aufführbarkeit bei den damaligenOrchestern zu verbessern.Bruckner selbst hat sicher gespürt,daß diese Umarbeitungen seinen Vorstellungen nicht entsprachen.
    Hierzu gibt es eine kleine Geschichte,die zudem Bruckner und Mahler zusammenführt.


    Wenn Mahler in Wien war,besuchte er stets Bruckner in dessen Wohnung (dies war zu Mahlers Zeit in Budapest und Hamburg).Bei einem solchen Besuch erzählte Bruckner,daß die Brüder Schalk (Franz Schalk war ja später unter Mahler Hofkapellmeister und nach dem Ersten Weltkrieg Staatsoperndirektor) mit Umarbeitungen seiner Sinfonien beschäftigt seien (ich weiß nicht,um welche Werke es sich hier gehandelt hat).Mahler ließ sich die Originalpartituren zeigen und riet Bruckner dringend,auf die Umarbeitungen zu verzichten.
    Darauf Bruckner (unendlich erleichtert):dann brauch´ ich ja die Schalks nimmer!


    Dies hat allerdings Mahler nicht gehindert,anläßlich der Uraufführung von Bruckners Sechster 1899 erhebliche Eingriffe ins kompositorische Material und Kürzungen durchzuführen.


    Viele Grüße


    Joachim Schneider

    "Die Musik steht hinter den Noten" (Gustav Mahler)

  • Ich habe jetzt nicht die ganze Rubrik gelesen, bringe deshalb hier nur meine sehr persönliche Antwort auf die Frage des Rubriktitels:


    Ein Komponist, der immerhin meine Lieblingssinfonie komponiert hat (die Nr. 2 c-moll, die "Auferstehungssinfonie") kann aus meiner Sicht gar nicht überschätzt sein, höchstens unterschätzt. :)


    Mahler gehört (neben Mozart, Bach, Beethoven, Wagner, Verdi, Schubert, Brahms, Tschaikowski und Dvorak) zu meinen zehn Lieblingskomponisten, Bruckner würde ich hingegen nicht mal zu meinen 30 oder 40 Lieblingskomponisten zählen, obwohl mir einige Sätze seiner Sinfonien wirklich sehr gut gefallen, aber es gibt bei ihm keine einzige Sinfonie, bei der mir alle Sätze wirklich gefallen... ;)


    Vielleicht verschiebt ja jetzt irgendein Moderator diesen Beitrag in die Rubrik "Wird Bruckner unterschätzt?"... :D

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Ich liebe Mahlers Musik sehr! Insofern ist mir egal, ob Andere (wer auch immer) Mahler für "überschätzt" halten, von wem, warum und in welchem Maße auch immer. :hello:
    Gut gelaunte Grüße von Accuphan

    „In sanfter Extase“ - Richard Strauss (Alpensinfonie, Ziffer 135)

  • Ich finde die Anmerkungen zu Bruckner interessant, suche gerade noch einen Thread, an den man das evtl. anfügen könnte, damit es hier nicht zu weit ab führt.
    Ich habe die Kommentare zu Bruckner jetzt in einen bestehenden Thread Bruckner - Kultfigur? KOPIERT, damit hier nicht der Zusammenhang gefährdet wird. Dennoch bitte ich darum, allfällige Anmerkungen zu Bruckner dort anzubringen.

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  • Du nennst ja selbst die 1. und 2. weiter unten in Deinem Post unter den besonders beliebten Mahler-Symphonien. Dass die 4. sehr beliebt ist, konnte ich hingegen noch nicht beobachten - eher im Gegenteil.


    Ich denke, dass man zwischen "überhaupt beliebt" und "besondere Favoriten von Mahlerfreunden" unterscheiden muss. Meine Hervorhebung von 1,2,4 und 5 bezog sich v.a. auf das allgemeine Publikum. Bei der 3. bin ich zB sicher, dass sie unter denen, die keine dezidierten Mahlerfans sind, NICHT allzu populär ist und ich habe auch Zweifel, dass sie es unter allen dezidierten Mahlerfans ist, wenn auch vielleicht unter einer bestimmten Gruppe. Ziemlich sicher ist die 3. ein oder der Höhepunkt des "Sinfonie als eine ganze Welt"-Ansatzes, den Mahler ja so ähnlich vertreten hat.
    Da sich die Ironie freilich schon sehr deutlich hier im "Bimm Bamm"-Satz findet und die 4. (bzw. das Finale) eine Art Auskopplung aus dem Plan der 3. ist, würde ich die 4. auf alle Fälle noch mit in diese Periode hineinnehmen (nicht nur aufgrund der Wunderhorn-Bezüge, die die ersten 4 alle teilen).
    Dass die 4. auch schon vor dem Mahler-Boom und von Dirigenten, die sehr lückenhafte Mahler-Diskographien vorgelegt haben, sehr häufig eingespielt worden ist, mag auch äußerliche Gründe haben (Spieldauer, Orchestergröße); vielleicht überschätze ich daher ihre Beliebtheit ein wenig. Sie war aber auch unter den ersten dreien, die ich kennengelernt habe (1,2,4, nicht unbedingt in dieser Reihenfolge).


    Auch die 9. und das LvdE sind meinem Eindruck nach sehr beliebt, nicht nur bei Mahlerianern (und wiederum wurden sie von Dirigenten, die nur einige Werke Mahlers interpretiert haben, eingespielt: zB Karajan und Giulini).

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  • Gerade mal wieder Mahlers Achte gehört. Das ist auch bei mir die Mahler-Symphonie, mit der ich am meisten Probleme habe. Aber wenn man sich dann mal die Zeit gönnt und das Stück in Ruhe hört, beeindrucken tut es schon.


    Die heute gehörte Aufnahme habe ich für den Preis eines U-Bahntickets bei ebay ersteigert. Colin Davis ist ja nicht gerade als Mahlerdirigent in die Geschichte eingegangen, vielleicht hier sogar ein Vorteil. Denn er hat natürlich hervorragende Referenzen als Dirigent von großformatigen Chorwerken. Ich denke da an seinen mehrfach preisgekrönten Messias und die Berlioz-Schinken (Te Deum, Requiem, Trojaner). Diese Live-Aufnahme von 1996 ist jedenfalls sehr eindrucksvoll, mit Spitzensängern und -chören, die manchmal das Ganze zu überwältigen drohen, was von Mahler vermutlich durchaus intendiert war. Dazu eines der erfahrensten Mahlerorchester und trotz der Livesituation hervorragend eingefangen. Die darf neben Solti, Bernstein und Gielen ihren Platz einnehmen.


  • Und dass die Sonne um die Erde kreist, auch.
    ...


    Das kann man so nicht sagen. In Zeiten, wo wissenschaftliches Denken noch nicht (oder vielleicht auch nicht mehr) sonderlich ausgeprägt war, ist der Begriff "Beweis" nicht viel mehr als Ausdruck der persönlichen Überzeugung. Bestenfalls durch Überlegungen mit einigem Wahrscheinlichkeitsgehalt gestützt. Solche Beispiele sind ungeeignet, um damit gegen moderne Wissenschaft argumentativ ins Feld zu ziehen.


    Weiters wirst du mir keinen "Beweis" für das geozentrische Weltbild zitieren können. Es war schlicht und einfach die erste brauchbare Theorie, die folgerichtig aus der Anschauung entstand. Und physikalische Theorien halten eben so lange, bis man ihnen einen Fehler nachweist. Das ist eben die fundamentale Eigenschaft einer Theorie: sie ist formulierte Zusammenfassung des aktuellen Wissensstands. Sie kann daher nicht zwangsläufig positiv bewiesen, aber durch ein beweisbares Gegenbeispiel zu Fall gebracht werden. Dann muss sie verfeinert werden (oder auch gelegentlich vollständig fallen gelassen werden) und gilt in der überarbeiteten Form, bis man wieder ein Haar in der Suppe findet. Dieses Wechselspiel definiert den wissenschaftlichen Fortschritt, wobei die Naturwissenschaftler insofern einen Vorteil haben, als sie mit klarer definierbaren Objekten arbeiten als Geisteswissenschaftler.


    Interessant ist in diesem Zusammenhang noch der Effekt, dass Theorien, die von der Wissenschaft schon längst aufgegeben wurden, in der Allgemeinheit noch lange munter weiter bestehen können. Aber das ist jetzt wohl eine ganz andere Baustelle...

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Ich liebe Mahlers Musik sehr! Insofern ist mir egal, ob Andere (wer auch immer) Mahler für "überschätzt" halten, von wem, warum und in welchem Maße auch immer.


    Das ist ein sehr klares Bekenntnis zu Mahler. Es gefällt mir sehr, weil es da kein Wenn und Aber gibt.
    Ich habe erst dieser Tage die "Auferstehungssymphonie" in Berlin gehört. Tugan Sokhiev dirigierte sein Deutsches Symphonie Orchester. Dabei ist mir wieder sehr deutlich geworden, dass Mahler den großen Raum, die Unmittelbarkeit - eben die Liveaufführung braucht. Erst unter diesen Bedingungen wird seine Form, wird, was er will, zum Ereignis, zur persönlichen Erfahrung. Und sind die Lautsprecher und die Anlagen zu Hause noch so gut, sie bringen nicht annährend zustande, was im Konzert möglich ist. Es ist ja die Jahreszeit, in der sich Menschen gern durch die Aufführungen husten, so auch hier. Ob im himmlischen zweiten Satz oder gar beim Beginn des magischen "Urlicht" aus dem Nichts heraus, bellende Auswürfe fuhren erbarmungslos dazwischen. Nur am Ende, als das gigantische Finale ausgeklungen war, man es aber noch vibrieren spürte, da war für drei vier lange Sekunden Totenstill. Auch kein Huster war unterwegs. Alles wie in einer Schockstarre. Es war, als sei eines der Wunder geschehen, die Mahler im Konzertsaal vollbringen kann.


    Weil es an anderer Stelle diese Debatte um die angeblich etwas musikalisch verwahrloste Jugend gibt: Ich habe selten so viele junge Menschen gesehen wie an diesem Abend in der Berliner Philharmonie. Und das nicht nur bei dieser Veranstaltung. :):):)


    LG Rheingold

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Lieber Rheingold,


    ich teile Deine Meinung hinsichtlich der überragenden Wirkung von Live-Erlebnissen Mahlerscher Musik.
    Allerdings ist sicher auch viel Wahrheit in dem Diktum von Blaukopf, nämlich daß Mahler in den Sechtiger Jahren durch die (Stereo-)Schallplatte "erlöst" worden sei.


    Viele Grüße


    J.Schneider

    "Die Musik steht hinter den Noten" (Gustav Mahler)

  • Dabei ist mir wieder sehr deutlich geworden, dass Mahler den großen Raum, die Unmittelbarkeit - eben die Liveaufführung braucht. Erst unter diesen Bedingungen wird seine Form, wird, was er will, zum Ereignis, zur persönlichen Erfahrung.

    Das kann ich so ncht bestätigen. Wenn ich ihn auf mp3-Player mit guten Kopfhörern höre, wird er für mich auch zum Ereignis und zu einer tollen persönlichen Erfahrung. :)


    Und zwar ganz ohne Huster... ;)

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Hallo,


    man kann aber doch nicht leugnen,daß Mahler im Hinblick auf die großen Konzerträume seiner Zeit komponiert hat. Immer wieder hat er zur Verzweiflung der Musiker Retuschen an seiner Instrumentierung angebracht, wenn er selbst dirigiert hat und er meinte, daß die Raumakustik dies erfordern würde.
    Den "wahren" Mahler - und dies sage ich als HIFI-Freak - erlebt man tatsächlich nur in einem adäquaten Konzertsaal.


    Viele Grüße


    J.Schneider

    "Die Musik steht hinter den Noten" (Gustav Mahler)

  • Langweilig oder effekthaschend, Komponierer, Instrumentierer, zu langsam, zu schnell, zu zu zuzazuzuzazahumtata... Am Ende bleibt, was hinten herauskommt. Ich genieße all seine Sinfonien 1-6, die 2. und 6. am meisten. Ich über- oder unterschätze gar nichts, weil ich ihn musiktheoretisch nicht sezieren kann und mir professionelles Urteil in diesem Fall egal ist: denn ich schätze seine Musik und schätze, dass sie Emotionen in mir weckt. Mehr brauche ich nicht. Mein Haus bekommt allerdings vom Hammer der Sechsten Risse, da muss ich aufpassen. ;)

  • Auch ich schließe mich der Meinung an, daß Mahler im Live-Konzert am besten abschneidet. Die meisten seiner Sinfonien habe ich mehrfach gehört, die 1. als sicherlich diejenige, die sich am meisten erschließt und auch von "Provinzorchestern" gespielt werden kann - mind. 8 x. Und immer wieder lasse ich mich berauschen, gefangennehmen von der Musik.


    Zum Mahlerfest 2011 in Leipzig konnte ich 3 Sinfonien erleben, die 2., die 3. und die 8. , die 2. und 8. mit dem Gewandhausorchester unter Chailly, die 3. mit den Dresdenern. Allein der Jubel im Schluß der 8. mit über 450 Mann auf der Bühne, auch schon der Orgelauftakt im 1. Teil der 8. - das macht mir Gänsehaut. Das "Urlicht", das Posthornsolo der 3. , die Todesahnung der 9. , alles das gehört bei mir in die Kategorie "liebste Komponisten". Eigentlich kann man alles anführen, nur mit der 6. und 7. habe ich ein paar Probleme - aber sicher kann ich durch häufigeres Hören und Studium der Mahler-Biographien weitere offene Fragen dazu klären. Mahler hat es einfach verdient, sich mit ihm zu befassen. Und ohne sein Leben zu kennen, wird man auch seine Musik nur schwer verstehen.

    Unvergessen für mich auch eine Aufführung der 2. in Weimar anläßlich der Kulturhaupstadt Europas - mit dem vereinten Sinfonieorchester des BR und dem israelischen Staatsorchester unter Zubin Mehta - das alles als Open Air (mit allen Vorbehalten, die ich generell dazu habe ) im Park Kromsdorf bei herrlichem Abendwetter.


    Unter den Sinfonikern ist Mahler meine Nr. 1. Er ist nicht überschätzt, eher unterschätzt. Auch meine Frau steht auf den Gustav, wobei die Kenntnis der doch traurigen Liebe zur Alma beeinflussend sind. Ach Almschi!


    La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Hallo, La Roche,


    ich kann Dir in allem nur absolut beipflichten.
    Ich möchte nur etwas davor warnen, Mahlers Biografie allzu stark mit seinen Werken zu verknüpfen, obwohl dies allgemein weit verbreitet ist. Die Aussage seiner Werke, wenn es überhaupt möglich ist, eine solche zu beschreiben, geht weit über die Fährnisse eines einzelnen Menschenlebens hinaus, auch wenn dieses -wie bei Mahler- in Höhen und Tiefen einen durchschnittlichen Erfahrungshorizont weit überstieg.


    Ich neige -im Gegensatz zu manchen Biografen- nicht zum "Alma-Bashing" und es stellt sich wirklich die Frage, für wen die gegenseitige Liebe, die sicher bestanden hat, trauriger war.


    Wer gute Nerven hat, der sehe sich den Mahler-Film von Ken Russell an, bei wem man dies nicht voraussetzen kann, der greife zu dem Film "Mahler auf der Couch", der sehr witzig und sehr klug ist.


    Viele Grüße


    J.Schneider

    "Die Musik steht hinter den Noten" (Gustav Mahler)

  • Ich neige -im Gegensatz zu manchen Biografen- nicht zum "Alma-Bashing" und es stellt sich wirklich die Frage, für wen die gegenseitige Liebe, die sicher bestanden hat, trauriger war.

    Servus, Joachim,


    ja, diese Frage steht. Alma hat ja auf Befehl von Gustav von ihrer musikalischen Karriere Abstand genommen und sich darauf spezialisiert, Gutavs Gekritzel als Noten zu identifizieren und in Reinschrift leserlich zu machen. Sicher war das eine persönliche Enttäuschung für sie, sie wurde von Gustav in musikalischer Hinsicht (zu recht?) unterdrückt. Und sicher war sie - die vom Elternhaus her Wein, Weib (Mann) und Gesang liebte, mit anderen Erwartungen in die Ehe gegangen. Gustav kam von den Proben oder Opernaufführungen nach Hause und war müde, Alma dagegen war mopsmunter.


    Fakt ist auch, daß Gustav eine Art "persönlichen Minderwertigkeitskomplex" gegenüber seiner Frau hatte. Der betrogene Ehemann ist ja auch nicht der Siegertyp. Mit wem Alma schon vor Gustavs Tod intim war, darüber wird viel geschrieben (besonders in Wikipedia unter Alma Mahler), und vieles ist sicher wahr. Aber ich glaube schon, daß er mit der 8. seiner Frau beweisen wollte, wozu er fähig ist.


    Im hohen Alter soll Alma rückblickend auf ihre Liebhaber geäußert haben, daß diese alle nur "Milben" waren im Vergleich zu Gustav. Wobei ich nicht beurteilen kann, was "Milben" im Bett machen außer allergieauslösenden Kot.


    La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

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  • Hallo,


    ja, das soll sie tatsächlich gesagt haben und zwar in Gegenwart ihres dritten Ehemanns, Franz Werfel!
    Wohl nicht umsonst hat ihre Tochter Anna sie als "Tigermama" bezeichnet. Interessant sind in diesem Zusammenhang auch die Memoiren ihres Kurzzeit-Schwiegersohns Ernst Krenek.


    Viele Grüße


    J.Schneider

    "Die Musik steht hinter den Noten" (Gustav Mahler)