Auf den Spuren von Beethoven? - Franz Schubert: Sinfonie Nr. 9 C-Dur, D 944 "Die Große"

  • Hallo Wolfgang und Co.,


    die Bernstein-Aufnahme mit dem Concertgebouw-Orchester ist erste Sahne. Hier die Spielzeiten (sollte Dich beruhigen ;)):


    I. 13:23
    II. 14:37
    III. 10:39
    IV. 11:29


    Wie man sieht, im 1. und 2. Satz sogar flotter als in New York. Wer hätte das gedacht?


    Liebe Grüße
    Joseph
    :hello:

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Ich habe noch nie auf die exakten Zeiten geachtet, ich glaube auch nicht, dass das so aussagekräftig ist. Manches kann sehr viel schneller wirken, als es wirklich gespielt wird. Da spielen die Blue-Notes eine große Rolle. Manchmal wird etwas halt langsam hingerotzt und genau dadurch wird Dynamik erzeugt, die gar ncihts mehr mit der eigentlichen Geschwindigkeit zu tun hat. Bernstein hat da öfter mal echten Mut gezeigt. Siehe seine 3. von Beethoven. Aber das ist ja auch ein Grund, warum ich oft unbekannte Orchester und Dirigenten bevorzuge. Mehrl Leidenschaft als Präzision.

    ich weiß, dass ich nichts weiß. Aber ganz sicher bin ich mir da nicht.

  • Wie sieht der Notentext der letzten Takte in dieser Ausgabe aus? Besitzt jemand die Partitur der Neuen Schubert Ausgabe oder hat Zugang dazu in einer Bibliothek? Wo wird das Autograph aufbewahrt?


    V/4a+b: Sinfonie Nr. 8 in C


    vorgelegt von Werner Aderhold
    Kassel: Bärenreiter 2003 (BA 5554)
    ISMN M-006-49713-3
    Umfang (Band a+b): XXIX + 398 Seiten
    .

    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • Google mal nach "schubert decrescendo" oder "schubert decrescendo hairpin" Die Stelle in der Sinfonie ist nur eine von vielen.
    Es ist nach wie vor zweifelhaft, u.a wohl weil die Autographen nicht gut zu entziffern sind. Es könnte auch sein, dass ein Sforzato-Keil für Schubert tatsächlich immer ein Abklingen also " sf > p" implizierte. Insofern kann man nicht so einfach sagen, dass eine Lesart falsch wäre.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Also ich habe jetzt auch nochmal die Coda des Finales in verschiedenen Aufnahmen verglichen. Decrescendo macht z. B. Giulini mit dem BRSO (1993), nicht aber Knappertsbusch mit den Wienern (1957) oder auch Wand mit dem DSO Berlin (1993). Wuchtiger als bei Kna geht nicht (Tonbeispiel).


    Andere Frage: Was sagt die Partitur bzgl. eines einleitenden Paukenschlags beim ersten Auftreten der vier Fortissimo-Sforzato-Schläge in der Coda? Den höre ich sehr deutlich bei Kna und auch Wand, zwei so unterschiedlichen Dirigenten, nicht aber bei Giulini. Dafür kommt er da in der Wiederholung, wo er wiederum bei Wand, nicht aber bei Kna fehlt. ?(

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Hallo Joseph,


    am 3. Mai erhalte ich die Neunte von Giulini und dem Chikago Symphnoy Orchestra, und dann werde ich mal auf die hier genannten Feinheiten hören und berichten.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Zunächst möchte ich heute von einer anderen Neunten berichten. Durch Zufall hatte ich auf Classica geschaltet, wo gerade das Eröffnungskonzert der Salzburger Festspiele 2009 lief: Wiener Philharmoniker, Nikolaus Harnoncourt. Auf dem Stuhl des 1. Konzertmeisters saß diesmal Rainer Honeck, ihm zur Seite Albena Danailova. Das Hauptwerk aber kaum noch, eben Schuberts Neunte. Ich habe mir mal die zeiten gemerkt und die von der Live-Aufnahme 1992 mit dem Concert Gebouw darunter geschrieben:


    2009 Salzburg: 16:15-16:00-15:15-12:30 -- 60:00 min.;
    1992 Amsterd.: 15:50-13:55-14:00-14:31 -- 58:16 min.;


    Auf den ersten Blick möchte man meinen, dass sich nicht allzu viel getan hat, aber, ohne die frühere erst noch zu hören, möchte ich mal annehmen, dass er nicht in beiden mit den Wiederholungen genau gleich umgegangen ist. Doch dazu am Schluss noch eine Bemerkung.
    Jedenfalls war dies keine Neunte wie jede Andere. Allein schon die Besetzung, zwei- bis dreifaches Blech, zweifaches Holz, 5 Kontrabässe, verriet, dass es hier klassisch zu Werke ging und nicht romantisch. Harnoncourt ordnete dieses Werk eindeutig noch der Klassik zu. Mit entsprechender Verve ging er an das Werk heran, sehr scharf akzentuiert und vor allem die dramatischen Aspekte der Partitur herausarbeitend. Wenn ich Kritiker wäre, würde ich vermutlich sagen: er befreite das Werk vom süßlichen romantischen Ballast.
    D. h. sein innerlicher Tachometer stand auf schnell, es kam nicht auf Schönklang an, obwohl die Hörner wieder hinreißend waren und der Solooboist der Wiener Philharmoniker, Martin Gabriel, konnte sich wieder trefflich auszeichnen, vor allem im Andante, im Scherzo und im Finale. Das Gleiche gilt aber auch für Michael Werba am 1. Fagott und den Soloflötisten Dieter Flury.
    Aber die Hauptarbeit lastete natürlich auf Harnoncourt, der mit seinen zu dem Zeitpunkt knapp 80 Jahren mit vollem Körpereinsatz zu Werke ging und das Orchester förmlich mitriss. Selten habe ich ein Konzert der Wiener Philharmoniker gesehen, bei dem neben dem Dirigenten derartig viele Musiker in Schweiß gebadt waren. Das kann nicfht nur am Sommerwetter gelegen haben.
    Ich sprach schon davon, dass Harnoncourt die dramatischen Aspekte der Musik betonte. Dies gilt vor allem auch für das Andante, das hier nicht elegisch aufgefasst, sondern kämpferisch dramatisch zugespitzt wurde.
    Das wunderbare Scherzo mit dem fast überirdisch schönen Thema im Trio wurde hier kongenial wiedergegeben und auch das Finale schloss sich auf dem gleich hohen Niveau an.
    Auch ganz selten hört man, dass das Finale mit einem "Fade out" beendet wird. Allerdings tut sich in diesem Satz mein einziges Fragezeichen auf. Warum hat Harnoncourt die Exposition im Finale nicht wiederholt?. Sonst hat er alle Wiederholungsvorschriften beachtet, und ich nehme auch an, dass er in seiner Liveaufnahme von 1992 im Gegensatz zu Salzburg auch die Wiederholung im Finale gebracht hat, aber ich werde mich bei Gelegenheit noch selbst davon überzeugen.
    Interessant wäre auch die Frage, ob dieses tolle Konzert demnächst auf DVD erscheint.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Lieber Willi,


    wenn man deine Zeilen über die Harnoncourt-Aufnahme aus Salzburg von 2009 liest, dann muss sich der Dirigent ja um 180C zum positiven hin gedreht haben :?::pinch:


    Die 1982er-Aufnahme ist ja Bestandteil seiner Schubert-Sinfonien _ GA (WARNER) , die ich im Falle der Sinf.Nr.1-6 hoch schätze.
    :thumbdown: Aber die Grosse C-Dur habe ich noch nie so langatmig und langweilig gehört wie dort. Das geht mir total gegen den Strich, was Harnoncourt da ablieferte ... absolut nicht meine Aufnahme !


    ;) Ich nehme aber nicht an, dass man hier nicht berücksichtigen muss, dass Du an sehr vielen Aufnahmen noch etwas positives findest und erkennst, bei denen ich schon das Handtuch werfe. Bewundernswert ist das schon, aber bringt mich in meiner Geschmacksfinndung auch nicht weiter.
    8-) Harnoncourt und die Grosse - C-Dur -> Im Prinzip nicht mit mir !!!
    Ich hätte auch keine Lust, die Salzburg-Aufnahme zu testen, da mein Favorit für die 9te fest steht - dürfte ja aus anderen Beiträgen bekannt sein.

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Aber die Grosse C-Dur habe ich noch nie so langatmig und langweilig gehört wie dort.


    Dass dir Harnoncourts Deutung nicht gefällt, mag durchaus sein - aber ich kann mir nur schwer vorstellen, dass sie langweilig sei. Das passt so gar nicht zu NH...


    :hello:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Die Tempi in Harnoncourts großer C-Dur sind durchweg eher zügig; die relativ langen Spieldauern hängen allein daran, dass, soviel ich weiß auch im Scherzo, sämtliche Wdh. ausgeführt werden.
    Dagegen ist die h-moll bei Harnoncourt tatsächlich "bleiern", seine frühere Aufnahme mit den Wiener Sinfonikern noch weniger überzeugend. Man hat, das ist freilich nicht so selten bei der Unvollendeten, kaum einen Tempo- und Charakter-Unterschied zwischen den Sätzen

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  • Kürzlich bei einer Dienstreise nach Wroclaw hatte ich das dringende Bedürfniss, meine letzten polnischen Zlotti auszugeben und fand in eiem CD-Laden diese Aufnahme der grossen Sinfonie.


    SCHUBERT, F.: Symphonies Nos. 5 and 9 (Polish Symphony Orchestra Iuventus, Semkow)


    Ich finde diese CD leider nicht bei den Haus- und Hoflieferanten des Forums.


    Ich bin aber sehr angetan von der Aufnahme. Die Tempi sagen meinem Geschmack sehr zu (nicht so schnell) und klanglich kann man nicht meckern. Kennt jemand anderes diese Aufnahme?


    LG,
    Thomas

    "Lassen Sie sich ruhig fallen, bei Bruckner fallen Sie immer nach oben"
    Günter Wand

  • Als ich im "Frisch entstanden"-Thread berichtete, Thomas Hengelbrocks neue Aufnahme von Schuberts 8. Sinfonie (nach neuer Zählung) gekauft zu haben, schrieb Maurice sinngemäß "hoffentlich wirst Du nicht enttäuscht sein", während Michael Schenk sich begeistert von seinem Konzerteindruck zeigte.


    Als vorweggenommenes Fazit stimme ich Michael weitaus mehr zu, kann aber auch die Sichtweise von Maurice nachvollziehen, denn Hengelbrocks Sichtweise auf Schuberts "große Sinfonie" ist alles andere als konventionell.



    Schon der Beginn der Sinfonie lässt aufhorchen. Thomas Hengelbrock ließ die Hörner auf eine Empore im Konzertsaal (Musik- und Kongresshalle Lübeck) stellen, um "ein Ruf aus der Natur" "als ob es von Ferne käme" (aus dem Beiheft) zu erzeugen.
    Ob es dieses besonderen Effekts bedurft hätte, lasse ich einmal unbeantwortet im Raum stehen (obwohl ich damit schon genug beantwortet habe ;) ), aber schon von den ersten Takten an wird der Hörer aufgefordert, sich an eine Interpretation zu "gewöhnen", die er so wahrscheinlich noch nicht gehört hat.


    Vergleichsweise schnell, in 3:14, haben Hengelbrock und sein bestens disponiertes Orchester die Einleitung durchspielt, ehe dann, mit einem deutlichen Accelerando in den letzten überleitenden Takten, recht rasch das Hauptthema beginnt. Das hier in diesem Thread schon erwähnte Prinzip "die Viertel [im Andante] wie die Halbe [im Allegro]", also das allmähliche, fast unmerkliche schneller werden -exemplarisch zu hören bei Gielen oder "Norrington I"- findet hier jedenfalls keine Anwendung.


    Auch im weiteren Verlauf aller Sätze trifft der Hörer auf Passagen, die Hengelbrock schneller oder langsamer nimmt als gewohnt (zum Beispiel zum Ende des 1. Satzes in der Schlusscoda bremst der Dirigent das Tempo ab, anstatt es, wie viele andere Interpreten, anzuziehen. Auch das zweite Thema des 2. Satzes ist hier langsamer zu hören als üblich).
    "Diese Schubert-Aufnahme ist auch ein Plädoyer für Flexibilität im Tempo" beschreibt er sein Interpretationskonzept im Beiheft. Accelerandi und Ritardandi bewirken nicht nur, dass der Hörer konzentriert zuhört, sondern, namentlich im 2. Satz, jegliche Zeitvergleiche vergisst.


    Vereinfacht ausgedrückt: Man hört gar nicht, wie „langsam“ Hengelbrock wirklich ist, man vernimmt nicht, dass die Spielzeit der Sinfonie über eine Stunde beträgt (inkl. aller Wiederholungen), denn auch wenn er in den schnellen Sätzen es an einer vorwärts strebenden Grundhaltung nicht fehlen lässt, nimmt er sich die Zeit, um einzelne Passagen besonders liebevoll zu beleuchten, um Nebenstimmen Rhythmen und Phrasierungen, die gerne einmal dem Tempo geopfert werden, hervorzuheben.


    Namentlich der für mich besonders heikle, weil in einer mittelmäßigen Interpretation Langatmigkeit erzeugende 2. Satz entkoppelt sich schier von „Raum und Zeit“, denn Dirigent und Orchester belassen es nicht bei einem gleichbleibenden Marschrhythmus, sondern variieren nicht nur die Tempi, sondern auch die Stimmungen im Satz. Lyrischer, verinnerlichter, auch tänzerischer und dramatischer hat man diesen Satz, über den Robert Schumann sagte „Hier lauscht alles, als ob ein himmlischer Gast im Orchester herumschliche“, kaum jemals gehört.
    Die in diesem Thread auch schon erörterte „große Katastrophe“ steuert Hengelbrock mit einem deutlich accelerierenden Tempo an. Der eigentliche Effekt wird jedoch nicht in dem Orchesterfortissimo, sondern nach der folgenden fünf Sekunden dauernden Generalpause erzielt. Ganz leise und schüchtern fragend („darf es weiter gehen?“), im zweiten Pizzicato sogar noch leiser und verhaltener als im ersten, beginnt die Musik wieder zu spielen. Der Effekt ist grandios, denn er wird ohne Effekthascherei erzielt, auch wenn die Generalpause wohl länger dauert als in der Partitur vorgesehen.


    Apropos „Effekt“: Die Oboe im 2. Satz ist ein „Traum“ und ein Beleg dafür, dass das NDR Sinfonieorchester seinem neuen Chefdirigenten mit Hingabe und Leidenschaft folgt und nichts von seiner hohen Qualität eingebüßt hat, auch wenn es nach der „Ära Wand“ nur noch sehr selten auf dem CD-Markt aufgetaucht ist.


    Nach dem sehr subtil gestalteten „Andante con moto“ wirkt das rasante, stark rhythmusbetonte Scherzo wie ein tänzerischer „Sog“ voller Orchestervirtuosität und Farbigkeit. Einzig im Trio hält er ein wenig inne, um dynamisch fein abgestuft das gesamte Orchester klanglich „zum Leuchten zu bringen“.


    Auch im Finale zieht Thomas Hengelbrock noch einmal alle Register der flexiblen Tempogestaltung bei einem ebenfalls vorwärts strebenden Grundtempo und scheut sich nicht, bei 9:55 eine kurze Generalpause einzufügen, quasi ein „retardierendes Moment“, um „kurz Luft zu holen“ (oder ist es nur ein profaner Schnittfehler?).


    Wer die klassizistische Strenge eines Sir Roger Norrington (London Classical Players), Michael Gielen oder Sir Charles Mackerras schätzt, der wird sich unter Umständen mit Thomas Hengelbrocks rubatoreichem Interpretationsansatz schwer tun. Wer aber der Meinung ist, dass ein Meisterwerk umso meisterhafter ist, je unterschiedlicher es gestaltet werden kann, der entdeckt in dieser Neuaufnahme eine faszinierende Alternative, die (zumindest für mich) umso schlüssiger klingt, je öfter man sie hört.

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler



  • Ich höre in diesen Tagen oftmals Schuberts Neunte, heute also in Wands Live-Aufnahme mit den Berliner Philharmonikern. Von ihm habe ich derzeit 3 Aufnahmen mit der Neunten, den BPh, dem Kölner RSO und den Münchener Philharmonikern, dazu eine vom Schleswig Holstein Musikfestival, die ich aber demnächst auf DVD erhalte.
    Diese mit den Berliner ist sicherlich eine der besten Deutungen von Schuberts Neunter, die überhaupt jemals dirigiert worden ist. Da ist einfach alles enthalten, Brio, Vitesse, Originalität, musikalische Qualität (BPh) und dirigentische Sorgfalt. Zusammen ergibt das eine Aufnahme, die kaum noch zu toppen ist. Günter Wand ist auch mein erster Anwärter als Dirigent der besten Gesamtaufnahme der Schubert-Sinfonien.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Ich hatte mal eine live-Aufnahme Wands mit dem NDR-Orchester. Die fand ich zwar nicht schlecht, aber auch in keiner Hinsicht besonders bemerkenswert und habe sie wieder abgegeben. (Dito die Kölner Aufnahmen von 4 und 8). Kennt jemand sowohl die NDR als auch die "Berliner" 9. im Vergleich? Norbert vielleicht... ;)

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    (Bob Dylan)

  • Norbert sogar ganz bestimmt ;) .


    Aus dem Gedächtnis heraus empfand ich Schuberts 9. als eine der wenigen Sinfonien, bei der die Zusammenarbeit mit den Berliner Philharmonikern interpretatorisch gelungener ausfiel als die mit "seinem" NDR-Sinfonieorchester, aber das Gedächtnis wird in den nächsten Tagen noch einmal auf den neuesten Stand gebracht... ;)

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Ich bin zwar nicht direkt auf der Suche nach noch einer 9. von Schubert. Aber bei den drei Schubert-Sinfonien, die ich gehört hatte, konnte ich Wands Ausnahme-Ruf nicht verstehen. Sie sind geradlinig und ziemlich nüchtern. (Bei Bruckner ist das eine eigene Qualität Wands, die man nicht so häufig findet, obwohl ich auch hier, von dem ausgehend, was ich gehört habe, den Ausnahmerang des Dirigenten in diesem inzwischen doch sehr gut abgedeckten Repertoire nicht ganz nachvollziehen kann.)
    Weder Wiener Charme noch romantischer Überschwang. Und wenn ich eher schlank-klassizistische Lesarten suche, dann kann ich zu HIP greifen.


    Besagter Mitschnitt war auch klanglich nicht besonders bemerkenswert.

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  • Müsste ich Wands Berliner Interpretation mit einem Schlagwort umschreiben, fiele mir als erstes wohl "kraftvoll" ein.
    Wands Ansatz hat nichts tänzerisch-verspieltes, er sieht Schubert bei der 9. Sinfonie eindeutig eher als "Vorfahre" von Bruckner und nicht als "Nachfahre" Mozarts oder Haydns.

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


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    Gustav Mahler


  • Es kommt ja nicht von ungefähr, dass Wand sowohl als Schubert-Dirigent als auch als Bruckner-Dirigent hervorgetreten ist. Das Adverb "kraftvoll" habe ich in meinen kurzen Ausführungen in Posting 315 nur vergessen, wahrscheinlich, weil ich vor der Fußballübertragung noch schnell etwas essen wollte. Aber es passt natürlich hervorragend zu dieser Aufnahme. Vielleicht kann ich heute Abend etwas über die Münchener Aufnahme sagen, und in den nächsten Tagen werde ich die Lübecker Aufnahme von 1995 auf DVD erhalten, die am 20. August 1995 live auf dem Schleswig Holstein Musikfestival aufgenommen wurde und in der er die Unvollendete und die Große C-dur-Symphonie dirigiert hat. Sie ist auch inziwschen viel gerühmt.


    Liebe Grüße


    Willi :)

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  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Ich meinte mit "Berliner" die in #315 gezeigte CD, die ich nicht kenne. Ich glaube, ich hatte die in #2 auf der ersten Seite gezeigte (gekauft Mitte der 90er).

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  • Zitat

    Johannes Roehl: Ich meinte mit Berliner die in # 315 gezeigte CD...

    Ich auch, sie datiert von 1995, die Aufnahme mit dem DSO Berlin entstand dagegen schon zwei Jahre vorher und war zunächst (lt. Biografie Günter Wands) eine nicht im Handel erschienene CD des Fördervereins des DSO. Mittlerweile ist sie allerdings im Handel und zwar in der ersten 8-CD-Box:

    Diese Box enthält 5 Einzel-Volumes, von denen ich zwei mit insg. 4 CD's und Schubert 8/Bruckner 9 und Schumann 4/Brahms 1 und 4 vor Weihnachten günstig erstanden habe. Ich zögere noch, jetzt noch mal die ganze Box für um die 70 € zu erstehen, um Bruckner 5, sowie Beethoven 1, 3 und 4 zu bekommen. Mal schaun, ob nicht auch die Einzel-Volumes wieder erscheinen.
    Jedenfalls habe ich vorhin diese Aufnahme gehört:
    Sie ist im gleichen Jahr entstanden wie die Aufnahme mit dem DSO (1993) und unterscheidet sich nicht so gravierend von der Aufnahme mit den Berliner Philharmonikern. Auch sie ist sehr kraftvoll, mit großen Steigerungen, vor allem der Dissonanzsteigerung im Kopfsatz und der Coda sowie der Coda im Finale, aber auch mit den wunderbar ausgearbeiteten lyrischen Passagen, die vor allem in den Seitenthemen, aber auch in der Einleitung des Hauptsatzes auftauchen, versehen und ist nur geringfügig länger als die Aufnahme mit den BPh.
    Wand 1995 (BPh): 13:56-15:46-10:46-11:44 -- 52:12 min.;
    Wand 1993 (MPh): 14:16-16:26-10:54-12:14 -- 53:48 min.;
    Ich werde später noch einmal die Aufnahme Celis mit den Münchener Philharmonikern hören und hier kurz vorstellen, die genau 9 Monate nach Wands Aufnahme entstand, nämlich im Februar 1994. Sie ist nicht viel länger als Wands Aufnahme.


    Liebe Grüße


    Willi :)

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    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Nun habe ich nach dem langen Boxabend doch noch Celis Schubert geschafft. Er ist gegenüber Wands neun Monate vorher entstandenem Münchener Schubert nur unwesentlich länger und trotz des gewöhnlich groß dimensionierten Münchener Orchesters sehr gut strukturiert und offenbart, vor allem in den tiefen Streichern und in den Holzbläsern, so manche noch nie oder selten gehörte Einzelheiten. Und, die eineinhalb Minuten Mehrdauer bei Celi verteilen sich auf die Ecksätze, das Andante ist bei beiden gleich lang und im Scherzo ist Celi sogar 40 Sekunden kürzer.
    Durch seine nochmal nach oben etwas ausgedehntere Dynamik und noch etwas mehr ausgespielten Steigerungen in allen Sätzen verleiht Celibidache seiner Aufnahme zumindest in den Ecksätzen, aber auch in den Steigerungen des Andante ein Maestoso, das der großen C-dur-Symphonie, wenn sie denn so spannungsvoll musiziert wird wie von Celi, gut zu Gesicht steht. Bei Wand war das auch schon zu verspüren, wohl nicht so ausgedehnt, und auch bei Abbado hatte ich den Eindruck. Nun müsste ich auch noch mal Giulini und Muti gegenhören und schaun, wie es bei denen klingt. Es liegt auf der Hand, dass die beiden großen Bruckner-Antipoden Celibidache und Wand auch eine große Affinität zu Schuberts Neunter haben, die in der Tat nicht auf Brahms, sondern auf Bruckner vorausweist, und die Spuren zeigen somit m. E. deutlich von Beethoven weg.


    Aber Celis Lesart ist im wahrsten Sinne des Wortes doch "eine Wucht".


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Ich bin zwar nicht direkt auf der Suche nach noch einer 9. von Schubert. Aber bei den drei Schubert-Sinfonien, die ich gehört hatte, konnte ich Wands Ausnahme-Ruf nicht verstehen. Sie sind geradlinig und ziemlich nüchtern. (Bei Bruckner ist das eine eigene Qualität Wands, die man nicht so häufig findet, obwohl ich auch hier, von dem ausgehend, was ich gehört habe, den Ausnahmerang des Dirigenten in diesem inzwischen doch sehr gut abgedeckten Repertoire nicht ganz nachvollziehen kann.)
    Weder Wiener Charme noch romantischer Überschwang. Und wenn ich eher schlank-klassizistische Lesarten suche, dann kann ich zu HIP greifen.


    Besagter Mitschnitt war auch klanglich nicht besonders bemerkenswert.


    Wenn man Wands Aufnahmen mit seinem NDR-Sinfonieorchester und den Berliner Philharmonikern charakterisieren möchte, dann kann man sie durchaus als "geradlinig und ziemlich nüchtern" bezeichnen. Wand war kein Dirigent, dem "furtwänglerscher" oder, ganz aktuell, "hengelbrockscher" Subjektivismus attestiert werden kann, wenngleich es namentlich in der Berliner Aufnahme einige Stellen gibt, in der sich Wand durchaus als recht flexibel in den Tempi erweist (das Trio des Scherzos relativ breit ausspielt, z.B.).


    Bei den Tempi an sich ist anzumerken, daß er zwar das Andante con moto relativ langsam spielen lässt, aber die relative Langsamkeit nicht dazu nutzt, ein "Drama zu formen". Die charakteristische "große, dissonante Katastrophe" im Satz gerät vergleichsweise "neutral", gerade wenn man sie mit den schon genannten Furtwängler, Hengelbrock oder Mackerras (Philharmonia Orchestra) vergleicht. Eine "Generalpause" nach dem Ausbruch, quasi als Erholung, dauert bei Wand noch nicht einmal zwei Sekunden (im Vergleich zu ca. sechs bei Hengelbrock oder Mackerras). Damit wird der emotionale Ausdrucksgehalt dieser verstörenden, vielleicht sogar erschreckenden und gefühlsmäßig aufwühlenden Passage strak eingeebnet.


    Zu viele Gefühle waren nicht Günter Wands Ansinnen, stattdessen setzte er lieber auf starke Kontraste zwischen wuchtigen Blech- und (namentlich in der Berliner Einspielung) lyrischen Holzbläsereinsätzen.


    Und hierin liegt der Unterschied zwischen beiden Aufnahmen: Mit den Berliner Philharmonikern agierte Wand nicht ganz so "klassizistisch-streng", nicht ganz so "gradlinig". Die Holzbläser klingen zarter, wärmer, während das Blech noch ein Stückchen kräftiger auftrumpft. Zusammen mit einer etwas größeren Flexibilität der Tempi wirkt die Einspielung aus Berlin insgesamt etwas wärmer und "milder" (gleiches ist auch bei den Bruckner-Aufnahmen zu hören), aber wenn "Charme", "Romantik" oder auf der anderen Seite das Hervorheben der rhythmischen, stellenweise sogar "tänzerischen" Strukturen im Vordergrund stehen, dann ist Günter Wand wohl tatsächlich nicht die allererste Wahl.


    Ihn kann man gerne wählen, wenn man in Schuberts "Großer C-Dur Sinfonie" eher das Werk eines Klassikers und nicht eines Romantikers sieht.

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Zitat

    Norbert: Ihn kann man gerne wählen, wenn man in Schuberts "Großer C-Dur-Sinfonie" eher das Werk eines Klassikers und nicht eines Romantikers sieht.

    Dass das durchaus auch anders gesehen wird, lieber Norbert, und nicht nur auf die Neunte bezogen, sondern auch auf Schuberts andere Sinfonien, mögen die nachfolgenden beiden Zitate belegen:

    Zitat

    Wolgang Seifert: Auch die frühen Sinfonien von Franz Schubert sieht Günter Wand nicht nur, wie sonst vielfach üblich, aus dem Blickwinkel der Vorbilder, also Haydns und des frühen Beethovens. Wie besonders deutlich in der reifen C-Dur-Sinfonie (D.944), deren schon auf Bruckner vorausweisende Strukturen Wand immer mitschwingen lässt, stellt er auch die genialen sinfonischen Frühwerke durchaus in ihren eigenständigen zukunftsweisenden Perspektiven dar.


    Zitat

    Alfred Beaujean (FAZ, 29.5.1990): Das führt bei aller musikantischer Energie und rhythmichen Pointierung zu einem >romantischen< Lyrismus, der nur noch die Formschemata aus der Klassik respektiert, aber darüber hinaus zu neuen Ufern drängt. In keiner der vorliegenden Gesamtaufnahmen ... wird dies so deutlich wie in jener Wands.

    (Hervorhebung von mir)
    Wenn die zu mir unterwegs befindliche DVD vom Abschlusskonzert des Schleswig Holstein Musikfestivals am 20. August 1995 mich erreicht (sie kommt von Übersee), werde ich sie sorgfältig hören und sehen und mich dann mit einem Bericht in diesem Thread melden, mal sehen, ob ich dann zu einem ähnlichen Urteil komme wie bei der Aufnahme Celis:

    Zitat

    William B.A.: ...und die Spuren zeigen somit m. E. deutlich von Beethoven weg.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Lieber Willi,


    okay, ich mag mich ein wenig missverständlich ausgedrückt haben.


    Nicht umsonst schrieb ich ja bereits vorgestern: "Wands Ansatz hat nichts tänzerisch-verspieltes, er sieht Schubert bei der 9. Sinfonie eindeutig eher als "Vorfahre" von Bruckner und nicht als "Nachfahre" Mozarts oder Haydns. "


    "Das Werk eines Klassikers" soll nicht heißen, er dirigiert Schubert wie Mozart oder Haydn, sondern so wie Alfred Beaujean es ausdrückt: " Das führt bei aller musikantischer Energie und rhythmichen Pointierung zu einem >romantischen< Lyrismus, der nur noch die Formschemata aus der Klassik respektiert, aber darüber hinaus zu neuen Ufern drängt."


    Also "klassisch" im formellen Sinn der "Strenge" und nicht des Ausdrucksgehalts.


    Nebenbei: "Spuren zeigen von Beethoven weg" ist für mich nicht klar greifbar. Denn zum einen zitiert Schubert ja Beethoven ganz eindeutig im Finale mit dem "Freude, schöner Götterfunken"-Motiv und zum anderen ist mir nicht klar, von welchem Beethoven Schubert weg führt.


    Beethoven ist ja nicht gleich Beethoven ;) . Wenn man die Sinfonien betrachtet, so erreicht ja bereits die "Eroica" einen Ausdrucksgehalt, beispielsweise und insbesondere im "Marcia funebre", der zu Beethovens Zeit unerreicht war und die bisherige klassische Form sprengte. Und ich persönlich sehe in der 9. Sinfonie Beethovens mehr "Verlassen klassischer Strukturen" als bei Schubert. Abgesehen vom Chorfinale, auf das ich mich noch nicht einmal speziell abgrenzend beziehen möchte, ist es Beethoven, der als einer der ersten die klassische Sinfonienstruktur verlässt, indem er das Scherzo als zweiten Satz spielen lässt und nicht Schubert.


    Ein spannender Diskussionspunkt, wie ich finde...

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Zitat

    Norbert: Nebenbei: "Spuren zeigen von Beethoven weg ist für mich nicht klar greifbar".

    Du hast natürlich, Recht, lieber Norbert, der Satz ist etwas missverständlich. Schuberts Neunte führt natürlich nicht da von Beethoven weg, wo dieser die Pfade der Klassik zumindest inhaltlich, aber auch formal, bereits verlassen hat, sondern, wie es auch Wolfgang Seifert gesagt hat, von Haydn und vom frühen Beethoven weg- ähnlich wie es auch in Schuberts späten Sonaten zu bemerken ist. Auch da findet Schubert zu eigenständigen Lösungen, trotz der selbst schon auf neuen Wegen befindlichen späten Sonaten Beethovens.


    Bemerkenswert ist aber, um auf Wand zurückzukommen, dass Alfred Beaujean ausgerechnet die Aufnahmen Wands als diejenigen bezeichnet, die dem Aufbruch Schuberts zu neuen Ufern am meisten Ausruck verleihen.


    Anders ausgedrückt könnte man sagen, dass nicht nur Beethoven seine klassische Spur verlassen hat, sondern auch Schubert, der ja altersmäßig noch der Klassik angehörte, früh diese klassische Spur verlassen hat, vielleicht auch durch seine (von wem auch immer verliehene) Gabe, stets neue musikalische Einfälle zu haben und, wenn wir an etlichen seiner "Spätwerke", ob in der Sinfonik, Kammermusik oder in seinem Liedschaffen, weit in die Zukunft hinaus wies.


    Liebe Grüße


    Willi

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Das wird jetzt vielleicht ein wenig zu allgemein. Aber wenn "Ausdrucksgehalt" und "Form" zwei verschiedene Aspekte eines Musikstücks sind (der Ausdruck so etwas wie der "Inhalt" der Form) dann müsste man ja schon näher erklären, warum und wie bestimmte Ausdrucksgehalte eine Form sprengen. Also zB eine Abweichung von einem Schema aufgrund eines Programms (was in "absoluter" Musik schwierig wird). Ich finde die gesamte Sprechweise des "Formensprengens" missverständlich (u.a., weil ich gerade bei Beethoven und einigen Meisterwerken des späten Schubert wie diesem hier, aber auch vielem von Haydn und Mozart glaube, dass man "Inhalt" und "Form" gar nicht trennen kann, aber das führte zu weit).


    Dass irgendeine von Schuberts Sinfonien 1-6 eine klassische Form "sprengt", halte ich für eine eher exotische Ansicht. Im Gegenteil scheinen mir hier viele Sätze formal sehr schematisch (was man bei Haydn, einem der "Väter klassischer Formen" sehr selten findet).


    Lassen wir das h-moll-Fragment mal weg, bei dem man vielleicht am ehesten meinen könnte, dass es aufgrund von Konflikten zwischen einer äußeren Form und Schuberts Ideen nicht zu Ende komponiert wurde.


    Sofern man nicht bloße Ausdehnung als "formsprengend" ansieht, ist die große C-Dur-Sinfonie eigentlich vergleichsweise (zu Beethovens 3.,5.,6.,9.) konventionell. Klar, der Umfang, besonders des 3. und 4. Satzes ist außerordentlich, geht aber auch nicht über Beethoven hinaus. (Das Scherzo dürfte recht genau dem von dessen 9. im Umfang entsprechen, das Finale ist natürlich kürzer). Der Kopfsatz ist kürzer und erheblich übersichtlicher/geradliniger als von Eroica oder 9., entspricht diesbezüglich eher Beethovens 7.
    Tatsächlich scheint er mir auch konventioneller als zB. der Kopfsatz von Schuberts Quintett, was angesichts der knapp 3 Jahre, die zwischen den beiden Werken liegen dürften (die Datierung der C-Dur auf Schuberts Todesjahr wird meines Wissens inzwischen verworfen) auch einleuchtet.


    Was ich besonders originell und poetisch finde, ist eigentlich nichts, was klassischen Formen widersprechen würde. Ungewöhnlich an der Einleitung ist nicht ihr Umfang (das gibt es schon bei Mozarts "Prager" und Beethovens 7.), sondern die selbstständige "romantische" Hornmelodie, die gar nicht allzu einleitend wirkt (dieser vorbereitende Charakter kommt erst im Laufe des Andante-Abschnitts heraus).


    Es ist erstaunlich wie unterschiedlich sich zB die Einleitung zu Beethovens 7. "anfühlt", auch wenn das vielleicht eher ein Unterschied zwischen zwei Komponisten als zwischen "Klassik" und "Romantik" ist. In der 7. empfinde ich schon den ersten Akkordschlag als spannungsreich, die folgenden Tutti-Akkorde scheinen immer ein wenig "zu früh" zu kommen, als ob die Kraft nur mit Mühe gezügelt werden könnte).


    Dagegen entfaltet sich bei Schubert alles erst einmal sehr entspannt und allmählich. Ein weiterer genialer und "romantischer" (aber ebenfalls nicht mit "Formen" konfligierender) Zug ist, dass ein Melodiefragment (punktiertes Motiv: tat- taaa-tat-taaa) aus der Einleitung im Hauptsatz sehr wichtig wird, der sonst fast allein rhythmisch bestimmt ist. Und natürlich die "Apotheose" des Hornmotivs der Einleitung in der Coda ganz am Ende des Kopfsatzes. Aber auch solch ein Wiederkehren von Elementen aus der Einleitung gibt es schon bei Haydn (Sinf. 103), Mozart (Quintett KV 593) und Beethoven (zB Trio op.70/2), ist jedenfalls, selbst wenn das bei Schubert noch stärker verquickt ist, als solches nicht "romantisch". Die Durchführung, wo man ja vielleicht am ehesten Freiheiten erwarten könnte, ist bei Schubert ziemlich knapp, übersichtlich und zielstrebig (schon im Umfang kein Vergleich zur Eroica mit ihrem zusätzlichen Thema u.a. Komplikationen).
    Rein formal ist das m.E. weit eher ein bruchloses Verschmelzen von "romantischem Ausdruck" mit klassischen Formen.
    Dass das je nachdem wie ungezähmt das Blech eingesetzt wird, bei manchen Dirigenten stellenweise nach Bruckner klingt, ist eine andere Sache, aber für mich eher äußerlich.


    Auch im Finale könnte man klassisch/romantische Aspekte betrachten und unterscheiden, vielleicht ein andermal.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

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