Beethoven, Symphonie Nr. 9 d-moll op. 125
Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks u.a.
Chor des Bayerischen Rundfunks u.a.
June Andersen, Sopran
Sarah Walker, Mezzosopran
Klaus König, Tenor
Jan-Hendrik Rootering, Bass
Dirigent: Leonard Bernstein
AD. 25. 12. 1990 (Liveaufnahme)
Spielzeiten: 17:53-12:00-20:28-9:35-18:05 – 78:01 min.;
Manchmal kommt man zu so einer Aufnahme wie die Mutter zum Kind. Eigentlich hatte ich nur nachgeschaut, ob denn Bernsteins DVD-GA der Neun Symphonien Beethovens wieder habhaft wäre. Dabei stieß ich auf diese Aufnahme, die ich auf dem Marktplatz günstig erstand.
Bernstein, der ja schon für seine erste Neunte 1964 in New York gut 70 Minuten brauchte und für die Wiener Neunte noch mal eine Minute mehr, war hier noch mal etwas langsamer.
Aber- welch eine Spannung von Anfang an. Welch eine Kraft des großdimensionierten Orchesters mit vierfachem Holz und großer Streicheraufstellung, und, was das Wichtigste ist, welche Konzentration und Präzision von Anfang an und welche Leidenschaft, sowohl in der Körpersprache als auch in der Mimik Bernsteins, was mich zu der Überzeugung kommen lässt, dass zu dem Zeitpunkt und zu der Gelegenheit kein Anderer als er (auch und gerade als Jude) dieses Konzert hätte dirigieren können.
Der Paukist hatte von Anfang an alle Mühe, im Tutti gegen dieses Orchester anzukommen, aber er war gut durchzuhören und vor allem zu sehen.
Dieses spannungsvolle und leidenschaftliche Dirigat und Musizieren währte bis zum Ende. Wie extrovertiert und immer noch auch zu körperlicher Anstrengung fähig Bernstein in diesem schon weit fortgeschrittener Stadium seiner Erkrankung war, zeigte auch das Scherzo, in dem er im Trio tanzte und so sein Orchester voranpeitschte.
Und dann kam das Adagio. Wenn es je eines Beweises bedurft hätte, dass dieser Satz ein veritables Adagio molto und das Schönste noch dazu und keineswegs ein Andante con moto oder was auch immer ist, dann hat Bernstein ihn hier geliefert, auch dass dieser Satz, wie es gehört, der längste Instrumentalsatz der Neunten ist und nicht der kürzeste. Und das Scherzo ist eben der kürzeste Instrumentalsatz und nicht der längste.
Wie dicht und wie erschütternd intensiv Bernstein diesen 20:28 Minuten währenden musikalischen Teppich wob, wurde schon am Anfang deutlich, als nicht nur mir, sondern auch ihm die Tränen in die Augen schossen. Er ging stets an die Grenze des auch für ihn Erträglichen und brachte so ein musikalisches Wunder zustande. Dieser Satz ist für mich sowieso ein Wunder, aber hier war er es im Besonderen. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich ihn jemals so intensiv gehört hätte. Auch die beiden Blechbläsersteigerungen waren Grenzerfahrungen. Die Trompeten wurden wahrlich zu den Trompeten von Jericho, die im wahrsten Sinne des Wortes Mauern zum Einsturz brachten. Welch eine Symbolik.
Eine weitere Überraschung hielt das Finale bereit. Der Chor des Bayerischen Rundfunks , verstärkt durch Mitglieder des Rundfunkchores Berlin und den ca. 70köpfigen Mädchenchor der Dresdner Philharmonie überzeugt genauso durch Durchschlagskraft und Präzision wie die vier exzellenten Solisten, die ebenso hübsche wie stimmgewaltige Sopranistin June Anderson, die überzeugende Mezzosopranistin Sarah Walker, den mir bis dato völlig unbekannten, aber vor allem in der Marcia sensationellen Heldentenor Klaus König, der, wie ich mich kundig machte, an der Oper Leipzig, dann an der Dresdner Staatsoper und auch an der Wiener Staatsoper die großen Rollen des Heldenfachs, angefangen vom jugendlichen Max aus dem Freischütz, den Erik aus dem Holländer und später auch den Lohengrin, den Tannhäuser und den Tristan sang. Mein Gott, hatte der äußerlich eher unscheinbare Mann eine Stimme. So muss man das singen. Ich habe ja auch schon bei anderen Heldentenären wie René Kollo (Bernstein) und Jess Thomas (Karajan) gesagt, wie überzeugend sie für mich diese Partie gesungen haben.
Auch Jan-Hendrik Rootering füllte die Basspartie mit Kraft, fundierter Tiefe und sicherer Höhe. Überhaupt haben die beiden männlichen Solisten in der Neunten ja mehr Gelegenheit, sich auszuzeichnen als die Damen, wenn sie dies den tun (oder können).
Dies ist sicherlich, trotz des teilweise ungewohnten Textes, eine der am intensivsten und überzeugendsten vorgetragenen Aufführungen der Neunten, die ich bisher gehört (und gesehen) habe.
Liebe Grüße
Willi