Ludwig van Beethoven - Klavierkonzert Nr 1 in C-dur op 15

  • Die solistische Besetzung ist wohl für eine spezielle Aufführung des 4.? Konzerts historisch nachweisbar, aber sie war weder der Normalfall noch spricht etwas dafür, dass sie als ideal gesehen wurde.
    Klavierkonzerte sind ein spezielles Feld.
    Aber bei Sinfonien war die Besetzungsstärke meinem Eindruck nach hauptsächlich eine Geld- und Organisationsfrage. Wenn genügend Mittel vorhanden waren, wurden die Orchester groß besetzt, allerdings mit (für die Tutti) verdoppelten oder gar verdreifachten Holzbläsern. So etwa das Pariser Orchester, für das Haydns gleichnamige Sinfonien gedacht waren. Wenn wenig Geld oder im Falle der halbprivaten Eroica-Aufführung mit nur knapp 30 Musikern, gab es eben kleinere Orchester.
    Meines Wissens hat Hogwood in seinen Sinfonienaufnahmen versucht, die Uraufführungsbesetzungsstärke herzustellen, jedenfalls wird diese erheblich variiert, mit einem sehr großen Orchester bei der 9.

    Die Frage, wie es nun damals eigentlich wirklich klang, ist trotz aller Informationen zur Aufführungspraxis nicht zweifelsfrei zu klären; weil eben auch damals die Zusammensetzung je nach Lage der Verhältnisse rochierte. Selbst wenn wir zehn Tonaufnahmen von um 1800 hätten, bin ich sicher, jede klänge anders.



    Was die Frage der "Sentimentalität" betrifft: Ich glaube, dass es hier eine Tendenz gibt, das Kinde mit dem Bade auszuschütten und in teils berechtigter Opposition zu bestimmten Interpretationshaltungen stattdessen in minimalistische Besetzung und möglichst nüchternen Interpretationen eine Art "Neoklassizismus" zu praktizieren. Ohne Frage galt Beethoven in seiner Zeit als tief rührende emotionale Musik und ein Stück wie der Mittelsatz des C-Dur-Konzerts ist ohne Zweifel ein ziemlich "romantisches" Stück für 1798.

    Das ist der Punkt und daher halte ich die hier in Rede stehende Aufnahme für genauso übetrieben in ihrem Minimalismus, wie man früher das Klavierkonzert extrovertiert zu einem monumentalen Orchesterstück mit monolithischem Klavier gemacht hat. Die Wahrheit liegt wie immer in der Mitte und ich denke, hier im Thread hat man mittlerweile ein halbes Dutzend Aufnahmen genannt, mit denen man sehr gut leben kann: Gould, Gilels, Vogt, Brendel; dazu "Geheimtipps" wie Wührer oder Backhaus; dann natürlich die HIPen Sachen. Schon erstaunlich, wie man sich an einem im Grunde gar nicht mal so berühmten Konzert abarbeiten kann - aber mir persönlich gefällt es schon immer besser als 3-5 ...

    Einmal editiert, zuletzt von Yorick ()

  • Zitat

    Yorick: Das war ja der Grund meiner Recherchen, ich wollte eine Interpretation ohne zu viel Romantik, gerade im 2. Satz; aber auch im 1., der 3. ist ja schon von der Struktur her weniger anfällig!

    Hallo Yorick,


    Da müßte Dir doch auch die Interpretation des 1. Klavierkonzertes durch BACKHAUS/ISSERSTEDT sehr gut Deinen Vorstellungen entsprechen. Hast du inzwischen diese Aufnahme schon hören können? Dein Eindruck würde mich sehr interessieren!


    Auch bezüglich der Aufnahme dieses Konzertes durch GOULD/GOLSCHMANN sind wir uns ja überdie großen Qualitäten dieser Einspielung ganz einig. GILELS dagegen spielt mir das 1. Klavierkonzert doch eine Spur zu mächtig. Ihn höre ich lieber mit dem 4. und 5. Klavierkonzert! Da kommt dann für mich, wie schon gesagt, schon noch lieber die alte Einspielung durch WÜHRER/SWAROWSKY in Frage.


    Viele Grüße


    wok

  • Nachdem ich in meinem Beitrag Nr. 26 bereits meine Favoriten für BEETHOVEN's Klavierkonzert Nr. 1 genannt habe, d. h. GOULD/GOLSCHMANN - BACKHAUS/SCHMIDT-ISSERSTEDT - WÜHRER/SWAROWSKY, möchte ich noch auf eine sehr interessante und ganz spezielle Einspielung dieses Konzertes durch ERICH APPEL mit den NÜRNBERGER SYMPHONIKERN unter ROBERT SEILER hinweisen.


    ERICH APPEL, ein ganz vorzüglicher Pianist und Klavierpädagoge, den ich schon 1961 in einem Sinfoniekonzert des FRÄNKISCHEN LANDESORCHESTERS in Nürnberg mit dem SCHUMANN-Klavierkonzert erleben durfte, der bei Colosseum mit JOSEF TRAXEL 11 LOEWE-BALLADEN aufnahm (als CD erhältlich beim "Hamburger Archiv für Gesangskunst") - eine leider viel zu wenig bekannte Einspielung, die JOSEF TRAXEL auch als hochtalentierten Liedsänger dokumentiert, - und der mit dem Geiger OLIVER COLBENTSON in wunderbarem Zusammenspiel Violinsonaten u. a. von BEETHOVEN, BRAHMS, GRIEG und MOZART eingespielt hat, war es meines Wissen neben ELLY NEY als einzigem Pianisten vorbehalten, auf BEETHOVEN's GRAF-Flügel, den er von 1823 bis zu seinem Tod 1827 benutzt hatte, anlaßlich dessen Restauration in NÜrnberg bei Firma J.C. Neupert 1965, dessen Klavierkonzert Nr. 1 sowie seine Bagatellen op. 33 aufzunehmen. Seitdem durfte wohl niemand mehr den Flügel im Bonner Beethovenhaus berühren.


    Wenn man bedenkt, daß ERICH APPEL nur ganz wenig Zeit blieb, sich auf diesem Instrument einzuspielen, ist das Ergebnis ein erstaunlich gutes, wobei man sich natürlich erst einmal an den Klang dieses altes Instrumentes gewöhnen muß. Bei der Vorstellung, daß BEETHOVEN selbst auf diesem Instrument bis zuletzt gespielt und mit ihm komponiert hat, und daß er so also seine eigenen Werke gehört hat - soweit ihm dies überhaupt noch möglich war - ist diese Aufnahme schon ein ganz besonderes Klangdokument.


    Auf youtube kann man übrigens den 3. Satz dieses Klavierkonzertes hören.


    Viele Grüße


    wok


  • Nach langer Zeit habe ich mir mal wieder die Aufnahme von Glenn Gould angehört (New York 1958, mit Vladimir Goldschmann). Wunderbar! Bei jedem anderen Pianisten würde dieses sehr zügige Tempo im 1. Satz nach Sport vom Klavierwettbewerb klingen, nicht aber bei Gould! Da ist Struktur drin und ein dynamischer Zug. Dazu passt die von ihm selbst komponierte Kadenz - eine ausladende Fuge natürlich! Beethoven als späte Fortsetzung von Bach - eine Perspektive, die aber völlig stimmig ist. Der langsame Satz ist zugleich empfindsam und klassisch entspannt. Auch hier beeindruckt Gould durch seine Natürlichkeit - ein nie manieriertes Klavierspiel. Das Finale mit barocker Spielfreude und einer wiederum von Gould komponierten Kadenz - kühner und gewagter als die erste, aber wiederum stimmig und spannend zu hören. Was er doch schon in diesen jungen Jahren für eine Reife hatte!


    Schöne Grüße
    Holger

  • Ähnlich habe ich beim Anhören dieser fesselnden Aufnahme empfunden, lieber Holger und im Posting Nr. 80 darüber geschrieben. Ich hatte assoziiert: "So könnte Bach um 1800 geklungen haben". Johannes Roehl brachte eine Einlassung Goulds ins Spiel, der die Nähe zu Reger betont habe: "Bach um 1900". Auf jeden Fall Bach.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Vorhin in "was höre ich gerade jetzt" gepostet, aber vielleicht auch gut genug, hier noch einmal aufzutauchen:


    "Aus der Bibliothek genau diese alte Ausgabe wie abgebildet ausgeliehen, frisch gerippt und bei mir laufend:



    hier höre ich gerade das erste Klavierkonzert von Beethoven mit Pollini, Jochum, Wiener Philharmoniker.


    So urgewaltig männlich habe das noch nicht gehört. Es beeindruckt mich sehr....ob es meinen Brendel vom Thron stösst, glaube ich nicht, weil ich nicht weiss, ob es mir irgendwann zu eindimensional vorkommt, aber es ist die vielleicht stärkste Bereicherung.
    Mann, hat der Kerl technisch gut Klavier gespielt. Wüsste ich es nicht, hätte vielleicht auf den jungen Gulda getippt.
    Sehr klar auch im Orchester. Der Mangel an rhetorischen HIP-Gesten und Artikulationen (eine Bogenvibrato/Fremissement-Stelle in Satz 2 z.B.) fällt nur ein einigen Stellen etwas auf, ansonsten überwiegend die Vorteile. Jochum teilt das druckvoll-männliche Gesamtkonzept."


    Ein solches Beethovenspiel kann schon unter die Haut gehen. Ein wertvolle Ergänzung meiner Sammlung.
    Holger: Die TV-Aufnahme mit Michelangeli im DG-Mitschnitt habe ich jetzt auch :-)


    Ich habe schon einige Vergleichsrunden gemacht, also Michelangeli/Guilini vs. Pollini/Böhm vs. Brendel/Rattle vs. Aimard/Harnoncourt.
    An ein Ende meiner Kauflust für diese Konzerte bin ich noch nicht angekommen. Brendel/Haitink hätte ich noch gerne, Uchida/Sanderling und vielleicht auch Ashkenazy/Solti. Ich kenne auch noch Argerich/Sinopoli und Arrau/Haitink.
    "Leider" muss ich noch andere Dinge tun, z.B. üben, studieren..... ;)



    Gruss
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Was hält die geschätzte Gemeinde denn von der Einspielung Evgeny Kissins unter der Leitung von Colin Davis für die EMI (2007). Ich habe sie gestern erhalten und im Prinzip auf einen Rutsch durchgehört, weil mich diese Aufnahmen so gefesselt hielten. Ich finde an Kissins GA ähnliche Aspekte bemerkenswert wie Glockenton sie gerade hinsichtlich Pollinis Einspielung mit Jochum und Abbado erwähnt hat: kraftvoll, markant, mit Verve - auch und gerade in den beiden frühen Konzerten Nr. 1 und Nr. 2.


    Andere Meinungen würden vielleicht nicht nur mich interessieren.




    Grüße,
    Garaguly

  • Habe soeben `in die Ausschnitte des Konzertes Nr. 1 `mit Kissin reingehört und finde, dass Davis sein Orchester sehr klangschön, artikulationsklar und durchaus auch mit Richtung in der Phrasierung führt. Die Sätze 1 und 2 gefielen mir von der Anlage her wirklich sehr gut, auch die Klavieranteile, soweit sie im Auschnitt hörbar sind. Um mehr zu sagen müssten die Ausschnitte länger sein. Allerdings empfinde ich den letzten Satz leider als ziemlich verhetzt und atemlos, was vor allem in den Orchesterteilen auffällt. Es ist hier noch schneller als bei Argerich und Brendel...
    Michelangelis langsamere Tempowahl kann ich auch sehr überzeugend weil von der Bewegung her wuchtiger finden, allerdings auch das sehr gute "Mediumtempo" von Pollini, dass Du hier hören kannst:



    Da Kissin und Davis ansonsten soviel richtig zu machen scheinen, finde ich das schade.
    Aber es gibt ja noch die anderen Konzerte. Ich werde in sie bei Gelegenheit hineinhören (ggf. bei youtube..?) und über eine Platzierung auf meiner Wunschliste entscheiden...


    Gruss
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Das erste Klavierkonzert mit Kissin habe ich vor längerer Zeit im Fernsehen mitgeschnitten - ich fand das nicht so berauschend.


    Den Hörschnipseln nach zu urteilen muß ich Glockenton zustimmen: Das Finale des 1. Klavierkonzerts ist eindeutig zu schnell - das klingt wie Spieluhrmusik. Was ich vermisse ist das Gefühl für eine klare, klassische Phrasierung (im langsamen Satz). Das ist mir zu schwammig. Ist er im Finale des 1. Konzerts zu geschwind, so könnte er im 3. Konzert etwas frischer sein. Und es fällt die Neigung zu einer gewissen Romantisierung auf. Aber das sind nur kurze Einblicke.


    Beste Grüße
    Holger

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  • Der größte Pianist der Gegenwart: so wird Lang Lang zumindest der breiten Öffentlichkeit gern einmal präsentiert. Und ich kannte bislang nicht einen einzigen Ton von ihm. Bei meiner letzten CD-Bestellung habe ich also ca. 3 EUR mehr in die Hand genommen als geplant, um das zu ändern. Beethoven bot sich an, kann ich da doch wenigstens halbwegs einordnen, was ich höre:



    Klavierkonzert Nr. 1
    Lang Lang


    Christoph Eschenbach / Orchestre de Paris


    Um das gleich vorwegzunehmen muß ich allerdings leider zugeben, daß ich von Langs Herangehensweise an Beethovens Konzert nicht gerade begeistert war. Insbesondere die ruhigen Momente tragen Züge, die das Wesen des Komponisten meinem Verständnis nach ganz und gar verfehlen. Manches klingt beseelt und fein perlend, wie es einem Mozart-Stück sicher nicht schlecht zu Gesicht gestanden hätte. Oftmals ergeht sich Lang aber auch in überromantisch wirkenden, samtweichen und rührseligen Decrescendi, teilweise fast bis zum Ersterben der Musik. Fast wirkt es, als habe ihn ein feiner Schleier von Tränen der Rührung beim Druck auf die Tasten behindert. Kontrastiert wird dies immer wieder von blockartig wirkenden Ausbrüchen von großer Kraft (und Lautstärke), was zusammen ein reichlich eigenwilliges Bild ergibt.


    Eine klare Idee, wie Beethovens Werk vorzutragen ist, bringt Lang Lang ohne Frage mit. Unter dem Strich scheint mir das hoch-klassische Konzert hier allerdings unter eine reichlich unpassende, gefühlsduselige Maske gezwungen.


    Christoph Eschenbach hingegen macht sich Langs Lesart zum Glück nicht in besonderem Maße zueigen, sondern verordnet dem Orchestre de Paris einen recht straffen und kraftvollen Zugriff auf das Konzert, das sich so schon deutlich mehr nach Beethoven anhört als der Solist. Der Orchesterklang ist leicht kantig aber kultiviert, 'groß' aber recht klar. Einen speziellen Eindruck vermochte Eschenbach jetzt nicht bei mir zu hinterlassen, aber hochklassig ist sein Part der Einspielung allemal.


    Im Endeffekt bin ich nun nicht übermäßig gespannt auf das ebenfalls auf der CD enthaltene 4. KK, aber anhören werde ich es mir sicher. Vielleicht geht mir ja doch noch ein Licht auf.

  • Ich will mal den Bogen zum neuen Rattle-Thread schließen, lieber Tobias. In der Rattle Box, die ich ja jetzt schon achtmal besprochen hab (siehe Sinfonien-Threads, sind auch zwei Aufnahmen des 1. Konzerts mit Lars Vogt und dem City of Birmingham S.O. dabei, die er offenbar beiden zwischen dem 3. und 5. Oktober 1995 aufgenommen hat, das eine mit Beethovens Kadenzen, das andere mit Goulds Kadenzen. Wenn ich mal Zeit habe, werde ich die beiden mal hören, zumal sie doch erheblich zeitlich Unterschiede vor allem im Kopfsatz, aber auch im Finale aufweisen. Hier der Zeitvergleich.


    1. KK: (Kadenzen Beeth.): 18:09-10:45-8:19);
    1. KK: (Kadenzen Gould): 14:59-10:45-9:00);


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Ach ja, die Spielzeiten hatte ich glatt vergessen. Ich habe Deinen (immer lesenswerten - das sei an dieser Stelle mal eingeworfen!) Rezensionen bereits vielfach entnommen, daß Du darauf ein starkes Augenmerk richtest, lieber Willi. :) Mir selbst geht das allerdings ehrlich gesagt eher nicht so, solang nicht ein ohrenfälliges Tempo-Extrem meine Aufmerksamkeit weckt. Wichtig ist mir erstmal, was die Musik 'sagt' - oder eben nicht.


    Aber ich will mal nicht so sein: ;) Also (lt. Cover, nicht ausgelesen):


    1. Allegro con brio (Kadenz: LvB) - 18.18
    2. Largo - 11.26
    3. Rondo. Allegro - 9.14


    Dem Blind-Vergleich mit Gould nach scheint das ja durchaus im 'klassischen' Rahmen zu liegen.

  • Um das gleich vorwegzunehmen muß ich allerdings leider zugeben, daß ich von Langs Herangehensweise an Beethovens Konzert nicht gerade begeistert war. Insbesondere die ruhigen Momente tragen Züge, die das Wesen des Komponisten meinem Verständnis nach ganz und gar verfehlen.

    Lieber Tobias,


    2007, als die CD erschien, habe ich meine Eindrücke notiert. Das ist schon lange her. Damals meinte ich: Mit dem 4. Konzert ist er komplett gescheitert. Das 1. fand ich durchaus anhörbar, er zeigt doch, daß er Musikalität hat und es gibt positiv zu vermerken ein Konzertieren, eine Zwiesprache mit dem Orchester, obwohl interpretatorisch eher rückwärts gewandt: Der Beethoven klingt bei ihm wie ein etwas verspäteter Mozart. Heute, wo ich seine weitere "Entwicklung" kenne - die leider keine gute ist - würde ich beim Wiederhören wohl deutlich kritischer sein. (Das mache ich vielleicht bei nächster Gelegenheit!) Immerhin würde ich Lang Langs Aufnahme der von Kissin vorziehen, die ich gar nicht berauschend finde. Die Bezeichnung von Lang Lang als "größter Pianist" ist eine Beleidigung für die wirklich größten. Die stammt von Leuten, die aus der klassischen Musik ein Show-Business und einen Medien-Zirkus machen wollen und von dieser selbst schlicht keinerlei Ahnung haben. Und das zeigt diese Platte: Zumindest das 1. Konzert ist ganz nett anzuhören, aber interpretatorisch ist das alles andere als weltbewegend. Da gibt es eine ganze Reihe deutlich besserer Alternativen.


    Schöne Grüße
    Holger

  • Die Bezeichnung von Lang Lang als "größter Pianist" ist eine Beleidigung für die wirklich größten. Die stammt von Leuten, die aus der klassischen Musik ein Show-Business und einen Medien-Zirkus machen wollen und von dieser selbst schlicht keinerlei Ahnung haben.


    Oha, deutliche Worte, lieber Holger!


    Ich bin mir schon bewusst, daß so manch hochgejubelter Interpret sein Star-Dasein maßgeblich den Verkaufsbemühungen irgendwelcher Plattenbosse verdankt. Aber Lang ist ja nun schon einige Jahre äußerst präsent - irgendetwas scheint er dem willigen Publikum ja zu geben. Ob es wohl dieses künstliche Über-romantisieren ist, das ich meinte herausgehört zu haben? Die Vermutung liegt für mich fast nahe. Aber wie gesagt: ich kenne auch nur diese einzige Aufnahme.


    Dem 4. KK werde ich noch einen Durchlauf gönnen, wo die CD hier nun schon einmal rumliegt. Danach werden mir aber sicher erstmal andere Pianisten einfallen, denen ich lieber meine Zeit und Aufmerksamkeit widmen möchte.

  • Als Kontrastprogramm zur durchwachsenen CD von Lang Lang will ich als nächstes meine Eindrücke zu einer von Glockenton schon kurz vorgestellten Interpretation meines großen Klavier-Favoriten hinterherschieben: Maurizio Pollini.



    (17.22 – 11.23 – 8.36; Kadenz: Ludwig van Beethoven)


    Die vorliegende Einspielung mit Eugen Jochum und den Wiener Philharmonikern, entstanden 1983 als Konzertmitschnitt, diente meines Wissens mehr oder weniger als Lückenfüller zur Vervollständigung Pollinis mit Karl Böhm begonnenen Zyklus' der Beethoven'schen Klavierkonzerte, der aufgrund Böhms Tod 1981 nicht vollendet werden konnte. Das Ergebnis spottet einer Beschreibung als 'Notnagel' allerdings in höchstem Maße:


    im direkten Vergleich mit Lang Lang macht Pollini geradezu frappierend deutlich klar, wie sehr jener das Wesen des Werks verfehlt hat. Immer kraftvoll und mit klarem Ton, ohne rührselige Träumereien, schlicht aber nie unterkühlt zeichnet Pollini die klassische Architektur von Beethovens Konzert mit scharfem Strich nach statt sie weichzuzeichnen und zu verwässern. Bei aller Brilianz verfährt Pollini dabei immer in höchstem Maße werkdienlich und ohne übermäßig herausgekehrtes Virtuosentum. Bei genauem Hinhören fällt zudem auf, wie fein akzentuiert und nuancenreich sein Vortrag trotz des klassisch-ebenmäßigen Konzepts ist. Kurz und gut: das ist phänomenales Klavierspiel - viel Luft nach oben ist da für meine bescheidenen Begriffe nicht mehr.


    Einen kongenialen Partner findet Pollini dabei in Eugen Jochum. Wie von Glockenton schon beschrieben ist dessen Zugriff ein ausgesprochen männlich-kraftvoller - klassisch, groß und mit viel Brio. Im Gegensatz zu den Herren Lang und Eschenbach denken hier zwei Männer erkennbar entlang derselben interpretatorischen Linien. Meinem Gefühl nach bringen die Wiener Philharmoniker unter Jochum zwar ein bißchen wengier 'Samt' im Klang als üblich mit, was Beethovens Klavierkonzert allerdings ganz ausgezeichnet zu Gesicht steht.


    Unter dem Strich halte ich diese Aufnahme für wahrhaft herausragend - erst recht unter dem Aspekt, daß es sich hier um einen Live-Mitschnitt und keine perfektionierte Studioproduktion handelt. Unter den mir bekannten Einspielungen der Beethoven-Konzerte ist sie einer meiner absoluten Favoriten. Ich kann jedem nur empfehlen, ihr einmal einen Ohr zu gönnen!

  • Die vorliegende Einspielung mit Eugen Jochum und den Wiener Philharmonikern, entstanden 1983 als Konzertmitschnitt, diente meines Wissens mehr oder weniger als Lückenfüller zur Vervollständigung Pollinis mit Karl Böhm begonnenen Zyklus' der Beethoven'schen Klavierkonzerte, der aufgrund Böhms Tod 1981 nicht vollendet werden konnte. Das Ergebnis spottet einer Beschreibung als 'Notnagel' allerdings in höchstem Maße

    Allerdings! :) Mit Jochum hat Pollini damals die Konzerte 1 und 2 aufgenommen, die Nummern 3 bis 5 sind mit Karl Böhm. Später gibt es dann noch zwei Gesamteinspielungen der Konzerte mit Claudio Abbado.


    Schöne Grüße
    Holger

  • Lieber Tobias, hier sind die beiden:


    Diese hier ist eine Live-Einspielung zumindestens einiger Konzerte. Bei jpc ist als Aufnahmedatum "1993-2006" angegeben. Die gibt es günstig für 24 Euro:



    Es kann deshalb sein, daß sich vielleicht eine Aufnahme deckt mit dieser hier (Aufn. 1993). Ich habe sie beide leider nicht sondern nur die "alten" Aufnahmen mit Böhm und Jochum:



    Mit seinem Freund Abbado hat Pollini die Konzerte immer wieder gespielt - da gibt es einige wirklich unglaublich mitreißende Videos!


    Schöne Grüße
    Holger

  • Vielen Dank für die Links, Holger! :)


    Die Ausgaben waren mir zumindest von Amazon & Co. her bekannt. Aufgrund des fast identischen Covers hatte ich allerdings immer angenommen, es müsse sich da um dieselben Einspielungen / Aufnahmen handeln. Könnte es nicht sein, daß die Aufnahme des Tripelkonzerts von 2006 stammt und die als Bonus zur Wiederveröffentlichung der 1993er-Konzerte gepackt wurde, um nochmal ein wenig Kaufanreiz zu schaffen?


    Ich würde das fast so vermuten, werde der Sache bei Gelegenheit aber einmal auf den Grund gehen. Evtl. bekomme ich die neuere Box ja mal irgendwo in die Finger. So 'jung' wie sie noch ist, dürfte ja vielleicht noch in dem einen oder anderen Offline-Laden stehen.

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  • Ich würde das fast so vermuten, werde der Sache bei Gelegenheit aber einmal auf den Grund gehen. Evtl. bekomme ich die neuere Box ja mal irgendwo in die Finger. So 'jung' wie sie noch ist, dürfte ja vielleicht noch in dem einen oder anderen Offline-Laden stehen.


    Lieber Tobias,


    bei Amazon kriegst Du die neue Box für 15 Euro. Billiger geht es kaum. Vielleicht bestellst Du sie, schaust dann rein, ob das tatsächlich neuere Aufnahmen sind und bestellst dann die andere nach, wenn es so ist?


    Schöne Grüße
    Holger

  • Vielen Dank für die Links, Holger! :)


    Die Ausgaben waren mir zumindest von Amazon & Co. her bekannt. Aufgrund des fast identischen Covers hatte ich allerdings immer angenommen, es müsse sich da um dieselben Einspielungen / Aufnahmen handeln. Könnte es nicht sein, daß die Aufnahme des Tripelkonzerts von 2006 stammt und die als Bonus zur Wiederveröffentlichung der 1993er-Konzerte gepackt wurde, um nochmal ein wenig Kaufanreiz zu schaffen?


    Ich würde das fast so vermuten, werde der Sache bei Gelegenheit aber einmal auf den Grund gehen. Evtl. bekomme ich die neuere Box ja mal irgendwo in die Finger. So 'jung' wie sie noch ist, dürfte ja vielleicht noch in dem einen oder anderen Offline-Laden stehen.


    Es handelt sich um dieselben Aufnahmen! DasTripelkonzert hat Pollini leider nicht eingespielt, die Bonus-Aufnahme hier ist mit Ilya Gringolts/Mario Brunello/Alexander Lonquich (und natürlich Abbado). Ich persönlich ziehe bei den Klavierkonzerten die früheren Pollini-Aufnahmen mit Böhm/Jochum den späteren mit Abbado vor. Die späten Aufnahmen habe ich sowohl klanglich als auch vom Klavierspiel her etwas pauschaler und nicht ganz so zwingend in Erinnerung.


    Beste Grüße,


    Christian

  • Es handelt sich um dieselben Aufnahmen! DasTripelkonzert hat Pollini leider nicht eingespielt, die Bonus-Aufnahme hier ist mit Ilya Gringolts/Mario Brunello/Alexander Lonquich (und natürlich Abbado). Ich persönlich ziehe bei den Klavierkonzerten die früheren Pollini-Aufnahmen mit Böhm/Jochum den späteren mit Abbado vor. Die späten Aufnahmen habe ich sowohl klanglich als auch vom Klavierspiel her etwas pauschaler und nicht ganz so zwingend in Erinnerung.


    Lieber Christian,


    besten Dank für die Klärung und Erinnerung! :)


    Schöne Grüße
    Holger

  • Wohlan, bevor mich der Schlaf übermannt auf zum nächsten ersten Klavierkonzert! Für eine direkte Gegenüberstellung mit Pollini / Jochum eignet sich ganz gut die Einspielung mit Wilhelm Backhaus und Hans Schmidt-Isserstedt, dessen Box mit den Sinfonien und Konzerten derzeit mein Standard-Beethoven für unterwegs ist.



    (13.41 – 9.17 – 8.49; Kadenz: [???])


    Nicht nur dasselbe Orchester kommt hier zum Zuge, auch die stilistische Ausrichtung der beiden Herren ist recht nah an der von Pollini und Jochum gelagert. So spielen die Wiener Philharmoniker unter Schmidt-Isserstedt mit Schwung und viel Emphase, straff in Tempo wie Klang. Der Orchester-Sound ist klar und schön ausbalanciert, scheint gemessen an Jochum allerdings sogar noch ein bißchen weniger weich. Einige (sehr vereinzelte) Stellen klingen gar fast schon schrill, jedoch vermute ich hier Intention: da sollte wohl die Anstrengung der Musiker zuungunsten des Schönklangs hörbar gemacht werden.


    Backhaus' Bild von Beethovens Konzert ist nicht ganz so geradlinig wie das Pollinis (insbesondere das Adagio interpretiert er merkbar lyrischer), aber ebenso un-romantisch, unaufgeregte Schlichtheit mit klassischem Ebenmaß verbindend. Im direkten Vergleich wirkt sein Klavierton etwas runder und wärmer, gleichzeitig ist sein Anschlag zwar nicht durchgehend von der Kraft und Klarheit Pollinis, aber dennoch vom allerfeinsten.


    Wie ohnehin 'Kraft', insbesondere geistige, mein Schlüssel zum direkten Vergleich der beiden Aufnahmen ist: die Innenspannung, die Pollini / Jochum aufzubauen und aufrechtzuerhalten vermögen, wird hier weder von Schmidt-Isserstedt noch von Backhaus 100%ig erreicht. Alles wirkt ein Ideechen zurückgelehnter, oder eben kraftloser. Ob das nun Überlegung oder 'Schwäche' ist, vermag ich nicht zu sagen. Ich gebe allerdings gern zu: ich jammere hier auf höchstem Niveau. Persönlich hat mich jedenfalls überrascht, um wie viel leichter ich hier Zugang zu Backhaus' Spiel finden konnte, als es noch bei Beethovens 3. Klavierkonzert der Fall war. Mir scheint, ich sollte nämlichem auf jeden Fall in näherer Zukunft noch einen Durchlauf gönnen - vielleicht habe ich mich ja jetzt 'eingehört'.


    Als formales Merkmal sei noch festgehalten, daß Wilhelm Backhaus eine mir bislang unbekannte Kadenz spielt, die fraglos schön anzuhören ist. Daß die Herkunft der Kadenzen nirgendwo angegeben ist, ist leider ein echter Schwachpunkt der Decca-Box. Ich bin mir aber sicher, daß Ihr mir da werdet weiterhelfen können. :)


    Erwähnt werden sollte auch der, gerade im Hinblick auf das frühe Datum der Einspielung (1959 aufgenommen), ausgezeichnete Klang. Zwar ist ein gewisses Grundrauschen unverkennbar, das stört den Hörgenuss aber nur marginal - die Toningenieure der Decca haben bei Aufnahme und Remastering wahrhaft ganze Arbeit geleistet! Lediglich ein nicht zuzuordnende Störgeräusche im Finale sind mir aufgefallen. Hier vermute ich das Problem allerdings eher bei mir (fehlerhafter CD-Rip, oder dergleichen) als beim Tonträger oder der Aufnahme.


    Zum Schluß bleibt festzuhalten: jenseits allen kleinlichen Gemäkels von meiner Seite handelt es sich hier fraglos um eine erstklassige Aufnahme mit zeitlosen Qualitäten, für die ich ohne zu zögern jederzeit eine ausdrückliche Kaufempfehlung aussprechen würde. Dennoch liegt die Aufnahme von Pollini / Jochum für meinen Geschmack im direkten Vergleich klar vorn: nicht viel - aber eindeutig.

  • Hallo Tobias,


    Dene Eindrücke über die Einspielung von BEETHOVEN's Klavierkonzert Nr. 1 durch WILHELM BACKHAUS und die WIENER PHILHARMONIKERN unter HANS SCHMIDT-ISSERSTEDT habe ich mit großem Interesse gelesen, und ich danke Dir sehr für die so differenzierte, stets auf Objektivität bedachte, äußerst fachkundige Besprechung und Vergleiche mit der POLLINI-Aufnahme unter EUGEN JOCHUM.


    Es freut mich, daß Du an dem hohen Niveau der BACKHAUS/ISSERSTEDT-Interpretation keine Zweifel läßt, wenn auch im Endresumee die POLLINI/JOCHUM-Aufnahme noch etwas mehr Deinen Vorstellungen entspricht. Daß bei SCHMIDT-ISSERSTEDT einige Stellen nicht ganz so weich klingen wie bei JOCHUM, und "fast schon etwas schrill", mag schon sein, doch ist dies mit Sicherheit vom Dirigenten so gewollt, der als preußischer Intellektueller im Vergleich zu JOCHUM schon vom Naturell her eine etwas strengere Stildisziplin pflegt und für unerbittlich durchgehaltene, gemäßigte Tempi bekannt war. Er ist auch bekannt für Übersichtlichkeit und Sorgfalt.


    Auch WILHELM BACKHAUS steht ja für einen betont schlichten, klassichen, oft als trocken kritisierten Stil und Anschlag, und insofern haben BACKHAUS und SCHMIDT-ISSERSTEDT durchaus eine gewisse Seelenverwandtheit, die der Interpretation durchaus gut tut In dieser Aufnahme hat SCHMIDT-ISSERSTEDT die sonst doch deutlich anders gelagerten WIENER PHILHARMONIKER durchaus auf diese interpretatorische Linie eingeschworen. Daß BACKHAUS hier etwas kraftlos spielt, kann ich nicht erkennen. Bis ins hohe Alter bewunderte man gerade die erstaunliche Kraft, mit der er seine Konzerte noch gestaltete. Vielleicht ist nach meinem Geschmack bei Pollini für dieses frühe Klavierkonzert Nr. 1 eher etwas zuviel Kraft im Spiel.
    Aber, wie Du selbst feststellst, geschieht hier das "Gejammere" (das ich nicht so deute!) auf höchstem Niveau, und so können wir uns wohl darauf einigen, daß beide Interpretationen sicher 5 Sterne verdienen.


    Übrigens schätze ich persönlich durchaus auch die Einspielungen von BACKHAUS/SCHMIDT-ISSERSTEDT der Klavierkonzerte Nr. 2 und 3:


    Was die so interessante Kadenz anbetrifft, so bin ich hier auch nicht sicher. Möglicherweise handelt es sich hier, wie beim 3. Klavierkonzert, um die von Carl Reinecke.


    Viele Grüße
    wok

  • Daß BACKHAUS hier etwas kraftlos spielt, kann ich nicht erkennen. Bis ins hohe Alter bewunderte man gerade die erstaunliche Kraft, mit der er seine Konzerte noch gestaltete. Vielleicht ist nach meinem Geschmack bei Pollini für dieses frühe Klavierkonzert Nr. 1 eher etwas zuviel Kraft im Spiel.
    Aber, wie Du selbst feststellst, geschieht hier das "Gejammere" (das ich nicht so deute!) auf höchstem Niveau, und so können wir uns wohl darauf einigen, daß beide Interpretationen sicher 5 Sterne verdienen.


    Darauf können wir uns ganz ohne Frage einigen, lieber wok! :)


    'Kraftlos' klingt in der Tat ein wenig harsch und ist wohl dem mir eben gelegen kommenden Quervergleich mit der Aufnahme von Pollini / Jochum (den ich bitte als Kompliment für Backhaus / Schmidt-Isserstedt gedeutet sehen möchte ;)) geschuldet. Hätte ich nur Backhaus' Aufnahme gehört, wäre mir dieses Wort kaum in den Sinn gekommen, denke ich. Kennst Du denn die Pollini-Aufnahme? Ich bin mir sicher, Du hättest Deine helle Freude an ihr!


    Tja, und zur Kadenz habe ich noch ein wenig herumgegoogelt, aber leider nichts gefunden. Evtl. fällt mir ja irgendwann einmal das Vinyl mit dieser Einspielung in die Hände - da sollte sie ja hoffentlich vermerkt sein.

  • Und weiter im Text: als nächstes will ich noch ein paar Gedanken zu einer neu erworbenen Aufnahme hinterherschieben, die hier noch gar nicht zum Zuge kam, soweit ich das überblicke: Radu Lupu und das Israel Philharmonic Orchestra unter Zubin Mehta:


    (13.44 – 11.04 – 8.15;
    Kadenz: Ludwig van Beethoven)


    Lupu legt wieder eine merkbar romantischere Sicht der Dinge an den Tag als die Herren Pollini und Backhaus: nicht so sehr Kraft und Struktur prägen seinen Ansatz, sondern Feingeist und Schönheit. Unmittelbar fällt Lupus singender Klavierton auf, der zart und weiblich wirkt, fast als - man verzeihe mir den dämlichen Vergleich - habe er seine Hände in Palmolive gebadet. Im Kopfsatz und insbesondere im Adagio wirken auch die brilliantesten Stellen noch kaum merklich in einen feinen Schleier gehüllt. Oft legt er auch viel Schwerpunkt auf die rechte Hand, während die Linke deren Gesang mit einem samtenen Klangteppich unterfüttert statt mit Struktur. Daß Lupu durchaus auch anders kann, beweist er hingegen in einigen Passagen des Finales, der erkennbar auf größtmögliche Klarheit und die große Geste angelegt sind. Insgesamt bedient Lupu zumindest meinen Geschmack sicher nicht 100%ig, und für essentiell halte ich diese Aufnahme auch nicht unbedingt, aber um eine Interpretation mit Geist und Seele handelt es sich zweifellos. Und ich bin mir sicher, daß sie ihre Liebhaber hat.


    In allem mit großem Einfühlungsvermögen zur Seite steht Lupu Zubin Mehta mit dem Israel Philharmonic Orchestra. In seinem oftmals zurückgenommenen Musizieren, ausgelegt auf Klangschönheit und Atmosphäre, lässt er sich hörbar auf die Lesart des Solisten ein - sowohl in den innigen Momenten als auch in den kräftigen Passagen des Finales. Der Klang des Orchesters ist schön rund und weich, wenn im direkten Vergleich auch nicht ganz so gepflegt wie der der Wiener Philharmoniker. Und auch an der Aufnahme(technik) gibt es eigentlich nichts zu mäkeln.


    Zum Schluß auch hier noch ein kurzes Wort zur Kadenz: wieder habe ich eine neue kennengelernt - wie ich auch lernte, daß Beethoven für sein op. 15 offenbar mehrere Kadenzen verfasst hat. Deren kürzeste verwendet Lupu hier.

  • Zitat

    T con brio: Hätte ich nur die Backhaus' Aufnahme gehört, wäre mir dieses Wort kaum in den Sinn
    gekommen, denke ich. Kennst Du denn die Pollini-Aufnahme? Ich bin mir sicher, Du hättest Deine helle Freude an ihr!
    Tja, und zur Kadenz habe ich noch ein wenig herumgegoogelt, aber leider nichts gefunden. Evtl. fällt mir ja irgendwann einmal das Vinyl mit dieser Einspielung in die Hände - da sollte sie ja hoffentlich vermerkt sein.
    Grüße, Tobias

    Hallo Tobias,


    Nach Deiner "Beschwichtigung" hinsichtlich der Qualitäten der BACKHAUS/SCHMIDT-ISSERSTEDT-Aufnahme bin ich ja nun wirklich ganz beruhigt! :)
    Ja, die POLLINI-Aufnahme kenne ich. Sie ist natürlich über alle Zweifel erhaben. Da ich Interpreten-Beurteilungen und -Vergleiche aber nicht professionell betreibe, höre ich mir - wenn ich Appetit auf ein bestimmtes Werk habe, dann in der Regel aber meist die Aufnahme an, die meinen Vorstellungen am Nähesten kommt. Und das ist eben trotz allem die BACKHHAUS/ISSERSTEDT-Interpretation neben der alten Einspielung dieses Klavierkonzertes durch FRIEDRICH WÜHRER und dem PRO MUSICA-SYMPHONIE-ORECHSTER WIEN unter HANS SWAROWSKY nach wie vor mein Favorit.


    Übrigens war auch Frank Georg Bechyna ein großer Anhänger der Klavierkunst von FRIEDRICH WÜHRER , den er vor allem für SCHUBERT-Interpretationen sehr schätzte. Frank Georg Bechyna, auf dessen Beiträge ich erst vor kurzem aufmerksam wurde, war ganz offensichtlich wie Du ein hervorragender Kenner der Klavierszene. Leider gibt es von ihm schon lange keine Beiträge mehr in unserem Forum. Weißt Du, ob er aus unserem Forum ausgeschieden ist??



    Bezüglich der Kadenzen zu dem 1. Klavierkonzert mit BACKHAUS ist leider auf der LP selbst, und auch nicht auf dem Cover-Text, ein Hinweis hierfür zu finden. Die so wichtigen Kadenzen sollten in der Tat immer angegeben sein!

    Viele Grüße, und noch einen schönen warmen Frühlingssonntag!
    wok

  • Übrigens war auch Frank Georg Bechyna ein großer Anhänger der Klavierkunst von FRIEDRICH WÜHRER , den er vor allem für SCHUBERT-Interpretationen sehr schätzte. Frank Georg Bechyna, auf dessen Beiträge ich erst vor kurzem aufmerksam wurde, war ganz offensichtlich wie Du ein hervorragender Kenner der Klavierszene. Leider gibt es von ihm schon lange keine Beiträge mehr in unserem Forum. Weißt Du, ob er aus unserem Forum ausgeschieden ist??


    Lieber Wok,


    er hat sich wohl aus privaten Gründen zurückgezogen. Frage mal Alfred!


    Schöne Grüße
    Holger

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