Ist der Verbleib im Nischenrepertoire ein unabwendbares Schicksal?

  • Warum wird Burneys musikalische Reise nicht auch einmal musikalisch untermalt als Hörbuch auf den Markt geworfen und zwar mit den angesprochenen Werken oder, wenn dieses nicht direkt angesprochen wird, mit einem möglichst noch nicht aufgenommenen Werk des besuchten Komponisten aus dem nämlichen Zeitraum?


    Das wäre mal ein tolle Idee!! Würde ich sofort kaufen!

    Gott achtet mich, wenn ich arbeite, aber er liebt mich, wenn ich singe (Tagore)

  • Als bekannteste Beispiele fallen mir hier die sogenannte "Jenaer Sinfonie" von Witt (att. Beethoven) und Mozart KV 297b ein. Und nicht zu vergessen der recht freimütige Umgang des ansonsten hochzuverehrenden und leider verstorbenen Herrn Klöckers mit der Zuweisung von Entdeckungen an bekannte Komponisten, wie etwa seine CD mit Concertanten Sinfonien für Klarinetten die er in Toto und mit recht fragwürdiger Beweisführung Josef Haydn zusprach. Und dies lässt sich auch auf andere Kunstrichtungen anwenden, siehe etwa "Der Mann mit dem Goldhelm". Ein Meisterwerk, zweifelsohne - aber wäre der Ruhm diesem Werk auch ohne die Zuweisung an Rembrandt zu Teil geworden? Mal ganz abgesehen davon - im 18 und 19. Jahrhundert wurden haufenweise Sinfonien unter dem Namen eines berühmten Komponisten aufgeführt, um deren Verbreitung und deren Verkauf zu fördern (vgl. die nette Anekdote von Gyrowetz, der seine Sinfonie G1 in Paris unter dem Namen Haydns aufgeführt sah und darüber sehr erfreut war). Sogar Haydny No. 1 in D wurde unter dem Namen Anton Filtz geführt, der damals (1759) einen besseren Ruf hatte.

    HERNEN

  • Ich habe im Rahmen dieses Threads ein wenig von der Problematik des Namens "Nischenrepertoire" erkannt - und möchte in den nächsten Tagen Konsequenzen daraus zu ziehen.
    Nischenrepertoire - was signalisiert das dem Klassikeinsteiger ?
    "Musik, die kaum jemand hören will - denn sonst wäre es ja keine Nische sondern Stndardrepertoire"
    Das klingt zwar einleuchtend, erklärt aber nicht das ganze Dilemma.
    Zum einen besteht das Nischenrepertoire sicher aus schwer verdaulichen Werken. Das kann mittelalterliche Musik sein, geistliche elegische Musik der Renaissance, Musik der Avantgarde, der Moderne , oder Musik aus Ländern die in der Vergangenhei weder für ihre kulinarischen Spezialitäten, noch für ihre Komponisten berühmt waren. Zugegeben - das ist nicht völlig korrekt, sondern auch ein wenig subjektiv und boshaft, aber die Bosheit ist letztlich eine der unverzichtbaren Ingredienzien der Musikkritik :stumm::P


    Und dann gibt es eine weitere Sparte, die der Nische zugeordnet ist. Es handelt sich hier um Musik, die jenem Publikum, das sich an die "großen Meister" des 18. und 19.hält, eigentlich gefallen müssten,weil diese Werke oft durchaus vergleichbar mit deren Kompositionen sind. So erinnern beispielsweise Pleyels Kompositionen in vielen Fällen an Haydn etc. etc. Wir werden im einzelnen im Laufe des Jahres wieder darauf zurückkommen.
    EIN Problem ist, dass viele "Mainstreamhörer" mit den Namen derfür sie interessanten Komponisten nichts anfangen können – weil sie sie noch nie gehört haben – geschweige denn, eine Komposition aus deren Feder. Und ein grösseres Risiko möchte man nicht eingehen.
    Deshalb ist auch das Angebot auf diesem Sektor duchaus überschaubar – wenngleich sich hier in den letzten 2 Jahrzehnten eine Menge gebessert hat.
    Dem interessierten Quereinsteiger drängt sich aber die Frage auf, warum denn diese von mir erwähnten Komponisten nicht ebenso berühmt sind, wie die derjenigen, die heutzutage als die „ganz Großen“ gesehen werden.
    Diese Frage ist sehr komplex, und daher nicht leicht zu beantworten. Dennoch gibt es einige Parameter, die sicher eine Rolle spielen.
    Wenn ein Komponist dem Ich habe im Rahmen dieses Threads ein Wenig von der Problematik des Namens "Nischenrepertoire" erkannt - und möchte in den nächsten Tagen Konsequenzen daraus zu ziehen.
    Nischenrepertoire - was signalisiert das dem Klassikeinsteiger ?
    "Musik, die kaum jemand hören will - denn sonst wäre es ja keine Nische sondern Standardrepertoire."
    Das klingt zwar einleuchtend, erklärt aber nicht das ganze Dilemma.
    Zum einen besteht das Nischenrepertoire sicher aus schwer verdaulichen Werken. Das kann mittelalterliche Musik sein, geistliche elegische Musik der Renaissance, Musik der Avantgarde, der Moderne , oder Musik aus Ländern die in der Vergangenheit weder für ihre kulinarischen Spezialitäten, noch für ihre Komponisten berühmt waren. Zugegeben - das ist nicht völlig korrekt, sondern auch ein wenig subjektiv und boshaft, aber die Bosheit ist letztlich eine der unverzichtbaren Ingredienzien der Musikkritik :stumm::P


    Und dann gibt es eine weitere Sparte, die der Nische zugeordnet ist. Es handelt sich hier um Musik, die jenem Publikum, das sich an die "großen Meister" des 18. und 19.hält, eigentlich gefallen müssten,weil diese Werke oft durchaus vergleichbar mit deren Kompositionen sind. So erinnern beispielsweise Pleyels Kompositionen in vielen Fällen an Haydn etc. etc. Wir werden im einzelnen im Laufe des Jahres wieder darauf zurückkommen.
    EIN Problem ist, daß viele "Mainstreamhörer"Ich habe im Rahmen dieses Threads ein Wenig von der Problematik des Namens "Nischenrepertoire" erkannt -und möchte in den nächsten Tagen Konsequenzen daraus zu ziehen.
    Nischenrepertoire - was signalisiert das dem Klassikeinsteiger ?
    "Musik, die kaum jemand hören will - denn sonst wäre es ja keine Nische sondern Stndardrepertoire"
    Das klingt zwar einleuchtend, erklärt aber nicht das ganze Dilemma.
    Zum einen besteht das Nischenrepertoire sicher aus schwer verdaulichen Werken. Das kann mittelalterliche Musik sein, geistliche elegische Musik der Renaissance, Musik der Avantgarde, der Moderne , oder Musik aus Ländern die in der Vergangenhei weder für ihre kulinarischen Spezialitäten, noch für ihre Komponisten berühmt waren. Zugegeben - das ist nicht völlig korrekt, sondern auch ein wenig subjektiv und boshaft, aber die Bosheit ist letztlich eine der unverzichtbaren Ingredienzien der Musikkritik :stumm::P


    Und dann gibt es eine weitere Sparte, die der Nische zugeordnet ist. Es handelt sich hier um Musik, die jenem Publikum, das sich an die "großen Meister" des 18. und 19.hält, eigentlich gefallen müssten,weil diese Werke oft durchaus vergleichbar mit deren Kompositionen sind. So erinnern beispielsweise Pleyels Kompositionen in vielen Fällen an Haydn etc. etc. Wir werden im einzelnen im Laufe des Jahres wieder darauf zurückkommen.
    EIN Problem ist, daß viele "Mainstreamhörer" weder die Namen der Komponisten, noch deren Werke kennen, die hie in Frage kämen. Und schon drängt sich die nächste Frage auf: Warum sind diese Komponisten nicht weltbekannt – wenn sie doch so gut sind ?
    DieseFrage ist sehr komplex weil hier viele Parameter eine Rollew spielen, beispielsweise der Zufalj oder persönliche Lebensumstände. Boccherinis letzter Dienstherr beispielsweise, war von dessen Musik so fasziniert, dass er sie fürsich alleine haben wollte. Er bezahlte sein Idol fürstlich – verhinderte aber weigehend die Verbreitung von Boccherinis Werk. Nach dessen Tod betrachtete der Dienstherr die nachgelassenen Kompositionen als sein Eigentum und verwahrte es in den Archiven – vo die Noten über 200 Jahre verblieben….
    Dann gab es immer wieder Kritiker, welche einen Komponisten in der Fachliteratur abwerteten. Hatte der Komponist Pech, so war sein Nachruhm beendet. Das hätte Haydn passieren können, wenn Robert Schumanns Einschätzung von mehr Leuten gelesen und ernst genommen worden wären.
    Strawinskys Urteil über Vivaldi prägt noch bis in die jüngere Vergangenheit dessen Bild.
    Und dann gibt es noch die heutigen Kritiker, welche einen Komponisten danach beurteilen, welche NEUERUNGEN, er in die Musik eingebracht hat. Das Schreiben von gefälliger Musik reicht in den Augen vieler Musikexperten des 20.und 21. Jahrhunderts längst nicht mehr – in gewisser Weise ist es in ihren Augen sogar verwerflich….


    Ich werde versuchen, manchen Komponisten der Vergangenheit wieder zu jenem Glanz zu verhelfen, den sie zu Lebzeiten hatten


    Aussichtslos? Ich glaube kaum.


    Mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Hallo Leute,


    ich heiße Josef und habe diesen Thread schon eine Weile verfolgt. Heute hat Alfred mich freigeschaltet, so kann ich posten, was mir zu diesem Thema schon seit einiger Zeit durch den Kopf spukt. Es bezieht sich auf @Johannes' Aussage, dass die Welt quasi "zu klein" wäre für all die Musik, dass man nur die großen und bekannten Werke hören wolle.


    Darüber habe ich mir Gedanken gemacht. In der Popmusik erscheint alle Naselang ein neues Album von einem neuen Künstler. Und in der Klassik soll man ständig dasselbe Konzert, dieselbe Symphonie hören wollen? Das kann ich nicht glauben.


    Ich gebe zu, dass ich keine klassischen Konzerte besuche, aber meine CD-Sammlung strotzt vor lauter Nischenprodukten. Bläserkonzerte und Symphonien von Rosetti, Franz Danzi, Carl und Johann Stamitz, Vanhal, Ries, Czerny. Michael Haydn. Ja, ich höre auch Mozart, Haydn und (inzwischen seltener) Beethoven, doch scheint mir die Epoche kurz vor der Wiener Klassik (man könnte sie "Vorklassik" nennen) diejenige, die ich am liebsten höre.


    Damit bin ich sicherlich geschmacklich in einer Nische, aber dass andere Klassikhörer nur ein und dieselben Symphonien ihr Leben lang hören wollen, das mag ich nicht glauben. Genauso wie in Rock und Pop gibt es hier Bedarf an "neuer" (bislang unbekannter) Musik. Ich jedenfalls gebe jedem mir bislang unbekannten Konzert die Chance, auf meinem Plattenteller zu landen ;-)

  • Ich glaube schon, dass sich das Repertoire (meist langsam) verändert und erweitert, aber wie schon ausgeführt, sehe ich kaum Chancen für weniger bekannte Komponisten zwischen ca, 1760 und 1890. Wenn man sich die Repertoire-Veränderungen der letzten ca. 70 Jahre anschaut, so betreffen die hauptsächlich Barock und Alte Musik einerseits und Klassische Moderne (oder kurz vorher) andererseits. Während Ravel, Debussy, Bartok und Stravinsky in den 1950ern noch als "Spezialistenrepertoire" galt, ist es heute absoluter Mainstream für fast alle Orchester und Dirigenten.
    Dazu die stärkere Verbreitung von Mahler, Nielsen, Sibelius, und in den letzten 25 Jahren Schostakowitsch. Ich weiß nicht, ob im Orchesterrepertoire dafür etwas "rausgeflogen" ist und falls ja, was. Glaube, dass es schon eher eine Erweiterung gewesen ist. In der Oper ist in den letzten ca. 30 Jahren die Barockoper dazugekommen und "Spieloper" u.a. (Lortzing, Flotow, Auber u.ä.) und Operette sind an den Rand gedrängt worden. Hier habe ich schon Zweifel, ob das Repertoire deutlich breiter geworden ist oder sich nur verschoben hat.
    Für mich sind das Belege erstens dafür, dass so etwas oft mehrere Jahrzehnte benötigt und zweitens dafür, dass es eben normalerweise Werke außerhalb der Klassik-Romantik betrifft.


    Gewiss ist ein Stück wie Witts "Jenaer Sinfonie" hörenswert und es spräche alles dafür, sie zB mit einer "Londoner" Haydns und/oder Beethovens 1. oder 2. aufs Programm zu setzen. Aber wie oft wird denn das offensichtliche Vorbild, Haydns #97 im Konzert gespielt? Da gibt es im Zweifel vermutlich doch auch eher wieder 94, 100 oder 104.


    Aber Aufnahmen/Radio und Konzert werden hier immer unterschiedlich bleiben, da viele Leute im Konzert gerne die Sachen hören wollen, die sie schon kennen und das Einstudieren und Programmieren unbekannter Werke ein Risiko ist. Das ist ja auch kein Problem, da heute Werke zumindest ansatzweise auch größtenteils in Form von Aufnahmen existieren können. Das dürfte für nicht wenige Vivaldi-Konzerte, Bachkantaten usw. gelten. Auch für eine "Tonträgerexistenz" sehe ich aber kaum ein schlagendes Beispiel aus der Klassik/Romantik für ein Werk eines eher unbekannten Komponisten, das in den letzten Jahrzehnten vielfach eingespielt und rezipiert worden wäre (wie etwa die schon genannten "Rosenkranz-Sonaten", für mich sehr faszinierend, da ich mich noch recht gut erinnere, wie "exotisch" diese Musik schien, als Goebels Aufnahme (ich vermute die zweite oder dritte der Werke) Anfang der 90er erschienen ist).

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

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  • @Johannes
    Ist eine Symphonie eine Symphonie? Ja und nein. Jemand, der 100 Symphonien geschrieben hat, hat nicht automatisch 100 gute Symphonien geschrieben. Es gibt vielleicht viele darunter, die nur Mittelmaß sind. Das erklärt, warum man manche vielleicht nicht so oft, andere gar nicht aufführt.


    Ein Beispiel: Ich mag Klavierkonzerte. Ich mag auch Carl Stamitz. Aber da gibt es ein Klavierkonzert von ihm, das mag ich überhaupt nicht. Der Grund: Es enthält nur musikalisches Placebo, viele Takte, aber wenig musikalischen Nährwert. Über große Strecken hinweg besteht es aus vorgefertigten und uninspirierten Melodiefetzen, die man schon -zigtausendmal woanders (und besser) gehört hat. Der Welt würde also keinen Schaden entstehen, wenn dieses Klavierkonzert nie mehr gespielt werden würde.


    Doch gilt das für alle seine Konzerte? Für seine Sinfonien? Nein. Er hat auch schöne Werke geschrieben, die gefällig sind und die man gerne hört, z. B. das Konzert für Viola und Orchester, seine Cello- und Klarienttenkonzerte.


    Ich finde, jedes Werk muss sich seinen Respekt und seine Einschätzung beim Publikum selbst verdienen und erarbeiten. Genauso ist es übrigens in der Popmusik.

  • Ist eine Symphonie eine Symphonie? Ja und nein. Jemand, der 100 Symphonien geschrieben hat, hat nicht automatisch 100 gute Symphonien geschrieben. Es gibt vielleicht viele darunter, die nur Mittelmaß sind. Das erklärt, warum man manche vielleicht nicht so oft, andere gar nicht aufführt.


    Naja, "mittelmäßiges" hat Haydn wohl nur selten geschrieben. Die von Johannes genannte Symphonie Hob. I:97 gehört jedenfalls nicht dazu, denn diese ist ein waschechtes Meisterwerk - so wie alle Londnoner Symphonien (mit der möglichen Ausnahme von Hob. I:95 :sleeping: ).

  • Ich finde, Haydn hat viel Mittelmäßiges geschrieben. Ich habe alle seine Symphonien in einer Box gekauft und sie mir auf den MP3-Player gezogen und jeden Tag auf dem Weg zur Arbeit angehört. Da fiel mir ein ums andere Mal auf, wie wenig Nährwert manches Stück hatte. Leider kann ich jetzt nicht mit Nummern und Satzbezeichnung dienen, da ich bei der gewaltigen Anzahl den Überblick verloren habe. (Müsste sie alle nocheinmal durchhören, um die betreffenden Sätze herauszufinden.)


    Die späteren Symphonien sind sicher besser als die frühen, bei denen die "Ausfälle" häufiger waren.


    Dennoch hat er unbestreitbar seinen Platz am Himmel der Klassik.


    Auch Beethoven hatte "Ausfälle". Seine Symphonien No 4 und No 8 weisen solchen geringen "Nährwert" auf, und manche halten seine Chorfantasie für ungenügend, und die hatte immerhin die Opuszahl 80.

  • Da fiel mir ein ums andere Mal auf, wie wenig Nährwert manches Stück hatte.


    Nicht alles, was schwer zu kauen ist, hat auch wenig Nährwert ;) . Haydn ist ein dermaßen subversiver Komponist, dass wirklich kaum etwas von ihm schlichtweg "mittelmäßig" ist. Aber über konkrete Beispiele können wir sicher diskutieren.

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  • Auch Beethoven hatte "Ausfälle". Seine Symphonien No 4 und No 8 weisen solchen geringen "Nährwert" auf, und manche halten seine Chorfantasie für ungenügend, und die hatte immerhin die Opuszahl 80.


    Du bist aber ein sehr risikofreudiger Neuzuwachs ;) . Im Ernst, die von Dir genannten Symphonien sind auch beileibe nicht meine Lieblinge, aber die 8.te ist ein extrem ausgklügeltes, konzeptionelles Werk. Man kann auch Meisterwerk dazu sagen. Es kommt darauf an, wie man "Nährwert" definiert: als Melodienreichtum oder als kompositorische Meisterschaft. Zumindest letztere lässt sich im Vergleich zu den Beethoven Symphonien kaum übertreffen.

  • Auch wenn ich persönlich der Ansicht bin, dass auch "mittelmäßige" Haydn-Sinfonien fast immer interessanter sind als das, was ich bislang von Vanhal, Rosetti u.a. gehört habe, ist das gar nicht der Punkt.
    Im Beispielfall ist Witts C-Dur-Sinfonie sehr eng dem konkreten Haydnschen Vorbild verpflichtet (m.E. ohne es zu erreichen oder gar zu übertreffen). Selbst das Haydnsche Vorbild (#97, die ich zB für besser als Mozarts "Haffner" oder Beethovens 1. halte) ist aber wohl keine der 10 bekanntesten Haydn-Sinfonien und wird nicht allzu häufig im Konzert gespielt. Wenn die meisten Zuschauer anscheinend noch nicht einmal diese grandiose Sinfonie vermissen, ist doch klar, dass sie erst recht nicht Witts Sinfonie vermissen, oder? (Und die "Jenaer" war auch nicht verbreitet bekannt, als man noch meinte, es sei ein Werk des jungen Beethoven.)


    Es geht überhaupt nicht um absolute Qualität der jeweiligen Stücke. Sondern darum, ob ein Bedarf für Sinfonien von Ries oder Witt besteht, wenn mancher Zuschauer schon Beethovens 8. für uninteressant hält oder völlig damit zufrieden ist, dass normalerweise immer die gleichen 5-10 Haydn-Sinfonien gespielt werden.


    Es gibt, soweit ich sehe, schlicht kein Beispiel dafür, dass ein Werk eines nicht ohnehin schon sehr bekannten Komponisten zwischen ca. 1760 und 1890 in den letzten 50-70 Jahren neu Eingang ins Standardrepertoire gefunden hätte. Das waren entweder bislang weniger bekannte Werke schon berühmter Komponisten oder es war Musik vor 1750 oder nach 1900. Daher bin ich sehr skeptisch, was die Chancen für eine Repertoireerweiterung mit weniger bekannten Komponisten der Klassik/Romantik betrifft.

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  • Auch wenn ich persönlich der Ansicht bin, dass auch "mittelmäßige" Haydn-Sinfonien fast immer interessanter sind als das, was ich bislang von Vanhal, Rosetti u.a. gehört habe

    Das ist interessant! Von dieser Perspektive habe ich das noch nicht gesehen. :D

  • Es kommt darauf an, wie man "Nährwert" definiert

    Hallo Felix,


    als geringen musikalischen "Nährwert" empfinde ich Stellen, wo das Orchester zum Beispiel einen Viertelton spielt, vier Mal oder acht Mal hintereinander zum Beispiel. Oder wenn ein "Motiv" aus zwei Tönen besteht, Achtel, die ständig wechseln. Die Achtelfigur wechselt vom Fagott in die Streicher und von dort zu den Pauken (Beethovens Vierte, 2. Satz; bei meiner Aufnahme beginnend bei Minute 6:40). Vgl. hierzu den zweiten Satz der Fünften, wo wirkliche Melodien komponiert sind.

  • Zitat

    Es geht überhaupt nicht um absolute Qualität der jeweiligen Stücke. Sondern darum, ob ein Bedarf für Sinfonien von Ries oder Witt besteht, wenn mancher Zuschauer schon Beethovens 8. für uninteressant hält oder völlig damit zufrieden ist, dass normalerweise immer die gleichen 5-10 Haydn-Sinfonien gespielt werden.


    In gewisser Weise möchte ich Dir beipflichten. Aber natürlich werde ich Dir im Großen und Ganzen widersprechen :P
    Zuerst wollen wir uns die Frage stellen WARUM das überhaupt der Fall ist.
    Die (von mir präferierte) Antwort ist schon traurig genug. Weil das allgemeine Interesse an "klassischer Musik" leider marginal ist UND weil profitorientierte Manager in den diversen Organisationen dafür Sorge tragen, daß nur "massentaugliche" Werke zur Aufführung gelangen. Das ist durchaus verständlich, denn irgendwer muß ja das alles bezahlen. Im 18. und 19. Jahrhundert genoss die klassische Musik mehr Beachtung - sie hatte einen anderen Stellenwert in der Gesellschaft.
    Irgend ein Mäzen fand sich immer als Liebhaber ausgefallenen Repertoirs - zum eigenen Vergnügen.
    Heutige Mäzene indes wollen sich bei einer möglichst breiten - aber kaufkräftigen Gruppe (an sich schon ein Widerspruch) - beliebt machen - um sich das ins Sponsering investierte Geld über die umwegrentabilirät zurückzuholen.
    Keine Chance für Nischenrepertoire.


    Anregungen zu diesem Theme folgen in einem meiner nächsten Beiträge in diesem Thread.


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



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  • als geringen musikalischen "Nährwert" empfinde ich Stellen, wo das Orchester zum Beispiel einen Viertelton spielt, vier Mal oder acht Mal hintereinander zum Beispiel. Oder wenn ein "Motiv" aus zwei Tönen besteht, Achtel, die ständig wechseln. Die Achtelfigur wechselt vom Fagott in die Streicher und von dort zu den Pauken (Beethovens Vierte, 2. Satz; bei meiner Aufnahme beginnend bei Minute 6:40). Vgl. hierzu den zweiten Satz der Fünften, wo wirkliche Melodien komponiert sind.


    Das berühmteste Motiv in der klassischen Musik besteht aus einer Triole mit einem dreimal wiederholten G, gefolgt von einer halben Note auf Es. Welches Stück meine ich wohl ;) ?

  • Dieses Motiv wird meisterhaft durch viele Tonarten geführt, während die von mir angemarkerten Beispiele ein und denselben Ton (viel zu) oft wiederholen. :pfeif:

  • Dieses Motiv wird meisterhaft durch viele Tonarten geführt, während die von mir angemarkerten Beispiele ein und denselben Ton (viel zu) oft wiederholen. :pfeif:


    Ich denke, der Punkt ist, dass Beethoven ganz genau wusste, was er tat und weshalb er es tat. Dass er irgendetwas aus Ideenmangel hingeschludert hätte, kann man auch nicht behaupten, schließlich hat er ja auch nur neun Symphonien geschrieben und nicht 40 oder 100.
    Mich stören die Tonwiederholungen übrigens nicht.

  • Keine Triole, sondern Achtelpause und 3 Achtel!!!! Auch wenn es oft eher wie eine Triole gespielt wird.


    Mit der Vermarktung hat die Randständigkeit manchen Repertoires nur bedingt zu tun. Erstens lässt sich anscheinen mit CDs von Vanhal und Ries in bescheidenem Rahmen etwas Geld verdienen. Zweitens gibt es genügend öffentlich finanzierte Institutionen wie Rundfunk, Opernhäuser usw., die gerade nicht nur auf die Popularität achten müssen.
    Deswegen gibt es ja immer mal "Ausgrabungen" zu hören. Aber auf Dauer, meine ich, hält sich der größere Teil des Publikums doch an die bekannteren Stücke und deswegen ist das Standardrepertoire träge und verändert sich, wenn überhaupt nur langsam. Und irgendeiner meckert immer. Ich habe mal gelesen, dass das vermehrte Programmieren von Händel-Opern in München (teils dann auch als Videoproduktionen oder CDs erhältlich), bei manchen Teilen des Publikums, das wohl eher Mozart oder Richard Strauss bevorzug hätte, nicht gerade auf Gegenliebe gestoßen ist; andere sind vielleicht gerade dieser Produktionen wegen, dorthin gereist.


    Und wie gesagt, den Hauptgrund dafür, dass Ries und Co auf Tonträgernischen beschränkt bleiben werden, sehe ich darin, dass die Musik sich einfach nicht genügend von der bekannteren Musik der entsprechenden Epoche unterscheidet. Die Platten werden von denen gekauft, die entweder schon "alles" haben, oder, wie Alfred und einige andere im Forum, einen ausdrücklichen Fokus auf eine bestimmte Epoche.

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  • Keine Triole, sondern Achtelpause und 3 Achtel!!!! Auch wenn es oft eher wie eine Triole gespielt wird.


    Ok, stimmt. Aber es klingt meist nicht nur so, sondern man sieht die drei Achtel auch oft als Triole geschrieben. Richtig wäre eigentlich die Notierung: Pause Achtel(einzeln) 2 Achteln mit Verbindungsbalken.

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  • aber dass andere Klassikhörer nur ein und dieselben Symphonien ihr Leben lang hören wollen, das mag ich nicht glauben. Genauso wie in Rock und Pop gibt es hier Bedarf an "neuer" (bislang unbekannter) Musik

    Mag für einige zutreffen, aber genauso gibt es auch Klassikhörer, die sich ein Klassik-Leben lang nur mit einer ganz bestimmten Schnittmenge an Werken bzw. Komponisten beschäftigen und ihren Sinn darin sehen, möglichst viele verschiedene Aufnahmen davon zu hören. Das ist weder gut , noch schlecht, aber es existiert, klar, dass die mit Nischenrepertoire nicht zu ködern sind.
    Ansonsten sehe ich das ähnlich wie Johannes.



    Aber auf Dauer, meine ich, hält sich der größere Teil des Publikums doch an die bekannteren Stücke und deswegen ist das Standardrepertoire träge und verändert sich, wenn überhaupt nur langsam.

    Und wie gesagt, den Hauptgrund dafür, dass Ries und Co auf Tonträgernischen beschränkt bleiben werden, sehe ich darin, dass die Musik sich einfach nicht genügend von der bekannteren Musik der entsprechenden Epoche unterscheidet

    Um es mal etwas polemisch zu sagen : Warum einen Ries hören, wenn er sowieso so ähnlich klingt wie die bekannteren Zeitgenossen, die man schon kennt? Da hält man sich vielfach an das, was sowieso bekannt und gemocht ist und braucht keinen Verschnitt davon.
    Wohl gemerkt, ich habe nichts gegen Nischenrepertoire, fragt sich ja, wie hier schon anklang auch immer, was genau das denn ist...zeitgenössische Klassische Musik ist in gewieser Weise ja auch eine Nische und viele Hörer sind nicht eben wild darauf hier einmal etwas Neues kennenzulernen.
    Das sich das altbekannte am besten hält (und verkauft) sieht man vielfach in der Oper, die meistgespielten Opern sind auf der Welt zumindest ähnlich häufig gespielt und benso beliebt und werden immer Zulauf haben. Selten gibt es wohl solche Wellen, wie die für Barockoper in den letzten Jahren (und manchmal glaube ich, die wird auch wieder abflauen).

    "Die Glücklichen sind neugierig."
    (Friedrich Nietzsche)

  • Es gibt noch etliche weitere Faktoren, die diese Trägheit bedingen. Einer ist z.B., dass junge Künstler sich den "Schlachtrössern" stellen müssen. Das Publikum will den Jungstar eben mit Tschaikowskys b-moll o.ä. hören, weil es die Musik kennt, ebenso eine Reihe bekannter Interpretationen und den aufstrebenden Künstler entsprechen "bewerten" kann. Man kann sich vielleicht auch interessant machen, wenn man wie Stadtfeld mit Bach debütiert (freilich seit Gould auch nicht mehr ganz neu). Aber allein über Nischen eine Karriere aufzubauen, ist schwierig.
    Es gibt solche Fälle, etwa Hamelin. Dessen Nische war aber ultra-virtuose Klaviermusik, für die es ein gewisses Publikum gab. Und dann hat er natürlich auch bald Chopin, Schumann usw. eingespielt.


    Die meisten Hörer können und wollen nur eine bestimmte Menge Musik verfolgen. Es gibt in den Foren ja auch immer wieder Äußerungen von Hörern, die sich zunehmend auf "Lieblingswerke", von denen sie dann dutzende von Einspielungen sammeln und vergleichen, konzentrieren.


    Alfred zieht m.E. einen Fehlschluss aus einer an sich richtigen Überlegung: Weil vielen Hörern Sinfonien von Mozart, Haydn usw. gefallen, würden ihnen auch Sinfonien von Vanhal usw. gefallen. Daher müsste diese Musik "eigentlich viel populärer sein, als sie ist. Der erste Schluss ist richtig. Aber erstens wird (aufgrund eigener Vorlieben) der Anteil der Hörer, für die Mozart und Haydn im Zentrum stehen, überschätzt. Für die meisten Hörer sind die späten Sinfonien dieser Komponisten die "untere Grenze", der Schwerpunkt liegt eher auf Beethoven, Brahms, Bruckner, Mahler u.ä.
    Und daher langen vielen Hörern die zwei Handvoll Haydn-Sinfonien, die man üblicherweise im Konzert hört. Gewiss würden sie nicht verstört sein, wenn sie eine unbekannte Haydn-Sinfonie oder eine von Michael Haydn vorgesetzt bekämen. Aber ins Konzert sind sie ohnehin eher wegen der Mahler-Sinfonie, der Strausschen Tondichtung oder des Rachmaninoff-Konzerts gegangen.


    Und die besonders interessierten Freunde der Musik des späten 18. Jhds. sind eben wenige. Das reicht vielleicht, um ein paar tausend CDs über 10 Jahre verteilt abzusetzen, aber nicht um ein Stück dauerhaft im Repertoire zu verankern.


    Die Situation bei Neuer Musik ist insofern anders, als dass es da zwar auch eine relative kleine, dezidierte "Gefolgschaft" gibt, aber natürlich keine solche Konkurrenz in dem Sinne wie sie Mozart für Vanhal oder Beethoven für Ries darstellen.

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  • Liegt es vielleicht auch an den Orchestern, daß Nischenrepertoire nicht gespielt wird?
    Sind die Orchestermitglieder zu bequem (zu faul), um Werke einzuüben, die sie noch nie oder nur selten gespielt haben? Gleiches gilt natürlich auch für die Solisten.
    Es ist doch bequemer, immer die selben Werke beinahe auswendig zu spielen, als sich neue Werke mühsam zu erarbeiten. Manche mehr oder weniger berühmte Dirigenten reisen von Ort zu Ort, viel Zeit für Orchesterprobren bleibt oft nicht, bei manchen Orchestern sollen Proben sogar unbekannt sein. Was man kennt, könnte man sogar ohne Dirigent spielen, der Dirigent als schmückendes Beiwerk.
    Da ich selbst mit Orchestermitgliedern und Solisten kenen Kontakt habe, kann ich nicht beurteilen, welche Bereitschaft zur Aufführung unbekannter Werke, die man sich erst erarbeiten muß, vorhanden ist.
    Man muß ja nicht nur dem Publikum die Schuld zuweisen, daß Nischenrepertoire selten aufgeführt wird.

    mfG
    Michael

  • genauso gibt es auch Klassikhörer, die sich ein Klassik-Leben lang nur mit einer ganz bestimmten Schnittmenge an Werken bzw. Komponisten beschäftigen

    Hm ... das gibt mir zu denken! Denn so eine Denkweise war mir bisher fremd. Gut, dass wir darüber gesprochen haben :P

  • Für die meisten Hörer sind die späten Sinfonien dieser Komponisten die "untere Grenze"

    Wenn das so ist, leuchtet mir ein, dass für die früheren Werke kein wirklicher Markt existiert. Vielleicht ist Klassik an sich eine Nische? 8-)


    Dennoch: Ich habe mich mit Beethovens Fünfter und seinem Violinkonzert beschäftigt, bis mir die Melodien "aus den Ohren geflossen sind". Jetzt möchte ich NEUES Material hören. Ich kann doch nicht mein Leben lang dieselben Werke anhören. Das kann keiner von mir verlangen.

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  • Aber erstens wird (aufgrund eigener Vorlieben) der Anteil der Hörer, für die Mozart und Haydn im Zentrum stehen, überschätzt. Für die meisten Hörer sind die späten Sinfonien dieser Komponisten die "untere Grenze", der Schwerpunkt liegt eher auf Beethoven, Brahms, Bruckner, Mahler u.ä.


    Damit sind wir einer Mainung, was nicht immer so ist. Du beschreibst korrekt die Masse der Konzertgänger, mich eingeschlossen. Im Anrechtskonzert erklingt schon mal als Auftakt ein Stück von Raff oder Nielsen, aber deswegen gehen nur ausgewiesene Kenner hin.


    Die Masse rennt, weil Beethoven, Mahler oder eine Dichtung von Strauß auf dem Programm steht.


    Nur bei Mozart geb ich Dir nicht recht, viele gehen zu Mozart, weil sie da nichts erwartet, was den Ohren wehtut, es klingt einfach gefällig. Bei Haydn stimmt ist das zwar genauso, aber er liegt in der Massenwirksamkeit doch hinter dem Wolfgängchen.


    La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Kennt ihr Georgie Fame? Twinkle? Sandy Shaw?
    Diese Namen habe ich neulich in einer alte Top-30-Liste gelesen:




    Diese Sänger(innen) und Musiker(innen) waren mal Top in den Charts; ich glaube, das muss so um 1965 gewesen sein. Kennt die heute noch jemand? Die Beatles, die sich in derselben Liste wiederfinden, kennt jeder. Ihre CDs werden heute noch zu Höchstpreisen gehandelt. Wie kommt's? Diese heute unbekannten Musiker standen damals neben den Beatles in den Charts, das heißt, sie müssen einer ganzen Menge Leute gefallen haben - genau wie die Beatles. Doch während die Beatles nach wie vor Hörer anziehen und gewinnen, gelingt es diesen anderen Musikern nicht.


    Ist die Musik der Beatles so sehr viel besser als die der anderen Mitstreiter?
    Und: Warum befanden diese anderen sich damals in den Top 30?
    Und: Wie könnte man die Schlussfolgerungen auf die Klassik übertragen?

  • Liegt es vielleicht auch an den Orchestern,daß Nischenrepertoire nicht gespielt wird?
    Sind die Orchestermitglieder zu bequem (zu faul) ,um Werke einzuüben,die sie noch nie oder nur selten gespielt haben? Gleiches gilt natürlich auch für die Solisten.


    Natürlich ist so etwas deutlich mehr Arbeit. Das fängt bei den Noten an. Orchester haben die Stimmen für Standardwerke vorliegen, meines Wissens oft schon mit ausführlichen zusätzlichen Phrasierungsangaben usw. versehen. Die Noten für unbekannte Werke müssen, sofern überhaupt schon herausgegeben, teuer angeschafft/ausgeliehen werden, es sollte, idealerweise, mehr geprobt werden usw. Das ist sogar ein Faktor bei kritischen Neuausgaben von Standardwerken, bei denen Details anders sind als in den älteren Editionen.
    HIP-Musiker erstellen bei Ausgrabungen teils heute noch selbst erst das Aufführungsmaterial, in den 60ern und 70ern war das wohl noch weit häufiger, weil viel weniger gedruckt vorlag.


    Dieser Aufwand ist bei Kammermusik oder Solostücken erheblich geringer, insofern wird man da vermutlich eher mal ungewöhnlichem Repertoire begegnen. (Andererseits gibt es zB von Beethoven oder Brahms ERHEBLICH mehr Kammermusik als Orchesterwerke, insofern besteht vielleicht eher noch weniger Bedarf an alternativen Werken.)

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Dennoch: Ich habe mich mit Beethovens Fünfter und seinem Violinkonzert beschäftigt, bis mir die Melodien "aus den Ohren geflossen sind". Jetzt möchte ich NEUES Material hören. Ich kann doch nicht mein Leben lang dieselben Werke anhören. Das kann keiner von mir verlangen.


    Das verlangt auch wirklich keiner, denn auf TONTRÄGER ist das "Nischenrepertoire" derzeit so gut vertreten wie nie zuvor.
    Indes - der Trend ist DERZEIT eher STEIGEND.


    ich gehe davon aus, dass wir beide dasselbe meinen , wenn wir "NEUES Material" sagen - ich verstehe darunter wenig bekanntes Repertoire des 18. und 19. Jahrhunderts - und NICHT etwa "zeitgenössische Musik" ("DAS kann keiner von MIR verlangen" :baeh01: ).


    Viele Komponisten , die heute zumindest dem Namen nach bekannt sind, bzw. von denen wenigstens ein bis 2 Aufnahmen existieren, waren in meiner Jugend (wer danach fragt wann das war hat einen Feind mehr in seinem Leben :P )
    Niemandsland.
    Vivaldi, Boccherini war damals durchaus noch "Nische", Heinichen und Graupner schlummerten in den Archiven. Desgleichen Ferdinand Ries.
    Aber noch heute ist vieles Hörenswerte unentdeckt, z.B. ist das Angebot von Werken Eyblers am CD-Markt eine traurige Geschichte. Vielleicht ändert sich das wenigstens 2015 (250. Geburtstag) ein bisschen.


    Ich laste diesen Zustand auch zum Teil den Konzertführern an, die sich einerseits als "führende Standardwerke" bezeichneten, aber wichtige Komponisten der Musikgeschichte einfach nicht erwähnten.
    Das Tamino-Klassikforum ist hier doch eine gute Adresse, die das Werk von Kai Kai Czepiczka fortzusetzen versucht, der bis etwa vor 10 Jahren die Seite "Vergessene Komponisten" betrieb.


    Aber jegliche Recherche, jegliche Vorstellung eines Komponisten durch unser Medium ist zur Erfolglosigkeit verurteilt, wenn nicht die Tonträgerindustrie das Ihre dazu beisteuert. Und auch wenn man immer meckert: Einige unabhängige Label machen das ganz ausgezeichnet. Darüber demnächst ein eigener Thread.


    Mein Interesse an "vergessener Klassik" basiert auf ähnlichen Erwägungen, wie von unserem Mitglied "I-like-Rosetti":
    Ich haderte damit, daß Mozart und Schubert nur so kurz gelebt haben und suchte nach Zeitgenossen, die ähnlich klingende Werke hervorgebracht hatten. Und ich wurde fündig. Das hat mir oft den Ruf des schlechten Geschmackes eingetragen, weil man gelegentlich meinte, ich sähe nur die "oberflächliche Schönheit", wäre aber nicht imstande das Geniale von (beispielsweise) Mozarts Musik zu erkennen - jenen Unterschied zwischen gutem Handwerke und Genie.
    Mag sein - Das können vorzugsweise Experten - allerdings nur dann, wenn ein Autograph existiert.
    Wenn nicht, dann wird schon mal ein abgeschriebenern Johann Christian Bach oder Abel oder Rosetti Mozart zugeschrieben.
    MDG hat dereinst eine ganze Serie von acht (?) CDs herausgegeben - alles voll mit zweifelhaften Mozart-Zuschreibungen.
    Über die Haydn-Quartette, die jetzt angeblich von Romanus Hofstetter sein sollen oder über die Provenienz einiger Haydn Cellokonzerte schweige ich diskret.....


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Ich möchte die Eingangsfrage nochmal aufgreifen: ist der Verbleib im Nischenrepertoire ein unabwendbares Schicksal?


    Ich denke: nein. Die Chancen, daß sich am Nischen-Dasein von Komponist xy etwas ändert (wie es etwa den schon genannten Vivaldi und Boccherini widerfahren ist), sehe ich allerdings auch nicht als besonders groß an. Ich vermute, über die Wahrnehmung als Groß- oder Kleinmeister entscheidet dabei auch gar nicht notwendigerweise die musikalische Qualität sondern mitunter auch ganz andere Faktoren.


    Um die Parallele aus dem Bereich der U-Musik nochmal zu bemühen: die Unzahl von hoch- bis höchstklassigen Bands, die nie auf einen grünen Zweig kamen, weil sie meinetwegen aus dem falschen Land kamen, den falschen Manager oder Plattenboss hatten oder durch sonstige außermusikalische Umstände gestraft waren, dürfte ihre Parallele durchaus auch unter Komponisten klassischer Musik finden. Der Plattenboss ist da halt sinngemäß durch z. B. adlige Protektion oder die 'falschen' gesellschaftlichen Kontakte zu ersetzen, die dafür gesorgt haben, daß die Werke des betreffenden Komponisten keine Verbreitung gefunden haben.


    Soweit meine dahingehende Vermutung. Die Chance, daß sich dieser Zustand ändert, haben nach meinem Dafürhalten allerdings ziemlich dieselbe Ursache, ob nun E oder U: die Trägheit des Publikums. Ich meine damit natürlich nicht die Anwesenden, aber große Teile der Musikhörerschaft sind meiner überheblichen Meinung nach einfach nicht bereit, sich der Anstrengung auszusetzen, sich einmal mit einem unbekannten Werk zu beschäftigen und selbiges neu zu entdecken, zu dem es noch keine vorgefertigte Meinung gibt. Ob sich der Pop-Konsument da nun vom Radioprogramm berieseln lässt, der Metaller sich immer wieder an die 10000x mal gehörten Metallica-Platten hält oder eben der Besucher im klassischen Konzert immer und immer wieder Beethovens 5. vorgesetzt bekommen möchte, macht da keinen qualitativen Unterschied.


    Um die Werke eines bestimmten Komponisten aus der Nische herauszuholen wäre meiner Einschätzung nach also vor allem entscheidend, per Marketing ein Momentum zu erzeugen, daß nämlichen Künstler als 'das nächste große Ding' erscheinen lässt - dem noch nicht geneigten Publikum mithin eine Meinung vorsetzt, die es sich zueigen machen kann. Und daß ist nunmal ungeheuer schwer und mit finanziellen Risiken behaftet.



    Um aber dennoch noch einmal auf die musikalische Qualität an sich zurückzukommen, hätte ich da noch eine Frage an Euch:
    ich habe mich in der Kürze meines Klassikhörer-Daseins naturgemäß noch kaum mit Nischenkomponisten beschäftigt. Gibt es denn Werke, von denen Ihr ohne Umschweife sagen würdet 'Die sind mindestens so gut wie Haydn / Beethoven / Mahler etc.'?, sprich die gehörten in einer 'gerechten Welt' regelmäßig auf's Konzertprogramm? Bei allen Hinweisen auf Komponisten aus der zweiten Reihe, die ich bisher mitgelesen hatte, vermisse ich diese eindeutige Aussage bisher. Ich bin aber für alle Hinweise dankbar! :)

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