Aufwind in der Klassikszene? - Aufwind in der Klassikszene!

  • Lieber Thomas


    Wenn ich nicht wüßte, daß Du eigentlich ein "West"deutscher bist, würde ich denken, Du bist in der ehemaligen DDR aufgewachsen und hast Dir einen guten und realistischen Blick auf den vergangenen Staat bewahrt.
    Respekt, Hochachtung und meinen Dank für Deinen Bericht!



    so hat man in den sozialistischen Staaten alles dafür getan, dass diese Herrschafts-Kultur eben jedem zugänglich wurde.

    So ist es, völlig richtig. Ich selbst war bestimmt kein Freund dieses Staates, war in keiner SED, nicht mal in der FDJ und hatte bedingt durch meine, bis zu einem gewissen Grade offen gezeigte opportunistische Haltung, viele persönliche Schwierigkeiten und Probleme. Ich bin aber auch keiner, der ins Nachhinein alles verteufelt und schlecht redet. Wo viel Schatten ist, ist auch Licht. Und ich habe mir den Blick auch auf das Gute, was nicht wegzudiskutieren ist, bewahrt.
    Und so sage ich realistisch und auch dankbar:
    Bildung, Ausbildung, Sport (ob aktiv oder passiv), Kunst und Kultur waren jedem, der es nur mochte, möglich gewesen!
    Ich halte es auch für falsch, hier von "oben sozialistisch verordnet" zu sprechen. Es gab selbstverständlich ein Bildungsprogramm, welches auch Kunst, Kultur und Klassik beinhaltete. Was sollte daran falsch sein, wenn im Rahmen von Schul- und Klassenveranstaltungen Theaterbesuche stattfanden, Jugendsinfoniekonzerte, Museumsbesuche. Im Musikunterricht der älteren Klassen wurden selbstverständlich die großen Klassiker behandelt, ebenso die Literatur betreffend.
    Musikschulen waren für auszubildende Schüler kostenfrei. Lediglich für geliehene Instrumente mußte ein geringer Betrag entrichtet werden.
    Und auch als Erwachsenem waren Kunst und Kultur jedem, der es nur wollte, finanziell möglich.
    Aus eigener Erfahrung:
    Der teuerste Platz in der Deutschen Staatsoper Berlin, dem 1. Haus am Platze mit einem z. T. Weltklasseensemble, betrug 15 DDR- Mark! Und wem das noch zu teuer war, konnte die Aufführung in der "Lumpenloge", also oben 3. Rang, für 3 Mark (!!!) erleben. In meinem heimatlichen Theater war der teuerste Platz unter 7 Mark. Für gute Sinfoniekonzerte in unserer großen Stadthalle habe ich 1,50 Mark bezahlt.
    Die Schallplattenpreise hat Thomas schon richtig angegeben.
    Was will ich mit meinem Beitrag sagen? Man sollte diesbezüglich der ehemaligen DDR nicht vordergründig politische, rote sozialistische Absichten unterstellen. Es gab und war ein normales Bildungsprogramm auf sehr hohem Niveau. Und das hat gewiß keinem geschadet.


    Herzliche Grüße
    CHRISSY

    Jegliches hat seine Zeit...

  • Die neue Linke des Westens, wie sie in den 60ern entstand, hatte ja mit dem alten Funktionärskommunismus der kommunistischen Parteien, die es ja auch im Westen gegeben hat und hatte, nicht mehr viel zu tun. Da war etwas neues Linkes entstanden. Dieses Neue war jung. Und diese junge, akademische Linke band in ihre Aktionsformen des Protestes etwas ein, das ebenfalls sehr neu war: die Jugendkultur des Rock'n Roll und der in den 60ern entstehenden Popmusik.


    Jetzt verstehe ich immer noch nicht, weshalb die in den alles andere als sozialdemokratischen USA und UK entstandene Popkultur, die zahllose Anhänger in allen sozialen Schichten hat, irgendetwas mit der Sozialdemokratie zu tun haben soll? Ich finde Deinen Gedankengang schon sehr unplausibel, vor allem wenn man bedenkt, dass die sozialdemokratische Wende hauptsächlich von Leuten eingeleitet wurde, die selbst im höchsten Maße bürgerlich waren (Palme in Schweden, Kreisky in Österreich, Schmidt in Deutschland). Mein Vater war als Student in den frühen 70er Jahren antisozialistisch (weil grundsätzlich nonkonformistisch) und hat sowohl Beatles, Stones, als auch Bach & Co. gehört. Meine Mutter war immer schon stramme Sozialdemokratin und hat ebenfalls Beat und Klassik gehört. Ich selbst ging auf eine katholisch-konservative Privatschule, in der es von Reichen und Hochadel nur so wimmelte. Keiner der Sprösslinge war Klassikliebhaber. Der Aufstieg der Popkultur und der Sozialdemokratie sind zwei zeitgleiche aber voneinander völlig unabhängige Phänomene.

  • Ich habe doch den Eindruck, dass hier die bizarre Denkfigur, die in den letzten Jahren einige Feuilletons durchgeistert, die "68er" seien an allen erdenklichen Verfallserscheinungen schuld, übernommen wird.
    Wieviele Opernhäuser, Orchester und Theater wurden von Linken oder Studentenbewegten geschlossen? Und wieviele von entweder "Blühende Landschaften" Parteien oder von nominellen Ex-Linken nach dem Marsch durch die Institutionen? Wer hat die Schulzeit verkürzt, so dass weniger Zeit für Kultur, Musik usw. bleibt?


    Gewiss gab es teilweise eine Verknüpfung von Populärkultur und politischen Reformbewegungen, aber nicht wenige Studentenbewegte kehrten nach einiger Zeit wieder zu den bildungsbürgerlichen Bildungsgütern ihrer Eltern zurück. Ich bin etwa so alt wie Garaguly und meine Eltern/Lehrergeneration war überwiegend noch Prä-68 geprägt, d.h. sofern überhaupt musikinteressiert, dann eher an Klassik oder an Jazz (was halt in den 50ern und frühen 60ern die Musik der akademischen Jugend gewesen ist). Viele zum Wohlstand gekommene "Kleinbürger" dieser Generation sind auch einfach beim Schlager u.ä. geblieben.
    Und genauso wie bei meinen Altersgenossen Instrumentalunterricht in der Kindheit und ein bürgerliches Elternhaus nicht unbedingt mittelfristig zu statistisch erhöhter Klassikbegeisterung geführt hat, gibt es bei den Kindern meiner Kollegen und Bekannten weiterhin verbreitet Querflötenstunden usw.


    M.E. zeigt die Entwicklung der 1950er- 70er in der seinerzeitigen BRD, dass es durch ein breites Angebot erst einmal schon zu einer Verbreiterung des Interesses an "Hochkultur" kommen kann. Der Einfluss von bloß verbal bilderstürmerischen Studentenrevoluzzern auf den seither geänderten Status der Hochkultur in breiteren Schichten scheint mir begrenzt.


    Es kommen da eine Reihe von Dingen zusammen. Der Wirtschaftswunderaufsteiger, dem die Hochkultur immer fremd geblieben ist (wie anscheinend weiten Teilen der amerikanischen Bevölkerung unabhängig von Sozial- und Bildungsstand) weicht die Korrelation von Geschmack für klassische Musik und Sozialstatus ebenso auf wie der altlinke Professor, der immer noch Krautrock bevorzugt. Nur gibt es letzteren erst seit etwa 20 Jahren, während neureiche Banausen seit langem einen ganz anderen Machtfaktor bilden.
    Ich persönlich sehe auch einen ganz wesentlichen Faktor in den Massenmedien und dem wesentlichen Einschnitt der Einführung des Privatfernsehens in den 80er Jahren (auch als "geistig-moralische Wende" bekannt). Man schaue sich mal, falls man es findet, das öffentlich-rechtliche Fernsehprogramm in Deutschland Mitte der 1970er an. Das ist aus heutiger Sicht völlig unglaublich. Theater- und Opernübertragungen zur besten Sendezeit, freilich ebenso auch schon "Der blaue Bock" usw.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • ich finde es immer etwas lächerlich wenn bei Premieren an der Rheinoper der WDR 3 stand aufgebaut ist und Werbung macht. Und wenn ich den Mitarbeiter dann frage warum WDR 3 so gut wie gar keine Open live aus NRW überträgt, so wie Bayern Klassik die Premieren aus der Bayerischen Staatsoper übertragt, bekomme ich nur zur Antwort das die Leute viel lieber Feature; Hörspiele oder Schauspiele im Radio hören als Oper. In Spanien werden fast alle Aufführungen aus Barcelona oder Madrid im Radio übertragen. Hier habe ich immer das Gefühl das man sich dafür entschuldigen muss, das man Klassik hört. Und was in Deutschland einfach fehlt ist das richtige ranführen der Jugend an die Klassik. In den USA führen Jugendliche an Hochschulen schon Opern bzw Musical Aufführungen auf. Auf You Tube habe ich einen ganz tollen Barbiere di Siviglia gefunden. Manche Profis hätten es nicht besser machen können.

  • Und so sage ich realistisch und auch dankbar:
    Bildung, Ausbildung, Sport (ob aktiv oder passiv), Kunst und Kultur waren jedem, der es nur mochte, möglich gewesen!


    Liebr Chrissy,


    auch wenn es O.T. ist , MUSS ich hier reagieren (und während ich schreibe, zittern meine Hände - nach 25 Jahren, verdammt).


    Das mag FÜR DICH stimmen und all die guten Erinnerungen sollen Dir auch nicht zerredet werden, aber BITTE nicht so einen Satz mit dem Anschein der Allgemeingültigkeit!


    Denn ICH durfte mit einen Notendurchschnitt von 1,0 nicht auf eine weiterführende Schule, kein Abitur ablegen, keine Fachschule besuchen und am ersten Tag meiner Ausbildung wurde mir von meinem Lehrmeister gesagt: " Unser Arm reicht weit, wenn Du nicht endlich einlenkst, bekommst Du hier keinen Fuß auf den Boden...". Und etwas später" für diese staatsfeindlichen Subjekte ist kein Platz bei uns...!"


    Ich war nie ein Oppositioneller, ich wollte nur - aufgrund meiner christlichen Glaubensüberzeugung- den Wehrdienst mit der Waffe verweigern...!


    Neben vielen guten Erinnerungen, die auch ich habe, gilt aber: Zumindest Bildung und Ausbildung waren eben nicht für jeden zugänglich...!


    Aber hier geht es um andere Themen und das ist gut so, daher betrachtet dies als einmaligen Einwurf von mir!



    Nichts für ungut Chrissy :hello:


    Oolong

    Psalmen sprechen und Tee trinken kann niemals schaden!

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  • In den USA führen Jugendliche an Hochschulen schon Opern bzw Musical Aufführungen auf. Auf You Tube habe ich einen ganz tollen Barbiere di Siviglia gefunden. Manche Profis hätten es nicht besser machen können.


    In Deutschland führen Schulorchester Mozarts und Beethovens Klavierkonzerte oder Haydns Schöpfung und vermutlich mitunter auch mal eine Oper oder ein Musical auf. Natürlich auf Schulen mit entsprechendem Schwerpunkt.
    Deutschland (und Österreich und die Schweiz) haben eine vielfach höhere Dichte von Opern und Orchestern als die USA und der Tonträgermarktanteil ist hier etwa doppelt so hoch wie in den Staaten (7-8 gegenüber ca. 4%).

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  • Und genauso wie bei meinen Altersgenossen Instrumentalunterricht in der Kindheit und ein bürgerliches Elternhaus nicht unbedingt mittelfristig zu statistisch erhöhter Klassikbegeisterung geführt hat, gibt es bei den Kindern meiner Kollegen und Bekannten weiterhin verbreitet Querflötenstunden usw.

    Eine strenge Korrelation gibt es selbstverständlich nicht, aber ich denke schon, dass das gemeinsame Musizieren bzw. das gemeinsame Erleben von Musik in der Familie gewissermaßen prädisponieren kann. Einfach in den Instrumentalunterricht schicken, wie das heute oft geschieht, reicht wohl leider nicht. Im Zweifelsfall sollte man selbst mehr Zeit mit den Kindern verbringen, als sie durch x-beliebige Kurse zu (verun)bilden.



    Ich persönlich sehe auch einen ganz wesentlichen Faktor in den Massenmedien und dem wesentlichen Einschnitt der Einführung des Privatfernsehens in den 80er Jahren (auch als "geistig-moralische Wende" bekannt). Man schaue sich mal, falls man es findet, das öffentlich-rechtliche Fernsehprogramm in Deutschland Mitte der 1970er an.

    Da sind wir schon recht nahe an einer Wurzel des Problems. Es ist doch einfach offensichtlich, dass der heutige beschleunigte Konsum von Information die eingehende und mühevolle Beschäftigung mit einem Thema/ einer Sache unterminiert. Das betrifft nicht nur die Klassik, sondern alle Bereiche der Kultur. Insgesamt gibt es heute weniger Konzentration, Zeit und Ruhe im Familienleben oder generell im Leben junger Menschen.



    Ich habe doch den Eindruck, dass hier die bizarre Denkfigur, die in den letzten Jahren einige Feuilletons durchgeistert, die "68er" seien an allen erdenklichen Verfallserscheinungen schuld, übernommen wird.


    Wieviele Opernhäuser, Orchester und Theater wurden von Linken oder Studentenbewegten geschlossen? Und wieviele von entweder "Blühende Landschaften" Parteien oder von nominellen Ex-Linken nach dem Marsch durch die Institutionen? Wer hat die Schulzeit verkürzt, so dass weniger Zeit für Kultur, Musik usw. bleibt?

    Den Eindruck habe ich auch. Wien wird seit 90 Jahren mit einer 7-jährigen Unterbrechung von der Sozialdemokratie regiert und hat relativ zur Größe betrachtet das vielleicht größte Angebot an "Elitenkultur" weltweit. Signore Berlusconi hingegen hat es in den vergleichsweise wenigen Jahren seines segensreichen Schaffens fertiggebracht, das italienische Kulturleben nahe an den totalen Bankrott zu führen.

  • Nichts für ungut Chrissy


    Aber selbstverständlich "nichts für ungut", lieber Oolong, im Gegenteil. Du hast doch völlig recht. Vielleicht habe ich mich etwas falsch oder mißverständlich ausgedrückt. Wenn Du meinen Beitrag richtig liest, habe ich geschrieben, daß ich kein Freund dieses Staates war und ähnlich wie Du, meine persönlichen Schwierigkeiten hatte. Es ging mir hier auch nicht um eine politische Bewertung, ich wollte lediglich aufzeigen, daß unabhängig vom politischen System, bereits in der Schule kulturelle Bildung vermittelt wurde. Und das auch als Erwachsener jeder, der es nur wollte, die finanzielle Möglichkeit hatte, alle vorhandenen und angebotenen kulturellen Dinge und Einrichtungen auf hohem Niveau zu nutzen.
    Heute, vor vielen Jahren z. B., war ich gemeinsam mit meinen Eltern und einem Freund zu einem unvergeßlich tollen Opernabend in Berlin. Wir hatten beste Plätze vorne im Parkett, Preis pro Karte 15 Mark. Heutzutage würden wir wohl das Zehnfache in etwa in €uro bezahlen! Und wer kann das schon? Ich will damit sagen, die Möglichkeiten unbelastet Kunst und Kultur zu konsumieren, bzw. zu genießen, sind heute wesentlich schwieriger und nur einem gewissen privilegierten Kreis möglich. Das fängt schon an und setzt sich fort bei der evtl. Ausbildung von Schülern in der Musikschule. Dies war früher auch Kindern aus ganz einfachen Verhältnissen möglich. Hier kam es nur auf Interesse und Talent an. Und das, lieber Oolong, ist nicht wegzudiskutieren. Das sind Tatsachen und deshalb vergessen wir trotzdem, sowohl Du wie auch ich, garantiert nicht den ganzen negativen und schlimmen Sch..., den es in dieser DDR gab!!! Aber das ist und wäre ein ganz anderes Thema...
    In der Hoffnung und dem Wunsch, daß ich mich jetzt etwas verständlicher ausgedrückt habe, sende ich Dir


    Herzliche Grüße
    CHRISSY

    Jegliches hat seine Zeit...

  • Thomas Pape:
    Die Einschränkung bezüglich der sogenannten "West-Linken" teile ich selbstverständlich. Von ähnlich kulturzerstörerischen Tendenzen kann in den kommunistischen Diktaturen des Ostblocks nicht im Ansatz die Rede sein.
    Das große Vorbild, dem sich die Diktaturen des Ostens nach ihrer Etablierung in Folge des Zweiten Weltkriegs in Kulturfragen anschlossen, war die Sowjetunion. Nach der Oktoberrevolution und der Etablierung der Sowjetmacht im Verlauf des Bürgerkrieges tat sich dort etwas Bemerkenswertes in Sachen Kulturpolitik. So initiierten die roten Machthaber ganz gezielt die Entstehung einer neuen, sozialistischen Kunst (sozialistischer Realismus). Aber die alte Kultur, die bereits die nun verhassten und schließlich buchstäblich ausgerotteten Oberschichten des Zarenreiches erfreut hatte, ging nicht mit diesen Klassen unter. Die Bolschewisten nahmen sich dieser Kultur an. Aus zwei Erwägungen heraus: Man schmückte sich gerne mit ihr.

    Na ja, da sollte man schon differenziert vorgehen. Ich erinnere an die Formalismus-Kampagnen in der damaligen UdSSR in den dreißiger und vierziger Jahren und wie es in dem Zusammenhang z.B. Schostakowitsch erging, denkt man den von oben inszenierten Aufstand bei der Uraufführung der Oper "Lady Macbeth von Mzensk" oder die Umstände der Aufführung seiner 4. Sinfonie, die, komponiert 1937, erst 1961 gespielt werden konnte. Nur was der Partei genehm war und in das Schema des"sozialistischen Realismus" passte, wurde akzeptiert. Das waren schlimme Zeiten.



    Zitat von chrissy

    Ich halte es auch für falsch, hier von "oben sozialistisch verordnet" zu sprechen. Es gab selbstverständlich ein Bildungsprogramm, welches auch Kunst, Kultur und Klassik beinhaltete. Was sollte daran falsch sein, wenn im Rahmen von Schul- und Klassenveranstaltungen Theaterbesuche stattfanden, Jugendsinfoniekonzerte, Museumsbesuche. Im Musikunterricht der älteren Klassen wurden selbstverständlich die großen Klassiker behandelt, ebenso die Literatur betreffend.
    Musikschulen waren für auszubildende Schüler kostenfrei. Lediglich für geliehene Instrumente mußte ein geringer Betrag entrichtet werden.
    Und auch als Erwachsenem waren Kunst und Kultur jedem, der es nur wollte, finanziell möglich

    Da hast du völlig Recht, lieber chrissy. Ich kenne das auch persönlich, bin ich doch in Ost-Berlin aufgewachsen und habe auch durch die staatliche Förderung der, heute sagt man "Hoch"-Kultur, Zugang zur klassischen Musik gefunden, abgesehen vom Klavierunterricht, der das zusätzlich begleitete. Ich schätzte sehr die Jugendkonzerte des Berliner Sinfonie-Orchesters, für die sich besonders der damalige zweite Dirigent Paul Dörrie verdient gemacht hatte und die man in der Schule beworben hat. Und auch preislich waren Konzerte für jedermann zugänglich, da war die Preisspanne lange von 2,05 bis 6,05 Mark (5 Pfennig betrug die obligatorische Kulturabgabe, eigentlich keine schlechte Idee).


    Dabei verkläre ich überhaupt nicht das auch von mir abgelehnte politische System. Ich möchte es nicht zurück haben.


    Mit besten Grüßen


    :hello:


    Manfred

    Wenn schon nicht HIP, dann wenigstens TOP

  • Lieber Chrissy


    Na, klar, wir wissen wohl beide, wovon wir reden und auf das eigentliche Thema bezogen hast Du völlig recht - der Geldbeutel der Eltern spielte bei Kultur und Bildung keine Rolle und das war wirklich toll!


    Und ansonsten packen mich manchmal die alten Reflexe bei gar zu idyllischen Bewertung unserer weltgrößten DDR! :pfeif:



    Also - alles gut! :hello:


    Oolong

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  • Was den Kindern und Jugendlichen fehlt, sind die Vorbilder, mit denen sie aufwachsen, die ihnen vorleben, dass diese klassische Musik gehört werden kann. Kinder, für die es schlicht selbstverständlich ist, dass zu Hause Beethoven oder Schostakowitsch durch die Wohnung dröhnen, für die Klassik zur normalen Familienlebensrealität gehört. Das bedeutet zwar nicht, dass sie dadurch automatisch auch zu Klassikliebhabern werden, aber die Chance ist doch relativ hoch.
    Man kann Kindern und Jugendlichen ernsthafte Dinge vorsetzen. Wenn sie spüren, dass es von Erwachsenen kommt, denen diese Sache selbst sehr viel bedeutet, dann öffnen sie sich auch dafür. Denn sie sehen, dass es echt ist und dass es ehrlich gemeint ist.
    Ein erwachenes Familienmitglied, von dem die Kinder merken, dass er oder sie wirkliche Leidenschaft für diese Musik empfindet, wirkt tausendmal überzeugender als alle von fremden Institutionen durchgeführten Projekte. Was sollen denn Kinder davon halten, wenn ihnen erzählt wird, wie wichtig das alles ist und sie gleichzeitig keinen Erwachsenen finden, der diese Worte Realität werden lässt?


    Diese Aussagen unterschreibe ich sofort! - Dazu eine kleine Geschichte: Vor einiger Zeit sah ich einen Filmbeitrag (Spiegel-Online), in welchem es um frühkindliche Bildung ging. Die Eltern eines kleinen Mädchens (ca. 4-5) hatten die Woche ihrer Tochter minutiös mit Kursen durchgeplant, wozu natürlich auch die musikalische Früherziehung gehörte. Zu sehen waren lauter kleine Kinder, die mehr oder weniger fröhlich zu den Klängen einer Mozart-Symphonie tanzten. Dazu die Mutter: Es sei ja wichtig, dass das Kind auch solche Musik kennenlerne; zuhause höre man soetwas ja eigentlich nicht. Später dann dieselbe Mutter mit Tochter alleine auf dem Spielplatz. Wieder die Mutter: Ja, die Tochter würde auch gerne mit anderen Kindern auf dem Spielplatz sein, aber die Kurse enden immer so spät und dann seien die anderen Kinder schon zuhause.


    Ich hatte nicht den Eindruck, dass die Mutter - sicherlich nicht der Dümmsten eine - wirklich verstanden hat, wie fulminant falsch in jeglicher Beziehung da gerade etwas läuft ... :no:

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Lieber Chrissy,


    Das Schulsystem der "DDR" war beispielhaft gut. Nach der Wende hätte man es für Gesamtdeutschland verwenden können, doch leider wollte man sich von den alten Zöpfen nicht trennen. Selbst das amerikanische Schulsystem steht dem der "DDR" näher als das Westdeutsche.
    Ob man das polytechnische Oberschule oder High School nennt ist egal. Aber dass jeder die gleiche Schule 10 Jahre besucht und sich danach die Möglichkeit einer 3-jährigen Aufbaustufe zum Erwerb des Abiturs/Matura/Collegeabschlusses ergibt, erscheint mir die beste Lösung, um allen Kindern jeglicher sozialer Herkunft gleiche Chancen einzuräumen.
    Die Trennung in Hauptschule, Realschule und Gymnasium erscheint mir veraltet und wird den heutigen Anforderungen des Arbeitsmarktes nicht gerecht. Hauptschüler, die nicht ausbildungsfähig sind und arbeitslose Akademilker sind das Ergebnis einer falschen Schulpolitik.


    Die Schulhoheit der deutschen Bundesländer erscheint mir ebenfalls überholt. Es darf nicht sein, dass ein reiches Bundesland gute Lehrer aus einem armen Bundesland mit besserer Bezahlung abwirbt, Kinder im armen Bundesland von schlechteren Lehrern ausgebildet werden. Es darf nicht sein, daß bei einem Umzug der Eltern in ein anderes Bundesland Kinder durch den Schulwechsel Nachteile erleiden, weil jedes Bundesland eigene Lehrpläne hat.
    Im Hinblick auf Europa ist ein einheitliches Schulwesen in Deutschland erforderlich, besser wäre ein einheitliches Schulsystem in Europa.


    Was die Liebe zur klassischen Musik angeht, scheint es mir, als ob das nicht vom Schulsystem bzw. vom Musikunterricht in den Schulen abhängt. Ich vermute, daß es genetisch bedingt ist.
    Vielleicht ist es genetisch verbunden mit Intelligenz, insoweit wird wohl kein Tamino-Forenuser widersprechen?

    mfG
    Michael

  • @ Oolong, timmiju, Schneewittchen - Ihr lieben Drei


    Für eure Beiträge danke ich euch ganz sehr.
    Ich bin sehr froh, daß evtl. Unklarheiten beseitigt sind und wir in den wichtigen Dingen einer Meinung sind, sachlich übereinstimmen und wissen, was und wie es gemeint ist. Und wie ich sage, bei allem vorhanden gewesenem Schlechten wäre es ungerecht, wenn man das Gute nicht sehen wöllte. Und wie richtigerweise hier bemerkt wurde, so manches hätte man zur Wende aus der DDR übernehmen können, aber dazu war man ja zu stolz und wußte alles besser.


    Herzliche Grüße
    CHRISSY

    Jegliches hat seine Zeit...

  • Jetzt verstehe ich immer noch nicht, weshalb die in den alles andere als sozialdemokratischen USA und UK entstandene Popkultur, die zahllose Anhänger in allen sozialen Schichten hat, irgendetwas mit der Sozialdemokratie zu tun haben soll? Ich finde Deinen Gedankengang schon sehr unplausibel, vor allem wenn man bedenkt, dass die sozialdemokratische Wende hauptsächlich von Leuten eingeleitet wurde, die selbst im höchsten Maße bürgerlich waren (Palme in Schweden, Kreisky in Österreich, Schmidt in Deutschland). Mein Vater war als Student in den frühen 70er Jahren antisozialistisch (weil grundsätzlich nonkonformistisch) und hat sowohl Beatles, Stones, als auch Bach & Co. gehört. Meine Mutter war immer schon stramme Sozialdemokratin und hat ebenfalls Beat und Klassik gehört. Ich selbst ging auf eine katholisch-konservative Privatschule, in der es von Reichen und Hochadel nur so wimmelte. Keiner der Sprösslinge war Klassikliebhaber. Der Aufstieg der Popkultur und der Sozialdemokratie sind zwei zeitgleiche aber voneinander völlig unabhängige Phänomene.

    Hallo Felix,


    Popkultur und Sozialdemokratie hängen meines Erachtens enger zusammen, als Du es zu suggerieren versuchst.
    Aber der Reihe nach: Es ist evident, dass die neue Jugendkultur (und vor allem ihre Musik), die ab den 50er Jahren auch Europa eroberte, die Ausdrucksformen der Studentenbewegung ab Ende 60er Jahre prägte. Die akademische Jugend der frühen 60er trug noch - ganz der Erwachsenenwelt verpfilchtet - Krawatte und Seitenscheitel (außer man war Existenzialist, dann war die Krawatte weg) und orientierte sich an vorhandenen Musikrichtungen wie Klassik oder Jazz.


    Zur Sozialdemokratisierung der Gesellschaften: Der gesellschaftliche Sozialdemokratismus ist das Konsensprodukt aus einer vorpreschenden Linken, die viel radikalere Ideen hatte und einer, diesem linken Sog ein Stück weit folgenden gesellschaftlichen Mehrheit. Es ist unstrittig, dass in vielen westeuropäischen Gesellschaften die frühen 70er Jahre ein gewandeltes geistiges Klima hervorbrachten. Dass die Mehrheitsgesellschaft den teilweise 'versponnen-abgehobenen' Ideen einer sich als linke Avantgarde verstehenden Studentenbewegung nie wirklich folgen wollte, ist ebenso eindeutig (auch die Radikalen in der linken Terrorszene mussten erkennen, dass sie für ihre Revolutionsphantasien niemals genügend Anhänger finden würden). Was übrig blieb, war der oben so bezeichnete Konsens. Die Gesellschaft hatte durchaus aus sich selbst heraus Interesse an einer Liberalisierung der gesellschaftlichen Ordnung, aber sie hatte kein Interesse an einem Umsturz dieser Ordnung. Die Sozialdemokratie als gedankliches Konstrukt war das, was die Gesellschaft an Reform hervorbrachte. Der Boden dieser Reform blieb aber immer die bürgerliche Gesellschaft, daher die von Dir genannten konservativ anmutenden sozialdemokratischen Politiker, die die 70er Jahre prägten (Kreisky war ja auch in Westdeutschland ziemlich bekannt. Wohl einer der in der BRD bekanntesten österreichischen Kanzler überhaupt).


    Die Sozialdemokratie hat sich zu einer die gesamte Gesellschaft umfassenden Denkrichtung entwickelt, gleich, welcher Partei man angehört oder zumindest nahesteht. Der umfassende Sozialdemokratismus, in welchem wir heute leben, hat sich eine Nivellierung gesellschaftlicher Unterschiede auf die Fahnen geschrieben. Die Popkultur ist Ausdruck einer solchen Nivellierung. Begründung dieses Gedankens siehe in Posting 51.


    Grüße,
    Garaguly

  • Die Trennung in Hauptschule,Realschule und Gymnasium erscheint mir veraltet und wird den heutigen Anforderungen des Arbeitsmarktes nicht gerecht.Hauptschüler,die nicht ausbildungsfähig sind und arbeitslose Akademilker sind das Ergebnis einer falschen Schulpolitik.

    Ich will hier wirklich keine schulpolitische Diskussion vom Zaun brechen, da wir alle wissen, dass dieses Thema - zumindest in Deutschland, ich weiß nicht, wie's darum in Österreich bestellt ist - zu Mord und Totschlag führen kann.


    Aber wer mit solchen Thesen wie der obigen in Vorlage geht, muss von mir Widerspruch erfahren. Das deutsche Gymnasium ist einer der erfolgreichsten Schultypen weltweit. Diese Schulform hat sich über den extremen Wandel (Vervielfachung der Schülerzahlen seit den 50er Jahren bis heute) der vergangenen Jahrzehnte hindurch ein hohes kognitives Niveau bewahren können. Untersuchungen zeigen eindeutig, dass deutsche Gymnasiasten im Vergleich zu amerikanischen High-School-Absolventen, oder auch dem durchschnittlichen britischen Schulabgänger, nicht nur über ein fundierteres Allgemeinwissen verfügen, sondern sie sind auch führend in übergeordneten Kompetenzen, wie etwa der Erfassung auch komplexer Textstrukturen et al.


    Die Schaffung einer (Zwangs-)Gesamtschule für alle halte ich für einen Irrweg. Unterschiedliche Begabungsniveaus müssen gezielt mit für sie angemessenen Lerninhalten unterrichtet werden. Das funktioniert aber nun einmal am besten in einem getrennten Schulsystem. Die ja in einigen Bundesländern existierende integrierte Gesamtschule zeigt deutlich, dass die Idee des gemeinsamen Unterrichts für alle falsch ist. In diesem System werden die 'guten' unterfordert und sie erhalten nicht den ihrem geistigen Niveau entsprechenden Unterricht. Der Unterricht in Klassen in dieser Schulform pendelt sich meistens in der unteren Mitte ein, d.h. auf schwachem Realschulniveau. Lehrer, die alleine in solchen Klassen unterrichten (und das ist in Deutschland in allen Schulformen die Regel), wären gnadenlos überfordert, wenn sie drei verschiedene Unterrichte in einem organisieren sollten (nennt man 'Binnendifferenzierung'). In einer Schulstunde zum selben Thema auf Hauptschulniveau, auf Realschulniveau und auf Gymnasialniveau solide Ergebnisse erzielen zu wollen - und das dauerhaft in der breiten Masse aller Schüler - ist eine irrwitzige Illusion, der wirklich nur verbohrte Ideologen anhängen können.
    Ergebnis einer solchen Zwangs-Gesamtschule wäre eine spürbare Absenkung des Bildungsniveaus. Das die Schwachen von den Starken lernen, mag in besonders gut ausgestatteten Modellprojekten funktionieren (zwei Lehrer pro Klasse etc.). Aber es glaube doch keiner ernsthaft, dass diese Traumbedingungen dann eingeführt werden, sollte eine Zwangs-Gesamtschule für alle entsehen - nein, die Starken würden sich dem schwächeren Niveau anpassen. Das wäre das Endergebnis.


    Aus so einem Schulsystem kommt der viel vermisste Klassik-Nachwuchs dann bestimmt erst Recht nicht.


    Grüße,
    Garaguly

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  • Sorry, aber das ist doch historisch weitgehend unhaltbar.
    Die "Sozialdemokratie" gibt es seit der Arbeiterbewegung des 19. Jhd. Sie hat erstmal gar nichts mit der Studentenbewegung zu tun, die sich gegen eine Große Koalition unter Mitwirkung der SPD unter dem CDU-Kanzler Kiesinger (einem Alt-Nazi) erst formierte und die weit links von der SPD dieser (oder gar der heutigen) Zeit verortet war.
    (Jazz war übrigens in den 1950ern bei Konservativen keineswegs etabliert, sondern weitgehend als Dschungelmusik verhöhnt, wie er unter den Nazis verboten gewesen war.)


    Praktisch alle sozialen Bewegungen seit dem 19. Jhd, von denen die Sozialdemokratie immer eine der "gemäßigten" gewesen ist (sie hat in D bekanntlich den ersten Weltkrieg mitgetragen) waren durch die Idee geprägt, die "ungewaschenen Massen" durch Bildung zu "bessern", zu "erheben" und Kulturgüter für alle zugänglich zu machen. Die "Nivellierung" sollte also durch bessere Bildungs- und Kulturoptionen durch die Arbeiter geschehen, nicht durch Zerstörung einer etablierten "Elitenkultur" und Kulturindustrieprodukten als neues Opium des Volkes.
    Das mag teils naiv gewesen sein, aber es war auch eine treibende Kraft vieler Musiker. So gab es Arbeiterkonzerte, Arbeitergesangsvereine usw. Von Scherchen bis Pollini haben sich viele Musiker in entsprechenden Organisationen engagiert.


    Gegen die Entwicklung, die genau diese industrielle Volksverdummung möglich gemacht hat, haben Leute wie Adorno, Fromm u.a. ihr Leben lang angeschrieben. Und das war 20 Jahre vor "tutti frutti", diesem leuchtenden Zeugnis der durch die Regentschaft der C-Parteien eingeleuteten "geistig-moralischen" Wende und 40 Jahre vor Dschungelcamp... Diese Art Kulturverfall den "Linken" anzukreiden, ist m.E. perfide. Mal abgesehen davon, dass es in der BRD nur eine einzige Regierung gab, die man als "links" bezeichnen kann (Brandts), war diese Entwicklung getrieben von der Marktöffnung für private Fernsehsender (nachdem das ZDF als konservativer Gegenpol zum angeblichen "Rotfunk" anscheinend zu wenig gefruchtet hatte). Ganz abgesehen davon funktionieren klassische Musik und Hochkultur nach wie vor durchaus als "soziale Marker", auch wenn ein gut Teil der heutigen "Elite" aus Popstars aus Musik, Showbiz, Sport usw. besteht.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Na ja, da sollte man schon differenziert vorgehen. Ich erinnere an die Formalismus-Kampagnen in der damaligen UdSSR in den dreißiger und vierziger Jahren und wie es in dem Zusammenhang z.B. Schostakowitsch erging, denkt man den von oben inszenierten Aufstand bei der Uraufführung der Oper "Lady Macbeth von Mzensk" oder die Umstände der Aufführung seiner 4. Sinfonie, die, komponiert 1937, erst 1961 gespielt werden konnte. Nur was der Partei genehm war und in das Schema des"sozialistischen Realismus" passte, wurde akzeptiert. Das waren schlimme Zeiten.

    Hallo Manfred,


    jetzt wirfst Du Dinge zusammen, die ich gar nicht in einem Topf sehen wollte.
    Die Bolschewisten übernahmen die alte Kultur (also z.B. Tschaikowsky) und adaptierten sie für ihre Zwecke. Schostakowitsch gehörte aber nicht zur alten Kultur, sondern zur neuen, sowjetischen Kultur. An einen Komponisten wie Schostakowitsch wurden natürlich Erwartungen gestellt (sozialistischer Realismus!!!), die man gegenüber Tschaikowsky ja nicht mehr formulieren konnte, da er bereits unter der Erde lag. Aus der Propaganda der Kommunisten, die ja das Alte zerschlagen sehen wollten, hätte auch abgeleitet werden können, die Musik eines Tschaikowsky zu verbieten, da man sie durchaus als 'Musik des Zarismus' hätte verfemen können. Und Tschaikowsky war ja nun kein Gegner des Zarentums, wie wir wissen.


    Grüße,
    Garaguly

  • Sorry, aber das ist doch historisch weitgehend unhaltbar.
    Die "Sozialdemokratie" gibt es seit der Arbeiterbewegung des 19. Jhd. Sie hat erstmal gar nichts mit der Studentenbewegung zu tun, die sich gegen eine Große Koalition unter Mitwirkung der SPD unter dem CDU-Kanzler Kiesinger (einem Alt-Nazi) erst formierte und die weit links von der SPD dieser (oder gar der heutigen) Zeit verortet war.
    (Jazz war übrigens in den 1950ern bei Konservativen keineswegs etabliert, sondern weitgehend als Dschungelmusik verhöhnt, wie er unter den Nazis verboten gewesen war.)


    Praktisch alle sozialen Bewegungen seit dem 19. Jhd, von denen die Sozialdemokratie immer eine der "gemäßigten" gewesen ist (sie hat in D bekanntlich den ersten Weltkrieg mitgetragen) waren durch die Idee geprägt, die "ungewaschenen Massen" durch Bildung zu "bessern", zu "erheben" und Kulturgüter für alle zugänglich zu machen. Die "Nivellierung" sollte also durch bessere Bildungs- und Kulturoptionen durch die Arbeiter geschehen, nicht durch Zerstörung einer etablierten "Elitenkultur" und Kulturindustrieprodukten als neues Opium des Volkes.
    Das mag teils naiv gewesen sein, aber es war auch eine treibende Kraft vieler Musiker. So gab es Arbeiterkonzerte, Arbeitergesangsvereine usw. Von Scherchen bis Pollini haben sich viele Musiker in entsprechenden Organisationen engagiert.


    Gegen die Entwicklung, die genau diese industrielle Volksverdummung möglich gemacht hat, haben Leute wie Adorno, Fromm u.a. ihr Leben lang angeschrieben. Und das war 20 Jahre vor "tutti frutti", diesem leuchtenden Zeugnis der durch die Regentschaft der C-Parteien eingeleuteten "geistig-moralischen" Wende und 40 Jahre vor Dschungelcamp... Diese Art Kulturverfall den "Linken" anzukreiden, ist m.E. perfide. Mal abgesehen davon, dass es in der BRD nur eine einzige Regierung gab, die man als "links" bezeichnen kann (Brandts), war diese Entwicklung getrieben von der Marktöffnung für private Fernsehsender (nachdem das ZDF als konservativer Gegenpol zum angeblichen "Rotfunk" anscheinend zu wenig gefruchtet hatte). Ganz abgesehen davon funktionieren klassische Musik und Hochkultur nach wie vor durchaus als "soziale Marker", auch wenn ein gut Teil der heutigen "Elite" aus Popstars aus Musik, Showbiz, Sport usw. besteht.

    Hallo Johannes,


    aber zwischen der Sozialdemokratie der Vergangenheit, wie Du sie korrekt erläuterst und den kulturpolitischen Überzeugungen, wie sie unsere heutige sozialdemokratisierte Gesellschaft zunehmend präferiert, besteht ein großer Unterschied.


    Ich versuche, eine geistige Tendenz einzufangen, die in unserer Gesellschaft vorherrschend wird und versuche ebenso zu erläutern, welche Wurzeln diese (teilweise kulturfeindlichen) Tendenzen haben. Ich glaube, dass man in diesem Zusammenhang an dem Begriff des Sozialdemokratismus neuerer Prägung nicht vorbeikommt - und 'Sozialdemokratismus' ist eher eine gesamtgesellschaftliche Tendenz als dass man diesen Begriff und die mit ihm verbundenen Denkweisen in Geschichte oder Programm der SPD finden könnte.



    Grüße,
    Garaguly

  • aber zwischen der Sozialdemokratie der Vergangenheit, wie Du sie korrekt erläuterst und den kulturpolitischen Überzeugungen, wie sie unsere heutige sozialdemokratisierte Gesellschaft zunehmend präferiert, besteht ein großer Unterschied.


    Ich versuche, eine geistige Tendenz einzufangen, die in unserer Gesellschaft vorherrschend wird und versuche ebenso zu erläutern, welche Wurzeln diese (teilweise kulturfeindlichen) Tendenzen haben. Ich glaube, dass man in diesem Zusammenhang an dem Begriff des Sozialdemokratismus neuerer Prägung nicht vorbeikommt - und 'Sozialdemokratismus' ist eher eine gesamtgesellschaftliche Tendenz als dass man diesen Begriff und die mit ihm verbundenen Denkweisen in Geschichte oder Programm der SPD finden könnte.


    Hallo Garaguly,


    vielleicht habe ich es überlesen, aber was genau ist "unsere heutige sozialdemokratisierte Gesellschaft" bzw. was habe ich mir unter dem "Begriff des Sozialdemokratismus neuerer Prägung" eigentlich vorzustellen?

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • ... und ich hab' hier doch vor Wochen die politische Enthaltsamkeit postuliert. Mist, wenn man beim Wortbruch ertappt wird.


    vielleicht habe ich es überlesen, aber was genau ist "unsere heutige sozialdemokratisierte Gesellschaft" bzw. was habe ich mir unter dem "Begriff des Sozialdemokratismus neuerer Prägung" eigentlich vorzustellen?


    Hallo Michael und auch Johannes!


    Johannes schrieb vorhin von der alten Arbeiterbewegung, deren Ziel es war den Arbeiter zu bilden, um ihm politisches Bewusstsein und gesellschaftlichen Aufstieg zu ermöglichen. Daher diese schönen volkserzieherischen Ansätze mit den Fabrikkonzerten, Arbeiterbibliotheken und dergleichen mehr.


    Doch diese Arbeiterbewegung und die dazugehörige Arbeiterschaft (oder umfassender: das Proletariat) gibt es nicht mehr. Demzufolge läuft auch Johannes' Einwand ins Leere. Historisch alles richtig. Doch alles, wovon ein Arbeiterführer um 1920 bestenfalls hätte träumen können, ist heute Wirklichkeit: die Mägen sind übervoll (Fleisch jeden Tag!!!), soziale Sicherungen aller Art sind eingerichtet, der Jahresurlaub auf Mallorca ist dank Billigfliegerei und Pauschalangeboten nun aber wirklich jedem möglich und ein Auto hat auch jeder.


    Die hohe Bildung, die die alte Arbeiterbewegung an den Proletarier bringen wollte, beinhaltete ein Versprechen auf eine bessere Zukunft. Diese Zukunft sah ein ganzheitliches Menschenbild: den geistig wie körperlich gut verfassten Arbeiter.
    Aber die Schicht, die heute vielleicht der alten Arbeiterschaft hinsichtlich ihrer gesellschaftlichen Stellung entsprechen könnte, würde doch diese hochkulturellen Ansätze bestenfalls belächeln, in der Regel wohl gar nicht mehr verstehen. Warum soll man sich mit sowas befassen? Man hat doch alles, was man will (Fleisch, Ballermann, Flachbildschirm, Computerspiele) - das Paradies ist doch da. Wozu sich einer geistigen Anstrengung unterziehen? Wer dennoch mehr (mehr Fleisch, mehr Flachbildschirme, mehr Mallorca etc.) will, tritt bei Dieter Bohlen oder Heidi Klum auf, wirft seine Schönheit oder sein Stimmchen in den Ring und hofft darauf, ein Popsternchen zu werden. Dass alte Credo der Arbeiterbewegung, dass man es nur mit Bildung zu etwas bringen könne, ist ersetzt durch die totale Nivellierung im Körperlichen. Schöne Körper oder schöne Stimmchen verteilt Mutter Natur ganz sozialdemokratisch gerecht in allen Schichten. Da kann die Tochter der Kassiererin locker den Sieg über die Arzttochter davontragen. Da ist Gleichheit hergestellt!!


    Mit einer sozialdemokratisierten Gesellschaft meine ich eine Gesellschaft, die von Gleichmacherei durch und durch geprägt ist. Es ist doch total ungerecht, dass nur 40% eines Jahrgangs Abitur machen, oder? Warum nicht mehr? Am besten führt man die Abiturgarantie für alle ein, gleich wie blöd sie auch sein mögen - dann muss man eben die Anforderungen absenken. Habe ich blöd gesagt? Pfui! Alle haben die gleichen Begabungsgrundlagen, sie werden nur nicht richtig gefördert. Zu dumm ist hier keiner mehr - das wird in der sozialdemokratisierten Gesellschaft abgeschafft. Die 60% ohne Abitur könnten sich ja schlicht schon durch die Tatsache gekränkt fühlen, dass es da eine Schulform gibt (das Gymnasium), auf der sie nicht ernsthaft bestehen können (wenn das Gymnasium als solches sich noch selbst Ernst nehmen möchte). Den Leuten in der sozialdemokratisierten Gesellschaft wird eingetrichtert, dass sie einen Anspruch auf alles haben, und das die Gesellschaft gefälligst alles zu unternehmen hat, um auch noch den Letzten über die Hürde zu heben.
    In der sozialdemokratisierten Gesellschaft herrscht das untere Mittelmaß, denn nur in ihm finden sich die meisten Menschen wieder. Beethoven, Goethe und Böcklin sind da eher hinderlich, denn wenn man sich mit denen beschäftigt, dann müssten doch allzu viele feststellen, dass dies ihren Horizont übersteigt. Und vor dieser demütigenden Erfahrung möchte die sozialdemokratisierte Gesellschaft die Menschen bewahren. Daher hat die Hochkultur in der sozialdemokratisierten Gesellschaft ausgedient. Sie führt allzu vielen vor Augen, wo ihre Grenzen liegen. Und diese Grenzen zu benennen, wird bald tabuisiert sein.


    Grüße,
    Garaguly

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  • Zitat

    Und diese Grenzen zu benennen, wird bald tabuisiert sein.


    Aber WIR werden dieses Tabu brechen X(


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Mit einer sozialdemokratisierten Gesellschaft meine ich eine Gesellschaft, die von Gleichmacherei durch und durch geprägt ist. Es ist doch total ungerecht, dass nur 40% eines Jahrgangs Abitur machen, oder? Warum nicht mehr? Am besten führt man die Abiturgarantie für alle ein, gleich wie blöd sie auch sein mögen - dann muss man eben die Anforderungen absenken. Habe ich blöd gesagt? Pfui! Alle haben die gleichen Begabungsgrundlagen, sie werden nur nicht richtig gefördert. Zu dumm ist hier keiner mehr - das wird in der sozialdemokratisierten Gesellschaft abgeschafft. Die 60% ohne Abitur könnten sich ja schlicht schon durch die Tatsache gekränkt fühlen, dass es da eine Schulform gibt (das Gymnasium), auf der sie nicht ernsthaft bestehen können (wenn das Gymnasium als solches sich noch selbst Ernst nehmen möchte). Den Leuten in der sozialdemokratisierten Gesellschaft wird eingetrichtert, dass sie einen Anspruch auf alles haben, und das die Gesellschaft gefälligst alles zu unternehmen hat, um auch noch den Letzten über die Hürde zu heben.
    In der sozialdemokratisierten Gesellschaft herrscht das untere Mittelmaß, denn nur in ihm finden sich die meisten Menschen wieder. Beethoven, Goethe und Böcklin sind da eher hinderlich, denn wenn man sich mit denen beschäftigt, dann müssten doch allzu viele feststellen, dass dies ihren Horizont übersteigt. Und vor dieser demütigenden Erfahrung möchte die sozialdemokratisierte Gesellschaft die Menschen bewahren. Daher hat die Hochkultur in der sozialdemokratisierten Gesellschaft ausgedient. Sie führt allzu vielen vor Augen, wo ihre Grenzen liegen. Und diese Grenzen zu benennen, wird bald tabuisiert sein.

    :jubel: :jubel: :jubel: :jubel: :jubel:

    Gott achtet mich, wenn ich arbeite, aber er liebt mich, wenn ich singe (Tagore)

  • Zitat

    Zitat von Johannes Roehl: Ich persönlich sehe auch einen ganz wesentlichen Faktor in den Massenmedien und dem wesentlichen Einschnitt der Einführung des Privatfernsehens in den 80er Jahren (auch als "geistig-moralische Wende" bekannt). Man schaue sich mal, falls man es findet, das öffentlich-rechtliche Fernsehprogramm in Deutschland Mitte der 1970er an. Das ist aus heutiger Sicht völlig unglaublich. Theater- und Opernübertragungen zur besten Sendezeit, freilich ebenso auch schon "Der blaue Bock" usw.

    Genau!! Dabei hatte wir damals zunächst nur einen, später 2 öffentliche Sender, die noch nicht einmal ein 24 Stunden Programm hatten. Aber da ging so etwas!! Da kam jeder zu seinem Recht, eben auch der "blaue Bock". Heute haben wir eine ganze Reihe öffentlicher Sender und trotzdem ist keiner dabei, der ein entsprechend gehobenes Programm bringt. Dabei könnte heute doch weit mehr für den gehobeneren Geschmack dabei sein und die anderen Geschmäcker wären immer noch überreichlich bedient. Aber im Gegenteil, das Programm orientiert sich immer mehr an dem Schwachsinn, weit seichter noch als jener blaue Bock, der von den privaten gesendet wird. Da gab es mal einen Theaterkanal, der wenigstens etwas für Theaterliebhaber und Freunde klassischer Musik brachte. Und was ist aus dem geworden??? Ein Kanal, der sich hochtrabend "ZDF-KULTUR" schimpft und in denselben Schwachsinn abgeglitten ist. Und gerade der Konsum all diesen Schwachsinns trägt dazu bei, dass Kultur immer mehr verkommt.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Das, was Madame Cortese mit fünffachem Jubel belegt, was ursprünglich aus Garagulys Fingern kam, wird sicherlich stimmen. Aber trotzdem ist es in meinen Augen eine Verallgemeinerung, wie so vieles hier Geschriebene. Alles zusammen genommen wird eine Rolle spielen. Die "sozialdemokratische Gesellschaft" beruht auf Grundideen, die Jahrtausende älter sind als die entsprechenden Parteien in Europa. Daraus abzuleiten, hier sei der Untergang der Hochkultur vorprogrammiert, sehr ich zumindest problematisch. Der Umkehrschluß müßte ja dann bedeuten, daß diese Hochkultur bei den auf der "Rechten Seite des Parlaments" Sitzenden besser aufgehoben sei. Da kann ich beim Blick in bestimmte Regionen "dieses unseres Landes" aber nur grinsen. Im übrigen sind die Individuen in den Parteien, Links oder Rechts, Mitte oder Seite, ganz bestimmt individuell: die eine lieben die Kultur, die anderen, ganz bestimmt die Mehrheit (wie in der Bevölkerung), lieben das Seichte...


    :hello:

    .


    MUSIKWANDERER

  • Im übrigen sind die Individuen in den Parteien, Links oder Rechts, Mitte oder Seite, ganz bestimmt individuell: die eine lieben die Kultur, die anderen, ganz bestimmt die Mehrheit (wie in der Bevölkerung), lieben das Seichte...


    So ist es! In meinem Bekannten- und Freundeskreis, der sich mit klassischer Musik beschäftigt, gibt es von linksradikal bis reaktionär-konservativ alles. Das spiegelt sich doch auch in diesem Forum wieder! Einen Zusammenhang zwischen harter Leistungsgesellschaft und Liebe zur Klassik, wie sie Garaguly meint zu erkennen, leugne ich geradewegs. Das sind ideologische Wunschträume. Eigentlich im Gegenteil: der musikbegeisterte Hofadel im 18.ten Jahrhundert war alles andere als leistungsbewusst und die Frauen höherer Gesellschaftsschichten im 19.ten Jahrhundert, die zur Untätigkeit verdammt waren, waren eine unabdingbare Stütze des häuslichen Musizierens auf hohem Niveau. Heutzutage ist es so, dass die Popkultur halt mehr Leute anspricht - ungeachtet der politischen Couleur. Sicherlich kann man das bedauern, aber in diesem Forum gibt es doch zahlreiche Mitglieder, die in beiden Musikwelten heimisch sind. Ich kann darin nichts verwerfliches erkennen.

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  • Keine Sorge, Leute! Bei mir können alle möglichen 'Seiten' ihr Fett abkriegen.


    Ich habe bisher nur einmal dargestellt, wie die sogenannte 'linke' Seite ihren Beitrag zur Kulturvernichtung leistet. Da finden sich auch anderswo Abgründe - man denke nur an den 'Berlusconismus' des modernen Italien. Aber man kann ja nicht alles kursorisch in einem Rundumschlag abgrasen. Nicht mit mir. Erst nimmt man sich den einen vor, zerlegt ihn, dann kann man genüsslich zum nächsten übergehen. Ich bin da überhaupt nicht parteipolitisch gebunden. 'Rechts' oder 'Links' scheint sich in gewisser Weise eh' ein wenig aufzuheben ... in der sozialdemokratisierten Gesellschaft, in der sowieso alle nur noch in eine Richtung schauen.
    Und ich gehöre im Übrigen nicht zu denjenigen, die in plumpster Manier den 68ern die Schuld für alle Übel der Gegenwart zuweisen, wie Johannes mir das mal so ganz en passant unterjubeln wollte. Nix da, mein Lieber, so funktioniert das bei mir nicht.


    Ich habe noch nicht mal angefangen, mich hier über die kulturzerstörerischen Kräfte des modernen neoliberalen Kapitalismus und seiner Jünger in Politik, Wirtschaft und Schmierantenmedien auszulassen ... aber ich glaube, dieses Fässchen müssen wir jetzt nicht auch noch aufmachen, gelle?


    Grüße,
    Garaguly

  • Einen Zusammenhang zwischen harter Leistungsgesellschaft und Liebe zur Klassik, wie sie Garaguly meint zu erkennen, leugne ich geradewegs.


    Huch! Wo soll ich denn das geschrieben haben???? 8|8| So einen Gedanken hatte ich ja noch gar nicht. Ich glaube, ich käme auch nie auf die Idee, diesem Gedanken irgendetwas Positives abgewinnen zu können.
    Vielleicht drückte ich mich missverständlich aus, vielleicht wollte man mich falsch verstehen ... wer weiß das schon?


    Grüße,
    Garaguly

  • Hallo Garaguly,


    vielen Dank für Deine ausführliche Antwort auf meine Nachfrage. - Wenn ich zusammenfassen darf, siehst du einen der Hauptgründe für den Niedergang von Bildung und Kultur in unserer Gesellschaft darin, dass es uns einfach zu gut geht; wir sind zu satt für Goethe, Beethoven und van Gogh. Dagegen steht zwar die These, dass das Interesse für Bildung und Kultur erst dann entsteht, wenn die sogenannten Grundbedürfnisse befriedigt sind, andererseits: Vergleicht man die frühen Arbeiterbewegungen mit der 68er Studentenrevolte mit ihrem jeweiligen Anspruch des - verkürzt formuliert - "Bildung für alle", so hatten die Arbeiterbewegungen vor dem Hintergrund wesentlich schlechterer gesellschaftlicher Verhältnisse eventuell wirklich mehr Erfolg, als die Studenten in einer bereits wohlsituierten und gut ausgestatteten Bundesrepublik ... Alles sehr verkürzt, aber im Kern sicher nicht vollkommen falsch.


    Was jedoch die von dir angesprochene Nivellierung des Bildungsniveaus (auf gymnasialer Ebene) angeht, so haben wir es hier m.E. mit einem Luxusproblem zu tun; ich denke, dass sich hier trotz aller zugegebenen Fährnisse die klügeren durchsetzen werden. Viel größer dürfte das Problem am anderen bzw. bildungsfernen Ende der Gesellschaft sein! Was können die Kinder für ihr soziales Umfeld, dafür, dass sie von Hartz IV leben müssen, dass sie trotz aller "Bemühungen" relativ schnell durch das "Bildungs-Raster" fallen? - Hier geht m.E. tatsächlich echtes Potential im Zweifel für immer und ewig verloren :no:

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Was jedoch die von dir angesprochene Nivellierung des Bildungsniveaus (auf gymnasialer Ebene) angeht, so haben wir es hier m.E. mit einem Luxusproblem zu tun


    Oha! Du insinuierst, wie mir scheint, mit der Verwendung des Begriffs 'Luxusproblem', dass es sich bei fragen um das gymnasiale Bildungsniveau um ein aufgeblähtes Minderheitenproblem minderschweren Charakters handelt? Ich muss darauf hinweisen, dass in Metropolregionen wie etwa dem Rhein-Main-Gebiet die Zahl der Schüler, die Gymnasien besuchen, tatsächlich in einigen Kommunen die 50%-Marke überschritten hat (in der Stadt Frankfurt waren es im vergangenen Schuljahr 51,5% aller Schüler, die eine weiterführende Schule besuchten, die sich auf einem Gymnasium befanden). Damit sind die Gymnasiasten in manchen Regionen in der Mehrheit. Hier von einem Luxusproblem zu sprechen, geht an der Bedeutung der Sache meilenweit vorbei.


    Und wenn schon bis zu 50% eines Jahrgangs das Gymnasium besuchen - nun ja, also mal ehrlich: glaubst Du nicht, dass da nun schon die Begabungsreserven (zumindest des abiturgeeigneten Teils der Jugend) bald abgegraben sind? Endlos lässt sich das doch nicht fortsetzen mit dem Hinterherspüren hinter den unentdeckt Hochbegabten. Einen Teil weniger schlauer Menschen muss es doch geben, oder nicht? Willst Du das negieren? Sonst landen wir ja doch noch bei der Abiturgarantie für alle :no:
    Und diese hohe Anzahl Gymnasiasten, die wir mittlerweile in Deutschland haben, stammen nun wirklich nicht nur aus Besserverdiener-Familien.


    Grüße,
    Garaguly

  • Hallo, lieber Sven

    ... einen der Hauptgründe für den Niedergang von Bildung und Kultur in unserer Gesellschaft darin, dass es uns einfach zu gut geht;

    Die Logik, bzw. der Sinn erschließt sich mir nicht. Weshalb sollte, wenn es uns in unserer Gesellschaft "zu gut geht", dies zwangsläufig zu einem Niedergang von Bildung und Kultur führen. Müßte es nicht gerade umgekehrt sein?!



    wir sind zu satt für Goethe, Beethoven und van Gogh.

    Hier sehe ich eher Gründe. Aber nicht zu satt, sondern gewissermaßen zu phlegmatisch bis hin zu faul. Goethe, Beethoven, van Gogh u. a., sind viel zu anstrengend, kosten auch noch viel Zeit. Bei dem Überangebot an "Alltagskultur" ist es doch viel einfacher diese zu konsumieren. Außerdem ist das ja auch noch "in und geil". Der für mich seit langem Hauptschuldige am tatsächlichen Niedergang der Kultur, ist das Fernsehen! Und das nicht nur durch banale Sendungen und geistlose Serien, sondern auch durch Werbung und dem Herausstellen von vermeintlichen Idolen und Idealen als Ziele. Heute will doch fast jeder Superstar, Schauspieler, Tänzer oder Model werden und vor allem "Spaß haben". Da bleibt für Goethe und Beethoven kein Platz mehr und ich denke, der gute Wille und der Einfluß der Schulen wird aus den genannten Gründen leider immer schwächer.


    Herzliche Grüße
    CHRISSY

    Jegliches hat seine Zeit...

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