In den Diskussionen der letzten Wochen erwies sich die Klassifizierung der Musik des 19. Jahrhunderts immer wieder als Stolperstein. Wann ist etwas klassizistisch, wann ist es romantisch? Ist Beethoven Klassiker oder Romantiker? Ich denke, die Frage ist mehr oder weniger kaum zu beantworten, denn zu unterschiedlich sind die Konzepte dessen, was wir Romantik nennen. Ist es die gesteigerte Ausdruckskraft der Kompositionen dieser Zeit oder ist es die individuelle Formgestaltung?
Mir scheint es so zu sein, dass die Strömung, die wir als "Klassizismus" bezeichen der Mainstream des 19. ten Jahrhunderts war. Im Grunde orientieren sich ja noch die Symphonien Bruckners und Mahlers am althergebrachten Schema. Brahms, Zemlinsky und Elgar, ja die Komponisten der zweiten Wiener Schule, hielten die alten Formen noch für weitgehend verbindlich - wenn auch der Inhalt natürlich stark abwich. Ausnahmen sind der frühe Schumann und natürlich vor allem Hector Berlioz und Franz Liszt. Diese Komponisten haben ohne zu zögern die Form ihrer Werke dem Inhalt angepasst und nicht umgekehrt. Interessant ist, dass Schumann dies offensichtlich später für keinen erfolgreichen Weg hielt und zum "Klassizisten" wurde. Wenn man also die Romantik als die "freie Wahl der Form, die sich nach dem Inhalt richtet" definiert, dann ist die Romantik in der Epoche der "Romantik" eine Randerscheinung. Es ist zudem nicht uninteressant, dass diese "urromantischen" Kompositionen in den heutigen Konzertsälen eher selten gespielt werden während die "Klassizisten" aus der Zeit vor Strauss dominieren. Den erwachsenen Strauss kann man am ehesten als den Komponisten definieren, der an Berlioz wieder anknüpft. Die großen slawischen Komponisten verlassen den Boden der Tradition nie völlig und das nur für einzelne Werke (Ausnahme Mussorgskij).
Der Begriff "Klassizismus" scheint mir daher problematisch, da er suggeriert, dass klassische Kompositionstechniken nach deren Obsoletwerdung wieder neu aufgegriffen wurden. Tatsächlich aber waren diese Techniken bis Mahler nie aus der Mode, sondern wurden von der Mehrzahl der Komponisten angewandt. Vielleicht wäre daher die Bezeichneung "konservativ" viel zutreffender als "klassizistisch".
Noch viel problematischer scheint mir eine Definition der Romantik über den "emotionalen Gehalt" zu sein. Ganz abgesehen davon, dass dann die ganze Barockzeit "romantisch" wäre, gibt es auch während der klassischen Periode Strömungen, z.B der Sturm und Drang, die in diesem Sinne durchaus "romantisch" sind. Andererseits leuchtet mir nicht ein, weshalb Debussy oder Fauré besonders "romantisch" sein sollten.
Was meint ihr?