Nathan Mironovich Milstein: Wundergeiger aus der Schule von Leopold von Auer

  • Hallo Taminos,


    Übermorgen, am 21.12.2005 jährt sich der Todestag eines der größten Geiger des letzten Jahrhunderts. Am 21.12.1992 starb in London 10 Tage vor seinem Geburtstag Nathan Mironovich Milstein.


    Milstein wurde 1903 in Odessa geboren, wie sehr viele große Musiker!!!!!!!!
    Als mittleres Kind von insgesamt 7 Kindern das durch aggresives Verhalten auffiel zwang Mutter Milstein den siebenjärhigen Nathan zum täglichen üben mit dem ungeliebten Instrument.
    Wie ich finde hört man auf allen seinen Aufnahmen diese aggressive Grundhaltung seines Wesens.



    Sein erster "richtiger" Lehrer war P.Stoljarski, der auch D. Oistrach den ersten Unterricht erteilte.


    Mit 12 bereits öffentliches Konzert mit Glasunow unter den Augen und Ohren des Komponisten.
    Das Konzert sollte eine Schlüsselstellung in Milsteins Leben darstellen. So spielte er es auch bei seinem USA Debut.


    Im Jahr 1916 wurde Milstein zu Leopold von Auer geschcikt, wo er u.A. mit Jasha Heifetz, gemeinsam die Meisterklasse besuchte. Leider nur 1 Jahr.


    Herrlich das Auer den Charakter seiner Geiger nicht geändert hat. Man vergleiche nur Heifetz mit Milstein. Beide ganz andere Geiger, aber beide große Geiger :jubel:


    1921 lernte er Vladimir Horowitz kennen, mit dem er sich anfreundete und mit großem Erfolg in Russland kontertierte.


    1925, ein Jahr nach Horowitz, verließ Milstein die Sowjetunion. Gemeinsame Konzerte in Berlin und Europa folgten.
    Ab 1932 mit Piatigorsky (ehemaliger Cellist der Berliner Philharmoniker)
    Die drei wurden auch "die drei Musketiere" genannt.
    1929 Debut in den USA, wo Heifetz bereits bekannt war.



    Später wurde Milstein US Bürger, wie so viele seiner Landsleute.


    Da man Heifetz kannte war man von Milsteins Spiel irritiert, da man seine Art und Weise bis dato nicht kannte.


    1986 gab Milstein sein letztes Konzert. Und im Gegensatz zu vielen anderen Künstlern trat er auch wieder im "Land des Tätervolkes" auf.
    Vor Menschen dieses Schlages sollte man den "Hut ziehen"!!!!


    "Musik soll keine Tendenzen haben" soll Milstein gesagt haben. Passt irgendwie in unsere schnelllebige Zeit mit einem neuen Trend alle drei Tage ......



    Eine seiner bekanntesten Aufnahmen ist die mit den Violinensonaten Bach's, die zweifelslos mit zu dem Besten gehört was jemals eingespielt wurde. Wer sich ernsthaft mit dem Bachschen Solowerk beschäftigt MUSS diese Aufnahme kennen!



    In Erinnerung an einen der größten Geiger :jubel:

  • Sagitt meint:


    Danke für diesen thread. Milstein stand immer ein wenig im Schatten von Oistrakh. Ich bin zum wenig Experte auf dem Gebiet des Geigenspiels , um letztlich Vergleiche anstellen zu können.Aber die Art, wie Milstein geigte, sagt mir auch sehr zu.


    Ich möchte auf eine überaus preiswerte 4CD-Sammlung von Artone verweisen.Er spielt dort in alten Aufnahmen, die man aber durchaus anhören kann, die Konzerte von Dvorak,Tchaikowskij,Brahms,Mendelsohn,Goldmark und diverse Sonaten und andere Geigenstücke.


    In jedem Fall ein Musiker, der nicht vergessen werden sollte

  • Hallo,


    ich kenne mich bei Geigern ebenfalls nicht wirklich gut aus, die Aufnahme die ich mit Milstein besitze, ist aber meines Erachtens Spitzenklasse:


    Tschaikowsky Violinkonzert mit Abbado und den Wiener Philharmonikern, sehr leidenschaftlich und dramatisch gespielt, das Orchester nie langweilig begleitend, sondern stets auf der Höhe des Geschehens, eine tolle Aufnahme. :jubel: :jubel:


    Auch die Kopplung mit dem ersten Klavierkonzert (Argerich/ Dutoit) macht durchaus Freude


    Gruß, flo

    "Das Leben ist zu kurz für schlechte Musik"


    Wise Guys 2000

  • hallo Richard, hallo flo,


    ich bin seit meiner jugend ein milstein fan. seine charmante doch schnörkellose art des spiels mit einem herrlichen nicht zu dicken ton mag ich sehr. dabei empfinde ich seinen sehr sparsamen einsatz des vibratos oder auch von portamenti als sehr vorteilhaft.


    mit ihm lernte ich die konzerte von brahms (berliner philh. unter jochum), tschaikowsky und mendelssohn (wiener philh. unter abbado), sowie dvorak und glasunov (pittsburgh symphony unter w. steinberg) kennen. aufnahmen, welche IMO auch heute noch ihren hohen stellenwert besitzen. dabei stammen die aufnahmen mit jochum und abbado aus seiner späten zeit, die er für die DG in den 70er jahren machte. das tschaikowsky-konzert war also auf der original-LP nicht mit dem klavierkonzert mit argerich und dutoit sondern mit dem mendelssohn-violinkonzert gekoppelt !


    ja, die bachschen sonaten und partiten für violine solo gehören zum lebenswerk dieses geigers und auch für mich ist die einspielung bei der DG (es gibt eine frühere bei EMI) persönliche referenz.


    übrigens empfehle ich sehr seine autobiographie mit dem übersetzten titel 'lass ihn doch geige spielen' (als taschenbuch). man erfährt viel über die großen musikerpersönlichkeiten seiner zeit und über die wirren der frühen sowjetischen zeit.


    gruß, siamak

    Siamak

  • heute vor 20 Jahren 88jährig gestorben:

    Nathan Milstein,
    (Natan Mironowitsch), * 18.12.1904 Odessa, † 21.12.1992 London.
    Amerikanischer Violinist russischer Herkunft, Schüler von L. Auer in Petrograd.
    Er unternahm seine ersten Konzertreisen in Rußland mit Vl. Horowitz und dessen Schwester Regina. 1925 ließ er sich in Berlin nieder und ging von hier aus auf ausgedehnte Konzertreisen, studierte jedoch im Sommer bei E. Ysaye in Brüssel. Seit 1929 lebt er in den USA. Neben Bearbeitungen schrieb er Kadenzen zu den bekanntesten Violinkonzerten sowie Variationen für V. solo (Paganiniana).



    LG

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

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  • Schön, dass nach 7 Jahren wieder an den großen Geiger Nathan Milstein erinnert wird.


    Meine erste Begegnung mit ihm war durch das vielgeschmähte Tschajkovskij-Konzert, eine LP, die auch bei mir lange Jahre ungehört im Regal verstaubte.
    Eine Schande, muss ich zerknirscht gestehen, denn meine Aufnahme mit William Steinberg am Pult ist mitreißend.


    Da spürt man weder falsche Sentimentalität noch Effekthascherei anderer Art, sondern einfach nur Geigenspiel in Vollendung.
    Das zeichnet eben die Großen aus, die Technik ist nur Mittel zum Zweck.


    Leider fehlt auf meiner Einspielung mit dem Pittsburgh Sinfonie Orchester die Angabe des Aufnahmedatums. Gekauft wurde sie 1972/73 glaube ich.
    Vielleicht kann mir jemand helfen.

  • Hi


    Nach deinen Angaben müsste es sich um eine EMI-Aufnahme handeln, die am 6.4.1959 stattfand. Wann die Platte erstmals veröffentlicht wurde, kann ich nicht sagen.


    :hello:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Einspielung mit dem Pittsburgh Sinfonie Orchester


    müßte in der von mir oben vorgestellten EMI-Icon-Box enthalten sein.

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)


  • Nathan Milstein (* 31. Dezember 1903 in Odessa, Russisches Kaiserreich; † 21. Dezember 1992 in London) war ein amerikanischer Violinist ukrainischer Herkunft.
    Er gilt als einer der größten Geiger des 20. Jahrhunderts.


    LG

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

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  • Von Milstein besitze ich wunderbare Schallplatten der Konzerte von Beethoven, Brahms (2x), Bruch, Dvorak, Glasunow, Mozart, Mendelssohn (2x), Prokofieff und Tschaikovsky (2x), Vivaldi, außerdem die Bach Solowerke. Also so ziemlich alles, was in der Icon-Box drin ist + einiges mehr. Er hatte einen wunderbar runden Ton und seine Einspielungen sind fast allesamt maßstabsetzend.

  • Milstein wird auch in der Psychologie zitiert. Er bekam im Laufe seiner großen Karriere eine nicht heilbare Behinderung an den Fingern und konnte nicht mehr richtig greifen. Das löste bei dem Künstler eine tiefe Depression aus. Daraufhin wurde er von dem Psychiater Paul B. Baltes (1939 - 2006) im Sinne seines SOK- Modells behandelt. Dieses besteht verkürzt und allgemein verständlich formuliert aus: Wahrnehmen, annehmen, akzeptieren, Alternativen suchen, Defizite kompensieren, neue Möglichkeiten erproben und bei Erfolg systematisieren und im Verhaltensrepertoire integriern. Ziel ist, mit Einschränkungen besonders des Alterns besser umzugehen und verbesserte Lebensqualität zu gewinnen. Milstein durchlief diesen Prozess mit Erfolg, denn er schrieb Violinliteratur für seine veränderten Möglichkeiten um und konnte seine ruhmreiche Karriere weiter fortsetzen. Milstein ist also ein populäres Beispiel wo Behinderung und daraus folgende Resignation durch Erkenntnisse, Willen und strategische Disziplin überwunden werden konnten. Nachdenkens- und nachahmenswert.


    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!


  • Die oben abgebildete DGG-Box kann ich nur wärmstens empfehlen! :) :) :)


    Was man geboten bekommt ist ein wahrhaft "meisterhaftes" Violinspiel - was diesen Namen auch wirklich verdient. Zuletzt gehört habe ich die CD Nr. 5 mit den Solostücken und denen für Violine und Klavier. Es ist schon beeindruckend, wie mühelos seine "Paganiniana" klingt. Ich kannte das Stück bisher nur gespielt von Gidon Kremer. Milstein beeindruckt durch einen atemberaubend sauberen Ton und ein absolut müheloses Spiel. Nichts von "Virtuosenarbeit" ist zu spüren. Seine gestalterischen Fähigkeiten sind überragend - auch die immer wohldosierte Emotionalität, welche nie übertreibt. Exemplarisch die Transkription von Liszts "Consolation". Das Klavierstück - das Milsteins Freund Horowitz gerne als Zugabe spielte - ist romantische, schwelgerische Klangpoesie in der Art von Franz Brentano. Das für Violine zu transkribieren birgt höchste Kitschgefahr, wenn der Violinton nämlich süßlich klingt. Nichts davon aber bei Milstein! Er spielt das zugleich geschmackssicher, expressiv und mit einem untrüglichen Sinn für die richtige emotionale, klangliche und formale Balance. So etwas kann wirklich nur ein Großer! :hail:


    Schöne Grüße

    Holger

  • So etwas kann wirklich nur ein Großer!

    Lieber Holger,


    mit Deiner Verehrung für Nathan Milstein stößt Du bei mir offene Türen auf!

    Ich besitze zwar nicht die von Dir genannte DGG-Box, aber neben den Bach-Partiten (siehe obige Abbildung) besitze ich von ihm zwei ganz unverzichtbare CDs:

    Violinkonzert d-Dur,Op.61+77 Tchaikovsky: Violin Concerto - Milstein,Nathan: Amazon.de: Musik


    wobei die erstgenannte zwar nur Mono ist, aber trotzdem ein phänomenales Spiel offenbart. Die spätere HMV-Aufnahme aus London unter Fistoulari klingt zwar besser, ist aber um eine Spur weniger vollkommen, gemessen an dem großen Meister. Übrigens spielt Milstein auf der "Great Recordings of the Century"-CD in beiden Fällen eigene, sehr interessante Kadenzen!

    Schön ist auch diese Zusammenstellung mit Claudio Abbado, aber mir scheint, daß dem Geiger hier nicht mehr die einzigartige Konzentration zu eigen ist, wie in früheren Einspielungen. Trotzdem ein schönes Dokument.

    Mendelssohn & Tchaikovsky: Violin Co by Athan Milstein (2012-05-09)


    Und hier noch eine eigenwillige Milstein-Ausgabe (ein Schelm, wer Böses dabei denkt!:D:

    Beethoven, Brahms, Bruch, Mendelssohn & Tchaikovsky: Violin Concertos by Nathan Milstein

    Soll wohl einen Geigenkorpus darstellen - Ideen muß der Mensch haben!


    LG Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • mit Deiner Verehrung für Nathan Milstein stößt Du bei mir offene Türen auf!

    Ich besitze zwar nicht die von Dir genannte DGG-Box, aber neben den Bach-Partiten (siehe obige Abbildung) besitze ich von ihm zwei ganz unverzichtbare CDs:

    Lieber Nemorino,


    die EMI-Aufnahmen werde ich mir auch besorgen müssen. Bei den Hörschnipseln des Brahms-Konzertes dachte ich: Nur so muss Brahms klingen!


    Da habe ich über mich selbst eben gelacht: Niemand ist bisher aufgefallen, dass mir in Beitrag 13 ein typischer "Philosophen"-Fehler passiert ist. Deswegen lasse ich ihn auch stehen ^^ : Es muss natürlich Clemens Brentano heißen - das ist der Dichter. Franz Brentano ist der Philosoph (natürlich aus derselben Brentano-Familie). :hello:


    Liebe Grüße

    Holger

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  • Es gibt zwar eine 10 CD-Box von Membran mit Milstein-Aufnahmen, aber ich konnte nicht eruieren, was da im einzelnen drin ist:

    Milestones of a Legend-Milstein


    Manchmal sind solche Kisten wahre Fundgruben, und der Preis von € 20,95 ist ja recht moderat. Doch zu einer Empfehlung kann ich mich nicht aufraffen.

    Vielleicht kennt jemand den genauen Inhalt.


    LG Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • 17 Beiträge im Tamino Forum zum "grössten Geiger" des vergangenen Jahrhunderts ist in meiner Einschätzung etwas wenig. Hatte Nathan Milstein bisher im Forum keine Tamino-Mitglieder, die seine Interpretationen schätzen? Ist er überschätzt? Im Forum hat er einige wenige lobende Erwähnungen.


    Von Nathan Milstein hatte ich bislang eine Doppel-CD mit den Partiten von Johann Sebastian Bach im Regal. Alfred Schmidt hatte sie als "ein Muss" beschrieben.


    Dr. Holger Kaletha hatte diese Box der Aufnahmen, die beim Label Deutsche Grammophon erschienen sind, lobend erwähnt.



    Ich hatte mir die 5 Scheiben geordert, auch wenn die bachsche Doublette enthalten ist. Die Aufnahmen entstanden in den frühen 70er Jahren. Abbado, Jochum und die Wiener Philharmoniker sind musikalische Partner. Der Pianist Georges Pludermacher ist Duo Partner.


    Was aus den Lautsprechern tönt, nimmt gefangen. ich habe mir Milsteins Spiel einige Male angehört, um hinter das Geheimnis seiner Interpretationen zu kommen. Warum wird seine Kunst geschätzt?


    Milstein spielt unangestrengt. Die geigentechnischen Anforderungen hat er hinter sich gelassen. Wo andere auftrumpfen, nimmt er sich zurück. Kein hohles Virtuosentum. Auch in atemberaubend schwierigsten Passagen, erzählt mir dieser Geiger etwas. Ein schlanker Ton mit wenig Vibrato. Nathan Milstein steht nicht im Verdacht der HIP - Fraktion anzugehören.

    Im Brahms Konzert stammt die Kadenz von Milstein. Ein persönlicher Beitrag zu diesem Werk. Paganiana hat er für sich arrangiert.

    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • Die Brahms/Beethoven von Milstein CD habe ich - und schätze sie sehr.


    Als Bach Liebhaber habe ich mir jetzt seine Sonaten/Partiten CD bestellt. Obwohl ich sie von Grumiaux habe. Aber Milsteins Ton erinnert mich in seiner " Nobilität" an den Cellisten Fournier, deshalb freue ich mich schon.