Im Untergrund - Tiefere Bedeutungsschichten im Werk Wagners und ihre Interpretation

  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner


    Weshalb der sehr bedeutende deutsche Schriftsteller Hanns Henny Jahnn diesen Bauwerken den Rang von Kunstwerken abspricht. Die Diskussion ist keineswegs neu - aber immer noch spannend, weil sie an eine der Grundfesten unseres Kunstverständnisses rührt.
    :hello:


    ... und sehr gut den Wandel des Menschenbildes illustriert. Zu Zeiten der Pyramidenbauer und bis mindestens zum Beginn der Neuzeit war Kunst ja stets als Gottesdienst verstanden worden, der fraglos akzeptiert wurde, wie menschenverachtend er auch sein mochte. Ausnahmen in der Antike, deren Götter und Gottkaiser (jedenfalls in unserer heutigen Wahrnehmung) all zu menschlich waren, bestätigen diese Regel eher als dass sie sie widerlegen.


    Wagner scheint sich ungeachtet seines durchaus ernsten Hinterfragens menschlicher Motive und Grenzen in dieser Tradition gesehen zu haben, wobei sein Gott allerdings die Kunst selbst war, als deren hervorragendster Oberpriester er sich wohl verstand.


    Im Grunde sind doch alle seine (Haupt-)Werke Auseinandersetzungen mit der Unfähigkeit des Menschen (und bezeichnenderweise auch der altdeutschen Götter), den höheren Ansprüchen zu genügen, die er ihnen vorgibt.


    :hello: Jacques Rideamus


  • Ich hatte mir die DVDs bestellt, und heute in der Post vorgefunden. Bei Syberberg werden die DVDs noch von Hand gebrannt und mit Libe emit dem Tintenstrahler bedruckt... ;-) Beeindruckend!


    Mal sehen, wann ich die Zeit finde, mir das anzusehen, gespannt bin ich schon wie Robin Hoods Flitzebogen... ;-)


    Nun steht aber erst mal mein Beitrag zum Freischütz in Wiesbaden an... ;-)


    Matthias


  • Lieber pfuetz,

    das leuchtet mir ein, und ich gelobe Besserung, bzw. wie im gegebenen Falle eine gebührende Verzögerung ener solchen Aktion.

    Das Problem ist die Frage, die sich jedem Moderator einer lebendigen (und quasi Live-) Diskussion stellt: würgt man ein interessantes Nebenthema ab oder versucht man, enger beim eigentlichen Thema zu bleiben? Leider gibt es immer wieder Fragen, auf die es keine wirklich befriedigende Antwort gibt.

    Zumindest den im EDIT angesprochenen Nebeneffekt werde ich aber, wo möglich und sinnvoll, zu mindern versuchen, indem ich einen Verweis auf die Verschiebung als "neuen" Text in die beiden betroffenen Threads einstelle.

    :hello: Jacques Rideamus

  • Menschenskind! Da habe ich mich vorhin doch ernsthaft so sehr in diesem hochinteressanten, klugen und philosophischen Thread festgelesen, dass ich glatt vergas mir etwas zu Essen zu machen!
    Bedauerlich, dass er lange nicht weitergeführt wurde, auch das einige der Diskutanten gar nicht mehr dabei sind, was ja ein herber Verlust ist, wenn ich mir die Beiträge hier so anschaue.
    Dieser Thread MUSS weitergeführt werden, er darf nicht im Nirgendwo der Archive verschwinden. Hoffentlich finden sich Einige, die ihn wieder beleben.


    Da Parsifal und andere Wagneropern zu meinen Lieblingsopern gehören, ist klar, dass ich das alles hier mit absolutem Gewinn gelesen habe. Und was wurde da nicht alles hinterfragt, angedeutet und interpretiert. Herrlich ist das!
    Wotan fragwürdige Beziehnung zu Brünhilde, Melots Beweggründe für den Verrat, die seltsame Gunther-Figur, Amfortas Wunde als Menstruationsanalogie bzw. seine Verweiblichung dadurch. Die zwiespältige oder paradoxe Rolle Kundrys, Parsifal der Liebe und Sexualität vereint und schließlich gar die Geschlechter...Leute, ich bin beeindruckt!
    Das ist aber noch nicht zu Ende!


    Zur Amfortas Rolle denke ich immer an einen Satz aus seinem großen Monolog :
    "Ich, einziger Sünder unter allen..."
    Ja, aus Sicht der Gralsgemeinschaft sicherlich, aber so gesehen, ist er doch eigentlich der normalste von allen, weil der natürlichen "Bedürfnissen" nachging und sie nicht auf geradezu zwanghaft-neurotische Weise abgeschmettert hat.
    Warum rächt Klingsor sich eigentlich auf die Art wie er es tut...so gesehen könnte man fragen, ob es ihm eigentlich nicht irgendwann leid sein muss, immer dieselbe Masche abzuziehen, denn was hat er all die Jahre eigentlich davon oder weidet er sich am Leid, der alte Sadist? Denn so gesehen hat er sich ja längst gerächt.

    "Die Glücklichen sind neugierig."
    (Friedrich Nietzsche)

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  • Da die Überlegung in einem anderen Thread bei einem Kommentar von Strano Sognator aufkam, hier einmal kurz weg von "Parsifal" (aber darauf komme ich auch noch zurück) und zum "Lohengrin", speziell der Beziehung von Ortrud und Telramnund.
    Es wurde gesagt, Ortrud sei 'Notbehelf' für den Grafen, der viel lieber Elsa die Reine gefreit hätte. Erstmal stimmt es natürlich, dass er sicher vorhatte Elsa zu ehelichen (wird im Text ja auch gesagt), sie aber sein Angebot ausschlug. Wo mir sofort die Frage kommt, warum eigentlich? Was soll das Attribut 'die Reine' überhaupt ausdrücken? Inwieweit ist sie denn rein? Rein, so wie makellos, in Beziehung auf was, ihr Aussehen? Ihre Seele? Wie wir später erfahren ist sie so seelenrein ja doch nicht, sonst würde sie sich nie von Ortrud so verunsichern lassen und Lohengrin die Frage stellen, die nie gestellt werden darf. Der Zweifel in ihrem Herzen wurde gesät, klar von Ortrud, aber der Boden zum Säen muss immer fruchtbar sein. Oder ist 'die Reine' am Ende gar eine sexuelle Konnotation? Was würde das dann bedeuten?
    Hier im Thread wurde ja bereits überlegt, inwieweit Kundry in "Parsifal" eine Zusammenführung der zwei Extrempunkte eines Frauenbildes, die bei Wagner möglicherweise sonst getrennt auftreten, darstellen könnte (siehe Venus und Elisabeth). Könnte man diese beiden Pole nicht auch in Elsa und Ortrud sehen? Elsa die Reine und ihr Widerpart Ortrud die Dunkle (ich will nicht Unreine sagen, da noch nicht richtig geklärt ist, worauf sich das beziehen soll). Das Weiße, gegen das Schwarze (wird in Inszenierungen so ja auch plakativ daregestellt). Weiter vorher im Thread wurde dann vom geistigen Prinzip der Liebe und dem körperlichen bzw. reinen und verderblichen gesprochen. Elisabeth und Venus...so auch Elsa und Ortrud? Was würde das vor allem für die Ortrud-Figur bedeuten?
    Hier ist die Frage : Ist Ortrud überhaupt böse? (wird ja oft so glatt hinweg behauptet)...aus meiner Sicht eigentlich weniger. Ihre Handlungen sind so gesehen doch recht nachvollziehbar. Als letzter Sproß eines untergegangenen Königsgeschlechts von dem nichts mehr zu erwarten ist, ergreift sie die Gelegenheit, die sich bietet : Telramnund (demnach würde ich eher dahin tendieren, sie als die zu betrachten, die einen 'Notbehelf' in ihm sieht, nicht umgekehrt). Überhaupt, es wird doch gesagt, sie habe in einem alten Schloss im Wald ganz einsam gelebt...wie kommt der Graf eigentlich dahin? Sie wird ihn ja, trotz ihrer durchaus vorhandenen Zauberkräften, nicht zu sich gezaubert haben. Hier kommt wieder das Wort 'bestrickt' ins Spiel, das Telramund ja selbst verwendet. Ich will natürlich nicht leugnen, dass auch er rein pragmatische Ziele mit dieser Verbindung verfolgt, aber ich habe das Gefühl, dass sich das bei ihm stark vermischt.
    Weiter will ich für jetzt nicht gehen, obwohl ich noch einiges dazu zu bemerken hätte, aber vorerst sollte das doch für eine Diskussion genügen (ich hoffe, die nimmt auch einer auf).

    "Die Glücklichen sind neugierig."
    (Friedrich Nietzsche)

  • Elsa die Reine und ihr Widerpart Ortrud die Dunkle (ich will nicht Unreine sagen, da noch nicht richtig geklärt ist, worauf sich das beziehen soll).


    So frag doch mal nach bei Gottfried, dem Knaben, der sagt Dir sicher Genaueres!

    Arrestati, sei bello! - (Verweile, Augenblick, du bist so schön!)

  • Da die Überlegung in einem anderen Thread bei einem Kommentar von Strano Sognator aufkam, hier einmal kurz weg von "Parsifal" (aber darauf komme ich auch noch zurück) und zum "Lohengrin", speziell der Beziehung von Ortrud und Telramnund.
    Es wurde gesagt, Ortrud sei 'Notbehelf' für den Grafen, der viel lieber Elsa die Reine gefreit hätte. Erstmal stimmt es natürlich, dass er sicher vorhatte Elsa zu ehelichen (wird im Text ja auch gesagt), sie aber sein Angebot ausschlug. Wo mir sofort die Frage kommt, warum eigentlich?

    Warum eigentlich? Wie wäre es mit "Sie liebt ihn nicht."? Da ist der gute Telli sicherlich nicht der erste, der einen Korb bekommt.



    Zitat

    Was soll das Attribut 'die Reine' überhaupt ausdrücken? Inwieweit ist sie denn rein? Rein, so wie makellos, in Beziehung auf was, ihr Aussehen? Ihre Seele? Wie wir später erfahren ist sie so seelenrein ja doch nicht, sonst würde sie sich nie von Ortrud so verunsichern lassen und Lohengrin die Frage stellen, die nie gestellt werden darf. Der Zweifel in ihrem Herzen wurde gesät, klar von Ortrud, aber der Boden zum Säen muss immer fruchtbar sein. Oder ist 'die Reine' am Ende gar eine sexuelle Konnotation? Was würde das dann bedeuten?

    "Rein" bedeutet hier für mich "arglos", "naiv", "unbedarft" - das ideale Opfer eben. Auch da wäre sie nicht die erste und auch kein Sonderfall. Dass man so jemanden ob seiner Unbedarftheit gerade verunsichern kann, steht doch wohl außer Frage. Elsa ist für mich ganz klar der typische Gutmensch, der mit allen in Harmonie leben möchte und sich ständig Gedanken darum macht, ob er/sie richtig gehandelt hat und vielleicht doch zu streng/zu egoistisch war. Solche Menschen fallen schon beim kleinsten Windhauch um und sind für ein schlechtes Gewissen am ehesten anfällig. Allerdings sind sie auch ungewollt gefährlich, und zwar für sich und andere, denn echte Gefahr, die von wirklich "fiesen Möpps" ausgeht, erkennen sie nicht, weil ja alle irgendwie toll sind und vielleicht nur eine schlechte Kindheit hatten :jubel: . Die hingegen, die echt was auf dem Kerbholz haben, sind auch die, die am wenigsten für ein schlechtes Gewissen anfällig sind.



    Zitat

    Hier im Thread wurde ja bereits überlegt, inwieweit Kundry in "Parsifal" eine Zusammenführung der zwei Extrempunkte eines Frauenbildes, die bei Wagner möglicherweise sonst getrennt auftreten, darstellen könnte (siehe Venus und Elisabeth). Könnte man diese beiden Pole nicht auch in Elsa und Ortrud sehen? Elsa die Reine und ihr Widerpart Ortrud die Dunkle (ich will nicht Unreine sagen, da noch nicht richtig geklärt ist, worauf sich das beziehen soll). Das Weiße, gegen das Schwarze (wird in Inszenierungen so ja auch plakativ daregestellt).

    Das wird vor allem in der Oper so "plakativ" dargestellt.



    Zitat

    Weiter vorher im Thread wurde dann vom geistigen Prinzip der Liebe und dem körperlichen bzw. reinen und verderblichen gesprochen. Elisabeth und Venus...so auch Elsa und Ortrud? Was würde das vor allem für die Ortrud-Figur bedeuten?

    Ja, das kann man durchaus so sehen. Ortrud vereinigt in sich sowohl Anziehung als auch Abstoßung. Das macht es ja auch so schwer, ihr zu widerstehen.



    Zitat

    Hier ist die Frage : Ist Ortrud überhaupt böse? (wird ja oft so glatt hinweg behauptet)...aus meiner Sicht eigentlich weniger. Ihre Handlungen sind so gesehen doch recht nachvollziehbar. Als letzter Sproß eines untergegangenen Königsgeschlechts von dem nichts mehr zu erwarten ist, ergreift sie die Gelegenheit, die sich bietet : Telramnund (demnach würde ich eher dahin tendieren, sie als die zu betrachten, die einen 'Notbehelf' in ihm sieht, nicht umgekehrt)

    Das eine schließt ja das andere nicht aus! Und nur weil ihre Handlungen nachvollziehbar sind, muss sie deshalb nicht weniger böse sein. Das würde ja eine Strafe in Frage stellen und letztlich auch unsere Justiz, wenn man es weiterspinnt. Oft werden Verbrechen aus "nachvollziehbaren" Gründen begangen - sind sie dann keine Verbrechen mehr?



    Zitat

    Überhaupt, es wird doch gesagt, sie habe in einem alten Schloss im Wald ganz einsam gelebt...wie kommt der Graf eigentlich dahin?

    Hallo? Ein Pferdchen wird sich Telli ja noch leisten können, oder nicht? Jagdausflug? Ausritt? Im Wald verirrt? Nun beleidige mal nicht deine Fantasie.



    Zitat

    Hier kommt wieder das Wort 'bestrickt' ins Spiel, das Telramund ja selbst verwendet. Ich will natürlich nicht leugnen, dass auch er rein pragmatische Ziele mit dieser Verbindung verfolgt, aber ich habe das Gefühl, dass sich das bei ihm stark vermischt.

    Natürlich ist das so. Warum nicht das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden?

    "Tatsachen sind die wilden Bestien im intellektuellen Gelände." (Oliver Wendell Holmes, 1809-94)

  • zu milletres Kommentar:
    Ich wüsste nicht, was ich mit dem Kommentar anfangen sollte. Wenn es darum geht, die Sache jetzt auf Ortrud, die Gottfried verzaubert hat (was ich für eher für schwammig bewiesen halte), abstellen willst, also die Gute und die Böse ist mir das zu banal. (Was würde Elsa in dem Zusammenhang übrigens zur Reinen machen)?Es geht ja hier schließlich um tiefere Bedeutungsschichten.


    Ich gehe mal weiter in meinen Ausführungen von oben.
    Wenn man sich so Wagners Werke anschaut, gibt es in vielen den Widerstreit zwischen nun ich nenne das mal 'keuscher Liebe' und der anderen Seite (siehe Tannhäuser oder Parsifal). Wagners Opern schreien meiner Meinung nach von erotischen Untergründigkeiten (was hier im Thread auch schon anklang).
    Würde man das auf Lohengrin übertragen, begegnet uns das evtl. in Gestalt der beiden Paare Elsa-Lohengrin und Ortrud-Telramund, die die jeweilige Seite darstellen. Mit Elsa als symbolische Figur der keuschen-geistigen Liebe passt so in das vermeintlich 'korrekte' Lebenbild (oder Korsett), welches Telramund, der ja dauernd solche Worte wie Ehre, Stolz und Ansehen im Munde führt, anscheinend für 'ehrbar' hält. Sein durchaus stoischer, pflichtbewusster Charakter (schließlich hat er ja gewissenhaft das Reich verwest solange die Kinder jung waren), der ihn, zumindest in meinen Augen, als eigentlich beherrschten Mann erscheinen lässt (vielleicht gar jemanden, der seine Emotionen gern herunterspielt bzw. unterdrückt), erfährt erst einen richtigen 'Bruch' in der Szene mit Ortrud, quasi : in ihrer Gegenwart bröckelt die stoische Fassade (was nicht schlechterdings als nur negativ zu werten sein kann, sondern durchaus auch positiv, denn Emotionen ausleben ist ja nicht grundsätzlich negativ, sondern hat nicht nur eine befreiende Komponente, sondern ist ebenso einen Faktor von Intimität mit dem Gegenüber, denn in der Öffentlichkeit vermeidet man sowas meistens doch schon). Nicht umsonst ist von Ortrud zu hören : "Was macht dich in so wilder Klage doch vergehen...friedreicher Graf von Telramund...wie du rasest" (Lohengrin wird man sich dagegen nie rasend vorstellen können).
    Auch muss man ja annehmen, dass der Graf Ortrud wirklich glaubte, denn niemand konnte Gottfrieds Verschwinden ka richtig erklären, auch nicht Elsa, was wunder, dass an ihr gezweifelt wurde. Telramund glaubt ja Ortruds Geschichte und fühlt sich im Recht, Elsa hat in dem Moment ja ihre Reinheit für ihn verloren, da er glauben muss, sie hätte ihren Bruder getötet.
    Letztlich ist auch zu fragen, warum es angeblich von vornerein irgendwie negativ war, dass er Ortrud heiratete. Warum? Anfangs weiß ja niemand um ihre Intrigen, warum ist das aber anscheinend irgendwie 'unrein' konnotiert? Was hat Ortrud denn an sich? Wenn man dann sein unentwegtes Reden von Ehre und Tugend angeht, muss man doch fragen, ob ihr etwas anhaftet, dass ihm ruchbar erscheint...ist es letztlich aber nicht vielleicht so, dass er seine hochlgelobte Tugend nicht halten konnte, weil Ortrud etwa ausstrahlt, was dem entgegen spricht, Untugend (jedenfalls aus seiner Sicht), tja, was soll das wohl sein? Geht es ja auch um so etwas wie Christentum und Heidentum, letzteres wird von Ortrud verkörpert . Ich erspare mir einen Diskurs über die Spannung zwischen diesen beiden (auch im Parsifal ist das aufgesetzte Christentum Wagners - denn im Kern ist es (wie weiter oben erwähnt) mehr nur eine Fassade - regelrecht lustfeindlich). Wenn Ortrud nun der Gegenpol dazu wäre, bedeutete dass gerade die sinnliche Komponente sie vom Rest der Figuren unterscheiden würde, und wenn der Graf sich fragt : "Was bannt mich noch in deine Nähe? (berechtigte Frage, denn er hätte sie zu dem Zeitpunkt genauso gut "verstoßen" können), ja was ist es denn, dass ihn bleiben lässt? "...die du im düstren Wald zu Haus (hier wieder ein Bild zum Heidentum und auch zu tieferen Seelenschichten...das Herz, ein dunkler Wald, der dunkle Wald als Metapher für tiefere Regungen, die von Tugendbolten gerne als düster-schmutzig gebranntmarkt werden) Und immer wieder 'bestrickt'..."umstricktest du mein stolzes Herz"...also definitiv nicht seinen Verstand, das Herz als Träger der Gefühle und Kammer 'dunkler' Sehnsüchte. "den Geist berücken", spielt, denke ich auch nicht an seine Ratio an, sondern eher der Geist als Gedanke, sie berückt seine Gedanken. Er plagt sich ja auch damit, dass er ihr vertraut hat und es wieder tut. Die Macht, die sie über ihn hat, kann eine erotsiche Komponente nicht verleugnen, denke ich.
    Auch der Text bietet da einiges an Interpretationsmaterial, wenn man nicht auf nur auf die offensichtlich Gesagte aus ist.


    Aber (und es ist wie in Tannhäuser und Parsifal), beide Pole scheitern, weil wahre Liebe nur aus beiden Komponenten bestehen kann?

    "Die Glücklichen sind neugierig."
    (Friedrich Nietzsche)

  • Ich merke grad, dass sich Strano und mein beitrag überschnitten haben, deshalb nicht wundern, dass ich darauf nicht einging, aber ich freue mich, dass du geschrieben hast.

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  • Nach den ellenlangen Ausführungen mal zu Stranos beitrag :


    Warum eigentlich? Wie wäre es mit "Sie liebt ihn nicht."? Da ist der gute Telli sicherlich nicht der erste, der einen Korb bekommt.


    Sicherlich richtig, aber wo ginge es in solchen Konstellationen wie in dieser Geschichte, die ich nicht historisch, aber zumindest angelehnt nennen würde schon um Liebe. Normalerweise wäre es das natürlichste der Welt gewesen. Außerdember erscheint es auch sehr fragwürdig, warum sie dann gleich einwilligt irgendeinen "Dahergelaufenen" (in dem Fall Dahergezogenen) gleich vom Fleck weg zu heiraten, ganz egal ob er ihr Retter ist, denn sogesehen hat Telramund sich ja auch stets um sie gekümmert...genauso gut hätte er ja kurzen Prozess mit ihr (und ihrem Bruder) machen können, da sie eh nur im Weg stand nachdem der Vater tot war.


    "Rein" bedeutet hier für mich "arglos", "naiv", "unbedarft" - das ideale Opfer eben. Auch da wäre sie nicht die erste und auch kein Sonderfall. Dass man so jemanden ob seiner Unbedarftheit gerade verunsichern kann, steht doch wohl außer Frage. Elsa ist für mich ganz klar der typische Gutmensch, der mit allen in Harmonie leben möchte und sich ständig Gedanken darum macht, ob er/sie richtig gehandelt hat und vielleicht doch zu streng/zu egoistisch war. Solche Menschen fallen schon beim kleinsten Windhauch um und sind für ein schlechtes Gewissen am ehesten anfällig.


    Da hätte man dann aber auch ein besseres, schlüssigeres Wort verwenden können als rein...Elsa das Dummchen zum Beispiel ;)
    Und mit ihrer Hamroniesucht und dem schlechten Gewissen kanns ja auch nicht so weit sein, denn das alles scheint sie beim Ablehnen von Telramunds zu der zeit sehr ehrlicher Hand wenig zu stören.



    Das eine schließt ja das andere nicht aus! Und nur weil ihre Handlungen nachvollziehbar sind, muss sie deshalb nicht weniger böse sein. Das würde ja eine Strafe in Frage stellen und letztlich auch unsere Justiz, wenn man es weiterspinnt. Oft werden Verbrechen aus "nachvollziehbaren" Gründen begangen - sind sie dann keine Verbrechen mehr?


    Ich habe einfach ein Problem mit dem Wort böse, es ist mir zu irrational. Ein Verbrechen ist ein Verbrechen laut dem Gesetz, nicht laut dem, wie ich das empfinde. Für mich sit jemand der ein Verbrechen begeht nicht böse, sondern eben jemand der ein Verbrechen begeht, das natürlich im Rahmen auch bestraft werden sollte. Nachvollziebare Gründe sollen ein Verbrechen ja nicht kleinreden, ich wollte nur deutlich machen, dass Ortrud nicht das Böse an sich ist (wenn es das überhaupt gibt).



    Hallo? Ein Pferdchen wird sich Telli ja noch leisten können, oder nicht? Jagdausflug? Ausritt? Im Wald verirrt? Nun beileidige mal nicht deine Fantasie.


    Nun die Profanität dieser Tatasche will ich gar nicht in Frage stellen (Im Wald verirrt...warum musste ich da nur gleich an die 1.Szene aus "Pelleas und Melisande" denken? :) )
    Die Frage war auch eher dahingehend gestellt, wie kommt er eigentlich dazu dort im Schloss herumzulungern und sich von Ortrud Märchen auftischen zu lassen. Das kann ich mir nicht so vorstellen, dass es dort sachlich zugegangen ist, nach dem Motto :
    Ich habe mich im Wald verirrt. - Ach, bist du nicht der und der? - Ja - Weißt du schon, was damals mit Elsa und ihrem Bruder war? - Was?Wirklich! - Ach übrigens ich bin Ortrud, du kannst mich ja heiraten und wir stellen das klar. - Okay.


    Zitat


    Hier kommt wieder das Wort 'bestrickt' ins Spiel, das Telramund ja selbst verwendet. Ich will natürlich nicht leugnen, dass auch er rein pragmatische Ziele mit dieser Verbindung verfolgt, aber ich habe das Gefühl, dass sich das bei ihm stark vermischt.



    Natürlich ist das so. Warum nicht das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden?


    Das würde aber sehr schlecht zu seinem Charakter passen, den ich nicht als so berechnend und abgeklärt empfinde.

    "Die Glücklichen sind neugierig."
    (Friedrich Nietzsche)

  • Da hätte man dann aber auch ein besseres, schlüssigeres Wort verwenden können als rein...Elsa das Dummchen zum Beispiel ;)
    Und mit ihrer Hamroniesucht und dem schlechten Gewissen kanns ja auch nicht so weit sein, denn das alles scheint sie beim Ablehnen von Telramunds zu der zeit sehr ehrlicher Hand wenig zu stören.

    Woher willst du wissen, dass Telramunds zum Ehebund angebotene Hand "ehrlich" war? Der wollte ganz einfach an die Macht. Hatte sich das alles so schön ausgerechnet. Mit Elsa wäre er leicht fertig geworden, denn er kannte sie als ihr früherer Erzieher sehr gut. Und dann wagt dieses Küken, ihn abzuweisen. Nun, auch Küken haben mal lichte Momente.
    Ortrud hingegen ist das, was er verdient. Endlich mal jemand, der ihm Paroli zu bieten versteht. Darin liegt ihre Anziehungskraft. Sie ist ein würdiger Gegner. Endlich. Gleichzeitig ist sie auch sein Untergang, aber das war ja klar.
    In der Situation, in der Elsa ist, kommt ihr Lohengrin nicht als "Dahergelaufener" vor. Er ist ihre letzte Rettung in einer Lage, in der es nicht mehr viele Alternativen gibt. Und da er recht ansehnlich ist und auch ganz nett zu sein scheint - warum soll sie ihn nicht nehmen? Da gäbe es in ihrer Situation sicherlich Schlimmeres. Im übrigen sehe ich Elsa nicht als "dumm" an, einfach nur als schrecklich naiv. Das ist für mich ein Unterschied.

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  • Woher willst du wissen, dass Telramunds zum Ehebund angebotene Hand "ehrlich" war? Der wollte ganz einfach an die Macht. Hatte sich das alles so schön ausgerechnet. Mit Elsa wäre er leicht fertig geworden.

    Wie ich schon erwähnt habe, hätte er sich ja auch gleich an die Macht putschen können, ohne auf Elsa und ihren Bruder Rücksicht zu nehmen. Die Frage ist außerdem, bot er ihr die Heirat vor und nach Gottfrieds Verschwinden an? Wenn der Junge noch da war, musste der Graf ja denken, wäre der ja eh der Thronfolger, egal ob Telli nun die Elsa hat oder nicht.

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  • Wie ich schon erwähnt habe, hätte er sich ja auch gleich an die Macht putschen können, ohne auf Elsa und ihren Bruder Rücksicht zu nehmen. Die Frage ist außerdem, bot er ihr die Heirat vor und nach Gottfrieds Verschwinden an? Wenn der Junge noch da war, musste der Graf ja denken, wäre der ja eh der Thronfolger, egal ob Telli nun die Elsa hat oder nicht.


    Richtig, aber einen noch so jungen Thronfolger kann man ja schnell mal "sterben". Wer in der Zeit das Erwachsenenalter erreichte, hatte ja im Grunde schon einen halben Lottogewinn davongetragen. ( Heinrich VIII. einziger Sohn, Prinz Edward, kam auch nur für ganz kurze Zeit auf den Thron und verstarb sehr schnell (ob da jemand "nachgeholfen" hat oder nicht, ist nicht überliefert) und dann entbrannte der Streit um den Thron erst richtig.) Kein Wunder, dass Gottfried "entrückt" wurde. Telramund ist m.E. kein Putschist, der mit gezogenem Schwert den Thronsaal stürmt. Er ist eher ein manipulativer Intrigant, ein intelligenter Beobachter, der auf seine Chance wartet und sich dann mit seinen hehren Taten vor König und Volk ins rechte Licht setzt. Es geht ihm ja nur um Brabant. Schon klar. ;)

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  • Er ist eher ein manipulativer Intrigant, ein intelligenter Beobachter, der auf seine Chance wartet und sich dann mit seinen hehren Taten vor König und Volk ins rechte Licht setzt.


    Das glaube ich nicht, manipulativ schon gar nicht, wenn Ortrud nicht gekommen wäre, hätte er sich wohl eher in den Schmollwinkel zurückgezogen oder mit Zähneknirschen gefügt (vielleicht vor Wut ein paar Möbel zerschlagen)...irgendwo in diesem Thread hat jemand ihn mit dem Wort "Waschlappen" betitelt, vielleicht etwas platt, aber so in etwa, ist es vielleicht schon.

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  • Liebe SchallundWahn,


    Bitte nimm es mir nicht übel, aber als Philologe bleibt mir nichts anderes zutun, als Dich zu "mahnen".
    Im Gegensatz zu dir ist für mich jedesmal, wenn ich eine Oper neu kennenlernen will, das gleichzeitige Lesen des Librettos unabdingbar.(Vielleicht bin ich auch deshalb ein so entschiedener Gegner des RTs!) Wenn Du Dich nun intensiver mit den Libretti beschäftigen würdest, würden Dir sehr viele Deiner Fragen klar!


    Beispiel:
    Beim Ring wird es Dir nicht klar, warum Wotan das Feuer nicht erlöschen lässt, das er um den Brünnhildenfelsen "wabern" lässt. Würdest Du einmal den Text der Waltrautenszene (für mich ist im Gegensatz zu Dir, diese Szene mittlerweile ein Höhepunkt des Werks; ich gebe zu am Anfang hat mich anderes der Gödä mehr fasziniert) genau nachvollziehen, würde Dir klar, warum er nach dem Zerschlagen seines Speers nicht mehr ins Geschehen eingreift.
    Oder auch hier: Telramund als "Waschlappen" zu bezeichnen, trifft dessen Charakter auch nicht annähernd. Er ist ein hirnloser, machtbesessener, starker Krieger ("wie ich im Kampf den wilden Dänen schlug?" "Wie schlimm, liess' ich von dir daran mich mahnen! In keiner Hand, als in der deinen möcht' ich die Lande wissen!")
    Es mag bei früheren Komponisten nicht so essentiell sein, aber bei allen Komponisten seit Wagner ist das Libretto werkentscheidend. Ich bitte Dich, Dich mit den Libretti gründlicher zu beschäftigen, und Du wirst sehr viel mehr Genuss aus den Werken ziehen und vielleicht sogar erkennen, was für ein ein Meisterwerk z.B. die Bohème ist.


    MfG von einem alten Mann mit bald 40jähriger Opernerfahrung!

  • Er ist ein hirnloser, machtbesessener, starker Krieger ("wie ich im Kampf den wilden Dänen schlug?" "Wie schlimm, liess' ich von dir daran mich mahnen! In keiner Hand, als in der deinen möcht' ich die Lande wissen!")

    Bis auf das "hirnlos" gehe ich mit dir konform. Telramund weiß sich schon geschickt in Szene zu setzen, dazu bedarf es sicherlich des Hirns, und wenn Lohengrin nicht gekommen wäre, dann hätte er reussiert. Lohengrin hingegen ist jemand, der ihn in völlige Verwirrung bringt. Er scheint unantastbar, aus einer anderen Welt. Damit ist Telramund schlichtweg überfordert. Diese Überforderung nutzt Ortrud, der er ebenfalls nicht gewachsen ist, um ihn völlig manipulieren zu können. Mit Elsa hingegen hätte er sehr leichtes Spiel gehabt.



    Zitat

    Es mag bei früheren Komponisten nicht so essentiell sein, aber bei allen Komponisten seit Wagner ist das Libretto werkentscheidend.

    Letzteres ist sicherlich richtig, aber auch Komponisten der Prä-Wagner-Era haben ihre Libretti nicht aus Jux und Tollerei schreiben lassen, und ihre Opern haben ebenso eine Berechtigung, werkgetreu aufgeführt zu werden.

    "Tatsachen sind die wilden Bestien im intellektuellen Gelände." (Oliver Wendell Holmes, 1809-94)

  • Liebe SchallundWahn,
    Im Gegensatz zu dir, ist für mich jedesmal, wenn ich eine Oper neu kennenlernen will, das gleichzeitige Lesen des Librettos unabdingbar.(Vielleicht bin ich auch deshalb ein so entschiedener Gegner des RTs!) Wenn Du Dich nun intensiver mit den Libretti beschäftigen würdest, würden Dir sehr viele Deiner Fragen klar!

    Deine Mahnung in allen Ehren, bestimmt sollte ich noch viel öfter Libretti lesen, als ich es tue, aber da du hier auf einige Äußerungen meinerseits zum Thema "Wie hört ihr Opern?" anspielst, muss ich sagen, dass du wohl einiges überlesen hast. Sicherlich lese ich nicht alle Libretti, aber das heißt nicht, dass ich kaum welche lese, und gerade die zu den Wagner-Opern gehören definitiv zu denen, die ich gelesen habe (mehrmals...und immer wieder), und das habe ich auch so geschrieben.



    Beim Ring wird es Dir nicht klar, warum Wotan das Feuer nicht erlöschen lässt, das er um den Brünnhildenfelsen "wabern" lässt. Würdest Du einmal den Text der Waltrautenszene (für mich ist im Gegensatz zu Dir, diese Szene mittlerweile ein Höhepunkt des Werks; ich gebe zu am Anfang hat mich anderes der Gödä mehr fasziniert) genau nachvollziehen, würde Dir klar, warum er nach dem Zerschlagen seines Speers nicht mehr ins Geschehen eingreift.

    Nur weil ich die Waltrauten-Szene (noch) nicht besonders mag, heißt das ja nicht automatisch, dass ich den Text nicht kennen würde. Ich finde, aber dass der mir nur wenig zu meiner Frage sagt, die nämlich darum kreiste, warum das Feuer weiter lodert, obwohl Siegfried den Bahn brach und warum es überhaupt noch brennt, denn "Wer meines Speeres Spitze fürchtet, durchschreite das Feuer nie!"...aber da der Speer von Siegfried zerschlagen wurde müsste der Bann eigentlich gebrochen sein bzw. niemand könnte die Speerspitze mehr fürchten, da der Speer zerbrach. Nun muss Siegfried (als Gunther) aber doch noch das Feuer überwinden (eigentlich ist er ja immer noch Siegfried, soll heißen er musste es doch gar nicht mehr überspringen).
    Das ist letztlich nicht ganz logisch, finde ich. Trotzdem liebe ich die Wagner-Opern (weswegen ich auch ihren Text kenne), aber man wird ja noch fragen dürfen.



    Telramund als "Waschlappen" zu bezeichnen, trifft dessen Charakter auch nicht annähernd. Er ist ein hirnloser, machtbesessener, starker Krieger ("wie ich im Kampf den wilden Dänen schlug?" "Wie schlimm, liess' ich von dir daran mich mahnen! In keiner Hand, als in der deinen möcht' ich die Lande wissen!")

    Erstmal stammt der "Waschlappen" nicht von mir, sondern jemand anderer hat ihn in diesem Thread aufgeworfen. Ich finde, ebenso wie Strano, dass dein 'hirnlos' Telramunds Charakter auch nicht gerade annähernd trifft.
    Ein starker Krieger ist er wohl, aber machtbesessen...ich störe mich am Wort besessen, ehrlich gesagt, mir kommt er viel mehr ehrbessesen bzw. tugendbesessen vor so oft wie er davon spricht, jemand dem es sehr um sein gutes Ansehen bedacht ist, eigentlich will bzw. wollte er, so sehe ich das, den Thron nicht mit Gewalt erobern (was er ja hätte tun können), sondern dadurch, dass er es (aus seiner Sicht) verdient...es denkt, es steht ihm zu, dafür, wie er sich dafür eingesetzt hat. Darüber mag man denken was man will, aber machtbesessen nenne ich das nicht. Und das zweite Zitat wird ja von jemand anderem ausgesprochen, Telramund beweihräuschert sich ja nicht selbst damit.
    Hast du eigentlich auch meine Ausführungen weiter oben gelesen in denen ich versuche Telramunds Charakter näher zu kommen, sowie seiner Beziehung zu Ortrud?



    einem alten Mann mit bald 40jähriger Opernerfahrung!

    Davor habe ich auch den größten Respekt, glaube mir.

    "Die Glücklichen sind neugierig."
    (Friedrich Nietzsche)

  • wenn Ortrud nicht gekommen wäre, hätte er sich wohl eher in den Schmollwinkel zurückgezogen oder mit Zähneknirschen gefügt

    ... und wir hätten nicht diese wundersame romantische Oper LOHENGRIN. Ich habe mir solche Fragen auch oft gestellt, bis ich dahinter kam, dass man überhaupt nicht weiterkommt mit Denkansätzen, die das Werk selbst infrage stellen. Nun versuche ich mich immer an die Fakten, die Tatsachen zu halten.


    Das soll jetzt aber kein guter Ratschalg sein, liebe SuW. Du sollst machen und denken was Du willst. Mit der Zeit stellt sich ganz von selbst heraus, war für Dich richtig ist. Ich finde Deine sehr unkonventionellen Überlegungen sehr erfrischend und nehme sie gern für mich auf. Du brauchst Dich überhaupt nicht von 40jähriger Opernerfahrung beeindrucken lassen. Warum auch? Erfahrung ist ebenso wenig ein Verdienst wie Jugend.


    P.S. Hör Dir mal die Waltraute-Erzählung mit der Ludwig oder der alternden Mödl an. Vielleicht macht es ja Klick!


    Es grüßt Rheingold

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Sei bedankt, mein lieber rheingold, für dein Worte. :)


    Mir machen diese Überlegungen über die profanen Tatsachen hinaus einfach großen Spaß. Und alle hier eingestellten Äußerungen sollen ja auch keine absoluten Wahrheiten oder Deutungen sein, sie gehören lediglich mir und ich will keinem meine Sicht der Dinge aufzwingen.
    Was Lohengrin, speziell die Ortrud-Telramund-Szene, angeht, mag ich auch äußerst beeinflusst sein von der Deutung meiner Lieblingsversion durch mein für diesen Moment bevorzugten Sänger-Paares (andere Sänger stellen das ander dar), aber dazu werde ich wohl Näheres in einem anderen Thread schreiben.

    "Die Glücklichen sind neugierig."
    (Friedrich Nietzsche)

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  • Die Problematik, die Wagner in seinem "Lohengrin" deutlich macht, ist die offensichtliche Unvereinbarkeit eines menschlichen mit einem Geistwesen. Diesen interessanten Aspekt hat Joachim Herz in seiner leider eingestampften Produktion beklemmend deutlich herausgearbeitet, als er den Schwanenritter im Brautgemach apodiktisch dozieren lässt ("Höchstes Vertraun hast du mir schon zu danken"), wobei er sich brüsk von Elsa abwendet und sein Schwert ergreift, um von dem eingeschüchterten Ding bedingungslose Unterwürfigkeit und Gehorsam einzufordern.


    Diese Szene wurde derart beklemmend herausgearbeitet, dass man zum Ergebnis gelangen mußte, ein Menschenpaar könne trotz all seiner Unzulänglichkeiten und Fehler eher tiefe Erfüllung finden als eine reine, arglose Person, die sich mit einem Wesen aus einer anderen Welt einläßt.

    Arrestati, sei bello! - (Verweile, Augenblick, du bist so schön!)

  • dass man zum Ergebnis gelangen mußte, ein Menschenpaar könne trotz all seiner Unzulänglichkeiten und Fehler eher tiefe Erfüllung finden als eine reine, arglose Person, die sich mit einem Wesen aus einer anderen Welt einläßt.

    Überaus interessante Überlegung, die du da eingestellt hast, milletre, dafür schon mal Dank!


    Wenn Elsa als die Reine und dieser Lohengrin, der ja auch eine Art reiner Vergeistigung darstellen mag, nicht zusammenfinden können, könnte man vermuten, das Reine mit dem Reinen kann nur zur Auflösung führen, ins Nichts, der Auflösung von menschlichen Gefühlen, nichts hält sich da mehr aneinander fest während die Unzulänglichkeiten und Fehler einander auffangen, verketten können, verzahnen, sie erlauben Kontakt gerade dadurch, dass sie aneinander stößen...Lohengrin und Elsa waren als Paar vielleicht von vorneherein zum scheitern verurteilt...Telramund und Ortrud hätten als Paar sogesehen vielleicht eine bessere Chance gehabt.

    "Die Glücklichen sind neugierig."
    (Friedrich Nietzsche)


  • Lohengrin und Elsa waren als Paar vielleicht von vorneherein zum scheitern verurteilt...Telramund und Ortrud hätten als Paar sogesehen vielleicht eine bessere Chance gehabt.


    Das kann man durchaus so sehen. Zumindest sind Telramund und Ortrud sich ähnlich. Sie sind beide machtgierig, skrupellos und stolz, nur dass Ortrud intelligenter als Telramund ist. Lohengrin und Elsa sind trotz ihrer Verschiedenheit vor allem durch Elsas Verhalten zum Scheitern verurteilt, wobei man bedenken sollte, dass gerade dieses Verhalten auch einer nicht gerade geringen Traumatisierung anzulasten ist. Das Verschwinden des Bruders, die Anklage Telramunds, dann der aus dem Nichts auftauchende Lohengrin, die sehr eilige Hochzeit - ich glaube nicht, dass man dies alles einfach so verwinden und kommentarlos zur Tagesordnung übergehen kann, erst recht nicht, wenn es sich um einen so verletzlichen und übersensiblen Menschen wie Elsa handelt. In der Brautgemachszene wird deutlich, wie sehr ihre Psyche angegriffen ist. Unter anderen Voraussetzungen hätte aus den beiden schon etwas werden können, aber unter den gegebenen Umständen ist das schlichtweg unmöglich.

    "Tatsachen sind die wilden Bestien im intellektuellen Gelände." (Oliver Wendell Holmes, 1809-94)

  • Da sprichst du einen ganz wichtigen Punkt an, jedenfalls aus meiner Sicht, nämlich den Stolz. Ortrud und Telramund sind stolz, was an sich kein Fehler ist, aber wenn es übersteigerter Stolz ist (und das ist bei beiden sicher der Fall) wird es kompliziert und hässlich. Ich glaube gar, Stolz ist der "Urmotor" der beiden, aus der Übersteigerung ihres Stolzes (sie als Sproß eines altes Königsgeschlecht, er als -a aus seiner Sicht - heldenhafter Kämper und Bewahrer des Brabanter Reichs), dieser Stolz, der so gesehen, ständig in hinterfragt bzw. irgendwie gekränkt wird (zumindest empfinden beide es so), zerfrisst sie förmlich und daraus erwächst dann alles Folgende. Sie fühlen sich in ihrem Stolz gekränkt, ich würde sogar sagen jeder von beiden sogar doppelt, einmal von den Anderen und dann noch von sich gegenseitig (ganz perfide Sache)...sie stacheln sich ja sogar gegenseitig auf.
    Noch mal was zur Machtgier, bei Telramund ist es ja bezeichnender Weise so, dass er als er von Ortrud neuem Plan hört, nicht frohlockt dadurch an die Macht zu gelangen, derartiges kommt an keinem Punkt zum Ausdruck, sonder stattdessen : "...meine Schande könnt ich rächen" (wieder der gekränkte Stolz)..."bezeugen könnt ich meine Treu" (er sieht sich selbst ja als rechtschaffen)..."des Buhlen trug, ich könnt ihn brechen" (er unterstellt Elsa ja schließlich sowas wie eine Intrige an der auch Lohengrin beteiligt ist..."und meine Ehr gewänn ich neu" (es scheint ihm hauptsächlich darum zu gehen sich reinzuwaschen). Aber letztlich kein Wort zur Machtfrage oder dem Thron. Sein persönliches Befinden und die vermeintliche politische Unordung belasten ihn, dagegen will er etwas tun...was indess Ortrud will, steht auf einem ganz anderen Blatt.


    Und zur Beziehnung Elsa-Lohengrin muss ich sagen, dass ich sie von Anfang an dadurch für "verkorkst" halte, da sie auf diesem Frage-Schwur aufbaut. Ein Jahr mit jemandem verheiratet sein, ohne zu wissen, wer er ist, was er ist oder woher er kommt, ist wohl keine gute Basis. In dem Sinne, glaube ich, dass Elsa gar nicht anders konnte als fragen (wahrscheinlich hätte sie es auch ohne Ortruds Ränke gemacht, nur evtl. später), die Unvereinbarkeit der Sphären drückt sich doch schon in der Frage aus...Elsa reagiert menschlich auf etwas, dass eigentlich unmenschlich ist, das Frageverbot...so etwas (dieses Leben ohne die Erkenntnis...wow, fast etwas Adam-Eva-haftes...nur das Adam hier den Apfel ausschlägt) kann nur jemand wie Lohengrin ertragen, der, obwohl Ritter von Montsalvat, in gewisser Weise unmenschlich ist...(wir wissen ja, wie außerweltlich der Montsalvat-Clan so ist).

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    (Friedrich Nietzsche)