wann/wofür verwendet Ihr das Wort "schön"?

  • Die Protagonisten der absoluten Subjektivität ästhetischer Urteile hier im Forum müssten sich eigentlich mal fragen, warum die Komponisten klassischer Musik ganz bestimmte - und ihnen bekannte! - musikalische Mittel in Melodik, Harmonik und Rhythmik einsetzen - zum Beipiel die "Seufzerfigur" oder das "Kreuzsymbol" - , um eine ganz bestimmte "Wirkung" bei den Rezipienten m Konzertsaal zu erzielen, - und zwar im Sinne ihrer kompositorischen Aussage. Das hätte doch alles keinen Sinn, wäre das ästhetische Empfinden - und das daraus ableitbare Urteil - ein absolut subjektives.


    Hier wird eine Schwarz-Weiß-Malerei unterstellt, die eigentlich niemand wollte.


    In der Wahrnehmung mehrerer Mitschreibenden klangen einige von Helmuts Äußerungen so, als ob er Schönheit als eine "absolut objektiv" nachweisbare Eigenschaft darstellen wollte. Dagegen wurde deutlich opponiert.


    Helmut hat seine Äußerungen nun relativiert, etwa in Sätzen wie diesen:


    Zitat

    Ich behaupte ja gar nicht die universelle und zeitllose Gültigkeit ästhetischer Urteile. Selbstverständlich ist ihre Gültigkeit an einen Kulturkreis und eine historische Zeit gebunden und von diesen Rahmenbedingungen abhängig.

    Das ist also nun geklärt. Wir sind uns einig, dass es keine "absolut objektiven", oder, wie Helmut genauer sagt: "universell und zeitlos gültigen" ästhetischen Urteile gibt.


    Warum soll nun eine Diskussion darüber begonnen werden, ob es "absolut subjektive" Urteile gibt? Wer wäre denn völlig unabhängig in seinem Urteilen von seiner Umgebung, von seiner Geschichte, von seinen Erfahrungen? Das ist genauso unsinnig wie die Annahme der Möglichkeit eines "universell und zeitlos gültigen" ästhetischen Urteils.


    Wir könnten also nun beispielsweise darüber diskutieren, ob es hinreichende Bedinungen dafür gibt, dass zwei Menschen die Jupiter-Sinfonie "schön" finden. Helmut scheint mir eher in die andere Richtung diskutieren zu wollen und interessiert sich dafür, warum Menschen, die so ticken wie er, dieselben Dinge schön finden wie er (Antwortversuch: weil sie die Partitur in derselben Weise ansehen und an sie dieselben strukturellen Fragen richten. Denn unser Filter im Kopf entscheidet, was überhaupt die Chance bekommt, als "schön" erkannt zu werden.).


    :hello:

  • darf ich Deine Worte leicht ironisch so zuspitzen:


    "Ein Musikästhet ist ein Mensch, der post compositionem genau sagen kann, warum ein Stück schön ist, aber völlig unfähig ist, seine Fähigkeiten zur Komposition eines schönes Stückes einzusetzen." (Also so etwas wie ein impotenter Sexualwissenschaftler.)


    Das ist, lieber Wolfram, zugespitzt oder nicht, eine Bemerkung zum Nachdenken.


    Ich sehe es so: die Fähigkeit, Kriterien zur Erkennung der Schönheit zu bestimmen, muss sich nicht unbedingt mit der Fähigkeit decken, diese Schönheit auch zu erschaffen.
    Nehmen wir die Partie Taimanovs gegen Karpov. Eine elegante Gewinnkombination. Auch ein mittelmäßiger Spieler sieht die Schönheit darin. Kann er deswegen gegen Karpov gewinnen?
    http://de.wikipedia.org/wiki/Mark_Jewgenjewitsch_Taimanow


    Seit einigen Jahren schlagen einige Schachprogramme die besten Großmeister, die Konstruktöre dieser Programme schaffen das selten.


    Wie sehr wir auch befähigt sind die Schönheit eines Schwans zu erkennen, wird es doch den meisten von uns schwerfallen, einen solchen herzustellen, jedenfalls bis zum heutigen Tag.


    Ein Sonnenaufgang ist auch noch keine Stangenware, das hat der Kleine Prinz schon erfahren müssen.


    Einem unmusikalischen Forscher, der die neurophysiologischen Geheimnisse hinter der Begabung eines Komponisten entdeckt hat, wird es trotzdem nicht gelingen, eine gelungene Oper zu schreiben, dagegen könnte er, wie im Schach, einem Computer die Arbeit überlassen. Wie man weiß, wurden von schon einige passable Computer-Bachwerke geschaffen.


    Unser altes Problem ist immer noch nicht gelöst, wie kann man den von Helmut angesprochenen Gemeinsinn vom sensus communis trennen? Ohne Erläuterung diesen Kunstgriffs kommen wir nicht weiter. Ich habe ihn provokativ Deus ex machina genannt, aber keiner hat angebissen.


    Grüße :hello:

  • Wir könnten also nun beispielsweise darüber diskutieren, ob es hinreichende Bedinungen dafür gibt, dass zwei Menschen die Jupiter-Sinfonie "schön" finden.


    Hallo,


    dafür gibt es sogar schon einen Thread, zwar nicht (nur) für die Jupiter-Sinfonie, sondern auch unter Vermeidung des Allerweltsadjektivs "schön".


    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler


  • Das ist also nun geklärt. Wir sind uns einig, dass es keine "absolut objektiven", oder, wie Helmut genauer sagt: "universell und zeitlos gültigen" ästhetischen Urteile gibt.


    Warum soll nun eine Diskussion darüber begonnen werden, ob es "absolut subjektive" Urteile gibt? Wer wäre denn völlig unabhängig in seinem Urteilen von seiner Umgebung, von seiner Geschichte, von seinen Erfahrungen? Das ist genauso unsinnig wie die Annahme der Möglichkeit eines "universell und zeitlos gültigen" ästhetischen Urteils.


    voll d´accord


    Oder, wie der Volksmund sagt: Schönheit liegt im Auge des Betrachters.


    Nichtsdestotrotz gibt es zumindest bei visuellen Reizen eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, daß bestimmte Paarvergleiche zu gleichen Urteilen führen, insbesondere, wenn sie vergleichsweise "kraß" sind, wie etwa "Die Aussicht auf das Matterhorn" gegen "die Aussicht auf einen Hinterhof".


    Nicht so eindeutig wären "Flasche Lagavulin" vs "Flasche Malzbier", aber wohl immer noch hochsignifikant (käme auf die Zielgruppe an).


    Noch weniger eindeutig: "Thüringer Rostbratwurst" vs "Wiener Schnitzel".


    Vermutlich nicht eindeutig: Zwei zufällig herausgegriffene Damen (oder Herren) ähnlichen Alters in einer Fußgängerzone.


    Das macht die Diskussion so kontrovers: einigen wenigen (allgemein als schön bekannten) Objekten würden wir recht unisono herausgehobene Schönheit attestieren, bei den meisten Alltagsobjekten vermuten wir aber wohl keine besondere (mehr oder weniger allgemeingültige) Schönheit. Bei der überwältigenden Mehrzahl der Dinge würden wir uns nicht auf eine Rankingliste einigen können.


    Bei der Musik ist es noch weniger eindeutig, es gibt nur ganz wenige Matterhorne, wenn überhaupt. "Schönheit" ist hier ein durch und durch subjektiver Begriff, dennoch vermutlich für viele der treibende Ansporn, neue (womöglich schöne) Musik kennenzulernen.


    Ich suche jedenfalls regelmäßig nach schöner, und nur ab und zu nach interessanter, Musik.

  • Ich sehe es so: die Fähigkeit, Kriterien zur Erkennung der Schönheit zu bestimmen, muss sich nicht unbedingt mit der Fähigkeit decken, diese Schönheit auch zu erschaffen.


    Wie sehr wir auch befähigt sind die Schönheit eines Schwans zu erkennen, wird es doch den meisten von uns schwerfallen, einen solchen herzustellen, jedenfalls bis zum heutigen Tag.


    Lieber Hami,


    danke für Deine Entgegnung! - Zwei Dinge vorweg:


    Natürlich sind "Schönheit erkennen" und "etwas Schönes herstellen" zwei paar Schuhe. Platt gesagt: Ein Meistermenü kann mir auch dann schmecken, wenn ich nicht einmal ein gekochtes Ei zubereiten kann.


    Auf der anderen Seite gibt es aber auch diejenigen, die (für meinen Geschmack) machmal etwas zu stark im Brustton der Überzeugung Sätze von sich geben, die ungefähr wie folgt klingen: "Diese Stelle im Stück X von Komponist Y ist schön, weil hier zum ersten Mal die Tonart feses-moll erreicht wird, was seitdem Jahrhunderten ein Ausdruck der Emotion Z ist. Dies wird flankiert durch steigende Intervalle in der doppelt verminderten Prim, die seit Menschengedenken dazu verwendet wurden, die Emotion Z ja nur noch mehr unterstreichen. ... usw. usw. usw."


    Wer so genau weiß, warum etwas schön ist, der sollte den (von ihm!) unterstellten und identifizierten Baukasten der Komponisten (als ob es nur einen gäbe ... welch armes Bild von Komponisten ... ) doch nicht nur analytisch, sondern auch synthetisch/konstruktiv verwenden können, um seine Thesen von der Eindeutigkeit des "warum" zu untermauern.


    Solange man etwas Bescheidener argumentieren würde, etwa "Bei der bewussten Stelle steuert der Komponist die Tonart feses-moll an, was erstmals in diesem Stück passiert. Das hebt die Stelle aus anderen heraus. Ich empfinde das so, dass hier in mir die Emotion Z entsteht, und dass die besondere Tonart dazu wesentlich beiträgt. Möglicherweise sind es noch andere Eigenschaften dieser Stelle, die mir aber gerade nicht so bewusst werden. Interessant finde ch auch die doppelt vermiinderten Primen, die gerade hier gehäuft eingesetzt werden. Das hat Komponist im Werk XYZ ganz ähnlich ? gemacht. Für mch verstärkt des die Emotion Z ..."


    Problematisch finde ich halt die absolute Zuordnung von Tonarten, Intervallen und sonstigen Mikroelementen zu Emotionen. So simpel und schablonenartig ist Komposition eben nicht. Und es kommt auf den Kontext an. Bei uns ist schwarz die Farbe der Trauer. In anderen Kulturkreisen ist es weiß. Nehmen verschiedene Menschen also ein Gemälde mit schwarzem Rand immer gleich wahr? Natürlich nicht. Könnte es sich mit "h-moll" oder "leere Quinte" ähnlich verhalten?


    :hello:

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  • Ja, lieber Wolfram, aber was Du hier einforderst, ist die subjektive Einbringung von persönlichen Erfahrungen oder von solchem Teufelszeug wie Gefühlen. Wie sich aus der einen oder anderen Äußerung ergibt, hält mancher dies für Schwäche und erklärtermaßen für etwas unbedingt zu Vermeidendes. Man könnte hier einen wie auch immer gearteten Schutz- oder Abwehrmechanismus vermuten, oder auch sonstige Ursachen. Auf mich persönlich wirkt ein solcher Objektivismus wenig authentisch und nicht sehr vertrauenerweckend. Andererseits empfinde ich Menschen, denen es bedauernswerterweise nicht gelingt, dieses Gefängnis ihrer selbst zu durchbrechen, auch wenig interessant - um so mehr, wenn bei ihnen noch andere unangenehme Eigenschaften hinzukommen. Aber ich schweife ab, natürlich hat alles dies nichts mit einem Forum für klassische Musik zu tun - zurück zur Schönheit der Musik.


    Nachdem Helmut so freundlich war, den Blick auf subjektive Einflüsse zu gestatten, verstehe ich Dich richtig, dass Du persönliche und kulturelle Einflüsse und solche der Zeitperiode auf die individuelle Wahrnehmung dessen, was schön ist, für bedeutender hältst, als bisher angenommen werden durfte? Das würde ich ohne Weiteres bejahen. Wobei wir einerseits ja heute schon in Zeitabschnitten von mehreren Jahrhunderten denken können, wenn wir Heutigen in der Musik zum Beispiel des Barock - oder noch viel früher - schöne Stellen finden. Andererseits ist die kulturelle Globalisierung offensichtlich, wenn einige unserer besten Musiker und größten Klassikliebhaber aus z. B. Japan und China kommen.


    Warum aber bringt der Ästhetikprofessor trotz seines breiten Wissens und seiner tiefen Erkenntnisfähigkeit eventuell selbst kein schönes Musikstück zustande? Könnte es sein, dass individuelle Fähigkeiten beim Komponisten hinzutreten müssen, die sich mit der geisteswissenschaftlichen Elle vielleicht doch nicht ohne Weiteres messen und benennen lassen? So etwas wie Phantasie, Begabung, Gestaltungswillen ... oder gar ein göttlicher Funke?

  • Problematisch finde ich halt die absolute Zuordnung von Tonarten, Intervallen und sonstigen Mikroelementen zu Emotionen. So simpel und schablonenartig ist Komposition eben nicht. Und es kommt auf den Kontext an. Bei uns ist schwarz die Farbe der Trauer. In anderen Kulturkreisen ist es weiß. Nehmen verschiedene Menschen also ein Gemälde mit schwarzem Rand immer gleich wahr? Natürlich nicht. Könnte es sich mit "h-moll" oder "leere Quinte" ähnlich verhalten?


    Mir kommen Bedenken, Herr Wolfram, ob Diskussionen mit Menschen, die nicht einmal ein gekochtes Ei zubereiten können, zu nennenswerten Ergebnissen führen können und ob Beiträge, verfasst zu schlaftrunkener Stunde nicht eher einer Freudschen Traumdeutung unterzogen werden sollten, als hier zur Unterlage hochgeistiger Tafelgespräche zu dienen.


    Dies gesagt, sind schon alle Bedenken zerstreut und ich will Dir Deine letzte Frage mit einem Ja beantworten, mit der Einschränkung, dass ich einzig und allein für mich sprechen kann.


    Als nach gängigen Kriterien unmusikalischem Hörer kann ich leere Quinten und den Unterschied zwischen H- und C-Dur nur auf dem Papier erkennen und demnach ist mein Hörerlebnis ein anderes als das des Musikers. Ob das immer ein Nachteil ist, weiß ich nicht, ein Manko ist es jedenfalls, denn wie man es auch dreht und wendet, hat unser Wolferl in erster Linie für die 10% der Kenner seines Auditoriums geschrieben und erst in zweiter, u.A. auf Anraten seines Vaters, auch für uns gewöhnliches Bagagi.


    Nun gibt es Gott sei Dank ein intuitives Hören, das nicht danach fragt, warum ich den Tristan, den Don Giovanni und den Boris Godunov für die absoluten Meisterwerke der Opernliteratur halte. Ein Trost im Elend ist es, mich mit diesen Präferenzen in illustrer Gesellschaft zu wissen.


    Vom Standpunkt des Musiklaiens gebe ich Dir also unbedingt recht, wie es allerdings der Experte sieht, steht auf einem anderen Blatt.


    Viele Grüße


    :hello:

  • Warum aber bringt der Ästhetikprofessor trotz seines breiten Wissens und seiner tiefen Erkenntnisfähigkeit eventuell selbst kein schönes Musikstück zustande? Könnte es sein, dass individuelle Fähigkeiten beim Komponisten hinzutreten müssen, die sich mit der geisteswissenschaftlichen Elle vielleicht doch nicht ohne Weiteres messen und benennen lassen? So etwas wie Phantasie, Begabung, Gestaltungswillen ... oder gar ein göttlicher Funke?


    Ich nehme an, dass die meisten Theoretiker zumindest in ihrer Jugend praktiziert haben, dann aber ihren eigenen Produkten gegenüber zu kritisch waren oder erkannt haben, dass die Theorie ihnen besser liegt. "Impotenz" würde ich das nicht nennen.

  • Und ich befürchtete schon, lieber La Roche, Du würdest mir meine Interpretation des Begriffs "scheenes Mädel" übelnehmen. Natürlich kann ein Mädchen auch schön sein in dem Sinne, dass man diese Schönheit "interesselos" betrachtet und bewundert. Das hatte ich vergessen anzufügen.


    Lieber Helmut,


    keinesfalls nehme ich Dir das übel, im Gegenteil. Du hast mich freiwillig dazu gezwungen, über Dinge nachzudenken, über die ich vorher niemals daran gedacht hätte, darüber nachzudenken. Werte das als Erfolg der Philosophie. Natürlich bleiben meine Gedanken an einigen Stellen still und ich komme nicht weiter, weil mir meine Möglichkeit der Beweisführung mit naturwissenschaftlichen Mitteln nicht anwendbar ist.


    Aber genauso bilde ich mir ein, daß es Dir Schwierigkeiten bereiten könnte, die Wirksamkeit eines Platin-Katalysators auf die Reformierung von Erdölfraktionen zu begründen. (paßt überhaupt nicht hierher).


    Wie es auch sei - uns verbindet ein gemeinsames Hobby - die Musik!! Ich zitiere den Komponisten aus der Ariadne: Die Musik ist eine heilige Kunst!


    Mit Absicht habe ich nicht den Morosus aus der schweigsamen Frau zitiert, der da sagt : "Wie schön ist doch die Musik." Natürlich weiß ich auch, was er danach zur Musik äußert. Denn das kann ich nicht bestätigen.


    La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

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  • Wenn ein Mädchen schön war, habe ich das niemals "interesselos" betrachtet und bewundert. Da gab es immer Interesse und gewisse Begehrlichkeiten. Zumindest war es so in jüngeren Jahren.


    Hallo, Chrissy,


    gucken können wir auch jetzt noch. Das bleibt, auch mit steigendem Alter. Aber weitergehende Gedanken diesbezüglich sind nicht mehr erfüllbar.


    Da ist doch die Musik dankbarer. Wünsche und Begehrlichkeiten sind unabhängig von der körperlichen Leistungsfähigkeit.


    Herzlichst La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Da ist doch die Musik dankbarer. Wünsche und Begehrlichkeiten sind unabhängig von der körperlichen Leistungsfähigkeit.


    Eventuell hat seit Kant der Begriff "Interesse" eine Bedeutungsverschiebung erfahren?
    Wir interessieren uns hier doch alle für das Schöne ...
    Und wenn der männliche Gaff-Zwang Interesselosigkeit sein soll, bedarf es schon einer kleinen Verschiebung des Sprachgebrauchs.

  • Ich nehme an, dass die meisten Theoretiker zumindest in ihrer Jugend praktiziert haben, dann aber ihren eigenen Produkten gegenüber zu kritisch waren oder erkannt haben, dass die Theorie ihnen besser liegt.

    Weil ihnen die Phantasie und Begabung fehlten, um Arbeitsergebnisse zustande zu bringen, die ihrer gehobenen Kritikschwelle genüge taten? Weil ihnen die praktische Ausübung mangels Phantasie oder Begabung nicht so sehr lag?


    Oder wo siehst Du da die Zusammenhänge? Gib doch mal bitte ein Beispiel für so einen Jugendkomponisten, der sich später aus kritischer Sicht auf seine Produkte zurückzog, um der Theorie den Vorzug zu geben. Sibelius vielleicht, weil er seine achte Sinfonie vernichtet hat?

  • Gib doch mal bitte ein Beispiel für so einen Jugendkomponisten, der sich später aus kritischer Sicht auf seine Produkte zurückzog, um der Theorie den Vorzug zu geben.


    Die beiden Musiktheoretiker, die ich gefragt habe, haben in ihrer Jugend komponiert.
    Als berühmtes Beispiel gibt es den als jugendlichen Komponisten gar nicht erfolglosen Adorno.

  • gar nicht erfolglosen Adorno.


    Ja, danke, auf den hätte ich auch so kommen können.


    Ich dachte jetzt eher auch an solche, die einen gemischten Weg gegangen sind und dabei vor allem als Lehrer reussierten, Beispiel: der von Norbert anderenorts ins Spiel gebrachte Robert Fuchs, Professor für Theorie in Wien, der als Lehrer von Mahler, Korngold, R. Strauss, Wolf, Sibelius, Schreker, Zemlinsky, des bei Alfred beliebten Melartin und anderen schon mal eher genannt wird denn als Komponist seines überschaubaren eigenen Oeuvres.

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  • Ja, lieber Wolfram, aber was Du hier einforderst, ist die subjektive Einbringung von persönlichen Erfahrungen oder von solchem Teufelszeug wie Gefühlen. Wie sich aus der einen oder anderen Äußerung ergibt, hält mancher dies für Schwäche und erklärtermaßen für etwas unbedingt zu Vermeidendes.


    Vielleicht liegt auch schlichtweg eine Überschätzung der analytischen Methode vor.


    Die analytische Methode ist griechischen Ursprungs. Will ein griechisch geprägter Wissenschaftler das Wesen der Fliege erkennen, so legt er eine Fliege unter sein Mikroskop, fängt an, einzelne Körperteile abzutrennen, zu untersuchen und zu benennen und deren Funktion zu verstehen. Er zählt und betrachtet die Beine und wie sie bewegt werden, er untersucht, warum die Flügel so schnell schwingen können, er untersucht die Facettenaugen und schließt von dort auf die optische Wahrnehmung der Fliege zurück, er untersucht den Chitinpanzer, er untersucht den Stoffwechsel und die Verdauungsorgane und schließt, wovon sich die Fliege ernährt, er untersucht ihre Fortpflanzungsorgane und und und.


    Wenn er dann die Fliege völlig zerstört hat, so dass niemand mehr anhand der Einzelteile erkennt, dass dies mal eine Fliege war, dann ist er befriedigt und sagt: „Ich habe die Fliege verstanden.“


    Es gibt andere Zugänge zur Erkenntnis. Ich nenne einen, den ich vereinfachend mal den „hebräischen“ nenne. Der hebräische Wissenschaftler sucht Erkenntnis zu gewinnen, in dem er mit dem Objekt (das ist schon ein falsches Wort, s. u.) seiner Untersuchung verschmilzt. Das merkt man schon an der Sprache: „Und Adam erkannte sein Weib, und sie ward schwanger“ (Gen 4,1). Das „Erkennen“ ist eindeutig verschmelzend gemeint! Das ist eine völlig andere Subjekt-Objekt-Beziehung als beim Griechen. Der Hebräer hebt den Subjekt-Objekt-Unterschied auf (bzw. er beginnt erst gar nicht damit), er geht eine erotische Symbiose mit dem Gegenstand ein, über den er Erkenntnis zu gewinnen sucht. Es ist ein achtungsvoller Zugang auf Augenhöhe, der das Gegenüber nicht zerstört, sondern als Ganzes belässt und in seiner Würde wahrnimmt.


    Der hebräische Wissenschaftler würde sich in Gedanken in eine Fliege hineinversetzen, würde überlegen, wo es Futter gibt, welche Feinde lauern, was man als Fliege bei Wind oder Regen macht usw. usw.


    Ich will nicht sagen, dass der eine Zugang besser oder schlechter als der andere sei. Jeder hat seine Stärken und seine Schwächen. Aber wer den analytischen Zugang in Reinkultur vertritt (ich sage nicht, dass irgend jemand im Forum das tut) und ein musikalischen Stück mit analytischen Mitteln zerlegt und Teile benennt und am Ende sagt „Ich habe das Stück verstanden“, der weiß gar nicht, wie viel er nicht weiß.


    Wenn ein griechischer Wissenschaftler verstehen wollte, warum er seine Frau liebt, dann würde er seine Frau unters Mikroskop legen und … na ja, Ihr wisst schon. Er wird vermutlich keine Erklärung finden. Das ist aber nur die eine Hälfte des Problems.


    Dass seine Liebe zu seiner Frau auch mit seinen eigenen Eigenschaften zu tun hat, auf die Idee kommt er erst gar nicht. Er verortet „Liebe“, „Schönheit“, „Wohlgeruch“ usw. immer nur am „Objekt“, nie an seinen eigenen Eigenschaften. Das ist die andere Hälfte des Problems, die sich hier in einigen Beispielen geradezu idealtypisch offenbart und zu völlig absurden Folgerungen führen kann. („Wenn meine Frau Eigenschaften hat, die dazu führen, dass ich sie liebe, dann müssen alle anderen Männer sie auch lieben …“)


    Unnötig zu erwähnen, dass der hebräische Wissenschaftler die Frage, warum er seine Frau liebt, aus dem Stegreif beantworten würde.


    Kunst ist das, was übrigbleibt, nachdem alles an ihr bis ins Letzte analysiert worden ist. (Martin Kessel)

  • Mir kommen Bedenken, Herr Wolfram, ob Diskussionen mit Menschen, die nicht einmal ein gekochtes Ei zubereiten können, zu nennenswerten Ergebnissen führen können


    Lieber hami1799.


    Das mit dem gekochten Ei war m. E. ein Konditionalsatz, der mit praktischen Kenntnissen wenig am Hut hat (wahrscheinlich habe ich auch nur Deinen Sarkasmus nicht kapiert?).



    ob Beiträge, verfasst zu schlaftrunkener Stunde

    6 Uhr 38?!!



    Als nach gängigen Kriterien unmusikalischem Hörer kann ich leere Quinten und den Unterschied zwischen H- und C-Dur nur auf dem Papier erkennen

    Das müsste man nicht in einen Topf werfen (Deinen unmusikalischen Hörer werte ich als "Widerspruch erwartend", was ich hiermit tue). Wer auf einem Instrument, das eine Quinte anschlagen ermöglicht, dies tut, auch in div. Tonarten und -geschlechten, wird sich eine Quinte, nach einiger Wiederholung, einprägen und z. B. von einer Quarte unterscheiden können. Anders die Tonleitern H- und C-Dur, sie liegen nur einen Halbtonschritt auseinander, sind ansonsten aber identisch, Terz, Quarte, Quinte, Sexte usw. einschl. der Lage der Halbtöne (und die Tonartencharakteristik ist eh umstritten). Ich bin mir ziemlich sicher, dass ein Großteil der Mitglieder nicht unterscheiden kann, wenn "H" oder "C" oder der entspr. Dur-Dreiklang angeschlagen wird, ob es nun H oder C ist (davon ist zu trennen, wer sich ein bestimmtes Musikstück so eingeprägt hat, dass es mit der Originaltonart im Gedächtnis abgespeichert ist - siehe Thread "Absolutes Gehör").


    Also, keine unangebrachte Bescheidenheit - von ??? Mitgliedern - Semi- und Berufsmusiker u. ä. - abgesehen (einige davon sind schon deutlich erkennbar), sind die Unterschiede meine ich marginal.


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Betr.: Zit. kurzstueckmeister:
    Eventuell hat seit Kant der Begriff "Interesse" eine Bedeutungsverschiebung erfahren?
    Wir interessieren uns hier doch alle für das Schöne ...“

    Professor La Roche sitzt in seinem Labor. Vor ihm eine Apparatur für ein Experiment zur Optimierung der Erdölfraktion mittels Einsatzes von Platin-Katalysatoren. Eine kleine Scheibe Platin liegt vor ihm auf dem Tisch. Sein Assistent hat sie ihm gerade gebracht, mit dem Kommentar, sie bestehe aus reinem Platin. Gut, denkt Professor La Roche, dann entspricht sie voll meinen Interessen: Sie kann ihre Funktion erfüllen. Ich muss nur noch überlegen, wie sich sie zurechtschneide, damit sie in die Sonde passt und dennoch eine maximale Oberfläche bietet.
    Er greift zur Blechschere. Da bemerkt er, dass sich auf der Platinscheibe eine feine, aber dennoch markante Gravur befindet. Er stutzt. Schaut genauer hin. Je länger er das tut, desto mehr ist er in Bann geschlagen. Die Gravur reflektiert einerseits die äußere Form der Scheibe, die ihm mit einem Mal gar nicht mehr als eine zufällige, sondern eine gewollte erscheint. Andererseits tritt diese Gravur an bestimmten Stellen in ein Spannungsverhältnis zu dieser äußeren Form. Und dort, wo das geschieht, sitzen winzige Goldsplitter.
    So sitzt er da und staunt über die Schönheit dieses kleinen Werks. Sein Experiment hat er vergessen. Als – nach einer Viertelstunde – sein Assistent den Laborraum betritt, stutzt er erst einmal, anlässlich des Bildes, das sich ihm da bietet. Dann kommt es zu folgendem Dialog:
    „Nanu, Herr Professor, stimmt was nicht? Ist das etwa doch kein reines Platin?“
    „Doch doch, daran besteht kein Zweifel.
    „Warum setzen sie die Scheibe dann nicht in die Sonde ein?“
    „Ich kann nicht.“
    „Wie bitte? Warum denn nicht?“
    „Sie ist zu schön. Ich kann sie nicht zerschneiden. Das geht einfach nicht.“
    „Aber sie entspricht doch völlig ihren Interessen“.
    „Hab ich auch gedacht. Aber als ich bemerkte, dass das ein so schönen Schmuckstück ist, waren meine Interessen wie weggeblasen. Dieses kleine Werkchen strahlte in seiner Schönheit einfach so vor sich hin. Und Sie haben mich eben in diesem reinen, sozusagen völlig interesselosen Schauen vorgefunden.“
    Kurze Pause, dann:
    „Ich verstehe zwar nichts, aber ich versuche ein neues Stück Platin aufzutreiben.“
    „Sie können ja auch gar nichts verstehen. Sie haben ja nicht gesehen, was ich gesehen habe. Aber gut, bringen Sie mir eine neue Scheibe Platin. Aber dieses Mal bitte nur rein, - nicht auch noch schön.“
    (Assistent geht kopfschüttelnd ab)

  • Ach, Herr Zweiterbass,


    worüber echauffiert Er sich denn? Er hätte weiterlesen müssen, wenigstens bis zum nächsten Satz. Von Sarkasmus keine Spur.


    Übrigens, ich wollte selbst mal Eier weichkochen. Es ist mir nicht gelungen. Nach 30 Minuten waren sie immer noch hart.


    Die Kernfrage war aber eine andere. Wie unterscheidet sich der Musiker vom Nichtmusiker bei der Rezeption eines musikalischen Werkes und ist es immer ein Vorteil, alles zu hören? Vielleicht ärgern sich die Experten viel öfter über ein vermeintlich schlechtes Dirigat oder über eine schwache Orchesterleistung.


    Allerdings habe ich auch schon das Gegenteil erlebt. Es war Ende der Sechzigerjahre und es gab Lohengrin unter Bohumil Gregor in Stockholm. Gleich nach den ersten Noten der Ouverture kam eine Streichergruppe aus dem Tritt und einige Takte lang spielten sie Schönberg.


    In der Pause traf ich Siv Wennberg, eine angehende Sängerin, die den Lohengrin zu ersten Male hörte. Ich sprach sie auf dieses Mißgeschick an und - da staune doch einer - sie hatte nichts gehört, dabei war sie eine der musikalischsten Studenten an der Musikhochschule. Natürlich, sie kannte den Lohengrin nicht und ich ihn fast auswendig. Aber trotzdem, das war ja kein Schönberg, der gespielt wurde.


    So kann es auch mal gehen, das ist aber nicht die Regel.

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  • Frage hami1799: "Wie unterscheidet sich der Musiker vom Nichtmusiker bei der Rezeption eines musikalischen Werkes "


    Diese Frage hat mich auch immer schon interessiert. Nach all dem, was ich darüber weiß und gelesen habe, meine ich: Im wesentlichen besteht zwischen einem Musiker und einem Nichtmusiker, der ein guter Kenner klassischer Musik ist, kein großer Unterschied, was die Rezeption des Werkes selbst anbelangt. Es hängt ein wenig davon ab, ob der Musiker in der musikalischen Gattung tätig ist, von der beide gerade gemeinsam ein Werk hören. Der Musiker wird dabei auf etwas achten, was dem Nichtmusiker vermutlich entgeht.


    Solche Fragen nämlich: Wie wird dieses Musikstück handwerklich(!) realisiert. Wo ist die erste Geige zum Beispiel nicht präsent genug? Wie steht es mit der Balance der Instrumentengruppen? Wie reagieren die Musiker auf das Dirigat? Ist das Spiel der Hörner sauber intoniert? usw.


    Ob das aber im Endeffekt, das heißt im Konzerterlebnis selbst, einen wesentlichen Unterschied mit sich bringt, möchte ich bezweifeln. Ich denke eher, dass der Musiker, wenn er von dem Konzert wirklich "etwas haben will", seine "analytischen Ohren" abschalten wird.

  • Übrigens, ich wollte selbst mal Eier weichkochen. Es ist mir nicht gelungen. Nach 30 Minuten waren sie immer noch hart.


    Ganz ohne Spott, ich meine das ganz ernst: Ein Eierkocher, eine Eieruhr oder ein Kochkurs hätte negative
    (Erge)b(n)isse erspart.
    :hahahaha:
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Ob das aber im Endeffekt, das heißt im Konzerterlebnis selbst, einen wesentlichen Unterschied mit sich bringt, möchte ich bezweifeln. Ich denke eher, dass der Musiker, wenn er von dem Konzert wirklich "etwas haben will", seine "analytischen Ohren" abschalten wird.


    Hm, lieber Helmut, bist Du da sicher?


    Jedenfalls danke ich Dir für Deine trostreichen Worte. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich in früheren Jahren selbst dem Spitzentöne-Snobismus verfallen war. Ein strahlendes C war das Non plus ultra der Gesangskunst und daher Birgit Nilsson die einzige Isolde in meiner Opernwelt.


    Gott sei Dank, möchte ich sagen, hat sich in dieser Hinsicht meine Sicht erweitert und eine neue Isolde, Hildegard Behrens unter Bernstein, hat jetzt die Favoritenrolle übernommen. Sie hat zwar nicht die stimmlichen Mittel der Nilsson doch dafür die Begabung des Ausdrucks und eine wunderbare Anpassungsfähigkeit zu den Intentionen Bernsteins, der, wie mir es scheint, nicht die verklärte, sondern die schmerzerfüllte Isolde dem Hörer nahe bringt.


    Hier würde mich die Meinung eines Berufsmusikers interessieren.


    Grüße aus Stockholm!

  • Zit.:
    Hm, lieber Helmut, bist Du da sicher?


    Nein, lieber hami1799. Das bin ich mir nicht. Oder genauer: Nicht ganz. Mir fehlen leider eigene Erfahrungen in Form von Gesprächen mit Musikern. Aber ich stütze mich auf mir in gedruckter Form vorliegende Äußerungen von Musikern und Interpreten über die Art und Weise, wie sie Konzerte erlebt haben.


    Gerade eben etwa Schilderungen von Alfred Brendel über sein Erlebnis eines Fischer-Dieskau-Liederabends. Kein Wort über das Agieren des Pianisten (was ich eigentlich erwartet hätte). Statt dessen die Beschreibung eines Höreindrucks und Konzerterlebnisses, in der ich mich selbst - als Nicht-Musiker - voll und ganz wiederfinden konnte.

  • Von J. S. Bach wird berichtet, dass er gelegentlich mit einem seiner Söhne in die Dresdener Oper fuhr. De Söhne berichteten, dass der alte Bach nach ersten Einsatz eines Fugenthemas sofort sagte, welche kontrapunktischen Kunststücke man damit vollführen könne wie etwa ein-, zwei-, dreifache Engführungen, und dass er sich freute, wenn seine Vorhersage dann im Laufe des Stückes erfüllt wurde.


    Bach hat seine analytischen Ohren offenbar nicht abgeschaltet.


    Und auch Helmut hat ja gelegentlich berichtet, wie sehr sein Wissen um Analyseergebnisse seine Musikerlebnisse im Konzert vertieft.


    :hello:

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  • De Söhne berichteten, dass der alte Bach nach ersten Einsatz eines Fugenthemas sofort sagte, welche kontrapunktischen Kunststücke man damit vollführen könne wie etwa ein-, zwei-, dreifache Engführungen, und dass er sich freute, wenn seine Vorhersage dann im Laufe des Stückes erfüllt wurde.


    Was weiß man sonst von Bach. Hat er seine Kunst als Handwerk betrachtet? Ich erinnere mich an ein Gespräch mit einem Klarinettisten der Stockholmer Oper.


    Er wollte einen jobbarkompis besuchen, das entspricht im Deutschen einem Arbeitskameraden in einer Werkstatt. Hier war aber ein Mitglied des gleichen Orchesters gemeint. Ich war damals einigermaßen überrascht, habe aber später einigemale gehört, wie sich andere Mitgliedern des gleichen Orchesters in ähnlicher Weise über ihre "Arbeit" geäußert haben. Das Orchesterspiel auf hohem Niveau scheint auf Manche eine abstumpfende Wirkung zu haben. Geht ein solchermaßen Millieugeschädigter dann ins Konzert als Hörer, fallen ihm vermutlich nur die Fehler auf.


    Wieviel schöne Stellen bleiben eigentlich einem im Dienst ergrauten Orchestermusiker zum Genießen?

  • Zit.: "Wieviel schöne Stellen bleiben eigentlich einem im Dienst ergrauten Orchestermusiker zum Genießen? "


    Diese Frage von hami1799 führt - und das ist erfreulich - zur Thematik dieses Threads wieder zurück. Und diesbezüglich meine ich nun:


    Ob aktiver (vielleicht "im Dienst ergrauter") Musiker, Komponist oder einfacher, die klassische Muisk liebender Konzertbesucher: Sie alle sind gleichermaßen(!) in der Lage, musikalische Schönheit zu erfassen und hörend zu genießen. Und ich meine ferner: Der - möglicherweise zum analytischen Hören neigende - Komponist oder Musiker wird seine diesbezüglichen Ohren abschalten müssen, wenn er diese Schönheit wirklich vernehmen wird. Ansonsten hört er nämlich nur "Strukturen" oder das unsauber intonierte Horn.

  • Ansonsten hört er nämlich nur "Strukturen" oder das unsauber intonierte Horn.


    Schon wieder diese Schwarz-Weiß-Malerei ...


    ... ist es denn Eurer Meinung nach wirklch ausgeschlossen, dass ein Musiker gleichzeitig einen falschen Ton hört und trotzdem "weiß", was sich gerade emotional in diesem Stück ereignet?


    Das meine ich nicht. Gerade Musiker sind diesen geistigen Spagat gewohnt. Sie versuchen einerseits hellwach zu sein, um zu wissen, "wo sie gerade sind" (einmal in formaler Hinsicht, aber auch, ob gerade eine Steigerung vorbereitet wird oder oder oder), gleichzeitig vollkommen locker, um die horrend schwierige Terzenstelle sauber zu bewältigen und den folgenden Triller rund herauszubringen und trotzdem auch mal selbstvergessen ganz dem Stück hingegeben.


    Ich würde das eher für den Normalfall halten.


    :hello:

  • Hallo,
    für diesen Beitrag habe ich anders zitiert, um jeden möglicherweise falsch zu verstehenden persönlichen Bezug zum Zitierten zu vermeiden. Die Angabe der Nr. schien mir sinnvoll, um das Lesen des ganzen Beitrages, aus welchem das Zitat stammt, zu ermöglichen.


    Nr. 116
    "Wenn ich sage "Thüringen ist ein schönes Land" (was hier schon gesagt wurde und ganz sicher zustimmungfähig ist) oder "Dies Bildnis ist bezaubernd schön", - dann ist durch das Hilfsverb "ist" eine Relation zwischen Subjekt und Adjektiv hergestellt. Dem "Subjekt" (Thüringen, Bildnis) wird eine Qualität zugesprochen, die es "an sich" aufweist, nämlich "schön" zu sein.
    Derjenige, der eine solche Aussage macht, unterstellt also, dass seine subjektive Erfahrung des "schön Seins" einer Sache nicht absolut subjektiv ist, sondern von anderen nachvollzogen werden kann, eben weil es eine Eigenschaft der Sache selbst ist."


    Nicht auf Thüringen bezogen: Was macht nun Derjenige, der eine Sache als schön empfindet, dieses Empfinden äußert, dies also zu einer Aussage macht und sie deswegen zur Eigenschaft der Sache macht, wenn sein Empfinden nicht oder nur in sehr geringem Umfang nachvollzogen wird?




    Nr. 130
    "Wie es auch sei - uns verbindet ein gemeinsames Hobby - die Musik!! Ich zitiere den Komponisten aus der Ariadne: Die Musik ist eine heilige Kunst!"


    Diese "Einzelmeinung" kann akzeptiert werden und ist in der Oper nicht anders kommunizierbar; sie wird für Andere (die u. U. anfänglich nicht gleicher Meinung sind) nachvollziehbarer, wenn argumentativ unterlegt wird.




    Nr. 121
    "Warum soll nun eine Diskussion darüber begonnen werden, ob es "absolut subjektive" Urteile gibt? Wer wäre denn völlig unabhängig in seinem Urteilen von seiner Umgebung, von seiner Geschichte, von seinen Erfahrungen? Das ist genauso unsinnig wie die Annahme der Möglichkeit eines "universell und zeitlos gültigen" ästhetischen Urteils."


    Auf den Thread "Ergebnisse der Hirnforschung, was wir schon immer wissen wollten" sei verwiesen.




    Nr. 126
    "Ja, lieber Wolfram, aber was Du hier einforderst, ist die subjektive Einbringung von persönlichen Erfahrungen oder von solchem Teufelszeug wie Gefühlen. Wie sich aus der einen oder anderen Äußerung ergibt, hält mancher dies für Schwäche und erklärtermaßen für etwas unbedingt zu Vermeidendes. Man könnte hier einen wie auch immer gearteten Schutz- oder Abwehrmechanismus vermuten, oder auch sonstige Ursachen. Auf mich persönlich wirkt ein solcher Objektivismus wenig authentisch und nicht sehr vertrauenerweckend. Andererseits empfinde ich Menschen, denen es bedauernswerterweise nicht gelingt, dieses Gefängnis ihrer selbst zu durchbrechen, auch wenig interessant -"


    Dazu möchte ich einwenden/ergänzen, dass es schwierig vorkommen mag, persönliche Erfahrungen oder "das Teufelszeug von Gefühlen" in für Leser/innen verständliche Worte zu fassen. Aber der Versuch ist es doch allemal wert - ist es ein Flop, na dann ist es eben einer - kommt dagegen Reaktion, dann kann es der Beginn eines wertvollen Gedankenaustausches werden. Auf den Thread "Musik, die emotional stark bewegt" sei verwiesen, mit dem dort vorhandenen Problem, dass meine Beispiele nicht allgemein genug sind, Interesse für Reaktionen zu wecken und Beispiele von allgemeinem Interesse nicht kommen.



    Nr. 136
    "Vielleicht liegt auch schlichtweg eine Überschätzung der analytischen Methode vor."


    Der Versuch, Musik objektiv analytisch zu bewerten, wird stets subjektive Merkmale beinhalten, weshalb dies nie überschätzt werden sollte; es wird immer nur der Versuch bleiben (auch bei allgemein akzeptierten Experten) müssen, subjektiv Empfundenes zu objektivieren.



    Nr. 112
    "Ich bleibe dabei: Intersubjektive Urteile über Musik sind möglich und begründbar, aber ohne den Anspruch der Allgemeingültigkeit.
    Es wäre bedauerlich, wären sie überhaupt nicht möglich.
    Eine konkrete Anwendung des ästhetischen Konzepts der musikalischen Schönheit kann aber nicht den Status des Objektiven erreichen.
    Es wäre wiederum bedauerlich, wäre es anders ..."


    Ob der von mir vor Monaten gestartete Versuch/Thread "Musik, die emotional stark bewegt" vom Ansatz her richtig war, sei dahingestellt. Den Versuch allein deswegen für falsch zuhalten, weil bewegt nicht unbedingt schön sein muss, halte ich für kleinkariert - bewegt ist m. E. sicher das spezifischere Adjektiv, um zu einem Gedankenaustausch zu kommen, was Musikhörer in einem Musikstück oder Teilen daraus für wert halten, sich Gedanken darüber zu machen, warum dieses Musikstück für ??? so eine Wirkung hat.


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

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