Bach: Johannes-Passion

  • Hallo!


    Es ist nun gut ein Jahr her, dass ich die Johannes-Passion kennen gelernt habe. Heute habe ich sie mir wieder hervorgenommen - und ohne groß einen Text zu verfassen, welche Chöre, Arien mir gefallen oder nicht - ohne die etwas skeptischen Äußerungen vom letzten Jahr: HEUTE spricht mich diese Passion an! Rein musikalisch wirkt sie, gerade im Gegensatz zum vergangenen Jahr - nicht instrumental leer.
    Eigentlich weiß ich gar nicht, wie ich es anders ausdrücken soll, als dass es heute sehr ansprechend ist. Die Ausschnitte, welche mich schon 2007 überzeugten und begeisterten, tun dies auch fernerhin. Aber viel wichtiger für mich ist das Gesamtkonzept der Musik wirkt auf mich "geschlossen" gut.


    Was die Zeit wieder mit sich bringt...
    Meine Skepsis gegenüber manchem Text/Geschehen-Ton-eigenesGefühl muss ich aber nochmals überprüfen - das ist nun beim ersten erneuten Hören nicht gelungen.


    Eine Frage habe ich nur: Die Arie „Es ist vollbracht“ singt nicht Jesus oder irre ich da?! Er spricht diese Worte – zuvor, gequält, aber irgendwie wirkt die Stimme auch fest und einfach ‚schnell fertig werden wollen’ (der letzte Atemzug…). Die Arie im Anschluss ist ja sehr sanft und gefühlvoll, aber da es 1.eine weibliche Stimme ist, habe ich mich gewundert und 2.im Booklet steht, dass es eben ein Alt ist, welcher hier singt. Soll dies einfach nur eine Bachsche Nachwirkung sein, dessen, was geschehen ist – der vollbrachte würdige Opfertod?


    LG
    Maik

    Wie ein Rubin auf einem Goldring leuchtet, so ziert die Musik das Festmahl.


    Sirach 32, 7

  • Zitat

    Original von Maik
    Hallo!


    Eine Frage habe ich nur: Die Arie „Es ist vollbracht“ singt nicht Jesus oder irre ich da?! Er spricht diese Worte – zuvor, gequält, aber irgendwie wirkt die Stimme auch fest und einfach ‚schnell fertig werden wollen’ (der letzte Atemzug…). Die Arie im Anschluss ist ja sehr sanft und gefühlvoll, aber da es 1.eine weibliche Stimme ist, habe ich mich gewundert und 2.im Booklet steht, dass es eben ein Alt ist, welcher hier singt. Soll dies einfach nur eine Bachsche Nachwirkung sein, dessen, was geschehen ist – der vollbrachte würdige Opfertod?


    LG
    Maik


    Lieber Maik,


    schön, dass die Johannes-Passion Dir nun besser gefällt!


    Zu Deiner Frage nach der Alt-Arie: Solchen Arien werden manchmal in die Handlung eingeschoben als ein betrachtendes, meditatives Innehalten; das gerade Geschehene wird auf diese Weise noch einmal reflektiert und unter Umständen auch theologisch bewertet. Die Stimme, die hier spricht oder besser singt ist die sogenannte "gläubige Seele", während in den Chorälen meist die ganze Gemeinde kommentierend zu Wort kommt. Bei Bach wird diese "gläubige Seele" oft der Altstimme zugeordnet.


    Mit Gruß von Carola

  • Guten Abend


    Zitat

    Original von Daniel Behrendt
    Hallo Oolong,
    [-Masaaki Suzuki und sein Bach Collegium Japan - die Einspielung könnte selbst für viele deutsche Sänger als Lehrbeispiel für eine makellose Diktion herhalten. Bei aller Perfektion ist die Aufnahme dennoch nie unterkühlt. Ich staune über dieses enorme Maß an Einfühlung in die christliche Frömmigkeit. Dieser "Blick" von außen" wirkt extrem "insidermäßig"!


    Zwischenzeitlich besitze ich auch die mittlerweile 10 Jahre alte Einspielung



    mit Chor u. Orchester des Bach Collegium Japan.
    Masaaki Suzuki hat die Vesion von 1749 eingespielt, Bach hier setzte zur Continuostimme ein Kontrafagott ein.
    Ein im Leipziger Instrumentenmuseum ausgestelltes Kontrafagott -auch "Bassono grosso" genannt-,
    vom Nordhausner Instrumentenbauer Andreas Eichentopf -wohl ein Verwander des in Leipzig tätigen Instrumentenmacher Johann Eichentopf-
    fertigte dieses mit einer Rohrlänge von 4,50 m und Höhe von 2,70 m große Ungetüm.
    Weiterhin komponierte Bach für die Aufführung einen Cembalospart;
    in der Erstfassung von 1724 spielte wohl auch schon ein Cembalo mit,
    ein Aktenvermerk und eine Quittung für Bach für das Stimmen und die Reperatur des Cembalo sind erhalten.
    Einige Arien -z.B. "Ich folge dir..." wurden auch umtextiert.
    Das kleinbesetzt Bach Collegium Japan macht instrumental seine Sache ganz richtig,
    sie wissen mit dem barocken Instrumentarium umzugehen; der Chor (28 Leute ?)
    wirkt klanglich ausgewogen und verständlich.
    Der Evangelist (Gert Türk) beeindruckt.
    Beim Altisten und dem Sänger der Tenorarien (Y. Mera bzw. M. Sakurada) fehlt gelegendlich die Textverständlichkeit,
    die Jesusworte, gesungen von C. Urano haben mir zuviel Parthos.
    Einhören muss man sich in den für mich oft aufdringlichen Cembalopart,
    zumal wenn man die JP mehr mit einem Orgelcontinuo kennt.
    Das ist für mich mehrmals des Guten zuviel (besonders in den Chören und Chorälen).
    Bei den Rezitativen "..und geißelte ihn" und "Und siehe da, der Vorhang im Tempel zerriss.." bringt das Cembalo
    aber einen überzeugenden lautmalerischen Effekt.


    Gruß :hello:


    aus der Kurpfalz


    Bernhard

  • Letztens habe ich mir die alte Aufnahme mit Karl Forster angehört, weil ich wissen wollte, wie der Namensgeber des Chores, in dem ich singe, das Werk angeht, das wir gerade einstudieren.



    Und am liebsten hätte ich das gleich nach dem Eingangschor wieder ausgemacht. Nicht nur, dass alles sehr dick und breit daher kommt (ich weiß, dass das damals so Mode war), auch der Chor hat mich mit zu späten Einsätzen und unsauberer Sprache eher enttäuscht.
    Was mich dann aber doch die ganze Aufnahme durchhören ließ, waren die exzellenten Solisten, voran Fritz Wunderlich als Evangelist. Das hat mich schon sehr beeindruckt.
    Fazit für mich: Nicht mein Ding, trotzdem war es sehr interessant, diese Aufnahme kennenzulernen.



    LG, Peter.

  • Auf der Suche nach der richtigen Aufnahme der Johannes-Passion für mich habe ich mir drei Weitere angehört.



    Von den Dreien hat mir der Harnoncourt am Wenigsten gefallen. Nicht nur, weil Knabenchöre (und dann noch Knabensolisten) nicht so ganz mein Fall sind, ich empfand Manches auch als etwas leichtgewichtig und naiv gespielt. So, als ob die Passion mal eben so durchgestanden wird und keinerlei Anstrengungen oder Leid mit sich bringt.


    Ganz anders und ernsthafter dann die beiden anderen Aufnahmen. Aber auch hier konnte mich keine hunderprozentig zufriedenstellen.
    Bei Veldhoven hat mich der Ansatz gestört, alles mit Solisten und Ripienisten zu bestreiten, also komplett ohne Chor. Das ist zwar ganz interessant, aber wenn die Jüden in den Turbae-Chören schreien und geifern, dann wirkt das etwas lächerlich, wenn nur 4 Leute singen. :wacky: Es wird ja nicht schlecht gesungen, aber ich brauche da etwas mehr Fülle.


    Herreweghe konnte mich in diesem Punkt mehr überzeugen, die Chöre waren allesamt sehr überzeugend. Auch die Solisten waren toll (ich hätte aber generell auch lieber eine Altistin). In der Einspielung stört mich aber die verwendete Fassung. Herreweghe lässt die zweite Version spielen, die Bach 1725 aufführte. Und das sind teilweise schon einschneidende Veränderungen. Der Anfangschor "Herr, unser Herrscher" ist z.B. komplett ausgetauscht, genauso wie der Schlusschoral durch einen anderen Chor ersetzt wurde.
    Also eigentlich wäre es die perfekte Aufnahme für mich, aber ich hätte schon gerne die übliche Fassung.


    Meine Suche geht also weiter (da gibt es ja noch einige Kandidaten).


    :hello:


    LG, Peter.

  • Die alte, schon historisch zu nennende Erstaufnahme mit Orginalinstrumenten, die eigentlich noch unter der Gesamtleitung von Hans Gillesberger und nicht Harnoncourts entstand, kann man nun sehr schlecht mit den anderen, wesentliche neueren Aufnahmen van Veldhovens und Herreweghes vergleichen. 1965 war man einfach noch nicht soweit, von daher ist dieser Vergleich nicht sehr fair.
    Die makellose technische Beherrschung der alte Instrumente und vor allem die stilistisch-interpretatorische Entwicklung steckte noch in den Kinderschuhen.
    Viel eher ist schon die spätere Erstaufnahme der Matthäus-Passion auf Originalinstrumenten unter Harnoncourts Gesamtleitung einem hörbar ausgebildetem Ideom der Bachschen Klangrede verpflichtet.
    Von dem, was durch solche Pioniertaten, durch jahrzehntelanges Forschen und vor allem noch mehr Spielpraxis entdeckt und entwickelt wurde, profitieren die späteren Interpretationen, etwa van Veldhovens oder auch Herreweghes.


    Um hier einen wirklichen Vergleich auf Augenhöhe zu hören, sollte man zu dieser Aufnahme Harnoncourts aus dem Jahre 1994 greifen, die mit der Erstaufnahme nicht mehr viel zu tun hat:



    Hierzu habe ich weiter oben im Thread schon einiges bemerkt...


    Neben den für mich überzeugenden solitischem Leistungen gefällt mir an dieser Interpretation insbesondere das sehr dynamische und durchdachte Dirigat Harnoncourts.
    Den Eingangschor beispielsweise habe ich noch nicht eindringlicher und gleichzeitig logisch aufgebauter gehört als gerade hier.
    Neben den heftig unter die Haut gehenden dreimaligen "Herr" - Ausrufen denke ich dabei z.B. an die im Kontrast hierzu stehenden fugierten "Zwischenspiele", beginnend im Chorbass, Takt 33,




    die hier leiser, mit einer weichen Glockentondynamik und als bittender Beginn einer sich aufbauenden Phrase musiziert und verstanden werden.
    Diese endet auf der Eins von Takt 35, während dort der Sopran auf der gleichen Zählzeit einen neuen, ähnlichen "Zyklus" beginnt.


    Oder auch der effektvolle Basseinsatz Takt 58, nach der Generalpause:



    Hier wird weich eingesetzt, im gestischen Sinne einer liebevollen, geradezu kindlichen Bitte, die in den weiteren Stimmen wiederholt vorgetragen wird.
    Es ist so, als ob man jemanden sehr eindringlich zu etwas auffordert, aber den enthaltenen Imperativ ("Zeig") nicht durch grosse Lautstärke, sondern im Gegenteil mit leiser Stimme und gleichzeitig mit einer umso stärkeren, flehenden Handbewegung zum Ausdruck bringt.
    Durch das glockentonartige, elegante Zurückfedern auf den jeweils die Phrasen beginnenden 4teln, erhalten die Worte "Herr" und "Zeig" eine verstärkte rhetorische Bedeutung. Die Wiederholungen in allen Stimmen tun ihr Übrigens hierzu.
    In dieser plastischen und emotionalen Eindringlichkeit höre ich solche Dinge eigentlich nur bei Harnoncourt, weshalb ich seinen Ansatz hier sehr schätze.


    Ähnliches gilt für die, an den harmonischen Progressionen ausgerichteten grossdynamischen Bögen der Streicher. Diese spielen eine sich wiederholende 16-tel-"Drehfigur", die wohl die innere Bewegtheit einer grossen Menschenmasse darstellen soll.
    Ähnlich wie beim Eingangschor der Matthäus-Passion arbeitet Bach hier im Continuo-Bass mit einem Orgelpunkt, hier allerdings im pulsierenden Bogenvibrato auf jeweils 4 Achtelnoten.
    Darüber entwickeln die Oboen ihre chromatische, dissonante Kreuzes- und Passionsklage.




    Dort, wo der z.B. Orgelpunkt von g auf d wechselt ( die Takte, über denen der Stempel zu sehen ist) wird von Harnoncourts Streichern der Auf- und Abbau von Spannung schön ausgespielt.
    Detaildynamisch haben bei ihm immer die ersten Noten einer Vierergruppe unter einem Bogen ein stärkeres dynamisches und bei Anfängen, wie Takt 1, auch agogisches Gewicht.


    In dieses wogende, sehr in den Bann ziehende Orchesterspiel fällt dann der Chor mit seinen Ausrufen ein, die bei Harnoncourt schon nach einem markerschütternden Aufschrei klingen.


    Diese dreimalige Anrufung des dreieinigen Gottes wird ja im Barock normalerweise in einem schön harmonischen Dur-Dreiklang in Grundstellung dargestellt: Prime =Vater(Basis von allem), Terz= Sohn( der alles Bestimmende, der auf den es ankommt), Quint= Heiliger Geist ( der Leben Einhauchende, der über allem Schwebende)
    In der Sopranarie "Herr der du stark und mächtig bist" aus BWV 10 kann man das schön im aufsteigenden Dreiklangsarrpeggio nachvollziehen.


    Hier jedoch, im Eingangschor "Herr, unser Herrscher" ist nichts mehr von dieser Pracht zu hören.
    Mit jedem Ausruf geht die Tonhöhe nach unten, ein Hinweis auf den Sohn, der sich selbst erniedrigte.
    Das dritte "Herr" ist sogar mit einem verminderten Eb-Akkord mit übereinandergeschichteten kleinen Terzen harmonisiert, die über dem Orgelpunkt g sehr dissonant klingen.
    Bachs alt-lutherische Sicht, dass Christus in seiner grössten Verherrlichung erkannt werden kann, wenn man auf ihn als Gekreuzigtem, also in grösstmöglicher Erniedrigung (als Ausdruck der Liebe Gottes) blickt, kommt in diesem Eingangschor durch die verwendeten, stark die Emotionen ansprechenden Figuren zum Ausdruck.


    Aus diesem Grunde finde ich Harnoncourts starke Dynamik bei den Ausrufen sehr überzeugend, nicht zuletzt auch deshalb, weil er auch die weichen, bittenden Nebenaffekte des Satzes, wie oben beschrieben, aufspürt und sie beseelt ausmusiziert.


    Letztendlich muss man die CD selbst hören, um die Dinge, die ich hier versucht habe zu beschreiben, auch nachempfinden zu können.
    Von "leichtgewichtig und naiv gespielt" ist hier wirklich nichts zu hören.
    Man wird als Hörer vielmehr in das Leiden hineingenommen und manchmal auch durch die Affekte geradezu durchgerissen.
    Ich kann diese Aufnahme aus musikalischen Gründen also sehr empfehlen, auch wenn sie in klanglicher Hinsicht noch nicht in variabler, kleiner Chorbesetzung und auch nicht mit Doppelcontinuo Cembalo/grosse Orgel realisiert wurde.
    Rein aufnahmetechnisch hört es sich für mich ebenfalls sehr gelungen an.


    Gestern haben meine Frau und ich uns den ersten Teil der unlängst erstandenen DVD Suzukis angehört.



    Ich wüsste gerne, ob es dieselbe Aufnahme ist, die Bernhard oben als CD erwähnte.


    Jedenfalls kann ich mich auch an dieser Live-Aufführung erfreuen.
    Es ist ja immer interessant, wenn man die Musiker auch sehen kann.
    Allerdings ist es mir gestern so ergangen, dass ich mit geschlossenen Augen viel mehr von dem höre, was die da eigentlich machen...


    Sehr gut gefällt mir die makelos intonierende und schlank singende Sopranistin Midori Suzuki :jubel:
    Ihre Aussprache der deutschen Sprache ist deutlicher und akzentfreier als die des aus England kommenden Altus Robin Blaze (!), der ansonsten aber durchaus überzeugen kann.
    Gerd Türk muss man in diesem Live-Zusammenhang eine gute Leistung bescheinigen. Klitzekleine und selten vorkommende Intonationsfehler seien ihm verziehen.
    Stephan MacLeod als Christus überzeugt mich mit seinem eher blassen Ausdruckswillen und dem baritonal hellen, wenig voluminösen Timbre weniger.
    In Bachs Passionen sollte Christus immer am würdigsten von allen Stimmen klingen, d.h. man sollte im Idealfall eine tiefe und warme Bassstimme hören.


    Klanglich bin ich von der polyphon sehr transparenten Darstellung von Orchester und Chor sehr angetan, genauso auch von der allgemeinen Reife und Ausgewogenheit der Interpretation.
    Von der Intensität der kontrastierenden Affekte her wünsche ich mir aber vor allem dann mehr, wenn sie sich in instrumentaler Klangrede wiederspiegeln sollen.
    Es ist alles vorhanden, aber ich könnte mir manchmal etwas mehr Leidenschaft wünschen. Langweilig finde ich die Aufführung deswegen aber nicht.


    Insgesamt bin ich über diese Aufnahme als ausgewogene und klanglich schlankere Alternative zu Harnoncourts affektreicher Interpretation sehr froh.
    Zusätzlich ist sie auch deswegen interessant, weil sie eine von Bach textlich überarbeitete Version darstellt. Allerdings habe ich mich an den Text "Ich folge dir gleichfalls mein Heiland mit Freuden" anstelle von "...mit freudigen Schritten" noch nicht so recht gewöhnen können.


    Die Dolby-Digital 5.1 -Spur klingt etwas gedeckelt aber durchaus anhörbar.
    Von den BIS-Aufnahmen bin ich alledings mehr Offenheit und Klarheit gewohnt.


    In die Einspielung van Veldhovens habe ich mit Interesse hineingehört.
    Das Orchestervorspiel des Eingangschors finde ich hier ziemlich langweilig, und vor allem in den Streichern etwas spannungs- und phantasielos heruntergespielt.
    Die Akzente der Oboen wirken mir zu kurzatmig und klingen zu unorganisch gewollt, statt innerlich empfunden.
    Bei den weiteren Klangproben bin ich noch nicht auf etwas gestossen, dass mich veranlassen würde, diese Aufnahme wirklich haben zu müssen.
    So finde ich die anfängliche Dynamik des Continuos bei "Von den Stricken" nicht schlüssig, und auch der Altus überzeugt mich hier stimmlich nicht vollends.
    "Ich folge dir gleichfalls" mit Solovioline (!?) wurde hier aber offensichtlich sehr schön gespielt, was ich gerne einräumen möchte.


    Herreweghes Aufnahme hört sich für mich in den Klangproben vielversprechend an, vor allem auch als Alternative zu den vorgenannten, da es sich um die von petemonova schon erwähnte Zweitfassung mit dem von der MP bekannten Eingangschor handelt.
    Sie steht schon auf meinem Einkaufszettel.
    Der Satz, dass "man mit Herreweghe nicht viel falsch machen kann" stimmt meiner Erfahrung recht oft, hier sicher auch.
    Wenn es nur im "Die Eine" Aufnahmen gehen sollte, dann zöge ich die Version mit dem anderen Eingangschor jedoch vor.


    Bei Koopman ( siehe auch oben im Thread ) kann man sehr schön weich ausschwingende Bögen hören, was vielen Sätzen gut steht und anrührend wirkt.
    Allerdings würde ich hier wahrscheinlich -wie bei Koopman leider nicht selten- das Bewegt- Zupackende im Orchester bei entsprechenden Sätzen vermissen, etwa bei "Eilt, ihr angefochtnen...")
    So etwas relativiert sich jedoch, wenn man die Passion in einem Stück hört, wodurch sich ein Gewöhnungeffekt einstellt.


    Wer Knabenchöre- und Solisten gerne hört und gleichzeitig auch etwas sehen möchte, der kann auch auf die DVD aus Harnoncourts mittlerer Schaffensperiode zurückgreifen.
    Ausdrucksmässig geht sie noch nicht so weit wie die neuere, reifere Aufnahme mit dem Arnold-Schönberg-Chor.
    Bei Youtube kann man in einige Teile hineinhören und -sehen, was auch für Suzukis DVD gilt.



    Preisgünstig ist auch diese HIP-Einspielung Goodmans als DVD erhältlich,



    zu der ich allerdings nichts sagen kann, weil ich sie nicht kenne.



    Gruss :hello:
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Lieber Glockenton,


    eines muss ich an dieser Stelle einmal loswerden: Es macht immer wieder Spaß Deine fundierten Beiträge zu lesen Und lehrreich ist es obendrein also ganz im Sinne des "prodesse et delectare".


    Herzliche Grüße,:hello: :hello:


    Christian

    Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen! (Cato der Ältere)

  • Lieber Glockenton,


    vielen Dank für deinen Beitrag.
    Ich hatte mit meinem Vergleich gar nicht die Absicht, eine Aufnahme gegen eine Andere auszuspielen, das ist wahrscheinlich etwas falsch rübergekommen. Es ging mir mehr um die Suche nach DER Johannes-Passion für mich - und da fiel Harnoncourt/Gillesberger (danke für den Hinweis!) dann doch ab.
    Du hast mir aber viel Lust gemacht auf die neuere Harnoncourt-Aufnahme gemacht, ich hoffe, dass ich bald Gelegenheit habe, dort reinzuhören.


    Zitat

    "Ich folge dir gleichfalls" mit Solovioline (!?) wurde hier aber offensichtlich sehr schön gespielt, was ich gerne einräumen möchte.


    Veldhoven hat auch eine etwas unübliche Version eingespielt (ich weiß nicht mehr, welche). Die Choräle im ersten Teil sind etwas geglättet und dissonanzen-, bzw. vorhaltärmer. Auch sonst gibt es einige instrumentale und vokale Änderungen, meistens sind sie einfacher gestaltet als in der üblichen Version. Ich glaube, Veldhoven hat auch komplett auf Flöten verzichtet, da es wohl einige Hinweise darauf gibt, dass Bach diese nicht für dieses Oratorium eingeplant hat.



    LG, Peter.

  • Zitat

    Original von petemonova


    Veldhoven hat auch eine etwas unübliche Version eingespielt (ich weiß nicht mehr, welche). Die Choräle im ersten Teil sind etwas geglättet und dissonanzen-, bzw. vorhaltärmer. Auch sonst gibt es einige instrumentale und vokale Änderungen, meistens sind sie einfacher gestaltet als in der üblichen Version. Ich glaube, Veldhoven hat auch komplett auf Flöten verzichtet, da es wohl einige Hinweise darauf gibt, dass Bach diese nicht für dieses Oratorium eingeplant hat.


    In der üblichen Version ist "Ich folge dir gleichfalls" aber immer mit (Quer)flöte!
    Ich würde die Empfehlung der späteren Einspielung Harnoncourts unterstützen. Die Männerstimmen sind zwar m.E. nicht ganz ideal besetzt, aber insgesamt sehr ordentlich. Eine weitere ziemlich dramatische Lesart gibt es mit Hermann Max/Capriccio (Evangelist Pregardien). Hier wird zwar auch eine geringfügig veränderte Variation eingespielt, aber das sind größtenteils triviale Änderungen, die man kaum hört, wenn man es nicht weiß (Kontrafagott). Jedenfalls mit "Herr unser Herrscher".


    Rilling hat die alternativen Nummern als Anhang dabei; Herreweghe hatte in den 80ern schonmal die übliche Version eingespielt. Jedenfalls brauchst Du hauptsächlich die Standardversion, so wichtig sind die alternativen Nummern nicht (bzw. ist die wichtigste davon ja eh als Schlußchor des 1. Teils der Matthäuspassion übernommen worden).


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Guten Abend




    Erstmal ein Kompliment für deine immer fundierten Beiträge :angel:


    In der von mir o.g. Einspielung vom 1998 mit dem Bach Collegium Japan
    wirken als Solisten Gerd Türk ((Evangelist), Chyuki Urano (Jesus),
    Ingrid Schmidthüsen (Sopran),
    Yoshikazu Mera (Counter-Tenor), Makoto Sakurada (Tenor)
    und Peter Kooij (Bass) mit;
    somit ist es eine andere Aufnahme als die DVD.


    Gruß :hello:


    aus der Kurpfalz


    Bernhard

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Ich kopier das mal aus dem TMOOX-Thread hierher, um dort den Zweck des Threads nicht zu missbrauchen:



    Meine definitive Aufnahme habe ich mittlerweile gefunden:



    Hier stimmt für mich alles. Chor, Solisten und Orchester agieren auf einem sehr hohen Niveau. Die Tempi sind schlüssig, die Stimmungen der Turbae, der Arien und der Gemeindechoräle ebenfalls. Vielleicht wird in den Turbae nicht immer die volle Aggressivität erreicht. Aber das ist auch ganz gut so, denn sonst kann schnell die Musik im Hintergrund stehen, weil dann mehr gerufen als gesungen wird. Und das ist hier nicht der Fall. Alles ist in einer sehr angemessenen und überzeugenden Art und Weise musiziert, das es mich zumindestens beim Anhören restlos glücklich gemacht hat.


    Koopmans Aufnahme hat mir auch sehr gut gefallen, der Harnoncourt steht noch immer auf der To-Listen-Liste. ;)



    LG, Peter.

  • Welche Solistischen Aufnahmen gibts es denn außer die des "Scholar Baroque ensembles"?


    Ich reagier in letzter Zeit immer mehr allergisch, wenn nicht alles absolut durchhörbar ist. Außerdem mag ich den Klang der meisten Chöre einfach nicht. Der Arnold-Schönberg Chor z.B. ist mir immer noch zu verwässert. Die hervorragende :jubel: Interpretation wird leider sehr durch den Chor getrübt.
    Ganz zu schweigen von Gardiner (Der Chor klingt teilweise wie der Gärtnerplatztheater-Chor - ein gemeines Gebrüll) oder Herreweghe (mir zu hauchig).


    Weshalb gibt es eigentlich zig Gesangsensembles, die vorbachsche Musik derartig perfekt singen (Concerto Italiano, Venexiana, Consort of Musicke, The Kings Singers etc.) bei Bach kaum/nicht ?
    Eine Ausnahme ist wohl das Dunedin-Consort und, wie mir immer mehr scheint, das total unbekannte "Scholar Baroque ensemble" .
    Die Formation um Emma Kirkby und Peter Harvey mit dem "purcell quartet" sind natürlich auch :jubel: - aber werden wohl kaum noch weitere CDs gemeinsam produzieren. Vielleicht ja Harveys neues "Magdalena Consort" - man darf gespannt sein.

    Das Frühstück ist ihm viel zuviel Zeremonie. Die ganze Lächerlichkeit kommt zum Ausdruck, wenn ich den Löffel in die Hand nehme. Die ganze Sinnlosigkeit. Das Zuckerstück ist ja ein Anschlag gegen mich. Das Brot. Die Milch. Eine Katastrophe. So fängt der Tag mit hinterhältiger Süßigkeit an.

  • Ich weiss jetzt nicht, ob es Dir mehr auf das Solistische oder die Durchhörbarkeit ankommt.


    Im zweiten Fall könnte ich noch Suzuki mit seinem Bach Collegium Japan als Tip vorschlagen.


    Die sind zwar nicht solistisch, aber doch klein besetzt.
    Für mich verbinden sie die Vorteile beider Welten:
    das klanglich Homogene eines Chorgesangs ( und auch die Klangfülle, die ja bei manchen Sätzen wünschenswert sein mag) mit der Transparenz einer solistischen Besetzung.
    Bei dieser sehe ich nämlich den möglichen Nachteil ( und kenne auch solche Aufnahmen von den Bachkantaten), dass man tatsächlich nur vier individuelle Timbres hört, nicht aber einen runden Ensembleklang, bei dem z.B. alle Alte oder Soprane zu einem Klang verschmelzen.


    Wie das Bach Collegium Japan heute klingt, kann man sehr schön bei dem Trailer zu der Neuaufnahme der Bach-Motetten hören:


    "http://www.youtube.com/watch?v=1T3mOTq214w"


    Auch für mich wird der Aspekt des Vokalklangs bei Bach immer wichtiger. Bei einem Klang wie dem o.g. Beispiel bleiben für mich jedenfalls keine Wünsche offen.


    Weiter oben in diesem Thread sind von Bernhard und mir die beiden verfügbaren Suzuki-Aufnahmen der Johannes-Passion bereits gepostest.


    In die mir bekannte DVD kann man ebenfalls bei Youtube hineinhören und sehen. "Masaaki Suzuki Bach" dürften als Stichworte für die dortige Suchfunktion reichen...
    Bei dieser Aufführung ist der Chor etwas stärker besetzt als normalerweise ( sie lassen im Regelfall 3 Personen per Stimme singen), was wohl damit zusammenhing, dass der Aufführungsort hier eine Konzerthalle, und nicht die sonst übliche Kirche in Kobe mit der starken Akustik war.
    Ungeachtet dessen klingt es m.E. transparent.
    Vielleicht würde das ja Deinem Geschmack entgegenkommen....?


    Gruss :hello:
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)


  • Die mittlerweile ja wieder greifbare erste Harnoncourt- bzw. besser gesagt Gillesberger-Aufnahme (1965) gefiel mir in den Hörbeispielen durchaus. Von Langweiligkeit oder allzu akademischem Ansatz spüre ich wenig. Vielmehr kommt die Spielfreude gut herüber. Den Einsatz des Knabenchors präferiere ich ja bekanntlich ohnehin. Von daher: Sicher nicht die schlechteste Wahl.



    Ich will hier nochmal eine Aufnahme aufgreifen, die zwar auch schon älteren Datums (1986) ist, aber durchaus noch zur Referenzklasse zählen dürfte, wenn es um HIP geht: Die Rede ist von Gardiner. Ja, ich spreche mich mal positiv für eine Aufnahme dieses von mir ansonsten ja eher nicht so geschätzten Dirigenten aus. Die Durchhörbarkeit der Chöre ist einfach phantastisch. Die z. T. sehr raschen Tempi passen in diesem Werk m. E. durchaus mal.


    :hello:

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Danke, Glockenton !
    Das hilf mir weiter :)

    Das Frühstück ist ihm viel zuviel Zeremonie. Die ganze Lächerlichkeit kommt zum Ausdruck, wenn ich den Löffel in die Hand nehme. Die ganze Sinnlosigkeit. Das Zuckerstück ist ja ein Anschlag gegen mich. Das Brot. Die Milch. Eine Katastrophe. So fängt der Tag mit hinterhältiger Süßigkeit an.

  • ,


    Hier sind beide Fassungen der Johannes Passion mit Herreweghe abgebildet.
    Links die 1.Version von 1724 und rechts die 2.Version von 1725.
    Die 1724er Version beginnt mit dem Chor:"Herr,unser Herrscher".

    mfG
    Michael

  • So, die Aufnahme des Scholar Baroque Ensembles ist angekommen.


    Positiv werde ich mich hier noch genug darüber aüßern. Aber gleich vorweg: Es gibt leider im Sopran wie bei den Motetten irgendeine undisziplinierte Metzgerin mit abgeschmacktem Vibrato.


    Und unter aller Sau ist Adrian Peacock. Die Arie (und nicht nur das) "Eilt ihr angefocht'nen Seelen" ist eine Frechheit. Er kann kein Deutsch und hat jammert/jault mit saftigem Vibrato umher, daß einem schlecht wird.
    Besonders absurd ist der Kontrast zum überirdisch singendem Chor und toll musizierendem Orchester in "Mein teurer Heiland"
    Leider. Denn der Ensembleklang ist bis auf die eine Sopranistin hervorragend.
    WARUM NUR????? ES GIBT ZIG GRANDIOSE BASSISTEN, WIESO DIESEN???


    Mehr in den nächsten Tagen.

    Das Frühstück ist ihm viel zuviel Zeremonie. Die ganze Lächerlichkeit kommt zum Ausdruck, wenn ich den Löffel in die Hand nehme. Die ganze Sinnlosigkeit. Das Zuckerstück ist ja ein Anschlag gegen mich. Das Brot. Die Milch. Eine Katastrophe. So fängt der Tag mit hinterhältiger Süßigkeit an.

  • Sagitt meint:


    Darf man auf die Aufführung von Gardiner hinweisen, die vor Jahren vom NDR mitgeschnitten wurde, aus der Zeit ,kurz nach seiner pilgramage?


    Da hat er alles das vermieden, was die 86er Aufnahme anfechtbar. Überhetzte Tempi zum Beispiel.


    Es ist eine ziemlich perfekte Aufnahme dieser Passion geworden. reklov weiss sicher genaueres über die Besetzung.


    Im übrigen eine ganz andere Richtung. Britten hat vor Jahrzehnten die Passion dirigiert. Das hat einen sehr eigenen Charme. So hat er etwa mit Shirly Quirk ein sehr "warmen" Bass. Sehr bewegend seine Arie nach Christi Tod, alllerdings in Englisch.

  • Neben Telemanns " Brockes Passion" unter Jacobs standen dieses Jahr verschiedene Johannes- Passionen im Mittelpunkt meiner musikalischen Karwoche. Insbesondere hat mich die neue Gardiner- Aufnahme interessiert.


    In Summa läßt sich sagen, dass es sich dabei um eine wirklich gelungene, gut ausgewogene Aufnahme handelt, die wohltuend darauf verzichtet, unbedingt etwas Spektakuläres und Neues bieten zu müssen. Für Freunde des englischen Chorstils klar zu empfehlen.


    Allerdings nicht meine absolute Referenz: die bleibt wohl, jenseits aller großer Namen, noch lange: The Scholars Baroque von Naxos ( Bild von amazon lässt sich nicht einfügen :cursing: )


    Hier kommt zu tollen musikalischen Leistungen eine unglaubliche atmosphärische und geistliche Durchdringung des Textes hinzu!


    Gruß


    Oolong

    Psalmen sprechen und Tee trinken kann niemals schaden!

  • Hallo Oolong,
    hier ist sie:



    Ich dachte bisher, ich wäre der Einzige, der diese Aufnahme mag. Inzwischen hatte ich sogar den Verdacht, ich wäre der Einzige, der diese beiden CDs überhaupt besitzt.


    Schön, dass das nicht stimmt - es ist wirklich eine wunderbare Einspielung.


    Freundliche Grüße von der Nordseeküste, Andrew

    „Nichts auf Erden ist kräftiger, die Traurigen fröhlich, die Ausgelassenen nachdenklich, die Verzagten herzhaft, die Verwegenen bedachtsam zu machen, die Hochmütigen zur Demut zu reizen, und Neid und Hass zu mindern, als die Musik.“

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Das ist und bleibt wohl auch meine Lieblingsaufnahme:



    Augér, Schreier, Ude, Adam, Lorenz, Rieß
    Thomanerchor Leipzig
    Gewandhausorchester Leipzig
    Hans-Joachim Rotzsch
    1975/76


    Allein, wie das "Kreuzige, kreu-zi-ge ihn!" hier vom Chor gesungen wird, das verursacht Gänsehaut. Eben, weil die Tempi da so langsam sind. In den meisten Aufnahmen ist die Stelle viel zu schnell.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Hallo, lieber Andrew!



    Na, das wäre aber schlimm, wenn nur wir beiden einen so exzellenten Passions- Geschmack hätten! :D Wenn Du mal in die glorreichen Vorzeiten dieses Forums schaust, wirst Du allerdings manche Lobpreisung dieser Aufnahme sowohl von mir, als auch von anderen finden! Und sie ist jede einzelne davon wert!! :jubel:


    Herzliche Grüße aus dem Kyffhäuserland


    Stefan

    Psalmen sprechen und Tee trinken kann niemals schaden!

  • Lieber Stefan,


    bin zwar selten hier, aber es musste einmal sein, da mir eine Nachricht von deinem Beitrag zugegangen war. Diese Aufnahme aus Königslutter von Gardiner hat für soviel Furore gesorgt schon allein durch die Rundfunkaufnahme des NDR, denn daraus entstand im letzten Jahr vom Label monteverdi diese CD-Veröffentlichung der Johannes-Passion mit einer überragenden Qualität, die ich nicht mehr missen möchte. Sie gehört zu meinen Favoriten und kenne deine erwähnte Aufnahme nicht.


    Herzliche Grüße nach langer Zeit an dich von
    Volker

    Bach ist so vielfältig, sein Schatten ist ziemlich lang. Er inspirierte Musiker von Mozart bis Strawinsky. Er ist universal ,ich glaube Bach ist der Komponist der Zukunft.
    Zitat: J.E.G.

  • Im Berliner Dom ist in diesem Jahr die Johannespassion einmal in der überkommenen Form und ein anderes Mal mit teilweise neue Texten aufgeführt worden, was zu Irritationen führte. Grund: Die Bachsche, auf Bibeltexten basierende Vorlage, sei antisemitisch. Dazu war im Berliner "Tagesspiegel" folgender Beitrag zu lesen:


    "Drei jüdische Künstler und Intellektuelle haben neue Texte für Bachs Johannespassion geschrieben, weil sie die Arien antisemitisch fanden – ein Sakrileg?

    Mitglieder der Berliner Domgemeinde sind empört und drohen mit Austritt. Sie fürchten um Bachs Johannespassion, das Herzstück protestantischer Anbetung. Denn drei jüdische Künstler und Intellektuelle haben die Arien mit neuen Texten unterlegt – viele halten das für ein Sakrileg. Am kommenden Freitag soll die neue Fassung im Dom uraufgeführt werden.


    Die meisten neuen Arien-Libretti hat Shulamit Bruckstein Coruh beigesteuert. Sie unterrichtet jüdische Philosophie, kuratiert Ausstellungen und hat die Denkwerkstatt „Ha’atelier“ für Philosophie und Kunst mitbegründet. Vor allem ist Bruckstein Coruh Bach-Fan. Bis heute ist sie tief gerührt, wenn sie die Choräle, Rezitative und Arien hört, die vom Leiden und Sterben Jesu Christi erzählen.


    Auch ihre Eltern und Großeltern verehrten Bachs Meisterschaft – wie viele andere deutsch-jüdische Familien auch. Schließlich war es Felix Mendelssohn Bartholdy, ein zum Protestantismus konvertierter Jude, der die Matthäuspassion 1829 wiederentdeckt und mit der Berliner Singakademie aufgeführt hat. Seine Großmutter soll ihm die Partitur zur Bar-Mizwa-Feier geschenkt haben.


    Matthäus und Johannes lieferten den Vorwand für die Judenverfolgung


    „Oft haben sich Familien des jüdischen Bildungsbürgertums Karfreitag in die Kirchen geschlichen, um Bachs Passionen zu hören“, sagt Bruckstein Coruh. „Doch konnten wir uns nie wirklich zu Hause fühlen.“ Denn da war der antijüdische Text, der „den Jüden“ Mordlust unterstellte und sie allein verantwortlich machte für Jesu Tod. Die Römer, die den historischen Jesus gekreuzigt haben, kommen gut weg. Bach hielt sich an die Bibel, an die Evangelien von Matthäus und Johannes mit ihrer antijüdischen Hetze. Es gibt historische Gründe dafür, Juden und Christen konkurrierten miteinander, nicht immer mit feinen Worten. Matthäus und Johannes lieferten den Christen der späteren Jahrhunderte den Vorwand für die Judenverfolgung. Der Satz „Sein Blut komme über uns und unsere Kinder“ zog eine Blutspur bis nach Auschwitz.


    Shulamit Bruckstein Coruh, die Musikwissenschaftlerin Ruth HaCohen aus Jerusalem und der amerikanische Komponist Sidney Corbett haben die Rezitative, die das Evangelium nacherzählen, und die Choräle mit den schlimmsten antijüdischen Passagen allerdings nicht angetastet. Sie haben sich auf die Arien konzentriert, in denen das Geschehen kommentiert wird und es um die Gefühle geht, um Mitleid und Reue, um Verzweiflung und Barmherzigkeit. „Wir wollten kein Anti-Stück daraus machen“, sagt Bruckstein Coruh. Aber der Evangelist sollte am Ende nicht mehr alleine dastehen mit seinem Plot, mit seinem fingerzeigenden „Jüden an den Pranger“.


    Sie haben nicht neu gedichtet. Das war auch nicht nötig. Sie brauchten nur in sich hineinzuhorchen, es war alles da. „Wir haben unsere inneren seelischen Register nach poetischen Versatzstücken abgesucht, die möglichst präzise, emotionale Entsprechungen zu den barocken Texten nahelegen.“ Die Trauerarie „Zerfließe, mein Herz; erzähle der Welt und dem Himmel die Not, dein Jesus ist tot“, erinnerte Bruckstein Coruh an das hebräische Klagelied „Darob weine ich; denn fern ist von mir der Tröster, der meine Seele erquickt“.


    Das Original behutsam unterlaufen


    Bei der Arie „Von den Stricken meiner Sünden“ klang in ihr das Morgengebet des jüdischen Versöhnungstages Jom Kippur an: „Sind wir halsstarrig, du bist voller Huld, sind wir voll Schuld und Sünde, du bist voll Erbarmen.“


    Für andere Arien fand sie Entsprechungen in Gesängen des rabbinischen Gelehrten Moses Maimonides (1135–1204), in Texten des sephardischen Dichters Jehuda HaLevi (1075–1141) oder bei dem muslimisch-sufischen Meister Dschalaluddin Rumi (1207–1273).


    Die neue Textfassung will der christlichen Botschaft nicht die eine jüdische Botschaft entgegenstellen, sondern das Original behutsam unterlaufen. Die neuen Arien korrespondieren mit den Chorälen und Rezitativen, mal im Kontrast, mal weiterführend. So soll die Johannespassion jüdischen Hörern nähergebracht werden, auch Muslimen und Atheisten. Es geht nicht mehr in erster Linie um Jesus als Gottes Sohn, sondern um existenzielle Erfahrungen, um Empathie mit einem sterbenden Menschen."


    So weit der Zeitungsartikel. Die geschilderten Beweggründe sind interessant. Die Frage ist, ob nun grundsätzlich Kunstwerke unter diesem Aspekt neu gefasst werden sollen? Oder - was meine Meinung ist - müssen wir das Erbe nicht annehmen wie es ist? Hat jemand zufällig die Aufführung mit verändertem Text erlebt? Ich war leider verreist.


    Es grüßt Rheingold

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Lieber Volker,


    schön, von Dir zu hören!Ich komme leider - arbeitsbedingt- kaum noch zum Schreiben, weder hier noch andernorts. Doch Lesen geht zumindest überblicksweise noch.


    Um meine sicht noch einmal zu verdeutlichen, die neue Gardineraufnahme ist definitiv eine tolle Aufnahme. Das, was den " The Scholars Baroque" bei mir den Vorzug gibt, ist etwas per se Außermusikalisches und höchst Subjektives: diese Aufnahme "spricht" am stärksten zu mir, das Passionsgeschen wird insbesondere durch den grandiosen David van Asch als Jesus ganz plastisch. ( Beispiel: Kreuzeswort:" das ist dein Sohn/ das ist deine Mutter" - dort höre ich einen Schmerzensmann und bin zutiefst berührt, was bei vielen anderen toll gesungenen Aufnahmen eben nicht eintritt. Das zweite Pfund ist Robin Doveton als Evangelist - unübertroffen ( Beispiel: die an sich marginale Schilderung des Textes auf dem Kreuzesschild: ( INRI): Da weicht aus einer bis dahin dramatisch deklamierenden Erzählerstimme plötzlich alle Farbe, alles Leben - die Stimme liest fahl den Urteilstext: " Jesus von Nazareth, der Juden König"... Golgatha war auch ein gelangweilter Verwaltungsakt, dieses erschütternde Erleben bietet sich mir nur hier...


    Ich bin also mittlerweile geprägt durch diese, auch musikalisch überzeugende Aufnahme. Ich glaube auch, dass diese Prägung stärker wirkt als sonstige Qualitätskriterien. Deshalb ist die Betonung klar: " The Scholars Baroque" haben wohl MEINE dauerhafte Referenz abgeliefert.


    Ganz herzliche Grüße an Dich lieber Volker von


    Stefan

    Psalmen sprechen und Tee trinken kann niemals schaden!

  • Halte ich persönlich für ein Unding, das zu verändern. Wieso kommt man damit jetzt, im Jahre 2012, daher?


    Solche Entwicklungen werden dem modernen Regietheater Tür und Tor öffnen, denn bald schon wird man dann "politisch unkorrekte" Opernlibretti auch "verbessern".


    LG

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Unser Freund von der Küste, Andrew, schrieb zur Einspielung der "Johannes Passion" von Bach aus dem Hause NAXOS:


    Zitat

    Ich dachte bisher, ich wäre der Einzige, der diese Aufnahme mag. Inzwischen hatte ich sogar den Verdacht, ich wäre der Einzige, der diese beiden CDs überhaupt besitzt. Schön, dass das nicht stimmt - es ist wirklich eine wunderbare Einspielung.


    Und Oolong, der nach eigenen Worten arbeitsbedingt kaum noch zum Schreiben kommt (weshalb ich an dieser Stelle schreibe: Schön, mal wieder etwas von einem lange Vermißten Tamino zu lesen!), stimmt Andrew in seiner Beurteilung der Einspielung durch "The Scholars Baroque" vollkommen zu.


    Na, da will ich mich dann als Dritter zu Euch gesellen. Auch mir gefällt diese Aufnahme ausgesprochen gut. Und Stefans Empfindungen -


    Zitat

    Das, was den " The Scholars Baroque" bei mir den Vorzug gibt, ist etwas per se Außermusikalisches und höchst Subjektives: diese Aufnahme "spricht" am stärksten zu mir, das Passionsgeschen wird insbesondere durch den grandiosen David van Asch als Jesus ganz plastisch. ( Beispiel: Kreuzeswort:" das ist dein Sohn/ das ist deine Mutter" - dort höre ich einen Schmerzensmann und bin zutiefst berührt, was bei vielen anderen toll gesungenen Aufnahmen eben nicht eintritt. Das zweite Pfund ist Robin Doveton als Evangelist - unübertroffen ( Beispiel: die an sich marginale Schilderung des Textes auf dem Kreuzesschild: ( INRI): Da weicht aus einer bis dahin dramatisch deklamierenden Erzählerstimme plötzlich alle Farbe, alles Leben - die Stimme liest fahl den Urteilstext: " Jesus von Nazareth, der Juden König"... Golgatha war auch ein gelangweilter Verwaltungsakt, dieses erschütternde Erleben bietet sich mir nur hier...


    sind so wunderbar ausgedrückt, daß ich dem einfach nichts mehr hinzufügen kann.


    Hinzufügen kann ich aber, daß ich "bubbas" Einschätzung durchaus nachfühlen kann. Auch mir gefallen einige der Stimmen innerhalb von "The Schlars Baroque" nicht. Die Frage, warum das Ensemble keinen anderen Solisten für diese Aufnahme auswählte, dürfte wohl damit zusammenhängen, daß alle genannten Interpreten zu den Mitgliedern des kleinen Ensembles gehören.


    Mein Fazit bleibt aber trotzdem in der Gesamtleistung positiv!


    Liebe Grüße vom

    .


    MUSIKWANDERER

  • Im Berliner Dom ist in diesem Jahr die Johannespassion einmal in der überkommenen Form und ein anderes Mal mit teilweise neue Texten aufgeführt worden, was zu Irritationen führte. Grund: Die Bachsche, auf Bibeltexten basierende Vorlage, sei antisemitisch. Dazu war im Berliner "Tagesspiegel" folgender Beitrag zu lesen:
    "Drei jüdische Künstler und Intellektuelle haben neue Texte für Bachs Johannespassion geschrieben, weil sie die Arien antisemitisch fanden – ein Sakrileg?


    Auch ich lehne, wie Joseph II., eine solche "Neufassung" ab. "Das Neue Werk" aber als Sakrileg einstufen? Das ist Quatsch!


    Es ist übrigens auch keine besonders aktuelle Erkenntnis, daß man bestimmte Teile des AT wie des NT als antisemitisch einstufen kann. Im Sinne einer adäquaten zeitgemäßen Einordnung sollte man doch die entsprechenden Teile der Bibel völlig neu übersetzen. Da könnte dann auch alles an neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen über den Text der Heiligen Schrift miteinfließen.


    Und schon hätten auch die Librettisten und Musiker unserer Zeit lohnende Aufgaben: Neutextierung der Heilsgeschichte für Neukompositionen unter Berücksichtigung aller neuen Erkenntnisse. Da geht allen Künstlern dieser Welt doch bestimmt ein Herz auf. Natürlich sollte man die alten historischen Schinken von Bach, Händel, Mendelssohn und Genossen nicht auf den Müll werfen - diese Lehre aus unseligen Zeiten sollte durchaus korrekt gezogen werden. Eine Nische wird es durchaus geben, in die man Historie einstellen kann...


    Liebe Grüße vom

    .


    MUSIKWANDERER

  • Hallo zusammen,


    es ist kein Sakrileg, den Text neu zu fassen - es ist aber ein völlig überflüssiges Unterfangen, das die "political correctness" mal wieder zu einer merwürdigen Blüte treibt. Wann kommt der Vorschlag, in historischen Passionsgemälden den stigmatisierenden gelben Mantel zu übermalen ( mit behutsamem, lebensfrohem Pink oder unverdächtigem Apfelgrün ) und die oft primitiven, bewußt abstoßend gehaltenen Gesichtszüge des für mich höchst interessanten und tatsächlich diskussionswürdigen 12. Jüngers behutsam aber engelsgleich zu glätten...


    Vollkommen ignorant rufe ich daher aus - laßt mich mit so etwas in Ruhe!


    Gruß Stefan



    Übrigens, lieber Musikwanderer, hab herzlichen Dank für Deine freundlichen Worte - ich versuche zukünftig, wieder ab und an hier sichtbar zu sein!

    Psalmen sprechen und Tee trinken kann niemals schaden!

  • Das AT wird im vollen Umfang vom Judentum als Heiliger Text verwendet, da dürften wohl kaum antisemitische Passagen drin sein. Was es im NT (hauptsächlich im Johannes-Evangelium und in einigen Paulusstellen) gibt, sind Passagen, die historisch - vereinfacht gesagt - als eine Abgrenzungsbemühung der neuen "jüdischen Sekte", nämlich der Christen, gegenüber dem traditionellen Judentum gedient haben dürften. Paulus steht ja exemplarisch für die Heidenmission, während es Strömungen gegeben haben muss, die die christliche Bewegung exklusiv als Reform des Judentums aufgefasst haben.
    Das kann man anti-judaistisch nennen, antisemitisch im neuzeitlichen Sinne ist es auch nicht. Was ich bei der Neutextierung seltsam finde, ist, dass man die problematischen Evangeliumstexte ("Sein Blut komme über uns und unsere Kinder" usw.) belassen hat, dagegen unverdächtige Arientexte geändert. Und bei allem Positiven, was interreligiöser Dialog mit sich bringen mag: Person und Passion Christi sind nunmal der zentrale Dissenspunkt zwischen Judentum und Christentum, da gibt es einfach nichts dran zu deuteln.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

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