Daniel Barenboim - Licht und Schatten eines internationalen Stars

  • Zitat

    Original von Gustav


    Seit Metzmachen und Young kommt mögliche Konkurrenz nicht mehr ins Haus. Barenboim scheint da keine Probleme zu haben.


    :hello: Gustav



    Konkurrenz lässt sich der ins Haus, der sie nicht zu fürchten braucht - geringeres Können zittert vor der Macht des Besseren...

    'Architektur ist gefrorene Musik'
    (Arthur Schopenhauer)

  • Zitat

    Original von novecento



    Konkurrenz lässt sich der ins Haus, der sie nicht zu fürchten braucht - geringeres Können zittert vor der Macht des Besseren...


    Bitte verdoppeln! :D


    :hello: Gustav

  • Verglichen mit Thielemann oder Rattle ist Barenboim m.E. eher unterschätzt (Wobei man sich aussuchen mag, ob das an der entsprechenden Überschätzung der anderen Maestri liegen mag... ;))


    Die Mozart-Konzerte aus den frühen 70ern sind m.E. kein bißchen "zuckrig", sondern eines der besten Sets (anderen dirigierenden Pianisten Perahia oder Anda klar überlegen, gerade was den Orchesterbeitrag betrifft). Eher könnte man ihnen vorwerfen, manchmal etwas zu gewichtig, zu wenig spritzig zu sein.


    Da ich mit dem Standardrepertoire schon ziemlich gut ausgestattet bin (und mich Wagner-Opern nicht besonders interessieren), kenne ich z.B. keine von seinen (meist sehr gut rezensierten) Mahler- und Bruckner-Aufnahmen (mir fällt gerade ein, dass ich eine ältere Bruckner 1 auf DG habe, aber die habe ich höchstens einmal gehört und das Stück kenne ich schlecht). Aber die Beethoven-Sinfonien mit der Staatskapelle klingen nicht nur außerordentlich gut, sondern scheinen mir tatsächlich eine ernstzunehmende Alternative zu den (von mir letztlich auch bevorzugten) zügigen und schlanken Aufnahmen, von denen es inzwischen viele gibt.


    Welcher Nicht-HIPpe (und zu HIP zähle ich zB auch Norrington oder Harnoncourt mit modernen Instrumenten) Beethovenzyklus aus den letzten ca. 15 Jahren wäre Barenboims klar überlegen? Welche Wagnereinspielungen der letzten 20 Jahre?
    Da es sich um Standardrepertoire handelt, findet man natürlich sehr viele hochklassige Aufnahmen, eben auch aus der Vergangenheit. Aber unter den heute aktiven Dirigenten wie Maazel, Abbado, Mehta, Chailly, Rattle, Salonen, Thielemann usw. schlägt sich Barenboim m.E. ziemlich gut...


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Ist ja eine richtig schöne Diskussion geworden.


    Was deutlich wird, ist, dass man wohl unterscheiden muss zwischen Barenboim auf CD und live.
    Ich finde die Kritik teilweise durchaus berechtigt, was seine Aufnahmen angeht. Es gibt in Anbetracht der Fülle seiner Aufnahmen tatsächlich wenige, die ganz oben stehen. Und was seine Soloeinspielungen angeht, kann man sicher diskutieren, ob die nötig gewesen wären. Aber auch hier gilt natürlich: Wenn Barenboim draufsteht, verkauft sich eine CD eben besser als wenn Müller draufsteht.
    Was sein Arbeitspensum angeht, so wird in der du Pre´-Biographie beschrieben, dass er nach einem Konzert noch bis nach Mitternacht mit den Musikern gefeiert hat und sich dann bis 3 oder 4 mit einer Partitur beschäftigt hat, dann 4 Std Schlaf und dann ging es wieder los. Das hat du Pré fertig gemacht, weil sie einfach nicht so einen extremen Rhythmus gewöhnt war. Auch für einen Menschen wie Barenboim hat der Tag nur 24 h und wenn man da dann eine Probe leiten muss, ein paar Partituren studiert, sich mit seinem Manager trifft, den üblichen Verwaltungskram in der Oper erledigen muss und dann noch interviewt wird oder einen Preis entgegen nehmen muss, dann bleiben wohl nicht die notwendigen 5 Std, um ausreichend Klavier für Topniveau zu üben. Familie hat er ja auch.


    Was er live macht, ist etwas anderes. Da interpretiert er ja schließlich ein Werk, wie er sich das vorstellt. Und wenn die Tempi hängen, dann kann das ja viele Gründe haben. Ob das den Sängern zu langsam ist, sei mal dahin gestellt. Er probt ja schließlich und da können die Sänger wohl auch mal sagen, dass es ihnen zu langsam ist. Ob schnell oder langsam, ist eben Ansichtssache. Die einen mögen Celi oder Bernstein, wenn alles schwer und wuchtig und lang wird, die anderen finden das anstrengend. Und bei Mahler kann ich sagen, dass mir Barenboim (allerdings auf CD) im 4. Satz der 9. zu schnell ist.Es hat also kaum was damit zu tun, dass Barenboim es nicht anders kann, sondern, dass er es eben so will. Das jedoch mit Überschätzen gleichzusetzen, finde ich falsch. Wenn einer ein Stück zackig runternudelt, ist es doch nicht besser. Außerdem spielt der Dirigent ja nicht, sondern die Musiker.


    Und nun mal die andere Seite: Er hat sich eine Menge getraut. Sein Versuch, Wagner in Israel aufzuführen, sein Engagement um das palästinensich-israelische Verhältnis, sein Einsatz für Kollegen. Und nicht zuletzt hat er die Oper udL zum Platzhirschen in Berlin gemacht und muss sich wohl am wenigsten Sorgen machen, kaputt gespart zu werden. Auch das muss man können. Was hilft es, wenn die anderen Berliner Opern tolle Ideen haben und spannendere Inszenierungen, wenn die Etats immer kleiner werden und man sich nur noch zweitrangiges Personal leisten kann? Die Idomeneo-Farce an der Komischen Oper wäre bei Barenboim wohl nicht so in die Hose gegangen. Er hat es eben verstanden, sich - und hier ist der Begriff wieder - ein hervorragend funktionierendes Netzwerk zu schaffen. Es hat ja eben viel mit Netzwerken zu tun, wenn man auch in solchen Höllen wie der Scala (die hat immerhin Muti und Alagna geschafft!) zu reüssieren. Und jetzt mal ganz ehrlich: Aus meiner Erfahrung heraus wage ich mal zu schätzen, dass sicher 2/3 der Opernbesucher sowieso nicht wirklich wegen der Musik hingehen, sondern wegen des Events. Letzte Woche im Konzert wussten meine Nachbarn gar nicht, was gespielt wird und wer dirigiert. Und die haben auch Abo-Karten. Aber er ehem. Geschäftsführer und sie goldbehangen und aufgefönt. Das soll natürlich nicht bedeuten, dass sich die Musiker dann gleich keine Mühe geben sollen, aber die Forianer hier gehen schon auch mit zT sehr hohen Ansprüchen an manche Sachen heran. Da wird ja schon bald über die Herkunft des Darmes diskutiert und ob das Tier bis zu seinem Ende nur Bio gefressen hat, aus dem dann die Instrumentensaite gemacht wurde und wie sich das auf den Klang auswirkt.
    Man sollte mal eine Blindverhörung machen und dann mal sehen, ob Barenboims Bruckner mit dem BPO wirklich schlechter ist als eine Aufnahme vom Herrn Soundso mit den Bremer Stadtmusikanten oder von Frau Diesunddas mit dem Sinfonieorchester des südwestlichen Rhein-Murr-Kreises.


    Deshalb: Wer Barenboims CD nicht kauft, weil er bessere Alternativen kennt, muss das nicht. Es gibt oft genug Alternativen. Wer nicht Hunderte Euro ausgeben möchte, um in der Scala einen Parkettplatz zu ergattern und dann subjektiv enttäuscht zu werden, kann sein Geld auch woanders investieren. Aber aufgrund dieser Umstände davon auszugehen, Barenboim sei überschätzt, sollte mal nach vergleichbaren Schwergewichten in der Klassikszene suchen und dann sehen, was die abliefern (ich haue jetzt nicht wieder auf Rattle ein). Es ist immer leicht, wenn einer einfach nur arbeiten kann (wie Celi in München), aber solche Künstler gibt es in der heutigen Zeit mit all den Anforderungen und Zwängen wohl kaum noch.

  • Zitat

    Original von Luis.Keuco
    Die Idomeneo-Farce an der Komischen Oper wäre bei Barenboim wohl nicht so in die Hose gegangen. Er hat es eben verstanden, sich - und hier ist der Begriff wieder - ein hervorragend funktionierendes Netzwerk zu schaffen.


    kleine Korrektur: Der Idomeneo war an der Deutschen Oper, nicht an der KOB.


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Original von Luis.Keuco
    Und ich wollte es noch googlen... :no: :motz: :untertauch:


    ................Und ich habe vor ca 1/2 Std Deinen Artikel gelesen war positiv angetan und bestürzt über den Schluß des Artikels zugleich.....habe 20 min an einer Antwort geschrieben und dann ist die Internet Verbindung (AOL) abgestürzt. FRUST....ist ein Meister aus Deutschland (frei nach Paul Celan)


    Mein Artikel kommt später
    Danke nochmals für den ANSTOSS zum nachdenken und in sich gehen


    Gruß..................."Titan"

  • Ich habe auch das Gefühl das Barenboim bei Denjenigen die sich intensiver mit der Klassik beschäftigen eher unter- als überschätzt wird. Wo Klassik eher temporär, sporadisch zu sich genommen wird und die Klassik-CD´s eher überschaubar sind wird er wohl eher als großer Name von Wirkung sein (das betrifft aber gewisse Andere in der Klassik-Szene auch)
    Es wurde hier ja schon zu erklären versucht wie es zu diesem großen Namen kam, warum er zB Chef des CSO wurde, ihn die Wiener Philharmoniker scheinbar schätzen usw.
    Ich sah mal eine Dokumentation über ihn, detailliert kann ich zwar den Inhalt nicht mehr wiedergeben aber es gab Interviews mit Orchestermitgliedern des CSO und das damals einige - auch namhafte - Dirigenten zur Auwahl standen, das Orchester aber eindeutig mehrheitlich für ihn stimmte.
    Man kann zwar hier auch wilde Spekulationen anstellen (wie das schon erwähnte Netzwerk-Argument), aber ich denke doch das dieses Orchester genug Kompetenz hat um das entscheiden zu können.
    Ich für mich empfinde ihn zwar auch in Relation zu anderen Dirigenten eher als durchschnittlich (was nicht heissen soll das es schlecht ist aber auch nicht so das ich jemals nur irgendeiner Einspielung von ihm hinterhergelaufen wäre) und als Pianist stellenweise recht gut, manchmal weniger - aber wenn man hier manche Äußerungen liest könnte man den Eindruck gewinnen man hätte hier lediglich einen Pfuscher bzw. Stümper gehyped.


    Was zB die Gesamteinspielung der Mozart-Klavierkonzerte anbelangt so sind die sicher nicht so schlecht das man sie verreissen müßte. Mir ist er zwar hier stellenweise auch zu oberflächlich, seine selbst ausgedachten Kadenzen ziemlich zum grausen, manche schnellen Läufe zu hastig genommen und mit zu romantisierendem Ansatz vorgetragen aber Alles in Allem doch eine recht gut anhörbare Gesamteinspielung auf durchgängig solidem Niveau.
    Und bei den Beethoven-Sonaten die ich schon so gehört habe (nur vereinzelt, die Gesamteinspielung habe ich nicht) ist er meiner Meinung nach auch nicht so schlecht.


    Aber mir ist klar das vielleicht das Verhältnis zu seiner Bekanntheit und der Qualität ganz generell innerhalb der breiten Klassikszene gesehn vielleicht nicht ganz stimmt (vielleicht auch weil er sich gut vermarkten kann), aber man merkt ja auch gut an diesem Forum das seine Popularität und Beliebtheit nicht überall so groß ist wie es über die Medien und den Konzertsälen zu sein scheint.


    :hello:
    Thomas

    „Eine Erkenntnis von heute kann die Tochter eines Irrtums von gestern sein.” (Marie von Ebner-Eschenbach)

  • Wie steht es denn um seine Kammermusikeinspielungen aus der du Pré-Zeit. Kennt die jemand (außer mir :beatnik:)? Ich finde nämlich, dass man sich hier hauptsächlich über 3-4 Einspielungen der letzten - oh Gott :faint: - 30 Jahre unterhält und die früheren Aufnahmen zu wenig berücksichtigt.

  • Zitat

    Original von Luis.Keuco
    Jetzt wollen wir die Kirche aber mal im Dorf lassen.


    Und dann kommt - das war ja zu erwarten - natürlich der jüdische Weltverschwörungsvorwurf. Klar, die waren ja ohnehin immer schuld und ohne die würde ja alles piccobello laufen, nicht nur sauber, sondern (juden?-)rein. Ich fange jetzt keine politische Diskussion an, aber Furtwängler wurde sicherlich nur auf Grund seiner künstlerischen Ausnahmestellung wieder zum BPO geholt, gell?
    Es ist nunmal so: Ohne Juden kein Kulturbetrieb. Und wenn da der eine den anderen kennt und fördert, dann kann man das wohl kaum zum Vorwurf machen.
    Wer gern seine antisemitischen Ressentiments loswerden möchte, sollte sich ein hierfür geeignetes Forum oder einen Stammtisch suchen. Gerade im Bereich klassische Musik sollte man sich aber sehr zurückhalten, sonst wird das CD-Regal schnell ziemlich leer. Man schaut ja auch nicht Basketball und schimpft gleichzeitig über die "Neger".


    Hallo Luis,


    "Jetzt wollen wir die Kirche mal im Dorfe lassen" ist als Vorsatz und Richtschnur ein sehr geeignetes Zitat.
    Meine vorhin in den Katakomben der PC-Stratosphäre verglühten Bemühungen auf Deinen Artikel, krieg ich jetzt in meinem Hinterkopf nicht mehr so ganz rekonstruiert. Ich war meinen Artikel gestern spät abends angefangen, hatte dann aber keine Internet-Verbindung mehr. Sorry.
    Also zunächst war ich ganz irritiert und Hitze stieg in mir auf, als Dein Artikel gegen Ende hin eine für mich sehr überraschende Wendung bekam, als die Weltanschauliche Dimension fast wie eine Bombe mich hochschrecken ließ.
    Ich bin als Säugling im Bombenhagel nahe der polnischen Grenze mit meinem Kinderbettchen vom 1. Stock in den Keller katapultiert worden. Das Schreckhafte ist mir mein Leben lang treu geblieben, das ist manchmal grausam.
    Ein bisschen in diese Richtung hab ich die Wendung in Deinem insgesamt sehr lesenswerten und guten Beitrag auch empfunden, ich war erschrocken und fast grausam ist für mich die von Dir gemachte Verknüpfung ebenfalls.
    Ich hatte vorgestern ja auch in einem kurzen Artikel, von der Tendenz her, Barenboim als –aus meiner Sicht—überbewerteten Dirigenten bezeichnet.
    Ich hatte versucht es zu begründen,
    konkret an einer Don Giovanni Aufführung,
    aber auch allgemeiner an seinem Dirigierstil, den ich nicht so schätze.


    In einem Atemzug würde ich neben Barenboim nennen: Zubin Mehta, Lorin Maazel, Kurt Mazur, Ricardo Muti, Wofgang Sawallisch, Herbert Blomstedt, Fabio Luisi, Gerd Albrecht, Bernhard Haitink ..... Alle sind sicher für viele Klassikfans hervorragende Dirigenten und ich sage auch nicht , dass sie keine guten Dirigenten sind (welche Anmaßung wäre das!!!)......
    ABER für meinen persönlichen Geschmack haben sie nicht den Stellenwert, den sie für andere haben mögen.


    Genauso subjektive Kriterien gelten für die Dirigenten, die ich sehr schätze und deswegen oft höre. Das wären neben Michael Gielen, z.B. Claudio Abbado, Willem Mengelberg, Rene Leibowitz, John Barbirolli, Ingo Metzmacher, Hermann Scherchen, Paul Klecki, Wilhelm Furtwängler, Dimiti Mitropoulos, Hans Schmidt-Isserstedt, Andre Cluytens, Fritz Busch und Erich Leinsdorf.
    Ein kunterbunter Strauss, mit teils gewaltigen Gegensätzen, die (hoffentlich) mein musikalisches Interesse und eine gewisse Vielfalt widerspiegeln.
    Kulturell idiomatische Kriterien spielen natürlich eine Rolle.


    In den meisten Fällen dirigieren eher deutschsprachige Dirigenten, das sogenannte „Deutsche Fach“ und weniger Traviata oder Boheme.


    Aber auch das stimmt ja nur zum Teil, ein Carlos Kleiber, ein Karajan, ein Abbado und viele andere, sind gute Beispiele für fachübergreifende/kulturelle Grenzen überspringende Kompetenz, sprich nicht einseitig auf die eigenen kulturellen Wurzeln fixiert.


    Was bei meinem PRO und Contra für mich in jedem Fall keine Rolle spielt, sind private Kriterien der Dirigenten. Ob sie schwul sind, Frauenhelden sind, sich für Fussball interessieren oder täglich aus Glaubensgründen in die Moschee, Synagoge oder Kirche gehen, oder sich als Atheisten verstehen, hat mit meiner Vorliebe für ihren Musikstil, ihre Interpretationsqualitäten, die ich an ihnen schätze oder eher dürftig finde, nichts aber auch gar nichts zu tun.


    Aus diesem Grunde hat mich der Artikel so erschrocken. Zwei vielleicht ergänzende Beispiele dazu:
    1.) Ich lese seit vielen Jahren mit einer Bekannten die gleiche Literatur. Ich bin schon immer ein Heinrich-Böll-Fan gewesen (auch wenn ich ihn bereits mehere Jahre nicht mehr gelesen habe), gerade wegen seiner „moralischen und aufklärerischen“ Qualitäten, verbunden mit einer für mich eindeutigen und sehr bildhaften, hohen Sprachkultur...... den sie (meine Bekannte) aber literarisch so lala, höchstens „okay“ findet, versteigt sich sogar zu der Behauptung, er hätte den Nobelpreis bekommen (der ihm eigentlich gar nicht zustehe!!) da er nach dem Kriege ein Deutscher Autor mit humanistischer und pazifistischer Gesinnung war und das Nobelpreiskommitee damit ein Zeichen setzen wollte nach dem „tausendjährigen Reich“.
    Sie schätzt ihn aber für seine gesellschaftspoltische Integrität und sein glaubwürdiges Engagement für demokratische Werte.


    Dies wäre eine Parallele zu Barenboims großartiger Arbeit/Einsatz für Frieden im Nahen Osten zwischen seinen Landsleuten und den Palistinänsern, die ich auch sehr schätze und ihn deswegen auch verehre.
    Ich glaube Heinrich Böll würde über unseren Disput bezüglich seiner literarischen Qualitäten milde lächeln.


    Daniel Barenboim würde wegen unserer Diskussionen über ihn vielleicht auch lächeln. Genau weiß ich das natürlich nicht, könnte ich mir aber vorstellen, bei seiner Entwicklung als Botschafter mittels Musik für eine friedvollere Welt und bei Kenntnis vieler Gegensätze zwischen den Menschen, die ihn auszeichnen. Er sitzt ja in keinem Elfenbeinturm.


    2.) Ich bin zwar erst 2 Wochen bei „Tamino“ aber in einigen Artikeln von mir wurde bereits deutlich, dass ich ein grosser Gielen-Fan bin
    (da gibt es ja wahrscheinlich mindestens genau so viele Gegenmeinungen-und –Positionen wie bei Barenboim. (!))


    Michael Gielen kriegte eines Tages nach seinem Dirigat an der Frankfurter Oper mit, wie eine ältere Dame nach einer „Entführung aus dem Serail“ wütend, ja außer sich, sagte:


    soweit ist es gekommen, „Ein Jude dirigiert, eine Kommunistin (Ruth Berghaus) führt Regie und eine Schwarze singt die Konstanze(?) (Faye Robinson).
    Sinngemäß hieß es später über diese Begebenheit, dass er es seit diesem Ereignis, was sich in seine Hirnrinde eingebrannt hat,
    wichtig fand, bei bestimmten Anlässen mit einfliessen zu lassen, dass er Jude sei.
    Vor diesem Ereignis hatte ein „solches Bekenntnis“ keinen Stellenwert, da er nicht religiös sei.


    In diesem Sinne, nochmals Dank für Deinen Pro-Artikel über Barenboim...und vielleicht ist der letzte Abschnitt mit der „Verschwörungstheorie“ doch wichtig und anregend, denn Du siehst, es beschäftigt viele Taminoeaner.


    Ich wollte anhand meiner dargestellten Kriterien für meine Musikbegeisterung, in erster Linie auf die subjektiven Kriterien verweisen,
    die unserem Temperament und Interesse gemäß
    uns für die eine oder andere Musik das Herz höher schlagen lässt und aus denselben Kriterien heraus auch gewisse Praeferenzen oder auch Vorbehalte gegen manche Musiker bestehen.



    P.S. Mir fällt noch ein, dass Barenboim’s Aufnahme als Pianist der beiden Brahms-Konzerte (unter Sir John Barbirolli) zu meinen persönlichen Referrenzaufnahmen gehört.


    Gruß................“Titan“

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  • Lieber Titan,


    schöner Name übrigens, ist meine Lieblings-Sinfonie.


    Der von dir zitierte Absatz kam in mir, und das finde ich interessant, auch erst dann vom Hirn in die Finger, als ich die einzelnen Statements bis zu dem Zeitpunkt nochmal durchgegangen bin. Und Begriffe wie "Koscher Nostra" haben in meinem Verständnis ein Gschmäckle. Damit will ich keine vorsätzlichen antisemitischen Tendenzen unterstellen, vieles entsteht ja ohne langes Überlegen. Und doch zeigen solche Begriffe genauso wie deine geschilderte Anekdote, dass Antisemitismus bzw eine besondere Betrachtungsweise bestimmter Minderheiten noch durchaus gesellschaftlich verankert sind, nicht im Sinne einer gewollten oder geforderten Diskriminierung, sondern als Teil eines allgemeinen Verständnisses.
    Vor Kurzem blätterte ich im Buch Jüdisches München und fand dort in Bezug auf die SPD-Regierung Kurt Eisners (ja, das gab es, dass Bayern von der SPD regiert wurde) eine Aussage Thomas Manns, wonach es nun doch zu viel werde mit den Juden in München. So wurde halt gedacht und gesprochen damals. Heute, nach dem Dritten Reich, frage ich mich, ob man nicht ein klein wenig mehr Sensibilität walten lassen kann. Man kann sich meiner Meinung nach auch nicht auf (gern jüdische) Autoren berufen, von denen man dies oder das übernommen hat. Auch Paul Celans Aussage "Der Tod ist ein Meister aus Deutschland" wird ja erst im Kontext der Todesfuge und dem damit verbundenen Bezug zum Holocaust verständlich und wäre sonst ein billiges Vorurteil. Und das Argument "man wird ja wohl noch sagen dürfen", dann gern gepaart mit "mein bester Freund ist auch Jude/Türke/schwarz" etc, ist schlichtweg lediglich die rechtliche Gegenüberstellung von Art. 3 (Gleichheitsgrundsatz) und Art. 5 (Meinungsfreiheit) GG, also der Versuch, mit dem recht auf freie Meinungsäußerung ein Einschränkung der Grundrechte ("Alle Menschen sind vor dem gesetz gleich") einzufordern.
    Ich finde einfach, dass man ein bisschen zurückhaltender sein sollte, was die Unterstellung bestimmter Seilschaftstheorien angeht, bzw sollte man realistischer sein und einsehen, dass es ohne Seilschaft (neudeutsch: Network) nicht geht. Da wird heute keiner mehr was, nicht mal Pförtner.


    Was meine Aussage zu Juden im Kulturbetrieb angeht, so meine ich das nicht im Sinne eines "positiven Vorurteils", sondern als schlichte Tatsache. Es ist einfach die Zahl jüdischer Künstler, auf die ich hinweisen wollte. Ob das nun Maazel, Gielen, Leibowitz, Leinsdorf, Busch oder Klecki sind oder Solti, Walter, Klemperer, Reiner, Zinman oder sonst wer: Ich wollte damit lediglich zum Ausdruck bringen, dass man sich bei antisemitischen Äußerungen überlegen sollte, wen man damit trifft und auf wen man in letzter Konsequenz verzichten müsste, wollte man auf die "jüdische Mafia" tatsächlich verzichten, da sie ja nur durch Vitamin B und logenartige Diensterweisungen zu dem gekommen sein soll, was sie ist.
    In diesem Sinne war auch mein Beispiel mit dem Basketball gedacht. Man kann keine Vorschriften zur Hautfarbe der Sportler machen, wenn man gleichzeitig Spitzensport sehen möchte.


    Ich habe viel Freude an den Diskussionen im Forum und lese hier sehr differenzierte und interessante Beiträge. Deshalb bestürzt es mich geradezu, wenn dann dazwischen solche Plattitüden geäußert werden und die einen (Barenboim) aufgrund ihrer Religion ebenso in eine Ecke gestellt werden sollen wie die anderen (Thielemann) wegen ihrer Frisur oder irgendwelcher fragwürdiger Aussagen und die dritten (Furtwängler) völlig sakrosankt lediglich aufgrund ihrer künstlerischen Verdienste auf einem Sockel stehen und Politik bei ihrer Bewertung nichts zu suchen hat.
    Es lässt sich so schön über Musik schreiben, da muss man nicht im hintersten Kellerwinkel nach Gründen suchen, weshalb man einen Künstler nicht gut findet.


    Ich hoffe, ich konnte meinen kleinen Ausbruch damit verständlich erläutern.
    Ich wollte hier niemand persönlich angreifen, der sich auf die msuikalische Diskussion der Frage beschränkte.


    Grüe
    L


    Ich lasse diesen Beitrag als abschließendes Statement zu Titans aufgeworfener Frage stehen und bitte alle Diskutanten, dieses Thema nicht weiter zu verfolgen und zum Thema Daniel Barenboim zurückzukommen. TP

  • Mir ist gestern noch eine Aufnahme Barenboims eingefallen, über die noch nicht gesprochen wurde (jedenfalls nicht in diesem Thread), die aber durchaus Erwähnung finden sollte:




    Wie der Besetzung schon zu entnehmen ist, liegt hier eine hervorragende Einspielung dieses Werkes vor. Die Solisten sind Bayreuth- und Barenboim-erprobt, das Orchester eines DER Mahler-Orchester. Man versteht die Sänger, der Klang ist CSO-typisch üppig und der arienhafte Charakter des Werks ist für Barenboim als Operndirigent sehr zuträglich. Ich finde, dass sich Barenboim hier nicht zu verstecken braucht.

  • Daniel Barenboim wird mit dem Deutschen Kulturpreis der Stiftung Kulturförderung ausgezeichnet.


    Der 67 Jahre alte GMD der Berliner Staatsoper "Unter den Linden" erhält die mit 30.000 Euro dotierte Auszeichnung für sein Lebenswerk als Pianist, Dirigent und Mitbegründer des West-Eastern Divan Orchestra, wie die Stiftung mitteilte.


    Die Auszeichnung wird am 19. Februar 2010 in der Allerheiligen-Hofkirche der Residenz München verliehen.

  • Gerade eben habe ich mich im Rattle-thread geäußert. Den habe ich begonnen mit: Ich mag Sir Simon. Barenboim mag ich nicht. Ich war mal kurz an der Staatsoper tätig und er ist ein ganz schlechter Chef und musikalischer Leiter des Hauses. Andererseits ist er einer der wenigen unter den bedeutenden Dirigenten der Jetzt-Zeit, der sich wirklich fürs Theater interessiert (Ich habe ihn auf Proben erlebt).
    Den Pianisten Barenboim habe ich mit Beethoven 1 live gehört und war schwer beeindruckt. Von seinen Klavieraufnahmen gefallen mir ansatzweise die "Lieder ohne Worte". Über den Rest sage ich nichts. Als Dirigent ist er für mich vor allem Opern-Mann und "sein" Werk ist der Tristan. Sowohl in Bayreuth 1981 als auch an der Scala 2007 (gibt es beides auf DVD) finde ich ihn ungeheuer gut. Dazu kommt der Prokoffieff- "Spieler" vor zwei Jahren an der Berliner Staatsoper.


    Wer sowas kann ist ein wesentlicher Musiker. Für mich.

    Der Jugendtraum der Erde ist geträumt
    Grillparzer
    Macht nix!
    grillparzer

  • Hallo Grillparzer,


    ich stimme dir zu - wer eine Spitzenleistung abliefern kann, gehört zur Spitze. Ein durchschnittlicher Pianist, Sänger, Instrumentalist, Dirigent ... wird an einem guten Tag eine gute Leistung abliefern. Wer eine Spitzenleistung liefert, hat mehr Potenzial.


    Barenboim hat solche Spitzenleistungen geliefert. Seinen "Tristan" habe ich vor vielen Jahren mal auf Video gesehen, kannte das Werk damals aber zu wenig, um seine dirigentische Leistung beurteilen zu können. Gut fand ich Waltraud Meier und die Musik, was Barenboims Anteil daran war, erschloss sich mir nicht.


    Was mich an ihm stört, ist das viele, viele Durchschnittliche, was er allzu oft auf CD abliefert. Woran liegt das? Er hat das Potenzial für mehr ...

  • Der Dirigent Daniel Barenboim bleibt weitere zehn Jahre in Berlin. Barenboim hat seinen Vertrag als Generalmusikdirektor der Staatsoper Unter den Linden entsprechend verlängert. Sein aktueller Vertrag läuft nächstes Jahr aus. Barenboim ist seit 1992 Künstlerischer Leiter und Generalmusikdirektor der Staatsoper. Die Staatskapelle Berlin hatte Daniel Barenboim bereits im Jahr 2000 zum "Chef auf Lebenszeit" gewählt.

    [Quelle: WDR]

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

  • Nur eine Frage dazu: Mit welcher Berechtigung dominiert jemand wie er den heutigen klassischen Musikbetrieb und zwar als Dirigent und Pianist???


    Erstens: tut er das wirklich? Ist mir so noch nicht aufgefallen. Jedenfalls dominiert er nicht "meinen" Musikbetrieb.


    Zweitens: würde er dominieren, wäre das doch ihm icht vorzuwerfen, zumindest nicht alleine! Selbst wenn er aktiv alles dafür täte, es entscheiden diejenigen, die ihm diese Dominanz geben und zugestehen. Beachtete ihn niemand, wäre jede Bemühung vergebens und damit auch die Dominanz dahin.
    Das aber ist hypothetisch, denn ich kann diese vermeintliche Dominanz nicht nachvollziehen.


    Wie sagt Jesus zu Pilatus: "Du hättest keine Macht über mich, wenn sie Dir nicht von oben herab gegeben wäre" - auch er "dominiert" nicht von alleine... ;)


    Offenbar hat er ein perfekt funktionierendes Netzwerk in viele Orchester und Opernhäuser hinein, hat sich in Berlin eine unangreifbare Machtstellung gesichert und eine sehr aktive PR-Abteilung. So funktioniert das heute.


    So funktioniert das heute. Und wohl schon immer. UND??? Kann man das Barenboim vorwerfen??? Er nutzt das System wohl sehr geschickt, er macht es aber nicht.
    Ich bin wahrlich kein Barenboim-Fan. Diese Logik aber verfängt nicht. Oder sie trifft, wenn auch auf D.B. gezielt, eigentlich andere, nicht zuletzt den Zuhörer, Karten- und CD-Käufer.


    Substanz? - Fehlanzeige.


    Das sehen viele hier sehr unterschiedlich. Ein bisschen neige ich zur Zustimmung, wobei die Wagner-Einspielungen in meinem Regal ein Gegenbeispiel sind. "Lieder ohne Worte" sind noch da, ob sonst noch was existiert, müsste ich suchen... Pianistisch überzeugt er mich schon lange eher nicht mehr.


    Beste Grüße
    Accuphan



    Ach ja: über die "Kosher Nostra" habe ich auch lachen müssen, ja. Ich denke, das kann und darf man heute ohne Hintergedanken auch. Alles andere zu Politik, Vergangenheit, Verschwörung etc. ist mir dann schon zuviel...

    „In sanfter Extase“ - Richard Strauss (Alpensinfonie, Ziffer 135)

  • Dass er nun so gar nicht viel Erinnernswertes hervorgebracht hat, kann man m.E. auch nicht sagen. Ich erinnere nur an die unten stehenden Boxen:



    Ich weiß, das liegt alles schon etwas etwas länger zurück, aber auch damals hieß der Pianist Daniel Barenboim: die Beethoven-Klavierkonzerte mit Klemp und die Klaviertrios mit seiner Frau Jacqueline du Pré und Pinchas Zukerman sowie die Cello-Sonaten mit seiner Frau und die Violin-Sonaten mit Pinchas Zukerman, alles hinreißend musiziert und die Mozart-Sonaten vom einen oder anderen auch als referenzwürdig eingestuft.

    Aus der neueren Zeit gefallen mir auch die Beethoven KK, die er beim Klavierfestival Ruhr eingespielt hat.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Ach, diese Barenboim-Diskussion...


    Ich denke, er hatte früher mal Substanz, heute nicht mehr.
    Die Beethoven-Konzerte mit Klemperer finde ich sehr gut, mächtig, groß, zupackend - beide Künstler auf der Höhe.
    Auch das frühe Mozart-Requiem und das Bruckner Te Deum auf EMI finde ich wirklich grandios, das macht Spaß zu hören.
    Und die Kammermusikaufnahmen mit Du Pré, die ich in der großen Du Pré-Box alle schön zusammen habe, sind Sternstunden einer künstlerisch einmaligen Partnerschaft. Ich möchte sie nicht missen.


    Leider ist all dies nun schon einige Zeit her und Barenboim hat sich verändert - und das nicht zum Besseren.
    Er ist eben voll in den Betrieb integriert, ist praktisch omnipräsent - auf den Podien und medial. Ich gönne es Ihm, aber für mich wird er dadurch nicht interessanter, sondern uninteressanter.
    Wenn man mir eine Karte für eine Opernvorstellung mit Ihm schenken würde, würde ich sie natürlich annehmen und auch reingehen. Aber ich würde Ihm nicht hinterherreisen, wie ich das mal für Günter Wand oder Michael Gielen gemacht habe.
    Für Carlos Kleiber hätte ich es sicher auch gemacht (aber nur innerhalb Deutschlands).


    Barenboim ist sicher solide, meistens zuverlässig, berechenbar, ohne Extravaganzen, sein Repertoire ist nicht übermäßig interessant und relativ eintönig, er ist überraschungsfrei - das wird das Publikum an Ihm lieben. Er favorisiert die pastose Klangfülle, das etwas hohl wirkende Pathos (besonders bei Bruckner, wie man neulich auf Arte sehen und hören konnte).


    Er repräsentiert eben das, was nach dem Abtreten der "Großen Alten" nachgefolgt bzw. übriggeblieben ist.



    Agon

  • Zitat

    Ich denke, er hatte früher mal Substanz, heute nicht mehr.

    Einspruch:
    Bestimmt Komponisten haben mich bereits seit langen in Barenboimschen Lesart nur wenig interessiert.: z.B. Beethoven, Brahms.


    Aber bei Wagner sind der Ergebnisse oft sehr unterschiedlich ausgefallen. Und das wird möglicherweise in Zukunft auch der Fall sein.
    Der 1. Akte Walküre mit den Divan in Revello (konzertant) ist vortrefflich musiziert, was Spannung, Intensität betrifft, während die Mailänder Premiere verschleppt und zäh geriet.


    Die Schönbergschen Orchestervariationen gelangen in den letzten Jahren mit dem Divan und der Staatskapelle beispielhaft, in Bezug auf Durchhörbarkeit, Dynamik und Ausdruck. Ganz in Gegenatz - Jahre vorher - mit dem CSO.
    Nur wenige Musiker schaffen es - nach meinen Eindruck - dieses Schönbergwerk in dieser hohen Qualität wiederzugeben..


    Ebenso exemplarisch die Radiomitschnitte mit Werken von Boulez und Ellliott Carter.... ich bin schon gespannt mir den jüngsten Mitschnitt (Carter: What are the Years; Strawinsky: Geschichte vom Soldaten) aus Berlin mir reinzuziehn...

    Zitat

    Barenboim ist sicher solide, meistens zuverlässig, berechenbar, ohne Extravaganzen, sein Repertoire ist nicht übermäßig interessant und relativ eintönig, er ist überraschungsfrei - das wird das Publikum an Ihm lieben.

    sein engagierter Einsatz für Boulez, Busoni, Schönberg und Elliott Carter kann doch nicht als eintönig bezeichnet werden.. eintönig ist doch eher das Repertoire von Thielemann... selbst Wand vertrat nicht so ein vergleichbar breites Spektrum der zeitgenössischen und klassischen Moderne..


    :hello:

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  • sein engagierter Einsatz für Boulez, Busoni, Schönberg und Elliott Carter kann doch nicht als eintönig bezeichnet werden.. eintönig ist doch eher das Repertoire von Thielemann... selbst Wand vertrat nicht so ein vergleichbar breites Spektrum der zeitgenössischen und klassischen Moderne..


    Wo diese Weisheiten bloß nur immer herkommen :no: ...., aber als Wand u.a. Schönberg dirigierte, da war Schönberg wirklich neu und "echt" zeitgenössisch, also in einer Zeit, in der ein Barenboim den Namen noch gar nicht schreiben konnte, wahrscheinlich auch nicht kannte.
    Wand hatte sich schon immer für "moderne" Werke und damit für "zeitgenössische" Komponisten eingesetzt, viele davon erst- oder uraufgeführt und sich selbst im Konzertsaal nicht gescheut, dem Publikum zu sagen, dass sich das eben gehörte Werk wohl nicht nach einmaligen Hören erschließe und es deswegen direkt noch einmal präsentierte...
    Und ich denke, dass er u.a. mit Fortner, Baird, A. Zimmermann, Hindemith, Messiaen, Orff, Ligeti, Webern, Schönberg, Strawinsky, [selbst Bartok war damals noch neu] und zahlreichen anderen ein wesentlich breiteres Spektrum hatte, zuzüglich Oper und Operette, als sich ein Barenboim, [offensichtlich wohl] um dem Publikumsgeschmack zu entsprechen, jemals wird erarbeiten können. Wobei man jetzt von Carter bedingt absehen muss.


    Bezüglich der Schönberg'schen Orchestervariationen gibt es auch einige andere Musiker, die dieses Werk, zumindest aus meiner Sicht (über Geschmack lässt sich bekanntlich ja nicht streiten...), detaillierter getroffen haben, wie ein Michael Gielen oder ein Pierre Boulez. Und selbst einer der "großen Alten", ich meine es ist Hans Rosbaud gewesen, war damit wesentlich näher am Komponisten dran, als Barenboim mit seiner m.E. modernisiert angepassten Sichtweise.


    Dass Barenboim auf sich und seine Ziele aufmerksam macht, kann man ihm nicht verdenken, und in der heutigen Zeit geht das offensichtlich nur sehr 'laut', also über größte Medienwirksamkeit (z.B. Wagner in Israel spielen).
    Frühere Musiker, auch Wand, konnten derartiges noch wesentlich 'leiser' aber nicht minder wirksam erreichen.


    Seit Barenboim sich (überwiegend) dem Dirigieren zugewandt hat, ist er für mich nur noch der "große Zampano " (im Sinne von Fellini's Filmfigur), und mit dem, was ich seither von ihm gehört habe, egal aus welchem Bereich, mag er zwar ein großes Publikum erreichen - welchem ich aber Kenntnisse in der Musik, die über "Für Elise" hinaus gehen, weitesgehend abspreche - ich persönlich kann ihn nicht mehr ernst nehmen.
    Und selbst der erwähnte "Zampano" war mit Anthony Quinn besser besetzt... ;)


    Gruß
    Jürgen

    Wenn Freiheit überhaupt etwas bedeutet, dann das Recht, den Menschen zu sagen, was sie nicht hören wollen. [frei nach George Orwell]

  • Zitat

    Und ich denke, dass er u.a. mit Fortner, Baird, A. Zimmermann,
    Hindemith, Messiaen, Orff, Ligeti, Webern, Schönberg, Strawinsky,
    [selbst Bartok war damals noch neu]

    die Soldaten hat er hintertrieben, Hindemiths und Orffs Musik waren zu Wands Zeiten bereits etwas abgestanden und später hat er kaum mehr klassische und zeitgenössische Moderne aufgeführt, im Gegensatz zu Scherchen oder Rosbaud ...

    Zitat

    Bezüglich der Schönberg'schen Orchestervariationen gibt es auch einige andere Musiker, die dieses Werk, zumindest aus meiner Sicht (über Geschmack lässt sich bekanntlich ja nicht streiten...), detaillierter getroffen haben, wie ein Michael Gielen oder ein Pierre Boulez. Und selbst einer der "großen Alten", ich meine es ist Hans Rosbaud gewesen,
    war damit wesentlich näher am Komponisten dran, als Barenboim mit seiner m.E. modernisiert angepassten Sichtweise.

    Gielen bei den O-variationen leider nicht. Zu sehr am Buchstaben. Gielens Jakobsleiter + Glückliche Hand dagegen fantastisch.


    Rosbauds Mono-Einspielung ist in der Tat sehr beeindruckend, aber die Mitschnitt mit den Divan-Orchester aus Stockholm erreicht, was rythmische Gestaltung, Durchhörbarkeit und Inensität betrifft ganz mühelos Rosbaud.. da wäre eher Boulez Lesart in Richtung Klangsensualität "angepasster", der Meinung bin ich aber nicht..weil Klang auch ein wichtiger Teil von Schönbergs Mucke ist..


    Boulez Studioeinspielung der O-Variationen finde ich grauslich, seine Livewiedergabe von 2009 in Paris aber ganz ausgezeichnet, vor allem was die z.B. die Ausarbeitung von Klangfarben betrifft...

    Zitat

    Dass Barenboim auf sich und seine Ziele aufmerksam macht, kann man ihm nicht verdenken, und in der heutigen Zeit geht das offensichtlich nur sehr 'laut', also über größte Medienwirksamkeit (z.B. Wagner in Israel spielen).
    Frühere Musiker, auch Wand, konnten derartiges noch wesentlich 'leiser' aber nicht minder wirksam erreichen.

    das sagt nichts über die Qualität der Wiedergaben aus..

    Zitat

    - ich persönlich kann ihn nicht mehr ernst nehmen.

    es geht doch um die Wiedergaben nicht um die Person Barenboims. Und warum sollte die Qualität von Busonis Dr. Faust unter Leitung von Barenboim nicht ernst genommmen werden, was hat der Einsatz für diese Musik oder die seines Freundes Elliott Carter mit "großen Zampano" zu tun ?

    Zitat

    mag er zwar ein großes Publikum erreichen -welchem ich aber Kenntnisse in der Musik, die über "Für Elise" hinaus gehen, weitesgehend abspreche

    Woher leitest du diese Schlussfolgerungen ab ?
    Warst du bei den Konzerten zugegen, in denen ausschließlich Musik von Carter bzw. Boulez (Berlin) gespielt wurde, oder beim letzten Konzert mit den Stücken von Carter und Strawinsky oder in Boston wo er zusammen mit Levine ein Stück von Carter aus der Taufe hob ?




    :hello:

  • In der Tat war gerade Günter Wand Jemand, der sich unbedingt für zeitgenössische Komponisten stark gemacht hat, insbesondere für Olivier Messiaen und Bernd Alois Zimmermann sowie Wolfgang Fortner und Igor Stravinsky. Und das, wie jpsa richtig anmerkt, zu einer Zeit, wo man für diese Komponisten kämpfen musste und vom Publikum i.d.R. absolut ablehnende Reaktionen kamen. Und da war Günter Wand vollkommen unbeirrbar, unbestechlich und konsequent. Er hat es sich in Köln und Hamburg nicht leicht gemacht. Er hatte immer Konflikte mit Musikern, Verantwortlichen und eben auch dem Publikum. Die Verehrung erreichte Ihn erst im Alter.


    Ganz anders dagegen Barenboim: er mußte nie kämpfen, war von Anfang an das pausbäckige Wunderkind, das sich sang- und klanglos mit dem Musikbetrieb arrangierte. So ist es bis heute geblieben. Wenn Barenboim dirigiert, dann geht es um Nichts außer um das Reproduzieren von Noten, ob es nun Wagner, Mozart, Carter oder Schönberg ist. Es ist sattes, gemütliches Dirigieren. Es gibt in seinem Bruckner keinen existentiellen Kampf wie bei Wand, keine Abgründe. Es ist leicht konsumierbar und genauso schnell wieder vergessen. Da bleibt nix hängen. Hingegen wird mir das erste Wand-Konzert in Hamburg mit Bruckners Vierter 1996 wohl nie mehr aus dem Gedächtnis verschwinden. Der Anfang, das Scherzo, der Schluß...



    Agon

  • Zitat

    dann geht es um Nichts außer um das Reproduzieren von Noten, ob es nun Wagner, Mozart, Carter oder Schönberg ist. Es ist sattes, gemütliches Dirigieren

    welche Werke von Carter und Schönberg würden dann unter dieser Kathegorie des satten und gemütlichen Dirigierens von Barenboim fallen ?
    :hello:

  • Lieber Agon,


    alles, was du über meinen Lieblingsdirigenten Günter Wand sagst, kann ich voll unterstreichen, aber im Falle Daniel Barenboim sehe ich die ganze Sache etwas anders. Er hat sich sehr früh auch dem Dirigieren zugewandt, wohl wissend, welchem Risiko er sich damit aussetzte, dass nämlich seine Qualität als Pianist darunter leiden könnte. Das ist es ja, was ihm seine Kritiker auch vorwerfen. Darüber habe ich mit meinem Freund Swjatoslaw schon so manchen Strauss ausgefochten. Ich finde z.B. seine Beethoven-Sinfonien ganz ausgezeichnet, auch wenn sie von einem getragenen Tempo gekennzeichnet sind, aber ähnlich wie die von Celi ganz spannungsreich msuiziert sind. Über seinen Bruckner kann man geteilter Meinug sein, ich bin es nicht, und sein Wagner ist auch nicht der Schlechteste.
    Interessanterweise hält meine Tochter seine Mozart-Klavierkonzerte (mit den Berliner Philharmonikern) für sehr gut.


    Liebe Grüße


    Willi ^^

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Zitat

    welche Werke von Carter und Schönberg würden dann unter dieser
    Kathegorie des satten und gemütlichen Dirigierens von Barenboim fallen ?

    Mir, verehrter Amfortas08, geht es um Barenboims Grundeinstellung zum Dirigieren. Ich nehme es Ihm einfach nicht ab, daß es Ihm wichtig ist, Werke von Carter und Schönberg oder Boulez zu dirigieren. Ein Konzert bei den letzten Salzburger Festspielen bestand aus Boulez Notations, Beethovens 4. Klavierkonzert und Bruckners Te Deum. Zunächst mal: was ist denn das für eine fragwürdige und vollkommen unpassende Programmgestaltung? Sowas regt mich schonmal grundsätzlich auf. Das sind solche Kompromißprogramme, wo vorne und hinten nichts stimmt. Das Publikum im Salzburger Festspielhaus bekommt vor Beethoven Boulez serviert, es wird schulterzuckend abgenickt und hingenommen. Wenn ich mir die Wiedergaben anhöre, naja, Routine dominiert. Klar spielen die Wiener Philharmoniker auf hohem Niveau, mehr aber nicht. Das einzig wirklich Positive am Bruckner Te Deum war der Solist Rene Pape, der markant und hervorstechend war. Damit hob er sich wohltuend von der vorherrschenden Pauschalisierung ab. Barenboim als Solist und Dirigent - ich mag diese Personalunion sowieso nicht, da fehlt einfach ein künstlerisches Interagieren und Spannung.
    Es kann ja sein, daß es gute-sehr gute Carter- und Schönberg-Aufführungen mit Ihm gibt, klar. Angeblich hat er in Berlin jetzt auch Wozzeck sehr gut dirigiert. Sein Hauptproblem ist schlichtweg, daß er zuviel macht und sich nicht bescheiden kann oder will. Wenn ich moderne Musik wirklich gut und seriös hören will, gehe ich hier zum Ensemble Modern oder zum HR, da weiß ich, was ich bekomme.



    Agon

  • Lieber Agon,


    was macht denn dein "Intimfeind" Paavo Järvi so in Sachen moderner Musik in Frankfurt?


    Lieb Grüße


    Willi ?(

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Zitat

    Mir, verehrter Amfortas08, geht es um Barenboims Grundeinstellung zum Dirigieren. Ich nehme es Ihm einfach nicht ab, daß es Ihm wichtig ist, Werke von Carter und Schönberg oder Boulez zu dirigieren.

    Den Ergebnissen nach schon. Die sind erste Sahne...

    Zitat

    Ein Konzert bei den letzten Salzburger Festspielen bestand aus Boulez Notations, Beethovens 4. Klavierkonzert und Bruckners Te Deum. Zunächst mal: was ist denn das für eine fragwürdige und vollkommen unpassende Programmgestaltung? Sowas regt mich schonmal grundsätzlich auf. Das sind solche Kompromißprogramme, wo vorne und hinten nichts stimmt. Das Publikum im Salzburger Festspielhaus bekommt vor Beethoven Boulez serviert, es wird schulterzuckend abgenickt und hingenommen. Wenn ich mir die Wiedergaben anhöre, naja, Routine dominiert. Klar spielen die Wiener Philharmoniker auf hohem Niveau, mehr aber nicht. Das einzig wirklich Positive am Bruckner Te Deum war der Solist Rene Pape, der markant und hervorstechend war. Damit hob er sich wohltuend von der vorherrschenden Pauschalisierung ab. Barenboim als Solist und Dirigent - ich mag diese Personalunion sowieso nicht, da fehlt einfach ein künstlerisches Interagieren und Spannung.

    Das Konzert würde mich auch nicht reizen, weil ich Bruckners sog "geistl. Musilk" nicht sonderlich mag und mir Barenboims Beethoven Lesart bisher mir nie nahe ging.. . Kombination zwischen moderner mit sog. traditioneller Musik ist andererseits nicht übel..

    Zitat

    Sein Hauptproblem ist schlichtweg, daß er zuviel macht und sich nicht bescheiden kann oder will.

    Das klingt doch schon differenzierter und fairer als in den voherigen Postings.

    Zitat

    Wenn ich moderne Musik wirklich gut und seriös hören will, gehe ich hier zum Ensemble Modern oder zum HR, da weiß ich, was ich bekomme.

    HR und EM bilden zweifellos gute Adressen. Aber zu ergänzen wären sogar die Wiener Philharmoniker wenn sie unter Metzmacher Luigi Nonos Al gran sole aufführen, Bostoner, Londoner + Cleveländer mit Bergs Kammerkonzert, Das SWR -So unter Gielen, Saarbrücken unter Hans Zender usw usw...
    aber ebenso das Divanorchester, die Berliner Staatskapelle mit Schönberg, Carter und Boulez gestalten unter Barenboim hochkarätige Wiedergaben.. da kann von "Unseriösität " beim besten Willen nicht gesprochen werden ....

    Zitat

    was macht denn dein "Intimfeind" Paavo Järvi so in Sachen moderner Musik in Frankfurt?

    eher wenig, aber sie haben mal Schönbergs "Ode an Napoleon" vorzüglich wiedergegeben


    :hello:

  • Zitat

    Das Konzert würde mich auch nicht reizen, weil ich Bruckners sog
    "geistl. Musilk" nicht sonderlich mag und mir Barenboims Beethoven
    Lesart bisher mir nie nahe ging.. . Kombination zwischen moderner mit
    sog. traditioneller Musik ist andererseits nicht übel..

    Am 16.07. wird das Konzert um 20.15 Uhr auf 3sat wiederholt. Da kannst Du dann selber beurteilen, ob die Kombination passt oder nicht.
    Ich persönlich finde die Kombination alt/neu i.d.R. gut, aber sie muss aufeinander bezogen und passend sein, und das ist hier gar nicht der Fall.


    Ehrlich gesagt zählen Carter und Boulez auch nicht zu meinen favorisierten modernen Komponisten. Diese Musik sagt mir wenig.
    Und Barenboim bringt sie mir auch nicht näher. Dann schon eher Oliver Knussen, der ein ausgewiesener Experte der Moderne ist.


    William B.A.:


    Mein "Intimfeind" hat auch schon Moderne dirigiert. Einige Auftragswerke des HR von Tüür und Furrer sowie Varèses Amériques z.B. Auf diesem Wege sollte er weitermachen. Macht er aber nicht, wie das Saisonprogramm 2011/12 beweist. Zum Glück gibt es noch das "Forum Neue Musik".



    Agon

  • Zitat

    Ich persönlich finde die Kombination alt/neu i.d.R. gut, aber sie muss aufeinander bezogen und passend sein, und das ist hier gar nicht der Fall.

    das ist in diesem Fall auch mein Eindruck

    Zitat

    Ehrlich gesagt zählen Carter und Boulez auch nicht zu meinen favorisierten modernen Komponisten. Diese Musik sagt mir wenig.Und Barenboim bringt sie mir auch nicht näher. Dann schon eher Oliver Knussen, der ein ausgewiesener Experte der Moderne ist.

    ich habe Mitschnitte und Aufnahmen von Carter unter Olli Knussen, die ich sehr schätze. Aber ich habe bisher überhaupt nicht den Eindruck, dass Barenboims Carter-Wiedergaben hinter denen von Knussen musikalisch zurückfallen.....


    Beeindruckende Wiedergaben der zeitgenössischen Moderne gelingen auch Musikern, die eher wenig mit dieser Epoche am Hut haben. z.B. Mitschnitt von Luigi Nonos Canto sospeso unter Fabio Luisi vom 03.02.04. Diese überragende Wiedergabe überstieg bei weitem die unter Metzmacher vom 22.03.04 und Holligers vom 02.05.04 und vom 05.09.04 und sogar die kommmerzielle CD mit Abbado ..
    :hello:

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