Im Schatten der andern - Ludwig van Beethoven: Sinfonie Nr 8 op. 93

  • Ist ja schon faszinierend, hier Threads zu lesen: meine beiden Lieblingsaufnahmen der Achten sind seit - doch, stimmt! - jeher diejenigen von Scherchen und Leibowitz (= zugegeben, letztere war wohl schlicht die erste, die ich kennenlernte) gewesen, nur habe ich mir nie Gedanken dazu gemacht, woran das liegen könnte; die gefielen mir über die Jahre einfach besten. Also: offenbar auch absoluten Banausen zu empfehlen...


    :hello:


    Liebe Grüsse aus der Schweiz, David.

  • Zitat

    Original von teleton
    ...es ist unglaublich, aber durch einen hörapetitanregenden Beitrag im Thread "Die Pauke - der Grund des Orchesters" von Herbert Henn über die Beethoven-Sinfonie Nr.8-Aufnahme mit Blomstedt von 1975 habe ich mir im vor dem Sommerurlaub für einen unsagbar günstigen Preis von 9,99€ die Brillant-
    H.Henn berichtete über die Top-Umsetztung der Paukenstellen in der Sinfonie Nr.8.
    Sinfonie Nr.8, die von Blomstedt unglaublich straff und mit großer Präzision gespielt wird und durch ihre dominanten Pauken begeistert - tolle Aufnahme.


    Guten Abend!
    Wie schön, dass hier noch jemand auf die Pauken hört! :)
    Diese erleben in dieser Sinfonie etwas neues, nämlich eine Stimmung in der Oktave. Nach der Quintenstimmung (C-F) werden die Pauken im Finale in Oktavstimmung (f-F) gespielt.
    Ich kenne bis jetzt noch kein Stück, bei dem dies vorher geschehen wäre.


    Das gleiche geschieht dann in der Neunten im Scherzo - dort aber noch auffälliger, weil f-F nicht mehr die Tonika sondern die Terz zur Grundtonart ist... Sensationell!


    Grüße
    Accuphan

    „In sanfter Extase“ - Richard Strauss (Alpensinfonie, Ziffer 135)

  • Hallo!


    Mir ist überhaupt nicht klar, wie ich die Achte deuten soll; ich stelle in diesem Werk eine gewisse Ambivalenz fest. Da ist zum einen der parodistische Charakter, der das Werk durchzieht, vor allem in den Mittelsätzen auch durchaus humorig dargebracht.
    Zum anderen nutzt Beethoven im Finale und in der Durchführung des ersten Satzes drastischste Mittel, um der teils ansichtlich hölzern konstruierten Musik (z.B. kontrapunktische Passagen) Energie zu entlocken, zum Beispiel die vielfache Wiederholung dieser kurzen, mit einem "Knall" endenden Figur gegen Ende der Durchführung im ersten Satz, oder die extremen dynamischen Kontraste im Finale. Das Ergebnis ist hochdramatisch, sehr aggressiv bis hin zum völlig zerfahrenen Finale und wirkt auf mich wie ein Mit-dem-Kopf-voran-durch-die-Wand-Rennen, Beethovensche Unwirrschheit par excellence.
    Dieter Rexroth deutet diese Symphonie in seinem Beethoven-Büchlein als ersten Ausdruck der bald darauf folgenden langen Schaffenskrise, als grimmiges Eingeständnis Beethovens, nicht so weiterkomponieren zu können wie bisher - aber in diesem Lichte scheinen mir die humorvollen Aspekte zu kurz zu kommen.
    Wie seht Ihr diese Symphonie?



    Gruß,
    Frank.


  • Dausgaard, meine neue Errungenschaft, ist da nicht schlechter:



    Er benötigt für I = 8'22 und für II = 3'51. Nach obigem Schema liegt Immerseel bei 2,78 (100/36), Dausgaard bei 2,789 für I und bei 2,805 für II. Insofern ist das Tempo von I und II sehr kongruent.


    Insgesamt legt Dausgaard ein recht zügiges Tempo vor, was dem Werk aber m. E. gut bekommt. Das ist sehr energiereich und spaßig, was er da macht!


    Außerdem muß hier entweder ein anderes Trio beim Menuett gespielt werden, oder ich habe das (so) noch nie gehört... war mir jedenfalls völlig neu :D


    :hello:


    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)


  • Ich kenne jetzt auch die '77er Aufnahme unter Karajan. Es wurde ja vor einiger Zeit angemerkt, daß diese besser sein soll als die digitale von '84. Mir gefielen beide; die ältere ist wohl wirklich spritziger.


    Insgesamt zur Symphonie: Sie ist "nett", aber löst bei mir nun nicht den Drang aus, sie besonders oft anzuhören, anders als Fünfte, Sechste und Neunte.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Hallo Joseph und Beethoven - Hörer,


    so sehr ich auch die Karajan-Aufnahmen der Beethoven-Sinfonien schätze (und zwar alle drei DG-Zyklen), so muß man eingestehen, dass die Karajan-Aufnahmen der Sinfonie Nr.8 recht nur "solide" (etwas hausbacken) gelungen sind; mit einem von Aufnahme zu Aufnahme nachlassendem Temprament von DG, 1962 - über 1977 - bis 1984, DDD.


    Vergleiche das Werk und die Karajan-Aufnahmen mal mit dem straffen Szell (SONY), dem klaren und detailreichen Leibowitz (Chesky), Blomstedt (Briallant) (mit den schönen Pauken) und den großsinfonisch zupackenden Bernstein-Aufnahmen (beide (SONY) und (DG)) , dann wirst Du feststellen, das da bei Karajan einiges fehlt.
    Auch die allgemein nicht so beliebte Zinman-Aufnahme (ARTE) gibt hier Details frei, die man in keiner anderen Aufnahme je so vermittelt bekommen hat - und das in aberwitzígem Tempo, das ich jetzt nach meinem kürzlichen Leibowitz-Neuzugang voll anerkennen muß.



    Es ist Wahnsinn. Seit einiger Zeit ist mir bewußt das Solti nicht nur den Analog-Beethoven-Zyklus in den 70er-Jahren aufgenommen hat, sondern auch einen Digital-Zyklus (Decca, 80er, DDD), auf den ich nun neugierig bin, da er im tempomäßigen Zugriff offenbar Fortschritte gemacht hat.....

    Aus diesem Digital-Zyklus habe ich mir jetzt einige Einzel-CD´s bestellt.
    Die alte Solti-Aufnahme der Sinfonie Nr.8 (Decca, 1972, ADD) habe ich immer als werkgetreu und für Beethoven höchst angemessen geschätzt.
    Die digitale Solti-Aufnahme (Decca, 1988, DDD) habe ich gestern erhalten.
    :] Was Solti hier für eine straffe Energie entwickelt, mit feinster Detailarbeit die aufs Beste vom hervorragenden Chicago SO unterstützt wird ist frapant. Das Ganze in allerbester Klangtechnik. Bisher habe ich zum Beispiel Blomstedt wegen seiner schönen Pauken geschätzt; aber auch Blomstedt ist mir dagegen zu solide langsam.
    :yes: Die Solti-Digitalaufnahme scheint meine persönliche Referenzaufnahme für die Sinfonie Nr.8 zu werden. Solti spielt (nur hier bei der Nr. 8...) in einer ganz anderen Liga als Karajan. Er sieht die Sinfonie Nr.8 nicht als kleinen Vorgänger der großen Neunten, sondern als großes Beethoven-Werk, das gleichwertig neben der 7ten steht - Klasse.



    Decca, 1988, DDD
    --------------------------------------------------


    PS: Klarer Trennstrich, denn leider wird diese Begeisterung nicht bei der Sinfonie Nr.7 gehalten, die zwar tempomäßig im 3. und 4.Satz Fortschritte in Richtung richtiger Metronomisierung macht, aber auf der anderen Seite nicht die kernige Energie hat, wie in seiner (zu langsamen) Analogaufnahme. Solti verschenkt bereits in den Anfangstakten der Sätze 3. und 4. den nötigen Spannungsaufbau - Karajan (alle) wären hier wiederum als als positives Beispiel zu nennen !
    :hello: Auf weitere Unterschiede Solti analog vs Solti digital werde ich so nach und nach berichten .....

    Gruß aus Bonn, Wolfgang


  • In dieser hervorragenden Sawallisch-Sammlung fristet die Achte bei mir keineswegs ein Schattendasein.


    Frisch und voller Elan läßt sie auch bei Regenwetter die Sonne scheinen.


    :hello:

    Freundliche Grüße Siegfried


  • Eine der wohl besten Interpretationen der 8. legt Furtwängler vor (Live-Mitschnitt von den Salzburger Festspielen vom 30.08.1954).
    Monumental und titanenhaft, wie man ihn kennt, bringt er auch diese "im Schatten der anderen" stehende Beethoven-Symphonie zu Gehör.
    Die 8. Symphonie ist auch jene, von der die zweitwenigsten Aufnahmen unter Dr. Fu vorliegen (drei Stück: Stockholm 13.11.1948 mit den Stockholmern, Berlin 14.04.1953 mit den Berlinern und eben die Salzburger Aufnahme mit den Wienern; der Berliner Mitschnitt vom 20.12.1932 umfaßt lediglich den II. und III. Satz), hierin lediglich noch von der 2. übertroffen, von der es nur eine einzige erhaltene Aufnahme gibt.
    Die Tonqualität ist gemessen am Alter hervorragend.


    Die Spielzeiten:


    I. 8'30
    II. 4'37
    III. 5'48
    IV. 7'54
    Ges. 27'19


    Kennt jemand die Stockholmer und/oder Berliner Aufnahme, am besten noch auch die hier angesprochene Salzburger, und könnte einen Vergleich aufstellen? Von der Orchesterqualität ist ja anzunehmen, daß die Stockholmer gegenüber den Berlinern und Wienern doch abfallen.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Im Archiv habe ich folgende zwei Aufnahmen gefunden und mir mal für's Wochenende zum Hören rausgelegt. Momentan kann ich dazu nichts sagen. Die Salzburger mit den Wienern habe und kenne ich nicht.


    1.) Berliner Philharmoniker, Berlin Titania-Palast, 14 April 1953 -- 08:05 - 04:34 - 05:38 - 07:51
    2.) Stockholm Philharmonic Orchestra, Stockholm Konserthus, 13 November 1948 -- 07:53 - 04:34 - 05:50 - 07:35



    Gruß enkidu2

    Nach Schlaganfall zurück im Leben.

  • Wie es der Zufall will, bin ich mit meinen Hörsitzungen bei der Hogwood-Gesamtaufnahme so weit fortgeschritten, dass heute Abend die Achte dran ist:



    Allerdings kann ich ich von den bisherigen sieben sagen, dass keine im Schatten der anderen gestanden hätte, was die Interpretation anlangt. Ich hoffe das auch von der Achten und werde nach dem Anhören von meinen Erfahrungen berichten.


    Liebe Grüße


    Willi ?(

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Ich komme gerade von der Hörsitzung zurück und kann berichten, dass Hogwood hier einmal mehr eine schwungvolle, scharf akzentuierte Interpretation abliefert und mit


    Zitat

    Zitat von Teleton:


    Blomstedt (mit den schönen Pauken)

    ebenfalls sehr schönen Pauken, die maßgeblich zu einer rassigen Darbietung vor allem im Finale beitragen. Trotz eines vollen Klanges ist wiederum die Transparenz sehr gut.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Hallo William B.A.


    Hogwood macht Spass, gelle?


    Lebendig, frisch, spritzig.


    Kein Dröhnklang, man hat das Gefühl, als ob die Instrumente einzeln durch den Tontechniker ausgesteuert werden.


    Ein Musikerlebnis!


    Viele Grüße Thomas


    P.S. Und wieder diese Hörner... als ob man direkt neben den Bläsern steht!

  • Jetzt reicht es aber. Habe sofort bestellt:


    und diese gleich mit:



    Und wehe, es kommt keine Freude auf (Spaß).


    LG, Bernward :yes:


    "Nicht weinen, dass es vorüber ist
    sondern lächeln, dass es gewesen ist"


    Waldemar Kmentt (1929-2015)


  • Hallo Thomas Sternberg,


    in diesem oder in einem der anderen Beethoven-Threads hast du gesagt, dass du die 8. unter Dausgaard kennst, sie dir aber nicht gefällt.
    Es würde mich freuen, wenn du das etwas präzisieren würdest, könnten wir uns dann einmal über eine Aufnahme aus diesem Jahrhundert unterhalten und müssten nicht dauernd solche aus dem vorherigen als Grundlage unserer Diskussion nehmen.


    Viele Grüße
    John Doe
    ;)

  • Hallo Thomas,


    ich habe schon mal kurz reingehört. Werde mir den ganzen Zyklus nacheinander reinziehen und zwischendurch keine Vergleiche mit anderen Aufnahmen anstellen. Von den bisherigen Aufnahmen u.a. (Mozart und Haydn), die ich mit dem Orchester habe, war ich sehr zufrieden.


    LG, Bernward


    "Nicht weinen, dass es vorüber ist
    sondern lächeln, dass es gewesen ist"


    Waldemar Kmentt (1929-2015)


  • Hallo John Doe,


    mit Vergnügen gehe ich hiermit auf deine Anregung ein.


    Lass mich mal zunächst das Werk an sich "lesen". Es lebt aus dem Gegensatz von kurzen, fast schroffen Einwürfen und den langwelligen, rythmischen Elementen, die zumeist durch die Violinen getragen werden. Und alles in einem Beethoven-Kontext, der seine eigene Formensprache findet und aus den Elementen Rythmus und Punktuierung sein Klanggebilde formt.


    Je öfter ich die Achte höre, um so mehr höre ich die "Fallen" der Symphonie. Wie einfach wäre es doch, sich ganz dem Rythmus hinzugeben, die Punktierungen als Akzente herausspielt... Wenn nicht das Tempo wäre! Und dieses gewählte Tempo ist der Knackpunkt Dausgaards Interpretation. Die Violinen spielen bei ihm kurz, sie treten zu sehr in den Hintergrund. Sehr schön ist es am Beginn der Sätze zu hören. Wenn es die Violinen hier nicht schaffen, sich durchzusetzen, stehen sie den gesamten Satz "auf verlorenem Posten"! Sie schaffen es nicht, das wellenartige Rythmus-Grundgebilde zum gleichwertigen Partner mit den schroffen und teiweise "scharfkantigen" Akzenten zu etablieren.


    Nochmal zur Klarheit: Die Achte ist ein Werk aus Rythmus, Pointierung und absolut gleichwertig, Tempo. Ich nenne es einfach mal Dreidimensional. Das macht sie sicher zu einer der am schwierigsten zu spielenden Symphonien.


    Um so mehr verdient es meine Hochachtung, das sich Dausgaard dieser Dreidimensionalität stellt. Er hat den Vorteil des wirklich wendigen, hervorragenden Orchesters, das geradzu bravourös das Tempo hält. Die Akzente sind auch kein Problem, nur das aufbauende Spiel der Violinen kommt zu kurz.


    Die Achte ist eine Herausforderung für jedes Orchester und irgendwie sehe ich Ludwig auf Wolke Sieben sich schelmisch die Hände reiben!


    Werter John Doe, wie hörst du die Achte? Auf deine Eindrücke freue ich mich schon!


    Ich habe jetzt wirklich nur die Interpretation Dausgaards auf mich wirken lassen, kein Vergleichshören, quasi eine Homage an Dausgaard, die sich gelohnt hat!


    Viele Grüße Thomas

  • Zitat

    Zitat von Thomas.


    Die Achte ist ein Werk aus Rhythmus, Pointierung und absolut gleichwertig, Tempo. Ich nenne es einfach mal dreidimensional.

    Dem kann ich vollkommen zustimmen. Ich halte die Achte unter dem letzten Aspekt, Tempo, sogar für den "Ferrari" unter Beethovens Symphonien und für eine logische Fortsetzung der tänzerischen Siebten, oder wenn man beide Symphonien in ihrer Anlage im Zusammenhang sieht, was ja von Beethoven durchaus gewollt gewesen sein könnte, für das großartigste Beispiel solcher Musik.
    Und du hast weiter Recht, sie ist absolut schwer, jedenfalls, wenn sie perfekt interpretiert sein soll.
    Während ich diese Zeilen schreibe, habe ich eine meiner Lieblingsversionen der Achten auf dem Ohr, nämlich diese hier:



    Sir Roger Norrington hat, wie Hogwood, ebenfalls in den 80ern, mit seinen London Classical Players, eine viel beachtete HIP-Version der neun Symphonien eingespielt, zu der ich noch oft greife (sie steht seit über 20 Jahren in meinem CD-Regal), und besonders lieb ist mir eben die Achte.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • eine logische Fortsetzung der tänzerischen Siebten,



    Werter Willi,


    ob die Achte eine Fortsetzung ist mag wieder ein Anlass für eine Analyse zu sein. Ich sehe die Symphonien Beethovens doch als zu eigenständig in ihren differenziernden Details an.


    Lohnt sich auf jeden Fall wieder darüber zu sprechen!


    Viele Grüße Thomas

  • Zitat

    Zitat von William B.A.:


    Sir Roger Norrington hat, wie Hogwood, ebenfalls in den 80ern, mit seinen London Classical Players, eine viel beachtete HIP-Version der neun Symphonien eingespielt, zu der ich noch oft greife (sie steht seit über 20 Jahren in meinem CD-Regal), und besonders lieb ist mir eben die Achte.


    Dieses Votum finde ich sehr interessant. Die Achte habe ich bisher nie besonders beachtet (unbeabsichtigtes Wortspiel), bis ich eine einzelne CD mit den Symphonien Nr. 2 und 8 in dieser Norrington-Einspielung in die Hände bekam.



    Ich war begeistert von dieser frischen, lebendigen und farbig/lebendig musizierten Einspielung, dass ich mir gleich die ganze Box bei einer Sonderaktion gekauft habe - obwohl ich Norringtons Stuttgarter Einspielung des Beethoven-Zyklus ebenfalls schon habe.


    Ich habe manche andere Aufnahme noch einmal gehört, aber die Londoner Einspielung von Beethovens 8. Symphonie durch Norrinton/LCP scheint mir die Referenzaufnahme dieses Werkes zu sein.


    Freundliche Grüße aus Richtung Nordwest, Andrew

    „Nichts auf Erden ist kräftiger, die Traurigen fröhlich, die Ausgelassenen nachdenklich, die Verzagten herzhaft, die Verwegenen bedachtsam zu machen, die Hochmütigen zur Demut zu reizen, und Neid und Hass zu mindern, als die Musik.“

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Dausgaard, Hogwwod, Norrington...


    Ich bin mir dessen bewusst, mit meiner Besprechung hier soetwas wie den Antichrist für alle HIP-Jünger vorzustellen, doch ist dieser Ansatz, um den es hier geht, meines Erachtens so außergewöhnlich, dass er wenn auch nicht wegen seiner Gültigkeit, so doch wegen seiner Singularität gewisse Aufmerksamkeit verdient.


    Mir liegen zwei Aufnahmen von Beethovens Achter unter Knappertsbusch vor:



    Ludwig van Beethoven
    Symphonie Nr. 8 F-dur op. 93
    Bayerisches Staatsorchester
    Hans Knappertsbusch
    19.12.1959 LIVE



    Ludwig van Beethoven
    Symphonie Nr. 8 F-dur op. 93
    Münchner Philharmoniker
    Hans Knappertsbusch
    18.10.1956 LIVE



    Ich werde mich im Folgenden über die Aufnahme mit den Münchner Philharmonikern äußern, nicht nur, weil der Mitschnitt aus Ascona klanglich der ORFEO-Aufnahme deutlich überlegen ist - obwohl älteren Datums - sondern hauptsächlich, weil das Besondere, Singuläre an Knappertsbuschs Interpretation hier noch weitaus deutlicher herausgearbeitet ist. Es ist definitiv die Extremere der beiden Aufnahmen.


    Man assoziert Beethovens Achte ja gemeinhin mit einer gewissen Leichtigkeit und Beschwingtheit, man ist bei diesem Stück von den meisten Dirigenten flotte Tempi gewöhnt. Insofern muss man sich erst einmal auf Knappertsbuschs Deutung einlassen, schon in den ersten paar Takten verstört hier die Langsamkeit. Hier blickt der Wagnerdirigent düster auf den romantischen Beethoven, nicht auf den Vertreter der Wiener Klassik, der seine Wurzeln noch im 18. Jhdt hat.


    Vorneweg noch die Spielzeiten

    I. 11:00
    II. 04:38
    III. 05:20
    IV. 09:49


    1. Satz Allegro vivace e con brio:


    Schon der berühmte Anfang offenbart die verstörende Langsamkeit. Groß und bedeutungsvoll nimmt Knappertsbusch die eröffnenden Takte, keinerlei 'Unbeschwertheit' spricht hier aus dieser Musik. Die Antwort der Holzbläser ist dann extrem zurückgenommen, fast zaghaft, doch soglich gewinnt der heroische, gravitätische Tonfall die Oberhand. Das Tempo bleibt im ganzen Satz im Extremen, die Symphonie wird geradezu 'buchstabiert', ohne jedoch - und das ist das faszinierende an dieser Aufnahme - in zusammenhanglose Einzelstücke zu zerfallen. Vielmehr entsteht eine enorme Eindringlichkeit, zumal Knappertsbusch gerade im ersten Satz sehr differenziert interpretiert, symphonische Größe tritt stets neben kammermusikalische, filigrane Abschnitte. Dadurch werden unglaubliche Details erlebbar, die Wucht und Dramatik des Dirigats verhindert dabei überraschenderweise jegliche Langeweile, die angesichts der Langsamkeit geradezu zu erwarten wäre. Ihm gelingt zudem das Kunststück, in dem mächtigen, gemessenem Dahinschreiten immer wieder Momente einfließen zu lassen, die höchst spontan, ja extatisch wirken, unter anderem durch hervorragende Behandlung der Pauken. Gegen Ende des Satzes nimmt er sogar nocheinmal das Tempo abrupt zurück, und auch dieser Kunstgriff gelingt unerklärlicherweise, ohne dass die Musik endgültig zum Stillstand kommt.


    2. Satz Allegretto scherzando:


    Auch hier herrscht wieder das langsam Schreitende vor, Akzente werden nicht durch Tempomodulationen gestezt, sondern quasi aus dem Orchester heraus über Dynamikveränderungen. Die durchgängige Präzision, in dem Knappertsbusch den Satz, man muss sagen, darlegt, ist jedenfalls berückend. Pausen erschaffen die Spannung, die andernorts über rasches Tempo generiert wird


    3. Satz Tempo di Menutto:


    Auch das Menuett ist ein sehr gemächlicher Tanz, der dann doch noch - für Knappertsbusch-Verhältnisse- in Schwung kommt. Doch dies ist hier auch nicht wirklich relevant, die detaillierte Holzbläserbehandlung ist wohl unerreicht. Freilich wünscht man sich oftmals den Überschwang anderer Interpretationen, doch spätestens im Trioteil geht das Konzept auf gleichsam erstaunliche wie wundervolle Art auf. Nach einem Moment des Verharrens taucht die getragene Bläsermelodie, eine der schönsten im Schaffen Beethovens, in pastoraler Stimmung auf un bildet ein bezauberndes Intermezzo.
    Gravitätisch mit einem Paukenschlag leitet der Dirigent über zum Finale.


    4. Satz Allegro con spirito:


    Hier nun wird die Langsamkeit eindgültig auf die Spitze getrieben. Ein Tempo am Rande des Abgrunds. Das Hauptthema wird von den Pauken mehr oder minder herausgemeißelt, immer wieder verleihen Pausen dem gerade Erklungenen noch im Nachhinein zusätzliche Wirkung, ja Bedeutung. Widerum der Kontrast zwischen kammermusikalischer, ja solistischer Behandlung einzelner Passagen und dem großsymphonischen Pathos. Angesichts des langsamen Tempos stellt sich nun das unerbittliche Dahinschreiten, das die ganze Symphonie bestimmt, in größter Deutlichkeit heraus. Das Spiel mit den als Dialog innerhalb des Orchesters angelegten Passagen erhält suggeriert durch die auffälligen Pausen Entfernung, Größe.
    Freilich ist die Musik oft auch in Gefahr, vor allem beim Haupttheme des Satzes, an einen zu langsam gedrehten Leierkasten zu erinnern, doch fast immer gelingt es Knappertsbusch dann, einen mit seinem eigenwilligen Dirigat wiederum irgendwie in Erstaunen zu versetzen.




    Alles in allem keine "Referenz", keinesfalls ein "Beethoven zum Kennenlernen", aber definitiv ein hochinteressante Sichtweise, die einem unabhängig von persönlichem Geschmack neue Blickwinkel auf das Werk ermöglicht.


    Und vielleicht auch ein klein wenig "Legende" - ich kenne keinen vergleichbar langsamen, dunkel-romantischen Beethoven bei seiner wohl ansonsten unbeschwertesten Symphonie

    'Architektur ist gefrorene Musik'
    (Arthur Schopenhauer)

    Einmal editiert, zuletzt von novecento ()

  • Danke für den Verweis auf Knappertsbusch, lieber novecento.


    Offenbar liebte dieser Dirigent diese Beethoven-Symphonie besonders, ganze viermal liegt sie vor (so oft wie unter ihm sonst nur die "Eroica"): BPO 1952, MPO 1956, BStO 1959 und NDR SO 1960. Interessanterweise kenne ich genau die beiden anderen Aufnahmen, also die aus Berlin und Hamburg. Ich steuere daher mal die Spielzeiten der beiden bei (könntest du evtl. noch die der '59er Aufnahme hinzufügen?):


    BPO 29.01.1952:


    I. 10'11
    II. 4'24
    III. 5'28
    IV. 8'18
    Ges. 28'21


    NDR SO 14.03.1960:


    I. 11'25
    II. 4'58
    III. 5'46
    IV. 9'23
    Ges. 31'32


    Ich kann deine zutreffenden Beschreibungen der vier Sätze anhand der Aufnahme von 1960 (die ich jener von 1952 vorziehen würde) nur bestätigen und nachempfinden. Bis auf den Finalsatz ist Knappertsbusch hier ja sogar noch langsamer unterwegs und hält vermutlich den Langsamkeitsrekord bei op. 93. Ganz sicher keine "normale" Aufnahme zum Kennenlernen, aber gewiß eine der interessantesten Deutungen dieses Werkes überhaupt. Hier erscheint die vermeintlich "kleine" 8. als gleichwertiger Bruder mit der 7. und 9. auf Augenhöhe (Beethoven selbst zog sie bekanntlich ohnehin der 7. vor und verstand nie, wieso die 8. so relativ im Schatten steht). Zwar ist eine derartige Romantisierung einer solch klassischen Symphonie wie der 8. fragwürdig (man könnte sie beinahe für Haydns letzte Symphonie halten), doch spricht das Ergebnis m. E. für sich. Bei der Gelegenheit verweise ich auch auf die anderen Beethoven-Symphonien-Aufnahmen Knappertsbuschs: die 2. mit dem Bremer Philharmonischen Staatsorchester (1952), die 3. mit den Münchner Philharmonikern (1953), die 5. mit den Berliner Philharmonikern (1956) sowie die 7. mit den Wiener Philharmonikern (1954). Sein Beethoven allgemein ist vor allem monumental und voller Pathos, gänzlich "unzeitgemäß" also. Allein: mir gefällt er.


    LG
    Joseph
    :hello:

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Lieber Novecento und lieber Joseph,


    eure Bemerkungen zur Achten von Hans Knappertsbusch verleiten mich dazu, sie doch gleich ganz anzuhören (ich rede jetzt von der Einspielung von 1956). Ich hatte sie beim ersten Anhören nach wenigen Minuten zur Seite gelegt, da ich zuvor die vorzügliche Einspielung von Christopher Hogwood gehört hatte.


    Aber da aich ja lernfähig bin und eigentlich im Grunde meines Herzens zu der konservativen Fraktion zähle, allerdings mit Hang zu wirklich guten "HIP-Versionen", werde ich die Sinfonie jetzt ganz hören und mich danach wieder zu Wort melden.


    Liebe Grüße


    Willi ?(

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Ich habe jetzt die Achte unter Knappertsbusch gehört und muss sagen, dass Vieles von dem, was novecento sagt, nachvollziehbar ist. Hier handelt es sich wirklich um einen ganz anderen Ansatz, der, was die Tempogestaltung betrifft, gnadenlos durchgehalten wird und so im Ganzen schlüssig wird. Der Hinweis auf die Pauken hat dazu geführt, dass ich zum ersten Mal überhaupt gehört habe, dass die Pauken das Thema spielen. Frappierend.
    Diese Aufnahme fällt natürlich aus der Vielzahl der anderen heraus, aber sie bildet auf der anderen Seite das "andere Ende der Fahnenstange" dessen, was machbar ist, und durch das unerhört spannungsvolle Musizieren der Münchener unter Kanppertsbusch wird es auch nicht eine Sekunde langweilig. Die Strukturen treten viel deutlicher zu Tage bei diesem "Personenzugtempo" als bei mancher anderen Aufnahme, die im "ICE"-Tempo daherkommt.


    Liebe Grüße


    Willi :rolleyes:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Ich habe sie gerade aus dem Liverpooler Zyklus von Sir Charles Mackerras gehört:



    Sie ist nun natürlich das komplette Gegenteil der zuvor von mir besprochenen Aufnahme von Hans Knappertsbusch, obwohl beiden eins gemeinsam ist, spannungsreiches Musizieren. In diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal das zuvor von mir gebrauchte Bild aufgreifen:


    Zitat

    Zitat von William B.A.:


    Die Strukturen treten viel deutlicher zu Tage bei diesem "Personenzugtempo" als bei mancher anderen Aufnahme, die im "ICE"-Tempo daherkommt.

    Und so ein "ICE" ist Mackerras hier, rasend schnell, scharf im Klang, manchmal sehr laut, mit einem permanentem Drive, es geht immer nach vorn, kaum Zeit zum Durchatmen, trotzdem sehr satt im Klang, und vergleichend muss ich sagen, dass mir bis hierhin seine Liverpooler Einspielung noch bald besser gefällt als die Edinburgher. Irgendwann dieses Jahr werde ich mir auch noch die Aufnahme von Paavo Järvi anschaffen, dessen Allegretto scherzando ich letztes Jahr beim Schleswig Holstein Musikfestival in Kiel schon als Zugabe bewundern konnte, noch eine Spur eleganter, runder als Mackerras, nicht ganz so scharf und kantig, gefiel mir aber auch.


    Liebe Grüße


    Willi :rolleyes:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Ich habe heute Abend auf Classica erneut ein Konzert mit Herbert von Karajan gesehen, der die Achte hier 1971 mit den Berlinern aufgenommen hat. Er spielt die Sinfonie zügig, ohne überhastet zu sein, nein, es geht ihm alles ruhig und konzentriert von der Hand. Die dynamischen Schere ist hier etwas weniger geöffnet als bei der 5. Symphonie, die ich vor wenigen Tagen hören und sehen konnte.
    Beim Allegro scherzando gehört er zu den schnellsten im Lande, hier braucht er exakt die gleiche Zeit wie Mackerras mit o.a. Aufnahme und Gardiner: 3:41 Minuten, er musiziert aber nicht so scharf akzentuiert wie die beiden anderen, aber ausgesprochen schön und rhythmisch. Das war überhaupt sein Credo, wie ich mal gehört habe, dass der Rhythmus nicht auf Kosten der Melodie zu sehr im Vordergrund stehen dürfe. Er behält jederzeit die Kontrolle über das Tempo, macht keine willkürlichen Accelerandi, eine wirklich runde Interpretation.


    Liebe Grüße


    Willi :rolleyes:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Mir ging es doch die ganze Zeit im Kopf herum, dass ein Dirigent mit dem Allegretto noch schneller war, als die drei oben genannten, und ich wusste auch die Zeit noch: 3:33 Minuten, und als ich zu meinem Schreibtisch ging, fiel es mir wie Schuppen von den Augen, denn dort lag noch das Booklet von nebenstehender Box, und ich hatte auch schon vor kurzem zu der Achten von Tennstedt etwas im Thread "Was hört Ihr gerade jetzt? gepostet. Darum habe ich die Aufnahme gerade noch einmal gehört. Bei Tennstedt sind die dynamischen Unterschiede wieder etwas größer als bei Karajan, aber auch seine Tempogestaltung ist genauso stringent wie bei Karajan. Durch sein noch etwas schnelleres Allegretto scherzando fällt natürlich der Unterschied zum beschaulichen Menuett noch etwas größer aus.
    Alles in allem wirklich eine hörenswerte Aufnahme.


    Liebe Grüße


    Willi :rolleyes:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Der Hinweis auf die Pauken hat dazu geführt, dass ich zum ersten Mal überhaupt gehört habe, dass die Pauken das Thema spielen. Frappierend.


    Wo spielen die Pauken das Thema? *kopfkratz*

    „In sanfter Extase“ - Richard Strauss (Alpensinfonie, Ziffer 135)

  • Lieber Accuphan, hör dier einfach mal die Aufnahme der Achten von Knappertsbusch an!


    Liebe Grüße


    Willi ?(

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Ohje, nicht noch eine Aufnahme... ;)


    Meinst Du den Rhythmus des Themas? Im ersten Satz?


    Viele Grüße
    Accuphan

    „In sanfter Extase“ - Richard Strauss (Alpensinfonie, Ziffer 135)

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose