Können die Kritiken der Nutzer die Urteilskraft der Fachleute ersetzen

  • Diese Frage beschäftigte am 15. April 2010 die Welt.
    Nun wird uns ja allgemein vorgeworfen das, wenn wir schon anfangen zu jammern, dieses auf einem hohem Niveau tun.
    Leider kann man das Beklagenswerterweise aber nicht uneingeschränkt auf unsere Musikkritiker übertragen. Es wäre ja auch zu schön um war zu sein, wenn diese, wie es uns vorgeworfen wird, ebenfalls auf hohem Niveau klagen würden bzw. in diesem Falle loben oder kritisieren.
    Auch muß man hier einmal ganz kritisch hinterfragen, von welchen Fachleuten hier die Rede ist, denn so wie die Nutzer nicht alle über einem Kamm geschoren werden können und wollen, gilt gleiches natürlich auch für die Fachleute, Fairness muß in diesem Falle gewahrt bleiben.
    Wenn wir also von Fachleuten sprechen, sprechen wir 1. von Jürgen Kesting, Eleonore Büning, Alan Blyth und André Tubeuf hinter deren Kommentaren spürbar ein großer musikalischer Wissensschatz steht, oder sprechen wir 2. über solche die ihr, wie ich immer wieder feststellen muß, gefährliches Halbwissen im Kulturteil oder in vermeintlichen Fachzeitschriften weitergeben.
    Zu 1. lautet die Antwort ganz klar nein, Nutzer können hier das vorhandene Fachwissen nicht ersetzen.
    Im zweiten Fall hingegen ist ganz klar erkennbar, das die Beurteilungen, welche von Nutzern abgegeben worden sind nicht besser sind als die der zuletzt genannten Fachleute, nur sie sind im Umkehrschluß aber auch nicht schlechter.
    Dafür gibt jetzt zwei Möglichkeiten.
    Möglichkeit Nummer 1: Das Wissen der Fachleute, die heute beschäftigt werden, ist auf alarmierende Art und Weise geschrumpft oder aber und das wäre Möglichkeit Nummer 2: das Wissen jener die sich nur nebenbei mit der Thematik auseinandersetzen ist erheblich gestiegen.
    Dieses allerdings bedeutet, um auf die Ausgangsfrage zurückzukommen: Können Nutzer die Urteilkraft der Fachleute ersetzen ?
    Bezogen auf die 2 Gruppe muß hier ein ganz klares Ja stehen.

  • Ich würde sagen: JA
    In allen Punkten.
    Natürlich können die "Fachleute" von "Nutzern" ersetzt werden:
    Joachim Kaiser, Jürgen Kesting, Karl Löbl und einieg weiter , hier nicht genannte sind jedoch in der Tat unersetzlich, bzw schwer ersetzlich. Aber ich galube, das hat ehe mit den entsprechenden Persönlichkeiten zu tun, als mit deren Ausbildung. Soll heiissen sie wären als intereressierte Laien - hier im Sinne von "Nichtprofessionellen" genauso versiert und überzeugend, wie sie es heute sind.
    Ich werte sie als Ausnahmeerscheinungen - und solche gab und gibt es im Forum auch.
    Man muß hier ferner fragen, was denn heutzutage Sinn einer Rezension ist, bzw sein kann oder soll .
    Dann kommt noch die Frage nach dem persönlichen Geschmack , jeder der Übereinstimmung mit dem Zeitgeist oder dem Schwimmen gegen den Strom....


    Der PRAKTISCHE Nutzen von Rezensionen ist heute meiner Meinung nach gering, es sei den man schätzt den Unterhaltungswert und die Fähigkeit, eine Situation, einen Tatbestand oder aber auch nur (wie in den meisten Fällen) eine subjektive Meinung - pointiert zu formulieren und die Leser zur Auseinandersetzung mit Kritik und Kritiker anzuregen.


    Eine neutrale allgemein verbindliche Wertung darf man heutzutage nicht erwarten, künstlerische Strömungen driften zum Teil weit auseinander und die "Götter der Rezension" sind sich oft untereinander selbst nicht einig.


    Die nächste Frage ist: Kritik: Für wen ?


    WAs nützt es dem "Durchschnittsklassikhörer" (bitte vom "Durchschnittshörer! zu trennen) wenn er mit Fachausdrücken überschüttet wird, die sowieso kaum einer versteht...


    Daher ist relativ oft die Bindung von Publikum an den "Amateurrezensenten" größer, als jene zum "Fachmann"
    Die Vermischung Amateur-Fachmann ist ja generell eine Symptom unserer Zeit. Den Amateur, der bewundernd oder staunend zum Fachmann auchschaut - den gibt es nicht nehr,


    Auch Opernsänger und Klassikformationen haben das erkannt, neben den "klassischen Rezensenten" wird das Tamino Klassikforum oft als vollwertige Klassikkompetenz zitiert - und zwar durch all die Jahre hindurch.


    ES mag auch daran liegen, daß man von nichtprofessionellen Kritikern eher Unabhängikeit von Werbeeinschaltungen der Tonträgerindustrie annimmt, als dies im Falle von Redakteuern der Fall ist, deren Medium essentiell von Werbeeinschaltungen der Tonträgerproduzenten abhängig ist......


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Lieber Sven,


    ich muss kein Lebensmittelchemiker sein, um die beste Pizzeria in meiner Stadt für meinen Geschmack zu finden. Ein Insider könnte allerdings eventuell beurteilen, was die Idee der Pizza ursprünglich (falls es nur einen Ursprung gibt) mal war und ob das, was mein Lieblingsitaliener bietet, damit mehr oder weniger übereinstimmt oder nicht.


    Ich vermute mal, dass jemand, der sich hauptberuflich (also mehr als 20 Stunden pro Woche) mit Musik beschäftigt (hörenderweise oder im Aufsammeln von historischen Informationen usw.) einfach einen größeren Background hat als ich Ottonormalhörer. Wenn ich von der Zimerman/Bernstein-Aufnahme des 5. Klavierkonzertes von Beethoven meine, dass es die beste wäre, dann liegt es vielleicht daran, dass ich die entscheidenden Aufnahmen noch nicht gehört habe (Backhaus? Arrau? Bishop-Kovacevich?).


    Mein Lieblingsmahler sind die Aufnahmen unter Leonard Bernstein, sowohl die ältere Sony/CBS-Aufnahmen als auch die jüngeren DG-Aufnahmen. Doch ich bin dankbar, dass es Experten wie Tony Duggan gibt, der einfach mehr Aufnahmen gehört haben, und diese größere Hörerfahrung kommunizieren (einfach googeln). Seine Ausführungen zu Mahler-Einspielungen haben meinen Mahler-Horizont deutlich erweitert: Walter, Horenstein, Klemperer u. a. Ich bin dankbar dafür.


    Onwohl auch Duggan mich nicht von Bernstein abbringen konnte, hat er mich bereichert. Ich bin nicht sicher, in wie weit ein nicht-Berufsmusikhörer einen so weiten Horizont erwerben kann - alleine schon aus Zeitgründen.

  • Zitat

    Können die Kritiken der Nutzer die Urteilskraft der Fachleute ersetzen?


    Die richtige Antwortet lautet: Ja.

    „Nichts auf Erden ist kräftiger, die Traurigen fröhlich, die Ausgelassenen nachdenklich, die Verzagten herzhaft, die Verwegenen bedachtsam zu machen, die Hochmütigen zur Demut zu reizen, und Neid und Hass zu mindern, als die Musik.“

  • Zitat

    Original von Andrew


    Die richtige Antwortet lautet: Ja.


    auch meine Antwort lautet: ja.


    Ich habe es aufgegeben über gelesene Kritiken zu entscheiden, ob ich mir eine Oper ansehen möchte oder nicht. Ich habe für mich andere Wege entdeckt, und Kritiken der Nutzer gehören für mich definitiv dazu.

    Viele Grüße,


    Marnie

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  • Leute, mal im Ernst - angenommen, wir würden nicht über Aufnahmen klassischer Musik, sondern über Mathematik, Atomphysik, Geschichte der Inkas, Ägyptologie oder Meereskunde sprechen - würde der, der die Titelfrage des Threads in analoger Weise stellte, sich nicht sehr angreifbar (vorsichtig formuliert) machen? (Sorry, Alfred.)


    Warum soll es bei klassischer Musik anders sein? Warum?

  • Zitat

    Warum soll es bei klassischer Musik anders sein? Warum?


    Weil klassische Musik keine Wissenschaft ist.


    Ich will hier en paar Argumente ins Spiel bringen, die natürlich nichts beweisen, aber als Indizien dienen können


    a) Man könnte die These aufstellen, daß jemand UNBEDINGT Partituren lesen können muss um zu beurteilen, ob ein Werk RICHTIG oder FALSCH interpretiert werde.


    Immerhin hat dieser Gedanke etwas für sich - und wenn ich die Formulierung wörtlich so beibehalte, dann stimmt es ja auch.


    ABER dieseFähigkeit des Notenlesens bringt nicht automatisch die Fähigkeit mit sich, beurteilen zu können ode eine Partitur EFFEKTVOLL bzw. PUBLIKUMSWIRKsam umgesetzt wurde. Letztlich können- so hoffe ich wenigesten - alle Dirigenten Partituren lesen, aber das Ergebnisd ist jeweils unterschiedlich - sowohl vom Ausdruck, als auch von der Qualität her, wobei die Qualität in diesem Zusammenhang schon ein sehr schwer zu beurteilender Faktor ist.


    Hier bin ich schojn nahe am Thema. Ich kann beispiels wiese die Brüche in einer Partitur kitten, ich kann sie beschönigen, korrekt spielen - oder aber - betonen und übertreiben, Kritiker aus verschiedenen Zeitaltern und verschiedenem Umfeld werden hier zu völlig unterschiedlichen Ergebnissen kommen.


    Näachster Punkt: Malkunst.
    Es dürfte wohl außer Streit stehen, daß ein talentierter Autodidakt meist die besseren Bilder zustandebringt, als ein untalentierten "Akademischer Maler"


    Überall dort, wo persönlcher Geschmack eine bedeutende Rolle spielt versagt meiner Meinung nach der sogenannte "Fachmann", bzw muß er nicht notwendigerweise eine bessere Leistung zustandebringen als ein "Laie"


    En weiteres Gebiet, wo Laien oft Fachleute übertreffen ist die Compuiterbranche, wo talentierte Laien durch Programmierung raffinierte Viren und Schadprogramme die sogannten Fachleute auft wochenlang an der Nase herumführen und sogenannte "Experten" desavoyieren.....


    In vielen Bereichen ist es heutzutage ja so, daß der Amateur vom Profi sich lediglich dadurch unterscheidet, daß erstere für seine Leistung kein Geld kassiert.....


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat

    En weiteres Gebiet, wo Laien oft Fachleute übertreffen ist die Compuiterbranche, wo talentierte Laien durch Programmierung raffinierte Viren und Schadprogramme die sogannten Fachleute auft wochenlang an der Nase herumführen und sogenannte "Experten" desavoyieren.....


    Na ja, es ist immer leichter, eine Waffe zu konstruieren, als eine zuverlässige Verteidigung dagegen zu entwickeln ... insofern beweist das Argument nicht die Überlegenheit von Computerhackern gegenüber den Fachleuten. Im Übrigen sind die "Fachleute" in der Antivirusbranche ganz normale 40-Stunden-Kräfte, während die sogenannten "Laien" aus ganz anderen Motivationsquellen zehren.


    Aber darum geht es hier ja nicht. Die Frage war, ob die normalen "Nutzer" die "Fachleute" überflüssig machen können. Ganz klar: Nein. Ergänzen: Ja.

  • Hallo Forianer,


    ich möchte Alfred zustimmen. Erst in einem Gespräch mit einem Forianer habe ich bestätigt bekommen, was mir beim Vergleich einiger Arien (Florestan, Max, Belmonte) schon seit längerem aufgefallen war, ich hierfür aber bisher keine Erklärung fand. Einige Sänger sangen Koloraturen (zB. Beczala beim Belmonte) die mir von Wunderlich, Schreier, Hollweg u.a. nicht bekannt waren. Ähnlich Freischütz -Ende hoch oder tief - oder Florestan (halbe Noten). Sogar Unterschiede bei der Gralserzählung, von der zweiten Strophe mal ganz abgesehen. Es gibt also tatsächlich mehrere Versionen. Von der offiziellen Kritik habe ich hierzu leider noch nichts gelesen.



    Gruß Bernward


    "Nicht weinen, dass es vorüber ist
    sondern lächeln, dass es gewesen ist"


    Waldemar Kmentt (1929-2015)


  • Hallo Forianer


    Wenn ein Nutzer ein Gutachten zu einer Einspielung braucht und sich beraten lässt, tut er besser daran, dem Vorschlag des Freaks zu folgen. Während der 'Fachmann' aus der Fülle seines theoretischen Wissens ihm ein Loch in den Bauch quasselt, hat der Freak meistens die größere Kollektion an Tonträgern im Regal stehen. Aus dem Bauchgefühl heraus, kann er den besseren Hinweis geben, weil es weniger sein Wissen ist, sondern ihn seine Hörerlebnisse leiten, eine brauchbare Antwort zu geben.
    :yes:


    Engelbert

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  • Empfehlungen von Laien (wie hier im Forum) können nur dann sinnvoll sein, wenn man jemanden ausfindig macht, der offenbar einen ähnlichen Geschmack hat, dann dürften unbekannte, von ihm empfohlene Aufnahmen auch dem Leser gefallen. Das war's aber auch schon - das als Urteil zu verstehen, das mit demjenigen der Fachleute konkurrieren will, halte ich für einen Fehler (vielleicht will es, aber es kann nicht, Alfreds Beispiel der Nutzer-"Kritiker", die nicht Noten lesen können, sollte das klar machen).


    Ansonsten wird die Empfehlerei überbewertet. Wenn von einem unbekannten Stück 20 Aufnahmen existieren und man kauft sich eine auf Empfehlung und es gefällt einem, halte ich es für recht wahrscheinlich, dass es mit den 19 nicht empfohlenen höchstwahrscheinlich etwa ebenso gegangen wäre.

  • Nun ist es ja kein Geheimnis, das Komponisten als Dirigenten, nicht unbedingt die besten Interpreten ihrer eigenen Werke sein müßen.
    Nun ist es ja bekannt, das Bruno Walter als er an der Wiener Staatsoper als Opernkapellmeister verflichtet wurde, dieses Haus unter der Leitung von Gustav Mahler stand.
    Weiterhin ist bekannt das Leonard Bernstein Schüler von Fritz Reiner und Serge Koussevitzky war und später Assistent von Bruno Walter wurde.
    Somit hatte Bruno Walter das Wissen, wie die Musik Gustav Mahler zu klingen habe aus erster Hand erfahren und konnte dieses Wissen an Leonard Bernstein weiter geben.

  • Ich halte die Feststellung für Unsinn, dass nur der befugt ist, zu bewerten, wenn er auch Noten lesen kann. Die Klangfarbe einer Stimme und die Präsenz eines Darstellers drückt sich nicht in Notenzeichen aus.


    Wenn man im Musikladen steht und der Verkäufer mit dem Kunden überhaupt nicht zurecht kommt und es endlos dauert bis die beiden fertig sind, bin ich manchmal der Versuchung erlegen, mich einzumischen. Ich schau mir an, unter welchen aufgetischten Exemplaren zu wählen ist und sage dem Interessenten, zu welcher Einspielung er nicht greifen sollte, was übrig bleibt ist die Entscheidung.


    Bei einem Violoncellokonzert würde ich es für mich vorziehen - wenn überhaupt - demjenigen zu folgen, der das Instrument selbst spielt.


    Im übrigen stimme ich mit Kunststückmeister überein, dass es eigentlich Unsinn ist oberflächlicher fremder Kritik zu folgen. Entscheidungskriterien sind auch der vermutete technische Zustand oder das Alter der Einspielung. Ein Neuling kann nicht wissen, wie er nun Trude Eipperle einpassen soll.


    Selbst habe ich mich bei meiner Auswahl bisher eigentlich noch nie an fremde Kritik gehalten und gehe das Risiko ein, eine positive oder negative Überraschung zu erleben. Wenn bei einer seltenen Oper keine Alternative
    existiert, ist eine Fehlentscheidung auch nicht besonders schmerzhaft. Der Ärger setzt erst dann ein, wenn zwei Monate später eine begehrenswertere Einspielung auf dem Markt erscheint oder der Preis sich gewaltig gesenkt hat.


    Meine Wahl richtet sich auch danach, wie oft ich einen Interpreten schon habe. Auch wenn Jennifer Larmore noch so gut ist, spätestens nach der zwölften Einspielung ist Schluss. Hier geht es nicht nach Noten sondern nach Häufigkeit. Das kann ein Empfehlender natürlich nicht wissen X(


    :angel:
    Engelbert

  • Carlo Bergonzi wurde übelst ausgebuht, als er im Teatro Reggio di Parma den Schlusston von "Celeste Aida", ein hohes B, im von Verdi vorgeschriebenen piano sang und nicht - wie weiland die meisten Tenöre - den Ton mit aller Kraft herausbrüllte.


    In solchen Fällen fände ich es gut, wenn nicht die Diktatur des Logenmobs das letzte Wort behielte, sondern am nächsten Morgen in der Zeitung drei Dinge zu lesen wären:


    (1) dass das hohe B im piano unendlich viel schwieriger zu produzieren ist als in Schlussapplaus heischender Lautstärke
    (2) dass das piano vom Komponisten so vorgeschrieben ist
    (3) (in aller Höflichkeit) dass die Buhrufer sich selbst ein schlechtes Zeugnis ausgestellt haben


    Ich meine, für solche Aufgaben wäre es gut, kundige Fachleute zu haben, die sich im Laufe ihrer Arbeit die notwendige Autorität erworben haben, solche Dinge gegen dasselbe Publikum zu schreiben, das ihre Arbeit letztlich durch den Kauf der Zeitung bezahlt.


    Können Kritiken der Nutzer die Urteilskraft der Fachleute ersetzen? In vielen Fällen sicher ja, manchmal aber wohl auch nicht.


    Warum also diese Schwarz-Weiß-Malerei? Warum die Verkürzung der möglichen Antworten auf Frage im Titel des Threads auf ein Ja oder Nein? Beide, die Fachleute wie die informierten Laien, können gut miteinander leben. Dass es auf beiden Seiten ungeeignete Exemplare ihrer Gattung gibt, widerlegt nicht die Möglichkeit des sinnvollen Miteinanders.

  • Bei dieser Frage muss, wie das ja auch bereits geschehen ist, differenziert werden. Es gibt sicherlich Aufgaben für die ein Fachjounalist prädestiniert ist. Das wären zum Beispiel musikwissenschafliche Arbeiten, Betrachtungen des Gesamtschaffens eines Komponisten, kulturhistorische Ausführungen, vielleicht sogar Uraufführungen und die wichtigsten Premieren, z.B. bei Festspielen.
    Allerdings stellt sich die Frage, gibt es den Beruf Kritiker überhaupt?
    Ist es nicht meistens so, dass Journalisten, Musikwissenschaftler, Germanisten, Philosophen und sonstige anfangen zu schreiben und sich nach und nach in die Materie einarbeiten und dann als sogenannte Fachleute gelten. Ich selbst habe mich studienmäßig mit Andragogik und Psychologie beschäftigt und nur ganz nebenbei mit Musik. Irgendwann habe ich dann über lokale Musikereignisse angefangen zu schreiben. Offensichtlich muss das ganz gut gelungen sein, denn nach und nach wurden die Aufgaben anspruchsvoller. Oft habe ich auch nur deshalb über Festspiele berichtet, um preisgünstig
    an Karten heranzukommen. Ich wäre allerdings nie so vermessen, mich als Fachkritiker zu berzeichnen, höchstens als jemanden der eine vernünftige Rezension über eine Aufführung. Aufnahme oder als Lieblingsgebiet über einen Sänger oder Instrumentalisten schreiben kann.
    Auch unter Fachleuten gehen die Meinungen oft extrem auseinander. Wer einmal Mitglied einer Jury bei einem Gesangswettbewerb war, weiß wie unterschiedlich und oft kompromisslos Gesangslehrer und berühmte Sänger - also genau die, die es am besten wissen müssen - streiten.
    Zusammengefasst: Es gibt musikjournalistische Aufgaben, die qualifizierten Fachleuten vorbehalten werden sollten. Ansonsten setze ich die begründete Meinung von engagierten Operfreunden gleich und diese sollten auch schreiben, besonders weil sie in der Regel frei von kommerziellen Interessen sind. Bestes Beispiel ist der Neue Merker Wien. Hier schreiben schwerpunktmäßig erfahrene Opernfreunde mit viel Sachverstand und Herzblut. Genau deshalb lese ich diese Lektüre mit besonderer Freude. Oder wenn hier im Tamino-Forum eine Aufnahme oder ein Konzert von vielen Freunden gut beurteilt oder empfohlen wird sind dies für mich ganz wichtige Hinweise. Die Votings von uns sind allein durch die Zahl der Nennungen weit aussagekräftiger als das was heute als gezielte Marketingstrategie promotet wird, z. B. um einen Sänger hochzujubeln.
    Besonders unsere jungen Freunde, wie Basti und Co. möchte ich ermuntern schreibt, ihr habt alle Voraussetzungen und lernt dabei selbst am meisten.
    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

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  • Zitat

    Original von Engelbert
    Hallo Forianer


    Wenn ein Nutzer ein Gutachten zu einer Einspielung braucht und sich beraten lässt, tut er besser daran, dem Vorschlag des Freaks zu folgen. Während der 'Fachmann' aus der Fülle seines theoretischen Wissens ihm ein Loch in den Bauch quasselt, hat der Freak meistens die größere Kollektion an Tonträgern im Regal stehen. Aus dem Bauchgefühl heraus, kann er den besseren Hinweis geben, weil es weniger sein Wissen ist, sondern ihn seine Hörerlebnisse leiten, eine brauchbare Antwort zu geben.
    :yes:


    Engelbert


    In meiner Zeit als Klassikfachverkäufer bin ich des öfteren mit meinem Chef aneinandergerasselt, weil ich einem Kunden zu einer preiswerteren Aufnahme geraten habe, die, meine Meinung nach, die bessere war. Den Kunden hat das auch irritiert. Von mir kam dann stets das Angebot, er könne sie, wenn sie ihm nicht gefällt, wieder zurückbringen. Das ist nie vorgekommen.


    Der Chef war sauer, weil ich in dem Fall weniger Umsatz gemacht habe. Dass aber aus diesen Kunden Stammkunden wurden hat er erst später gemerkt.

  • Lieber Wolfram!



    Und genau darum geht es, hier werden angebliche Fauleute für einen Dienst bezahlt, den sie schon längst nicht mehr in der Lage sind zu verrichten.
    Bestes Beispiel Maesha Brueggergrosman.
    Wenn ein Fachkritiker nicht einmal mehr weiß, was das Wort Debüt bedeutet, dann finde ich wird es extrem kritisch.
    Da wurde Beispielsweise durch die Bank die dritte CD dieser Dame ( Suprise ) als Debüt gefeiert.

  • Man sagt ja immer "Kritiker sind selber schlechte Musiker". Muss ein Kritiker wirklich selber das beherrschen was er in seinen Rezensionen schreibt? Ich finde "JA". Wie kann jemand die Technik eines Sängers kritisieren, von der er selber nie etwas erfahren hat? Da heißt es "der singt zu flach", "zu weit im Hals" oder ähnliches.
    Wenn ein Konditor einen Kuchen backt, hat er das gelernt. Wenn ich einen backe,brauche ich das Rezept, nur vom Hingucken wird es niemals ein Kuchen werden. Ich kann zwar sagen, der Kuchen vom Konditor schmeckt mir oder nicht, ich weiß aber nicht ob evtl. etwas fehlt oder sonst was.

  • Zitat

    Original von musica
    Man sagt ja immer "Kritiker sind selber schlechte Musiker". Muss ein Kritiker wirklich selber das beherrschen was er in seinen Rezensionen schreibt? Ich finde "JA". Wie kann jemand die Technik eines Sängers kritisieren, von der er selber nie etwas erfahren hat? Da heißt es "der singt zu flach", "zu weit im Hals" oder ähnliches.
    Wenn ein Konditor einen Kuchen backt, hat er das gelernt. Wenn ich einen backe,brauche ich das Rezept, nur vom Hingucken wird es niemals ein Kuchen werden. Ich kann zwar sagen, der Kuchen vom Konditor schmeckt mir oder nicht, ich weiß aber nicht ob evtl. etwas fehlt oder sonst was.


    Hast mir ganz schön den Mund wässrig gemacht, liebe Musica, deshalb erwidere ich nur:


    Aber bitte mit Sahne!

    Freundliche Grüße Siegfried

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  • Ich stimme den Beiträgen von Wolfram und Musica inhaltlich sehr zu und möchte die Frage


    Zitat

    Können die Kritiken der Nutzer die Urteilskraft der Fachleute ersetzen?


    klar mit Nein beantworten.
    Sie können sie nicht ersetzen, aber sie können sie durchaus ergänzen.
    Bei Interpretationsvergleichen spiele ich verschiedene Aufnahmen gerne auch einem musikalischen Freund vor, der "nur" Orgelbauer, aber nicht Musiker oder Fachjournalist ist( er kann allerdings im Chor seine Tenorstimme ordentlich sauber und fest singen - wenn er selbst nur sprechen könnte, hielte ich sein musikalisches Urteil für irrelevant)


    Dabei stelle ich manchmal fest, dass ich durch ihn manchmal auf Dinge aufmerksam werde, die mir nicht immer auffallen, gerade weil sie vielleicht mehr an der Oberfläche liegen, die mir, berufsbedingt gewohnt auf Details zu achten(Gefahr der Betriebsblindheit), nicht immer so deutlich auffallen.
    So ist ihm z.B. sofort die stärkere klangliche Homogenität des Berliner Philharmoniker bei einem Sibelius Vergleich Karajan vs. Segerstam aufgefallen, während ich schon mehr mit den Unterschieden im expressiven Teil der Interpretation (Dynamik, Artikulation, etc.) beschäftigt war.
    Als jemand, der gewohnt ist, die Klänge und Register einer Orgel aufeinander abzustimmen, lag sein Hör-Schwerpunkt viel mehr auf diesen Dingen als bei mir.
    Für mich war das eine lehrreiche Erfahrung: Jetzt versuche ich noch mehr, auch auf diese Dimension des Musizierens und Hörens zu achten, d.h. ich profitierte von seiner "Amateurmeinung" durchaus für mein berufliches Spielen und mein privates Hören.


    Ansonsten ist mir aber schon das Urteil bestimmter Fachleute meines Vertrauens wichtig, wobei mir bewusst ist, dass man da manchmal von jedem etwas Anderes hören kann ( ich meine das sowohl hinsichtlich Feedback auf eigenes Musizieren als auch im Hinblick auf Rezensionen von Tonträgern)


    Von mir selbst weiss ich ja, dass ich vor einem Jahr viel weniger hörte (im Sinne von Erkennen, Verstehen, Intensität der Empfindung, Einordnung in Zusammenhänge etc..) als heute, und ich hoffe, dass diese Entwicklung nicht irgendwann aufhört.
    Auch deshalb sind mir die Urteile und Meinungen von Leuten, die sich lange und intensiv mit der Materie auseinandergesetzt haben, besonders wichtig und nicht zu ersetzen.


    Allerdings relativere ich auch eine derartige Meinungsäusserung immer. Ich würde also niemals sagen: Nur weil der Herr X z.B. selbst Cellist ist, muss seine Einzelmeinungen zu irgendeiner Cello-Einspielung sozusagen als festgeschriebene Wahrheit gelten ( nach dem Motto: "der muss es ja wissen...") Es wird genügend Cellisten geben, die es wieder anders sehen, bzw. hören.
    Viel wichtiger ist wohl die Frage, wie er zu seiner Meinung kam, wo seine Schwerpunkte liegen, auf was er hört.


    Überhaupt stellte ich erst unlängst bei Proben zu "Bei Männern welche Liebe fühlen" (Variationen für Cello und Klavier von Beethoven über ein Thema aus Mozarts Zauberflöte), dass es manchmal sehr erfrischend war, wenn die Cellistin eigene gute Ideen einbrachte, die sich von den meinen unterschieden. Zwar halte ich meine Vorstellungen für bestimmte Stellen für auch gut, aber es gibt oft auch Fälle, in denen man etwas genauso gut und anders machen kann.
    Bei jedem Durchspielen kann es etwas durchaus etwas unterschiedlich klingen, je nach Befindlichkeit usw.
    Gerade das empfinde ich als Kostbarkeit beim Spielen dieser wunderbaren Kammermusik: Es gibt verschiedene gute Lösungen ( die schlechten muss man eliminieren), was auch ein Ausdruck von Individualität und Persönlichkeit ist.


    Wenn es also beim Prozess des Musizierens schon mehr als eine Wahrheit geben kann, dann gilt das auch für Beurteilungen von Aufführungen und Aufnahmen.
    Sollte ich den Eindruck haben, dass man den Kritiker/Rezensenten/Musikerkollegen ernstnehmen kann, dann versuche ich, bei für mich interessanten Werken die Aufnahmen nachzuhören und seine Gedanken nachzuvollziehen, bzw. mit meinen eigenen Eindrücken zu vergleichen.
    Ein mehr abgerundetes Bild ergibt sich, wenn einem mehr als nur eine Meinung vorliegt. Aber auch hier bin ich sehr vorsichtig, einer sich bildenden Mehrheitsmeinung zu glauben, nur weil deren Anhänger in diesem Fall die Majorität darstellen.
    Mit Abstimmen wie bei der Wahl eines Klassensprechers kommt man bei diesem Stoff nicht zwangsläufig zu einem brauchbaren Meinungsbild.


    Die Frage, von wem eine Aussage kommt und für wen sie interessant wäre, ist also m.E. sehr entscheidend.
    Dem Urteil von Fachleuten gebe ich da in der Regel aber den Vorzug.
    Ich kann mir zwar auch über Fussball eine Meinung bilden und vor dem Fernseher schimpfen und leiden, aber als Co-Kommentator wäre ich Leuten wie Günter Netzer, Oliver Kahn oder "Kloppo" hoffnungslos unterlegen. Was die zu sagen haben, hat m.E. schon mehr Gewicht als die Meinung irgendeines Fans aus der Südkurve, was nicht heisst, das der nicht auch einmal den Nagel auf den Kopf treffen kann.


    In anderen Bereichen des Sports oder der Politik (beides Dinge, zu denen sich sehr viele eine Meinung zutrauen) gilt das ebenso.
    Warum sollte es bei der Kunst ganz anders sein?


    In der Politik kann "Volkesmeinung" durchaus auch einmal weniger betriebsblind sein als die Aussagen von politischen Journalisten.
    Ersetzen kann der Mann auf der Strasse aber Deppendorf & Co. nicht, nur ergänzen.
    So sehe ich es auch für die Musik.


    :hello:
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Zitat: Glockenton
    klar mit Nein beantworten.
    Sie können sie nicht ersetzen, aber sie können sie durchaus ergänzen.


    Hallo forianer,


    während meiner Dienstzeit habe ich mittags und abends meine CD-Datenbank bearbeitet und in einer Fleißarbeit zu den einzelnen Aufnahmen die Kritiken aus Stereo, Scala, fonoforum, stereoplay, Stereo, HiFiVision, Audio, Gramophone u.a. mit den Kritikern Beaujean, Höslinger, Breh, Pluta, Hiller, Mikorey, Piper-Ziehten, Kesting, Brand, U. Schreiber, I. Harden, Th. Voigt, Schaumkell, Schönegger, Malisch, Bezold und viele andere dazu gesetzt. JPC hatte das vor Jahren im Katalog in Papierform vorgemacht. Ich habe mir das dann in Buchform in Farbe ausgedruckt und eingebunden. Wenn ich da heute nachschlage, stelle ich fest, dass die "Profis" häufig zu völlig anderen Beurteilungen gekommen sind, wie viele User heute im forum. Die Kritiken von damals waren mir eine große Hilfe beim Sammeln. Was mich zunehmend irritiert ist, das ein Großteil der Aufnahmen heute im forum als nicht besonders gelungen bezeichnet wird. Haben denn nun Laien den besseren Geschmack als die Profis, oder nach welchen Kriterien urteilt ein Kritiker, der ja eigentlich von dem was er schreibt, auch etwas verstehen müsste, denn häufig waren die Rezensenten ja studierte Musikprofis. In der Rückschau interessant ist auch, dass mir die damals hochgelobten Aufnahmen heute immer noch gefallen. Geschmacksverirrung?


    Von daher gebe ich Glockenton recht, ersetzen nein, ergänzen ja!


    LG, Bernward


    "Nicht weinen, dass es vorüber ist
    sondern lächeln, dass es gewesen ist"


    Waldemar Kmentt (1929-2015)


    Einmal editiert, zuletzt von Bernward Gerlach ()

  • Guten Abend!


    Ich sehe das genau so! Fachleute sind für mich in erster Linie Theoretiker. Sollte ich mir eine neue Gesamtaufnahme zulegen wollen, finde ich nirgends einen Hinweis auf weggefallene Stücke oder ausgelassene Arien. Dann verlasse ich mich lieber auf ein Werturteil hier im Forum, da diese Leute mit ganzem Herzen bei der Sache sind und durch ihr Hören mir mitteilen und konkrete Auskunft erteilen können. Nur ein Beispiel: In der "Entführung" von Mozart wird von Tenören oft die schwierigste und schönste Tenorpartie im dritten Akt "Ich baue ganz auf deine Stärke" weggelassen. Bei einer Neuanschaffung möchte ich aber darauf nicht verzichten. Was mache ich? Ich frage hier im Forum nach. Auch bei der Beurteilung von Stimmen und Orchestern liege ich (meist) konform.


    Gruß Wolfgang

    W.S.

  • Viele die heute als Musikfachleute gelten sind eben keine studierten Musikprofis, da liegt eben auch der große Trugschluß, wenn man manchen Biographischen Abriß durchließt muß man feststellen studiert haben Sie zwar, nur eben nicht Musikwissenschaft, sodern haben sich ihr " Wissen " wie alle andere auch erlesen oder sich durch das durchhören von Aufnahmen erworben.
    Zur Musik kamen manche sozusagen wie die Jungfrau zum Kinde.
    Hier wurde aus der Not eine Tugend gemacht, leider nicht immer zum Vorteil von allen beteiligen.