TSCHAIKOWSKY, Peter I.: Sinfonie Nr 6 in h-moll op 74 "Pathetique"

  • Zitat

    Original von ben cohrs


    Zeitschrift der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien
    Ausgabe: Dezember 2004
    Alexander Poznansky ... Seine 1998 als Taschenbuch veröffentlichte Studie “Tschaikowskys Tod” wurde ebenfalls kaum zur Kenntnis genommen.


    Dieses Buch habe ich vor einiger Zeit gelesen. Und kann es empfehlen, weil die Überlieferungen untersucht und gegenübergestellt werden, was Tschaikowskys angeblichen Selbstmord betrifft. P. kommt (wie ja hier bereits erwähnt) logisch zu dem Schluß, daß Tschaikowsky keinen Selbstmord begangen hat. Im Gegensatz dazu Edward Garden, der in seiner Biographie behauptet "Inzwischen läßt sich nachweisen, daß Tschaikowsky Selbstmord begangen hat" (S.229 der Ausgabe im Insel Taschenbuch).
    Aufnahmen dieses Komponisten besitze ich kaum: den "Onegin" mit Bychkov, die 5. Symphonie mit Barenboim und diese 6. mit Norrington. Aufmerksam wurde ich darauf durch ein Interview mit Norringten in der Fono-Forum vor einigen Monaten. Die Anschaffung lohnt sich schon wegen des ausführlichen Textes von Norrington im Beiheft. Was mich an der Symphonie immer noch berührt, ist der seltsame Aufbau. Mit dem lebhaften und marschähnlich jubelhaften 3. Satz müßte diese Symphonie ja eigentlich aufhören... Und dann folgt der letzte Satz, ein "Adagio lamentoso". Das Ende seines Lebens wird Tschaikowsky hier wohl kaum gemeint haben, schreibt er doch im Februar in einem Brief an Bob Dawydow: "Auf meinen Reisen hatte ich einen Einfall zu meiner neuen Symphonie, diesmal einer Programmsymphonie, doch mit einem Programm, das für jedermann Geheimnis bleiben soll - laß sie sich nur die Köpfe darüber zerbrechen, die Symphonie wird nur "eine Programmsymphonie" heißen. [...] Was die Form angeht, wird in dieser Symphonie vieles neu sein - unter anderem wird das Finale kein lautes Allegro, sondern - ganz im Gegenteil - ein sehr gemächliches Adagio sein. Du wirst kaum verstehen können, wie sehr mich mit Glück erfüllt, davon überzeugt sein zu können, daß meine Zeit noch nicht vorbei ist, sondern daß ich noch arbeiten kann." (Garden, S. 223/224). Die Musik scheint am Ende doch in eine nicht mehr zu erfüllende Sehnsucht abzugleiten. In einem anderen Zitat von Garden heißt es im Zusammenhang mit dem Schlußsatz der 6. Symphonie "Seine Arbeit hatte ihn dermaßen begeistert, daß ihn nicht einmal Todesanzeigen naher Freunde niederwerfen konnten; sein früherer Kollege Albrecht, der Dichter und Schulfreund Apuchtin und Waladimir Schilowsky waren gestoreben. Großfürst Konstantin schlug Tschaikowsky vor, Apuchtins "Requiem" zu vertonen; Tschaikowsky winkte jedoch ab, denn `meine letzte Symphonie (besonders ihr Finale) ist von ähnlichem Geist durchdrungen`."


    Sophia

  • Hallo BBB (BigBerlinBär) und Taminoaner,


    ich mußte mit Erstaunen diese Antwort von Dir lesen:

    Zitat

    Alfred:
    Welchen subjektiven Stellenwert hat dieses Werk in Eurer CD-Sammlung ?
    BBB:
    Keinen: es gab diese Sinfonie in meiner Sammlung nicht und wird sie auch nie geben.


    So unwichtig kann Dir die Sinfonie doch nicht sein, denn Du bist bisher mit 4Beiträgen in diesem Thread vertreten.
    :hello: Nach unserem sehr ausgewogenen und übereinstimmenden Antworten in anderen Thread´s (z.Bsp. bei Schostakowitsch) wundert mich Deine Einstellung zu Tschaikowsky´s Sinfonie Nr.6. Ich denke Du solltest Dich nochmal intensiv mit der Materie auseinandersetzen; vielleicht liegt es auch an Deiner Aufnahme der Pathetique ?!?
    Du solltest Dir mal den Beitrag von Ben Chors genau durchlesen, dann kannst Du ermessen welchen Wert es hätte sich mit der Pathetique doch noch mal zu beschäftigen.


    :) Meine Favoritenaufnahme ist nach wie vor die
    DG-Aufnahme von 1960 mit Karajan / Berliner PH, die mich geprägt hat, da ich diese schon von Anfang an auf LP hatte und heute natürlich auf CD.
    Die später als Interpretationsvergleich gekaufte digitale Einspielung aus Wien mit Karajan finde ich dagegen "nicht so doll", die habe ich bereits als Geschenk abgesetzt. Die DG-Aufnahme mit Karajan aus Berlin von 1977, in meiner Tschaikowsky-Sinfonien-Gesamtausgabe ist ebenfalls sehr gut. Was hat Karajan blos in Wien gemacht :D ? Na ja, es sollte digital sein --- war IMO nicht nötig, denn es gibt noch zwei weitere Einspielungen auf EMI mit Karajan.


    :) Einzig die Decca-Aufnahme mit Solti / Chicago SO gefällt mir auch äußerst gut und was hier im Thread von TobeyWllson über den 3.Satz mit Solti geschrieben wurde halte ich für verfehlt.

    Zitat

    @TW: Der irgendwo gelobte 3 Satz mit Solti klingt absolut gehetzt.


    Norbert: Ich war so frei, den Satz zu loben...
    Das ist halt der Unterschied: Der eine nennt das Tempo "gehetzt", der nächste sagt, es ist furios.


    Da schließe ich mich 100% Norberts Ausführungen an, denn der 3.Satz sollte straff und mit brio gespielt werden, dann ist der Kontrast zum 4.Satz Lamento um so größer und wirkungsvoller.

    Was den 4.Satz angeht muß es nicht gleich so ausgedehnt sein, wie es Bernstein in seiner DG-Aufnahme unternommen hat, aber diese Bernstein-Aufnahme deshalb absolut abzulehnen halte ich auch für falsch, denn Bernstein war ganz mit der Seele dabei !

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Hallo Observator,
    sorry für meine unklare Formulierung - mich würde eine Beschreibung der Wand-Aufnahme interessieren, zu Celibidache habe ich schon einmal eine Kritik gelesen.

    Herzliche Grüße
    Uranus

  • Ich habe mir letzte Woche die Brilliant-Box aller Tschaikowsky Sinfonien mit Muti gekauft. Normalerweise habe ich keine Vorurteile gegen diese Ausgaben, dann sowohl die Mendelssohn Konzerte und Sinfonien, als auch Sanderlings Sibelius oder die Liszt Sinfonien höre ich recht gern.


    Aber dies ist nicht ganz mein Fall. Normalerweise höre ich Swetlanow, Marwinskij, Solti oder die 5te auch mit Stokowski.


    Ich finde die Muti Auftahmen etwas emotionslos und uninspiriert - es erinnert mich an eine Pflichtübung, auch weil letztendlich bei allen Sinfonien nach dem gleichen "Strickmuster" verfahren wird und das geht bei Tschaikowsky wirklich nicht. Irgendwie scheinen hier "Normtempi" vorhanden zu sein.


    Zudem sind sie klanglich recht "dicht", das heisst sehr schwer durchhörbar, besonders die 6te. Die 1812 Ouvertüre verkommt auf kleinen Anlagen zu reinem Krach - bei besser auflösenden geht's einigermassen.


    Also für mich insgesammt geeignet als leise Hintergrundmusik beim Lesen, aber für 12,50 Euro durchaus o.k.


    Für Einsteiger halte ich die Aufnahmen eher nicht empfehlenswert, denn man muss sie sich schon "schönhören" und das geht nur mit der Kenntnis anderer Interpretationen.


    Grüsse
    Walter

  • Hallo Tschaikowsky-Freunde,


    wie ich in meinem Beitrag vom 08.09.2005 schon geschrieben habe sind die eher flotten, voranschreitenden Aufnahmen der Pathetique mit Karajan / Berliner Ph (DG1960) und Solti / CSO(DECCA) meine Favoriten.


    Als Bernstein-Fan und weil so unterschiedliche Bewertungen zu seiner Aufnahme bezüglich der ungewohnt langen Spielzeiten, hatte ich mir die DG-CD mit den NY PH / Bernstein (1986) vor längerer Zeit zugelegt und jetzt endlich mal gehört:
    ;) Man muß bereit sein sich auf die Bernsteinsche Gefühlswelt einzulassen - und wer das kann wird hier mit einer famosen Interpretation belohnt, die alles bisher dagewesene in anderem Licht erscheinen läßt. Die Dramatischen Stellen werden unheimlich gefühlvoll aufgeputscht (was ich nicht als negativ ansehe) , der dritte Satz kommt mit einem überbordenden Temprament und der 4.Satz ist in seinem gegensatz dann so eindruckvoll das man die Tränen kaum zurückhalten kann.
    :jubel: Eine Wahnsinnsaufnahme, die jeder der Tschaikowsky mag kennen sollte.

    :hello: Das heißt nicht, das ich jetzt beim nächsten mal nicht wieder zur Solti-Aufnahme greife, denn man kann einfach nicht immer bereit sein, diese außergewöhnliche Bernstein-Aufnahme zu verkraften.

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Hallo Wolfgang,
    ich gebe Dir hinsichtlich Deiner Beurteilung der Bernstein-Aufnahme absolut Recht. Die Solti-Aufnahme kenne ich nicht. Auf meinem Wunschzettel stehen noch die Aufnahmen von Celibidache und Wand; ich denke, insbesondere die letztere dürfte ein ziemliches Kontrastprogramm zu Bernstein sein - u.a. deswegen reizt sie mich auch als Alternative!
    Trotzdem wird wahrscheinlich Bernstein immer mein Favorit bleiben, weil ich mir einfach vorstellen kann, dass seine Betonung der Emotionalität am meisten der Stimmung entsprechen könnte, in der Tschaikovsky dieses Werk schuf.

    Herzliche Grüße
    Uranus

  • Die ultimative Empfehlung wurde hier schon mehrfach ausgesprochen:


    Jewgenij Mrawinsky mit den Leningrader Philharmonikern (1961) bei DG,
    Symphonien 4 bis 6.


    Warum?


    Die Aufnahme ist nüchtern, nicht gefühlig;
    die Aufnahme bietet straffe Tempi, nicht breites Zelebrieren;
    die Einspielung ist klug disponiert, nicht klangbreiig.

  • Hallo Tschaikowsky-Freunde,


    nachdem ich mich im Thread zur Sinfonie Nr.5 schon zur Mrawinsky - Aufnahme geäußert hatte hier nur kurz.


    Ich gehöre nicht zu den Hörern, die Bernstein´s auszelebrierte DG-Aufnahme der Sinfonie Nr.6 verdammen - im Gegenteil (siehe Thread weiter oben), man nur bereit sein sich auf Bernsteins gefühlswelt einzulassen.
    Aber die Mrawinsky-Aufnahme, die mit 9Minuten im 4.Satz Largo nur die Hälfte der Bernstein-DG-Spielzeit braucht erreicht trotzdem die gleiche herzzereißende Wirkung ohne gehetzt zu wirken (wie ich es bei seiner Nr.5 empfinde).
    Diese Mrawinsky-DG-Aufnahme der Sinfonie Nr.6 gehört seit dem Wochenende zu meinen weiteren Favoriten (neben Karajan und Solti).

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

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  • Also ich bevorzuge die 5. gegenüber der 6., die letzte ist mir vor allem im 1. Satz zu kitschig. Ich glaube Tschaikowsky macht hier genau das, worauf Brahms mit gutem Grund verzichtet: zu nelodiebetont und auf "Schönklang" fixiert, sodass man die Musik schon bald leid wird und nicht mehr hören kann.


    Ich denke alles in einem, dass Brahms der einzige ist, der im 19. Jahrhundert in der Lage war, Sinfonien auf dem Niveau Beethovens zu komponieren. Sinfonien, die wirklich von der 1. bis zur letztens Note perfekt sind, wie man es von Beethoven gewohnt ist. Mendelssohn erreicht diesen Maßstab in seiner 3. und 4. Sinfonie meiner Meinung nach noch am ehesten.

    "Das Große an der Musik von Richard Strauss ist, daß sie ein Argument darstellt und untermauert, das über alle Dogmen der Kunst - alle Fragen von Stil und Geschmack und Idiom -, über alle nichtigen, unfruchtbaren Voreingenommenheiten des Chronisten hinausgeht.Sie bietet uns das Beispiel eines Menschen, der seine eigene Zeit bereichert, indem er keiner angehört." - Glenn Gould

  • Zitat

    6., die letzte ist mir vor allem im 1. Satz zu kitschig

    .


    Ich glaube, das ist eine Sache der Interpretation. Wenn man hört, wie rauh und herb Tschaikowskij von russischen Dirigenten und Orchestern gespielt wird, bleibt vom Kitsch nichts übrig. Wenn man Tschaikowskij natürlich nur auf Melodie spielt und alles Andere Stützakkord und Nebensache sein läßt, macht man diese Musik zwar zum Ohrwurm für die breite Masse, demoliert sie aber damit auch.

    ...

  • Die 6. wird allein dadurch geadelt, dass sie in gewisser Hinsicht ein Vorbild für Mahlers 9. war :D Die Umstellung der Sätze ist ein Geniestreich, der sie schon dadurch deutlich über 4 und 5 erhebt. Der 2. Satz der 5. ist sehr viel kitschnäher als das wirklich ergreifende Finale der 6. Hauptsächlich finde ich aber die "per aspera ad astra"-Umsetzung i 4. und 5. weitgehend mißlungen oder platt (s.o. und in anderen threads). Das soll natürlich nicht heißen, dass diese Sinfonien nicht viel großartige Musik enthalten (z.B. Kopfsatz von 5, Binnensätze von 4); als Ganze überzeugen sie mich weit weniger. Außerdem schätze ich die 1., weil er hier überhaupt nicht versucht, irgendwelchen klassizistischen oder heroischen Programmen nachzueifern. Wie auch immer, m.E. sind diese Snfonien alle tendeziell überschätzt, dafür die Ballettmusik und die fast unbekannten Orchestersuiten unterschätzt.


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • ich habe jetzt -wie wohl viele unter uns-



    in besitz genommen und getestet


    es ist mir nicht gelungen einzuschlafen!
    was soll ich jetzt machen?
    meiner einstellung nach spricht dieses ergebnis weder gegen mravinsky noch gegen celibidache...
    der schlaf soll doch der kleine bruder sein, und nähe zum großen ist dieser symphonie mehrfach zuzuschreiben.


    :hello:
    :beatnik:

  • Zitat

    Also ich bevorzuge die 5. gegenüber der 6., die letzte ist mir vor allem im 1. Satz zu kitschig.....


    :(
    Jedem seine Meinung.
    Aber ich würde für diesen Satz (Pathétique, 1. Satz) ein Jahr meines Lebens hingeben. Nur ein grandioser Melodiker, wie Tschaikowsky es war, konnte dieses 2. Thema in seiner leuchtenden D-Dur-Schönheit, dieser sehnsuchtstrunkenen Farbe hervorzaubern (Exposition), später in H-Dur, vom Licht durchflutet, um die feine und noble Coda tonartlich schon vorweg zu nehmen...
    Große Werke dürfen ergreifend melodiöse, unvergessliche Melodien besitzen, von Komponisten, denen man mit Ehrfurcht begegnet, um sich dann die Frage zu stellen, wie es möglich war, dass ihnen solche Szenen der Schönheit einfallen konnten...


    D. U.

  • Es geht sogar noch weiter: Tschaikowskij arbeitet dermaßen raffiniert mit Gegenstimmen, wie nur wenige andere Symphoniker dieser Zeit. Es ist, als würden diese Stimmen die große Melodie wie auf Händen tragen.
    Zieht man die Hände weg, stürzt die Melodie ab; soll heißen: Wenn man nur die Melodie und nichts Anderes spielt, wird es der reine Kitsch. Wenn aber Akkord und Gegenstimme so eingesetzt werden, daß sie die Melodie befruchten, ergibt sich jener wunderbare Klang, den der Unzeitgemäße beschreibt.

    ...

  • Eine Aufnahme, die unter die Haut geht:
    Fricsay mit dem Symphonie-Orchester des Bayerischen Rundfunks (1960):
    vielleicht, so blöd das klingen mag, hat er geahnt, das er nicht mehr viel Zeit hat...
    Ebenso hervorragend: Alexander Melik-Pashajev mit dem Bolshoi-Orchester,
    Guido Cantelli und das NBC SO (1953);
    nicht zu vergessen: Furtwängler (1938 und 1951).


    Gruß Heldenbariton

    Wie aus der Ferne längst vergang´ner Zeiten
    GB

  • Hallo zusammen,


    ich möchte versuchen, diesen Thread wieder zum Leben zu erwecken.


    Die Beurteilung der Sinfonien Tschaikowskys im allgemeinen und dieses Werkes im besonderen war und ist starken Schwankungen unterworfen. Hans von Bülow, Dirigent der Berliner Philharmoniker ab 1887, zog Bach, Beethoven, Brahms, dazu Haydn und Mozart bei weitem vor und mied Tschaikowsky. Artur Nikisch, sein Nachfolger in diesem Amt, setzte die Werke des Russen gerne auf seine Programme.


    Ein wesentlicher Grund, der manche Musikfreunde dazu bringt, diese Musik qualitativ geringer zu schätzen als z. B. die Sinfonien von Beethoven und Brahms ist ihre oft unverhohlen zur Schau gestellte Emotionalität, die in manchen Interpretationen die Grenze zur oberflächlichen Gefühligkeit nicht nur streift. Es wird ferner beklagt, dass Tschaikowskys Sinfonien die Folgerichtigkeit des Ablaufs vermissen lassen, die mancher beim Hören etwa einer Beethoven-Sinfonie empfindet. Der Vorwurf besteht im Kern also darin, dass es in diesen Werken um die ungebrochene Darstellung von nicht unbedingt hohen Gefühlen geht sowie dass diesen Werken ein (scheinbar?) geringer Grad innerer Logik eigen ist. Dazu kommen weitere Detaileinwände wie eine z. T. überladende Instrumentierung, eine unangemessen extreme Dynamik, scheinbar willkürliche Tempomodifikationen innerhalb der Sätze usw.


    Die Pathétique ist ein hervorragendes Beispiel, um diese Vorwürfe zu hinterfragen und anhand prominenter Interpretationen, die hier schon genannt wurden, zu beleuchten.


    Dieser Sinfonie wird der Charakter eines Requiems nachgesagt. Dies hat zum einen den äußeren Anlass, dass Tschaikowsky wenige Tage nach der Uraufführung starb. An inneren Belegen sind die folgenden zu nennen: In der Durchführung des ersten Satzes findet man ein Zitat aus der russischen Totenmesse, gespielt von drei Posaunen. Für diejenigen, die dieses Zitat in seinem liturgischen Kontext kennen, ist dies sicher der innere Höhepunkt des Satzes. Im letzten Satz – bezeichnenderweise ein langsamer Satz – setzt Tschaikowsky schließlich das Tamtam ein, welches als Symbol des Todes auch von anderen Komponisten verwendet wurde. (Z. B. Richard Strauss, Tod und Verklärung op. 24; Gustav Mahler, 9. Sinfonie, 1. Satz)


    Viele Hörer beschreiben weite Abschnitte der Ecksätze dieser Sinfonie als depressiv. Diese Abschnitte werden zumeist von Motiven bestritten, die auf schrittweise fallenden Tonfolgen aufbauen und Vorhaltsharmonik – oft über Orgelpunkten – einsetzen. (Die beiden erstgenannten Stilmittel bedingen natürlich einander zu einem gewissen Grad.) Dies findet man z. B. am äußeren Höhepunkt der Kopfsatzdurchführung, d. h. kurz vor der Reprise des zweiten Themas, ferner zu Beginn des letzten Satzes und im zweiten Thema des letzten Satzes.


    An diesen Stellen wird dem Interpreten die Entscheidung auferlegt, in wie weit er einer depressiven Stimmung Raum gibt, etwa durch Tempoverbreiterung oder durch Hervorheben der Vorhalte. Und: Wo ist Resignation gemeint – sei es in Bitterkeit (1. Thema 4. Satz?) oder in altersweiser Annahme eines unabwendbaren Schicksals (2. Thema 4. Satz?) -, und wo ist Trotz die vorherrschende Stimmung?


    Andere Stellen, namentlich diejenigen, die freundlichen, lieblichen, in jedem Fall aber verbindlicheren Charakters sind, fordern eine Entscheidung dahingehend, ob man die Emotionalität dieser Stellen hervorhebt – z. B. durch Agogik – oder eher nüchtern den Notentext wiedergibt. Dies gilt etwa für die zweiten Themen des Kopfsatzes und des Schlusssatzes.


    Eine besondere Rolle nehmen die Binnensätze ein. Wenn nun die Symphonie Requiem-artige Züge trägt, welche Rolle kommen dann dem 5/4-Walzer und dem zwar putzig beginnenden, doch im fff endenden dritten Satz zu, der sowohl scherzo- als auch marschartige Züge hat? Ist der zweite Satz nun hier-und-jetzt-Erleben einer wie auch immer gearteten Seligkeit oder nur noch 5/4-gebrochen-verklärte Reminiszenz besserer Zeiten? Ist der Schluss des dritten Satzes triumphal oder hat er eine niederwalzende Brutalität – in dieser Brechung verwandt dem Finale aus Schostakowitschs 5. Sinfonie? Der Interpret muss hier Antworten geben.


    (Fortsetzung folgt)

  • Hier nun eine Fortsetzung:


    Es werden nun die Aufnahmen von Toscanini (NBC SO, 1947), Mravinsky (Leningrad PO, 1960), Abbado (WPO, 1974), Karajan (BPO, 1976), Jansons (Oslo PO, 1984), Sinopoli (Philharmonia Orchestra, 1989) und Celibidache (MPO, 1992) betrachtet.


    Zu Celibidache ist zu sagen, dass er 59 Minuten für dieses Werk braucht, die übrigen Dirigenten jedoch nur zwischen 41 und 47 Minuten. Bei der 5.Sinfonie Tschaikowskys fand ich seinen Ansatz sehr überzeugend (siehe auch den entsprechenden Thread), hier überspannt er m. E. des Bogen und ist lediglich als Ausnahmeerscheinung interessant, als Gegensatz, als Alien, nicht als ernsthafter Gegenstand eines Vergleichs und wird darum im folgenden nicht besprochen.


    Der Kopfsatz ist formal eine Sonatensatzform, bei der Durchführung und Reprise in intelligenter Weise miteinander verzahnt sind. (Dies widerlegt zum Teil den Vorwurf formaler Beliebigkeit.) Einer Analyse von Thomas Kohlhase in der Goldmann-Schott-Taschenpartitur im wesentlichen folgend, finden wir folgende Abschnitte:


    T. 1-18 Einleitung in drei Abschnitten zu 6 Takten


    T. 19-160 Exposition
    T. 19-88 Hauptsatz
    T. 19-42 1. Thema (mit Entwicklung)
    T. 43-88 Episode
    T. 89-142 Seitensatz
    T. 89-100 2. Thema
    T. 101-129 Episode
    T. 130-142 2. Thema wiederholt
    T. 143-160 Schlussgruppe


    T. 161-304 Durchführung
    T. 161-170 Einleitung
    T. 171-201 1. Teil, beginnend mit Fugato, gesteigert bis ins fff
    T. 202-229 2. Teil, beginnend mit Zitat aus der russischen Totenmesse in den Posaunen, innerer Höhepunkt
    T. 230-276 3. Teil, gleichzeitig Reprise des 1. Themas, äußerer Höhepunkt
    T. 277-304 Ausklang


    T. 305-335 Reprise
    T. 305-317 Reprise des 2. Themas
    T. 318-335 neue Schlussgruppe


    Alle Dirigenten nehmen die Einleitung langsamer als notiert (adagio, Viertel = 54), Toscanini, Mravinsky, Karajan und Sinopoli fast ohne rubato, Abbado und Jansons verweilen ein wenig auf den Spitzentönen.


    Das erste Thema (Allegro non troppo, Viertel = 116) nimmt Toscanini schneller als notiert. Bei ihm macht es am den Eindruck von atemlosen, gehetzten Dahinhuschen. Bei piu animando (Blechbläserfanfaren T. 19ff.) hat er allerdings keine Temporeserven mehr. – Mravinsky ist hier deutlich langsamer, lässt aber das erste Motiv des Themas stets mit Nachdruck spielen. Überhaupt ist Deutlichkeit auch in Nebenstimmen sein Anliegen. – Abbado hat sogar bei der Wiederholung des ersten Themas in der Flöte Zeit für ein Minirubato, fast noch langsamer als Mravinsky, sehr behutsam und detailbeachtend. Auch die Blechbläserfanfaren am Höhepunkt der Episode lässt er nicht voll ausspielen, hebt sich die Dramatik für später auf. Trotzdem klingt es bei ihm geradezu sportlich und schlank. – Karajan ist deutlich drängender, legt den Vortrag auf Steigerung und Nachlassen hin an. Die absteigenden Holzbläser-Tonleitern zu Beginn der Episode werden kaum phrasiert. Karajan lässt den Höhepunkt deutlich kräftiger ausspielen als Abbado. – Jansons spielt rhythmisch sehr exakt, allerdings um ein Haar zu penibel, als dass das Stück wirklich atmen würde. – Bei Sinopoli hört man sofort, was Jansons fehlt: Eine gewisse Weichheit, Biegsamkeit des Vortrages, die bei allem Tempo, aller Ereignisdichte die Noten mit einem zärtlichen Trauerflor umgibt.


    Das zweite Thema, Andante (Viertel = 69), con sordini, teneramente, molto cantabile, con espanzione ( = Streicher mit Dämpfern, zart, sehr gesanglich, mit Ausdehnung). - Toscanini ist als einziger im Tempo, gönnt sich aber – wie allen anderen – Dehnungen der langen Melodietöne. Deutliches Anziehen des Tempos zu Beginn der Episode (vorgeschrieben sind nun Viertel = 100). Bei Wiederholung des zweiten Themas (ohne Dämpfer) ist er genau im Tempo. Sentimentalität kann man ihm sicher nicht vorwerfen. – Mravinsky nimmt das zweite Thema langsamer, zurückhaltender, aber mit stärkeren Akzente da, wo der Komponist sie vorgeschrieben hat und auch an anderen Stellen. Das macht einen süßlicheren Eindruck als bei Toscanini, ohne deswegen sentimental zu sein, es hat etwas schwärmerisches. Mravinsky zieht in der Episode bei der Steigerung der Lautstärke auch das Tempo an. – Abbado macht alles, was in der Partitur steht (Tempo mal ausgenommen), aber er sucht keine Extreme. Das zweite Thema wirkt sehr ausgeglichen, quasi gemäßigte Tschaikowsky-Breiten. Es fällt die Natürlichkeit des Abbadoschen Vortrages auf. – Karajan lässt die Crescendi und Decrescendi des 2. Themas stärker ausspielen als Abbado. Er lässt die vorgeschriebene Beschleunigung zu Beginn der Episode nicht spielen, sondern bleibt quasi im Tempo des zweiten Themas. Am Ende der Episode scheint er dann aufholen zu wollen. Das steht anders in der Partitur. Bei der Wiederholung des zweiten Themas mögen Karajanverächter mit dem Finger auf den Breitwandsound zeigen, aber es klingt hinreißend. – Jansons ist da zurückhaltender mit der espanzione, das zweite Thema hat bei ihm etwas wehmütiges, was aber auch daran liegt, dass er die vorgeschriebenen Akzente kaum beachtet. Das gilt auch für die Wiederholung – Blech und Holz haben eben nur p bis mf, allen ff der Streicher zum Trotz. Karajan war da pauschaler – auch wenn’s bei ihm noch so schön klingt, es steht so nicht da und ist so nicht gewollt. – Auch Sinopoli sagt beim zweiten Thema dem Klangbad ab und bevorzugt eine verschattete Darstellung des Materials. Zügig, drängend geht es dann durch die Episode. Bei der Wiederholung mag man zunächst gar nicht glauben, dass die Dämpfer weg sind.


    Zeit für ein Zwischenfazit: Karajan klingt toll, aber eben nach Karajan und nicht unbedingt nach Tschaikowsky. Jansons ist im ersten Thema zu pedantisch und im zweiten zu nachlässig. Bei den anderen muss man noch sehen, wo die Reise hingeht. Abbado und Sinopoli gefallen mir bis jetzt am besten.


    Die Durchführung. Hier sind die Unterschiede interessanterweise marginal und eher in der Klangtechnik und in der Virtuosität des Orchesters zu suchen. Einzige Stelle zur Unterscheidung ist der (äußere) Höhepunkt der Durchführung (T. 285), wo der Dirigent entscheiden muss, ob und wie viel er im Tempo nachgibt. – Toscanini hat ein sehr angemessenes Tempo, ist keinesfalls zu schnell. Bei T. 285ff gibt er kaum im Tempo nach. – Mravinsky lässt zu Beginn der Durchführung sehr schroff spielen (wieder das gewöhnungsbedürftige Vibrato der russichen Trompeter beim Höhepunkt des 1. Teils). Etwas deutlicheres Nachgeben im Tempo bei T. 285ff als bei Toscanini. – Bei Abbado finden wir hervorragendes Orchesterspiel in allen Gruppen, deutlich besser als New York oder Leningrad. Bei der Reprise des 1. Themas nimmt er ein wenig Fahrt weg. Beim Anlaufen zum Höhepunkt wird es dann immer breiter, schließlich quasi halbes Tempo – steht so nicht in der Partitur (largamente steht nur in der Streicherstimmen und bezieht sich wohl auf die Bogenführung), auch wenn es seine Berechtigung im dramatischen Kontext haben mag. Überzeugend ist es aber allemal. – Die Berliner Philharmoniker stehen ihren Wiener Kollegen sicher nicht nach. Kaum Tempoverbreiterung am Höhepunkt! – Jansons wird beim Anlaufen zum Höhepunkt abrupt langsamer (T. 277ff.) und verschenkt somit vieles von der möglichen Wirkung dieser Stelle. – Sinopoli beginnt die Durchführung geradezu explosiv, die Nebenstimmen in Holz und Hörnern während des Fugatos sind deutlicher zu hören als bei anderen. Sinopoli behält den Drive unterschwellig beim Choral aus der Totenmesse bei, es kocht quasi bei geschlossenem Deckel weiter (Celli/Bässe) und beruhigt sich erst bei Beginn der Durchführung des 1. Themas, um dann sofort wieder in Fahrt zu kommen. Das ist bis jetzt eine absolut stimmige Tempodramaturgie. Ab T. 277 wird allerdings auch er deutlich langsamer (quasi halbes Tempo) – schade. Bis jetzt der einzige eventuelle Schwachpunkt einer ausgezeichneten Interpretation.


    In der Reprise des zweiten Themas sind die Charakteristika aus der Exposition wiederzuerkennen: Toscanini der schnellste, hier für meinen Geschmack zu schnell. Etwas zu buchstabiert die Coda. – Mravinsky expansiver als Toscanini mit einem fetten letzten Höhepunkt. Die Coda ähnlich wie Toscanini, jedoch deutlicher artikuliert. – Abbado ist auch in der Reprise wieder introvertierter als Mravinski. Recht legato in der Coda. – Karajan dreht bei der zweiten incalzando-Stelle noch mal auf. Sehr weihevoll wird die Coda vorgetragen. Das ist dramaturgisch sehr stimmig, ist allerdings meilenweit vom in der Partitur angegebenen Tempo entfernt (Viertel = 80). - Bei Jansons geht es recht sachlich nach Hause. Unaufgeregt auch die Coda bzw. Schlussgruppe, ohne einen Hauch von Verklärung. Es wirkt etwas buchstabiert. – Auch bei Sinopoli haben sich nach der Durchführung die Wogen zunächst geglättet, er macht allerdings noch zwei kräftige Tempowellen (in der Partitur so vorgeschrieben: incalzando = drängend), betont sachlich auch die Coda.


    (Leider habe ich nicht die Einspielungen von Furtwängler, Mengelberg, Fricsay, Cantelli, Bernstein und Solti. Mal sehen.)


    Bei Interesse wird die Besprechung fortgesetzt ...

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  • Nun sind Furtwängler, Cantelli, Mengelberg und Pletnev (DG) bei mir eingetroffen (bzw. deren Aufnahmen von Tschaikowskys 6. Sinfonie).


    Furtwängler liefert die mit Abstand depressivste Einleitung des Kopfsatzes ab - Wahnsinn. Der ganze Tristan ist dagegen Kindertränen, "weil süße Milch sie verschüttet".


    Ansonsten eine sehr geschlossene Darstellung bei Furtwängler. Mengelberg mit vielen Eigenwilligkeiten - hörenswert, aber eher als Gegenbeispiel denn als Ausgangspunkt. Cantelli ist für mich die bis jetzt beste Einspielung der Sinfonie. Pletnev ist fetzig. Alles sehr schnell, im ersten Satz funktioniert das noch, der zweite ist sehr, sehr hastig und im dritten ist gar nicht mehr alles hörbar. Schade.


    Somit sind meine Favoriten bei diesem Werk: Cantelli, mit etwas Abstand gefolgt von Abbado und Sinopoli.

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  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Mittlerweile gibt es die Mrawinsky-Aufnahme (zusammen mit der 4. und 5. Sinfonie) auch als DG "The Originals"-CD.



    Tolle Aufnahme, fraglos, doch ziehe ich nach wie vor die 4. und 5. Sinfonie vor.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Ich habe folgende Aufnahme der 6.



    das schöne an dieser Aufnahme ist, dass Gergiev die "goldene Mitte" zwischen nüchterner Eleganz und romantischer Emotionalität gelingt.


    Als ergänzung ist darauf noch eine Aufnahme von Tschaikowskys "Romeo und Juli". Diese ist sehr kraftvoll, vielleicht etwas zu übertrieben kraftvoll.

  • Das Karajan-70er-Jahre-Video ist fraglos ebenfalls eine empfehlenswerte Einspielung. Weiß jmd., ob das dieselbe 70er-Aufnahme ist wie auf CD erhältlich?


    Allgemein gesagt, gefällt mir der 3. Satz bei weitem am besten - mit das Tollste, was Tschaikowsky jemals komponierte m.E.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Ich habe die Pathétique gestern in einer Aufnahme mit NYPO/Bernstein aus einem Livestream des tschechischen Rundfunks mitgeschnitten (wann sie entstanden ist, kann ich nicht sagen, vielleicht kriege ich das raus) und war einigermaßen hingerissen: Bernstein läßt insbesondere die Ecksätze sehr gedehnt und "füllig" spielen, immer wieder im Wechsel von "Aufbäumen" und "Zusammensinken", und holt insbesondere dort, wo das Blech (Posaunen!) dominiert, ganz viel romantische Emotion aus der Sechsten. Auf die Gefahr hin, mich hier einer Steinigung auszusetzen: Mir gefällt diese Herangehensweise an die Pathétique ausgesprochen gut und ich finde sie zu der dieser Sinfonie unterstellten Thematik absolut passend.


    Wenn man an dieser Einspielung etwas kritisieren möchte, dann vielleicht, daß der dritte Satz nicht ganz so "geladen" daherkommt wie die Ecksätze. Aber ich kann mir vorstellen, daß Bernstein die Aufmerksamkeit bewußt auf den ersten und vierten Satz hat lenken wollen; insofern könnte das etwas verhaltene (in dynamischer Hinsicht) Dirigat des dritten Satzes auch Bestandteil des Konzepts sein, das LB von dieser Sinfonie hatte.


  • Die digitale Bernstein-Aufnahme (DGG, 1986) habe ich mir heute spontan zugelegt. Sie gefällt mir ausnehmend gut. Die langsamen Tempi sind m. E. für diese Symphonie keineswegs verfehlt. Insbesondere den 3. und 4. Satz finde ich hinreißend. Was für eine Wucht im 3., was für eine Emotionalität im 4.!


    :jubel:

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Hallo Joseph,


    lese auch meinen Beitrag von 10/2005 zu dieser Bernstein-Aufnahme.
    Sie ist in der Tat "mega"-begeisterungswürdig. Ab und zu gebe ich mich auch dieser "Stimmungsbombe" hin.


    In der Regel greife ich dann aber genauso gerne zu strafferen Interpretationen mit
    Solti (Decca), Mrawinsky (DG und Melodiya), Karajan (DG, 1964) und die Du nach dieser auch kennen lernen solltest - die alte mit Bernstein (SONY).


    Es gibt kaum ein klassisches Werk, bei dem Bernstein von seiner Erstaufnahme weiter abgewichen ist als hier.
    Aber oh Wunder, sein Ergebnis ist bei Beiden gleich - - - Umwerfend !

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Hallo Wolfgang,


    ich kann Dich nur nochmal zitieren und dies unterstreichen, was Du bereits damals schriebst:


    Zitat

    Original von teleton
    ;) Man muß bereit sein sich auf die Bernsteinsche Gefühlswelt einzulassen - und wer das kann wird hier mit einer famosen Interpretation belohnt, die alles bisher dagewesene in anderem Licht erscheinen läßt. Die Dramatischen Stellen werden unheimlich gefühlvoll aufgeputscht (was ich nicht als negativ ansehe) , der dritte Satz kommt mit einem überbordenden Temprament und der 4.Satz ist in seinem gegensatz dann so eindruckvoll das man die Tränen kaum zurückhalten kann.
    :jubel: Eine Wahnsinnsaufnahme, die jeder der Tschaikowsky mag kennen sollte.


    Der 3. Satz ist echt der Wahnsinn schlechthin! Wenn Bernstein das Tempo bei dem pompösen Marsch zurücknimmt, ist unbeschreiblich.


    Wir scheinen allgemein einen ähnlichen Geschmack zu haben, wie mir auch letztens die Karajan-Bruckner-Aufnahmen wieder mal zeigten. Danke nochmal für den tollen Tipp!


    :hello:

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões


  • Hallo Joseph,


    um den Thread Taschikowsky-Sinfonien-Ranking nicht mit unseren Pauken im 3.Satz zu belasten, mache ich hier weiter.


    Ich habe einige meiner Favoriten heute mal in diese Richtung ausgetestet. Du hast recht das Karajan DG 1977 mit seinen vollen dramatischen auf den Punkt treffeden Paukenstellen wirklich spitzenmäßig ist.
    Die Aufnahme Karajan DG 1964 ist in dieser Beziehung fast gleich. Weil Karajan zu Beginn etwas zurückhaltender ist, um die Kontrastwirkung zu erhöhen haben wir mit 8:44 eine geringfügig längere Spielzeit. Die Pauken sind aber stellenweise noch weniger ins Orchester integriert. Einige Paukenstellen und die letzten vier Schlage, mit denen der Satz abschließt sind noch pointierter.


    Absolut umwerfend ist dann Bernstein (SONY 1964), der gleich zu Beginn die Spannung schon höher aufläd als Karajan. Bei ihm sind alle Paukenstellen noch detailreicher durchhörbar um dann den Wahnsinnschluß abzufeuern - Zeit 8:51.


    Bei meinem Vergleichshören hat mich Bernstein (DG 80er) dann doch enttäuscht. Man möchte bei den zu langen 9:52 anschieben, es klingt zu monunental. Er steigert zwar toll die Spannung, aber auch die Pauken sind zwar da, aber doch zu sehr eingebettet und wirken wie große Trommeln.


    Dagegen ist mir dann die straffste Aufnahme von allen mit Solti (Decca 1977) doch lieber, der ohne romantisches Geplänkel den Satz knallhart in 8:06 durchzieht.


    Auch eindrucksvoll und hochspannungsgeladen ist Mrawinsky (DG 1960) mit seinen Leningradern in Wien. Die Pauken sind klanglich aber auch zu sehr ins Orchster integriert. Der Satz kommt aber straff in angemessenen 8:19.


    Mit noch mehr Wahnsinn behaftet ist Mrawinsky (ERATO 10/1982). Zuhause in Leningrad ist die ADD-Tontechnik zwar kein bischen besser als 22Jahre zuvor in Wien, aber die vollen Pauken sind zum wegschmelzen.


    Fazit:
    :yes: Die emotionalste Aufnahme hat mit den New Yorker PH und Bernstein (SONY 1964) auch die besten und detaliertesten Pauken. :jubel: Das ist mein Favorit.


    Meine LP´s mit Swetlanow und den hier bei Tschaikowsky sehr zurückhaltenden Roshdestwensky habe ich jetzt nicht berücksichtigt, da klanglich außer der Reihe.
    Karajan (DG in Wien DDD) habe ich heute noch als CD-R in einer der GA-Boxen gefunden. Die hatte ich im Original verkauft, da diese Aufnahme mich insgesamt enttäuscht hatte.




    :hello: ;) Interessant mal zu sehen, zu welchen Ergebnissen man kommt, wenn man nur einen Satz betrachtet, statt die ganze Sinfonie oder noch ungenauer eine GA.

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Zitat

    Original von teleton
    Bei meinem Vergleichshören hat mich Bernstein (DG 80er) dann doch enttäuscht. Man möchte bei den zu langen 9:52 anschieben, es klingt zu monunental. Er steigert zwar toll die Spannung, aber auch die Pauken sind zwar da, aber doch zu sehr eingebettet und wirken wie große Trommeln.


    Hallo Wolfgang,


    ich stimme Dir zu: monumental klingt es wirklich!
    Es ist eine Aufnahme, die wohl ganz für sich betrachtet zu sehen ist, quasi außer Konkurrenz läuft. Ich würde sie als fabelhafte Ergänzung zu den "normaleren" sehen. Wie er das Tempo im Marsch am Ende zurücknimmt, halte ich nach wie vor für einzigartig.
    Es ist wirklich extrem schwierig, da eine Wahl zu treffen, zumal die Karajan- und Mrawinsky-Aufnahmen (und offenbar einige mehr) ja auch grandios sind.


    :hello:

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões


  • Hallo Wolfram


    Während ich schreibe, höre ich die sogenannte "Revolutionsetüde" von Chopin in meiner Lieblingsaufnahme mit Yuri Egorov.
    Vielleicht wirkt es befremdlich, doch diese Aufnahme läßt mich den 3. Satz der Pathetique mit Furtwängler assoziieren.


    Ob es nun "russisch" ist, wie Furtwängler an den Kopfsatz herangeht,
    ist 1. wohl eine in diesem Kontext secundäre Frage......
    denn, --wie Du treffend schreibst-- sind da Depression...ich würde etwas abändern ..."und" WAHNSINN.......
    und das triffts in diesem autobigraphischen Verzweiflungswahn ja wohl genau.


    Apropo Wahn, "meisterlich" ist da für mich Mrawinsky mit den Leningradern und zwar , man könnte sagen, auch das "Beckmesserische" bis hin ins Ausrastende treibend.
    Mir geht es bei "Sachs und Co" oft so, daß die Ausbruchsvariante in den Wahn, in einer herausragenden Inszenierung
    (wie z.B. der von Neuenfels in Stuttgart vor einigen Jahren)
    der Verzweiflung in der PATHETIQUE sehr nahe kommt.


    Individuelles und kollektives Drama liegen doch manchmal nicht so weit auseinander.


    Gruß..............."Titan"

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