Wie eiskalt ist das Filmchen - LA BOHEME mit Anna Netrebko und Rolando Villazon

  • Zitat

    Original von severina


    Was mich an dem Film am meisten stört, dass Dornhelm alle Andeutungen des Libretto ausinszeniert hat, der eigenen Phantasie kein Raum gelassen wird und er vor allem - meiner Meinung nach selbstverständlich! - die Poesie und die erotische Spannung des ersten Aktes total zerstört hat. (...) Ich will keine sich im Bett räkelnde Mimi sehen, die durch die Wand das lustige Treiben in der Künstler-WG belauscht und dann ganz entschlossen (und die Kerze ausblasend!) die Sache in die Hand nimmt.
    Aber am meisten hat mich frustriert, wie Dornhelm meine Lieblingsszene, das "O soava fanciulla" in den Sand setzt. Hier wagen Mimi und Rodolfo das erste schüchterne Eingeständnis ihrer Liebe ... ja, alles weitere ist wieder unserer Phantasie überlassen. Nicht so bei Dornhelm, denn da kommen die Verliebten zunächst gar nicht bis ins Cafe, weil sie vorher in Mimis Zimmer noch rasch eine schnelle Nummer schieben. Eine halbe Stunde nach dem Kennenlernen ... vor allem ist aber aus der nächsten Szene die erotische Spannung völlig raus, weil die beiden ja bereits konsumiert haben, worauf sie eigentlich noch hinfiebern sollten.



    Ich gebe mal zu bedenken: Was ein Puccini der Phantasie überlasssen mußte, hat eher mit der Zensur zu tun als mit dem "künstlerischen Feingefühl" (man lese mal die Goncourts über Flauberts Salammbo "und dann vögeln sie" usw.).
    Daß Mimi hier auf ein Sonja-Ziemannhaftes Seelchen festgelegt wird, spricht für sich. Bettszenen sind heut ein legitimer Ausdruck funktionierender Liebesbeziehungen.


    Haben hier eigentlich alle derart schlechten Sex? - Fast möcht man´s meinen.


    In Puccinis Biografie und in der Romanvorlage zur Bohème finden sich jedenfalls genug Anhaltspunkte für die filmische Abkehr vom Schmetterlingsgefühl-Evozieren fürs Parkett. Eine Definition für Kitsch wäre IMO die Festschreibung eines verjährten Tabus als eine Art Figuraltugend (Mimi war für ihre Epoche ein leichtlebiges Mädchen und soll heut eine Art Märtyrerin verklemmter Romantik bleiben).

    Zerging in Dunst das heilge römsche Reich


    - uns bliebe gleich die heilge deutsche Kunst!

  • In Köln schneite es und wir hatten es tierisch gemütlich bei Kerzenschein und Bohème im ZDF. Gleichzeitig noch den Urlaub vor sich. Herz, was willst Du mehr. Und der Fim hat mir auch gut gefallen.


    O.K., das Licht war nicht sehr atmosphärisch und verriet vor allem im 3. Akt den Studiocharakter. Auch habe ich nicht verstanden, wieso die Handlung vom Biedermeier in die Jahrhundertwende verschoben wurde. Irgendeinen Gewinn habe ich daraus nicht gezogen. Aber gesungen war es herrlich. Gut, Villanzon bewegt sich so elastisch und anmutig wie eine Disneyfigur. Das wirkt manchmal etwas befremdlich, doch da die Netrebko eher reduziert agiert, ergänzen die beiden sich wirklich sehr gut. Da stimmt die Chemie. Und es passt irgendwie auch zur Bohème: Er, der schwärmerische, halb verhungerte Poet und sie, die verhinderte Kokotte.


    Fazit: Eiskalt fand ich das Filmchen nicht, mir hat überwiegend gefallen.

  • Die Darstellerin der Musetta - Nicole Cabell gefiel mir überhaupt nicht. Weder stimmlich noch optisch erfüllte sie die Anforderungen an diese Rolle. Ab mit ihr in die Zigarettenfabrik der Konkurrenz!


    Schade um eine weitere Illusion, die verlorenging.

    Freundliche Grüße Siegfried

  • Zitat

    Original von Knusperhexe
    In Köln schneite es und wir hatten es tierisch gemütlich bei Kerzenschein und Bohème im ZDF.


    So ähnlich ging es uns auch. Die Verfilmung passte gut in die Weihnachtszeit.

    Es störte mich allerdings sehr, dass Eröd nicht gesungen hat. Die dicke Schminkschicht der Mimi hätte auch nicht sein müssen und mit Villazons übertriebener Mimik komme ich sowieso nicht gut zurecht.
    Cabell gefiel mir auch überhaupt nicht.


    Sonst konnte man sich den Film ganz gut anschauen.


    Allerdings bin ich ohnehin kein Freund von Opernverfilmungen.
    :hello:
    Jolanthe

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Zitat

    Original von Jolanthe
    Allerdings bin ich ohnehin kein Freund von Opernverfilmungen.
    :hello:
    Jolanthe


    Liebe Jolanthe,


    kennst Du die Onegin-Verfilmung von Petr Weigl? Die musst Du sehen! Traumhaft schön!!!!!! Auf youtube findest Du ein paar Ausschnitte.


    Grüße an den Niederrhein,
    Knuspi

  • Hallo Knuspi,


    nein, diese Verfilmung kenne ich tatsächlich nicht. Ich habe mal kurz in drei Clips hineingeschaut. Das wirkt natürlich ganz anders als in diesem Boheme-Film.


    :hello: :hello:
    Jolanthe

  • Freut mich, dass Du gleich nachgeschaut hast. ich liebe diesen Film sehr. Vor allem die Vasaryova fand ich schon als Kind in den tschechischen Märchenfilmen so wunderschön.


    Ich erinnere mich auch noch an einen Bohème Film mit Barbara Hendricks als Mimi. Der war auch sehr aufwendig. Muss ich gleich mal recherchieren. Kommt dieses jahr eigentlich Hänsel und Gretel im TV?


    LG,


    Knuspi

  • Zitat

    Original von Knusperhexe
    . Kommt dieses Jahr eigentlich Hänsel und Gretel im TV?


    Bisher ist mir nichts aufgefallen, wahrscheinlich also eher nicht.


    LG
    :hello: :hello:
    Jolanthe

  • Severina, die kleine Gestrenge, sozusagen das Beckmesserchen.


    Der gewählte Titel für diesen Thread grenzt an Unverschämtheit.


    Mit Lear möchte man ausrufen: "Ihr seid Menschen aus Stein!"


    Eine solch stilgerechte, psychologisch subtil schattierte, von lebendigster Figurenführung geprägte Inszenierung in der oben nachzulesenden Weise abzutun, ist borniert und abscheulich.


    Kein Wort davon, daß Anna Netrebko mit ihrem berückenden Lächeln der Mimi ein geheimes Leben gibt, das alle Blumenmädchenclichés vergessen läßt. Das Villazòn und Netrebko diesen ersten Akt in einer Weise menschlich und berührend gestalten, und zwar bis in die Haarspitzen, daß einem die Wort fehlen.


    Stattdessen der Vorwurf, sie habe im letzten Bild wie ein Zombie gewirkt. - Ja was galubens denn, wie eine Tuberkulöse im Finalstadium aussieht? Wie Sissi?


    Oder die Kritik an der angedeuteten Beischlafszene ante cenam. Die ganze erotische Spannung sei heraus. - Wo leben wir denn? In Hollywood, mit Blende pünktlich zum Kuss-Happy-End, oder Verdunkelung wegen Gefährdung der Sitten?


    All das Spekulieren über die Kerze und den Schlüssel übersieht, daß beides symbolisch für eine gewollte Unordnung steht (man denke an Tristan, II,1), eine absichtlichtlich herbeigeführte Unverantwortlichkeit. "La fiamma sventola" heißt es ganz am Schluß, an Mimis Sterbelager; so subtil ist das Erlöschen der Kerze zu Beginn bereits auf ihr Schicksal bezogen. - In der Musik zu Mimis erstem Erscheinen wird aber ganz deutlich, wie der Rausch von beiden jungen Menschen Besitz ergreift; wie beide sich dieser erotischen Ansteckung überlassen. Die Frage nach dem Anstifter solcher Verwirrung erübrigt sich, die Kausalität wirkt hier ununterscheidbar.


    In der Darstellung erotischer Verstrickungen gibt es stets einen Punkt, bis zu dem ein Künstler gehen darf, ohne allzu pornografisch zu wirken. An diesem Punkt setzt die Imagination des Zuschauers ein; und bis zu diesem Punkt hin wird, zumal in der Kunst des 19. Jh., die Atmosphäre gewaltig erotisch aufgeladen. Die Beischlafszene, die die Brüder Goncourt in Flauberts Salammbo mit so drastischen Worten ausmachen, besteht tatsächlich aus einem Blanc, einem Schnitt; aber für einen zeitgenössischn Leser findet sie (in der vollendenden Imagination) selbstverständlich statt.


    Severina und ihresgleichen behaupten jedoch, zwischen Mimi und Rodolfo sei die unausgelebte erotische Atmosphäre in ihrer Unaufgelöstheit Realität (Mimi ist ja ein züchtiges Mädchen, sie würde doch nicht, nein, Gottogott, nie würde sie ...). Damit tut man den Figuren sowie Puccinis Musik Gewalt an; denn er wollte eine wahrhafte Liebe schildern.


    Bei Karajan ist Mimis Erscheinen in eine Art künstliche Parfumwolke gehüllt, aus der es kein Entrinnen gibt. Wie dezent dagegen der Film.


    Den Zeitgenossen war der Zusammenhang zwischen losem Lebenswandel und Krankheit ganz offensichtlich (daher haben all diejenigen Recht, die aus Mimi für uns heutige eine Aidskranke machen). Das Revolutionäre an der Bohème ist jedoch, daß Puccini diesen sehr körperlichen Zusammenhang ohne jede moralisierende Stellungnahme darstellt. Er zeigt die kalte Welt, in der ein krankes Mädchen stirbt. Die Abschiedsfeier in der Mansarde kann diese Kälte nicht mehr aufwiegen. Großartig in der Verfilmung das Zurückschrecken der jungen Frau an der Barrière d´Enfer, als sie von Mimi gebeten wird, Marcello zu holen.


    Das für mich immer unübertreffliche III. Bild mit seiner kühnen Überschneidung von Zänkerei und Abschiedswehmut wird in der Verfilmung sehr schlüssig vorbereitet im II. Bild, wo Mimis und Rodolfos verhaltene Liebesschwüre kontrapunktiert werden von der grellen Musettaepisode. - Wer aus der Liebe zwischen Näherin und Dichter die banalen, ernüchternden und traurig vorausweisenden Elemente eliminert, verkitscht diese Oper - und genau das tun Hörer wie Severina.

    Zerging in Dunst das heilge römsche Reich


    - uns bliebe gleich die heilge deutsche Kunst!

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Zitat

    Original von farinelli
    Damit tut man den Figuren sowie Puccinis Musik Gewalt an; denn er wollte eine wahrhafte Liebe schildern.


    Also, bei wahrhafter Liebe gehe ich nicht gleich in die Kiste. Aber egal, mich hat es diese Szene nicht so gestört. Allerdings wunderte ich mich, wie lange es doch hell bleibt an diesem Winterabend in Paris;-) Oder es war wirklich eine ganz kurze Nummer, dann ist es aber bestimmt keine große Liebe. Egal, jetzt wird es doof. Bin schon wieder weg. Wie gesagt, mir hat es auch überwiegend gefallen.

  • Als jemand, der ansonsten einen großen Bogen um Opern macht, war ich doch einigermaßen gespannt auf diesen Abend. Die Protagonisten waren mir sympathisch, Komponist und Werk dagegen noch unvorbelastet, weil noch ungehört. Es galt, eine Bildungslücke zu schließen.


    Nachdem ich mir heute die Aufzeichnung nochmal angeschaut habe, bleibe ich dabei, La Boheme ist nichts für mich. Und das liegt nicht an der Verfilmung, die ich als gelungen empfinde. Aber die Story spricht mich nicht an, und die Musik mochte mich, bis auf die Schlusstakte, auch nicht zu begeistern. Diese Oper ist für mich abgehakt.


    Was mich aber zum Schluss genervt hat ist, dass, wo die Musilk noch nicht mal richtig verklungen ist, in ein Werbe-Jingle überblendet wird, welches die ganze Stimmung der letzten ergreifenden Takte einem gänzlich zerstört. Ein paar Sekunden besinnliche Stille nach dem Verklingen des letzten Tones wären doch nun wirklich kein finanzieller Ruin gewesen. Soviel Respekt sollte man doch vor einem Werk haben. Würde mir La Boheme was bedeuten, ich könnte mich maßlos darüber aufregen.

    Nach Schlaganfall zurück im Leben.

  • Zitat

    Original von farinelli
    Großartig in der Verfilmung das Zurückschrecken der jungen Frau an der Barrière d´Enfer, als sie von Mimi gebeten wird, Marcello zu holen.


    Das war für mich auch die beste szene.


    P.S.: severina schreibt leider hier nicht mehr im Forum. Sie vermisse ich wirklich.