ZitatOriginal von severina
Was mich an dem Film am meisten stört, dass Dornhelm alle Andeutungen des Libretto ausinszeniert hat, der eigenen Phantasie kein Raum gelassen wird und er vor allem - meiner Meinung nach selbstverständlich! - die Poesie und die erotische Spannung des ersten Aktes total zerstört hat. (...) Ich will keine sich im Bett räkelnde Mimi sehen, die durch die Wand das lustige Treiben in der Künstler-WG belauscht und dann ganz entschlossen (und die Kerze ausblasend!) die Sache in die Hand nimmt.
Aber am meisten hat mich frustriert, wie Dornhelm meine Lieblingsszene, das "O soava fanciulla" in den Sand setzt. Hier wagen Mimi und Rodolfo das erste schüchterne Eingeständnis ihrer Liebe ... ja, alles weitere ist wieder unserer Phantasie überlassen. Nicht so bei Dornhelm, denn da kommen die Verliebten zunächst gar nicht bis ins Cafe, weil sie vorher in Mimis Zimmer noch rasch eine schnelle Nummer schieben. Eine halbe Stunde nach dem Kennenlernen ... vor allem ist aber aus der nächsten Szene die erotische Spannung völlig raus, weil die beiden ja bereits konsumiert haben, worauf sie eigentlich noch hinfiebern sollten.
Ich gebe mal zu bedenken: Was ein Puccini der Phantasie überlasssen mußte, hat eher mit der Zensur zu tun als mit dem "künstlerischen Feingefühl" (man lese mal die Goncourts über Flauberts Salammbo "und dann vögeln sie" usw.).
Daß Mimi hier auf ein Sonja-Ziemannhaftes Seelchen festgelegt wird, spricht für sich. Bettszenen sind heut ein legitimer Ausdruck funktionierender Liebesbeziehungen.
Haben hier eigentlich alle derart schlechten Sex? - Fast möcht man´s meinen.
In Puccinis Biografie und in der Romanvorlage zur Bohème finden sich jedenfalls genug Anhaltspunkte für die filmische Abkehr vom Schmetterlingsgefühl-Evozieren fürs Parkett. Eine Definition für Kitsch wäre IMO die Festschreibung eines verjährten Tabus als eine Art Figuraltugend (Mimi war für ihre Epoche ein leichtlebiges Mädchen und soll heut eine Art Märtyrerin verklemmter Romantik bleiben).