Barockmusik mit "modernen" Instrumenten - ein Tabu ?

  • Zitat

    Original von Glockenton
    Danke für den Link :)


    Ich stimme allen Aussagen 100% zu.


    Nur, dass Spering die deutschen Romantiker auf historischen Instrumenten spielt und meint, dass diejenigen, die genau hinhören, schon einen Unterschied merken (womit Du nicht ganz konform zu gehen scheinst).


    Ich will bitte auch Franz Berwald auf alten Instrumenten!
    :boese2:

  • Zitat


    Original von der Lullist
    eben, und da das 17. Jh. den größten Teil der "Barockmusik" ausmacht


    wirklich? Ich dachte immer den grössten Teil würde das 18. Jahrhundert, als die Epoche des "Hochbarock" ausmachen. Grob gesagt ordne ich die Werke des 17. Jahrhunderts in die Kategorie "Frühbarock" ein, z.B. Frescobaldi, Schein, Schütz, Carissimi, Monteverdi....


    Zitat


    ...und diese musikalische Epoche eben nicht nur aus Bach besteht...


    während man Bach oder Händel doch zum 18. Jahrhundert, also zum Hochbarock zählt - was um 1720 entstand, ist als 18. Jahrhundert, nicht wahr?


    Zitat

    ...bitte beide Aufnahmen anhören...


    Ich habe in beide Aufnahmen hineingehört, wobei die Naxos-Aufnahme bei JPC und nicht beim Amazon-Link zu finden war.
    Deiner Aussage, dass man hier der Aufnahme auf Originalinstrumenten den Vorzug nahezu geben müsse, stimme ich in diesem Falle ohne Wenn und Aber zu.


    Aber hast Du auch meinen Vergleich mit den Brandenburgischen Konzerten Abbado ( moderne Instrumente) vs. Freiburger ( historische Instrumente) vorurteilsfrei nachgehört?
    Oder den Mozart-Vergleich Böhm, Harnoncourt, Jacobs?


    Zitat

    ..und dann noch behaupten HIP sei ein "Irrtum" oder der "falsche Weg"


    Das habe jedenfalls ich nie und nimmer behauptet - bitte sorgfältig lesen 8) , steht doch alles klar und deutlich Thread. Vorläufig werde ich also auf Selbstzitate verzichten können...?


    Zitat

    Barockmusik auf modernen Instrumenten ist kein Tabu - das ist einfach blödsinnig - dafür gibt es einfach bessere Mittel mit denen man der Musik viel besser Gestalt verleihen kann.


    Das kommt immer ganz darauf an, wie ebenfalls oben detailliert ausgeführt.
    Es kann furchtbar sein, es kann eine gleichwertige Alternative sein und ja, es kann sogar noch ausdrucksvoller und schöner sein. Beispiele hierfür habe ich ebenfalls genannt.


    Wenn man aber ohnehin schon seine unverrückbar feste Meinung hat, und unter Umständen gar nicht willig ist, die Argumente von Diskussionteilnehmern an sich vorurteilsfrei herankommen zu lassen
    ( geschweige denn deren Klangbeispiele mit offenen Ohren anzuhören), dann dürfte es wohl umso leichter fallen, pauschale Behauptungen zwischendurch in den Raum zu werfen.


    Irgendjemand ( Goebel?) sagt einmal sinngemäss: "80% Musiker, 20% Instrument" oder so ähnlich.
    Ich sehe das sehr ähnlich.


    Gruss :hello:
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)


  • Das Barock besteht ja jedenfalls einmal von 1600 - 1750, Randgebiete davor und danach. Insofern ist der größte Teil natürlich im 17. Jahrhundert.


    Was das "Hochbarock" ist, darüber sind mir schon widersprüchliche Angaben begegnet. Zum einen wird etwa Cavalli als Hochbarock angesehen, dann liest man wieder, dass Purcell Frühbarock sei. Bach ist jedenfalls ein später Vertreter des Barock, er tritt ja erst auf den Plan, als zwei Drittel der Epoche bereits vergangen ist. Und im selben Jahr ist Domenico Scarlatti geboren, der ja bereits in den Übergangsbereich zur Vorklassik gehört (Johann Stamitz wäre dann im Zentrum der Vorklassik ...)
    :faint:

  • Zitat

    Original von Kurzstueckmeister


    Nur, dass Spering die deutschen Romantiker auf historischen Instrumenten spielt und meint, dass diejenigen, die genau hinhören, schon einen Unterschied merken (womit Du nicht ganz konform zu gehen scheinst).


    Ich will bitte auch Franz Berwald auf alten Instrumenten!
    :boese2:


    Hallo KSM,


    stimmt, ich habe mir etwas von seinen Aufnahmen im Netz angehört und finde viele Dinge, die ich oben beschrieb und nicht mag.
    Trotzdem stimme ich seinen verbalen Aussagen zu.


    Die deutschen Romantiker höre ich auf historischen Instrumenten in der Tat nicht gerne. Hier finde ich, dass die heutigen Instrumente den eigentlichen Absichten der zunächst einmal immer nur gedachten Musik besser gerecht werden können.


    Den Unterschied, ob ein "Norrington-Orchester" mit modernen Instrumenten und Non-Vibrato spielt oder ein Orchester auf "echten" alten Instrumenten musiziert höre ich natürlich sehr wohl, und ich halte wenig vom Versuch, mit modernen Instrumenten andere Klangbilder nachahmen zu wollen, die man von Konserven kennt.


    Für mich sollte sich der Klang ( hier z.B. auch der Vibratoeinsatz) eher aus der Musik selbst ergeben, unabhängig vom Instrumentarium.
    Noch einmal: Man muss so immer so viel wie möglich wissen, man muss die alten Lehrmeister gelesen haben ( auch den vollkommenen Kapellmeister!) und die grossen Interpreten wie Harnoncourt, Leonhardt, Herreweghe, Goebel, etc..studiert und analysiert haben.


    Wenn ich aber musiziere, muss ich das alles vergessen und eine in Bezug auf mich authentische und lebendige Darstellung versuchen zu erreichen, die den Zuhörer ergreift und bewegt.
    Das sollte man auf dem Instrument machen, auf dem man sich am besten ausdrücken und das man am besten spielen kann.


    Wenn etwa Francoix Leleux Bach Bach auf seiner modernen Oboe spielt, dann möchte ich doch den sehen, der hier ernsthaft behaupten möchte, dass der Mann dort nichts weiter als Blödsinn verzapft:



    Gruss :hello:
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Also ich weiß nicht, "zunächst einmal nur gedachte Musik" ...
    Die Komponisten hatten natürlich den Klang der Instrumente ihrer Epoche in den Ohren. Ganz so abstrakt haben die auch nicht gedacht.


    Und wenn Du schreibst "Man muss so immer so viel wie möglich wissen, man muss die alten Lehrmeister gelesen haben ( auch den vollkommenen Kapellmeister!) und die grossen Interpreten wie Harnoncourt, Leonhardt, Herreweghe, Goebel, etc..studiert und analysiert haben" - dann wird es doch wieder dogmatisch ...
    ;)


    Da könnte man genauso schreiben: "Man muss die Instrumente verwenden, die der Zeit des Komponisten angehören".


    Man muss aber nicht ...

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  • Die Ergebnisse von Christoph Sperings Arbeiten haben mich bisher fast ausnahmslos überzeugen können (1* live bei den Schwetzinger Festspielen mit Kraus' Proserpina, dann konserviert: Beethovens Ölberg, die (anhörbar gewordene) Neunte, Mozarts Requiem und etliche Aufnahmen aus dem Bereich der 'Kleinmeisterei', zu denen es natürlich kaum Vergleiche gibt).


    Zitat

    Original von klassic.com
    (Spering) Bei den Niederrheinischen Musikfesten hat Mendelssohn für seinen ‚Elias’ mindestens 150 Sänger eingesetzt. Das gibt es uns einen Eindruck davon, wie sein Ideal aussah. Wenn wir berücksichtigen, dass Mendelssohn Laiensänger hatte, sind wir heute mit den 80 phantastisch ausgebildeten Sängern vom Chorus Musicus Köln näher an dem, was der Komponist wollte, als mit einer Reisebesetzung von 48.


    Jain. Spering hat m. E. insofern Recht, daß seine 80 ausgebildeten Choristen sicherlich besser herüberkommen als ein Chor aus 150 Laien. Der Chorus Musicus klingt aber eben (auch gerade deswegen) sehr transparent, was anderen Chören weniger gelingt, wenn sie in einer solchen 'Masse' auftreten. Daher bin ich persönlich nachwievor eher für kleine Chorbesetzungen (solistisch muß es nicht unbedingt sein, aber die kleine Kantorei von Hermann Max entspricht da eher meinen Vorlieben auf Transparenz der Einzelstimmen, was auch der Komposition als solche m. E. gerechter wird).


    Komponisten wie Mozart und Mendelssohn, von denen beiden bekannt ist, wie überwältigend sie Aufführungen eigener Werke mit Riesenensembles fanden und diese goutierten, hatte eben genau zu solchen Großveranstaltungen eher selten Gelegenheit, weshalb meiner Meinung nach der Überraschungseffekt und die damit im Zusammenhang stehende Meinungsäußerung größer ist, als hätten sie dies täglich so erlebt. Ich gehe davon aus, daß bei derlei Veranstaltungen (vergleichsweise auch Haydns Schöpfung im Palais Schwarzenberg) einfach das Ereignis bzw. das Aufgebot überwog und überwältigte und die Musik als solche dann doch eher an Feinheiten verlor und teilweise im Detail unterging. Man muß sich aber doch vor Augen halten, daß der Komponist jede Note einzeln niederschrieb und somit jeder Note einen Sinn gab (Gewichtung hin oder her...). Ich halte das Ganze also eher für eine Wahrnehmungstäuschung und bin der Meinung, daß man nicht prinzipiell bei diesen Werken (Paulus, Elias, Schöpfung, Neunte etc.) von Riesenchören als Idealfall ausgehen kann - es kommt eben darauf an, wie musiziert wird und wie ausgebildet die Sänger (und natürlich die übrigen Musiker) sind bzw. waren. Auch muß das Orchesteraufgebot in Relation zu den Singstimmen stehen - und ein Solo verliert dann schonmal ganz schnell an Wirkung (zumal in einer riesigen hallbehafteten Halle). Einer Veranstaltung mit choristi pescati würde ich dann doch eher fernbleiben.


    Zitat


    Unbedingt! Gerade im ‚Paulus’ – das kann man in seinen Briefen nachlesen – hat er viele langsame Chorpassagen explizit für einen großen Chor geschrieben. Deshalb finde ich unser Experiment mit großer Besetzung, die ja einen dickeren und satteren Klang erlaubt, wichtig.


    Das sehe ich schon auch so - gerade, wenn explizit (wohl aus Erfahrung) darauf vom Komponisten hingewiesen wird. Allerdings betrifft dies ja dann nicht alle Chöre des Werks... Hier sollte man dann, wie auch nach Einführung des Walterflügels, bei gewissen Stellen im Werk die Besetzung zurückschrauben und die übrigen Mitwirkenden auf die Ersatzbank schicken.


    Zitat


    Bach dirigieren Sie im Augenblick eher selten.
    Das liegt daran, dass er heute vor allem so unglaublich schlecht gemacht wird.


    Das ist, mit Verlaub, nicht nachvollziehbar. Erstens wird Bach heutzutage unglaublich gut gemacht (kommt eben drauf an, wer...) und zweitens kann es ja nicht sein, daß Spering sich selbst als unglaublich schlecht bezeichnet... Wo und bei wem also liegt hier der Denkfehler...?


    Zitat


    Solistisch, wie die Jünger von Wissenschaftlern wie Joshua Rifkin propagieren? Das ist doch Schwachsinn! Die Forschung belegt doch, dass es in Bachs Zeit vor allem eines nicht gab: eine Industrienorm.


    Ja eben, deswegen ist es auch kein Schwachsinn - gerade die Vielfalt, mal solistisch, mal choristisch - macht ein Werk doch gerade erfahrenswert, oder nicht?


    Zitat


    Meiner Meinung nach ist die Historische Aufführungspraxis inzwischen richtig verkommen. Und wissen Sie was? Das ist auch gut so!


    Was heißt 'verkommen'? Auf Abwegen - zu verkompliziert? Jedes Thema, mit dem man sich länger beschäftigt, verzweigt sich auf natürliche Weise immer mehr, so daß man hinterher weniger Durchblick hat als vorher. Aber man hat dann doch eines: Erfahrungswerte.


    Soviel für jetzt - es gibt sicher noch einiges aus dem Interview, was mir aufstösst (oder ich mißverstehe...) und diskussionswürdig wäre...


    :hello:


    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Zitat


    Original von Kurzstückmeister
    Also ich weiß nicht, "zunächst einmal nur gedachte Musik" ... Die Komponisten hatten natürlich den Klang der Instrumente ihrer Epoche in den Ohren. Ganz so abstrakt haben die auch nicht gedacht.


    Das kommt wohl auch darauf an. Man könnte hier zwei Argumente entgegenhalten:


    1.
    Bach!


    Seine Musik funktioniert so gut wie immer, auf nahezu allen möglichen Instrumenten, selbst auf dem Synthie.
    Wusstes Du z.B. dass die zweistimmigen Inventionen nicht nur toll auf dem Cembalo oder dem Klavier klingen?
    Ich spiele sie ab und zu aus Spass, oder weil ich schnell etwas im Go.-die. während der Kollektsammlung bringen muss auf der grossen Kirchenorgel. Hört sich so an, als wenn es dafür geschrieben ist...es wundert mich immer wieder.
    Und wenn ich hier dann auch noch mit der Kunst der Fuge anfinge, dann käme die Sache mit der "zunächst gedachten Musik" wohl noch stärker zum Tragen.


    2.
    Die modernen Orchesterinstrumente sind von den Barockinstrumenten klanglich nicht so weit entfernt, dass man z.B. den Oboen- oder Streicherklang nicht mehr als solchen erkennen könnte.
    Wenn die Komponisten also einen gewissen Klang im Ohr hatten, dann ist das doch erst einmal überhaupt "Oboe" statt z.B. Horn und nicht so und so eine Oboe. Wenn also Bach von den Toten auferstehen und das COE mit Francoix Leleux hören könnte, würde er vielleicht sagen: " Vom Klang her etwas anders als zu meiner Zeit, aber trotzdem kommt wunderbar das heraus, was ich mir beim Komponieren gedacht habe."
    Auf jeden Fall finde ich so eine Aufführung sehr legitim, selbst wenn ich z.B. bei dem bekannten Adagio aus dem Vorspiel zum Osteroratorium BWV 249 finde, dass der Klang der barocken Geigen aufgrund ihres Obertongehalts sich besser von der singenden Oboe bei entsprechend hervorragenden Musikern absetzen wird und sich die Geigenstimmen leichter nachvollziehen lassen.


    Wichtiger ist aber allemal die Art des Musizierens als der Klang, vor allem dann, wenn man das Gebiet der Barockmusik verlässt und in die Klassik vordringt. Irgendwann drehen sich die klanglichen Nachteile der neueren Instrumente in Vorteile gegenüber den alten um.


    Auf der oben schon genannten CD mit Francoix Leleux gibt es ja hauptsächlich Bearbeitungen - so etwas machen aber auch Leute, die auf Originalinstrumenten spielen.
    Hier hatte also Bach tatsächlich einen anderen Klang ursprünglich gewollt. Trotzdem darf man ja von seiner eigenen Bearbeitungs- und Wiederverwendungspraxis her annehmen, dass er gegen die Bearbeitung des berühmten "Airs" für Oboe und Orchester mit hoher Wahrscheinlichkeit nichts einzuwenden gehabt hätte.


    Wenn man nun in diesen Track1 (Air) und in das Siciliano aus BWV 1053 Track 3 hineinhört, dann doch keiner sagen, dass hier nicht sowohl im Wissen um die historische Aufführungspraxis als auch und vor allem mit grosser Musikalität gespielt wurde.
    Gross- und Kleindynamik, der wiegende Gestus des Siziliano und der grosse Bogen, schöne Vibratobehandlung gerade bei den zweiten Geigen, all das macht das Ganze schon zum Erlebnis, bevor der Oboist seinen Einsatz hat.
    So weit kann so etwas doch von den Vorstellungen des Komponisten nicht weg sein.
    Ebenso die wunderschöne Tongebung und Dynamik des Oboisten beim Air.


    Mit solchen Musiker kann es schöner klingen, als es ein Ensemble mit Barockinstrumenten hinbekommt, und das ist tatsächlich auch manchmal der Fall, nicht immer natürlich.


    Ich wehre mich einfach dagegen, dass man denen vom COE sinngemäss sagt: " holt Euch die richtigen Instrumente oder hört einfach mit der Barockmusik auf, das ist nämlich sonst Blödsinn ( siehe oben) was ihr da macht".


    Zitat


    Und wenn Du schreibst "Man muss so immer so viel wie möglich wissen, man muss die alten Lehrmeister gelesen haben ( auch den vollkommenen Kapellmeister!) und die grossen Interpreten wie Harnoncourt, Leonhardt, Herreweghe, Goebel, etc..studiert und analysiert haben" - dann wird es doch wieder dogmatisch ..


    Wirklich? Argumentierst Du da nicht zu schnell?
    Ich meine doch nur, dass man für die Barockmusik auch etwas lernen muss, und nicht nur Virtuose mit Notenkenntnissen und viel Gefühl sein kann.


    Für diese Alte Musik reicht das einfach nicht, und zwar aus folgendem , allgemein eigentlich sehr bekanntem Grund:
    Die alten Partituren enthalten nun sehr sehr wenig Interpretationsanweisungen.
    Selbst wenn man nun das kombinierte Interpretationstalent von Leuten wie Furtwängler oder des musikalischen Vulkans Jacqueline du Pré hätte, stiesse man doch irgendwann an Grenzen, wenn man sonst nichts wüsste. Grosses Talent und hohe Sensibilität und Musikalität ist zweifellos immer noch das Wichtigste, doch wenn man darüber verfügt, kommt man so viel weiter, wenn man eben auch belesen ist und die Spielweisen der von mir genannten Leute kennt - mit allen Vorzügen und ggf. auch Irrtümern.
    Man kann davon doch nur lernen.


    Der grosse Bach hat sich alle möglichen Noten als Studienmaterial "reingezogen", oftmals Kleinmeister, deren Musik in unseren CD-Playern kaum landen würde. Ihm war immer wichtig, dass er etwas lernen konnte, selbst wenn die anderen Komponisten eher etwas von ihm hätten lernen können...


    Umgekehrt höre ich im Extremfalll ausnahmslos lieber eine "falsche" Barockaufführung etwa Furtwänglers oder Casals, die mit viel Herzblut und Charisma daherkommt, als eine mit Barockinstrumenten, bei der alles "Richtig" gemacht wurde, aber die weder lebt noch atmet, bei der einfach die Musikalität fehlt.


    Ist das denn schon ein Dogma, wenn man sagt, dass Du für das Erlernen der französischen Sprache gehört haben solltest, wie man denn bestimmte Buchstabenkombinationen tatsächlich ausspricht?


    Ausserdem schrieb ich ja auch, dass man alle diese Dinge im Moment des Musizierens hinter sich lassen muss... ;)
    Spätestens da geht es nur noch um Musik und nicht mehr um Dogmen...


    Gruss :hello:
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Hallo Glockenton,



    Zitat

    Das habe jedenfalls ich nie und nimmer behauptet - bitte sorgfältig lesen , steht doch alles klar und deutlich Thread. Vorläufig werde ich also auf Selbstzitate verzichten können...?



    das habe ich auch gar nicht auf Dich bezogen, sondern allgemein gemeint - besonders bezogen auf den Mist den Zedda im Booklett vom Stapel lässt.


    Ich wollte Dir eigentlich eher zustimmen :D




    Und wenn es geht, dann höre ich natürlich die angeboteten Vergleiche an, manchmal streikt zwar mein Media Player, aber mir ist klar was Du meinst - das sehe ich ganz genauso.


    Und dann muss ich mich doch mal verraten :D
    Ich mag z.B. Glen Gould und seine Bach - Interpretation ziemlich gerne, ich mag Adam Fischer und seine Version der Cembalokonzerte von Bach usw.



    Es muß, wie Du ja auch schon mehrfach gesagt hast, musikalisch einfach gut sein, dann ist es fast egal.
    Aber ich sehe solche Interpretationen eher als eine Alternative an - mir liegen die Alten Instrumente und die alten Spieltechniken einfach mehr.

  • Zitat

    Original von Glockenton
    1.
    Bach!


    Seine Musik funktioniert so gut wie immer, auf nahezu allen möglichen Instrumenten, selbst auf dem Synthie.
    Wusstes Du z.B. dass die zweistimmigen Inventionen nicht nur toll auf dem Cembalo oder dem Klavier klingen?


    Diese Phänomen/Phänowomen hat Bach aber nicht für sich alleine gepachtet. Das Prinzip ist auf jedwede Musik anwendbar - und daraus entstehen die interessantesten Bearbeitungen. Man muß sich eben nur im Klaren darüber sein, daß Bach auf dem Steinway oder mit Saxophonquintett eine Bearbeitung ist. Im Gegenzug wurde ja auch vieles von der Popmusik 'verklassikt' - um den Wert zu heben oder sonstwas...


    :hello:


    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Ulli: wie soll ich Dich verstehen? Ok, Saxophon-Ensemble ist weit weg, aber: fällt eine Interpretation der Scarlatti-Sonaten auf einem Steinway-Flügel des 21. Jahrhunderts schon unter den Thread 'Crossover'? Oder habe ich Dich damit überinterpretiert?

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  • Hallo Lullist,


    OK - verstanden.


    Zitat


    Original von der Lullist
    Es muß, wie Du ja auch schon mehrfach gesagt hast, musikalisch einfach gut sein, dann ist es fast egal. Aber ich sehe solche Interpretationen eher als eine Alternative an - mir liegen die Alten Instrumente und die alten Spieltechniken einfach mehr.


    Mir ja auch - bis auf das Gebiet Cembalo vs. moderner Flügel vor allem bei Bach. Neben dem Grund der dynamischen Ausdruckmöglichkeit liegt das wohl auch einfach daran, dass ich mich als Pianist mit diesem Klang irgendwann identifiziert habe und mein Geschmack sich so entwickelt hat. Auf dem Flügel kann ich mich wohl am besten ausdrücken, obwohl ich ja auch zunehmend Orgel spiele - das ist aber nicht so direkt.


    Aber z.B. bei den vielen Aufnahmen der geistlichen Werke Bachs, die sich in meinen CD-Schränken befinden, gibt es bis auf eine Rilling-Platte (die ich nur wegen Fischer-Dieskau kaufte und die mich insgesamt masslos enttäuschte) nur Aufnahmen mit Originalinstrumenten, obwohl ich viel im Vorfeld in Aufnahmen hineinhöre, bevor ich sie mir kaufe.
    Wirkliche interpretatorische Alternativen, die im Sinne der sprechenden Spielweise mithalten könnten oder gar besser wären, sind mir einfach nicht bekannt. Selbst der für mich durchaus sehr anhörbare Müller-Brühl ( Naxos) konnte mich bisher noch nicht vom bevorzugten Hören der alten Instrumente wegbringen. Live wäre ich aber froh, wenn hier in der Gegend ein Müller-Brühl diese Werke aufführen würde, denn Suzuki oder Herreweghe kommen hier mit ihren Leuten so selten vorbei... ;(


    Was Deine Lully-Sachen etc. angeht ( die nicht so ganz mein Geschmack sind - habe es gerne etwas zupackend dramatischer und auch harmonisch gewürzter), so glaube ich natürlich auch, dass es hier sehr viel schwerer wäre, auf modernen Instrumenten etwas hinzubekommen, was nicht mit Barockinstrumenten viel leichter und schöner zu realisieren wäre.


    Gruss :hello:
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • das kommt darauf an.
    Bei Lully eignet sich vor allem die reine Instrumentalmusik auch für moderne Orchester - vorrausgesetzt sie spielen die Musik angemessen - das Orchester Lullys war ja auch sehr groß, daher ist das nicht so das Problem, vielmehr eben die musikalische Gestaltung.



    Dass das geht hat vor allem J.F. Paillard bewiesen, seine Aufnahmen höre ich nach wie vor gerne. Die Aufnahme des Te Deums von Lully ist in seiner Aufnahme bisher unerreicht.
    Und auch die Opernszenen die er von Lully oder Rameau aufgenommen hat sind ganz hervorragend.


    Selbst Roger Desormiere hat mit seinen ersten Versuchen i den 1930er Jahren gezeigt, das musikalischer Geschmack genügt um Barockoper wieder spielen zu können.
    Ich habe leider nur wenige Szenen unter seinem Dirigat und die Tonqualität ist natürlich entsprechend - aber das was man hört, ist absolut beeindruckend.




    Zitat

    habe es gerne etwas zupackend dramatischer und auch harmonisch gewürzter


    das Dir das in der frz. Musik fehlt, kann ich gar nicht nachvollziehen, ich finde sie gerade dass die Punkte die Du anssprichst in dieser Musik zu finden sind, mehr als in der deutschen oder italienischen.


    Aber Musik empfindet eben jeder anders :D

  • Zitat


    Original von Ulli
    Man muß sich eben nur im Klaren darüber sein, daß Bach auf dem Steinway oder mit Saxophonquintett eine Bearbeitung ist.


    Obwohl ich gegen Bearbeitungen ja grundsätzlich nichts habe ( auch nichts gegen hervorragende Interpretationen, die manche schon als Bearbeitungen bezeichnen...) kann ich das im Falle des Steinway einfach nicht ganz als eine solche empfinden, obwohl die Logik natürlich sagt, dass Bach weder den Klang des Saxophonquartetts noch den des Steinways kannte.


    Auf die Frage, für welches Instrument ( oder Instrumente) das WTK wirklich geschrieben ist, gibt es ja in der Fachwelt keine klare Antwort. Vieles funktioniert auf verschiedenen Instrumenten, wie Clavichord, Cembalo, Orgel und eben auch Flügel.
    Der Steinway hat mit den historischen Tasteninstrumenten immer noch die Gemeinsamkeit, dass es ein Tasteninstrument, also ein "Clavier" ist.
    Einen dazu äquivalenten Vergleichsansatz für das Saxophonquartett kann ich mir jetzt bei Bachs Werk nicht vorstellen, von der Kunst der Fuge einmal abgesehen, die ich vom Geschmack her auch nicht mit Saxophonen mag.


    Das Saxophon erscheint mir also doch um einiges weiter von Bachs Vorstellungswelt weg zu sein, als der Steinway.
    Aufgrund der stilistischen Vielseitigkeit des Flügels finde ich ja gerade gut, dass man ihn nicht automatisch einer bestimmten Epoche zuordnet. Durch diesen Vorteil wird das Ohrenmerk mehr auf die Musik selbst, als auf den Klang gerichtet, was im Falle Bachs durchaus ein Vorteil sein kann.


    Auch bei Mozart oder Beethoven lasse ich den Steinway-Klang lieber als eine Bearbeitung bezeichnen und meine trotzdem, dass man damit eher den aus der Musik heraus erkennbaren Intentionen der Komponisten gerecht werden kann, als mit den technisch wesentlich unzulänglicheren Hammerflügeln. Ich höre und spiele es darauf einfach viel lieber.
    Die so wichtige Illusion des singenden Klangs stellt sich bei den Hammerklaviern bei mir aufgrund des kurzen Tons einfach wesentlich schwerer ein. Mit anderen Worten: man hebt damit, wenn überhaupt, wesentlich später ab und bleibt viel eher auf dem Boden der unzulänglichen Klanglichkeit und Bespielbarkeit hängen - aber das hatten wir ja schon an anderer Stelle.


    Gruss :hello:
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • der Lullist


    ...wenn ich das so lese, sind wir wohl doch nicht in der Beurteilung der Frage alte- vs moderne Instrumente so weit auseinander, wie es zunächst den Anschein hatte.


    Zitat


    Original von der Lullist
    das Dir das ( zupackend Dramatische und harmonisch Gewürzte) in der frz. Musik fehlt, kann ich gar nicht nachvollziehen, ich finde sie gerade dass die Punkte die Du anssprichst in dieser Musik zu finden sind, mehr als in der deutschen oder italienischen.


    Aber Musik empfindet eben jeder anders :D


    Es ist schon so, dass jeder diese Musik anders empfindet. Aber vielleicht muss ich da auch einfach noch viel mehr kennenlernen und länger den "richtigen" Aufführungen zuhören - vielleicht öffnet sich mir ja noch so manche Tür im Gehörgang...


    Gruss :hello:
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Zitat

    Original von Travinius
    Ulli: wie soll ich Dich verstehen? Ok, Saxophon-Ensemble ist weit weg, aber: fällt eine Interpretation der Scarlatti-Sonaten auf einem Steinway-Flügel des 21. Jahrhunderts schon unter den Thread 'Crossover'? Oder habe ich Dich damit überinterpretiert?


    'Crossover' ist natürlich eine besondere Art der Bearbeitung, die eine Fortentwicklung des Materials in einem späteren Stil zum Thema hat (z.B. Franui Schubert- und Brahmslieder, saugute Empfehlung!). Aber ich sehe die Verwendung eines anderen als das vom Komponisten vorgesehenen Instrumentes bereits als Bearbeitung an, z.B. moderner Flügel oder (Kirchen-) Orgel anstelle eines Cembalos oder Hammerflügels, Saxophon anstelle einer Clarinette (das Saxophon ist lt. MGG eine Abart der Clarinette), Violoncello anstelle eines Baryton oder eines Arpeggione... Natürlich kommt man hier zuggebenermaßen schnell ins Erbsenzählen, denn letztlich wäre 'original' ja nur das Instrument für das oder auf dem komponiert wurde, aber da bin ich schon so freigiebig und erlaube Alternativen aus der jeweiligen Zeit oder fachgerechte Nachbauten :D


    Man muß also auch zwischen Bearbeitung und Reproduktion als 'notwendigem Übel' (das ist jetzt nicht negativ gemeint) unterscheiden.


    Zitat


    Auf die Frage, für welches Instrument ( oder Instrumente) das WTK wirklich geschrieben ist, gibt es ja in der Fachwelt keine klare Antwort. Vieles funktioniert auf verschiedenen Instrumenten, wie Clavichord, Cembalo, Orgel und eben auch Flügel.
    Der Steinway hat mit den historischen Tasteninstrumenten immer noch die Gemeinsamkeit, dass es ein Tasteninstrument, also ein "Clavier" ist.


    Du scheints aber dabei zu vergessen, daß es sich in jedem Falle um eine Fortentwicklung des jeweiligen (Ur-) Instrumentes handelt, das dann doch erstens einen ganz anderen Klang hat und zudem - jeder entsprechend geschulte Klavierspieler wird dies bestätigen können - ganz anders zu bedienen ist (Anschlag, Dynamik, Reaktion des Instrumentes, Pedal/Züge: ja/nein), worauf dann wierum ein noch anderer Klang fußt. Das ist selbst bei den modernen Markenherstellern grundverschieden.


    Daß vieles auf verschiedenen Instrumenten funktioniert ist ja gerade so wunderbar - deswegen sehe ich die Betitelung als 'Bearbeitung' ja auch keineswegs als negativ an - sondern einfach nur als korrekte Bezeichnung. Es kommt ja auch noch hinzu, daß jeder Interpret das jeweilige Instrument (egal, ob nun in historischer Zeit verhaftet oder modern) anders bedient, was von der Autentizität weit weg oder nah heranführen kann - doch wer vermag dies zu beurteilen?


    Optimale Klangautentizität gibt es niemals, aber das richtige (!) Instrument in der richtigen Interpretation (und letzteres ist mehr subjektiv) allemal.


    Ich höre z.B. Haydns 'Sieben letzte Worte...' in verschiedensten Fassungen, die z.T. vom Komponisten stammen: Orchester-, Chor-, Streichquartett-, Tasteninstrumentfassung. Und gerade bei letzter auf verschiedenen Instrumentengruppen und teilweise auf verschiedenen Bautypen innerhalb einer Instrumentengruppe (Hammerflügel, Clavichord, Orgel). Das ist sehr interessant und ein und dasselbe Stück ist jedesmal anders eingefärbt: die Chorfassung ist mächtiger als die Orchesterfassung, die Quartettfassung sehr intim, die Klavierfassungen (ohne Orgel) noch intimer aber sehr klar und nüchtern, die Orgelfassung extrem bedrückend.


    Zitat


    Das Saxophon erscheint mir also doch um einiges weiter von Bachs Vorstellungswelt weg zu sein, als der Steinway.


    Das sehe ich eben nicht so. Für mich ist ein Steinway im Klang ebenso weit entfernt vom Cembalo oder Hammerflügel wie ein Saxophon. Daß der Steinway mit dem Cembalo näher verwandt ist, spielt dabei eigentlich kaum eine Rolle... wieviele Menschen sind eng miteinander verwandt und doch grundverschieden?


    Zitat


    Auch bei Mozart oder Beethoven lasse ich den Steinway-Klang lieber als eine Bearbeitung bezeichnen und meine trotzdem, dass man damit eher den aus der Musik heraus erkennbaren Intentionen der Komponisten gerecht werden kann, als mit den technisch wesentlich unzulänglicheren Hammerflügeln. Ich höre und spiele es darauf einfach viel lieber.


    Da ist aber der Sinn der Sache verfehlt - das wäre so, als würde ich an einem hybridgetriebenen Fahrzeug ein Vierergespann anschnallen und mich ziehen lassen... viel interessanter finde ich ja die neuen Möglichkeiten der neuen bzw. anderen Instrumente... genau die holen aus den Stücken etwas heraus, was man vorher nicht erfahren konnte (und umgekehrt ist dies natürlich genauso bei der Verwendung historischer Instrumente). Und ja... das Spielen auf einem (technisch meinetwegen unzulänglichen) Hammerflügel ist schon schwieriger... aber für mich viel interessanter und eine viel größere Herausforderung.


    :hello:


    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

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  • Der Vergleich funktioniert nur, wenn man unterstellt, dass Mozart z.B. den kurzen Klang des Hammerklaviers auch bei den Kantilenen eines Klavierkonzerts haben wollte, weil er nichts anderes kannte; somit auch der kurze Ton des Hammerklaviers seinen Intentionen entsprach.
    Gerade weil er aber z.B. ein paar Takte vorher die nahezu gleiche gesangliche Phrase einem expressiven Holzblasinstrument übertragen hat, finde ich schon, dass man davon ausgehen darf, dass er sich einen möglichst kantablen Vortrag auch auf dem Tasteninstrument gewünscht hat, der damals technisch so noch nicht möglich war.


    Und das geht nun einmal heute mit dem Steinway oder auch dem Bösendorfer, Fazioli, etc, viel besser als damals auf dem Hammerklavier.


    Ergo komme ich mit einen modernen Flügel den musikalischen Intentionen des Komponisten näher, auch und gerade weil ich die erweiterten klanglichen Möglichkeiten des modernen Klavier-Instruments nutze.
    Das kann ja auch bedeuten, dass ich zusätzlich zum Fingerlegato noch dezent einen unterstützenden, wohldosierten Einsatz des Pedals als klangliche Unterstützung hinzukommen lasse.
    In bestimmten Fällen - wie viel viel weiter oben beschrieben- könnte ich mir das ja sogar bei Bach vorstellen - vorsichtig eingesetzt.


    Wo ist da der Hybrid hinter dem Pferdegespann...? Kann ich nicht erkennen.


    Ich nutze doch die Möglichkeiten des modernen Flügels aus, verzichte aber natürlich auf den taktlangen Pedaleinsatz bei wechselnden Bässen, wie ihn z.B. Liszt bei einem Stück forderte, um einen verschwommen, aufbrausenden Effekt zu erzielen.
    Damit würde ich für Mozarts oder Bachs Musik in der Tat eine Bearbeitung veranstalten, die den Intentionen der Komponisten nicht mehr entsprechen dürfte.



    Gruss :hello:
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Zitat

    Original von Glockenton
    Der Vergleich funktioniert nur, wenn man unterstellt, dass Mozart z.B. den kurzen Klang des Hammerklaviers auch bei den Kantilenen eines Klavierkonzerts haben wollte, weil er nichts anderes kannte; somit auch der kurze Ton des Hammerklaviers seinen Intentionen entsprach.
    Gerade weil er aber z.B. ein paar Takte vorher die nahezu gleiche gesangliche Phrase einem expressiven Holzblasinstrument übertragen hat, finde ich schon, dass man davon ausgehen darf, dass er sich einen möglichst kantablen Vortrag auch auf dem Tasteninstrument gewünscht hat, der damals technisch so noch nicht möglich war.


    Ich glaube nicht, daß es um 'haben wollte' geht, sondern um das, was faktisch da ist (bzw. war). Vielleicht - und auch dabei handelt es sich wie bei Deiner These um reine Spekulation - wollte Mozart ja gerade den Kontrast darstellen (vielleicht oder sicher auch aus der Not heraus geboren). Und das möchte ich nicht missen. Genau das, was ich an modernen Interpretationen bzw. an Interpretationen auf modernen Instrumenten eben nicht mag, ist die rigorose Gleichmachung des Klangs. Wozu dann überhaupt noch einen (modernen) Flügel verwenden - mit dem entsprechenden Holzblasinstrument würde das Kantable noch viel besser herauskommen (nur auf einem modernen Instrument natürlich). Das, was für mich den Klang ausmacht, sind eben die verschiedenen Instrumente mit ihren unterschiedlichen Klängen und z.T. eben beschränkten Möglichkeiten - alles andere ist für mich Klangbrei.


    Man müßte übrigens gerade bei den Klavierkonzerten die Beschränkung auf f³ aufheben und die besonders interessanten Stellen, an denen Mozart eine Phrase anders gestaltete, weil er eben technisch bedingt nicht höher konnte, wieder 'korrigieren' ;) - wenn man schon moderne Instrumente nutzt, muß man sie ja auch ausnutzen. Nicht anders z.B. agierte J. N. Hummel bei der Bearbeitung der Mozartschen Klavierkonzerte - er nutzte die Möglichkeiten seines Instrumentes, oktavierte also Passagen und schmückte sie ggfs. virtuos aus.


    Es hat also schon alles so seinen Sinn, wie es da steht. Und der Kantabilität eines Hammerflügels steht maximal technisches Ungeschick des Bedieners im Wege...


    Durch die von Dir vorgeschlagene Vortragsweise kommen wir genau wieder zum gebügelten Böhm-Mozart - der sicher wohl angenehm klingt, aber in meinen Ohren kaum Abwechslung bringt und an der Sache völlig vorbei geht. Und genau dagegen richtet sich ja die HIP-Bewegung.


    :hello:


    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Ich habe gestern Cosi fan tutte mit de Billy und dem RSO Wien gehört.


    Habe ich neu für unglaubliche 1,41 gekauft.


    .


    Da wird statt eines Cembalos ein Klavier verwendet. Und ein "herkömmliches" Orchester. Ich finde die Aufnahme trotzdem nicht "gebügelt".
    Ich finde aber auch Böhms Interpretationen gut. Gerade bei den Opern. Aber es sollte ja eigentlich um Barockmusik gehen und da sind wir mit Mozart wohl nicht ganz richtig.
    Sei's drum. Ich finde es nicht schlimm, wenn Mozart voll und trotzdem leicht klingt. Ich persönlich schätze auch Mackerras. Ich habe mit den "Brüchen", mit dem ständigen Versuch, aus den Noten noch eine kleinest Nuance herauszupressen, meine Schwierigkeiten. ZB Harnoncourts Pariser Sinfonien. Und ich frage mich dann, ob das auch immer so gedacht war.
    Wenn man sich barocke Bauten ansieht, so sind die aufgrund ihrer Formen und der vielen kleinen Schnörkel und Ideen ein Fest fürs Auge. Weshalb soll das für die Musik nicht ebenso gelten?
    Bei Bach finden sich ja eine ganze Reihe "Brüche" in der Musik, s. den 1. Satz des BK1. Trotzdem ist die Linie in sich stimmig. Das muss nicht noch zusätzlich interpretatorsich verstärkt werden.


    Und was nun die Instrumente angeht: Keiner von uns weiss, was Mozart oder Bach gemacht hätten, hätten sie für ein modernes Klavier komponieren können. Und ich kann nur sagen, dass ich den Hammerklavierklang schlicht zu trocken und zu kurz finde, als dass er mich wirklich glücklich macht.
    Vor ein paar Monaten habe ich die Klaviersonaten Haydns erstanden. Ich habe lange überlegt, ob ich mir die Bräutigam-Einspielung kaufe. Habe mich dann bei den Sonaten für ein modernes Klavier entschieden und nur die anderen Stücke für Klavier dann als Hammerklavier-Einspelung gekauft (Brilliant Cl, ca. 10€). Was soll ich sagen? Hammerklavier ist leider nicht so schön schwingend. Mag es auch historisch korrekt sein, ich finde es nicht so erquickend fürs Ohr und für die Seele. Bin dankba, dass ich Bräutigam, den ich überdies sehr schätze, im Laden gelassen habe.
    Ich habe ihn mit Beethoven live erlebt. Da hat er auf einem Steinway gespielt und ich fand es beeindruckend. Bei Beethoven finde ich das Hammerklavier nicht ganz so problematisch, weil da besonders die zügigen und wilden Passagen noch schroffer klingen können. Aber zärtlich oder gar zart klingt ein Hammerklavier nicht. Vielleicht ist das mehr was für Männer. Habe hier in der Diskussion auch wenige Frauenstimmen für HIP gelesen.


    Und ich schreibe es, nachdem die Diskussion ja fröhlich vor sich hin kocht, nochmal: Liebe HIPper, hört was ihr wollt. Und ich glaube euch auch, dass es durchaus hervorragende HIP-Einspielungen gibt. Ich habe selber welche. Ein engagiertes HIP-Ensemble ist auch sicherlich besser als ein kommunales, das nur beamtenmäßig alles runterwurstelt. Aber das beweist nicht, dass HIP das einzig Wahre ist. Hier wird zu viel bewahrend diskutiert, so als hätte die Musikentwicklung nicht stattgefunden. Natürlich ist ein Baryton ein Baryton und eine Laute eine Laute. Die will ja keiner verbieten. Aber eine moderne Interpretation ist deshalb nicht minderwertig oder schlecht. Sie kann euch höchstens nicht schön genug klingen. Das ist aber rein subjektiv. Und ihr solltet euch einigen, was ihr denn nun wollt, weil ihr euch da immer drum herum drückt: Muss alles so historisch korrekt wie möglich sein oder wollt ihr nur die Rückkehr zu Darmsaiten oder mögt ihr schlicht Karajan, Böhm, Bernstein nicht?


    Ein bisschen mehr Öl ins Feuer: Nichts gegen den Ansatz René Jacobs', aber so eine da Ponte-Oper mit den Berliner Philharmonikern unter Böhm hat für mich einfach mehr Gehalt.
    Ich habe außerdem La Calisto live in der Münchner Oper gesehen. Das war auch ein größeres Klangerlebnis als die CD mit Jacobs. Und das, obwohl nicht so große Besetzungsunterschiede unter Bolton gegenüber Jacobs waren.


    Zum Schluss was gaaaanz anderes: Hat von euch schon jemand was über die Neu-GA der Haydn-Sinfonien mit dem Stuttgarter Kammerorchester unter Davies gehört? Die gibt es ab September und ich überlege, ob das auf meine Weihnachtswunschliste soll.

  • Vermutlich :rolleyes:.


    Hast du das mal ausprobiert und Hammerklavier mit Flügel verglichen? Beim Hammerklavier habe ich immer so das Gefühl, dass da Töne drin stecken, die anklopfen und man lässt sie nicht raus.
    Habe das mit dem Hammerklavier im Gegenteil auf meiner kleinen Anlage gehört, also sicher nicht zu laut.
    Kommt jetzt der Einwand: "dann war es wohl zu leise"?

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  • :D
    in der tat sind die alten instrumente ziemlich leise und wenn man nicht ausreichend hörerfahrung in konzerten damit hat, dreht man es in der regel zu laut auf.


    nein, den direkten vergleich habe ich nicht gemacht, aber ich liebe den hammerklavierklang (z.b. bei schuberts letzten klaviersonaten)


    und ich liebe den modernen klavierklang (z.b. bei stockhausens klavierstücken)

  • Zitat

    Original von Luis.Keuco
    Und was nun die Instrumente angeht: Keiner von uns weiss, was Mozart oder Bach gemacht hätten, hätten sie für ein modernes Klavier komponieren können.


    Das ist ja nun völlig egal. Sie hatten keines, das steht nun einmal fest.


    Zitat


    Und ich kann nur sagen, dass ich den Hammerklavierklang schlicht zu trocken und zu kurz finde, als dass er mich wirklich glücklich macht.
    Vor ein paar Monaten habe ich die Klaviersonaten Haydns erstanden. Ich habe lange überlegt, ob ich mir die Bräutigam-Einspielung kaufe. Habe mich dann bei den Sonaten für ein modernes Klavier entschieden und nur die anderen Stücke für Klavier dann als Hammerklavier-Einspelung gekauft (Brilliant Cl, ca. 10€). Was soll ich sagen? Hammerklavier ist leider nicht so schön schwingend. Mag es auch historisch korrekt sein, ich finde es nicht so erquickend fürs Ohr und für die Seele. Bin dankba, dass ich Bräutigam, den ich überdies sehr schätze, im Laden gelassen habe.


    Hammerklavier ist nicht gleich Hammerklavier und Bräutigam nicht gleich Brautigam. Gerade Brautigam ist ja ein Vertreter, der auf beiden Instrumentengruppen daheim ist. Vorsicht also beim Ablehnen von Brautigams Einspielungen - er spielt (wie ich zu Threadbeginn bereits schrieb) auch auf modernen Insturmenten.


    Außerdem bin ich fest davon überzeugt, daß ein Hammerklavier mehr schwingt als ein moderner Flügel.


    Zitat

    Aber zärtlich oder gar zart klingt ein Hammerklavier nicht. Vielleicht ist das mehr was für Männer. Habe hier in der Diskussion auch wenige Frauenstimmen für HIP gelesen.


    Das kommt eben zunächst auf das Instrument an - reifer Beethoven auf einem Walter ist sicherlich nicht gut angesiedelt. Das Instrument klingt einfach zu dünn. Danach kommt es auf die Vertrautheit des Interpreten mit dem Instrument an - und dabei spielt es kaum eine Rolle, ob es sich um ein modernes oder historisches solches handelt. Viele HIP-Einspielungen, daß muß man leider sagen, sind wirkliche Museumseinspielungen: Pianist XY hockt sich eben ausnahmsweise mal vor einen (nicht unbedingt restaurierten) Hammerflügel und holzt darauf herum - das ist aber nicht HIP.


    Zitat

    Aber das beweist nicht, dass HIP das einzig Wahre ist. Hier wird zu viel bewahrend diskutiert, so als hätte die Musikentwicklung nicht stattgefunden.


    Wer will denn wo beweisen, HIP sei das einzig wahre? Und gerade HIP ist doch eher ein Indiz dafür, daß eine Musikentwicklung stattgefunden hat, oder nicht?



    Zitat

    Und ihr solltet euch einigen, was ihr denn nun wollt, weil ihr euch da immer drum herum drückt: Muss alles so historisch korrekt wie möglich sein oder wollt ihr nur die Rückkehr zu Darmsaiten oder mögt ihr schlicht Karajan, Böhm, Bernstein nicht?


    Alles zusammen.


    Zitat


    Ein bisschen mehr Öl ins Feuer: Nichts gegen den Ansatz René Jacobs', aber so eine da Ponte-Oper mit den Berliner Philharmonikern unter Böhm hat für mich einfach mehr Gehalt.


    Ich mag zwar Jacobs Mozart nicht - aber mehr Gehalt würde ich doch eher Jacobs als Böhm unterstellen. Vor allem mehr Tiefe und Detailarbeit.


    :hello:


    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • ich glaube ein weiteres Mißverständnis liegt eben auch darin vor, dass es bei alten Instrumenten - insbesondere bei Tasteninstrumenten keine Normierung gibt.


    Jedes !!!! Instrument, ob Cembalo, Orgel oder Hammerklavier ist ein Unikat - kein Instrument gleicht dem anderen.


    Das gleiche auch bei sämtlichen Instrumenten der Lautenfamilie.


    Es gibt da eben keine Fabrikware - und es gibt dadurch eben zwangsläufig schlechte und gute Instrumente.


    Und diese Individualität des Klanges wird auch bei den Nachbauten eingehalten - eine Normierung gibt es in nicht und das ist kein Mackel, sondern ein Glücksfall !



    Deine ganze Polemik zeigt nur immer wieder eines aufs neue, dass Du nicht wirklich verstanden hast worum es in der historisch informierten Aufführungspraxis eigentlich geht.


    Zitat


    Ich habe außerdem La Calisto live in der Münchner Oper gesehen. Das war auch ein größeres Klangerlebnis als die CD mit Jacobs. Und das, obwohl nicht so große Besetzungsunterschiede unter Bolton gegenüber Jacobs waren.




    ein Live Erlebnis ist immer packender, als die Konserve.
    Daher weiß ich nicht ob der Vergleich so fair ist.
    Zumal die Jacobs Einspielung schon fast 15 Jahre alt ist - da erwarte ich persönlich, dass eine neuerliche Aufführung auch neues bietet.

  • Zitat

    Original von Luis.Keuco
    Sei's drum. Ich finde es nicht schlimm, wenn Mozart voll und trotzdem leicht klingt. Ich persönlich schätze auch Mackerras. Ich habe mit den "Brüchen", mit dem ständigen Versuch, aus den Noten noch eine kleinest Nuance herauszupressen, meine Schwierigkeiten. ZB Harnoncourts Pariser Sinfonien. Und ich frage mich dann, ob das auch immer so gedacht war.
    Wenn man sich barocke Bauten ansieht, so sind die aufgrund ihrer Formen und der vielen kleinen Schnörkel und Ideen ein Fest fürs Auge. Weshalb soll das für die Musik nicht ebenso gelten?


    Das ist m.E. gerade ein Argument pro HIP: traditionelle Interpretationen bügeln diese "Schnörkel" (bzw. die Rhetorik) weitgehend aus. Was angemessen ist, was übertrieben, ist sicher nicht allgemein zu sagen. Aber s.o., warum ich Übertreibungen tendenziell sogar für notwendig halte.


    Zitat


    Vor ein paar Monaten habe ich die Klaviersonaten Haydns erstanden. Ich habe lange überlegt, ob ich mir die Bräutigam-Einspielung kaufe. Habe mich dann bei den Sonaten für ein modernes Klavier entschieden und nur die anderen Stücke für Klavier dann als Hammerklavier-Einspelung gekauft (Brilliant Cl, ca. 10€). Was soll ich sagen? Hammerklavier ist leider nicht so schön schwingend. Mag es auch historisch korrekt sein, ich finde es nicht so erquickend fürs Ohr und für die Seele. Bin dankbar, dass ich Bräutigam, den ich überdies sehr schätze, im Laden gelassen habe.
    Ich habe ihn mit Beethoven live erlebt. Da hat er auf einem Steinway gespielt und ich fand es beeindruckend. Bei Beethoven finde ich das Hammerklavier nicht ganz so problematisch, weil da besonders die zügigen und wilden Passagen noch schroffer klingen können.


    Das finde ich eher umgekehrt. Bei Beethoven ist das Instrument überfordert, bei Haydn ziemlich angemessen. Ich habe allerdings höchstens einmal so ein Teil live gehört und ich glaube, daß bei Aufnahmen manchmal getrickst wird. Trotzdem gibt es Balance-Probleme, selbst bei einer hochgelobten Box wie den Mozartkonzerten mit Bilson/Gardiner.
    Weder bei Beethoven noch bei Mozart sehe ich freilich irgendeine Gefahr, daß HIP moderne Instrumente ernsthaft verdrängen könnte.


    Zitat


    Aber eine moderne Interpretation ist deshalb nicht minderwertig oder schlecht. Sie kann euch höchstens nicht schön genug klingen. Das ist aber rein subjektiv. Und ihr solltet euch einigen, was ihr denn nun wollt, weil ihr euch da immer drum herum drückt: Muss alles so historisch korrekt wie möglich sein oder wollt ihr nur die Rückkehr zu Darmsaiten oder mögt ihr schlicht Karajan, Böhm, Bernstein nicht?


    Ich halte die historische Korrektheit für eine Chimäre. Dennoch kenne ich kaum eine Interpretation von Musik vor ca. Haydn/Mozart, wo ich nicht eine HIP-Einspielung bevorzugen würde. (Ausnahme: Bachs Klavierwerke und Solosonaten/suiten.)
    Von Haydn bis Schubert höre ich beides, besitze die meisten wichtigen Werke sowohl historisierend als auch traditionell, da kann ich Präferenzen nur fallweise angeben (aber sicher nicht Böhm, der ein viel besserer Wagner- als Mozartdirigent war oder Karajan). Ich besitze aus dieser Epoche allerdings weit mehr Nicht-HIP-Aufnahmen, hauptsächlich, weil es mehr gibt und wegen eines Interesses für histor. Aufnahmen. Z.B. kompl. Beethovensinfonien: Harnoncourt, Norrington, Brüggen, Gielen, Wand, Leibowitz, Scherchen und massenhaft Einzelaufnahmen, wo nur eine oder zwei HIP sind)


    Zwar besitze ich einzelne HIP-Aufnahmen von Musik der Romantik, aber hier sehe ich größtenteils keinen wirklichen Nutzen. Die Unterschiede scheinen mir minimal (oder uninteressant) und jedenfalls geringer als die zwischen unterschiedlichen Interpretationen.


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Leider geht das mit dem Zitat einfügen nicht.


    Der Lullist hat folgendes angemerkt:
    Deine ganze Polemik zeigt nur immer wieder eines aufs neue, dass Du nicht wirklich verstanden hast worum es in der historisch informierten Aufführungspraxis eigentlich geht.


    Das finde ich weder fair noch zur Diskussion beitragend.
    Ich bin noch nicht so oft auf den Kopf gefallen, dass ich das Prinzip nicht verstehen würde. Das bedeutet aber doch noch nicht, dass mir die Produkte dieser Praxis sämtlich gefallen müssen. Wenn sich ein Koch entschließen würde, Gerichte des 17. Jhts anzubieten und mir nicht sämtliche seiner Gerichte schmecken würden, dann bin ich deshalb nicht gleich ein chauvinistischer Kostverächter.


    Ich habe lediglich etwas dagegen, wenn eben jenes Ausschließlichkeitsdenken auf musikalische Interpretationen angewendet wird.
    Das Argument mit denUnikat-Instrumenten verfängt übrigens nicht.
    Jeder bessere Cellist spielt auf einem historischen Unikat, egal, ob mit Darm- oder Stahlsaiten. Ich kann aber bei einem Werk wie den Cellosuiten sehr wohl differenzieren, ob mir nun der Celloklang, die Aufnahmetechnik oder die Interpretation des Künstlers gefällt oder nicht. Deswegen mache ich aber nicht von vornherein einen Strich unter die Darmsaitenspieler und lehne die Stahlsaitenspieler deswegen ab.
    Ich kaufe mir meine Bücher auch nicht in Antiquariaten und lese Frakturschrift, obwohl ich das könnte.
    Und der Hinweis mit den Tricks bei der Aufnahme trifft vermutlich alle. Man will ja eine möglichst gute Aufnahme.


    Mir wird eigentlich nur vorgeworfen, anderer Meinung zu sein. Ein Argument, weshalb das Hören von Nicht-HIP falsch ist, konnte ich bisker nicht finden. Vielleicht sollte ich mal in einem Ärzteforum suchen, ob es gesundheitliche Gründe gibt, Die Mozartaufnahmen Brendels nicht mehr zu hören. Bis dahin erkenne ich aber nach wie vor keinen Grund, meinem Ohr und meinem musikalischen Interesse nicht weiterhin zu vertrauen. Wenn mir jemand hier im Forum eine HIP-Einspielung empfiehlt, die ich noch nicht habe und die mich interessiert, dann werde ich mich selbstverständlich um eine Hörprobe bemühen, was übrigens auch für Nicht-HIP-Aufnahmen gilt.
    Ich bin kein Themensammler, ich beschränke mich nicht auf Epochen oder Komponisten. Ich suche nach den für mich schönsten Aufnahmen.

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    Original von Ulli
    Durch die von Dir vorgeschlagene Vortragsweise kommen wir genau wieder zum gebügelten Böhm-Mozart - der sicher wohl angenehm klingt, aber in meinen Ohren kaum Abwechslung bringt und an der Sache völlig vorbei geht. Und genau dagegen richtet sich ja die HIP-Bewegung.


    Nein, nicht wie Böhm/Pollini, aber wenn es nach Gulda/Harnoncourt klingt, dann bin ich damit sehr glücklich:



    Aber wie ich mir vorstellen kann, würdest Du diese Aufnahme sogar als doppelte Bearbeitung ablehnen...oder wie?


    Deine Meinung sei Dir gegönnt und gelassen - es bleibt aber dabei, dass z.B. diese Aufnahme nicht nur für mich eine der schönsten Mozart-Einspielungen überhaupt ist.


    Trotz der heutigen Instrumente, auf denen es in meinen Ohren wie gesagt viel eindrucksvoller und besser klingt als auf Darmsaiten+ Hammerklavier, ist es auch eine den Hörer in ihren Bann ziehende HIP-Aufnahme, mit allen Aspekten der Klangrede, des musikalischen Dialogs und sogar mit einem Solisten, der nicht erst bei seinem Einsatz anfängt, sondern Continuo spielt.


    Das Schönste ist jedoch die grosse Musikalität, die Hingabe, das Temperament, das man hier zu hören bekommt.
    Die meisten müssten eigentlich merken, dass man es hier mit einer grossen Interpretation, ja einer Sternstunde des glücklichen Zusammentreffens zweier genialer Mozart-Interpreten zu tun hat.


    Einem mir bekannten Komponisten der auf jeden Fall weder sentimental noch nah am Wasser gebaut ist, sind tatsächlich die Tränen gekommen ( zweiter Satz A-Dur Konzert), als ich ihm diese CD vorspielte.
    Kann man denn mehr mit guter Musik erreichen, als die Menschen wirklich innerlich tief zu bewegen?
    Das interpretatorische Ziel, ein Vermittlungserkzeug für Mozarts grossartige Musikwelt zu sein, wurde hier meiner festen Überzeugung nach voll erreicht.


    Nebenbei gesagt höre ich eine gute Mozart/Böhm-Aufnahme sicher immer noch viel lieber als etwa einen die Musik ganz und gar entzaubernden Jacobs.
    Auch die Kombination Pollini/Böhm zöge ich jedem Darmsaiten + Hammerklavierversuch vor.
    So glattgebügelt wie Du da schreibst, hat es der Böhm ja auch gar nicht gemacht. Karajans Mozart war wesentlich glatter. Böhms Zauberflöte mit DiFiDi als Papageno ist ganz vorzüglich dirigiert- und sogar ganz ohne HIP-Ansatz und auf modernen Instrumenten.


    Gruss :hello:
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Die Wahl der Instrumente ist ja nur ein Aspekt bei der HIP, dazu gesellen sich ja vor allem auch die Wahl der Tempi, die Akzentuierungen und vor allem die Phrasierungen. Ich kenne Aufnahmen mit kleinem, modernen Orchester, die mehr nach HIP klingen als manches mit Originalinstrumenten, etwa wenn man den Haydn von Hugh Wolff mit Gardiners Beethoven vergleicht

  • Zitat

    Böhms Zauberflöte mit DiFiDi als Papageno ist ganz vorzüglich dirigiert- und sogar ganz ohne HIP-Ansatz und auf modernen Instrumenten.


    Ich habe auch die Einspielung mit William Christie und den Arts Flor. Die finde ich auch gut. Bei den Opern ist es sowieso alles noch komplexer, weil man zusätzlich zum Orchester ja auch noch Sänger hat und die sind nur bedingt HIP :D :untertauch:.


    Zitat

    Ich kenne Aufnahmen mit kleinem, modernen Orchester, die mehr nach HIP klingen als manches mit Originalinstrumenten


    Eben. Man muss doch die Wirkung auf den Hörer berüclsichtigen und nicht den soundso-Ansatz.


    Zitat

    wenn man den Haydn von Hugh Wolff mit Gardiners Beethoven vergleicht


    Oder Äpfel mit Birnen? :wacky: :stumm:.
    Aber im Ernst: Es gibt gerade bei der Klassik (wie heisst das ursprüngliche Thema eigentlich? 8o) doch so viele Vergleichsaufnahmen, da muss ich nicht Beethoven mit Haydn vergleichen. Auch Gardiner hat doch Haydn-Einspielungen gemacht, zB die Messen.
    Im Übrigen ist Gardiner ja nur bedingt HIP, weil er einen relativ großen Chor hat, was nicht unbedingt mit der historischen Besetzung übereinstimmt, aber natürlich hervorragend klingt.

  • Zitat

    Original von Luis.Keuco
    Im Übrigen ist Gardiner ja nur bedingt HIP, weil er einen relativ großen Chor hat, was nicht unbedingt mit der historischen Besetzung übereinstimmt, aber natürlich hervorragend klingt.


    Also wenn schon DAS "nur mehr bedingt HIP" ist, dann ist aber ziemlich gar nichts mehr wirklich HIP ...


    Beim Instrumentarium ist Gardiner besonders genau - also eher ein radikal-HIP (Beispiele siehe in den Begleitheften zum Deutschen Requiem oder zu Verdis Requiem oder zur Sinfonie Phantastique - wer dort den Instrumentalklang nicht als entschieden anders wie in den üblichen Aufnahmen erkennt, dem ist Instrumentalklang aber wirklich wurscht ...)


    HIP!


  • Nun ja, bei Beethoven ergibt sich aber schon ein relativer Breitbandsound, kann allerdings auch am Aufnahmeverfahren liegen, für mich ist Gardiner-Beethoven der Karajan der HIP :D

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