Mordversuche, die das Leben nicht schöner hätte komponieren können…
Hallo zusammen,
der zu seiner Zeit hochberühmte Tenor Leo Slezak, zu seinen Lebzeiten einer der größten „Otellos“, was angesichts der Konkurrenz von Sängern wie Renato Zanelli etwas bedeuten will, war gewiss kein Dummkopf. Dennoch hatte er keinerlei Hemmungen dem Publikum zu gestehen, dass er, obwohl er die Rolle des Manrico viele Male gesungen habe, vom Inhalt des „Trovatore“ kein Wort verstanden hätte. Nun ist meine persönliche Meinung, dass die Handlung gerade dieser Oper gar nicht so unwahrscheinlich ist: sie spielt in der Zeit um 1400 in der Gegend von Zaragoza und hat die Thronfolgewirren nach dem Tode des aragonesischen Königs Pedro IV zum Thema. Kindesraub, Hinrichtungen ohne Federlesen, das wird es in den „hoch-religiösen“ Zeiten der Reconquista auf allen Seiten ausgiebig gegeben haben.
Ein Opernplot voller geplanter Morde, die dann doch nicht stattfinden, und den ich für deutlich absurder halte, ist zum Beispiel das Libretto zu ausgerechnet des Erzdramatikers und musikalischen Menschendarstellers Mozarts „La Clemenza di Tito“. Gerade eben hörte ich mir die Oper an in der musikalisch und sängerisch hervorragenden Aufnahme unter Gardiner und verfolgte parallel dazu das Textbuch – was nach Kurzem ein Gefühl der Orientierungslosigkeit hinterließ.
Daraufhin las ich mir die in einem der Booklet-Artikel zusammengefasste Handlung durch – und war beim Lesen massiv erinnert an Evelyn Hamanns Nummer als Ansagerin, in der sie dem staunenden Publikum eine Zusammenfassung der ersten und bereits gesendeten Folgen einer englischen Familien-Soap gibt und sich dabei hoffnungslos in den Tücken der englischen Phonetik verheddert. Ähnlich also ging es mir mit den Namen der Tito-Partien – wer von denen nun gerade welchen Mordplan mit welchen wie auch immer gearteten Gewissensbissen zusammenbraut oder abbläst, wer kann’s wissen? – Nur das der Kaiser Titus ein richtiger Gutmensch ist, das ist zum Schluss nicht zu verkennen, und wenn man den Zweck der Oper kennt, nämlich als Festoper bei der Inthronisation des Nachfolgers des von Mozart verehrten Kaisers Joseph II. zu dienen, dann reicht das ja vielleicht auch.
Schön aber immerhin ist in dieser Oper, dass es zum Schlimmsten nicht kommt, und daher zählt sie sowohl in Hinsicht auf darin stattfindende Gewalt wie auch in Hinsicht auf Erotik zu den absolut jugendfreien musikdramatischen Werken, ist sie doch noch deutlich harmloser als zum Beispiel die „Zauberflöte“. Und sie hat den Riesenvorteil, dass man sich Mozarts phantastischer Musik – etwa der grandiosen Ouvertüre – ohne schlechtes Gewissen hingeben darf, während man nicht im Mindesten auf den völlig sinnentleerten Text achtet.
Gerade in diesem Thread las ich kürzlich in einem Posting von Peter – „oper337“ – die vielleicht schönste Definition dessen, was Oper ist und sein kann: „…es ist ja ärger als beim Derrick!“. Für „La Clemenza di Tito“ gilt das nicht: zwar mörderisch verwirrend und chaotisch wie ein Parteitag, so endet sie doch harmonisch und voller Güte, man könnte fast sagen, wie ein Parteitag kurz vor der Wahl. Und genau wie auf einem Parteitag versteht der beeindruckte Zuschauer von dem, was sich wirklich abspielt, nicht das Geringste.
Gruß
Pylades