MOZART Wolfgang Amadeus: Klavierkonzert Nr 20 in d-moll KV 466

  • Da ich den Eindruck gewonnen habe, dass es zur musical correctness und zum guten Ton gehört, die Mozart-Einspielungen des wirklichen Ausnahmepianisten Arturo Benedetti Michelangeli negativ zu beurteilen, muß ich das Bekenntnis ablegen:


    Ich halte seine Interpretation von KV 466 (mit dem NDR-Orchester unter Cord Garben) für großartig, nahezu unvergleichlich!


    Während man ABM ansonsten einen an Ästhetizismus angrenzenden Schönheitskult vorzuwerfen pflegt (in diesem Sinne auch ansatzweise Joachim Kaiser), lautet die Kritik an seinem Mozart, das klinge ja eher nach Rachmaninoff (so John Elliot Gardiner).


    Ich persönlich bin der Meinung, daß ein kraftvolles, wuchtiges Spiel, wie es zumal in KV 466 zu hören ist, dem Charakter des Werkes durchaus entspricht. Allenfalls beim 2. Satz (mit Ausnahme des schnellen Mittelteils) ist mir der Anschlag zu stark, was aber auch aufnahmetechnisch bedingt sein kann. Ansonsten habe ich die Evidenz: Ja, so muß es sein!


    Unter vergleichsweise herangezogenen Aufnahmen ist mir z.B. Moravec, den ich sonst sehr schätze, zu schwach, Brendel empfinde ich hier als beinahe nichtssagend, Gieseking tönt mir zu "französisch" (jener Mittelteil im zweiten Satz ist nun einmal keine impressionistische Studie über Reflexe auf dem Wasser oder fallende Blätter, sondern eine hochdramatische Angelegenheit, vielleicht der Hereinbruch des Todesgedankens in idyllische Jugenderinnerungen?). Ganz zufrieden bin ich außer ABM eigentlich nur mit Gulda.


    Ich möchte nun die geneigten Leser bitten, mir die Kritikpunkte an der von mir favorisierten Einspielung zu nennen. Ich zähle mich durchaus zu den Bekehrbaren!

    Musik: Atem der Statuen. Vielleicht: Stille der Bilder. Du Sprache wo Sprachen enden. Du Zeit, die senkrecht steht auf der Richtung vergehender Herzen. (Rilke)

  • Das Klavierkonzert in D-Moll kommt bei mir gleich nach KV 482.
    Jedes Werk von Mozart, dass in Moll geschrieben ist ist bei MOzart ohnehin was besonderes, so als sei es von Mozart beabsichtigt dass es nur so wenig Moll-Kompositionen von ihm gibt: Weil er es so gut beherrscht.


    Beim ersten Satz sagen mir mittlerweile nurnoch die ersten 2 Minuten zu...ich weis nicht warum. Ich hab den Satz nun schon so oft gehört und dann wirkt der Rest etwas zu gleich.
    Der zweite Satz wiederum ist so schön, dass ich am liebsten Schmelzen würde. Dieser dämonische Mittelteil passt ebenso perfekt in dieses weiche Etwas hinein, weil es einen an sämtlichen Gefühlen trifft.
    Der dritte Satz ist wieder ein gepfefferter, mit dieser wilden Eigenart die man ja an Mozart so liebt (Hier auch vorallem der Anfang sehr grandios). Die ganze Durchführung ist einfach herrlich anzuhören.


    Jaja, dieses Werk ist besonderes. :yes:
    Aber auf Dauer schlägt mir, muss ich dazusagen, das Moll aufs Gemüt. Mozart liebe ich ja vorallem doch wegen den Dur-Stücken weil ich dieses tröstend, lebendige Feuer in seiner Musik so schätze. So gut ein Moll Stück auch sein kann, diese Musik halte ich nur begrenzt aus.

  • Ja...so ein Thread über ein bestimmtes Werk ist wie die Aufnahme eines Werkes auf CD: Mal beschäftigt man sich tagelang damit und dann wieder kommt alles zur Ruhe und wird für einige Zeit zugunsten anderer Werke und Themen "vergessen". Aber so muss das natürlich auch sein, sonst würde das große Übel der Gewohnheit schließlich ganz verhindern dass man dem Werk auch beim x-ten Male noch aufgeschlossen und nicht schon ganz und gar voreingenommen gegenüber steht.


    Gerade bei einem so grandiosen wie interessanten Werk wie Mozarts d-moll Klavier-Konzert, dem dieser Thread ja dediziert ist, sind solche Hörpausen meines Erachtens sehr von Nöten. Ich nutze nicht gerne Superlative wie "schönstes, bestes oder genialstes" Konzert, aber meines Erachtens nach ist dieses Werk hier ein ganz ausgezeichnetest und in der Tat ein sehr geniales Werk.


    Für mein Empfinden ist es äußerst Facetten reich - mehr als die anderen Klavierkonzerte von Mozart - und auch in anderer Weise. Auch wenn das Werk natürlich ein harmonisches Ganzes ist, so unterscheiden sich die einzelnen Sätze von ihrem CHarakter her stärker als in anderen Werken Mozarts. Ich schätze Mozarts Musik besonders ihrer Harmonik wegen, mit ganz besonderem Augenmerk für die Wechsel zwischen Dur und moll. Für mich hat Mozart in dieser Hinsicht eine Meisterschaft gezeigt, die zumindest in dieser Form nicht wieder erreicht worden ist. Dazu sei natürlich gesagt, dass für mich (der ich weniger ein Freund der Musik der Moderne oder gar Zwölfton-Musik bin) neben allen anderen Facetten von Musik-Charakter die Dur/moll Thematik und ihre Auswirkung auf die Harmonie mit am wichtigsten ist. Das besonders geniale finde ich daran die so simple "Unauffälligkeit" (manchmal fast wie "Zufälligkeit" erscheinende) Art, wie Mozarts Musik häufig von Dur nach moll (oder natürlich andersherum) wechselt. Dieser Kunst höchste Form zeigt sich bei Mozart denke ich besonders z.B. in der Durchführung des ersten Satzes vom letzten Klavierkonzert in B-Dur (KV 595).


    Darüber hinaus ist das Interessante finde ich die unendlich variable Charakteristik von Dur oder moll. Es gibt ja nicht nur "Dur" und "moll", sondern eben endlose Variationen und Nuancen.


    Das besondere an dieser Hinsicht an KV 466 finde ich also nun, dass Mozart nicht "nur" wie in anderrn seiner Werke eben auch auf so meisterhafte Art von Dur nach moll wechselt, sondern dass hier in ein und demselben Werk eine größere Bandbreite der Nuancen von Dur und moll zum tragen, bzw. zur "Anwendung" kommt.


    Gerade das moll des erstens Satzen lässt sich sehr schwer Charakterisieren, fasziniert dadurch aber auch in äußerstem Maße. Es ist definitiv nicht melancholisch (das wäre z.B. das Adagio von KV 488 ), genauso wenig ist es resignativ (das wäre in Andeutungen vielleicht der dritte Satz von KV 491). Auch würde ich es nicht als tragisch bezeichnen wollen, dazu fehlt mehr bewegte Emotion. Es hat definitv ein wenig etwas geheimnisvolles, aber das würde mich trotzdem nicht dazu verleiten es "dämonisch" nennen zu wollen. Dazu ist es letztlich doch noch zu "natürlich und geerdet". Damit meine ich, dass es nicht irgendwas abgehobenes hat, sondern ein sehr geistiges und "vernunftdurchwobenes" moll ist. Natürlich ist es auch emotional getragen, aber trotzdem würde ich den Romantikern etwas widersprechen, dass es REIN emotionales, persönliches Leid ausdrückendes o.Ä. moll sei. Pessimistisch korreliert mit melancholisch und tragisch - also das auch nicht. Andererseits ist es auch nicht aggressiv - so viel Resignation steckt dann doch darin. Neben den erwähnten gewissen Nuancen der genannten Dinge würde ich es eher als "direktes" moll charakterisieren, dass quasi die moll Vorstellung und das schlichte moll Empfinden direkt anspricht, ohne große emotionale Nebenaspekte (aber eben doch Spuren). VIelleicht könnte man also sagen, dass es ein trockenes, d.h. in diesem Fall direktes und eigentlich (trotz Geheimnisumwobenheit) schlichtes moll ist. Das Erleben dieses schlichten molls wiederum ist sehr intensiv (wohlgemerkt nicht zu verwechseln mit aggressiv!). Vielleicht deswegen doch auch einfach die schlichte Bezeichnung: sehr sehr ERNSTES moll.


    Das moll der Romance (Mittelteil) hingegen ist ganz anders. Hier ist es wirklich emotional lebendig (bzw. aufgewühlt - wenn auch immernoch nicht in dem Maße wie KV 491) und durchaus dämonisch und energisch (wiederum nicht zu verwechseln mit aggresiv). Es wirkt viel weniger vernünftig und durchdacht (also vergeistigt) als das moll des ersten Satzen. Hier spielen Emotionenen und innere Vorstellungen ein zentrale Rolle, die einen Gegensatz bilden zu dem beschwichtigenden, und versöhnlich-simplen Thema der Romance.


    Man vergleich hier den Gegensatz in nur einem Satz! Und dann den Gegensatz zu den beiden anderen Sätzen (die wieder je unterschiedlich sind!).


    Und nochmal Augenmerk auf das Thema der Romance. WAS FÜR EIN THEMA! So schlicht und versöhnlich - so ein unglaublicher Gegensatz zu dem trockenen, düsteren Ernst des ersten Satzes. Auch das ist ein Zeugnis von Mozarts unglaublicher Meisterschaft - und berührt wieder mein liebes Thema der Dur/moll Thematik. Jedes Mal empfinde ich es als einen sehr bewegenden Moment wenn dieses Thema erklingt. Ich mag es noch so gut kennen, ich bin immer wieder erstaunt und so tiefgründig erfreut und zufrieden ob dieser Versöhnlichkeit die da ausgestrahlt wird.


    Und dann der letzte Satz: Hier ein wieder anderes moll. Diesmal wirklich energisch! Mit Feuer, hier fast wirklich ein wenig aggressiv (ohne WIRKLICH aggressiv zu sein). Aber wieder vergeistigter und vernünftiger-durchdachter als das emotionalere moll des Romance-Mittelteils. Trotzdem weniger trocken und ernst, sondern eben mehr energisch mitreißender und bewender.


    Schließlich dieser Schluss in Dur: Auch sehr interessant und unendlich schön: Der Art von Dur die dort am Ende einsetzt gelingt das Kunststück eines Dur Klanges der FAST witzig und locker fröhlich klingt, ABER gerade noch nciht wirklich witzig ist sondern gerade noch die reinste echteste Schönheit und ehrliche Fröhlichkeit ausdrückt. DAS IST Fröhlichkeit schlechthin möchte ich fast sagen (aber wiederum bodenständig und durchdachte Fröhlichkeit - nicht so überirdisch und fast abgehoebn schön wie etwa das Andante von KV 467 "Elvira Madigan"). Einfach REINE FRÖHLICHKEIT - ohne himmlisch, aber auch ohne extra Portion Emotion - einfach pure Fröhlichkeit.



    Man kann also sagen, das zumindest innerhalb von Mozarts schaffen dies ein Werk mit besonders großer Vielfalt und Viel"art" von Gegensätzen ist. Ein deswegen unglaublich geniales und bewegendes Stück - das sicherlich trotz meiner Vermeidung von Superlativen zu den ganz großen Werken überhaupt gehört!.
    ----


    Ja so ist das mit Musik - man empfindet (und denkt durchaus auch) so viel wenn man Musik hört und kennt - aber will man darüber schreiben oder sprechen, so scheitert man meist doch kläglich - ist es einem doch meist garnicht möglich WIRKLICH das auszudrücken, was ein eigentlich meint.


    So merke ich auch hier, wie schwierig es ist diese verschiedenen Charakteristika auch nur annähernd richtig zu beschreiben.


    Wenn ich euch dieses Werk mit diesem Beitrag vielleicht auch wieder mal in die aktuelle Erinnerung gehohlt habe - so wäre es doch sehr schön, wenn andere versuchen hier anzuknüpfen und z.B: ihre Sichtweise zu Dur und moll und den Gegensätzen dieses Konzertes darzulegen versuchen...


    Ich bin gespannt!


    PS:
    Ich weiß nicht ob folgendes hier bekannt ist, aber es begegnete mir eben zufällig und verdient (neben der jungen 13 Jahre des Pianisten) einen Blick auf die Kadenz. Ob im Positiven oder negativen Sinne liegt im Ohr des Betrachters. Mir geht die recht stark gegen meinen Mozart Gusto - wie Beethovens Kadenz sehr lang aber in meinen Augen weit weniger genial und passend. Aber zumindest ist sie interessant - wie jede Kadenz die man noch nciht kennt :-)

  • Hallo,


    was die Wendung von moll nach Dur im Finalsatz betrifft, so stimme ich mit Deiner Empfindung nicht überein. Für mich ist das keine Fröhlichkeit, wie sie beispielsweise in der Scena ultima ultima des Don Giovanni auftaucht [auch hier erfolgt ja der Wechsel vom moll der Höllenszene (eigentlich ist ja dieser Schluß sogar geschlechtslos!) zum Dur des Schlußgesanges]. Vielmehr ist das Dur des 466er-Finales für meine Empfindung doch noch sehr vom moll überschattet und eher ein "molliges" Dur: Die Fröhlichkeit [muß Dur immer fröhlich, moll immer traurig sein? Vergleiche einmal die Fröhlichkeit von BWV 1066] will nicht so recht durchbrechen... diese Art von Dur spiegelt für mich eher einen vorgegaukelten Hoffnungsschimmer wieder. Pius beschieb das w.o. als aberwitzig, was ich nach wie vor für eine passende Beschreibung halte.


    Was die Beethoven-Kadenzen zu KV 466 betrifft, so sind diese eigentlich natürlich "unpassend" - und das nicht mal unbedingt stilistisch. Allerdings werden da schon Töne verwendet, die Mozarts damals benutztes Instrument garnicht hatte... umso interessanter aber sind diese Kadenzen. Und - man muß es zugeben - sie werden ja auch meistens gespielt, was für diese genialen Dinger auch mit Recht geschieht. Mozart selbst hat uns keine Kadenzen dazu hinterlassen - und wirklich "bessere" als jene von Beethoven kenne ich persönlich nicht.


    :hello:


    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Zitat

    Original von jubal
    Da ich den Eindruck gewonnen habe, dass es zur musical correctness und zum guten Ton gehört, die Mozart-Einspielungen des wirklichen Ausnahmepianisten Arturo Benedetti Michelangeli negativ zu beurteilen, muß ich das Bekenntnis ablegen:


    Ich halte seine Interpretation von KV 466 (mit dem NDR-Orchester unter Cord Garben) für großartig, nahezu unvergleichlich!


    Während man ABM ansonsten einen an Ästhetizismus angrenzenden Schönheitskult vorzuwerfen pflegt (in diesem Sinne auch ansatzweise Joachim Kaiser), lautet die Kritik an seinem Mozart, das klinge ja eher nach Rachmaninoff (so John Elliot Gardiner).


    Hallo Jubal,


    Danke für Deinen Beitrag! Deine Meinung teile ich voll und ganz!


    Von Benedetti Michelangeli gibt es folgende Mitschnitte des Konzerts KV 466


    1. mit C. M. Guilini Rom 15.12.1951
    2. mit Dimitri Mitropoulos Florenz 17.6.1953
    3. mit Karl Münchinger Stuttgart 22.11.1967
    4. mit Cord Garben Bremen 1989


    In Berührung gekommen bin ich mit ABMs Mozart durch die alten Mitschnitte mit Guilini. Noch heute versetzen mich diese Aufnahmen in Staunen: Das ist wahrlich überirdiisches Klavierspiel, das jede Erdenschwere verloren hat mit einer magischen Ausstrahlung. >Schönheit< ist ja ein vieldeutiger Begriff. Wenn man von Schönheit bei ABM spricht, dann sollte man wissen, was man meint. ABM ist jedenfalls nicht Karajan - Schönklang um seiner selbst willen, sozusagen als Sauce und Politur der Musik, hat er nie produziert. >Schön< bei ABM kann man finde ich nur philosophisch verstehen im Sinne von Plotin: gemeint ist eine Klarheit und Reinheit, eine musikalische Lauterkeit, intime Schlichtheit und Klassizität (nicht zu verwechseln mit einem Klassizismus, das wäre nun wieder zu billig!). Joachim Kaiser hat in seinem Nachruf auf ABM wenigstens etwas von dieser metaphysischen Dimension angesprochen: das fast schon übermenschliche Bemühen, nichts musikalisch Wesentliches unter den Tisch fallen zu lassen, Verdeckungseffekte zu vermeiden: schöne Harmonie als die Vereinbarkeit des Unvereinbaren.


    Natürlich ist dieser Mozart nicht >historisch< - genauso wenig übrigens, wie die ebenso uneingeschränkt bewundernswerten Aufnahmen von Clara Haskil. Aber auch das wäre zu vordergründig - hier hilft Nietzsches philosophische Abhandlung über "Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben". Nietzsche unterscheidet dort antiquarische, monumentalische und kritische Historie. Antiquarisch wäre, wenn die Interpretation sich darum bemühte, den Zeitgeist des 18. Jahrhunderts zu treffen in einer Mischung aus Empfindsamkeit und Rationalismus. Für diesen Versuch steht für mich etwa Alfred Brendels - sehr hörenswerte (!) - Aufnahme bei VOX aus den 60igern mit dem Orch. der Wiener Volksoper unter Wilfried Boetcher. Das ist Mozart empfindsam - als naives Naturkind sozusagen. ABMs Mozart dagegen hat alle sensualistische Naivität verloren, seinen Umgang mit der Historie würde ich mit Nietzsche als monumentalisch bezeichnen. Das Monumentalische nach Nietzsche ist das Große, Einzigartige, Idealische und deshalb Wiederholbare in der Geschichte. Mozart ist für ABM in diesem Sinne die Verwirklichung eines >überzeitlichen< Klassizitätsideals. Die reinste Verkörperung dieses Ansatzes ist bei ABM die Aufnahme mit Münchinger von 1967, welche diese metaphysische Leichtigkeit mit einer luziden- durchaus nüchternen - Klarheit verbindet.


    Der signifkante Unterschied des Mitschnitts von 1967 zu denen von Anfang der 50iger sind die Kadenzen. ABM verzichtet auf die >erotischen< Kadenzen, die mit ihrer klangschwelgerischen Morbidität tatsächlich etwas an Rachmaninow erinnern und wählt nun die von Beethoven - wobei ich die Bemerkung von Gardiner nur als - Entschuldigung - borniert empfinden kann. Es ist bekannt, daß ABM ein großer Bewunderer des Pianisten Rachmaninow war. Man höre sich in diesem Zusammenahng einmal Rachmaninows Aufnahme von Beethovens Variationen WoO 80 an. Sie läßt erahnen, daß er einer der Wegbereiter modernen Klavierspiels war mit seinem absolut unaffektierten, rhythmisch ungemein präzisen und strukturbetonten Spiel, das aber eben jene Aura hat - den >goldenen Ton<, den Artur Rubinstein an Rachmaninow so bewunderte. Keine Frage, dem Puristen ABM müssen diese nicht ganz >stilechten< Kadenzen im reiferen Alter als eine Jugendsünde erschienen sein, so daß er sie schließlich der Selbstzensur geopfert hat. Andererseits bieten sie Gelegenheit, unser musikalisches Selbstverständnis einmal historisch-kritisch zu hinterfragen. Kadenzen waren ursprünglich für den Interpreten ein Freiraum der Improvisation. Hier konnte er seine Individualität einfließen lassen, mit der Welt des Komponisten kommunizieren. Warum soll diese Kommunikation nicht auch die zwischen verschiedenen musikalischen Epochen und Denkweisen einschließen? Akzeptiert man das - im Sinne eines Verständnisses von Kunst von Wagner und Schlegel, wonach jede Interpretation das Werk >weiter dichtet< im Sinne eines unabschließbaren "work in progress" - dann ist das Kriterium der Stilreinheit hier Fehl am Platze.


    Zwischen der Aufnahme von 1967 und der von 1989 mit Cord Garben liegen wiederum Welten. Wenn man die älteren magischen Einspielungen kennt, dann löst diese Aufnahme - so war es jedenfalls bei mir - einen regelrechten Schock aus: das ist ein Fall vom Himmel auf die Erde! Verständlich wird dieser Wandel nur vor seinem biographischen Hintergrund. Bei einem Konzert in Bordeau am 15.10.1988 in Bordeau brach ABM während des Vortrags von >Ondine< (Gaspard de la nuit) mit einer schweren Herzattacke zusammen. Das Leben haben ihm zwei zufällig im Saal anwesende Kardiologen gerettet: Dr. Jacques Clementy und Prof. Deville. Von ihnen hat er sich operieren lassen und mit der Familie von Dr. Clementy eng befreundet. Die beiden haben ihm eröffnet, daß er mit dieser Herzerkrankung maximal noch 4 Jahre zu leben hat! Die Aufnahme der Mozart-Konzerte 1989 war für ihn also eine Art Auferstehung von den Toten, der Versuch, im (Konzert-)Leben wieder Fuß zu fassen. Von daher wird auch verständlich, daß die metaphysische Unschuld seiner früheren Aufnahmen verschwinden mußte: der Tod zerstört das Schöne, wie das schon Schiller wußte. Die apollinische, schön-klassische Fassade zerbröckelt regelrecht in dieser Aufnahme. (ABM bevorzugte - zum großen Ärger seines Produzenten Cord Garben - den Live-Mitschnitt und ließ die fertige Studioaufnahme unveröffentlicht!) Am eindrucksvollsten nachvollziehbar ist das in der Kadenz. Sie wirkt in der 1967iger Aufnahme noch harmlos. Hier nun brechen Leid und quälende Verzweiflung durch, es gibt schroffe, ganz >unschöne< Abbrüche! Diese Kadenz ist das Abgründigste und Tiefsinnigste, was ich jemals Vortrag eines Mozarts-Konzerts gehört habe! Ansonsten erscheint dieser wahrlich nicht eingängig-leichte Mozart dieser Aufnahme wegweisend modern mit seiner nachdrücklichen, >sprechenden< Phrasierung, gewollt oder ungewollt anknüpfend an die historische Aufführungspraxis mit ihrer Wiederentdeckung der musikalischen Rhetorik. ABM, der übrigens die Angewohnheit hatte, vor dem Dirigenten zur Probe zu erscheinen und die Musiker zu instruieren (sein Freund Celibidache sagte diesbezüglich zu seinen Musikern: >Tun sie, was Michelangeli sagt, der hat immer recht!<), machte seinen Schüler und Produzenten C. Garben, der gar kein Dirigent ist, kurzerhand zum Dirigenten und hat ihm diese Phrasierungen am Klavier quasi >diktiert<!


    Bei ABM ist es ratsam, immer erst einmal ABM mitABM zu vergleichen... :pfeif:


    Schöne Grüße
    Holger

  • @ Ulli:


    Als Erstes: Ich bin mir nicht sicher, ob es eine rhethorische Frage oder eine direkte Frage (an mich) sien sollte: Ich meine nicht, dass Dur immer fröhlich und moll immer traurig sein muss. Wie beschrieben faszinieren mich ja gerade die so verschiedenen möglichen Nuancen von Dur und moll. ABER: Ganz grundlegend bin ich schon der Ansicht, dass vom grundlegenden Charakter her Dur mit Fröhlichkeit und Leichte - moll hingegen mit Ernst und schwere in Zusammenhang steht. Trotzdem würde ich auch sagen, dass es "molliges" Dur und "duriges" moll gibt. Aber eben im Rahmen von Nuance. Zu behaupten dass man das durch Kompositions-Belieben definiert und also qausi fast umgekehrt" erreichen könnte; der Charakter von Dur und moll also quasi eine reine Frage der Kompositionskunst des Künstlers ist würde ich jedoch entschieden ablehnen. ZUMINDEST, was die Musik des Barock, der Klassik und der (Früh)-Romantik angeht. Denn diese Beliebigkeit, bzw. neue Definition würde dann höchstens in den moderneren Bereich fallen - aber spätestens bei der Zwölftton-Musik löst sich dieses Problem der Harmonik ja eh in ganz anderer Hinsicht.


    Dur und moll einen beliebigen CHarakter zuordnen zu wollen käme für mich der Behauptung gleich, dass die verschiedenen Tonarten keinen jeweils eigenen Charakter haben. Auch über diese Frage kann man sich ja streiten - ich gehöre zu denen, die der Ansicht sind, dass dies der Fall ist. Wie also auch dort keine Beliebigkeit herrscht, finde ich auch, dass bei Dur und moll keine Beliebigkeit herrscht - aber das tolle und interessante sind eben die vielen verschiedenen NUANCEN.


    (Anmerkung: Das sind so allgemein meine Gedanken zu dem Thema - keine Anschuldigung an dich!! Denn das hast du ja garnicht so behauptet - also keine Wiedere an dich, sondern neue Gedanken ;-) ).


    ---


    Was den Schluss des dritten Satzes von KV 466 angeht, bin ich alleridngs tatsächlich anderer Meinung als Du. Bzw. habe ich da wie beschrieben ein anderes Empfinden. Ich finde dass ist zwar auch so eine Wendung nach Dur die so mozart-genialisch unerwartet auftaucht, ABER an dieser Stelle geschieht es ja nicht so "wie nebenbei" und "zufällig" wie es oft sonst so toll erscheint, sondern hier ist es ja vollste gewollte Absicht nach einer Zäsur. Ich empfinde es eher so, dass das Dur im ersten Satz und die anderen Dur-Stellen im Verlauf des dritten Satzen, das diese STellen zwar auch das moll gewichtig kontrastieren, aber das DIE nicht wirklich fröhlich und freudiges Dur - sondern trotzt ihrer Kontrastfunktion noch dem ernsten und gewichtigen moll verhaftet sind - damit in Zusammenhang stehen und im Satzbau ihre Funktion erfüllen. Der Schluss hingegegn ist in dieser Form unkontionell - und genau so auch hier ein ganz anderes Dur: Mir kommt es immer so vor, als hätte man hier (eben im Gegensatz zu den anderen Dur Stellen) das moll schlagartig hinter sich gelassen und vergessen und artet in vollendete Fröhlichkeit aus (keine HEITERKEIT, da stimme ich dir zu, so viel wirkt das moll noch nach), aber doch echte Fröhlichkeit.


    Man muss bedenken, das KV 466 der selben Welt wie Don Giovanni entspringt: Das bedeutet, dass trotzt allen molls und aller gewichtiger Ernsthaftigkeit oder fast dämonischer Gewichtung, dass Werk wie die Oper eine tragische Komödie ist. Und dieser Schluss ist eben dann doch das komödienhafte Ende des Werkes. Unerwartet und ein totaler Bruch mit der tragischen Ernstehaftigkeit des restlichen Werkes. Wirklich ein absoluter Gegensatz - zwei verschiedenen (klanglichen) Welten angehörend.


    So in der Art empfinde ich den Schluss - Verstünde man es noch als vom moll überlagert, wäre da weniger diese tolel Zäsur und der große Kontrast. Dann wäre es eben einfach das Ende halt nochmal in Dur, was aber noch vom vorigen moll überlagert wird. Das wäre meiner Empfindung nach ein geringerer Schluss.


    (Das klingt jetzt vielleicht merkwürdig denn es ist ja der selbe Schluss :-) Ich kann mir ja dein Gefühl dazu nicht vorstellen, weil ich es ja eben anders empfinde. Aber wenn ich mir versuche vorzustellen es so zu empfinden würde ich doch meine Empfinfung vermissen.)


    Was Du beschriebst empfinde ich eher im ganzen Werk KV 595. Das steht hingegen ja sogar in Dur. Aber es ist so abgeklärt und entrückt, dass ich hier auch im Dur keine echte Fröhlichkeit mehr finde, sondern alles etwas von einem moll-Schleier durchwebt ist. Andererseits ist es bei weitem ja auch kein richtiges moll Werk und scohn garnicht tragisch - eigentlich auch nicht melancholisch. Eher resignativ - das beschriebt es ambesten. Und so würde ich mir dann auch den Schluss von KV 466 vorstellen wie du ihn empfindest. Dass das Dur am Ende doch resigniert vor dem (über)gewichtigem moll zuvor. Aber das Werk empfinde ich wie gestern beschrieben als alles andere als resigniert. Eben trockenes, etwas dämonisches und sehr tiefes moll. Das empfinde ich keinen Platz für resignatives Dur, sondern eben den totalen Kontrast eines so komisch, aber echt fröhlichen Dur am Ende.
    Eben ein mögliches Ende einer tragischen Komödie (könnte ja auch erst lusitg und das Ende traurig sein).


    In dieser Hinsicht hat Mozart in diesem Konzert in der Dur-moll Dualität seiner Meisterschaft in ganz besonderer Hinsicht Rechnung getragen.


    Peter


    PS: Tragische KOMÖDIE: deswegen im Schluss aich die FAST lustige, heitere Nuance - eben fast komödienhaft. ABER ein klein wenig doch eben dem moll noch verhaftet, so das es sich nicht ganz ins lustige heitere wenden kann, sondern ohne Lustigkeit aber in echter Fröhlichkeit verweilt.

  • Hallo Peter!


    Zitat

    Original von Peter Pasdzierny
    Ich nutze nicht gerne Superlative wie "schönstes, bestes oder genialstes" Konzert, aber meines Erachtens nach ist dieses Werk hier ein ganz ausgezeichnetest und in der Tat ein sehr geniales Werk.


    Für mich ist es schon seit langem DAS BESTE Klavierkonzert,


    Zitat

    Das besondere an dieser Hinsicht an KV 466 finde ich also nun, dass Mozart nicht "nur" wie in anderrn seiner Werke eben auch auf so meisterhafte Art von Dur nach moll wechselt, sondern dass hier in ein und demselben Werk eine größere Bandbreite der Nuancen von Dur und moll zum tragen, bzw. zur "Anwendung" kommt.


    Ein Mozart-Werk, das mich ebenfalls mit einer solchen Bandbreite begeistert - da aber wieder auf eine ganz andere Art umgesetzt - ist das Klavierquartett g-moll KV 478. Den "Bogen", der dort über die drei Sätze gespannt ist, finde ich ähnlich faszinierend wie beim d-moll-Konzert.


    Zitat

    Gerade das moll des erstens Satzen lässt sich sehr schwer Charakterisieren, fasziniert dadurch aber auch in äußerstem Maße. Es ist definitiv nicht melancholisch (das wäre z.B. das Adagio von KV 488 ), genauso wenig ist es resignativ (das wäre in Andeutungen vielleicht der dritte Satz von KV 491). Auch würde ich es nicht als tragisch bezeichnen wollen, dazu fehlt mehr bewegte Emotion.


    Eine gewisse Tragik klingt für mich zumindest heraus. Interessanterweise zieht es mich zu KV 466, wenn ich in der Außenwelt mit dem Tod konfrontiert werde. Das d-moll des Requiems schwingt für mich hier ganz klar mit.
    Ob der Satz eher aggressiv oder melancholisch klingt, hängt IMO auch sehr von den Interpreten ab. Per se bietet er viel Raum zur Interpretation.


    Zitat

    VIelleicht könnte man also sagen, dass es ein trockenes, d.h. in diesem Fall direktes und eigentlich (trotz Geheimnisumwobenheit) schlichtes moll ist. Das Erleben dieses schlichten molls wiederum ist sehr intensiv (wohlgemerkt nicht zu verwechseln mit aggressiv!). Vielleicht deswegen doch auch einfach die schlichte Bezeichnung: sehr sehr ERNSTES moll.


    Trocken, direkt, schlicht, ernst - sicher auch, dennoch denke ich da zuerst an die Kunst der Fuge.


    Zitat

    Und nochmal Augenmerk auf das Thema der Romance. WAS FÜR EIN THEMA! So schlicht und versöhnlich - so ein unglaublicher Gegensatz zu dem trockenen, düsteren Ernst des ersten Satzes. Auch das ist ein Zeugnis von Mozarts unglaublicher Meisterschaft - und berührt wieder mein liebes Thema der Dur/moll Thematik. Jedes Mal empfinde ich es als einen sehr bewegenden Moment wenn dieses Thema erklingt. Ich mag es noch so gut kennen, ich bin immer wieder erstaunt und so tiefgründig erfreut und zufrieden ob dieser Versöhnlichkeit die da ausgestrahlt wird.


    Genau. Und genau deswegen mag ich auch KV 478 so sehr. Dort sind es das 1. Thema des 1. Satzes und das 1. Thema des 3. Satzes, die den großen Kontrast bilden.


    Zitat

    DAS IST Fröhlichkeit schlechthin möchte ich fast sagen (aber wiederum bodenständig und durchdachte Fröhlichkeit - nicht so überirdisch und fast abgehoebn schön wie etwa das Andante von KV 467 "Elvira Madigan"). Einfach REINE FRÖHLICHKEIT - ohne himmlisch, aber auch ohne extra Portion Emotion - einfach pure Fröhlichkeit.


    Das empfinde ich ganz anders. Der Dur-Schluß kommt mir merkwürdig unverbindlich vor, vielleicht gar etwas ironisch. Ulli verlich den 3. Satz mal mit einem außer Kontrolle geratenem Karussell - das schien mir ein gutes Bild dafür zu sein.


    Viele Grüße,
    Pius.

  • Zitat

    Original von Pius


    Das empfinde ich ganz anders. Der Dur-Schluß kommt mir merkwürdig unverbindlich vor, vielleicht gar etwas ironisch. Ulli verlich den 3. Satz mal mit einem außer Kontrolle geratenem Karussell - das schien mir ein gutes Bild dafür zu sein.


    Hallo Jungs,


    also mir kam das immer so vor, als müsste er zum Ende des an sich schon sehr provokativen Werks zumindest irgendwann mal etwas versöhnlichere Töne anschlagen und wirkt daher so ein bisschen wie das überflüssige Finale von Don Giovanni mit Friede Freude Eierkraulen und so - suspekt ist mir das auf jeden Fall (hab auch immer das Gefühl, dass mitten im Satz ein derber Bruch stattfindet) und erinnert auch schon irgendwie an überdrehte Kinder kurz vor der Ernüchterung :beatnik:


    :hello:
    Stefan

    Viva la libertà!

  • Zitat

    Original von Barezzi
    (hab auch immer das Gefühl, dass mitten im Satz ein derber Bruch stattfindet)


    Das Gefühl habe ich indes nicht... der Übergang moll-Dur ist doch eher schleichend und wird sehr unauffällig vom Solofagott eingeleitet.


    :hello:


    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Zitat

    Original von Ulli


    Das Gefühl habe ich indes nicht... der Übergang moll-Dur ist doch eher schleichend und wird sehr unauffällig vom Solofagott eingeleitet.


    Na ja - so ein Werk müsste doch düster enden und nicht irgendwann so umschwenken, egal wie glatt die Übergänge sein sollten... :boese2:


    :hello:
    Stefan

    Viva la libertà!

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Hallo, Stefan!


    Zitat

    Original von Barezzi
    Na ja - so ein Werk müsste doch düster enden und nicht irgendwann so umschwenken, egal wie glatt die Übergänge sein sollten... :boese2:


    Wieso muß ein Werk so oder so enden? Wer sagt das?
    Ich finde das Konzert so wie es ist perfekt und würde daran nichts ändern wollen.


    Viele Grüße,
    Pius.

  • Meine Lieben


    Na ja: Wie ein Meisterwerk enden sollte, möge nicht unsere Sorge sein.
    Ich verstehe aber den Wunsch von Barezzi, die „Oper“ möge doch auch so tragisch enden, wie sie beginnt...

    Ich habe dieses Konzert übrigens schon zwei mal mit Maria Joao Pires live erleben dürfen: Erinnerungswürdige Highligts meiner Konzertbesuche. Sie spielt „ihren“ Mozart immer sehr kernig und relativ gross/bzw.laut, was mir ausserordentlich gut gefällt.


    Ich besitze die tolle DVD eines „Europakonzerts 2003“ mit Pires/Boulez und den Berlinern (und wundere mich, dass die Pires auch hier, und immer öfter, auf Yamaha spielt... der meines Erachtens eher ein Jazz-Piano ist: Ob die Pires ihrem verehrten Richter nacheifert...?)



    Mit liebem Gruss aus Bern


    Walter

  • Erlaube mir hiermit daran zu erinnern, dass dieses Konzert am 11. Februar des Jahres 1785 uraufgeführt wurde.


    Herzliche Grüße,:hello: :hello:


    Christian

    Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen! (Cato der Ältere)

  • Ja, und passend dazu erschien rechtzeitig diese spannende CD:



    Konzert d-moll für Klavier und Orchester KV 466


    mit Kadenzen von Beethoven, Hummel, Franz Xaver Mozart, Brahms, Clara Schumann, Busoni und Rische


    ...also quer durch die Jahrzehnte und Jahrhunderte seit der Entstehung. Vermutlich zum individuellen Zusammenbasteln (als erstes höre ich die Kadenz von Luwdig Nepomuk Xaver Johannes Clara Verrutschio van Rische).


    *habenwill*


    :hello:


    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Das Klavierkonzert d-moll KV 466 ist aus dem Zyklus der 27 Genrebeiträge Mozarts nicht mein persönliches Lieblingswerk (das ist das "Jeunehomme"-Konzert Es-Dur KV 271, von welchem es ganz vortreffliche Einspielungen z.B. mit Alfred Brendel und den I Solisti di Zagreb unter Antonio Janigro, von Rudolf Firkusny und dem Sinfonieorchester des SWF Baden-Baden unter Ernest Bour sowie Clara Haskil und den Wiener Sinfonikern unter Paul Sacher gibt). Gleichwohl habe ich diesen Thread und die sehr fundierten Beiträge mit großem Interesse gelesen. Und das besprochene Werk heute recht häufig gehört. Ich besitze folgende Einspielungen:


    - Friedrich Gulda/Wiener Philharmoniker/Claudio Abbado
    - Clara Haskil/Winterthurer Sinfonieorchester/Henry Swoboda
    - Clara Haskil/Radio-Sinfonieorchester Berlin/Ferenc Fricsay
    - Clara Haskil/Wiener Sinfoniker/Bernhard Paumgartner
    - Clara Haskil/Orchestre National de France/Paul Hindemith
    - Jewgenij Kissin/Moskauer Virtuosen/Vladimir Spivakow
    - Yvonne Lefébure/Berliner Philharmoniker/Wilhelm Furtwängler
    - Arturo Benedetti Michelangeli/Orchestra Sinfonica di Roma della RAI/Carlo Maria Giulini
    - Michail Pletnjew/Deutsche Kammerphilharmonie/Michail Pletnjew
    - Swjatoslaw Richter/Tschechische Philharmonie Prag/Kyrill Kondrashin
    - Swjatoslaw Richter/Warschauer Philharmoniker/Stanislaw Wislocki
    - Rudolf Serkin/English Chamber Orchestra/Alexander Schneider
    - Christian Zacharias/Sinfonieorchester des BR/David Zinman


    Es wundert mich, dass bisher der Name Swjatoslaw Richter nur ein einziges Mal fiel, nämlich als bemerkt wurde, dass Maria Joao Pires diesen Pianisten verehrt (gibt es irgendjemanden, der das nicht tut?). Unerwähnt hingegen blieben die verschiedenen Richter-Einspielungen des Klavierkonzerts KV 466, die in der von mir benutzten Richter-Diskografie (http://www.doremi.com/rr.HTM) wie folgt aufgelistet werden:


    23/5/50 - Prague - Live - Czech P.O./Kondrashin - ANDANTE AN 2150 (4CD)
    20/3/51 - Moscow - Live - USSR State S.O./Sanderling - 2nd & 3rd mvts - ANKH 200302 (CD)
    17/2/58 - Budapest - Live - Hungarian State O./Korody - (PT)
    17/6/58 - Moscow - USSR Radio S.O./Eliasberg - DISQUE-CLUB DU NOUVEAU SIECLE
    25-26/4/59 - Warsaw - Warsaw P.O./Wislocki - DG 463 649-2 (CD)


    Für mich die beste Einspielung des Werks überhaupt ist die ganz hervorragende, geradezu begeisternde Aufnahme Richters mit Kyrill Kondrashin, die am 23. Mai 1950 live in Prag entstanden und ausschließlich in der (sehr anschaffenswerten) 4 CD-Box "The Prague Spring Festival - Legendary Broadcast Recordings (1947-1968 )" der Firma Andante erhältlich ist.

    Ich würde sie der 1959 im Studio entstandenen Warschauer Einspielung mit Wislocki, welche bei DG gelistet ist, unbedingt vorziehen.


    Exzeptionell gut ist natürlich auch Clara Haskil in ihren zahlreichen Aufnahmen dieses von ihr ganz besonders geliebten Werks (die weiter oben gerühmte Einspielung mit Markevitch kenne ich leider nicht. Ich habe nach der vierten Haskil-Aufnahme dieses Werks mit dem Kaufen aufgehört). Empfehlen möchte ich jedenfalls die Live-Aufnahme vom 22. September 1957 aus Montreux. Zum einen wegen des Dirigenten Paul Hindemith, zum anderen weil es sich um einen Konzertmitschnitt handelt. Live sind fast alle Pianisten besser.

    Michelangeli Rundfunkmitschnitt von 1951 mit Giulini

    mag ich ebenfalls. Eine schöne, düstere Aufnahme. Warum sie weiter oben so niedergemacht wurde, verstehe ich nicht. Vielen Dank, Dr. Holger Kaletha, für Deine unglaublich lesenswerten Ausführungen zu ABMs Einspielungen des Werks!


    Wilhelm Furtwänglers Version des Konzerts KV 466 mit den Berliner Philharmonikern und Yvonne Lefébure am Klavier, live mitgeschnitten am 15. Mai 1954 im Apollo-Theater in Lugano

    ist orchestral spannend und pianistisch allein schon durch die Verwendung mir bisher völlig unbekannter Kadenzen von Fred Goldbeck mal was ganz anderes. Gewöhnungsbedürftig ist allerdings die "vokale" Begleitung ihres (pianistisch tadellosen) Spiels durch Frau Lefébure (sowas kennt man ja sonst eher von Männern wie Glenn Gould, Rudolf Serkin und Keith Jarrett).


    Christian Zacharias ist wie gewohnt sehr, sehr gut. Schön klar und messerscharf spielend. Er ist wirklich einer der besten lebenden Pianisten überhaupt. Wie kreativ er ist, zeigt sich schon daran, dass er nicht die üblichen Beethoven-Kadenzen verwendet, sondern sich eigene Kadenzen komponiert hat.

    Vergleicht man Zacharias/Zinman im direkten Hörvergleich mit Gulda/Abbado, würde ich erstere vorziehen. Natürlich ist Gulda ein guter, sogar sehr guter Pianist, aber Zacharias spielt irgendwie frischer, beseelter. Die Punkte für das bessere Dirigat gehen für mich an Zinman. Abbado lässt mir (aber das sind wirklich nur Nuancen) im 1. Satz etwas zu lahm spielen (er braucht 15:24 min., was nur noch Pletnjew mit seinen 15:30 min. toppt). Die Gulda-CD habe ich trotzdem gern im Regal, denn sie enthält noch das Konzert KV 467, für das Gulda sich eigene Kadenzen komponiert hat. Und die sind verdammt gut. Bei KV 466 verwendet er im 1. Satz die Beethoven-Kadenz und im 3. Satz Hummel/Beethoven.


    Sterbenslangweilig gestaltet Michail Pletnjew den Klavierpart. Das Klavier erwacht in dieser Einspielung nur einmal aus dem Tiefschlaf, nämlich bei dem schnellen Zwischenteil im zweiten Satz, den Pletnjew beherzt und zupackend spielt. Ein Pianist seiner enormen Güte sollte aber insgesamt Besseres abliefern, als er es hier tat. Seine bei Virgin Classics erschienene 4 CD-Box mit Werken von Haydn und Mozart

    habe ich mir auch nur deswegen angeschafft, weil Pletnjew bei Haydns G-Dur Klavierkonzert die Kadenzen improvisiert (und das vorzüglich!), weil er bei Mozarts KV 491 ebenfalls eigene Kadenzen spielt und weil er mit dem F-Dur Klavierkonzert ein Haydn-Werk einbezogen hat, das mir in keiner anderen Aufnahme bekannt und dessen zweiter Satz einfach wunderschön ist. Für meinen Geschmack orientiert sich Pletnjew aber, insbesondere bei Haydn, zu sehr am trockenen Hammerklavierklang, den er auf dem modernen Flügel pedallos nachzuahmen versucht. Und dazu passt dann auch der sehr stark in Richtung historische Aufführungspraxis gehende Orchesterklang der Deutschen Kammerphilharmonie (übrigens mit Christian Tetzlaff am ersten Pult). Wer so etwas mag (also Mozart, Haydn oder Beethoven auf dem Hammerklavier gespielt), wird an dieser Pletnjew-Einspielung Gefallen finden. Mir hingegen gefällt keine Trockenheit des Klavierklangs, mir gefällt Saft und Kraft!


    Pianistisch besser macht es der junge Kissin in seiner 1991er Einspielung.

    Er sprüht vor Virtuosität und wird auch entsprechend von den Moskauer Virtuosen unter Vladimir Spivakow begleitet. Er lässt es perlen und krachen. Gleichwohl ist Kissin angesichts der erdrückenden Konkurrenz bei diesem Werk nicht allererste Wahl. Eine sehr schöne Einspielung, aber kein "must have". Ein "must have" sind Richter, Haskil und - meiner Meinung nach - durchaus auch ABM.

    3 Mal editiert, zuletzt von Swjatoslaw ()

  • Hallo, liebe Mozartfreunde,


    auch dich, lieber Swjatoslaw, begrüße ich als Neuling, der hier zum ersten Mal dabeisein darf. Ich hatte ja letztens schon von deinem mozartianischen d-moll-Fieber gehört bzw. gelesen. Hier nun meine Ausgaben KV 466:
    Daniel Barenboim/Berliner Philharmoniker/Daniel Barenboim
    Alfred Brendel/Academy of St. Martin in the Fields/Sir Neville Marriner
    Friedrich Gulda/NDR-Sinfonie-Orchester/Friedrich Gulda
    Friedrich Gulda/Wiener Philharmoniker/Claudio Abbado
    Matthias Kirschnereit/Bamberger Symphoniker/ Frank Beermann
    Sviatoslav Richter/Warschauer Nationalphilharmonie/Stanislaw Wislocki
    Arthur Rubinstein/RCA Victor Symphony Orchestra/Josef Krips
    Andras Schiff/Camerata Academica/Sandor Vegh
    Annerose Schmidt/Dresdner Philharmonie/Kurt Masur
    Rudolf Serkin/Chamber Orchestra of Europe/Claudio Abbdo.
    Mitsuko Uchida/Englisch Chamber Orchestra/Jeffrey Tate
    Auch ich bin nach langer Beschäftigung mit den Mozart-Konzerten (in den letzten drei Jahren kontinuierlich) wieder etwas von diesem Konzert abgewichen und bin mehr auf die Konzerte zugekommen, in denen nun etwas ganz und gar ungewöhnliches passiert oder die musikalisch noch etwas herausstechen wie Jeunehomme (langsame Einbettung im Finale, ebenso im KV 482), dann KV 449 mit dem überragenden Mittelsatz und KV 491, dem, wie ich finde, größten aller Mozartkonzerte. Doch auch hier im KV 466, in der "Todestonart" d-moll gibt es ja einen abgeklärten Mittelsatz, deren Mozart so viele hat und die man bei anderen in dieser Fülle nicht findet.
    Liebe Grüße
    Willi

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

    2 Mal editiert, zuletzt von William B.A. ()


  • Horowitz mit Giulini und dem Scala-Orchester? Verwechselst Du das vielleicht mit der Horowitz/Giulini-Aufnahme des Klavierkonzerts Nr. 23 A-Dur KV 488?

    Sollte es wirklich eine Horowitz-Aufnahme von KV 466 geben, die mir bisher völlig durch die Lappen gegangen ist, dann wäre ich für einen Hinweis (vielleicht auch mit einem Link) sehr dankbar.

  • Hallo Swjatoslaw,


    ja, du hast völlig Recht, das war ja eine klassische freud'sche Fehlleistung meinerseits. Natürlich handelte es sich um das A-dur-Konzert. Aber dafür ist mir ein anderes Exemplar durch gegangen, dass sich allerdings erst seit gestern in meiner Sammlung befindet, und zwar die Aufnahme vom April 1969 aus Warschau mit Sviatoslav Richter und der Warschauer Nationalphilharmonie unter Stanislaw Wislocki. Ich habe nämlich gestern die 9CD-Box Richters von der DGG erhalten. Mal sehen, vielleicht bringt das die KV 466 wieder weiter nac h vorne in meiner Rangliste.


    Liebe Grüße


    Willi

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • In den 80ern durfte ich dieses Stück mal selbst (im Orchester) spielen. Seitdem hat sich dieses Konzert sehr tief in mein Herz gebrannt.


    Ich fand Geza Anda sehr eigen, aber eigentlich nicht schlecht. Derek Han hat mich nicht überzeugt. Irgendwie - hat das Konzert mich nicht berührt.


    Bisher am besten gefallen hat mir tatsächlich Immerseel. Mich überzeugt seine Anschlagtechnik am Hammerflügel.
    Dass er nicht die Beethoven-Kadenz spielt, erklärt sich m.E. aus seinem Ansatz: er möchte so spielen, wie er glaubt, dass Mozart gespielt hätte.


    Ich glaube, ich habe endlich eine Aufnahme gefunden, die ich immer wieder gerne höre!

  • Ich lausche dieses Konzert in einer ungemein packenden Aufnahme:



    Der niederländische Spezialist Bart van Ort nimmt sich der Klavierkonzerte Nr. 20 und 22 an. Was er hier auf dem Hammerklavier leistet, ist ganz außerordentlich fesselnd. Er spielt einen Nachbau eines Walter-Instrumentes aus dem Jahr 1795, das der Belgier Chris Maene hergestellt hat. Dabei spielt van Oort seine eigenen Kadenzen. Begleitet wird er von der Accademia Hermans unter Leitung von Fabio Ciofini.


    Van Oort entlockt dem Instrument ganz ungeheuerer Kaskaden von Klängen. Er spielt immens enrgiereich, eckig, fast wuchtig, sehr viril - kaum glaublich, dass das Instrument dies hergibt. Weit entfernt von dünnem Klang oder dergleichen, auch wenn hier natürlich eine ganz andere Farbpalette zutage tritt. Dabei stellt Bart von Oort unter Beweis, dass er nicht nur virtuoses Tempo verlegen und machtvoll donnern kann, sondern dass er auch zu lyrischem Feingefühl fähig ist. Auch die Accademia Hermans spielt auf Instrumenten der Epoche und bleibt dabei nichts schuldig. Knallig, energiereich, aber auch behutsam untermalend zaubern die Musiker unter Leitung des Dirigenten einen abwechslungsreichen Klangteppich, der fasziniert - weit entfernt von dünnem, spröden, kratzigem Klang - die Sonorität ist enorm.


    Eine Einspielung, die herausfordert, aufhorchen lässt und -zumindest mich- beglückt und staunend zurücklässt - mit dem Wunsch, sie direkt wieder anzuhören.

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Lieber Don Gaiferos,


    Ich habe mal diese Aufnahme bei Amazon gestreamt, weil ich Bart van Oort kenne und auch in meiner Sammlung habe, denn er hat früher für Pieter van Winkel (Brilliant Classics) aufgenommen. Mit Klavierkonzerten auf Originalklang-Instrumenten habe ich so meine Probleme, weniger mit Aufnahmen als mit Live-Konzerten, die das reale Vermögen der Instrumente abbilden, und da haben die Klaviere immer ganz schlechte Karten, weil sie keine zusätzlichen Mikrofone und andere elektronische Hilfsmittel zur Seite haben.
    Ich habe das, und das erzähle ich hier im Forum nicht zum ersten Mal, selbst in zwei Konzerten erlebt, wovon das eine nur aus Mozart-Konzerten bestand, die Jos van Immerseel (in Essen) mit seiner Anima Eterna vom "Fortepiano" aus dirigierte. Und ich konnte (von der 10. Reihe aus) ihn in den Tutti-Sequenzen nur spielen sehen, nicht hören, denn im Gegensatz zu einem Originalklang-Klavier aus dem 18. Jahrhundert
    hat ein Originalklangorchester wie die Anima Eterna mit einer Besetzungsstärke jenseits der vierzig Instrumentalisten wirklich jede Menge dynamische Durchschlagskraft. Und wenn das Klavier in den Tutti nicht zu hören ist, hat das Ganze doch keinen Zweck.
    Um nicht der Illusion zu unterliegen, dass das Fortepiano doch gegen das Orchester "an kann", kaufe ich mir schon lange keine solchen Aufnahmen mehr, wo das Tasteninstrument künstlich verstärkt wird.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Lieber Willi,


    deine Einwände sind natürlich nicht von der Hand zu weisen, betreffen jedoch, glaube ich, mehr die Probleme einer Live-Aufführung und tun m. E. der CD keinen Abbruch. Wenn Du Dir eine Opern-Studio-Aufnahme anhörst, werden ja auch ideale Bedingungen geschaffen, man hört zum Beispiel keine Neben- oder Bühnengeräusche, alle Sänger sind jederzeit klar und deutlich zu hören, anders als live auf der Bühne, wo sie ggf. ungünstig positioniert sind, vom Orchester zugedeckt werden etc. Also auch hier schafft man Voraussetzungen für eine optimal klingende Aufnahme, die nicht unbedingt eine 1:1 - Abbildung der Live-Aufführung entsprechen.


    Die Schlussfolgerung für mich wäre aufgrund Deiner Erlebnisse daher eben nicht, diese oder ähnliche CDs nicht mehr zu kaufen, sondern solche Konzerte in großen Hallen zu meiden! Schließlich käme auch niemand auf die Idee, ein Streichquartett unverstärkt in einer riesigen Halle spielen zu lassen; in ähnlicher Weise müsste man also hier für diese alten Tasteninstrumente geeignete Räumlichkeiten finden, und dabei einen eher kammermusikalischen Ansatz verfolgen, was wohl auch eher den Gegebenheiten entspricht, als die Werke aufgeführt wurden; sie erklangen wohl eher in Salons und kleineren Konzertsälen, nicht in unseren modernen, riesigen Konzertarenen.


    Von daher, lieber Willi, sehe ich Deine Problematik, ziehe jedoch andere Schlussfolgerungen daraus: gerade weil die live-Aufführung im großen Stil unmöglich ist, brauchen wir kleine Räume für Konzerte, und v.a. solche CDs wie die vorliegende, um ungestört den Klang genießen zu können.


    herzliche Grüße

  • das gehört ja eigentlich in den Mozart-Klavierkonzerte-Thread!

    Lieber Holger,


    das ich völlig richtig, aber es ging ja um die Beantwortung einiger Fragen, und da kommt man eben manchmal vom eigentlichen Thema ab.

    Wenn ich mich nicht täusche sind die meistgespielten Kadenzen bei Mozart-Klavierkonzerten von Beethoven.

    In diesem Falle täuschst Du Dich tatsächlich, lieber Holger. Beethoven hat m.W. nur für das d-Moll-Konzert KV 466 zwei Kadenzen verfaßt, sie sind eingeordnet bei den WoO als Nr. 58, 1 & 2. Svjatoslav Richter spielt beide in dieser alten, grandiosen Aufnahme:

    Klavierkonzert Nr. 20 D- Moll • Piano Concerto No. 20 In D Minor - Wolfgang  Amadeus Mozart | Vinyl | Recordsale

    mit dem SO der National-Philharmonie Warschau, Dirigent: Stanislav Wislocki (Aufnahme: 4/1959, Philharmonie, Warschau).


    Für die übrigen, nicht von Mozart selber mit Kadenzen ausgestatteten Klavierkonzerte haben u.a. Busoni, Hummel, Saint-Saens, Clara Schumann etc. diverse Kadenzen verfaßt, die auch heute noch in Gebrauch sind. Meist spielen die Pianisten aber eigene, oder, wie Svjatoslav Richter, geben beim Komponistenfreund Britten eine neue für KV 482 (Nr. 22) in Auftrag. In seltenen Fällen ignorieren aber die Pianisten die Original-Kadenzen und fügen eine selbstverfaßte ein.


    LG Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • In diesem Falle täuschst Du Dich tatsächlich, lieber Holger. Beethoven hat m.W. nur für das d-Moll-Konzert KV 466 zwei Kadenzen verfaßt, sie sind eingeordnet bei den WoO als Nr. 58, 1 & 2. Svjatoslav Richter spielt beide in dieser alten, grandiosen Aufnahme:

    Lieber Nemorino,


    komischer Weise habe ich bei den Mozart-Konzerten nie so genau darauf geachtet, von wem die Kadenzen sind. Bei vielen Mitschnitten - etwa von Michelangeli aus den 50iger Jahren - ist noch nicht einmal vermerkt, von wem sie stammen. ^^ Die Richter-Aufnahme habe ich natürlich, aber nicht im Kopf. Lieben gelernt habe ich das Konzert durch Michelanglis magische Aufnahme aus den 50igern - mit C. M. Guilini:


    ab67616d0000b273a8f71f53a4b87469e9022e57


    Eine ganz andere Welt ist dann seine späte Aufnahme mit seinem Schüler und Produzenten Cord Garben, den er selbst als Dirigenten "verpflichtete". Die Mozart-Aufnahmen bei der DGG machte er nach seiner Herzattacke in Bordeaux und Genesung als ein vom Tode gezeichneter Pianist - Prognose der Ärzte: Er hätte noch maximal 5 Jahre zu leben mit seinem Herzfehler. Die überirdische Leichtigkeit ist weg, Michelangeli phrasiert ungemein nachdrücklich und rhetorisch, nimmt Mozart jegliche Art von unverbindlicher und virtuoser Glätte. Ein Ereignis ist die Kadenz. Vergleich man diese seine letzte Aufnahme


    71y8zdEK2qL._SS500_.jpg



    mit dem älteren Mitschnitt mit Karl Münchinger


    eyJidWNrZXQiOiJwcmVzdG8tY292ZXItaW1hZ2VzIiwia2V5IjoiNzkzMjIzMi4xLmpwZyIsImVkaXRzIjp7InJlc2l6ZSI6eyJ3aWR0aCI6OTAwfSwianBlZyI6eyJxdWFsaXR5Ijo2NX0sInRvRm9ybWF0IjoianBlZyJ9LCJ0aW1lc3RhbXAiOjE0MDE5ODI0ODR9


    dann wird das überdeutlich. 1967 klingt diese Kadenz bei ABM wie man es von ihm erwartet hoch poetisch, mit erlesener Tonschönheit und zugleich perfekter klassischer Ausgewogenheit vorgetragen. In der letzten Aufnahme mit Garben bricht die klassische Fassade, die dunkle Seite hinter dem schönen apollinische Schein wird sichtbar. Dort gibt es fast schon traumatische Abbrüche, in denen sich wahrlich Abgründe auftun - Mozarts Kadenz als Ausdruck von tiefstem Schmerz einer im Innersten verwundeten reinen Seele. Einmalig ist das - selbst der alte Rudolf Serkin wirkt demgegenüber glatt. Das ist natürlich nichts für Anfänger, "Mozart für Fortgeschrittene" - aber singulär! :hello:


    Ich sehe gerade, hier - vor fast 15 Jahren (!) ^^ - hatte ich den Vergleich ABM mit ABM schon gemacht:


    MOZART, Wolfgang Amadé: Klavierkonzert d-moll KV 466


    Schöne Grüße

    Holger

  • Die Beethoven-Kadenzen für das d-moll sind vermutlich die häufigst gespielten "fremden" Kadenzen in einem Klavierkonzert. Manchmal sind sie leicht überarbeitet (Edwin Fischer hat das getan), aber mir ist unter 10-12 Aufnahmen von KV 466 nur eine mit komplett eigenen Kadenzen begegnet (Bilson mit Gardiner, habe es nicht nachgehört, aber es steht so im Beiheft).

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Michelangeli spielt auf der Grammphon Aufnahme unter Garben die Beethoven Kadenzen, die ja grundsätzlich das Werk mit etwas erhöhter Dramatik rüberkommen lassen. Das Spiel von Michelangeli hat nun hier wirklich keinen mozartschen Charakter mehr. Vielen Dank an Holger für die Erklärung.


    Wer es gerne erwerben möchte, kann sich diese Box besorgen, die natürlich allgemein empfehlenswert ist ...



    Meine Lieblingsaufnahme dieses Werkes (neben Gulda, der schon erwähnt wurde) ist die Aufnahme mit Maria João Pires und dem Orchestra Mozart unter Claudio Abbado.



    Das Orchester ist durchsichtiger als das NDR Symphonieorchester unter Garben und auch die hochinteressante Rhythmik am Anfang ist bei Abbado wunderbar wahrzunehmen .... Aber das Beste ist das Spiel der Pires. Sie schafft es, mozartsche Dramatik zu vermitteln. Mit ihrer Anschlgaskultur bringt sie "fast" jeden Ton zu eigenem Leben. Der Beethoven bleibt dramatisch, es ist aber kein Abgrund ....



    Hier MIchelangeli mit Garben



    und Pires mit Abbado


  • Das Spiel von Michelangeli hat nun hier wirklich keinen mozartschen Charakter mehr.

    Was ein "mozartscher Charakter" ist, ist natürlich eine durch Spieltraditionen und historisch ausgebildete Auffassungen geprägte Sache. Wie Mozart selber gespielt hat, wissen wir nicht. ;) Gerade durch HIP hat man die Rhetorik wiederentdeckt - insofern ist Michelangelis ungemein sprechende Phrasierung sehr modern. Zudem war Mozart ein großer Opernkomponist. Wenn Michelangeli auf dem Flügel quasi deklamiert, ist das also durchaus in Mozarts Welt. Cord Garben, der mitunter durchaus kritisch zu ABMs Auffassungen ist, verteidigt gerade die markante Phrasierung in diesen Mozart-Aufnahmen als vorbildlich. Tatsache ist, dass sich ABM nie um Aufführungstraditionen geschwert hat. Und das ist auch gut so. Denn nur so entdeckt man neue Sichtweisen!


    Cord Garben sagt übrigens selbst, dass er eigentlich kein Dirigent ist. ABM hat ihn dazu gedrängt! :D


    Pires ist natürlich auch toll, keine Frage. Garben hatte übrigens ABM u.a. Abbado als Dirigenten für diese Aufnahmen vorgeschlagen - auch Guilini und Ashkenazy. Alle wurden vom Meister abgelehnt und er kam urplötzlich mit der überraschenden Frage: "Warum machst Du es nicht?" :D Nur bei solchen bedeutenden Interpretationen und einem solch gravierenden Änderung des Vortragsstiles, so dass man, wenn man es nicht wüßte, meinen könnte, da spielt ein ganz anderer Pianist, macht es für mich eigentlich nur Sinn, ABM mit ABM zu vergleichen.


    Schöne Grüße

    Holger

  • Tatsache ist, dass sich ABM nie um Aufführungstraditionen geschwert hat. Und das ist auch gut so. Denn nur so entdeckt man neue Sichtweisen!

    Da hast Du recht ....


    Wahrscheinlich war der Begriff "unmozartisch" schlecht gewählt. Es ist ja auch ein sehr persönliches Urteil. Mir gefällt die Einspielung von Pires besser, was eventuell auch an dem wundervollen Zusammenspiel mit dem Orchester liegen mag. Natürlich ist Michelangeli nicht schlecht, aber mir ist das etwas extrem, wenn ich Mozart hören will. Wenn ich auf der Suche nach einem vermissten Beethoven Konzert wäre .... wer weiß :)



    Gerade durch HIP hat man die Rhetorik wiederentdeckt - insofern ist Michelangelis ungemein sprechende Phrasierung sehr modern.


    Ich werde mir mal den Bezuidenhout anhören, wenn er mit dem d-Moll Konzert rauskommt. Er wird dann ja kaum die Beethoven Kadenzen nehmen können, die scheinen, wenn ich das richtig im Thread gelesen habe, auf zeitgenössischem Instrumentarium nicht spielbar zu sein .... Aber ich werde aufpassen...

  • Wahrscheinlich war der Begriff "unmozartisch" schlecht gewählt. Es ist ja auch ein sehr persönliches Urteil. Mir gefällt die Einspielung von Pires besser, was eventuell auch an dem wundervollen Zusammenspiel mit dem Orchester liegen mag. Natürlich ist Michelangeli nicht schlecht, aber mir ist das etwas extrem, wenn ich Mozart hören will. Wenn ich auf der Suche nach einem vermissten Beethoven Konzert wäre .... wer weiß

    Ich habe es eben hinzugefügt - Cord Garben als ABMs Produzent hatte u.a. Abbado als Dirigenten für diese Aufnahmen vorgeschlagen. Der Meister überfiel ihn aber mit dem überraschenden Angebot: "Warum machst Du es nicht?" "Nicht schlecht" ist eine maßlose Untertreibung für ABMs Niveau. So hat man Mozart zuvor noch nie gehört - das ist eine ganz neue Dimension des Mozart-Spiels. Ob das "Schule machen" kann, ist natürlich die Frage. Das muss es ja auch nicht. Cortots Auffassungen sind für viele Pianisten heute immer noch unverzichtbar und Vorbild, obwohl sie nicht imitierbar sind. Das Singuläre dieser Aufnahmen ist die vollständige Verwandlung von Mozarts Musik in den persönlichen Ausdruck des Interpreten - und solche Momente gibt es selten. Ich möchte auch nicht auf die Leichtigkeit, unglaubliche Lebendigkeit, Flexibilität und Klassizität von ABMs frühen Aufnahmen verzichten - diese späten Aufnahmen sind, wenn man davon fasziniert ist, schon ein "harter Brocken". Aber das macht den großen Interpreten aus, dass er es einem nicht leicht macht, sondern zum Umdenken zwingt.

    Ich werde mir mal den Bezuidenhout anhören, wenn er mit dem d-Moll Konzert rauskommt. Er wird dann ja kaum die Beethoven Kadenzen nehmen können, die scheinen, wenn ich das richtig im Thread gelesen habe, auf zeitgenössischem Instrumentarium nicht spielbar zu sein .... Aber ich werde aufpassen...

    ABM hat bei Mozart-Konzerten im Laufe seines Lebens unterschiedliche Kadenzen gespielt - in den 50iger Jahren spielt er eine ganz andere Kadenz bei KV 466.


    Es gibt auch noch diesen sehr schönen Mitschnitt - das ist ungefähr der Mozart so, wie man ihn von ABM erwartet hatte:



    Schöne Grüße

    Holger

  • Der Meister überfiel ihn aber mit dem überraschenden Angebot: "Warum machst Du es nicht?" "Nicht schlecht" ist eine maßlose Untertreibung für ABMs Niveau.

    Lieber Holger, Du kennst ja mittlerweile meine Übertreibungen und meine seltsame Art von Humor :).


    Wobei ich allerdings schon den Eindruck habe, dass das Orchester unter Abbado in dieser Aufnahme interessanter ist, als das NDR Symphonieorchester unter Garben ....

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner