Liebe Ramoneurs,
jetzt habe ich das absolut unglaublichste Stück entdeckt, das ich zwischen Gesualdo und "Tristan" kenne. Es sind ein paar Takte aus der Oper "Les surprises d'amour" (Die Überraschungen der Liebe). Das Sätzchen heißt "Sommeil d'Anacréon" und dauert in der Einspielung der Suite unter Minkowski bloß 50 Sekunden. Aber die haben's in sich!
Da exponiert Rameau einen ganz seltsamen Klang der Streicher (sind das Flageolets? - Klingt danach; vielleicht mischt er auch den Klang einer Flöte zu den sehr hohen Geigen, ich müßte das in der Partitur überprüfen), darauf folgt ein dissonantes chromatisches Geschlinge in den Streichern über chromatisch absteigendem Baß - ein Klang, der vom "Tristan" nicht weit entfernt ist und sich auch bei Debussy nicht über ausnehmen würde. Dieses Geschlinge mündet sodann in eine Konsonanz, die jedoch leer klingt - und in diese Leere tropfen die Geigen Pizzicati. Der Klangeffekt könnte bei Richard Strauss stehen oder bei Ravel. Es ist so unglaublich, daß ich das Sätzchen nun schon mehrfach gehört habe - und jedes Mal von neuem in kopfschüttelnde Begeisterung verfalle.
Allerdings kann ich diese CD auch wegen der sonstigen Sätze nun wärmstens empfehlen: Es ist bester Rameau, melodisch einfallsreich, von höchster Raffinesse in der Harmonik (gespickt mit Dissonanzen, wie wir's bei ihm kennen und lieben) - und die Instrumentierung ist der schiere Wahnsinn. Es klingt stellenweise, als wäre das Werk aus "besserer Kenntnis" im 19. oder sogar auch 20. Jahrhundert nachinstrumentiert worden.
Die komplette Ballettoper gibt es leider nicht regulär auf CD (sollte jemand eine Aufnahme haben, flehe ich auf Knien um eine Überspielung), aber wenn der Rest halbwegs auf dem Niveau ist wie die Suite, gibt es hier ein Meisterwerk auszugraben.
Erhältlich sind derzeit nur die von Sylvie Bouissou zusammengestellten Tänze, immerhin rund 50 Minuten grandiose Musik - und von Minkowski einfach hinreißend dirigiert.