Der Geist Frankreichs - Jean-Philippe Rameau

  • Liebe Ramoneurs,
    jetzt habe ich das absolut unglaublichste Stück entdeckt, das ich zwischen Gesualdo und "Tristan" kenne. Es sind ein paar Takte aus der Oper "Les surprises d'amour" (Die Überraschungen der Liebe). Das Sätzchen heißt "Sommeil d'Anacréon" und dauert in der Einspielung der Suite unter Minkowski bloß 50 Sekunden. Aber die haben's in sich!
    Da exponiert Rameau einen ganz seltsamen Klang der Streicher (sind das Flageolets? - Klingt danach; vielleicht mischt er auch den Klang einer Flöte zu den sehr hohen Geigen, ich müßte das in der Partitur überprüfen), darauf folgt ein dissonantes chromatisches Geschlinge in den Streichern über chromatisch absteigendem Baß - ein Klang, der vom "Tristan" nicht weit entfernt ist und sich auch bei Debussy nicht über ausnehmen würde. Dieses Geschlinge mündet sodann in eine Konsonanz, die jedoch leer klingt - und in diese Leere tropfen die Geigen Pizzicati. Der Klangeffekt könnte bei Richard Strauss stehen oder bei Ravel. Es ist so unglaublich, daß ich das Sätzchen nun schon mehrfach gehört habe - und jedes Mal von neuem in kopfschüttelnde Begeisterung verfalle.


    Allerdings kann ich diese CD auch wegen der sonstigen Sätze nun wärmstens empfehlen: Es ist bester Rameau, melodisch einfallsreich, von höchster Raffinesse in der Harmonik (gespickt mit Dissonanzen, wie wir's bei ihm kennen und lieben) - und die Instrumentierung ist der schiere Wahnsinn. Es klingt stellenweise, als wäre das Werk aus "besserer Kenntnis" im 19. oder sogar auch 20. Jahrhundert nachinstrumentiert worden.


    Die komplette Ballettoper gibt es leider nicht regulär auf CD (sollte jemand eine Aufnahme haben, flehe ich auf Knien um eine Überspielung), aber wenn der Rest halbwegs auf dem Niveau ist wie die Suite, gibt es hier ein Meisterwerk auszugraben.


    Erhältlich sind derzeit nur die von Sylvie Bouissou zusammengestellten Tänze, immerhin rund 50 Minuten grandiose Musik - und von Minkowski einfach hinreißend dirigiert.



    :hello:

    ...

  • Hallo Edwin,


    Mir hat die Einspielung der "Surprises" ebenfalls sehr gefallen, auch von der Aufnahme her. Das "Rauschen" der Cembali und die agressiven Hörner, das hat schon gefallen.


    also mir ist keine vollständige Aufführung des Werks bisher bekannt, obwohl das auch wieder nicht ganz richtig ist. :D
    Aber eine Gesamtaufnahme dürfte kompliziert werden, aufgrund der vielen, völlig unterschiedlichen Fassungen.
    Dardanus ist ja schon ein Riesenproblem, da die beiden Fassungen so verschieden sind, dass man fast von zwei unterschiedlichen Werken sprechen könnte.



    Aber es gibt das Nachfolgewerk, also eine der Umarbeitungen, gleich zweimal auf CD: Anacreon, Acte de Ballet 1759 (in den Einspielungen von Minkowski und Christie)


    Die Geschichte zu dem Werk ist ziemlich verworen.



    Les Surprises de l'Amour wurde 1748 wärend der Feierlichkeiten des Friedens von Aachen mit entsprechendem Prolog in den Petits Appartements in Versailles uraufgeführt und dann an der Pariser Oper gegeben.


    Das ganze ist eigentlich ein Opera Ballet das aus zwei Handlungen besteht:


    - Adonis


    und


    - La Lyre enchantee


    das ganze wurde von einem Prolog "Le Retour d'Astree" eröffnet.


    Da wurde natürlich der Ruhm des Königs und der Aachener Friede besungen.
    Damals war das Werk ziemlich erfolgreich und wurde einige Male aufgeführt.


    Dann 1757 (also fast 10 Jahre später) entschloss man sich, das Werk nochmal in Paris aufzuführen - und das floppte gründlich.
    Denn durch den veralteten Prolog wurde das ganze Werk als verstaubt angesehen (und das sogar von den Anhängern der frz. Oper)


    Die erste Umarbeitung folgte und Rameau schuf teilweise aus dem Material des alten Opera Ballets, den Einakter "Anacreon"


    Man kann also sagen, das Anacreon "Les Surprises de L'Amour - Reloaded" ist.


    :D




    (es scheint, dass beide Aufnahmen zur Zeit gestrichen sind :( )


    Allerdings ist Anacreon nur als Ersatz für den Prolog geplant gewesen, soweit ich das verstanden habe, die beiden anderen Akte, Adonis und La Lyre wurden wohl mit Anacreon zusammen als "Opera Ballet" aufgeführt.


    Deshalb finden sich auch viele Instrumentalstücke aus den Surprises in Anacreon wieder.


    Allerdings war Anacreon so erfolgreich, dass das Werk eine kurze "Solokarriere" startete.
    Anacreon war sogar so beliebt, dass es als eines der wenigen Werke noch nach dem Tod Rameaus in Paris und Versailles gespielt wurde (1769 und 1771)



    Ich hoffe mal, dass es irgendwann eine Gesamtaufnahme der ersten Version von 1748 und der letzten Version von 1759 geben wird.




    :hello:

  • Lieber Lullist,

    Zitat

    (es scheint, dass beide Aufnahmen zur Zeit gestrichen sind)


    Da bin ich aber froh, daß mir just am vergangenen Samstag dieser "Anacréon" noch in meine Grapschfinger fiel! Nur habe ich ihn noch nicht gehört - was sich wohl heute noch ändern wird.


    Mir ging es ebenso wie Dir mit den Minkowski-"Surprises": Die Cembali verleihen der Sache geradezu einen "Beat", das Ganze federt und tänzelt und tanzt, daß es eine reine Freude ist. Und man merkt gerade bei dieser Aufnahme (ebenso wie bei Reynes "Osiris"-Einspielung), wie genau Rameau die Klangfarben kalkuliert hat. Der Kerl war ein Instrumentierungsmeister, der in Nichts Berlioz nachsteht!


    Übrigens: Ist Dir schon einmal aufgefallen, wie stark sich desse "Troyens" an den Tragédies von Lully und Rameau orientieren?


    :hello:

    ...

  • Leider habe ich die Oper von Berlioz noch nicht gehört.


    Aber mal eine kurze Szene - und da frage ich mich, warum ich noch keine Aufnahme habe....


    Ach es gibt einfach soviel, man müsste 300 Jahre alt werden um das alles erleben zu können ;(

  • Da habe ich doch in meinem CD-Laden um billiges Abverkaufs-Geld ein Kuriosum entdeckt - und das Ergebnis ist höchst aufschlußreich. Es handelt sich um diese Aufnahme:


    Raymond Leppard hat sich ja schon sehr früh auch um entlegenere Komponisten des Barock gekümmert und sich dadurch zweifellos große Verdienste erworben. Nur: Leppard ist kein Parteigänger der Originalen Aufführungspraxis. Auch in dieser Rameau-Aufnahme macht er falsch, was man falsch machen kann: Vibrato, breite Phrasierung, weicher luxuriöser Schönklang; und die Sänger haben eindeutig ihre großen Romantiker gesungen.
    Kurz: Es ist Rameau unter ausschließlich modernem Blickwinkel. Und wenn man sich in seine Klangwelt vor allem durch Christie und Minkowski eingehört hat, mutet die Sache schon etwas kurios an.


    Aber - und jetzt kommt das große Aber: Es war für mich unglaublich lehrreich, diese Aufnahme zu hören. Und zwar aus dem gleichen Grund, weshalb ich schon einmal mit einem Mitforianer freundschaftlich aneinandergeraten bin: Ich nenne es Pferdeschweif-Erkenntnis - von wegen "Pferd vom Schweif her aufzäumen".
    Wenn man nämlich Rameaus Musik mit diesem Instrumentarium hört, merkt man, wie nahe er immer wieder an der Neuen Musik dran ist. Es gibt Passagen, die klingen wie Strawinskij in seiner neoklassizistischen Phase, manche Akkordverkettungen könnten bei Dukas stehen (und sogar beim frühen Messiaen), dann wieder meint man, Milhaud oder Poulenc zu hören.
    Es ist dieses unglaubliche Gefühl Rameaus für Farbe, und zwar nicht nur für durch Instrumentierung erzeugte Farbe, sondern durch eine Farbe, die durch eine Kombination aus Harmonik und Instrumentierung erzeugt wird. Poulenc nannte es einmal "das Geheimnis der Sauce".


    Natürlich werden mir die Christie- und Minkowski-Aufnahmen immer näherstehen - aber Leppard war eine Erfahrung, die sich für mich gelohnt hat: Nämlich der Beweis, daß nicht nur dynamische Interpretationen Rameaus Werk so neuartig erscheinen lassen, sondern daß die neuartigkeit in der Musik selbst begründet ist.


    Oder kurz: Genie bleibt Genie.


    :hello:

    ...

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  • auch wenn die Leppard Aufnahmen alle nicht HIP sind, in der Zeit in der sientstanden, war das ja noch eher unüblich, sind es für mein Empfinden trotzdem wunderschöne und gelungene Aufnahmen.


    Ich habe noch weitere Aufnahmen von Lully (Pieces de Simphonies) die ich sehr liebe und sehr hoffe,dass diese tolle Aufnahme doch einmal auf Cd erscheint.
    Und seine Einspielungen von Orchesterwerken Rameaus (Le Temple de la Gloire) Campra (L'Europe Galante) und Gretry sind allesamt sehr schön.
    Natürlich merktman ihnen ihr Alter an, aber sie haben einfach einen besoderen Charme.


    Man hat auf seine Aufnahmen ja auch für die großartige "Molière Verfilmung" von Mnouchkine zurückgegriffen.


    Seine Cavalli Aufnahmen kenne ich leider noch nicht, aber ich denke, dass er das zehn Mal besser in den 60er Jahren gemacht hat, als Zedda mit seier fürchterlichen Aufnahme von 2004.


    Außerdem ist die Leppards Aufnahme des Dardanus deshalb schon interessant, da im Gegensatz zur Minkowski Aufnahme die spätere Version gewählt wurde.

  • Lieber Lullist,

    Zitat

    Außerdem ist die Leppards Aufnahme des Dardanus deshalb schon interessant, da im Gegensatz zur Minkowski Aufnahme die spätere Version gewählt wurde.


    Das war der Hauptanreiz, diese Aufnahme in Erwägung zu ziehen - und sie dann angesichts des Preises auch zu kaufen. Ich finde sie insgesamt durchaus gelungen (im Gegensatz zu Leppards früher grausam verstümmelter "Poppea"); allerdings: bei manchen Stellen, wenn die Streicher ihre Septakkorde in vollsaftigem Vibrato ausbreiten, fehlen wirklich nur noch die Ondes Martenot, daß man glaubt, man hört frühen Messiaen.


    Was mich insgesamt etwas stört, sind die sehr abgeschliffenen Konturen, mir erscheint das sehr weich und wattig.


    Übrigens: Wieviele "Dardanus"-Fassungen gibt es eigentlich? Zwei? Oder gibt es auch Zwischenstadien?


    :hello:

    ...

  • Zwischenstadien gibt es bei fast allen Werken Rameaus.
    Im Gegensatz zu Lully hat er nach den Aufführungen Szenen gestrichen deren Wirkung nicht ankam, oder eben neues hinzugefügt und altes gestrichen.


    Lully hat das nie getan.


    Von Dardanus scheint es zwei "Hauptfassungen" zu geben. Die erste Version von 1739 und die zweite Fassungvon 1744.
    Beide Fasungen unterscheiden sich so sehr eben durch diese Nachbesserungen, dass es fast zwei Werke sein könnten.
    Minkowski hat zu seiner Einspielung ja einiges dazu im Booklett geschrieben.


    Wieviele Fassungen es nun aber letztendlich gibt, bzw. was alles umgearbeitet worden ist, kann ich auch nicht sagen, so intensiv habe ich mich damit noch nicht beschäftig.

  • Das Minkowski-Booklet ist tatsächlich aufschlußreich. In einem anderen las ich, daß Rameau es liebte, Korrekturen so anzubringen, daß er über die betreffenden Stellen ein anderes Notenblatt klebte, und zwar so, daß es hochzuklappen war und man auch die ursprüngliche Version lesen konnte. Heute würde man da wohl von einem "offenen Kunstwerk" sprechen.


    Am extremsten fiel es mir im "Anacréon" auf, dessen Partitur ich habe. Was Christie spielt, ist aber nicht eine andere Fassung, sondern ein anderes Werk. Rameau hat das Sujet zweimal komponiert und nicht ein Werk umgearbeitet.


    :hello:

    ...

  • Ich muss leider eure tiefschürfenden Analysen mit der ganz banalen Begeisterung meinerseits unterbrechen, denn ich komme eben aus der Kammeroper von den beiden Balletteinaktern "La Guirlande" /"Zephyre", und ich bin von der Musik hingerissen. Ob sie jetzt vom kleinen Orchester der Kammeroper unter Bernhard Klebel adäquat interpretiert wurde, kann ich nicht beurteilen, schon einmal, weil mir sämtliche Vergleichsmöglichkeiten fehlen. Die Bläser haben jedenfalls nicht so gepatzt wie die des Orchesters "Les Talens Lyriques" vorgestern bei "Ariodante" im Theater an der Wien. Die Inszenierung und Choreographie von Giorgio Madia fand ich sehr pfiffig, er erzielte mit einfachsten Mitteln verblüffende Wirkungen. Das gilt vor allem für das schlichte, ganz in Weiß gehaltene Bühnenbild.
    Natürlich kann sich die kleine Kammeroper keinen Andreas Scholl und keine Angelika Kirchschlager leisten, daher war mir von vornherein klar, dass ich meine üblichen Ansprüche an Sänger hier sehr herunterschrauben muss. Es war weitgehend ordentlich, Diana Higbel als Zélide bzw. nach der Pause als Diane fand ich am besten, schwach hingegen Marelize Gerber (Zephyre) und der Counter Erik Leidal (Myrtil) begeisterte mich auch nicht wirklich.
    Aber insgesamt ein animierender Opernabend, und ich überlege ernsthaft, ob ich nicht noch einmal hingehen soll, denn die Musik hat es mir wirklich angetan 14€ ist diese Produktion allemal wert!
    lg Severina :hello:
    PS: Falls ein Mod findet, dass ich hier am falschen Dampfer bin und der Beitrag zu "Gestern in der Oper" gehört - nur zu!! ;) Aber ich habe den Besuch in der Kammeroper hier angekündigt und dachte.....blablabla......

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  • Ich bin seit gestern dank einer ausserordentlch liebenswürdigen Tamina stolze Besitzerin dreier Rameau-Opern:
    "Les Boreades(Christie /Carsen)
    Les Indes Galantes (Christie/Serban)
    und Les Paladins(Christie/Montalvo) auf DVD.
    Und gespannt wie ein Flitzebogen!
    Auf die Boréades habe ich mich eben bereits gestürzt :angel:


    Gibt es spezielle Threads zu diesen Inszenierungen oder gehört das Alles hierher?


    Fairy Queen

  • Liebe Fairy Queen,
    wenn nicht ein Moderator anders entscheidet, würde ich alles hierher stellen. Rein pragmatische Überlegung: Wenn ein Leser etwas über Rameau-Opern sucht, wird er wohl im Rameau-Thread nachsehen.
    :hello:

    ...

  • Na dann frage ich mal so: hat jemand schon die Boréades in der Christie/Carsen Fassung gesehen und wenn ja, wie findet ihr das?


    Ich habe ein bisschen Probleme mit der sehr kargen und steifen Personenführung, bin aber noch nciht ganz durch. Musikalisch gefällt es mir supergut! :jubel:


    F.Q.

  • Liebe Fairy Queen,
    ich finde die Carsen-Inszenierung sehr, sehr schön. Aber ich muß gleich dazusagen, daß ich bezüglich Ausstattung die Kargheit ziemlich mag.
    Carsen führt die Personen betont ruhig und überläßt die Bewegung der "La-la-la Human Steps"-Tanzgruppe, die ich fantastisch finde: Hier wird "altes Ballett" in neuer Version geboten, nämlich mit dem herkömmlichen Vokabular, das aber neu zusammengesetzt und im Ablauf beschleunigt wird - hat mir zumindest eine Tanzexpertin erklärt. Ich nehme Ballett eher nur auf der Basis "gefällt mir" / "gefällt mir nicht" wahr. Und dieses hier gefällt mir sehr gut.


    Wo es mir aber wirklich kalt über den Rücken gelaufen ist, ist der Auftritt der Nordwinde zu Beginn mit dem Abrupfen des Blumenfeldes, und dann die Sturmszene, also dort, wo Rameau (nicht zum ersten Mal und auch nicht zum ersten Mal in diesem Werk) der Meinung ist, er müsse mal zeigen, daß auch er wie Strawinskij komponieren kann.


    Insgesamt finde ich, daß die Carsen-Regie sehr gut zu dem tragischen und bitteren Unterton des Werkes paßt und auch das Drama nicht mit Assoziationen überfrachtet.


    :hello:

    ...

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  • Lieber Edwin, ich habe mich jetzt durch die erste Cd (bis zum Straf-Sturm nach dem geplatzten Hochzeitsbankett) durchgehört, so dass ich schon etwas mehr dazu sagen kann.


    Zum Ersten: du hast Recht. Die Inszenierung ist sehr gut und insbesondere der in frz. Oper so wichtige Tanz sehr originell integriert.

    Mir gefällt besonders gut , die Herausarbeitung der Kontraste mit scheinbar schlichten modernen Mitteln. Die Szene spiegelt so die Musik und den Duamlismus der Handlung in unserer heutigen Ästhetik wieder.
    Allein die Kostüme und die Farben der Protagonisten-das strenge und "offizielle"Schwarz und Grau der "Machthaber" gegen die lässig, teilweise nur in Unterwäsche und weiss gekleideten "Aufmüpfigen" und dem zigeunerhaften Amor-Knaben, die die Lebensfreude und Liberté preisen.


    Dasselbe Phänomen spielgelt sich im Ballett: ganz besonders genial umgesetzt in der Hochzeitsbankettszene.
    Ich fand das zackige Messer-und Gabel Tisch-Deck Ballett der offiziellen Boréas-Seite im Gegenzug zu den auf den Tischen Tanzenden Liebes-und Freheitsanhängern ganz typisch für den Geist dieser Inszenierung und verstehe nun auch die anfängliche Kargheit der Personenführung als dazu gehörendes Element.


    Die Szene mit denen durch"schwarze Männer" abgemähten bunten Blumen fand ich auch tief beeindruckend und sehr symbolträchtig


    Eine Frage: glaubst Du(oder wer diese Oper sont kennt), dass Carsen mit den gedrillt-zackigen Bewegungen und dem steifen dunkeln Habitus der Figuren(z.B. auch des Kostüms von Alphise und ihrer Beraterin am Beginn) auch die strenge Formalität der Barock-Oper oder das Hofzeremoniell irgendwie karikiert bzw in Frage stellt?
    Oder bezieht sich das ganz allein auf die Handlung der Boréaden strenges Gesetz versus "freie" Liebe?


    F.Q.

  • Inzwischen bin ich sehr günstig an diese gelangt:



    Da ich Kuijken und seine Le Petite Bande schon bei anderen Aufnahmen sehr schätzen gelernt habe, habe ich zugegriffen.


    Im Zoroastre scheint mir zwar musikalisch nichts so Außergewöhnliches zu passieren, wie in "Les Boreades", die ich in der Christie /Carsen-Aufnahme inzwischen auch zu sehen und hören Gelegenheit hatte und bei der auch mich einige Stellen wirklich umgehauen haben, die Musik ist aber auch hier sehr schön. Insbesondere die letzten beiden Akte gefallen mir sehr gut. Soo weit ist Berlioz in seinen Opern wirklich nicht, mußte ich auch an einigen Stellen denken.


    Mit Interpretation und Vokalensemble bin ich eigentlich auch sehr zufrieden. Leisten da Christie oder Rousset noch mehr? Oder spielen sie andere oder teilweise andere Versionen? Kuijken spielt die Version von 1756.


    :hello: Matthias

  • Zitat

    Original von Matthias Oberg
    Leisten da Christie oder Rousset noch mehr? Oder spielen sie andere oder teilweise andere Versionen? Kuijken spielt die Version von 1756.


    Ich habe die Christie-Einspielung:



    Auch hier die Version von 1756. Im Booklet wird erläutert, daß in dieser Fassung einige Tänze gestrichen worden waren; sie befinden sich im Anhang auf der 3. CD. Weil die Quellen der Fassung von 1756 keinen Schlußchor enthalten, entnahm Christie die für die Originalversion von 1749 vorgesehene Ariette mit Chor "Vole, Amour". Da hier die Stimmen der Amélite und des Zoroastre fehlen, griff er auf eine Rekonstruktion von Graham Sadler (Paris, Billaudot, 1999) zurück.


    Am meisten fasziniert mich am Werk die Darstellung der dunklen Mächte, besonders in der Höllenmusik des 4. Akts. Berlioz und auch Mozart (Don Giovanni) sind da sicher nicht mehr so weit entfernt.

  • Hallo Gurnemanz,


    danke für die Information. Dass drei Tanzsätze aus der Fassung vom 1749 gestrichen wurden, dafür 1749 4 Instrumentalsätze hinzukamen, geht auch aus dem Beiheft bei Kuijken hervor. Die 3 gestrichenen Tanzsätze sind aber nicht enthalten. Die Gavotte en Rondeau in a-moll kenne ich aber mittlerweile als La Livri aus den Pieces de clavecin von 1741 in der Christie wie in der Rousset-Einspielung der Cembalo-Werke. Beide Einspielungen der Cembalo-Werke finde ichauf je ihre Weise große Klasse!


    Noch neugieriger macht mich aber dies:


    Zitat

    Gurnemanz:Weil die Quellen der Fassung von 1756 keinen Schlußchor enthalten, entnahm Christie die für die Originalversion von 1749 vorgesehene Ariette mit Chor "Vole, Amour". Da hier die Stimmen der Amélite und des Zoroastre fehlen, griff er auf eine Rekonstruktion von Graham Sadler (Paris, Billaudot, 1999) zurück.


    Dann muß die Christie-CD wohl auch noch her.


    Die Höllenmusik des 4. Akts und insgesamt die "Darstellung der dunklen Mächte" gefällt mir auch besonders gut. Das ist ja meistens so, nicht nur bei Rameau, dass es bei der Darstellung der Finsterlinge musikalisch besonders interessant wird.


    Die Nähe zu Berlioz glaube ich, in manchen harmonischen Wendungen vor allem im 4. + 5. Akt heraushören zu können. Wo hörst du Nähen zu Mozarts Don Giovanni? Das ist mir nicht aufgefallen, weil ich mit Mozart nicht so vertraut bin.


    :hello: Matthias

  • Zitat

    Original von Matthias Oberg
    Wo hörst du Nähen zu Mozarts Don Giovanni? Das ist mir nicht aufgefallen, weil ich mit Mozart nicht so vertraut bin.


    Nun, ich dachte da an Don Giovannis Höllenfahrt und die musikalisch-dramatische Gestaltung des Unheimlichen (etwa durch die Choreinsätze) - ob es hier eine tiefere musikalische Verwandtschaft gibt, mögen Kundigere beurteilen. Kannte Mozart Rameau? Hat er sich in irgendeiner Weise auf ihn bezogen?


    Im Kommentar zu Christies Zoroastre-Einspielung wird immerhin darauf verwiesen, daß Rameau hier Motive der Freimaurer darstellt - wodurch sich vielleicht eine ideelle Brücke zur Zauberflöte bauen ließe.


    Vielleicht wissen die Rameau- und Mozartkenner mehr?

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  • Liebe Fairy Queen,
    ich glaube, dass es Carsen um etwas Anderes geht: Rameau ist ein Meister der Charakterisierung. Ich kenne keinen Komponisten bis hin zu Berlioz, der so genau die Personen charakterisiert; so extrem findet man das nicht einmal bei Mozart. Und gerade dieser Rameau komponiert die Boreaden in völlig identischem Stil. Da steckt eine Absicht dahinter.
    Meiner Meinung nach hat Rameau eine geniale Gegenüberstellung geschaffen: Die "gleichgeschaltete" Welt der Boreaden, in der alle kalt und ohne Individualität sind, und die Gegenwelt, in der nicht nur (ohne Beschränkungen) geliebt wird, sondern in der es vor allem auch Individuen gibt. Während sich Aphise allmählich von den Schranken befreit, verharren die Boreaden völlig in ihrer Welt. Somit sind die Boreaden und Abaris die eigentlichen Gegner, während sich Aphise durch eigene Entscheidung von der einen Sphäre in die andere bewegt. Das zeigt Carsen meiner Meinung nach ziemlich gut. Daß er mit Formalismen beginnt, dann aber zunehmend eine eigene Bühnensprache entwickelt, paßt meinem Gefühl nach sehr gut zu dieser Sicht.


    ****


    Lieber Matthias,
    ich habe sowohl Kuijken als auch Christie - und Christie ist nicht nur wegen des Appendix, sondern insgesamt besser. Kuijken ist für meinen Geschmack etwas trocken, während Christie im vierten Akt wirklich eine Dämonie entfesselt, die den Zuhörer weit vorauskatapultiert, eben zu Berlioz, wie Gurnemanz völlig richtig anmerkt. Da lodern schon die Höllenfeuer der "Damnation", und die Deklamation ist, dank der Flexibilität von Christie und seinem Ensemble, dermaßen modern, daß man sogar schon Chausson zu spüren meint.


    :hello:

    ...

  • Ich muss schon wieder meiner Rameau-Begeisterung Ausdruck geben. Nach den umwerfend intensiven Boréades bin ich nun bei den "Indes galantes" gelandet. In der inszenierung von Serban und dem Dirigat von Christie. Toll gesungen vo nallerelei Stars der Barockszene, diese Oper verlangt ja eine Riesenbesetzung.
    Emotione sei Dank, die mir schon die allerschönsten Opernabende hier beschert hat. :lips:




    Die Musik hat zwar nicht die gleiche herzzerreissende und aus dem Staunen nciht mehr rauskommende Intensität wie in den Boréades, aber das Stück ist so amüsant, so witzig und phantasievoll auf die bühne gebracht, dass Ansehen und -hören einfach high macht . Wer abends Hemden zu bügeln hat, kann mir alle vorbeibringen, wenn dabei Rameau-DVDs in dieser Qualität mitgeliefert werden.
    Um mir das Ganze über ein paar Tage zu erhalten, hab ich nur bis zu den Turcs genereux gehört. Morgen gehts weirter und dann hab ich emotioneseidank ja noch die Paladins!
    Und anschliessend fang ich mit den Boréades wieder von vorne an.
    Celestement!!!!!! :jubel: :jubel: :jubel: :jubel: :jubel: :jubel: :jubel:


    F.Q.

  • Liebe Fairy Queen,
    dann mach Dich einmal auf ein paar Verrücktheiten bei den Incas gefaßt (unglaublich, daß das Publikum diese rein avantgardistische Musik mit ihrer tollkühnen Harmonik bejubelt hat) und auf das Quartett "Tendre amour", bei dem Du nicht wissen wirst, ob Du vor Verzückung heulen oder jubeln sollst. Ich machte etwas, was ich bis dahin nie gemacht habe: Ich unterbrach und hörte mir das Quartett dreimal hintereinander an. Ich kenne nichts Vergleichbares an perfekter Schönheit und Ausdruck und klanglichem Luxus.
    Ach ja, noch ein Tip: Ehe Du die "Sauvages" hörst, mach eine große Fläche in Deinem Zimmer frei, sonst stößt Du Dich beim Jazztanz, in den Du zweifellos verfallen wirst, noch an den Möbelstücken an...!
    :hello:

    ...

  • Lieber Edwin, bei Rameau mache ich mich inzwischen auf Alles gefasst! Aber auf die von Dir genannten Stellen werde ich besonders achten.
    Bei den Boréades hat mich die unglaubliche Harmonik auch so ungehauen und insbesondere der Abschnitt, wo die Boréades -anhänger schon "besiegt" waren und sich das Paar findet. Man, kann es ienfach nciht glauben, was man da hört! :faint:
    Dieser Komponist ist die Überraschung des Jahres und ich bin sehr froh, dass Tamino mich nun angestiftet hat, mehr von ihm intensiver kennenzulernen!


    Mir gefällt aber auch diese ausserordentlich phantasievolle und hervorragend besetzte Serban-Inszenierung der "Indes galantes" prächtig! :jubel:


    Tanzen tu ich sowieso immerzu und blaue Flecken stören mich nciht weiter, solange sie nur am Körper sind.
    Die Gefahr, dass ich vor lauter Begeisterung mein Bügeleisen vergesse und mich verbrenne ist das schon grösser!


    Habt ihr noch DVD -Empfehlungen zu anderen Rameau-Opern?
    Ich habe jetzt schon Panik, keinen Nachschub mehr zu finden......


    Mein Mann ist überigens auch schon mitinfiziert und der ist eigentlich gar kein Barock-Fan.


    Vive Rameau! :angel:

  • Liebe Fairy Queen,
    Dir helfe ich gerne. :D Demnächst soll herauskommen:

    Sollte eigentlich schon da sein, hat sich aber verzögert. Mein CD-Laden ruft mich an, sobald die Sache eingetroffen ist.
    Du hast jetzt die Möglichkeit, Dich zwischen Vorfreude und Qual des Wartens zu entscheiden. :angel:
    :hello:

    ...

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  • Lieber Edwin, ich verkürze mir die VorFREUDE, indem ich meinen Stapel an noch zu sehenden DVDs weiter abbaue.
    Z.B. Drei verschiedene Einspeilungen des Parsifal..... Ja, die erzieherischen Tamino-UPS-Männer kennen da keine Gnade. :wacky: :faint:
    Aber in Vorfreude auf Rameau werde ich das viel leichter überstehen-zumal der Syberberg Parsifal wirklich gut sein soll... sagte man mir noch in Frankfurt aus berufeneml Munde.


    Sag bitte Bescheid ,wenn der "Castor et Pollux "draussen ist!


    F.Q.

  • Liebe Fairy Queen,

    Zitat

    zumal der Syberberg Parsifal wirklich gut sein soll.


    Und ob! Es wird Dir auch das Klangbild entgegenkommen: Ein sehr leichter, durchsichtiger Klang mit zügigen Tempi und praktisch frei von Pathos. Qualitätsmerkmal: Die "echten" Wagnerianer haben diesen "Parsifal" gehaßt. Und nicht nur wegen der epochalen szenischen Deutung.
    :hello:

    ...

  • Lieber Edwin, die Incas habe ich mir inzwischen auch einverleibt-und was dei Verrücktheiten angeht ist mitr insbesondere das Trio aufgefallen, wo der Inca-König und die Orchesterbegleitung gegen das Liebesduett laufen. Sowas hab ich vor 19OO eigentlich noch nie gehört-very strange indeed!!!!


    Und die Arie "Hymen viens" der Prinzessin mit der Flöte und sonst fast ncihts ist auch der Hammer. Habe mir schon die Noten beschafft-celestement!
    diese inszeenirung ist so ungleuvlich phantasievoll und auch der tanz und die Kostüme so kongenial das man wirklic haus dem Jubeln und Heulen vor lauter schönheit nciht mehr rauskommt. Icv hküsse Emotione jeden einzelnen Zeh dafür!!!!!! :jubel: :jubel: :jubel:
    Und nehme mich wirklich total zusammen, immer nur einen Teil einzeln zu geniessen.
    So was nennt man musikalische Lustmaximierung! :angel:


    Wagner kann da noch lange warten.......


    F.Q.

  • Liebe Fairy Queen,

    Zitat

    und was dei Verrücktheiten angeht ist mitr insbesondere das Trio aufgefallen, wo der Inca-König und die Orchesterbegleitung gegen das Liebesduett laufen.


    Gelt, das ist wirklich unglaublich, was sich da abspielt. Und der Vulkanausbruch? Wenn das Orchester allmählich zu beben anfängt und in schließlich wirklich in Raserei endet? Ich bin nur noch offenen Mundes dagesessen... Die Arie mit der Flöte - ja, das ist es, das kann nur ein Franzose schreiben! Diese Delikatesse, wie Singstimme und Flöte einander umranken, dabei diese genau abgetönten Farben, einfach sagenhaft.
    So, jetzt ist es soweit - so lange dauern die "Incas" ja nicht, muß sie mir gleich wieder zu Gemüte führen.
    :hello:

    ...

  • Lieber Edwin, wir sollten mal ein Rameau-Meeting ins Auge fassen und einen Wettbewerb veranstalten: wer fällt zuerst vor Entzücken in Ohnmacht....... :faint: :faint: :faint:


    Ich bin über die Incas leider gestern noch nciht herausgekommen, werde aber weiter hier mit Deiner Unterstützung so berichten, dass Rameau am Ende keinem einzigen Tamino mehr fremd sein wird!!!!!!



    Was Gesangs und Flöte angeht, da sind die Franzosen wirklich Spezialisten: kennst du z.B. die Lieder von Albert Roussel nach Texten von Ronsard-Flöte mit Gesang ohne sonstige Begleitung??"Ciel aer et vent" und Rossignol , mon mignon".


    Ich habe aber noch eine Frage zu den Turcs: kannte Mozart den Rameau?
    Die Ähnlichkeit des Bassa Selim und des hier dargestellten Türkenpotentaten, der ebenso unglücklich liebt und dann all seine Grossmut zeigt, kam mir doch serh "verdächtig" vor. Oder war das ein Operntopos des ganzen 18. Jh?


    F.Q.

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