Hänsel & Gretel: Sozialdrama oder "nur" romantisches Märchen?

  • Zitat

    Also, für mich ist es keine Frage von "entweder" und "oder". Es kommt auf die Gewichtung an. Das ist ja gerade das Schöne an den ganz großen Opermeisterwerken, dass sie so facettenreich sind. Clemens, es gibt eine sehr, sehr gelungene deutsche Verfilmung des Märchens aus dem letzten Jahr. Hast Du die gesehen?


    Wenn Du diese hier meinst



    dann ja. Den Film hab ich vor ein paar Monaten witzigerweise zufällig mit meinen Neffen im TV gesehen. Hat mir als Verfilmung der Grimm-Version sehr gut gefallen (abgesehen von der Hexen-Szene). Die Atmosphäre war durch ihre naturalistische Kargheit sehr nah am Ton der Grimmschen Erzählweise. Mir gefällt bei Grimm´s ja gerade die Kargheit der Sprache und der Bilder, die dadurch gezeichnet werden. Das trifft auch genau das, was ich unter "Romantik" oder "märchenhaft" verstehe - das hat nämlich mit blumigen oder romantisierend-kitschigen Ausschmückungen nichts zu tun. Das ist ja im Grunde eine sehr harte, faktische Erzählweise:


    Vor einem großen Walde wohnte ein armer Holzhacker mit seiner Frau und seinen zwei Kindern; das Bübchen hieß Hänsel und das Mädchen Gretel. Er hatte wenig zu beißen und zu brechen, und einmal, als große Teuerung ins Land kam, konnte er das tägliche Brot nicht mehr schaffen.


    Und mein Eindruck ist, das man heute unter romantisch und märchenhaft was anderes versteht, da wird unglaublich viel ausgeschmückt - oft eben auf Kosten des Elementaren. Im Märchen ist der Wald "tief" - heute ist er Heimatfilmgrün, mit roten Fliegenpilzen, Disney-Häschen und Elfen mit silbernen Zauberstäbchen... :kotz:

  • Ja, genau den meine ich. Was gefiel Dir nicht an der Hexenszene? Gerade die Hexe fand ich genial! Da war der Wahnsinn spürbar. Und dann die Beleuchtung und der Schnitte. Ganz toll: Die Nachtsszene mit dem Nebel, wo man für einen Sekundenbruchteil einen Frauenschatten zu sehen glaubt. Wow!


    Noch was zu Deinem Verständnis von Kitsch: Fällt dann für Dich die schon blumigere Sprache Andersens unter Märchenkitsch? Wie sieht's bei Maeterlinck aus? Rosmer? Hauff?

  • Zitat

    Was gefiel Dir nicht an der Hexenszene?


    Um das zu beantworten, müsste ich den Film ehrlich gesagt nochmal sehen. Ich erinnere mich nur, daß mir diese Szene nicht besonders zugesagt hat.


    Zitat

    Noch was zu Deinem Verständnis von Kitsch: Fällt dann für Dich die schon blumigere Sprache Andersens unter Märchenkitsch? Wie sieht's bei Maeterlinck aus? Rosmer? Hauff?


    Nein, da hier die "blumigere" Sprache ein Stilmittel ist und keine sinnlose Ausschmückung. Das ist bei den Kunst- oder Autorenmärchen - besonders des Fin de siècle - aber auch eine andere Qualität als bei den Volksmärchen. Wobei es natürlich auch unterschiedliche Facetten bei den von Dir genannten Dichtern gibt. Mir gefällt diesbezüglich auch Oscar Wilde sehr gut. Bei Maeterlinck und Rosmer (bzw. Bernstein-Porges) ist das manchmal für mich schon etwas grenzwertig. Die Königskinder-Dichtung finde ich z. B. sehr musikalisch, ob ich aber als Sprechtext Freude dran hätte, bezweifel ich etwas. Denn so wunderschön ich die Lautmalerei und Sinnlichkeit in dem Text finde (Beispiel: "Du Tagholde! Du Nachtsüße! Rosenerschlossen mir erblüht in der Brust - glutüberflossen zu dämmernd und innig und weicher, tiefheisser Lust. Muss ich es lassen, daß Hunger und Frost dich zu grabe blassen!") , so sehr ecke ich oft an mancherlei Sinnlosigkeit an, die ich dann schon wieder als Kitsch empfinde.

  • Clemens, geh mal auf die Seite des Salzburger Marionettentheaters. Da findest Du einen kurzen Einspieler aus deren Hänsel-Produktion. Sie haben einen Kniff verwendet, den ich auch mal angewendet habe: Die gute alte Drehbühne. So wird das Verlaufen der Kinder im Wald plausibler.


    LG und viel Spaß,


    Christoph

  • Die Seite kenne ich natürlich schon. Trotzdem Danke! :)


    Zitat

    Original von Knusperhexe
    Sie haben einen Kniff verwendet, den ich auch mal angewendet habe: Die gute alte Drehbühne.


    Man sollte sich seine Regieeinfälle und -kniffe eben sofort urheberrechtlich schützen lassen... ;) :baeh01: :lips:

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  • Was mich aber noch interessieren würde: welche Aufnahme verwendet das Salzburger Marionettentheater. Ich bilde mir ein, alles was von Humperdinck auf CD erschienen ist zu kennen. Aber die Aufnahme die dort verwendet wird, sagt mir gar nichts. Dabei würde ich für eine Aufnahme mit Annette Dasch als Gretel meine Seele verkaufen... :stumm:
    Die übrigen Sänger sagen mir aber auch nichts.


    Tonaufnahmen:
    Imboccallupo Ensemble


    Musikalische Leitung:
    Andreas Schüller


    Sänger:
    Annette Dasch, Christina Naude, Martina Hamberg-Möbius, Giedre Povolaitite, Bin Lee, Akiko Hoyashida, Eckhard Glauche, Jörg Gottschick


    Kann jemand damit was anfangen? Imboccallupo Ensemble - nie gehört ?( ?( ?(

  • Lieber Clemens,
    falls Du mal wieder hier im Forum mitliest, hier eine kurze Antort auf Deine obige Frage (schon etwas älter):


    Das Inboccalluppo-Opernensemble ist eine junge Truppe, die in Berlin-Neukölln Opern aufführt. (Die Berliner Taminos wissen vielleicht mehr darüber)
    Da Anette Dasch Berlinerin ist, halte ich es für möglich, dass Sie da mal in ihren Anfängen mitgesungen hat. Der musikalische Leiter damals, Andreas Schüller, ist inzwischen Kapellmeister an der Wiener Volksoper.
    Im Jahre 2002 war er als Assistent bei den Salzburger Festspielen. Das erklärt vielleicht, dass seine "Hänsel und Gretel"-Aufnahme beim Salzburger Marionettentheater gelandet ist und dort als Soundtrack für das Puppenspiel verwendet wird!


    LG

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

  • Meine Lieben,


    Von "Hänsel und Gretel" gibt es ziemlich viele Ausgaben und man könnte lange diskutieren, welche die besten sind.
    Ganz vorzüglich jedenfalls und versehen mit dem besten Vater, den ich mir vorstellen kannn, nämlich Josef Metternich, ist die Karajan-Einspielung von 1953:



    Gretel: Elisabeth Schwarzkopf
    Hänsel: Elisabeth Grümmer
    Hexe: Else Schürhoff


    Außerdem noch zwei eher selten zu hörende Sängerinnen: Die Mutter gibt Maria von Ilosvay (Budapest 1913-1987 Hamburg), die jahrelang ebenfalls zur ersten Garde gehörte. Von ihr gibt es immerhin eine Preiser-CD.
    Das Sandmännchen wurde Anny Felbermayer (geb.1927) anvertraut, die 1951-82 Ensemblemitgleid der Wiener Staatsoper war und nie ganz in die erste Reihe vordrang, obwohl sie namentlich eine ausgezeichnete Mozartsängerin war.


    Diese Besetzung wird den damit verknüpften Erwartungen voll gerecht, auch Karajan agiert hier ohne Mätzchen und ganz in seinem Element. Er musiziert das Romantische geradezu exemplarisch aus (besonders schön die "Pantomime" am Schluß des 2.Akts).


    LG


    Waldi

  • Habe einen wunder-, wunderschönen Entwurf zum Hänsel von Eduard Leffler für die Wiener Staatsoper gefunden. Der Wald ist ganz finster gehalten und die Engelstreppe im feistesten Jugendstil!!! Was muss das für ein festlicher Anblick gewesen sein. Wenn ich dagegen an den Aufmarsch der Teddybären oder Clowns in den heutigen Inszenierungen denke. Brech!


  • Ich kann mich Waldis Empfehlung nur anschließen - eine wunderbare Aufnahme!! (ich habe sie außerdem um 5,99€ erobert, was sie mir doppelt lieb macht ;) )
    lg Severina :hello:

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  • Zitat

    Original von Severina:[I]
    Ich kann mich Waldis Empfehlung nur anschließen - eine wunderbare Aufnahme!! (ich habe sie außerdem um 5,99€ erobert, was sie mir doppelt lieb macht )
    lg Severina


    Herzlichen Glückwunsch!
    Hier hättest Du für das Geld 3 Stück bekommen, bei 2001 kostet die Pappschachtel mit den 2 CDs nur noch ganze 1,99 !


    LG

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

  • Zitat

    Original von Harald Kral
    Hier hättest Du für das Geld 3 Stück bekommen, bei 2001 kostet die Pappschachtel mit den 2 CDs nur noch ganze 1,99 !


    Jetzt weiß ich endlich, warum es am Rhein so schön ist! Bei solchen Preisunterschieden zu Wien werde ich das Ausmaß von Haralds Opernsammlung erst bei meiner fünften oder sechsten Wiedergeburt erreichen...


    LG


    Waldi

  • Zitat

    Original von Walter Krause
    ...
    Diese Besetzung wird den damit verknüpften Erwartungen voll gerecht, auch Karajan agiert hier ohne Mätzchen und ganz in seinem Element. Er musiziert das Romantische geradezu exemplarisch aus (besonders schön die "Pantomime" am Schluß des 2.Akts).
    ...


    Abgesehen davon, dass ich deine Auffassung über diese Aufnahme teile, ersuche ich dich, mir eine Aufnahme zu empfehlen, wo Karajan "mit Mätzchen" dirigiert. Ich möchte das endlich kennen lernen.


    ;)

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Zitat

    Original von Theophilus
    Abgesehen davon, dass ich deine Auffassung über diese Aufnahme teile, ersuche ich dich, mir eine Aufnahme zu empfehlen, wo Karajan "mit Mätzchen" dirigiert. Ich möchte das endlich kennen lernen.


    Lieber Theophilus,


    Immer dann, wenn er übertrieben mit geschlossenen Augen dirigierte. Dadurch hat er Sänger manchmal in Schwierigkeiten gebracht, weil er bei Problemen nicht genau wußte , wo er war und keine Hilfe geben konnte. Auswendig weiß ich das im Moment nicht hundertprozentig, aber ich glaube, die Nilsson berichtet, daß deswegen einmal Beirer - ein Sänger, der Dirigentenhilfe unbedingt brauchte - einen wichtigen Einsatz verpaßte, worauf sie selbst auch falsch einsetzte - vom Dirigentenpult kam nichts. Daß sich Karajan bei Aufführungen manchmal nicht sehr darum kümmerte, was vor ihm passierte (ganz im Gegensatz zu seiner intensiven Probetätigkeit) hat mir auch jemand bestätigt, der der selber unter ihm gesungen hat. Weitere Berichte bekräftigen dieses Verhalten. Ich kann mir schon vorstellen, daß sich Karajan im Studio da mitunter besser fühlte.
    In seinen späten Jahren war er mir mitunter ein wenig zu äußerlich (sein letztes Neujahrskonzert rechne ich aber nicht, weil da hatte er große Schmerzen und bot in Relation dazu eine respektable Leistung). Früher ließ ihn sein Sinn für gesunde Effekte weniger im Stich - damit riß und reißt er mich durchaus mit.



    LG


    Waldi

  • Zitat

    Original von Knusperhexe
    ??? Im Libretto gibt es keinerlei Hinweis auf die Kostüme. Da steht lediglich: Kleine, dürftige Stube.


    Nach längerer Abwesenheit hab ich nun heute diesen Thread entdeckt.
    Probe jetzt seit knapp 1 1/2 Monaten Hänsel und Gretel im Theater im Palais in Graz.
    Eine unheimlich stimmige Inszenierung von Christian Pöppelreiter der es, meiner Meinung nach, schafft einen nahezu idealen Mittelweg aus dem Sozialdrama und der märchenhaftigkeit dieses Stücks zu finden. Ich kann jedem nur empfehlen es sich anzuhören ( Termine auf http://www.kug.ac.at ).


    Nun zum Thema.
    Sitze hier mit meiner Partitur und hab mir nochmal die Szenenbeschreibungen durchgesehen. Hierbei steht zu Beginn der ersten Szene:


    "Kleine, dürftige Stube. Im Hintergrund eine niedrige Tür, daneben ein kleines Fenster mit Aussicht in den Wald. Links ein Herd mit einem Rauchfang darüber. An den Wänden hängen Besen in verschiedenen Größen. HÄNSEL, an der Türe mit Besenbinden, GRETEL, am Herde mit Strumpfstricken beschäftigt, sitzen einander gegenüber"


    Nahezu die Hälfte der Beschreibung wird dafür verwendet klarzumachen das es sich hierbei um arbeitende Kinder bzw. um eine hart arbeitende Familie handelt. Dies zeigt IMO mehr als deutlich es für die Libretistin mehr als eine nebensache war in was für armseligen Verhältnissen hier gelebt wird.
    Musikalisch sieht man von vornherein das es sich hierbei um keine romantischen Schönklänge handelt. Humperdinck arbeitet mit unheimlich vielen Akzenten, fortepiani und sforzati um immer wieder die "Nadelstiche des Hungers" darzustellen.
    Überhaupt werden immer solche Worte hervorgehoben die beschreiben wie schwer die Situation für die beiden Kinder ist.
    Einzig Gretel zeigt Optimismus und versucht immer wieder ihren Bruder aufzuheitern was wiederum zeigt das es sich hier nicht um Kinder im heutigen Sinn handelt sondern klarmacht das diese hier aufgrund ihrer Erfahrungen der bisherigen Lebensjahre schon weit reifer sind als es in vielen Inszenierungen dargestellt wird. Immerhin ist es sicher nicht das erste mal das die Kinder in den Wald geschickt werden oder sie gar von ihrer Mutter geschlagen werden.
    Überhaupt merkt man vom Text her sehr schnell das es sich um eine ziemlich realistische Darstellung einer bettelarmen Arbeiterfamilie handelt. Schliesslich ist der Vater später ja auch kurz davor die Mutter mit dem Besen zu schlagen ( In einer englischen Fassung ( Aufnahme Chandos mit Charles Mackerras, leider weiss ich den Autor der Übersetzung nicht ) sagt die Mutter sogar wortwörtlich "that broomstick, don't hit me with that again" ).
    Diese Grundeinstellung ist für mich existenziell für das komplette Stück.


    Zur Pantomime ( Engel ):
    Ich finde die Idee der "Reifwerdung" als Ausdeutung dieser Szene äusserst spannend und schön. Immerhin vollzieht sich durch das Stück auch eine musikalische entwicklung vom dunklen ins Helle bis zum Abendsegen-Choral und dem B-Dur erleuchteten Höhepunkt.
    Motivisch wird das Traummotiv des Sandmanns durch alle möglichen Dur- und vor allem Mollvarianten geschickt was ich eigentlich als verschiedenste Eindrücke interpretiere. Im Traum werden ja Tageseindrücke oder vielleicht sogar Lebenseindrücke verarbeitet was dann mMn in der "Errettung" der Kinder durch die Engel gipfeln könnte. Diese Pantomime ist schon wirklich ein großartiges "Stück im Stück".
    Die Engelsprozession wie sie im Libretto vorgeschrieben wird ist für mich zu statisch und spiegelt so überhaupt nicht den großartigen musikalischen Ablauf wieder, da kann auch keine noch so kunstvoll gestaltete Jugendstil-Treppe etwas daran ändern.


    Zum Schluss:
    Der simple Kitschschluss dem sich mancher möglichweise "lieber entziehen möchte" muss man absolut im entsteherischen Zusammenhang sehen. Das Stück ist von einer solch großartigen Dichte und da kam es ihm sicher nicht zugute das am Schluss ein Kinderchor vorkommen soll. Deswegen ist das Finale musikalisch auch nicht ganz auf dem Niveau des restlichen Stückes sondern wird zu einer "Moral von der Geschicht" was ich aber auf der anderen Seite auch wieder sehr reizvoll finde weil sie in gewisser Weise eine bestimmte Art von Naivität widerspiegelt die der Vater scheinbar besitzt. Ich kann mir irgendwie so richtig schön vorstellen wie seine Frau danebensteht und den Kopf schüttelt und bei sich denkt das Gott ihnen doch nicht die Hand reichen wird sondern das es wieder zurück zur Arbeit und dem spröden Alltag geht.

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  • Michael_Flaschberger


    Vielen Dank für diesen interessanten Beitrag.


    Ein Wort nur kurz zur Ergänzung:
    Die englische Übersetzung der Oper, die der Einspielung von Charles Mackerras bei Chandos zugrunde liegt, stammt von David Pountney.


    Viele Grüße
    Harald

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

  • Zitat

    Original von Walter Krause


    Immer dann, wenn er übertrieben mit geschlossenen Augen dirigierte. Dadurch hat er Sänger manchmal in Schwierigkeiten gebracht, weil er bei Problemen nicht genau wußte , wo er war und keine Hilfe geben konnte. Auswendig weiß ich das im Moment nicht hundertprozentig, aber ich glaube, die Nilsson berichtet, daß deswegen einmal Beirer - ein Sänger, der Dirigentenhilfe unbedingt brauchte - einen wichtigen Einsatz verpaßte, worauf sie selbst auch falsch einsetzte - vom Dirigentenpult kam nichts. Daß sich Karajan bei Aufführungen manchmal nicht sehr darum kümmerte, was vor ihm passierte (ganz im Gegensatz zu seiner intensiven Probetätigkeit) hat mir auch jemand bestätigt, der der selber unter ihm gesungen hat. Weitere Berichte bekräftigen dieses Verhalten. Ich kann mir schon vorstellen, daß sich Karajan im Studio da mitunter besser fühlte.


    Ich habe nachgeschaut und muß korrigieren: Das mit Beirer passierte unter Maazel. Aber die Nilsson berichtet im gleichen Absatz tatsächlich von ähnlichen Problemen mit Karajan, die es offenbar wiederholt gab.


    LG


    Waldi

  • Ich möchte hier einmal sagen, daß für den Komponisten Humperdinck


    Hänsel und Gretel ein romantisches Märchen und kein Sozialdrama war,


    wie man es aus seinen Briefen erfahren kann. Da taucht das Wort


    Sozialdrama garnicht auf.




    :hello:Herbert

    Tutto nel mondo è burla.


  • Lieber Herbert,


    was Humperdinck bearbeitete war ein "Kinderstuben-Weihfestspiel", denn so nannte Adelheid Wette - ohne Ironie! - ihr Spiel. Die Märchenvorlage aus den Kinder- und Hausmärchen hat bei Wette eine sentimental-bürgerliche Vereinfachung erfahren, ob man das gerade als "romantisch" bezeichnen soll, halte ich eher für zweifelhaft (da lese man doch einfach mal ein Märchen von Tieck oder Brentano, dann weiß man, was ein romantisches Märchen ist).


    Was die Quelle angeht, nämlich Grimm, kommst Du sowieso mit dem Märchenbegriff bei "Hänsel und Gretel" nicht weiter. Dass aber die Kinder- und Hausmärchen keine wirklichkeitsbereinigten Märlein sind, kann jeder feststellen, der das Werk in die Hand nimmt. Das besagte Märchen fängt an


    Vor einem großen Walde wohnte ein armer Holzhacker, der hatte nichts zu beißen und zu brechen und kaum das tägliche Brot für seine Frau und seine zwei Kinder, Hänsel und Grethel. Endlich kam die Zeit, da konnte er auch das nicht schaffen, und wußte keine Hülfe mehr für seine Noth.


    Das ist natürlich alles Märchen und kein Sozialdrama :D. Und dadurch, dass aus dem Holzhacker ein Besenbinder geworden ist, ist es erst recht zum Märchen geworden ...


    Gerade wenn man das Märchen liest, hat es sehr wenige märchenhafte Elemente, dafür reicht eine kinderfressende Hexe nicht aus. Im Übrigen ist das Märchen allenfalls noch schärfer in der Aussage, da es dort nicht nur einen Versuch gibt, die Kinder loszuwerden - und am Ende die Versöhnung mt dem Vater gelingt, weil die Mutter inzwischen tot ist.


    Ich bin mit Dir sicher einig, dass man daraus kein Sozialdrama machen muss, dass aber die soziale Frage für das Stück unerheblich ist, lässt sich auf keinen Fall sagen.


    Liebe Grüße Peter

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  • Zitat

    Original von Michael_Flaschberger
    Der simple Kitschschluss dem sich mancher möglichweise "lieber entziehen möchte" muss man absolut im entsteherischen Zusammenhang sehen. .


    Also, ich find's nicht kitschig und gehe als rheinischer Katholik mit Humperdinck und Wette konform.


    Zum Sozialdrama: Wette hat einiges an Sozialkritik eingearbeitet, letztendlich ging es ihr und ihrem Gatten sowie ihrem Bruder aber um die Romantik. Nachzulesen in zig Briefen und Statements.


    Bei Humperdinck bin ich Experte. Habe sogar eine Originalnotenschrift mit Widmung (natürlich nicht mir gewidmet) aus den Königskindern:-)

  • Zitat

    Original von Knusperhexe
    Zum Sozialdrama: Wette hat einiges an Sozialkritik eingearbeitet, letztendlich ging es ihr und ihrem Gatten sowie ihrem Bruder aber um die Romantik. Nachzulesen in zig Briefen und Statements.


    Lieber Knuspi,


    worum es ihr ging, ist das eine, was aber im Libretto steht, das andere. Da ich die Briefe und Statements nicht vorliegen habe (und wenig Lust & Zeit, darein zu schauen), kannst Du mir ja mitteilen, was da unter Romantik verstanden wurde. Es scheint mir dann nicht der Begriff von Romantik zu sein, den die Romantik selbst hatte, die zu einigem, was da bei Humperdinck naiv herüberkommt, doch ein ironisch gebrochenes Verhältnis hatte. Oder verstehst Du jetzt unter "romantisch" märchenhaft? Märchen gibt es aber im Rokoko ebenso wie in der Romantik, im Biedermeier, sogar im Realismus - nur Form und Aussage unterscheiden dann doch z.T. deutlich.


    Dass die Musik im weitesten Sinne romantisch ist, wird von mir nicht bestritten.


    Liebe Grüße Peter


  • Ich habe ebenso keine Briefe oder Statements gelesen, mich aber sehr intensiv mit der Partitur beschäftigt und die Musik ist ( abgesehen vom Schluss ) unheimlich dramatisch und fesselnd komponiert. Leider wird in vielen Interpretationen über so viele Details drübergespielt die der Musik noch so viel mehr Kontur und Aussagekraft geben würden wodurch eben dieses Bild vom "ständigen romantischen Schönklang" entstand. Man muss sich nur mal das 2. Bild genauer ansehen und wird sofort wissen was ich meine, diese gnadenlose Panik der Kinder ist so fesselnd ausgedeutet das mir jedesmal ein Schauer über den Rücken läuft.
    Die Musik ist viel tiefgehender als sie häufig dargestellt wird, dementsprechend muss, für mich, auch die Inszenierung weiter gehen als eine hübsche Geschichte für Kinder in der Vorweihnachtszeit zu erzählen.

  • Zitat

    Original von Michael_Flaschberger
    Ich habe ebenso keine Briefe oder Statements gelesen, mich aber sehr intensiv mit der Partitur beschäftigt und die Musik ist ( abgesehen vom Schluss ) unheimlich dramatisch und fesselnd komponiert. Leider wird in vielen Interpretationen über so viele Details drübergespielt die der Musik noch so viel mehr Kontur und Aussagekraft geben würden wodurch eben dieses Bild vom "ständigen romantischen Schönklang" entstand. Man muss sich nur mal das 2. Bild genauer ansehen und wird sofort wissen was ich meine, diese gnadenlose Panik der Kinder ist so fesselnd ausgedeutet das mir jedesmal ein Schauer über den Rücken läuft.


    Das kommt meinem Verständnis von Romantik auch näher, die ja durchaus nicht die Wirklichkeit aussperrte.


    Zitat

    Die Musik ist viel tiefgehender als sie häufig dargestellt wird, dementsprechend muss, für mich, auch die Inszenierung weiter gehen als eine hübsche Geschichte für Kinder in der Vorweihnachtszeit zu erzählen.


    Dass das Ziel war, eine Oper für Kinder zu schreiben, ist wohl unbestritten. Das heißt aber nicht, dass deshalb die Kinder nur eine geschönte Welt zu sehen bekommen. Und auch die Weihnachtszeit ist ja nicht eine sentimentale auf Weichzeichner designte Zeit - das mag sie für einige heute geworden sein. Dies der Oper zu unterstellen, hieße ja sie zu einem kitschigen Machwerk herabzuwürdigen.


    Liebe Grüße Peter

  • Zitat

    Original von pbrixius


    worum es ihr ging, ist das eine, was aber im Libretto steht, das andere.


    Hey Peter,


    sorry. aber Deine Einstellung finde ich sehr irritierend. Nein im Grunde, arrogant. Und damit wären wir wieder einmal in der lustigen Diskussion: "Werktreue versus "Regie"-theater".


    Zitat

    Original von pbrixius
    Da ich die Briefe und Statements nicht vorliegen habe (und wenig Lust & Zeit, darein zu schauen), kannst Du mir ja mitteilen, was da unter Romantik verstanden wurde.


    Das kann ich leider nicht. Die Wortwahl Humperdincks und der beiden Wettes sind schon eine Offenbarung für sich. Nur so viel: Wer den Wald und die tief empfundene Religiosität aus dem Werk streicht - wie zuletzt die Damen Fassbaender, Thalbach oder Heidenreich - erweist ihm keinen Dienst.


    Und noch etwas zu der von Dir formulierten Zielvorstellung: Ich muss Dich korrigieren. Humperdinck hatte gar keine Zielgruppe. Das Werk ist kein Marketingprodukt. Er ist über das Auftragswerk für's Wohnzimmerspiel seiner Schwester an's Opernkomponieren gekommen. Er hat also komponiert, weil ihn das Sujet fesselte und er so endlich einen Weg gefunden hatte, aus seiner Schaffenskrise, seiner Depression heraus zu kommen. Hierzu gibt es übrigens auch einen gut recherchierten Fernsehfilm des WDR.


    Zuletzt: Ich warne sowohl vor der Verniedlichung dieser Oper, wie vor der regielichen Überinterpretation.


    Beste Grüße,


    Christoph

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  • Zitat

    Original von Knusperhexe


    Hey Peter,


    sorry. aber Deine Einstellung finde ich sehr irritierend. Nein im Grunde, arrogant. Und damit wären wir wieder einmal in der lustigen Diskussion: "Werktreue versus "Regie"-theater".


    Ich bin schon erstaunt, welchen Ausbruch an Unfreundlichkeit diese Feststellung macht, die Du in jedem Buch über Interpretationen finden kannst - dass die Selbstausagen der Autoren über Werke ebenso Interpretationen sind und nicht mehr und nicht weniger Gewicht als jene anderer Hörer/Leser haben. Warum ist es, wenn ich diese Trivialität hier wiederhole, bei Dir "arrogant"? Mit Werktreue vs. Regietheater hat das zumindest bei mir nichts zu tun. Vielleicht nimmst Du einfach mal zur Kenntnis, dass es für mich wichtigeres als Inszenierungen gibt. Ich lese erst einmal, was in Libretto und Noten steht, darüber pflege ich zu schreiben. Habe ich schon einmal geschrieben, dass Deine Einstellung arrogant sei - oder habe ich bisher nicht Deine Vorstellungen Ernst genommen und versucht, in den Kreis der möglichen Rezeptionen einzuordnen?


    Das ist nun meine wiederholte Erfahrung mit Opernfreunden, dass sie weder zu lesen scheinen, was ich schreibe, noch darauf verzichten können, Giftspritzen gegen jene einzusetzen, denen sie unterstellen, dass sie anderer Meinung sind.


    Ich werde Dich in Zukunft nicht mehr Ernst nehmen und auf Antworten bei Dir verzichten. Schreibe weiter von


    Zitat

    Die Wortwahl Humperdincks und der beiden Wettes sind schon eine Offenbarung für sich. Nur so viel: Wer den Wald und die tief empfundene Religiosität aus dem Werk streicht - wie zuletzt die Damen Fassbaender, Thalbach oder Heidenreich - erweist ihm keinen Dienst.


    Und noch etwas zu der von Dir formulierten Zielvorstellung: Ich muss Dich korrigieren. Humperdinck hatte gar keine Zielgruppe. Das Werk ist kein Marketingprodukt.


    Ich will Dich in Deiner Erfahrung in Sachen Oper nicht weiter irritieren, Deine Bereitschaft Argumente anzuhören, ohne sie beleidigend zu werten, nicht weiter überfordern.


    Du hast selbstverständlich Recht. Sei glücklich mit Deinem Humperdinck.


    Mit verbindlichen Grüßen


    Peter

  • Lieber Christoph, lieber Peter,


    noch immer aus der Ferne, die mich zur Sparsamkeit mit meiner Schreibzeit draengt, nehme ich ein igermassen betruebt diesen Zwist zur Kenntnis und wundere mich, denn wie der Beginn des Threads zeigt, waren wir da doch schon erheblich weiter, und Knuspi schien mir durchaus Verstaendnis fuer meine Ueberlegungen zum sozialkritischen Hintergrund der Oper zu haben, die ja nun alles andere als das Libretto nachbuchstabierende Inszenierungen nahe legten.


    Warum auf einmal diese negative Emphase zum untauglichen Anlass?


    Vielleicht waere das aber mal ein in der Tat tauglicher Anlass, sich etwas mehr damit zu beschaeftigen, was wir eigentlich unter "Romantik" in der Musik allgemein und der Oper im Besonderen verstehen, und warum wir gerade diese Oper so gerne als eine romantische begreifen, obwohl sie sich doch mit sehr brutalern Realitaeten beschaeftigt und fuer den kunsthistorisch definierten Zeitrahmen der Romantik aerg spaet dran ist. Nur der Wald und die Engel allein koennen es doch nicht sein. Spaetromantik eben?


    Aber vielleicht ist das einen ganz eigenen Thread wert? Den moechte ich aber nicht von hier aus starten, wenn ich noch einige Tage schreibgehemmt bin.


    Wie waer's Christoph?


    :hello: Rideamus

  • Zitat

    Original von Rideamus
    Warum auf einmal diese negative Emphase zum untauglichen Anlass?


    Lieber Rideamus,


    das ist mir auch nicht erklärlich. Aber das muss wohl so sein, wenn man über Opern redet :angry:


    Zitat

    Vielleicht waere das aber mal ein in der Tat tauglicher Anlass, sich etwas mehr damit zu beschaeftigen, was wir eigentlich unter "Romantik" in der Musik allgemein und der Oper im Besonderen verstehen, und warum wir gerade diese Oper so gerne als eine romantische begreifen, obwohl sie sich doch mit sehr brutalern Realitaeten beschaeftigt und fuer den kunsthistorisch definierten Zeitrahmen der Romantik aerg spaet dran ist. Nur der Wald und die Engel allein koennen es doch nicht sein. Spaetromantik eben?


    Wobei es ja doch mehrere Ebenen hier gibt. Auch beim Entstehen des "Textbuches" sind wir weit von der Romantik weg - und beim Libretto haben wir es (da es ja zunächst unabhängig von der Oper entstand) mit literarischen Epochen zu tun. Die nächste Frage wäre, wie die Musik von Humperdinck zu orten ist und wo und wie sie nun das Libretto erfüllt, über das Libretto hinausgegangen - oder sogar dem Libretto widersprochen hat. Aber der Komplexität der Oper nachzuspüren ist wohl nur eine Sache für arrogante Besserwisser :angry:


    Liebe Grüße Peter

  • Zitat

    Original von Rideamus
    ... fuer den kunsthistorisch definierten Zeitrahmen der Romantik aerg spaet dran ist. Nur der Wald und die Engel allein koennen es doch nicht sein. Spaetromantik eben?


    Lieber Rideamus, lieber Peter,


    Mit Spätromantik kommt man tatsächlich in Schwierigkeiten, aber es gehört - zumindest kunsthistorisch - zu den Spezifika der Zeit um 1900, daß es da eine spezifische Neoromantik gibt (inkludiert auch z.B. einen Neoklassizismus). Typischerweise entdeckt man dann plötzlich die Kunst um 1800 (grob gesagt), also Caspar David Friedrich usw. Die wird zu Anfang des 20. Jahrhunderts groß herausgestellt und im allgemeinen kulturellen Bewußtsein verankert.
    Es ist auch legitim, nach Brücken zwischen der in den 1860er Jahren endenden Spät- und der Neoromantik Ausschau zu halten, und sicher kann man solche Elemente etwa bei Richard Wagner finden. Periodisierungen sind ja immer nur künstliche Verständnishilfen. Ich denke aber, Humperdincks Romantik hat durchaus etwas Bewußt-Reflexives (was ja echte romantisierende Empfindung keineswegs aussschließt) und fügt sich ganz gut in die neoromantische Welle.


    LG


    Waldi


  • Pace, lieber Peter, ich versuche jetzt mal, Knuspi zu verstehen. Was den die Bäume hochtreibt ist weniger der Umstand der Existenz des sogen. Regietheaters (was auch immer das meinen soll), sondern die Tatsache, daß er die Sachen, so wie er sie gerne sehen möchte, einfach nicht mehr geboten bekommt. Das ist freilich zum Mäusemelken, und das meine ich völlig ernst und ohne jede Ironie. In anderen Lebensbereichen kann man ja noch flüchten: wer die zeitgenössische Architektur nicht mag, der kann immer noch in einen Altbau ziehen, wem die Stadt zu laut ist, nun, der zieht aufs Land.


    Bei der Oper hingegen scheint's die Alternativen offensichtlich nicht zu geben. Aus Sicht derjenigen, die moderne Inszenierungsformen ablehnen (Knuspi hat da ja treffliche Gesellschaft bei Alfred), lässt sich immerhin feststellen, daß ich dem Besucher eine gewisse Breite in der Deutungsmöglichkeit wegnehme, indem ich mich auf einen bestimmten Deutungsaspekt festlege. Auf jeden Fall beraube ich diese Fraktion von Opernliebhabern, die ebenso ernst zu nehmen ist wie jede andere auch, ihrer (Wunsch-)Bilder.


    Beide Positionen werden sich wohl kaum vermitteln lassen, jedenfalls dann nicht, wenn die Fraktion Alfred, Knuspi et altri auf ausschließlichen Konservenkonsum verwiesen wird und vom Opernbesuch, wie sie sich das vorstellen ausgeschlossen.


    Und vor diesem Hintergrund köchelt es bei den beiden gewaltig. Wie hier nachzulesen ist. Auch wenn ich ihre Auffassung oft nicht teile, verstehen kann ich's schon.


    In diesem Sinne liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

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