In diesen Tagen kommt bei uns endlich mal wieder ein außergewöhnliches Filmmusical von hohem Anspruch und beachtlicher Qualität heraus. Es handelt sich um Tim Burtons Verfilmung des Musicals Sweeney Todd: The Demon Barber of Fleet Street von Stephen Sondheim mit Johnny Depp, Helena Bonham Carter, Alan Rickman und Timothy Spall.
Zur Verfilmung selbst habe ich, wie bei den meisten Musical-Verfilmungen, ein eher zwiespältiges Verhältnis, auch wenn ich von einem derartigen Unterfangen schon lange keine Originaltreue mehr erwarte. Dazu aber später mehr. Vorerst bietet mir dieser Anlass eine hervorragende Gelegenheit Stephen Sondheim, einem der großartigsten Bühnenkomponisten und -lyriker unserer Zeit, mit seinem vielleicht ambitioniertesten und ergreifendsten, zugleich auch (für Liebhaber schwarzen Humors) komischsten, jedenfalls mit am besten gelungenen Werk einen überfälligen, ersten eigenen Thread zu widmen.
Sondheim lernte diesen Stoff Anfang der 70er Jahre in London als Bühnenstück des Schauspielers Christopher Bond kennen, der darin eine alte Gruselgeschichte im thematischen Umfeld des Klassikers um Jack the Ripper zu einem traditionellen Grand Guignol - Erlebnis verarbeitet hatte. Der für ein Musical absolut ungewöhnliche Stoff reizte ihn, und er konnte den renommierten Regisseur und Produzenten Harold Prince, mit dem er u. a. die Meisterwerke COMPANY, FOLLIES und A LITTLE NIGHT MUSIC auf die Bühne gebracht hatte, trotz dessen anfänglichem Desinteresse davon überzeugen, das Werk in Angriff zu nehmen. Heraus kam eine Beinahe-Oper (das Werk wurde seither fast noch öfter von Opernhäusern als auf Musicalbühnen realisiert) mit durchgängiger Musik, für die sich Sondheim besonders stark von den Thrillerfilmmusiken Bernard Herrmanns (insbesondere dessen HANGOVER SQUARE von 1945) inspirieren ließ.
Die Geschichte lässt sich in wenigen Sätzen zusammenfassen: nach Jahren der Verbannung in eine australische Strafkolonie, die ein korrupter und geiler Richter arrangiert hatte, der es auf die junge Frau des Barbiers Benjamin Barker abgesehen hatte, kehrt Barker unter dem angenommenen Namen Sweeney Todd nach London zurück um sich an den Missetätern zu rächen - eine Ausgangsposition, wie man sie etwa auch von den in der gleichen Zeit in Paris spielenden Geschichten um den GRAF VON MONTE CHRISTO oder LES MISERABLES kennt. Diese aber vermögen ihm zunächst noch zu entgehen, und so weitet sich sein Hass auf die gesamte "bessere" Gesellschaft aus, die ihm auch weidlich Grund dazu gibt. Gemeinsam mit der Pastetenbäckerin Miss Lovett etabliert er einen Barbiersalon, in denen er seinen Kunden nicht nur die Haare ab, sondern auch die Kehlen durch schneidet. Mit dem verarbeiteten Fleisch (es herrscht große Fleischknappheit in London) baut Miss Lovett eine florierende Pastetenbäckerei auf. Natürlich gelingt Sweeneys Rache zum Schluss doch, aber um einen Preis, der letztlich auch ihn und Miss Lovett um Verstand und Leben bringt.
Diese hochmoralische, wenn auch mit genüsslich ausgekosteter Freude am grusligen Detail zelebrierte Geschichte wurde von Sondheim mit einer Partitur versehen, die im besten, d. h. wortwörtlichen Sinne das Prädikat schauderhaft verdient. Angefangen mit seinem Leitmotiv, einer Art "Dies Irae" zum Text "Swing Your Razor High, Sweeney", die nur scheinbar schlichte Moritat vom "Bar and His Wife", die in ihrem untergründigen Sarkasmus ihrem Gegenstück aus der Dreigroschenoper in nichts nachsteht, über die zahlreichen Ensemblestücke und natürlich dem komisch eleganten Glanzstück "A Little Priest", in dem die sehr konkret gemeinten, fleischlichen Eigenschaften von Sweeneys potentiellen Kunden kommentiert werden, steckt das Stück voller musikalisch-textlicher Glanzstücke. Vielleicht lässt sich das Musical, das es auch an fundierter Sozialkritik nicht mangeln lässt, am besten in einem Zitat aus diesem Duett zusammenfassen:
The History of the World, My Dear
Is Who Gets Eaten and Who Gets to Eat.
Irgendwie passt das auch sehr gut in die gegenwärtige Debatte um maßlose Gier, die hier aber, wie bei Tamino alles zu konkret Politische, augespart werden soll.
Ich konnte mir nie vorstellen, dass ausgerechnet dieser Stoff einmal verfilmt würde, und tatsächlich ist es keineswegs unverdient, dass der nicht weniger detailfreudige Film in England erst ab 18 freigegeben ist (die deutsche Verleihversion kenne ich nicht, deshalb frage ich mich, ob die Freigabe ab 16 nicht mit erheblichen Kürzungen erkauft wurde). Aus naheliegenden Gründen beschränke ich mich darauf, den Film nicht für zartbesaitete Gemüter zu empfehlen und darauf hinzuweisen, dass er geeignet ist, nicht nur fantasiebegabten Menschen den Appetit (vor allem, aber nicht nur) auf Fleisch zu verderben.
Das eigentliche Kriterium einer Beurteilung des Flms ist jedoch sein Verhältnis zum Original, und dazu wird zu einem späteren Zeitpunkt sicher noch einiges zu sagen sein.
In späteren Postings werde ich noch näher auf die Qualitäten von Buch und Musik eingehen. Für's Erste möchte ich aber mit der üblichen Aufforderung schließen, Eure eigenen Eindrücke zu diesem Musical und seinen Einspielungen zu schildern, und meine beiden Referenzeinspielungen des Werkes zu wiederholen, einmal die (fast vollständige) Einspielung des originalen Broadwaymusicals auf zwei cd mit der Originalbesetzung Len Cariou und Angela Lansbury:
Und zum anderen die Aufzeichnung der mustergültigen semikonzertanten New Yorker Aufführung in der Übernahme durch San Francisco mit dem San Francisco Symphony Orchestra unter Rob Fisher mit George Hearns und Patti LuPone auf DVD:
Gerade bei dieser Thematik scheint mir eine semikonzertante Version, welche der Anregung der Fantasie durch die Musik genügend Spielraum lässt und sich nicht zu sehr im grauslig-naturalistischen Detail festkrallt, die optimale Lösung zu sein. Ich würde diese DVD daher auch jederzeit einer des Kinofilms vorziehen, so interessant und zuweilen hinreißend auch diese mit Recht für den Oscar nominierte Verfilmung ist. Von dem Erwerb des Soundtracks würde ich allerdings abraten, da er fast nur die Schwächen des Films, darunter problematische Kürzungen, lobenswert bemühter, aber fast durchweg ungenügender Gesang und eine aufgeblasene Instrumentierung, konserviert ohne die kompensierenden, weil überwiegend visuellen und schauspielerischen Qualitäten des Films zu reflektieren.
Bis demnächst in diesem Thread und in gespannter Erwartung Eurer Kommentare zu dem Werk:
Rideamus