Musik der Moderne - Eine Sackgasse (?)

  • Lieber Alfred,


    Zitat

    Original von Alfred_Schmidt


    Das alles fand einige Jahre vor meiner Geburt statt. Mir dabei eine gwewisse Schadenfreude zu unterstellen, das halte ich für unangebracht.


    Das tut auch niemand.


    Zitat

    Original von Alfred_Schmidt
    Ich behaupte lediglich, daß die Entwicklung der Musik auch OHNE politischen Einfluß ein ähnlicher gewesen wäre wie jene die in der Tat stattgefunden hat.


    Und genau dies sehe ich anders. Die aus Deiner Sicht moderne Musik feierte unter Klemperer in der Kroll Oper, Horenstein in Düsseldorf und anderen in den Jahren vor 1933 gute Erfolge. Daß sich hinter der seinerzeitigen militanten Ablehnung unbekannter neuer Musik vorwiegend soziologisch oder psychologische zu ergründende Hintergründe verbergen werden, wird man wohl annehmen dürfen. Insofern ist es tatsächlich unerheblich, ob wir das Jahr 1933 oder das Jahr 2008 betrachten. Billigendes Inkaufnehmen und Wegsehen wird milieuspezifisch auch heute noch geübt.


    Der elementare Unterschied ist freilich derjenige, daß im Jahre 2008 der Künstler frei und ungehindert produzieren kann. Und auf die Anerkennung einer bestimmten Schicht auch gar nicht schielen wird.


    Und um bei der Ameisenperspektive zu bleiben: selbst zu meiner Schulzeit - und das ist schon ein Weilchen her - hatte ich Mitschüler (wir waren etwa 18 Jahre alt), denen ich mit meinen Beethoven, Bruckner und Ravel zu konservativ war und die Stockhausen und Ligety hörten.


    Tatsächlich bin ich immer auf Musikliebhaber gestoßen, die in ihre Liebe zur klassischen Musik die sogen. "Moderne Musik" miteinbezogen haben. Und wie ist es erklärlich, daß ein Festival wie die Musiktriennale Köln abertausende von Besuchern nach Köln lockt und ein Großteil der Veranstaltungen verdammt gut besucht sind? Weil das alles Unfug ist?


    Es ist für mich nicht erkennbar, daß die Entwicklung von Musik im Sinkflug begriffen wäre. Daß aber - und dies, um auf den Ausgangspunk zurückzukommen - durch die Machthaber der Jahre 1933-1945 eine blühende Entwicklung in Musik, Film, Theater, Literatur, Rundfunk (ja, auch da) und Wissenschaft abgeschnitten wurde, dürfte wohl unstreitig sein.


    Und die miefig/piefigen 1950er Jahre der BRD waren auch nicht unbedingt ein gedeihlicher Humus, um an die geistige Frische der 1920er Jahre anzuknüpfen.


    Über die Situation in Österreich kann ich nichts sagen.


    Ich bekomme auch überhaupt keine Panik, was unsere Musiklandschaft betrifft. Zumindest in Deutschland sind wir mit der Fülle an öffentlichen Theatern, Konzerthäusern und staatlich bezahlten Orchestern und Ensembles fast schon verwöhnt. Nicht zuletzt auch durch bürgeschaftliches Engagement.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Lieber Alfred,
    ich nehme an, Du hast meine Argumentation absichtlich mißverstanden - :baeh01:


    Ich sag's daher überspitzt: Die Nationalsozialisten haben meiner Meinung nach wesentlich dazu beigetragen, daß heute so wenige Menschen zeitgenössische Musik hören mögen.
    Das hängt nämlich damit zusammen, was ich zu erklären versucht habe: Dem Abschneiden der Tradition.
    Die Musikgeschichte hat immer wieder zwei parallele Entwicklungsstränge zugelassen: Einen relativ konservativen und einen fortschrittlichen. Und hier haben die Nationalsozialisten regulierend eingegriffen: Der fortschrittliche Strang wurde gekappt (es sei denn, es gab vereinzelte Ausnahmefälle) und der konservative Strang aus "rassischen Gründen" einiger seiner besten Köpfe beraubt.
    Ich glaube z.B., daß, hätten die Nationalsozialisten nicht eingegriffen, eine zeitgenössische Musik in der Korngold-Nachfolge durchaus möglich gewesen wäre. Tatsächlich hat in Amerika niemand die Nase angesichts der melodieseligen Opern Menottis die Nase gerümpft und in England wurde der tonale Britten, nach anfänglicher Skeptik, weil er doch sehr modern klang (!!!), zum Nationalkomponisten. Nur im deutsch-österreichischen Raum waren solche Werke praktisch unmöglich, ohne daß der Komponist seitens des Musikschrifttums einer "bedenklichen Ästhetik" geziehen worden wäre.


    Wenn nun aber das breite Publikum genau diese "bedenkliche Ästhetik" favorisiert, sie aber entweder gar nicht hören kann oder (zumindest zwischen den Zeilen) unter die Nase gerieben bekommt, daß jeder, der das mag, ein halber Nazi ist, dann wird ein Graben zwischen Musik und Publikum herbeigeschrieben, wie er noch nie existiert hat.


    Aber, lieber Alfred, beachte bitte: Auch hier sind die nationalsozialistischen Umtriebe der Knackpunkt. Ohne ihr "regulierendes" Eingreifen wäre die Entwicklung sanfter und für das Publikum akzeptabler verlaufen. Damit sage ich nicht, daß die Avantgarde vor vollen Sälen stattfände und Beethoven an die Peripherie gedrängt worden wäre.
    Ich glaube nur, daß jemand, der eine Mahler-Nachfolge, wie sie etwa bei Wellesz zu finden ist, in sein Musikbild voll integrieren konnte, bereiter ist, sich auch mit Zimmermanns "Soldaten" zu befassen als jemand, dessen Tradition de facto beim "Rosenkavalier" endet. Denn etwas Moderneres haben die Nationalsozialisten nicht (oder nur in vernachlässigbaren Einzelfällen) zugelassen, und etwas ähnlich Konservatives wurde von der Musikpublizistik nach 1945 an den Pranger gestellt.


    Sozusagen haben die Nationalsozialisten nicht nur auf die Entwicklung der Musik einen verheerenden Einfluß ausgeübt, sondern auch auf deren Akzeptanz beim Publikum.


    Gemessen an ihren übrigen Verbrechen, ist dieses freilich eine Kleinigkeit...


    :hello:

    ...

  • Tag,


    noch einen Satz nur in dieser Sache von mir, des bestrittenen Politischen wegen. -


    Das Wortfeld mit 'entarten, entartet, Entartung', bereits gängig im Gebrauch der deutschsprachigen geisteswissenschaftlichen und poetischen Literatur des 18. Jahrhunderts (siehe Hermann Paul, Deutsches Wörterbuch, 10. Auflage 2002, S. 274f.) wurde nur und nur erst durch das Politische und die politische Aktion und Propaganda (als der Intensitätsgrad der Assoziation und Dissoziation von Menschen, Der Begriff des Politischen, Carl Schmitt) mittels des Freund-Feind-Schematismus aufgeladen - und in der Folge dieses Politischen (das zu einer Unpolitik gehörte) heutzutage zu einem Tabu-Wortfeld.


    Freundlich
    Albus

  • Ich glaube, Edwin hat die wesentlichen Punkte noch einmal dargestellt: Die Nazis hinterließen mehr oder weniger kulturellen Kahlschlag, jedenfalls auf dem Gebiet der Musik. Fast alle maßgeblichen Komponisten emigrierten und eine ganze Reihen wurden ermordet (Schulhoff, Haas, Krasa usw.)
    Unter diesen befanden sich viele, die man irgendwie zwischen die Avantgarde in der Schönberg-Nachfolge und populäreren Strömungen wie Spätestromantik oder Neoklassizismus einordnen würde. Hätten die unbehelligt arbeiten können, wäre es nicht später zu solcher einer Polarisation zwischen Ablehnung von aller Musik nach Rosenkavalier und wehrhafter Avantgarde gekommen.


    Aber das ist nur ein Aspekt. Denn zum einen wurden in den 50er Jahren "gemäßigt moderne" Komponisten wie Hartmann, Hindemith, Martin, Orff, Egk, Von Einem, Liebermann durchaus aufgeführt und eingespielt, egal ob sie den Nazis nahegestanden hatten oder nicht. Trotz dem fraglosen Einfluß der Vertreter des Serialismus usw.
    Zum andern gibt es äußerst avancierte Musik mit entsprechendem Polarisationspotential ab den 40er/50ern mindestens ebenso in den USA und Frankreich, z.B. Cage und Boulez, auch wenn die Festivals in Darmstadt und Donaueschingen stattfanden.


    Es hat sich nur in den letzten 40 Jahren irgendwie erwiesen, dass eine Reihe der gemäßigt modernen (wie Egk etc.) von ein paar Werken abgesehen, kaum oder gar nicht beliebter beim Publikum sind als die zunächst verstörende Avantgarde. Das mag vielleicht einfach an der Qualität der Komponisten liegen (dass etwa von den Gemäßigten die schon genannten Britten und Schostakowitsch einfach interessantere Werke schrieben als die aus dem deutschsprachigen Raum). Oder daran, dass es eben ein "waghalsiges" Publikum für Avantgarde gibt/gab, dem diese Stücke zu bieder waren, und demgegenüber ein erzkonservatives, dem Mahler eigentlich schon zu modern war, das daher auch keinen Hartmann hören mag.
    Überdies könnte es ja auch der Fall sein, dass "extreme" Werk oder Kompositionsverfahren wie sie von Schönberg, Webern oder Cage vorgegeben wurden, faszinierendere Paradigmen für brillante junge Komponisten nach dem 2. WK darstellten als Hindemithscher Neoklassizismus oder -barock....


    Schließlich noch zur Beruhigung Alfreds:
    Der Eindruck, das Forum verkomme, zu einem Tummelplatz der Moderne, ist völlig falsch. Er entsteht nur durch die von Dir gestarteten Provokationsthreads. An *inhaltlichen* Threads besteht keinerlei Dominanz. Auf den jeweils ersten Seiten der wichtigsten Foren finde ich im Hauptforum threads zu Leifs, Vasks und 2 zu Messiaen, im Orchestermusik eine zu Krenek, zwei zu Schostakowitsch (alle ziemlich kurz) und einen zu Violinkonzerten, bei der Kammermusik, je einen zu Kodaly und Bartok, bei Klavier je einen zu Schostakowitsch und Rzewski (Skrjabin und Satie zähle ich mal nicht zur gefürchteten Moderne), bei der Oper einen zu Schoeck (sehr kurz), einen zu Orff, einen zu Bartok.


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Lieber Johannes,

    Zitat

    Es hat sich nur in den letzten 40 Jahren irgendwie erwiesen, dass eine Reihe der gemäßigt modernen (wie Egk etc.) von ein paar Werken abgesehen, kaum oder gar nicht beliebter beim Publikum sind als die zunächst verstörende Avantgarde. etc.


    Und genau da sind wir bei einem der für mich wichtigsten Punkte: Die Publikumsakzeptanz. Die richtet sich nämlich keineswegs danach, ob das Werk nun in einer konservativen oder avancierten Sprache geschrieben ist, sondern danach, ob es eben das Gewisse Etwas hat.


    Ich will das mit Beispielen verdeutlichen. Egk stand zuerst links, war dann ein Nazi der ersten Stunde, komponierte eine Oper mit eindeutig antisemitischen Untertönen ("Die Zaubergeige" - nach 1945 in einer Neufassung "gereinigt"), schrieb ein Lied für die HJ und war überhaupt einer der meistgeförderten Komponisten des Regimes. Seine Musik basierte von allem Anfang auf einer klaren Tonalität, wobei die tonalen Akkorde jedoch chromatisch geschärft wurden. Diese Schärfungen wurden durch die Instrumentierung zu Farbwerten, es gab allenfalls ein paar zögerliche bitonale Prägungen. Insgesamt kommt man Egks Stil am besten bei, wenn man sich einen derben, melodiscfh geschmacksbefreiten Poulenc vorstellt.
    Nach 1945 erinnerte sich Egk plötzlich seiner linken Jugendtage, log sich eine Biografie zusammen, die ihn nahezu zum Widerständler machte und näherte sich musikalisch vorsichtig zwölftönigen Feldern an, was gar nicht schwer war, er brauchte nur die Zahl der chromatischen Reiz- und Nebentöne erhöhen, was seinen Stil keineswegs beeinträchtigte.


    In dieser Sprache hatte er auch einen echten Erfolg, nämlich den "Revisor". Meiner Meinung nach ist das allerdings auf Gogols geniales Stück zurückzuführen, das auch von Egks selbstgestümpertem Libretto nicht ruiniert werden konnte. Sieht man nämlich genauer hin, ist der "Revisor" eine Oper ohne Melodien, die Komik kommt eher durch die Situationen auf der Bühne als durch Dialogwitz oder gar musikalische Komik zustande. Dennoch: Das Publikum mochte das Stück gerne.
    Zumindest eine zeitlang.
    Und dann verschwand Egks "Revisor" in der Versenkung.


    Vor einiger Zeit wurde nun im bekanntlich konservativen Wien dieser "Revisor" wieder ausgegraben, und wer sich für neue Opern interessierte, pilgerte ins Jugendstiltheater, wo er in einer exzellenten Aufführung gezeigt wurde.
    Und jetzt kommt's: Das Publikum reagierte praktisch gar nicht. Das Stück verpuffte, man sah sich an, zuckte die Schultern und applaudierte, weil sich die Mitwirkenden einen derartigen Flop nicht verdient hatten.


    Im selben Haus waren echte Publikumserfolge: "Death in Venice" (Benjamin Britten), "Die Teufel von Loudun" (Krzysztof Penderecki) und "Le Grand Macabre" (György Ligeti).
    Gut, Britten ist relativ konservativ (wenn auch wesentlich avancierter als Egk) - aber Pendereckis Cluster-Orgie? Und Ligetis grelle postmoderne Farce?
    Wenn das Publikum wirklich auf Neue Musik nicht ansprechen würde, hätte es anders sein müssen: Der Erfolg hätte Egk zugute kommen müssen, Britten ein Achtungserfolg, Penderecki und Ligeti wären gefloppt.
    Das aber eigentlich nur als Parenthese.


    Jetzt kommt der Punkt: Wurde Egk am Ende von den Journalisten mit Nazi-Vorwürfen totgeschrieben? - Keineswegs! Es gelang ihm sogar, bei den Salzburger Festspielen seine "Irische Legende" unterzubringen, und an der Münchener Staatsoper wurde die "Verlobung in San Domingo" uraufgeführt. Egk war ein Komponist, der sich trotz seiner angebräunten Vergangenheit nicht um Aufführungen sorgen mußte, zumal ja auch der potente Schott-Verlag hinter ihm stand.
    Aber ein Stück nach dem anderen floppte - und zwar nicht bei der Presse, sondern beim Publikum. Hatte die Entnazifizierung auch den musikalischen Geschmack verändert?
    Natürlich nicht - obwohl das Ganze schon auch mit den Nationalsozialisten zu tun hatte.
    In Ermangelung wirklich guter Komponisten war eben Egk etwas höher aufgestiegen, als es bei einer kontinuierlichen Entwicklung passiert wäre. Oder, um es mit ein paar Beispielen zu sagen: Hätte Weinberger nicht auswandern müssen, hätte sein genialer "Schwanda" die bestenfalls talentierte "Zaubergeige" überflüssig gemacht; wären Korngold, Wellesz, Krenek, Gál und Weill nicht verjagt worden, hätte Egks "Peer Gynt" nicht einmal eine Chance gehabt.
    (Auf dem Gebiet der symphonischen Musik läuft es ähnlich - Johann Nepomuk David als Hindemith-Kopist hätte gegen den "echten" Hindemith keine Chance gehabt, wenn die Nationalsozialisten den Konkurrenzkampf zugelassen hätten.)


    Und nun steht man nach dem nationalsozialistischen Musik-Kahlschlag folgendermaßen da:
    1) Erfolgreiche konservative Komponisten sind ausgewandert und dem Bewußtsein entschwunden.
    2) Die konservativen "erfolgreichen" Komponisten, die im Bewußtsein verankert sind, sind in der Regel drittklassig.
    3) Die Avantgardisten sind im Bewußtsein nicht verankert, der Unterbau ebenfalls nicht mehr (weil ja die Linie Mahler-Schreker-Zemlinsky gekappt worden war).
    4) Die Musikpublizistik neigt zur Förderung der Avantgarde.
    5) Junge Komponisten, die aufgrund ihres Alters gar nicht in den Verdacht einer Verstrickung mit dem NS-Regime kommen können, orientieren sich eher an der Avantgarde - was aber nichts Besonderes wäre, nur, daß erstmals dem Bewußtsein des Publikums die Vätergeneration dieser jungen Komponisten abhanden gekommen ist.


    Diese Orientierungslosigkeit bewirkt eine Polarisierung sowohl des Publikums als auch der Musikpublizistik, bei der sich letzten Endes die Avantgardisten als die stärkeren (weil entsprechend verlagsgestützten) erweisen, sprich: Die Aufführungen kommen zustande, aber sie finden vor einem kleinen Publikum statt, das begeistert applaudiert, während die erfolgversprechenden Werke der neueren Musik (Korngold, Schreker etc.) nicht gespielt werden.


    In diesem Gefüge die verheerende Rolle der nationalsozialisten zu leugnen, ist zwar bequem, aber schlicht und einfach eine Musikgeschichtsunwahrheit.


    Eine Normalisierung kommt eigentlich erst durch die Postmoderne zustande, die quasi auch rückwirkend funktioniert und einige Meisterwerke zutage fördert, die von 1933 bis (rund) 1980 nicht erklungen sind.
    Die Problematik dabei ist, daß freilich auch diese "Wiederentdeckungen" nur als Phänomene wahrgenommen werden, aber nicht ins Repertoire dringen.


    Wie eine vom Nationalsozialismus ungebrochene Entwicklung aussehen kann, ist etwa in Großbritannien wahrzunehmen - etwa in den 60-er Jahren:
    - Ralph Vaughan Williams (konservativ) ist noch nicht lange tot und gilt als der große englische Symphoniker. Einige Komponisten arbeiten nach wie vor in dieser Tradition weiter.
    - Benjamin Britten (gemäßigt modern) ist auf dem Höhepunkt seiner Schaffenskraft und als lebender britischer Nationalkomponist unumstritten.
    - Peter Maxwell Davies und Harrison Birtwistle (Avantgarde, sogar im mitteleuropäischen Verständnis) scharen ein zunehmend begeistertes Publikum um sich und werden auch von bedeutenden Orchestern und Opernhäusern gespielt.
    - Sonderentwicklungen gibt es auf konservativem (Arnold) Terrain ebenso wie auf gemäßigt modernem (Tippett, Thea Musgrave) und modernem (Tavener, damals ein Ultramodernist).
    Obwohl es zu Polarisierungen und teilweise sogar Skandalen kommt, ist das Publikum für alle diese Spielarten der zeitgenössischen Musik vorhanden. Neue Musik wird weder ins Ghetto abgeschoben noch über die maßen glorifiziert. Alles geht seinen natürlichen Gang, die Entwicklung findet unverkrüppelt durch politisch regulierte Aktionen und zwangsläufige Reaktionen nach Ende der bestimmten Politik statt.


    Wenn etwas Derartiges auch im Deutschsprachigen Raum stattfinden hätte dürfen, wären wütende Anti-Moderne-Threads wie dieser bestenfalls ein Kuriosum, aber kaum der Aufmerksamkeit wert.


    Da dieise ungebrochene Entwicklung bei uns aber nicht stattfinden hat dürfen, sind solche Threads ein wunderbarer Ort, um die Zusammenhänge aufzuzeigen und dem Irrtum entgegenzutreten, daß zeitgenössische Musik a priori kein Publikum hat.


    :hello:


    P.S.: Übrigens: Wenn zeitgenössische Musik so absolut kein Publikum hat, wie Alfred meint: Wie hat es dann die Dritte Symphonie des zeitgenössischen aus der polnischen Avantgarde hervorgegangenen Komponisten Henryk Mikolaj Górecki an die Spitze der Pop-Charts gebracht? Ich verkneif' mir jetzt einmal die Frage, ob dort auch schon einmal eine Aufnahme der "Paukenschlag-Symphonie" gestanden ist...

    ...

  • Zitat

    Original von Klawirr
    (die Kombination von Reihentechnik und tonalen Elementen ist übrigens gar nicht so selten, da kannst schon seit den 1970ern und 80ern so einiges finden, etwa bei R. Febel, H. Winbeck, M. Trojahn und einer ganzen Reihe weiterer Komponisten, die nach 1940 geboren sind).


    Ich hätte jetzt eher an Berg gedacht ...
    ;)

  • Zitat

    Original von Draugur


    Das war eine Frage (eine ehrlich gemeinte, keine rhetorische)


    In der Schwertsik-Klasse soll es schon Studenten gegeben haben, die etwa im Schubert-Stil komponierten. Schwertsik ist vor ein paar Jahren in Pension gegangen.
    :hello:

  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner
    Meiner Meinung nach hat aber die Postmoderne diese Diskussion überflüssig gemacht. Und so kann heute ein avantgardistischer Ansatz neben einem (scheinbar) konservativen bestehen, ohne daß aus der Orientierung allein Vorwürfe erwüchsen.


    ... solange er scheinbar ist ...
    ;)
    (zumindest in Klammer)

  • Zitat

    Original von Rideamus
    Die sogenannten postmodernen Komponisten, die dem Hörer wieder weitaus bereitwilliger entgegen gehen als das eine Zeit lang Mode war, haben das begriffen und werden, dessen bin ich sicher, mittelfristig auch dafür sorgen, dass "moderne" Musik auch wieder in breiteren Kreisen gehört und geschätzt, vielleicht eines Tages sogar wieder populär wird.


    Ich bin da sehr skeptisch. Aber es kommt wohl drauf an, welche postmodernen Komponisten man meint.


    Ich wäre froh, wenn ein Definitionsguru mal in Alfreds neuem Postmoderne-Thread definiert, was dazugehört (Berios Sinfonia? Lachenmanns Mädchen? Reichs Six Pianos?)
    :hello:

  • Zitat

    Original von Walter Heggendorn
    Aber was ich verstehe, ist, dass sie in der damaligen Zeit essenziell notwendig war! Die „Harmonie“ war nicht mehr auf die „Reihe“ zu kriegen!


    Also das erste serielle Stück Europas, Goeyvaerts Sonate für 2 Klaviere, ist Harmonie und Sternenhimmel pur. Das hat mit Expressionismus und Betroffenheitsmusik oder Greuelschilderung nichts zu tun.
    :hello:

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  • Zitat


    Schließlich noch zur Beruhigung Alfreds:
    Der Eindruck, das Forum verkomme, zu einem Tummelplatz der Moderne, ist völlig falsch. Er entsteht nur durch die von Dir gestarteten Provokationsthreads. An *inhaltlichen* Threads besteht keinerlei Dominanz.


    Ich habe da auch keine reale Angst.
    Es war eine Entscheidung die Moderne hier zuzulassen, die ich vor über 2 Jahren hier getroffen habe - und es war mein freier Wille. Damals habe ich ersmals vermittelt beklommen, daß diese Musik TATSÄCHLICH jemand hören will - bisher hatte ich das immer in Abrede gestellt.


    Nun wird man einwenden, ich selbst hörte ja gelegentlich auch "modernes".
    Aber die Mitivation ist hier eine andere:
    Zum eingen geschieht das um mitreden zu können, zum anderen aus der Sicht des Hobby-Historikers - egal ob mir die Musik gefällt - sie entstand in einem gewissen historischen Umfeld - und ist somit interessant, wen man sich mit gewissen Apekten der Geschichte- auch Kunstgeschichte auseinadersetzt.


    Aber EIGENTLICH höre ich ja nur sehr GEMÄSSIGTE Moderne, und vor allem Komponisten, die gerne Zitate der Vergangenheit bringen (Strawinsky Schostakowitsch) bzw Reminiszenzen an die Vergangenheit, beispielsweise Mahlers Lieder eines fahrenden Gesellen, wo Schubert ja an allen Ecken und Enden durchzublicken scheint, oder ORFF, der sich ein Pseudomittelalterliches Intrumentarium zusammengebaut hat. :P


    @Edwin,
    wenn Du etwas schreibst und begründest so hat das stehts Hand und Fuß und ist wohldurchdacht, wenngleich natürlich sehr subjektiv gefärbt.
    Und natürlich bin ich nicht immer Deiner Meinuing (oder besser gesagt: sehr oft nicht)
    So bin ich beispielsweise felsenfest davon überzeugt, daß im Falle, daß wir kein nationalsozialistisches Regime gehabt hätten - die AKZEPTANZ moderner Musik im deutschsprachigen Raum allenfall MARGINAL größer wäre.


    So ist es sicher richtig, daß etliche Komponisten in der NS-Zeit umgebracht wurden - aber ihre Werke haben ja überlebt.
    Zudem traten andere an ihre Stelle - aber wie ganz richtig geschrieben wurde - auch sie sind heute vergessen


    Es wurde geschrieben, daß wesentlich radikalere (oder euphemistisch gesagt: konsequentere) Komponisten ihr Publikum gefunden haben, während die gemässigten kaum mehr Interesse finden.
    Das wurde einerseits mit der Qualität dieser Komponisten erklärt (eine wie ich finde nicht überzeugende These - weil es hat sich so vieles durchgesetzt, was nicht erster Güte war) - andrerseits damit, daß diese "gemässigten de facto zwischen zwei Stühlen sitzen, sie werden von den "Konservativen" abgelehnt - und von den Liebhabern der Avantgarde ebenso,


    Es handelt sich hier übrigens NICHT um einen Haßthread.
    Wollte ich der "Moderne" wirklich schaden, so würde ich sie einfach totschweigen, das wäre der wirksamere Weg (Edwin wird mir hierin wahrscheinlich beipflichten...) Diese Threads sind - unabhängig von meiner persönlichen Einstellung zu dieser Musik - eigentlich ein Focus darauf. Sie erregen Interesse, machen Tamino interessanter und natürlich auch die thematisierte Musik. Und das war dereinst der Gedankengang:
    Absolute Einigkeit in geschmacklichen Fragen ist der Tod eines jeden Diskussionsforums.


    Daß der von mir initierte Thread über "Postmoderne" (zumindest bis jetzt) auf null Resonanz stösst ist IMO eine ganz starke Aussage (ich meine das völliog im Ernst) - wer will sich schon die Finger verbrennen - denn dieses Thema ist IMO NOCH HEISSER als jenes über die Moderne.


    Ich gestehe ganz offen, daß ich auch mit jenen zeitgenössischen Komponisten , die als "konservativ" eingestuft werden (Vaughan Williams, Arnold, Britten etc..) auch kaum was anfangen kann.Dennoch höre ich gelegentlich hinein - Bildungsbürger sind eben eigene Leute


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Alfred,


    hör dir mal folgendes an, wenn du es noch nicht getan hast:


    Prokofjew: 1. - 3. Klavierkonzerte, Sinfonien 5 u. 7, Sonaten für Violine und Klavier
    Schostakowitsch: Klavierkonzerte, Sinfonien 5 u. 7, Streichquartette 8 u. 9


    Ich bin mir sicher, die Stücke werden dir gefallen - bei der Kammermusik möglicherweise nach etwas Eingewöhnung. Es gibt auch im 20. Jh. sehr eingängige, fesselnde Werke, die sicher nicht nur der Bildung dienen.
    Man muss ja nicht mit Stockhausen anfangen ;)
    Unter der Vielzahl von Werken im 20. Jh. muss man die Schätze, die dem eigenen Geschmack am ehesten entsprechen, erst einmal finden, und das kann mühsam sein. Ich denke, die oben genannten würden dich sicherlich ansprechen (natürlich, alles sehr eingängige, melodiebetonte und teilweise sehr konservative Werke auch teilweise des frühen 20. Jhs., aber das macht ja nix).

    "Das Große an der Musik von Richard Strauss ist, daß sie ein Argument darstellt und untermauert, das über alle Dogmen der Kunst - alle Fragen von Stil und Geschmack und Idiom -, über alle nichtigen, unfruchtbaren Voreingenommenheiten des Chronisten hinausgeht.Sie bietet uns das Beispiel eines Menschen, der seine eigene Zeit bereichert, indem er keiner angehört." - Glenn Gould

  • Hallo Rappy


    Das hab ich natürlich alles in meiner Sammlung (ca 120 CDs mit klassischer Moderne - und auch gehört)
    Was ich meine sind Werke die "spröde", "atonal", "trübsinnig" oder einfach nur "unangenehm" klingen.


    Ich will jetzt nicht herumstreiten, was denn eigentlich unangenehm klingt - das ist IMO nicht der Sinn des Threads. Der oberste Richter ist das Publikum und der CD-Markt. Der wird es weisen .............


    Denn - hierin bin ich altmodisch:


    Kunst ist fürs Publikum gemacht - nicht für den Künstler.



    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat

    Original von Albus
    [...]heutzutage zu einem Tabu-Wortfeld.
    Freundlich
    Albus


    Wie gesagt: nicht in der Mathematik und Physik. Dort hat sich der Begriff (IMO vernünftigerweise) gehalten.


    :hello:
    Wulf

  • Zitat

    Original von Wulf


    Wie gesagt: nicht in der Mathematik und Physik. Dort hat sich der Begriff (IMO vernünftigerweise) gehalten.


    Das wird OT, daher werde ich das irgendwann löschen. Ich müßte mal nachschauen, wer den Ausdruck dort geprägt hat. (Taucht er zuerst in der Gruppen- und Eigenwerttheorie oder in der Physik auf?)
    Besonders passend finde ich ihn ehrlich gesagt nicht. Die "entarteten" Zustände sind ja nicht "aus der Art geschlagen", sondern ihnen fehlt nur in gewisser Weise eine endgültige eindeutige Bestimmung, weil sie bezüglich irgendeiner Symmetrie des Systems "gleichartig" (nicht entartet") sind. Auf Anhieb weiß ich freilich auch nichts besseres, abgesehen davon würde das eh nichts an der Praxis ändern...


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Lieber KSM,

    Zitat

    In der Schwertsik-Klasse soll es schon Studenten gegeben haben, die etwa im Schubert-Stil komponierten. Schwertsik ist vor ein paar Jahren in Pension gegangen.


    Ja, es gab sie. Aber ganz unter uns: Es waren meistenteils "Nebenerwerbs-Komponisten", also solche, die ein Kompositionsstudium absolvierten, aber andere Ziele für den Hauptberuf hatten (einer, von dem ich weiß, Dirigent, eine andere Pianistin).
    Extremer und meiner Meinung nach schlimmer war die Schöne-Neue-Musik-Bewegung, hinter der, wie mir mehrfach berichtet wurde, allerdings auch eine als nicht ungefährlich eingestufte Sekte stand. Die beiden Begabtesten der Gruppe haben sich auch dementsprechend abgesetzt, von glücklichmachenden höheren Stufen etc. emanzipiert und schreiben heute eine durchaus komplexe Musik, wobei ich Alexander Wagendristel für eine sehr starke Begabung halte und Ulf-Dieter Soyka für eine zumindest beachtenswerte Erscheinung.


    ***


    Lieber Alfred,

    Zitat

    Kunst ist fürs Publikum gemacht - nicht für den Künstler.


    Ich behaupte jetzt mal ganz radikal: Jede Kunst, die fürs Publikum gemacht ist, ist keine Kunst.


    In dem Moment, in dem ein Komponist überlegt, was dem Publikum gefallen könnte, mutiert er vom Künstler zum Kunsthandwerker.
    Jede große Kunst hingegen ist egoistisch. Wenn sie auf ein auf gleicher Wellenlänge mitschwingendes Publikum trifft, ist das ein Glücksfall - aber es ist keine Frage der Zeit. Dadurch ist es möglich, daß viele bedeutende Kunst erst nach dem Tod ihres Urhebers entsprechend gewürdigt wird - denke an Melville, an van Gogh, an Bruckner etc.


    Allerdings stimmt der von erfolglosen Künstlern allzu oft bemühte Umkehrschluß natürlich nicht: Eine mangelnde Publikumsresonanz spricht nicht automatisch für die Größe eines Werks.


    :hello:

    ...


  • Ich habe vorhin 3 Werke von Ligeti gehört, Atmospheres, Lontano und ein weniger bekanntes früheres (1951) Werk Concert romanesc. Letzeres ist sicher nicht moderner (wenn auch vielleicht noch näher an rumänischen Dorfmusikanten) als 30 Jahre ältere Stücke von Strawinsky oder Bartok. Es wurde nach einer Probe verboten, da der Anteil der ursprünglichen Volksmusik nicht a la Khatchaturian u.ä. "geglättet" worden war.
    Ligeti schreibt im Beiheft (zu diesem und anderen Werken, die er in den 40er und 50er Jahren schrieb, darunter solche, die schon in Richtung des Stiles von Apparitions und Atmospheres gingen):


    "Das alles war 'Musik für die Schublade'; im kommunistischen Ungarn konnte von einer Aufführung nicht einmal geträumt werden. [...] Später, im Westen, wurde mir von Journalisten öfters die Frage gestellt 'Für wen komponieren Sie?' Meine 'östlichen' Erfahrungen hinderten mich daran, diese Frage wirklich zu verstehen. Ein verbotener Künstler fragt so etwas nicht, denn seine künstlerischen Hervorbringungen erreichen sowieso kein Publikum. Ich komponierte also nicht für 'jemanden', sondern der Sache wegen, aus innerem Bedürfnis [Kursivierung zugefügt]."


    Ich finde das eine sehr erhellende Bemerkung.
    Also auch nicht für sich selbst oder aus Widerstand gegen das Zwangssystem oder für die "Nachwelt"! Schönberg soll ja gesagt haben: Kunst kommt nicht von Können, sondern von Müssen.
    Warum sollte es z.B. Schubert oder Bruckner anders gegangen sein, die zwar nicht unter einem totalitären System litten, aber ebenfalls nicht immer damit rechnen konnten, dass ihre Werke aufgeführt wurden...



    :hello:


    JR

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  • Zitat

    Original von Johannes Roehl
    Ligeti schreibt im Beiheft[...]
    Ich komponierte also nicht für 'jemanden', sondern der Sache wegen, aus innerem Bedürfnis [Kursivierung zugefügt].


    Ich frage mich, warum nicht ein Moderne-Unfreund triumphiert hat und das als Argument gegen Ligeti gebraucht.


    Ich gehe natürlich davon aus, dass auch Haydn der Sache wegen komponiert hat und nicht, weil er halt nichts anderes gelernt hat und nur so von seinem Fürsten Bezahlung erwarten durfte.


    Andererseits kenne ich (nicht nur an mir) den Mechanismus, dass trotz Euphorie für die Sache bei sich verkrümelnder Resonanz/Präsenz im Musikleben merkwürdigerweise auch der Schaffenstrieb in Halbschlaf fällt - ob das nun "die Regel" oder "die Ausnahme von der Regel" ist, spielt vielleicht gar keine Rolle.


    Somit ist es wohl eine etwas unklare Angelegenheit. "Das Publikum" ist oft (meist?) nicht ganz egal. Aber die nächste Frage ist (zwangsläufig), wen man sich nun als Publikum vorstellen soll, und wer wie egal ist. Wenn CPE beim alten Fritz seine Brötchen verdiente und "seine Sache" aber viel unzensierter andernorts betreiben durfte, ergibt sich auch so eine Situation, wo die Zufriedenstellung des Kunden einen ambivalenten Beigeschmack bekommt.


    Nun ja. Wozu das Ganze also?
    :hahahaha:

  • Zitat

    Original von Kurzstueckmeister


    Ich frage mich, warum nicht ein Moderne-Unfreund triumphiert hat und das als Argument gegen Ligeti gebraucht.


    Ja, ein Moderne-Unfreund nähme es wohl als Beleg dafür, dass Ligeti nur abstrakte Gedankenmusik fabriziert hätte.
    Aber vielleicht ist Ligeti ein gutes Beispiel dafür, dass Neuartiges und fremd Klingendes emotional ergreifend sein kann. Bruckner oder der späte Mozart sind wohl auch Beispiele dafür, nur dass man sich bereits an sie gewöhnt hat.


    Mit anderen Worten: Gefühle sind gar nicht so natürlich, wie mancher Moderne-Unfreund meinen mag.


    Viele Grüße


    :hello:

  • Zitat

    Original von Uwe Schoof
    Wie mir scheint, genießen die weitaus meisten Musikliebhaber hier die Musik der Klassik und auch Romantik, und zwar fast ausschließlich dies. Die musikalischen Regeln dieser Epochen sind ziemlich klar, man findet sich in ihnen zu Hause und wird von außen nicht gestört. Es ist eine gewisse Idylle, die ich durchaus nachvollziehen kann. Es ist, wie es ist; die Musik ist harmonisch, das Gerüst steht, die verschiedenen Komponisten brauchen es nur auszuschmücken und zu füllen, und es soll nichts geändert werden. Wie ich finde, spricht nichts dagegen.


    Es gibt aber auch eine erheblich kleinere Gruppe von Musikliebhabern, die sich für Entwicklungen interessiert, die bestimmte Musikwerke wohl als geschlossenen Organismus, aber auch im Zusammenhang genereller quasi-evolutionärer Entwicklungen sehen und Freude daran haben, Musikentwicklung als Teil unseres dynamischen Lebens zu betrachten, und zwar unabhängig von Zeitepochen. Ich selber zähle mich dazu.


    Wie ich so heraushöre, hat die erstgenannte Gruppe große Probleme mit der Existenz der zweitgenannten; ich kann allerdings überhaupt nicht nachvollziehen, warum.


    Ja, warum?


    Vielleicht, weil die Entwicklung Veränderung bedeutet, die Veränderung Verlust des Alten. Letzteres stimmt natürlich nicht, da das Alte ja weiterhin existiert. Aber das scheint den Gegnern der Entwicklungssicht und Freunden der Sicht in sich geschlossener, statischer, perfekter Stile (deren sie eine handvoll lieben) nicht zu genügen: Sie wünschen sich, dass diese Stile (die sie schätzen) um weitere Stücke vermehrt werden sollen, "lebendig" bleiben sollen. Dabei sind offenbar kleinere Änderungen erlaubt, so wird z.B. historistische Neugotik als Gotik akzeptiert (schöner alter Stil) und nicht als neuer Stil des 19. Jahrhunderts gesehen.


    Das Problem mit der Gruppe der Entwicklungsinteressierten ist wohl, dass es im späteren 20. Jahrhundert kaum im Betrieb präsente Kunst oder Musik gibt, die nahe genug an den alten Stilen ist, und dass man als Ursache die Kunst/Musik-Mafia sieht, die eben vor allem an Entwicklungen interessiert ist. Somit sind unsereiner quasi Verbündete der Kunst/Musik-Mafia, da wir im Wesentlichen ähnlich denken.


    Was ich aber an der "Statik-Gruppe" nicht verstehe: Warum sucht man sich erst einmal ein paar Stile aus (Vivaldi, Wiener Klassik, Belcanto und noch ein paar) und hat dann auf einmal genug und will nichts weiter?


    Sollte Alfred hier nicht antworten, frage ich ihn mal privat ...
    ;)

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  • Zitat

    Original von Kurzstueckmeister


    Ich frage mich, warum nicht ein Moderne-Unfreund triumphiert hat und das als Argument gegen Ligeti gebraucht.


    Es war von mir gar nicht als Argument für die Moderne gedacht, sondern nur als ein tatsächlicher Beleg für diese Haltung eines Künstlers, die gewiß nicht ausschließlich modern ist.


    Zitat


    Ich gehe natürlich davon aus, dass auch Haydn der Sache wegen komponiert hat und nicht, weil er halt nichts anderes gelernt hat und nur so von seinem Fürsten Bezahlung erwarten durfte.


    Andererseits kenne ich (nicht nur an mir) den Mechanismus, dass trotz Euphorie für die Sache bei sich verkrümelnder Resonanz/Präsenz im Musikleben merkwürdigerweise auch der Schaffenstrieb in Halbschlaf fällt - ob das nun "die Regel" oder "die Ausnahme von der Regel" ist, spielt vielleicht gar keine Rolle.


    Hier würde ich unterscheiden. Es ist eine Sache, ob man es schafft, die persönliche Motivation aufrechtzuerhalten, obwohl man weiß, daß man intrinsisch wertvolle Sachen hervorbringen kann, wenn man das zusätzlich zu anderen Belastungen oder gegen Widerstände tun muß. Eine ganz andere Sache ist es, ob die eigentliche und ursprüngliche Motivation darin besteht, ein Publikum zu bedienen oder Kunst zu schaffen, wie man sie selbst für schaffenswert hält. Ich glaube Edwins zugespitzte Aussage oben ist in diesem letzten Sinn gemeint.


    Haydn hatte zum einen ein allem Anschein nach ziemlich kundiges Publikum auf Eszterhazy. Ein gutes Publikum fällt ja nicht in die Falle, daß es den Künstler zwingt, sich seinen Wünschen anzupassen, sondern es ist offen für die neuen Ideen des Künstlers. (Teilweise schon in der Renaissance, spätestens aber bei Beethoven, erwartet das Publikum vom Künstler geradezu widerspenstiges Geniegebaren und Originalität in seinen Werken.)
    Zum andern würde ich im Falle Haydns (u.a Komponisten des 17. u. 18. Jhds.), vermuten, daß sie sich eben damit abgefunden haben, eine gewisse Menge an Gebrauchskunst zu liefern, bei der sie ihre Vorstellung vielleicht nicht besonders frei umsetzen konnten, solange ihnen genügend Zeit und Energie blieb, bestimmte andere Projekte, die ihnen wirklich wichtig waren, umzusetzen. Etwas vereinfacht: Haydn hat halt 100 Baryton-Stückchen für den Fürsten geschrieben, weil er mußte, aber dafür wurde ihm anscheinend auch ziemliche Freiheit bei Sinfonien oder Streichquartetten gelassen.


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Ich will nicht noch einen Thread zum Thema zeitgenössische Musik eröffnen, deswegen rufe ich den hier mal wieder hervor, indem ich auf einen interessanten Artikel verweise, den ich gerade gelesen habe:


    http:// music.guardian.co.uk/classical/story/0,,2289751,00.html


    Alfred wird sich damit identifizieren können.

    "Das Große an der Musik von Richard Strauss ist, daß sie ein Argument darstellt und untermauert, das über alle Dogmen der Kunst - alle Fragen von Stil und Geschmack und Idiom -, über alle nichtigen, unfruchtbaren Voreingenommenheiten des Chronisten hinausgeht.Sie bietet uns das Beispiel eines Menschen, der seine eigene Zeit bereichert, indem er keiner angehört." - Glenn Gould

  • Hallo Wulf,


    lieben Dank für deine Info. Bin schon gespannt. (Kuschelmoderne ist für mich so was wie Orff, Britten, Hindemith und einige sog. Neotonale: aber nicht alle. Die "richtige" oder heroische Moderne ist für mich Neue Wiener Schule, Nono und B.A. Zimmermann.) Du hast jetzt begonnen Erwartungen an das morgige Quartett zu wecken. Mr. Dreambox (Festplattenreceiver) ist schon auf Lauerstellung


    :hello:


    Amfortas08

  • Hallo Amfortas,


    dann weiß ich nicht, ob ich nicht doch falsche Erwartungen geweckt habe - es sei denn Dein Beitrag war eben sehr ironisch.
    Es liegt ein wenig zurück, aber ich meine mich zu erinnern, daß Coates weder seriell, noch dodekaphonisch, noch spekral, noch aleatorisch, noch whatever ist. Ich glaube mich zu erinnern eher freitonal - also laut Deiner Liste läuft sie Gefahr zur Kuschelmoderne zu gehören - allerdings wird Dir wenig nach Kuscheln zumute sein bei dieser Musik. (Ich wüsste zwar nicht, warum "The Turn of the screw" Kuuschelmoderne ist, aber sie's drum....finde Nono manchmal viel kuscheliger ;) )


    Laß Dich einfach mal überraschen ("heroische Moderne" - Das meinst Du nicht wirklich ernst!? Oder etwa doch? :rolleyes: )


    :hello:
    Wulf

  • Lieber Wulf


    heroische Moderne (es ist ein Sprachbild) sind für mich die Kompomisten, deren Musik das Möglichste an Kompromisslosigkeit anstrebt: und da sind Zimmermann und Nono (+ die Neue Wiener Schule) für mich exemplarisch. Das diese auch sog. "schöne" Momente haben ist klar. Für mich sind die Werke wegen dieser Haltung gelungen und damit für mich schön. Nebenbei: Ich mag den mittleren und späten Schönberg über alles, obwohl er 12-tonmäßig geschrieben hat. Also, ob sereill, aleatorisch . es ist das Resultat entscheident, wenn es nicht rein artifiziell ist, wie bei manchen mittleren Komponisten. Das was ich bisher von Britten, Hindemith (bei beiden vor allemn die Kammermusik) und Orff gehört habe, hat mich nicht sonderlich beeindruckt (allerding habe ich The Turn of the screw" noch nicht gehört). Die Musik dieser 3 Komponisten hat für mich bisher eher angepassten bzw. mainstreamigen Charakter. Ich bleibe aber gespannt auf Coates. Das Ideal eines modernes Komponisten ist für mich die Musik Adrian Leverkühns, die muss aber noch geschrieben werden: Ich warte auf solche Werke. Seit dem Tod Nonos - neben B.A. Zimmermann, einer der letzten ganz Großen in der Musik 1990) ist es musikalsch für mich öde geworden...


    :hello:


    Amfortas 08

  • Lieber amfortas 08,


    die Musik Brittens ist alles andere, bloß nicht mainstreamig oder gar angepasst - aber Britten nach seinen Instrumentalwerken zu beurteilen, ist vielleicht abgesehen von seinen Cello-Suiten (die alles andere als Mainstream sind) nicht gerade optimal.


    Musik muß sich nicht rein über Tonalität erneuern. Brittens und Schostakowitschs Musiksprache sind deshlab so einzigaritg und wichtig, weil sie den das Leiden eines volkes bzw. einer einzelnen verlorenen Seele exemplarisch darstellen - daß Britten dabei nicht radikaler Zwölftöner ist, macht ihn nicht weniger modern.


    Im ürbigen ist der frühe und mittlere Schönberg ja nch ein ziemlicher Romantiker, da ist v.a. Webern der Revolutionär gewesen.


    Daß nach dem Tod Zimmermanns nciht viel passiert ist, stimmt so ja nun auch nicht - wenn Du so willst, ist eh alles ein Webern, oder ein Schnittke-Nachspiel.


    Aber nun erstmal viel Vergnügen mit der Coates.


    :hello:
    Wulf

  • Zitat

    Original von Amfortas08
    heroische Moderne (es ist ein Sprachbild) sind für mich die Kompomisten, deren Musik das Möglichste an Kompromisslosigkeit anstrebt: und da sind Zimmermann und Nono (+ die Neue Wiener Schule) für mich exemplarisch.


    Ist zwar hier OT, aber dennoch... Lieber Amfortas08, datt vestehe ich nich - und ich halte den Begriff auch für ziemlich unpassend und deplaziert. »Heroische Moderne« - da denke ich an Ernst Jünger, Ernst von Salomon und die Konservative Revolution (und da gehört der Begriff auch hin) - im Kontext der Musik fällt mir da so aus dem Stegreif gar nix qualitativ hochwertiges ein.
    Was die Zweite Wiener Schule, die Serialisten und Leute wie Bernd Alois Zimmermann, die sich ja vehement von einer solchen Linie der Moderne abgegrenzten, mit »Heroismus« gemein haben, ist mir schleierhaft. Im übrigen ist's auch nicht Ordung diese Leute mit einem solchen Begriff zu kontaminieren.


    Viele Grüße,
    Medard

  • Das ist ein Missverständnis. also mit Jünger & Co soll der Begriff heroisch nichts zu tun haben. Auch nichts mit dem sog. Heroismus. Sondern nur in Bezug auf Kompromisslosigkeit gegen über dem Mainstream, dem "Weltgeist" . Und das waren die Vertreter der Neuen Wiener Schule sowie B.A. Zimmermann und Nono. Nur in diesem Zusammenhang verstehe ich eben die Haltung deren Werke als heroisch. Weil sich deren Musik dem allgemeinen Anpassungszwang, der allgemeinen Kommunikation verweigert. Und Nono und sein Werk war und ist nun alles andere als konservatv !!!
    Zu Klawirr: Doch nach dem Tode B.A. Zimmermanns ist noch einiges passiert. Ich denke an den späten Nono (z.B. sein Streichquartett). Nonos Spätwerk ist etwas Neues gegenüber Webern und B.A. Zimmermann.
    Zu wulff
    Der späte + mittlere Schönberg ist zwar von der Romatnik geprägt: z.B. der 3. Satz seines Violinkonzertes trägt Züge des 3. Satzes der Tschaikowski- Pathetique. Und sicher ist der mittlere + späte Schönberg voll von melidiösen Einfällen, ja richtig süffig einerseits, aber vom Stil empfinde ich iihn eben so wenig romantisch wie nicht neoklassiisch. Vor allem gilt das für die Quartette 3 + 4 und für das unvergleichliche Streichtrio, aber auch für sein Klavierkonzert. Aber wir kommen vom Thema ab.



    :hello:


    Amfortas08

  • Zitat

    Original von Klawirr
    »Heroische Moderne« - da denke ich an Ernst Jünger, Ernst von Salomon und die Konservative Revolution (und da gehört der Begriff auch hin) - im Kontext der Musik fällt mir da so aus dem Stegreif gar nix qualitativ hochwertiges ein.
    Was die Zweite Wiener Schule, die Serialisten und Leute wie Bernd Alois Zimmermann, die sich ja vehement von einer solchen Linie der Moderne abgegrenzten, mit »Heroismus« gemein haben, ist mir schleierhaft. Im übrigen ist's auch nicht Ordung diese Leute mit einem solchen Begriff zu kontaminieren.


    Lieber Medard,


    hm, hm - ich kann das jetzt nicht im Detail überprüfen, bin mir aber sicher, dass das Wort "heroisch" im Kontext der Moderne gar nicht so unüblich ist - und zwar nicht nur im Kontext einer pervertierten Stahlgewitter-Moderne oder der konservativen Revolution. In der bildenden Kunst (z.B. bei Paul Klee) findet sich das z.B. nicht selten - und ich meine mich zu erinnern, dass die Angehörigen und Adepten der Zweiten Wiener Schule gerne von "der heroischen Zeit" sprachen, womit die Phase der Durchsetzung der freien Atonalität um 1908ff. gemeint war. Meine einzige auf die Schnelle gefundene Belegstelle stammt immerhin und ausgerechnet von Adorno, der den Kategorien des "Erhabenen" etc. sonst doch eher skeptisch gegenüberstand: In seinem Aufsatz über "Das Altern der Neuen Musik" von 1955 schreibt er: Den Schock, den diese Musik in ihren heroischen Zeiten, etwa bei der Wiener Uraufführung der Altenberg-Lieder von Alban Berg oder der Pariser des Sacre du Printemps von Strawinsky dem Publikum versetzte, ist nicht bloß... (ich breche das Zitat hier ab - wenn man den Sound kennt, ergänzt sich der Rest von selbst... ;))


    Da ich ja eh zum Konzedieren neige :D, konzediere ich sofort, dass dieser Tatbestand kein Grund dafür ist, auch heute noch dieses Wort im Mund zu führen (schon gar nicht bei Nono oder Zimmermann). Aber dass der Begriff des "Heroischen" im Sinne des romantischen Geniekults, in Form eines Durchsetzens des einsamen Künstlers gegen gesellschaftlichen Widerstand auch und gerade in der Moderne en vogue war, scheint mir keine absurde Behauptung zu sein. Und in dunklen Stunden könnte man sogar spintisieren, ob man "gute" und "pervertierte" Moderne/Avantgarde wirklich klar voneinander scheiden kann - oder ob nicht Strawinskys Sacre doch Berührungspunkte mit Jüngers "Stahlgewittern" hat. Oder ob Anton Weberns weltanschauliche Nähe zum "Heroischen" auch in dessen unerfreulichsten Varianten Zufall war... Vom Heroismus in der sowjetischen Avantgarde ganz zu schweigen...



    Viele Grüße


    Bernd

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