Strauss - Der Rosenkavalier

  • Guten Morgen lieber Ridemus,
    um es genau zu nehmen, war Nabokovs Lolita anfangs 12. Die 25 habe ich hier nur deshalb willkürlich eingesetzt, damit die Identifikationswahrscheinlichkeit grösser wird. :D


    Mir kam aber noch der Gedanke, dass wir die Möglichkeit ganz ausser Acht gelassen haben, dass man auch einfach in einen Menschen an sich verlieben kann, ohne sein Alter überhaupt weiter zur Kenntnis zu nehmen und ohne dass das irgendeine Rolle spielt. Nicht selten ist ein 30jähriger subjektiv älter als ein 60jähriger.
    Aber in der Oper kann man solche "humanistischen" Reflektionen wohl ausser Acht lassen, denn da ist mit Sciherheit das Alter SEHR entscheidend und ganz bewusst so eingesetzt.
    Was nun auch eine gute Überleitung zum Octavian ist.



    Fairy Queen

  • „Können wir dann zu Octavian übergehen?“, fragt Rideamus. Aber gern! Waldi war ja auch schon in die Octavianerei gerutscht.


    Graf Octavian Rofrano heißt er mit vollem Namen. „Octavian, genannt Quinquin, ein junger Herr aus großem Haus (Mezzosopran)“, steht als Personenbeschreibung im Libretto. Siebzehn Jahre und zwei Monate ist er alt, erfahren wir von Sophie.


    Octavian ist der junge Liebhaber, der die Marschallin für eine jüngere verlässt – und verkörpert als solcher eine typische Figur. Schwärmerisch und feurig ist er (so lauten die ersten beiden Anweisungen im Libretto). Im Vergleich zu Baron Ochs ist er eine deutlich positivere Figur. Er setzt sich ritterlich für Sophie ein, als Ochs sich danebenbenimmt, steht für die echte Liebe ein, das Handeln nicht für Geld, sondern für ein Ideal, und er weiß sich zu benehmen. Eine rundum positive Figur also?


    Nein, wie bei der Marschallin gibt es auch bei Octavian negative Züge. Spüren wir ihnen nach:


    Gleich zu Beginn maßt Octavian sich an, der Marschallin zu sagen: „Selig bin ich, dass ich der Einzige bin, der weiß, wie du bist!“ „Du bist mein Bub“, antwortet die Marschallin. Ja, gute Antwort, pflichte ich ihr bei, „süß, der Kleine“, hätte sie auch sagen können. In Wahrheit hat Octavian nicht die geringste Ahnung von der Tiefe des Gefühlslebens der Marschallin. Sie mag mit ihm soeben im Bett Dinge veranstaltet haben, von denen Octavian noch nicht einmal ahnte, dass es sie gibt. Daraus, die Marschallin als in sexuell erfahrene Frau erlebt zu haben, zu schließen, er wisse, wie sie sei, ist dennoch arg naiv.


    Als Naivling behandelt die Marschallin Octavian denn auch. „Er Katzenkopf, Er Unvorsichtiger! Lässt man in einer Dame Schlafzimmer seinen Degen herumliegen? Hat Er keine besseren Gepflogenheiten?“, wirft sie ihm vor, als er sich beim Versuch, sich vor dem vermeintlich zurückkehrenden Feldmarschall zu verstecken, reichlich ungeschickt anstellt. Octavian missfällt dieser Vorwurf: „Wenn Ihr zu dumm ist, wie ich mich benehm', und wenn Ihr abgeht, dass ich kein Geübter in solchen Sachen bin, dann weiß ich überhaupt nicht, was Sie an mir hat!“ Die Marschallin hält es nicht für nötig, darauf einzugehen. Sie kanzelt Octavian als Dummchen ab (wenn auch zärtlich): „Philosophier' Er nicht, Herr Schatz, und komm Er her. Jetzt wird gefrühstückt.“


    Dass Octavian „kein Geübter in solchen Sachen“ ist – ich bin sicher, die Marschallin war seine Erste –, zeigt sich auch an anderer Stelle: Er weiß noch nicht, dass es sich nicht ziemt, der fremdgehenden Ehefrau im Lotterbett von ihrem Ehemann zu erzählen, an den sie an dieser Stelle am allerletzten erinnert werden möchte. „Der Feldmarschall sitzt im krowatischen Wald und jagt auf Bären und Luchsen. Und ich, ich sitz' hier, ich junges Blut, und jag' auf was? Ich hab' ein Glück, ich hab' ein Glück!“, jubiliert Octavian. Der Marschallin ist das natürlich nicht recht. „Lass Er den Feldmarschall in Ruh'!“, verlangt sie. Octavian versteht nicht, weshalb sie so reagiert, wirft ihr sogar vor, von dem Feldmarschall geträumt zu haben. „Ich bin der einzige, der weiß, wie du bist“? Nein, Octavian, du hast nicht die geringste Ahnung!


    Octavian misshagt diese Behandlung als Dummchen durchaus. „So spielt Sie sich mit mir!“, stellt er fest er, nachdem die Marschallin ihn abermals abgekanzelt hat („Ach sei Er gut, Er muss nicht alles wissen“), wirft sich verzweifelt aufs Sofa und ruft aus: „Ich bin ein unglücklicher Mensch!“


    Wie bitte?, ein unglücklicher Mensch? Hat Octavian nicht eben noch behauptet: „Ich hab' ein Glück, ich hab' ein Glück!“? Ja, hat er. Diese Wankelmütigkeit, Flatterhaftigkeit ist sie oben genannt worden, nimmt im Kleinen vorweg, was später im Großen geschieht, als er die Marschallin für Sophie verlässt. Die Launen Octavians sind wechselhaft, lernen wir.


    Die Marschallin reagiert mit Recht, als säße vor ihr ein Kind (ein Bub!): „Jetzt trotz' Er nicht.“


    Besitzdenken hat Octavian zu allem Überfluss auch noch („Sag, dass du mir gehörst! Mir!“, Sei nicht wie aller Männer, entgegnet die Marschallin leicht genervt).


    In Stress-Situationen ist Octavian nicht belastbar, neigt er zu Fehl- und Überreaktionen. Beispiele dafür gibt es zuhauf: Er verliert den Kopf, als vermeintlich der Feldmarschall zurückkehrt, verkennt seine Rolle völlig, als er, in der Meinung das Verstecken sei aussichtslos, erklärt: „Ich spring' ihm in den Weg! Ich bleib' bei dir.“ Für ein massives Fehlverhalten halte ich zudem die Reaktion Octavians auf die Bitte Sophies, ihr zu helfen. Dazu unten.


    Der Auftritt als Rosenkavalier macht großen Eindruck, aber Octavian ist in dieser Rolle nicht souverän, alles andere als ein strahlender Schwanenritter. „Sein Knabengesicht ist von einer Schüchternheit gespannt und gerötet“, heißt es im Libretto, und „…durch ihre Verlegenheit und Schönheit machen sie sich gegenseitig noch verwirrter.“


    Das Eintreten für Sophie gelingt im zwar, aber auch dabei macht er keine gute Figur, wird er von Ochs lange nicht ernst genommen („Die Fräulein…“, Die Fräulein…“). Er sieht sich genötigt, Ochs massiv zu beleidigen und zieht sogar den Degen.


    Eine wichtige Frage lautet: Handelt so ein Graf? Rufen wir uns in Erinnerung. Octavian und Ochs sind Adlige, entfernte Verwandte gar. Sophie ist nicht adelig. Die Fürstin Feldmarschall hat die Ehe des Ochs mit Sophie befürwortet. Sie hat Octavian sogar als Rosenkavalier eingesetzt. Dass Octavian den Baron massiv beleidigt und mit dem Degen verletzt, nur weil Sophie den Baron nicht heiraten will, ist unter diesen Umständen nur als massives Fehlverhalten zu bezeichnen.


    Stellen wir uns nur vor, Herr von Faninal würde Sophie gegen ihren Willen dennoch mit dem Baron verheiraten. Die Feldmarschallin wäre durch das Verhalten „ihres“ Rosenkavaliers aufs Höchste kompromittiert.


    Rechtfertigt das Nicht-lieben von Sophie, ihre nunmehr aufgetretene Unlust, den Baron zu heiraten, das Verhalten Octavians?


    Nein, tut es nicht. Mehrfach ist oben dargelegt worden, dass wir die Handlung und das Verhalten der Handelnden an den Maßstäben des 18. Jahrhunderts zu messen haben. Spielte es damals eine Rolle, ob die Braut den Bräutigam liebt? Keineswegs, die Braut wurde nicht einmal gefragt. Sophie kennt Ochs nicht einmal, als sie in die Hochzeit einwilligt. Sie träumt sich in eine Rosamunde-Pilcher-Welt hinein und ist enttäuscht, als sie erkennt, dass die Wirklichkeit anders ist. Octavian begibt sich auf das Niveau Sophies herab und geriert sich als ihr Märchenprinz. Seiner gesellschaftlichen Stellung, den Anforderungen des wirklichen Lebens wird er damit nicht gerecht.


    Octavian erkennt sein Fehlverhalten nicht. Im Gegenteil macht er die Sache sogar noch schlimmer. Er, ein Graf, verkleidet sich als Kammerzofe, um als solche mit dem Baron ins Bett zu steigen und ihn dadurch zu kompromittieren.


    Wir stellen uns vor, der Täuschungsversuch wäre vor Vollendung misslungen, z. B. weil der Baron zugegriffen und gemerkt hätte, dass Mariandel keine Brüste hat. Die Reputation des Grafen wäre zweifellos ruiniert gewesen. Oder die Feldmarschallin wäre nicht aufgetreten und hätte die Situation nicht gerettet. Ein Skandal, verursacht durch Octavian, der aus dieser Angelegenheit unmöglich unbefleckt herausgekommen wäre.


    Ich bleibe dabei, Octavian verhält sich nicht standesgemäß und somit falsch.


    Um nicht missverstanden zu werden. Diese Bewertung ergibt sich aus den Maßstäben des Stückes. Uns heutigen, die wir die Liebe als für die Eingehung einer Ehe als wesentlich ansehen und die Rechte der Frauen achten, ist Octavians Vorgehen natürlich höchst sympathisch.


    Octavian erkennt sein Fehlverhalten nicht, schrieb ich oben. Wirklich nicht? Immerhin versucht Octavian zunächst noch, sich zu beherrschen (für sich, blass vor Zorn: „Hinaus! Hinaus! und kein Adieu! Sonst steh' ich nicht dafür, dass ich nicht was Verwirrtes tu'! Hinaus aus diesen Stuben! Nur hinaus!“). Er weiß also doch, dass er etwas Falsches tut („etwas Verwirrtes“), ist nur nicht in der Lage, sich zu beherrschen.


    Wer also ist Octavian? In einem Satz würde ich ihn beschreiben als jungen, schönen, wankelmütigen Heißsporn, der sich nicht seinem Stand gemäß zu verhalten versteht.


    Zwei Fragen möchte ich am Ende noch stellen:


    Erstens eine Frage an die Kenner der Adelswelt: Die Marschallin ist Fürstin Feldmarschall. Octavian ist Graf, allerdings des Marcheses zweiter Bruder. Marchese ist die italienische Bezeichnung für einen Markgraf. Markgraf ist ein höherer Adelstitel als Fürst, Graf ein niedrigerer. Bedeutet das, dass Octavian aus einer höhrerrangigen Familie kommt als die Marschallin? Oder habe ich da mit den Titeln etwas durcheinander gekriegt?


    Zweitens: Warum wird Octavian von einer Frau gesungen? Ja, die Hosenrolle hatte in der Oper eine lange Tradition, aber doch nicht mehr 1910. Zur Handlungszeit um 1740 passt die Besetzung mit einer Frau allerdings sehr gut. Oben ist bereits erwähnt worden, das Octavian in der Nachfolge Cherubinos steht. Aber sonst? Gibt es einen weiteren Grund für diese Besetzung, frage ich mich (in jedem Fall hat die Besetzung mit einer Frau das Ineinanderverschmelzen der Stimmen im abschließenden Terzett begünstigt; Grund genug, kann man meinen).


    Liebe Grüße von einem auf eure Stellungnahmen gespannten
    Thomas

  • Lieber Thomas,


    Deiner Charakteristik Octavians möchte ich mich im wesentlichen anschließen. Was ihn zur Marschallin treibt, ist Verliebtheit und Sinneslust. In seiner Unerfahrenheit nimmt er das für Liebe und erkennt erst bei der Begegnung mit Sophie, daß es da Unterschiede gibt.
    Daß er sich nicht logisch verhält, ist bei einem Siebzehnjährigen Verliebten/Liebenden nichts Ungewöhnliches. Das machen auch Ältere oft nicht anders.
    Zweifellos verhält er sich gegenüber seinem Standesgenossen Ochs nicht etikettegemäß. Andererseits ist es vom "orthodoxen" Standpunkt aus nicht ganz unverdienstlich, dafür zu sorgen, daß das Trampeltier Ochs möglichst auf dem Land bleibt und der Familie nicht am Ende in der Stadt Scherereien verursacht. Zwar hat Ochs eine adelige Erziehung genossen und in seiner Jugend Manieren gelernt, aber das Taktgefühl ist ihm zwischen Jagd und Heuboden ziemlich abhanden gekommen (sein Verhalten ist gemäß den im 18.Jahrhundert geltenden Ansichten äußerst peinlich, wenn auch nicht vereinzelt - zumal die Kaiserin sowieso für Typen wie Ochs nur Ablehnung und Strafe kennt).
    Allerdings haben junge Liebende im 18.Jahrhundert bereits einen größeren Bonus als früher, zumal auch die Verbindung zwischen Ochs und Sophie für die Familie eine Mesalliance darstellen würde. Wäre Octavian der älteste Sohn, sähe die Sache für dien jungen Leute zweifellos ziemlich schlecht aus. Aber bei einem jüngeren Bruder kann man schon die Augen zudrücken, zumal auf seiten Faninals ja ziemlich viel Geld vorhanden ist. Und das hat seinerzeit über manche Mesalliance hinwegsehen lassen. Zwar sind die Rofranos sicher nicht finanziell gefährdet oder ruiniert, aber die Zeiten ändern sich gerade sehr, und man weiß nicht, was die Zukunft bringt. Manche Familien waren damals nicht allein durch Verschwendungssucht, sondern infolge der wirtschaftlichen Umwälzungen am Verarmen. Eine Rückversicherung à la faninalsches Kapital vermochte sicher auch bei den Rofranos eine mildere Beurteilung der an sich nicht gerade gewünschten Angelegenheit veranlassen. Außerdem protegiert die Marschallin das Liebespaar. Und als Fürstin (und Gattin eines einflußreichen Militärs) steht sie gesellschaftlich über einem Marchese (da hast Du, lieber Thomas, die Rangordnung etwas verschoben). Möglicherweise hat sie sogar das Ohr der Kaiserin, dann wäre sowieso kein ernsthafter Widerstand denkbar: Roma locuta, causa finita (für Nichtlateiner: Rom hat entschieden, somit ist die Sache erledigt).


    LG


    waldi

  • Zitat

    Original von Rideamus

    Wo ist Rosenkavalier, wenn man ihn/sie braucht?


    Rosenkavalier hat auch ab und zu dienstliche Verpfllichtungen (nein, nicht solche wie gegenüber der Marschallin ;) ) und ist dann ab und zu offline....


    Ich lese mich noch ein.......


    LG
    Rosenkavalier

  • Danke für die gute Fortsetzung und das runde Portrait, Thomas, dem auch ich erst einmal wenig hinzu zu fügen habe, zumal Waldi schon die Rangordnung etwas zurecht gerückt hat. Zwei Aspekte sollten aber noch ergänzt werden:


    Während mir der Octavian der beiden ersten Akte gut getroffen scheint, wird seine enorm schnelle Lernkurve bis zum dritten Akt (nur wenige Tage später) unterschätzt, wenn nicht verkannt. Natürlich ist er noch nicht in der Lage, sein Handeln bis zur letzten Konsequenz abzusehen und kann sich nicht weniger glücklich schätzen als der Ochs, dass die Marschallin am Höhepunkt des Durcheinanders einschreitet und einen öffentlichen Skandal verhindert. Dennoch: die Finesse, mit der er seinen ingeniösen Plan arrangiert, die Korrumpiertheit von Annina und Valzacchi richtig einschätzt und einsetzt, und die Lust am Spielerischen, mit der er den Annäherungsversuchen des Ochs begegnet - all das hätte man ihm zu Beginn nicht zugetraut. Offensichtlich ist er ein zwar noch unerfahrener, aber höchst aufgeweckter junger Mann, dem vermutlich noch eine große Zukunft bevorsteht.


    Dazu zählt sicher auch der von Waldi schon angesprochene Aspekt der finanziellen Absicherung. Mag sein erstes Eintreten für Sophie spontan gewesen sein, er hat gewiss den pekuniären Aspekt der Alliance mit dem knusprigen Mädchen mit einkalkuliert, der ihm womöglich einige Vorteile gegenüber seinem älteren Bruder und voraussichtlich vorab Erbberechtigten beschert. Ich bin auch kein Fachmann für Adelstitel, meine aber zu wissen, dass jüngere Geschwister im Rang deutlich hinter den Erbberechtigten standen und nur zu oft auf den Anstand, wenn nicht gar die Großzügigkeit ihrer älteren Geschwister (oder Eltern) angewiesen waren, wenn sie ein standesgemäßes Leben führen wollten. Bei den englischen Windsors ist das ja auch heute noch nicht anders, wobei die natürlich darauf achten (und sich das - im Gegensatz zu vielen Adeligen - auch leisten können), dass ihr Ruf nicht auch noch durch Knickrigkeit leidet.


    Das bringt mich dazu, einen Vergleich mit einem bei allen Unterschieden gar nicht so unähnlichen Roman (und grandiosen Film) anzustellen, nämlich Lampedusa/Viscontis DER LEOPARD, der, vom Schauplatz abgesehen, in seiner Konstellatrion eine leicht variierte Fortsetzung des ROSENKAVALIER sein könnte. Kein Wunder, dass die drei Werke zu meinen absoluten Lieblingen in ihren jeweiligen Gattungen zählen.


    Wenn dort der Graf von Salina (der sich allerdings hütet, sich mit Verwandten einzulassen) die Rolle der Marschallin einnimmt, so ist Octavian fast ein Ebenbild des Tancredi, wie er von Alain Delon in seiner besten Rolle verkörpert wurde. Geographische Unterschiede beiseite, könnte man sich für den späteren Octavian eine ähnliche Karriere vorstellen wie die von Tancredi, die ihn vielleicht bis zum Ministerpräsidenten führen wird. Und das nicht zuletzt durch die Heirat mit Amgelica der ordinär-engelhaften Tochter des stinkreichen Bürgermeisters und die Einsicht, dass die Dinge sich ändern müssen um dieselben bleiben zu können. Die wird zwar nur von Tancredi ausgesprochen, sie ist aber auch Octavian allemal zuzutrauen.


    Verblüffend ist übrigens auch die Ähnlichkeit zwischen Faninal und dem Bürgermeister Don Calogero. Während Lampedusa sich mit der gleichen Lust wie Hofmannsthal über die mangelnde Etikette seines Emporkömmlings amüsiert, begnügt er sich nicht wie dieser damit, ihn lächerlich zu machen, sondern enthüllt auch dessen Durchsetzungskraft und Skrupellosigkeit. Auch Octavian dürfte seinen künftigen Schwiegervater rasch durchschauen und für seine Zwecke einzusetzen wissen, ebenso wie dieser - nach der ersten Empörung über den unabsehbaren Skandal - sehr rasch zu der Einsicht findet, dass seine Tochter (und damit auch er selbst) enorm von der Verbesserung profitieren, die ein Graf Rofrano gegenüber einem Baron von Lerchenau bedeutet. Natürlich wird er wie ein Schießhund darauf achten, dass die beiden so schnell wie möglich heiraten und darin in der Marschallin eine Verbündete haben.


    Das hat alles nichts mit Anstand und Benehmen zu tun, nur mit Macht und Einfluss, kurz: Geld. Wie ich schon früher angedeutet habe, dürfte die Gräfin Faninal und später auch Octavian da durchaus hilfreichen Rat gegeben haben, denn nachdem sie sich entschlossen hat, ihrem eigenen Vorsatz gerecht zu werden und es Octavian leicht zu machen, sich von ihr zu trennen, wäre es mehr als verwunderlich, wenn sie sich nicht auch für sein künftiges Wohlbefinden einsetzte - ähnlich wie der Graf von Salina für seinen Lieblingsneffen, trotz einer naturgemäß sehr anderen anderen Vorgeschichte (oder doch nicht? Lampedusa und Visconti, dessen Neigungen ja nicht erst von Helmut Berger immer wieder gerne bestätigt wurden, waren da sehr diskret, taten aber auch wenig um einer solchen Spekulation entgegen zu treten).


    Womit wir zu der Frage kommen, warum Octavian eine Hosenrolle ist. Hofmannsthal hat sich bekanntlich bis zuletzt dagegen gewehrt, auch nach dem dem Hinweis auf die Tradition des Cherubino. Strauss hat es m. W. nie ausführlicher begründet, jedenfalls öffentlich, so dass man bis zu einem gewissen Grade auf Spekulationen angewiesen ist. Vielleicht ist die Wahrheit wirklich so banal, wie Strauss es sagte: es hat musikalische Gründe. Er hätte es zwar nie zugegeben, war sich aber wohl bewusst, dass Frauenstimmen ihn weit mehr inspirierten als die männliche Stimmlage. Man betrachte nur die ernsthaften männlichen Rollen seiner übrigen Opern. Von Jochanaan über den Bacchus oder den Kaiser bis hin zu Mandryka in der ARABELLA und Henry in die SCHWEIGSAME FRAU und den Herren von CAPRICCIO haben sie alle etwas weit mehr Deklamatorisches als ihre wunderbaren Gegenspielerinnen. Ausnahmen sind die komischen Charaktere Ochs, Morosus, La Roche etc. und - bezeichnenderweise die weitere große Hosenrolle seines Werks - der Komponist im nachgereichten Vorspiel der ARIADNE.


    Womöglich wollte Strauss einfach nicht das Risiko eingehen, dass die Rolle des Octavian musikalisch gegenüber den beiden Frauenrollen abfällt, was seiner Oper nicht bekommen wäre. Seien wir ob dieser Selbsterkenntnis froh. Wahrscheinlich bestanden seine Befürchtungen zu Recht.


    :hello: Rideamus

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  • Meine - kurzen - Gedanken zur Marschallin und zu Octavian:


    Ich bin auch der Meinung, dass das Alter der Marschallin angesichts der damaligen Zeit beurteilt werden muss. Sie steht viele Jahre mitten im Leben und ist vermutlich auch einige Zeit verheiratet. Will sagen, sie hat ihre Erfahrungen gemacht. Und sie weiß, dass die Affäre mit Octavian eine Affäre bleiben wird. Ich will nicht bestreiten, dass sie in möglicherweise liebt, aber sie kann die Geschichte realistisch einschätzen. Sie genießt das heute und wenn sie an morgen denkt, dann nur mit Wehmut. "Freiheit" gönnt sie sich nur im Schlafzimmer, in der Welt draußen verharrt sie in ihren Konventionen.
    Die Marschallin ist eine sinnliche, aber eben auch eine durch ihre Umwelt und ihren Werdegang geprägte realistische Frau.
    Sie kämpft nicht um Octavian, weil sie a) keine Chance sieht und b) dies nicht kann, ohne sich bloß zu stellen.


    Octavian ist jung, ungestüm, begeisterungsfähig. Ich denke da wie Waldi - die Marschallin zeigt ihm eine Welt, die er noch nicht kennt. Das zieht ihn an und hält ihn auch eine gewisse Zeit in ihrem Bann. Seine "Verwirrung" im Umgang mit den Zukunftsvisionen der Marschallin erklärt sich genau daraus. Er kennt nichts anderes und kann nicht verstehen, dass alles irgendwann ein Ende hat. Vor allem kann er nicht verstehen, dass er dafür die Ursache sein wird. Warum auch? Momentan gibt es für ihn nur die Marschallin...
    Sophie ist eine neue Verlockung. Ganz anders als die Marschallin und im Moment der Rosenüberreichung auch erstmal unerreichbar. Aber auch sie schlägt ihn in seinen Bann. Beabsichtigt oder unbeabsichtigt..das Ergebnis ist jedenfalls eindeutig. Dass er dann unüberlegt handelt (ich will es nicht als falsch bezeichnen) ist lediglich ein Ergebnis seines ungestümen Wesens. Was er macht, macht er mit Leidenschaft. Und vermutlich will er seine neue Liebe auch beeindrucken...
    Wenn ich die Beweggründe Octavians zusammenfassen sollte, würde ich sagen "Ganz oder gar nicht". Lediglich im Schlussterzett spürt man ein leichtes Schwanken, da er erkennt, dass er auf einen Teil seines bisherigen Lebens verzichten muss, um etwas anderes zu beginnen. Und er merkt, dass er damit jemandem weh tun muss und dass es auch für ihn ein schmerzlicher Schritt sein wird. Vielleicht vollzieht er hier den Schritt zum Erwachsen werden?


    LG
    Rosenkavalier

  • „Mal sehen, ob das bei der Bewertung des Octavian genauso ist, denn da sehe ich eigentlich größeres Konfliktpotenzial“, hat Rideamus oben geschrieben. Er scheint sich geirrt zu haben. Bislang sind wir uns in der Bewertung Octavians erstaunlich einig.


    Für nahezu sicher halte nach der Lektüre eurer Hinweise übrigens auch ich, dass Octavian Sophie heiraten wird.


    In einem meiner obigen Beiträge sah ich das noch anders. Ich schrieb: „Für zumindest fraglich halte ich es überdies, ob Octavian tatsächlich Sophie heiraten wird. Ist es nicht viel wahrscheinlicher, dass er – den Beispielen der Feldmarschallin und von Ochs folgend – mit Sophie einfach nur ein bisschen durch die Betten tobt und sich schließlich eine andere sucht?“


    Bei dieser Sichtweise habe ich mich wohl tatsächlich, wie Theophilus in anderem Zusammenhang annahm, von der Inszenierung Marellis irritieren lassen. In dieser besteigt am Ende der Oper Octavian mit Sophie eben das Bett, in dem er sich zu Beginn der Oper mit der Marschallin vergnügt hat (um nun mit Sophie zu tun, was die Marschallin mit ihm getan hat).


    Dieser Abschluss hatte eine gewisse suggestive Kraft. Die Bilderzählung wurde rund, der Kreis schloss sich.


    Nur steht dieser Schluss im Gegensatz zum Inhalt der Oper, wie ich nun klar sehe. Alle Beteiligten – Ochs ausgenommen – haben ein erhebliches Interesse an dieser Heirat, also wird sie zustande kommen.


    Treu bleiben jedoch wird Octavian seiner Sophie nicht, auch da bin ich mir nahezu sicher, er ist dafür viel zu wankelmütig, abenteuerlustig und draufgängerisch.


    Nahe liegend ist, dass Sophie auf Octavians Untreue reagieren wird, wie die Marschallin auf die ihres Mannes reagiert hat: Irgendwann wird Octavian im krowatischen Wald Jagd auf Bären und Luchse machen, Sophie wird sich unterdessen anderweitig vergnügen. Auch so wird die Geschichte rund, schließt sich der Kreis.


    Vielleicht hat sich ja bereits ein Regisseur dieses Endes bedient? Weiß das jemand? Ich stelle mir vor, dass die echten Sophie und Octavian sich, nachdem sie zu Ende gesungen haben, an der rechten Bühnenseite in den Armen halten, die Augen geschlossen, und nun auf der Mitte der Bühne als Ausblick in die Zukunft zu sehen ist, wie es in etwa 15 Jahren sein wird: Ein entsprechend älterer Doppelgänger Octavians nimmt Abschied von einer entsprechend älteren Doppelgängerin Sophies, um auf Jagd zu gehen. Kaum ist er weg, empfängt Sophie (alt) einen jungen Mann und steigt mit ihm ins Bett – und zwar in das, in dem anfangs Octavian und die Marschallin gelegen haben.


    Dieses Ende einer Inszenierung würde mir gefallen (aber bitte nicht als Videoprojektion).


    Liebe Grüße
    Thomas

  • Nun ja, ganz so einig sehe ich uns dann doch nicht. Zwar besteht Einklang, was die Charakteristik des frühen Octavian während der Handlungszeit der Oper angeht, aber seine Zukunft sehe ich doch sehr anders. Das sage ich nicht um Recht zu behalten und auch nicht, weil meine Position weniger zynisch wäre (eher im Gegenteil), sondern weil ich meine, dass die Rolle tatsächlich auf eine andere Zukunft ausgerichtet ist, nämlich die des erfolgreichen Politikers oder Generals.


    Ich habe ja schon früher auf eine mögliche Perspektive Parallele zum Szenario der "Gefährlichen Liebschaften" hingewiesen, die noch weiter führen würde. Realistischer aber scheint mir der Vergleich mit dem "Gattopardo". Als Beleg dafür, dass ich mir das nicht einfach aus den Fingern sauge, verweise ich noch einmal auf den erstaunlichen Fortschritt, den Octavians Intelligenz zwischen dem zweiten und dritten Akt an den Tag legt. Er kann ersichtlich größere Zusammenhänge durchschauen und für sich nutzen. Dafür gibt er auch ziemlich bedenkenlos alte Loyalitäten auf und wird später auch weniger Skrupel dabei haben wie noch bei der Marschallin. Auch hier gibt es eine Parallele zu Tancredi, denn, wie Rosenkavalier zu recht erkannt hat, es geht ihm immer um alles oder nichts. Mit Halbheiten gibt er sich nicht zufrieden.


    Deswegen kann ich Thomas auch nicht beipflichten, was die zukünftige Sophie betrifft. Mag sein, dass sie, die bald wegen politischer oder militärischer Ambitionen Rofranos allein mit ihren Kindern daheim gelassen werden dürfte, sich gerne die Marschallin zum Vorbild und den einen oder anderen Liebhaber nehmen will. Der bis dahin in diesen Dingen sehr erfahrene und umsichtige Rofrano wird jedoch genau dies erwarten und zu verhindern wissen. Vergessen wir nicht: Sophie ist von deutlich niedrigerem Stand als er, und während ihn das nicht hindern dürfte, ihr Geld für seine Zwecke zu verbrauchen, so wird er doch sorglich darauf achten, dass er NICHT von einer Frau niedrigeren Standes bloßgestellt wird und seine Frau gut bewachen lassen. Sein Motto ist sicher nicht weit von dem "quod licet Iovis non licet bovis" der alten Römer entfernt, das ja allgemein für die Freiheiten der Mnner gegenüber deren Mangel bei weniger privilegierten Frauen gilt - nicht nur damals. Womöglich spannt er dafür auch Sophies Vater, Faninal ein, mit dem er dieses Interesse gemein hat. Vielleicht kauft der ja tatsächlich für einen Schnäppchenpreis das anscheinend verpfändete oder verkaufte und so passend benannte Schloss Gaunersdorf, dass sein Beinahe-Schwiegersohnso gerne zurück bekommen hätte.


    Sophie könnte also, wenn sie nicht aufpasst und ihr Potenzial entwickelt, womöglich ein ähnliches Schicksal wie die Gräfin Lampedusa oder später die alte Frau Buddenbrook haben und sich der Frömmigkeit zuwenden. Schließlich waren die auch mal jung und begehrenswert. Oder sie behält ihren Trotzkopf und instrumentalisiert ihre Kinder. Man sollte das Mädchen nicht unterschätzen. Auch wenn es im Verlauf der Oper noch nicht den rechten Durchblick hat: sie wird ihn schon noch bekommen, und willensstark ist sie ja offensichtlich schon sehr.


    Schade, dass Hofmannsthal nicht mehr die Gelegenheit hatte oder ergriff, wie Alexandre Dumas ein "Vingt ans après" zu schreiben, das ja das eigentliche Prachtstück der "Drei Musketiere" ist. Aber das wäre eher ein Thema für den schon angesprochenen Thread "Was wäre wenn? Wie Opern im richtigen Leben weitergehen könnten". Vielleicht versuche ich dort mal was in dieser Richtung.


    :hello: Rideamus

  • Hallo Rideamus,


    die Uneinigkeit hinsichtlich Octavians Zukunft möchte ich zurückweisen. Zu dieser habe ich mich, mit Ausnahme der privaten Beziehung zu Sophie, gar nicht geäußert. An Sophie wird Octavian, habe ich oben ausgeführt, das Interesse verlieren.


    Die Verwendung des Bildes "Jagd im krowatischen Wald" steht bei mir nur für eine längere Abwesenheit Octavians, beinhaltet im Übrigen jedoch eine Gleichstellung Octavians mit dem Feldmarschall, die für Octavian durchaus ehrenhaft ist. Denk- und begründbar wäre es ja auch, ihn mit dem Ochs zu vergleichen, immerhin stellt der Ochs fest, dass er sich selbst in Octavian sehe:


    "BARON Ei, Er ist nicht faul! Er weiss zu profitieren, mit Seine siebzehn Jahr'! Ich muss Ihm gratulieren!


    OCTAVIAN Die Fräulein -


    BARON halb zu sich Ist mir ordentlich, ich seh' mich selber! Muss lachen über den Filou, den pudeljungen."


    Es ist eine interessante Frage, wieviel von Ochs in Octavian steckt. Nicht viel, das ist klar. Die Antwort "Gar nichts", wäre jedoch ersichtlich falsch. Man denke nur daran, dass Octavian sich nicht nur als Kammerzofe verkleidet, sondern auch problemlos die entsprechende Mundart zu sprechen weiß. Der Umgang mit Valzacchi und Annina bereitet ihm keinerlei Probleme. Selbst das Verhalten in der Vorstadtabsteige, dem "Gasthaus", ist ihm offenbar nicht fremd.


    Richtig und wertvoll ist dein Hinweis: "die Finesse, mit der er seinen ingeniösen Plan arrangiert, die Korrumpiertheit von Annina und Valzacchi richtig einschätzt und einsetzt, und die Lust am Spielerischen, mit der er den Annäherungsversuchen des Ochs begegnet - all das hätte man ihm zu Beginn nicht zugetraut. Offensichtlich ist er ein zwar noch unerfahrener, aber höchst aufgeweckter junger Mann, dem vermutlich noch eine große Zukunft bevorsteht."


    Nur, um an den Anfang dieses Beitrags anzuknüpfen: Wie du habe auch ich an der großen beruflichen Zukunft Octavians nicht die geringsten Zweifel - nicht zuletzt wird die Feldmarschallin im Hintergrund behilflich sein.


    Bitte nimm es nicht als Unhöflichkeit, dass ich nicht auf deine Ausführungen zu den Parallelen im "Leopard" eingehe. Leider kenne ich weder das Buch noch den Film und vermag ich mich daher nicht zu dieser Thematik zu äußern.


    Freundlich grüßt
    Thomas

  • Zitat

    Original von ThomasNorderstedt


    Bitte nimm es nicht als Unhöflichkeit, dass ich nicht auf deine Ausführungen zu den Parallelen im "Leopard" eingehe. Leider kenne ich weder das Buch noch den Film und vermag ich mich daher nicht zu dieser Thematik zu äußern.


    Freundlich grüßt
    Thomas


    Hallo Thomas,


    ich nehme so leicht gar nichts übel und erst recht nicht das. Allerdings kann ich Dir nur dringend raten, das Versäumnis wenigsten auf dem Wege der preiswerten DVD in der SZ-Edition nachzuholen. Ich bin sicher, der Film wird Dir sehr gefallen, nicht nur wegen der - vielleicht nur für mich auffälligen - Parallelen zum ROSENKAVALIER, sondern, von den filmischen Qualitäten dieses superben Meisterwerkes abgesehen, auch wegen der herrlichen Musik von Nino Rota, die allerdings mit Strauss weniger zu tun hat als mit Verdi - geschärft durch das Ohr eines Post-Straussianers.


    Ansonsten freut es mich natürlich, dass wir auch hinsichtlich Octavians Zukunft näher beieinander sind als mir zunächst schien.


    Richtig und wichtig finde ich, dass Du nicht nur auf die Kontraste, sondern auch auf die Parallelen zum Ochs verweist, denn die von Dir angeführten Zitate sind nicht die einzigen, die belegen, dass der so vertrottelt gar nicht ist, wie er gerne gesehen wird. Aber ich denke, der Ochs und Sophie kommen auch noch extra dran, oder?


    Mit bestem Gruß


    :hello: Rideamus

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  • Zitat

    Original von Rideamus
    Aber ich denke, der Ochs und Sophie kommen auch noch extra dran, oder?


    Mit bestem Gruß


    :hello: Rideamus


    Ochs auf jeden Fall, Sophie finde ich persönlich nicht so interessant.


    Mit dem Übergang zu Ochs möchte ich allerdings noch etwas warten, da ich hoffe, der eine oder andere wird sich noch zum Octavian äußern. Ehrlich gesagt, hatte ich damit gerechnet, dass viele von uns ihn deutlich positiver sehen als ich (Theophilus?)


    :hello:Thomas

  • Lieber Rideamus, immerhin gibt es hier noch eine Halbitalienerin, die Deine Ausführungen zum Gattopardo nachvollziehen kann und selbst nicht auf die bestechende Idee gekommen wäre, Parallelen zum Rosenkavalier zu ziehen.
    Ich liebe den Film ebenfalls sehr und die Figur des Salina imponiert mir ausserordentlich.. Allerdings muss man tatsächlich die sizilianische Sonne und die dortigen Vulkane in die überlegungen einbeziehen, denn Sophie stelle ich mir zumindest ganz anders vor als Angelica und der Tancredi scheint mir doch auch älter als Octavian oder irre ich da?
    Ich glaube ein Octavian mit einer Angelica wäre evtl eher an die Kette zu legen .
    Ich würde aber gar nciht so serh ausschliessen, dass sich Sophie zu einer klugen Ehefrau des Quinquin entwickeln könnte, die durchaus die Fäden im Hintergrund zieht, was politische Karriere etc pp angeht. Allerdings wird sie vorher Einiges an Lehrgeld bezahlen müssen, und erst wenn sie ihre romantische Naivität ganz hinter sich gelassen hat und die Tochter ihres Vaters zum Vorschein kommt, wird sich Octavian vielleciht noch die Äuglein reiben.
    Ich finde beim Rosenkavalier tatsächlich eine mögliche Fortsetzung ausserordentlich interessant, denn zumindest zwei Hauptprotagonisten stehen ja am Ende der Oper noch ganz am Anfang ihres Weges und wie der dann weitergeht, wäre schon SEHR spannend. Thomas Überlegungen Rcihtung Schnitzler-Reigen gefallen mir auch sehr gut. Wie wäre es z.B,. wenn die Marschallin irgendwann auch bei Herrn von Faninal landet und der Tenor noch eine tragendere Rolle bekommt, als sich nur die Kehle wundzusingen?


    Mich interessiert auch die Parallele zum Figaro nochmal detailierter. Cherubino und Quinquin bekomme ich ja noch gut zusammen, aber dann? Die Gräfin mit der Marschallin schon gar nciht mehr. Und der Marschall alias Graf taucht nur als Phantom auf. Entscheidender Unterscheid: die Contessa liebt ihre Ehemann, anders wären ihre Arien und insbesondere der Schluss eine vordergründige Farce.
    Und was ist mit Susanna und Figaro? ?( ?( ?(


  • @ Thomas:


    wenn Dich die Sophie nicht so interessiert, werde ich mich bei Gelegenheit gerne ihr widmen. Allerdings möchte auch ich noch eine Erweiterung dieses Trialogs abwarten.


    @ Fairy:


    man sollte Parallelen in Kunstwerken nicht zu ausgiebig suchen, denn sonst wären sie keine eigenständigen Kunstwerke mehr, sondern mindestens eines nur ein Imitat. Das gilt sowohl für den FIGARO, der ja nur Vorbild, nicht Vorlage war, als auch für den Leoparden, der in der Tat erst etwa dort einsetzt, wo der ROSENKAVALIER aufhört - und selbst das sicher unabsichtlich.


    Dennoch faszinieren die Parallelen bei verwandt großen Seelen, denn sie erlauben unerwartete Ein- und Ausblicke.


    Die sehe ich allerdings überhaupt nicht im REIGEN, so sehr ich Schnitzler liebe und ansonsten gerne diesem Kreis zurechne. Allein zwischen der Marschallin und Faninal klaffen unüberbrückbare Welten, über die sie nur für einen sehr guten Zweck eine rasch vergängliche Pontonbrücke schlagen würde. Der Kreis könnte allenfalls durch einen hochrangigen Liebhaber Sophies geschlossen werden, den es (s.o.) wahrscheinlich nicht geben wird.


    Was mir aber dabei auffällt, ist die Möglichkeit, dass aus Sophie so etwas wie die FIGARO-Gräfin werden könnte, denn auch Rosina war ja eine Bürgerliche, die unter ähnlichen Umständen aufwuchs wie Sophie.


    Die Fortsetzung nimmt Gestalt an. :yes:


    :hello: Rideamus

  • Vielleicht erklärt sich die Attraktivität Sophies für Octavian auch dadurch, dass er ihr beziehungstechnisch "auf Augenhöhe" und in sozialer Hinsicht als der Höherrangige begegnen kann. Bei der Marschallin ist und bleibt er der "Bub". Sie behandelt ihn liebevoll-herablassend, nachsichtig, fast wie eine Mutter (wenn man von der erotischen Komponente mal absieht). In dieser Beziehung ist und bleibt Octavian immer der Lernende, der Heranwachsende, der Formbare. Bei Sophie ist das anders. Ihr hat er jetzt die Erfahrung eines amourösen Abenteuers voraus, dazu kommt noch, dass er sich Sophie gegenüber als ritterlicher Verteidiger ihrer Ehre erweisen kann. Er kann so die traditionelle beschützende Männerrolle annehmen und "erwachsen" erscheinen. Sie, die Gleichaltrige, bewundert ihn dafür und sieht in ihm den prototypischen Kavalier von Stand, bei dem sie sich geborgen fühlen kann. Während die Liebe der Marschallin sich eher auf die jugendlichen, sehr handfesten Vorzüge Octavians bezieht, verliebt sich Sophie in Octavian auch wegen seines Charakters. Sie nimmt ihn ernst.



    :hello:


    GiselherHH




    P.S.: Vielen Dank noch an Waldi für seine sehr erhellenden Anmerkungen hinsichtlich Friedell und Spätbarock!

    "Mache es besser! (...) soll ein bloßes Stichblatt sein, die Stöße des Kunstrichters abglitschen zu lassen."


    (Gotthold Ephraim Lessing: Der Rezensent braucht nicht besser machen zu können, was er tadelt)

  • Lieber Giselher,


    ich bin zwar nicht immer dafür, überall gleich Absichten zu wittern, aber Deiner These kann ich mich nur voll anschließen.


    Sie belegt übrigens ebenfalls, wie steil Octavians Lernkurve verläuft. Kaum hat er etwas erfahren, muss er es sofort ausprobieren - und er hat auch noch Erfolg damit.


    Trotzdem: verachtet mir die Sophie nicht. Sie ist ja noch jünger und unerfahrener als Octavian zu Beginn der Oper, hat es aber wahrscheinlich auch faustdick hinter den Ohren. Immerhin spürt sie sofort, wie und durch wen sie sich aus der scheinbar unentrinnbaren Misere befreien kann, und macht instinktiv alles richtig um das auch durchzusetzen. Auch das will gekonnt sein.


    :hello: Rideamus

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  • Zitat

    Original von GiselherHH
    Vielleicht erklärt sich die Attraktivität Sophies für Octavian auch dadurch, dass er ihr beziehungstechnisch "auf Augenhöhe" und in sozialer Hinsicht als der Höherrangige begegnen kann. Bei der Marschallin ist und bleibt er der "Bub". Sie behandelt ihn liebevoll-herablassend, nachsichtig, fast wie eine Mutter (wenn man von der erotischen Komponente mal absieht). In dieser Beziehung ist und bleibt Octavian immer der Lernende, der Heranwachsende, der Formbare. Bei Sophie ist das anders. Ihr hat er jetzt die Erfahrung eines amourösen Abenteuers voraus, dazu kommt noch, dass er sich Sophie gegenüber als ritterlicher Verteidiger ihrer Ehre erweisen kann. Er kann so die traditionelle beschützende Männerrolle annehmen und "erwachsen" erscheinen. Sie, die Gleichaltrige, bewundert ihn dafür und sieht in ihm den prototypischen Kavalier von Stand, bei dem sie sich geborgen fühlen kann. Während die Liebe der Marschallin sich eher auf die jugendlichen, sehr handfesten Vorzüge Octavians bezieht, verliebt sich Sophie in Octavian auch wegen seines Charakters. Sie nimmt ihn ernst.


    Das ist genau die "andere Welt", die Octavian in meine Augen in Sophie sieht. Ihre Hingabe gilt ganz ihm, während die Marschallin ihn im Grunde genommen auf Distanz hält.
    Im Schlussduett kommt m.E. klar zum Ausdruck, dass Sophie Octavian als "Beschützer" bzw. als starken Mann sieht ("Kannst Du lachen? Mir ist zur Stell' bang wie an der himmlischen Schwell'. Halt mich! Ein schwach Ding wie ich bin, sink Dir dahin"). Das hat in meinen Augen auch nicht die Spur von Koketterie.


    LG
    Rosenkavalier

  • Zitat

    Original von ThomasNorderstedt


    Es ist eine interessante Frage, wieviel von Ochs in Octavian steckt. Nicht viel, das ist klar. Die Antwort "Gar nichts", wäre jedoch ersichtlich falsch. Man denke nur daran, dass Octavian sich nicht nur als Kammerzofe verkleidet, sondern auch problemlos die entsprechende Mundart zu sprechen weiß.


    Entschuldige, lieber Thomas, aber das ist für einen Wiener Adeligen des 18.Jahrhunderts kein Problem. Der sprach entweder französisch oder Wienerisch (und vom gehobenen Dialekt zum bürgerlichen ist es nicht so weit). Wenn sich die Herren (auch Damen) schriftlich "hochdeutsch" ausdrücken, kommt es meist recht gestelzt und mühsam heraus.
    Und bitte vergeßt nicht, daß sich in der Mitte und in der zweiten Hälfte des 18.Jahrhunderts die Gesellschaft rapide weiterentwickelt. Manche wollten das nicht wahrhaben bzw. um jeden Preis abwehren, aber nichts deutet bei Octavian darauf hin, daß er zu dieser Kategorie gehört (während ein Ochs natürlich politisch ein Stockkonservativer ist, denn seine Standesprivilegien gehen ihm über alles und die Moral ist ihm wurscht, solange er dadurch sich nicht der öffentlichen Ächtung aussetzt). Übrigens gibt es einen heiteren Roman vonFritz Habeck, "Schwarzer Hund im goldenen Feld", der von diesen Umwälzungen des Dixhuitième einiges für das heutige Verständnis aufbereitet hat und dabei auch die Leichtigkeit vermittelt, die für das Selbstverständnis von damals so wichtig war, und die sich im Josephinismus dann mit Ernst anreichert.
    Auch im 20.Jahrhundert lernte man den Wiener Jargon auch als behütetes Bürgerskind pätestens in der Schule. Mein kanadischer Onkel war bei einem seiner seltenen Besuche peinlich darüber berührt (ich hatte gerade eine Hochphase des Meidlingerischen) und fragte meine Eltern verstört, ob ich dadurch nicht Schwierigkeiten bekäme. Nun, ich kann das hoffentlich noch heute, wenngleich vielleicht nicht in der früheren Perfektion, drücke mich aber normalerweise nicht in solchem Stil aus. Immerhin, es gibt eine bekannte Künstleranekdote, die den Wert dialektischer Fähigkeiten unterstreicht:
    Für irgendeine renommierte Bilderausstellung waren Werke einzureichen. Der unglückliche - leptosome - Sekretär hat sich mit einem ungebildeten Vorstadtfleischermeister böhmischer Abstammung herumzuschlagen, der partout das Machwerk seines dilettierenden Sprößlings für diesen Zweck einreichen will. Vergeblich müht sich der Sekretär mit größter Höflichkeit, dem unbelehrbaren Mann verständlich zu machen, daß die Kunstideale weit auseinanderklaffen. Als er schon ganz verzweifelt nicht mehr aus noch ein weiß, und der Meister immer drohender wird, kommt glücklicherweise ein weltgewandtes Mitglied des Künstlerhauses dazu, läßt sich die Sachlage kurz erklären, wirft einen Blick auf das umstrittene Opus und wendet sich dann im ärgsten Vorstadtjargon an den lästigen Forderer, schon halb verhochdeutscht ungefähr so: "Hearst, blader Fetzenschädel, wonnst des Gschmier net glei zsammpackst und di über die Heiser haust, moch i a Fetzenlaberl aus dir, scheanglater Aff, depperter!" Worauf der Fleischermeister zu seinem Bild greift, es wieder in die Hülle packt und im Abgehen mit einem bösen Blick auf den Sekretär bemerkt: "No, dos sogte mir Fochmonn, nicht geistiges Heuhupfer!"


    LG


    Waldi

  • Zitat

    Original von Rosenkavalier


    Das ist genau die "andere Welt", die Octavian in meine Augen in Sophie sieht. Ihre Hingabe gilt ganz ihm, während die Marschallin ihn im Grunde genommen auf Distanz hält.
    Im Schlussduett kommt m.E. klar zum Ausdruck, dass Sophie Octavian als "Beschützer" bzw. als starken Mann sieht ("Kannst Du lachen? Mir ist zur Stell' bang wie an der himmlischen Schwell'. Halt mich! Ein schwach Ding wie ich bin, sink Dir dahin"). Das hat in meinen Augen auch nicht die Spur von Koketterie.


    LG
    Rosenkavalier



    Womit wir nun doch wieder fast bei meiner Anfangsthese sind: Männer wie Octavian amüsieren sich zwar sehr gerne mit erfahrenen Marschallinnen, aber zum Heiraten sind eben die Sophies dieser Welt da. Der Beschützerinstinkt, das(mehr oder weniger verborgene) männliche Überlegenheitsgefühl, der Eroberungsdrang, die Eitelkeit und was es sonst noch mehr der archaischen Gene geben mag : in einer auf Dauer angelegten Beziehung dieser Epoche sind das nicht zu unterschätzende Faktoren.
    Wer will schon als unerfahrener, wenngleich reizender Bub gehätschelt werden?
    Sophie empfinde ich musikalisch auch nciht als kokett oder gar berechnend, sondern authentisch in ihrer verliebten "Schwäche" und Hingabe. Und daher umso anziehender für Octavian.
    Und sie hat durchaus das Potential, mal eine Figaro-Contessa zu werden und dumm ist die ja nun auch nicht.


    Lieber Waldi :hahahaha:


  • Zitat

    Original von Fairy Queen
    Womit wir nun doch wieder fast bei meiner Anfangsthese sind: Männer wie Octavian amüsieren sich zwar sehr gerne mit erfahrenen Marschallinnen, aber zum Heiraten sind eben die Sophies dieser Welt da.


    Cara, ich denke, da tust Du meinem Namenpatron m.E. ein wenig unrecht. Derartige Berechung würde ich Octavian in der Beziehung zur Marschallin nicht unterstellen wollen. Sie ist die Bestimmende, nicht er. Und noch hat er Sophie ja auch nicht geheiratet - das ist Stoff für die Fortsetzung ;)


    LG
    Rosenkavalier

  • Zitat

    Original von Rosenkavalier
    Berechung würde ich Octavian in der Beziehung zur Marschallin nicht unterstellen wollen. Sie ist die Bestimmende, nicht er. Und noch hat er Sophie ja auch nicht geheiratet - das ist Stoff für die Fortsetzung ;)


    LG
    Rosenkavalier


    Berechnung wäre sicher des Bösen zuviel, aber ich bin sicher, Octavian wusste sehr gut, warum er sich an die Marschallin heran gemacht hat. Weit weniger sicher bin ich mir, wer wen verführte oder das so gerne zuließ.


    Die Fortsetzung würde für mich allerdings erst eine Weile nach der selbstverständlichen Eheschließung zwischen Octavian und Sophie interessant. Dazu mehr s.o.


    :hello: Rideamus

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  • Zitat

    Original von Walter Krause
    ..., kommt glücklicherweise ein weltgewandtes Mitglied des Künstlerhauses dazu, läßt sich die Sachlage kurz erklären, wirft einen Blick auf das umstrittene Opus und wendet sich dann im ärgsten Vorstadtjargon an den lästigen Forderer, schon halb verhochdeutscht ungefähr so: "Hearst, blader Fetzenschädel, wonnst des Gschmier net glei zsammpackst und di über die Heiser haust, moch i a Fetzenlaberl aus dir, scheanglater Aff, depperter!" Worauf der Fleischermeister zu seinem Bild greift, es wieder in die Hülle packt und im Abgehen mit einem bösen Blick auf den Sekretär bemerkt: "No, dos sogte mir Fochmonn, nicht geistiges Heuhupfer!"


    :jubel: Herrlich! :jubel:



    (Ich fürchte aber, dass da für so manches nördlichere Mitglied eine Übersetzung angesagt wäre ;) ).

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Lieber Theophilus,


    Zitat

    (Ich fürchte aber, dass da für so manches nördlichere Mitglied eine Übersetzung angesagt wäre ;) ).


    :hahahaha: Nicht nötig. :hahahaha:



    LG


    Maggie


    PS: Ich schreibe natürlich nur für mich, möglicherweise besteht dennoch der Wunsch einiger Taminos nach einer Übersetzung. :]

  • Liebe Quinquinette, Berechnung im vorsätzlichen Sinne unterstelle ich dem süssen Kleinen ja gar nciht. Er hat sich verliebt, er macht nie gekannte Höhenflüge und ist liebenswerterweise ganz von Sinnen und glaubt natürlcih wie alle 17 Jährigen, dass es nur eine Liebe im Leben gibt und dass ist immer die Gegenwärtige.
    Aber er hat in sich quasi imprägniert die "Gene" (damit meine ich eher soziale Prägungen) der Männer seiner Epoche, seines Standes. Und daher ist eine Marschallin immer nur die vorübergehende Mätresse aber niemals die künftige Ehefrau.
    Eine Lust-Frau heiratete Mann von Stand nicht, oder doch nur in den allerseltendesten Ausnahmen und eine, die gar noch um Vieles älter war und wohlmöglich noch andere Liebhaber hatte, wäre ein Skandal!
    Das wird dem Bub im Moment der Extase mit Sciehrheit nicht bewusst gewesen sein, aber im Hinterkopf war es ihm sehr wohl doch bewusst-Nur das wollte ich sagen.
    Im übrigen finde ich die Beziehung Octavian-Sophie musikalisch so eindeutig von Strauss komponiert, dass es da keinerlei Zweifel geben kann. Allein mein Zuhören glaubt man sich ja schon im siebten Himmel der ersten grossen Liebe udn beim selbst Singen verliebt man sich zwangsläufig gleich auch erstmal .
    Da haben Marschallinnen jedweder Couleur einfach nur noch das Nachsehen.


    Fairy Queen


    Lieber Rideamus, natürlich wird die Fortsetzung erst in dem Moment interessant, wo Sophie und Octavian die Flitterzeiten hinter sich haben. Ich würde mal sagen, ab der zweiten Schwangerschaft.
    Evtl hat Sophie danach keine Lust mehr auf weitere Kinder und will ihre Taille wenigstens annähernd behalten und so weiter und so weiter

  • Zitat

    Original von Walter Krause
    "Hearst, blader Fetzenschädel, wonnst des Gschmier net glei zsammpackst und di über die Heiser haust, moch i a Fetzenlaberl aus dir, scheanglater Aff, depperter!"


    Bitte schön, eine kleine Hilfe:


    blad = dick, beleibt


    Fetzenschädel ist leider unübersetzbar, bitte ein beliebiges deftiges Schimpfwort einsetzen


    wonnst = wenn du


    Heiser = Häuser


    sich über die Häuser hauen = abfahren = verschwinden


    Fetzenlaberl = künstlicher "Ball", aus Fetzen zusammengenäht, diente als Fußballersatz


    scheanglert, scheanglat = schielend


    Entscheidend ist übrigens die Aussprache mit den charakteristischen Dehnungen, dem Schiefmaul, den ordinären Lautentstellungen, und der beim "l" seitlich zwischen die Zähne gepreßten Zunge...


    Seavaaas Haberer (Hawara)


    Waldi


    P.S.: Wenn der Octavian keine Hosenrolle wäre, hätte Strauss nicht das wundervolle Schlußterzett schreiben können. Ein Tenor hätte das doch verdorben, nicht einmal JDF wäre mir das vorstellbar!

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  • Lieber Waldi,


    da Deine Übersetzungshilfen sich unfreiwillig zu einem non sequitur entwickelt haben, möchte ich diesen Thread mal durch einen Hinweis wieder beleben, auf den ich gerade gestoßen bin, weil ich beim Räumen das von Willi Schuh herausgegebene, wunderbare Buch DER ROSENKAVALIER - FASSUNGEN. FILMSZENARIUM, BRIEFE (Fischer, 1971) wieder entdeckt habe, das leider vergriffen, im Amazon Marketplace aber noch für runde 30 Teuro zu haben ist. Für jeden, der sich für dieses Werk interessiert, ist es nachgerade ein MUSS.


    Unter anderem findet man darin eine Notiz Hofmannsthals, wie er sich die besetzung des ROSENKAVALIER-Films vorstellt. Man kann da also von einer authentischen Idealvorstellung der Typen sprechen (Sprache und Dialekte waren beim Stummfilm ja noch nicht relevant. Die besetzung des fertigen Filmes wich übrigens bis auf eine Rolle stark davon ab. Ich füge sie in Klammern hinzu.


    Feldmarschall (im Film eine wichtige Rolle): Werner Krauss (Paul Hartmann)
    Marschallin: Asta Nielsen !!! (Huguette Duflos, ein renommiertes Mitglied der Comédie Francaise)
    Ochs: Emil Jannings, Michael Bohnen, Heinrich george (Michael Bohnen)
    Octavian: Maria Brioschi - damals eine populäre ITALIENISCHE Darstellerin (Jaque Catelain)
    Sophie: Dora Kaiser - eine sehr populäre österreichische Schauspielerin, die Hofmannsthal wohl mit ihrer Verkörperung von Mozarts Konstanze in einem anderen Film schätzen lernte (Elly Felicie Berger)


    Die internationale Besetzung des fertigen Films erklärt sich wohl dadurch, dass man sich für den Film ein großes Geschäft in ganz Europa erwartete und das durch namhafter Stars der jeweiligen Länder befördern wollte.


    Die Bilder von Hofmannsthals Wunschbesetzung kann man aber wohl als Vorbild für die idealtypen seiner Held(inn)en ansehen.


    Ich werde mir dieses Buch mal wieder etwas eingehender zu gemüte führen, weil es sehr erfreulich und interessant zu lesen ist und mich dann vor allem zur Sophie in diesem Thread zurück melden.


    :hello: Rideamus

  • Hallo Rideamus,


    danke für den Hinweis auf das Buch.


    Damit uns die Zeit bis zu deinem Zurückmelden nicht zu lang wird, schreibe ich etwas zu Baron Ochs von Lerchenau, der noch fehlenden Person des die Oper dominierenden Dreigestirns:

    Zugegeben, soweit man nur den Gesang ins Auge fasst, gibt es interessantere Rollen. Nur wäre das gerade beim Ochs völlig verfehlt, ist doch das Schauspielerische bei ihm von eminenter Bedeutung.


    Ein Sänger, der den Ochs auch schauspielerisch ausfüllt, kann die anderen Personen der Oper regelrecht an die Wand zu spielen. „Der Ochs hat mir am besten gefallen“, war sich beispielsweise das Hamburger Publikum vor einigen Jahren einig, als Kurt Moll einen solch grandiosen Auftritt hatte. Dann darf der Ochs allerdings nicht nur als grobschlächtiger Dummkopf gespielt, sondern muss die Rolle differenzierter angelegt werden.


    Sicher, der Ochs ist ein aufgeblasner, schlechter Kerl. Aber schon beim Alter – ich wiederhole das oben zur Marschallin gesagte – wird regelmäßig zu hoch angesetzt. Irgendwo habe ich mal gelesen, dass der Ochs etwa Mitte 30 sein soll (ich finde die Quelle nicht). In der Tat scheint mir ein solches Alter angemessen. Zwischen der Marschallin und Ochs einerseits und Sophie und Rosenkavalier andererseits sollte eine Generation liegen, nicht zwei. Man stelle sich vor: Die Marschallin als Oma. Durchaus gut aussehen kann der Ochs zudem. Immerhin hat er bei seinen Liebesabenteuern durchaus Erfolg (z.B. reagiert er auf den vermeintlich von Mariandel kommenden Brief mit den Worten: „Geht all´s recht am Schnürl so wie z´Haus“) , wenn auch der Kommissar in Bezug auf Ochs äußert : „Der große Dicke da? Wo hat er sein Paruckl?“


    Einerseits, andererseits, so geht es beim Ochs immerzu:


    Einerseits ist Ochs dem alten Adel zugehörig und von erheblichem Standesbewusstsein („Der Baron Lerchenau antichambriert nicht.“ „Musst denen Bagatelladeligen immer zeigen, dass nicht für unsresgleichen sich ansehen dürfen, muss immer was von Herablassung dabei sein.“)


    Andererseits Ochs ist durchaus bereit, sein Standesbewusstsein außer Acht zu lassen, soweit es seinen Interessen dient (Er geht die Mesalliance mit Sophie ein. Er ist – weil sie ihn interessiert – sofort bereit, sich bei „Mariandel“ zu entschuldigen, als sie mit ihm zusammenstößt („Pardon, mein hübsches Kind“). Auch in Bezug auf seine Nachkommen sieht er den Ruf durch das Geld kompensiert: „… und was die Kinder anlangt, wenn sie denen den goldnen Schlüssel nicht konzedieren werden - Va bene! Sie werden sich mit den zwölf eisernen Schlüsseln zu den zwölf Häusern auf der Wied'n zu getrösten wissen“).


    Einerseits benimmt er sich daneben (Vor allem bei seinem Auftritt bei Sophie. Auch heißt es einmal im Libretto: „unmanierlich essend“).


    Andererseits kann er sich sehr wohl benehmen, wenn er will (Nach dem Eintreten zu Beginn steht als Spielanweisung im Libretto: „Er geht mit weltmännischer Leichtigkeit auf die Marschallin zu.“ Nur will er es eben gar nicht: "(erleichtert): Mit euer Gnaden ist man frei daran. Da gibt´s keine Flausen und keine Etikette und keine spanische Tuerei.“


    Einerseits ist er der Marschallin lästig.


    Andererseits ist er doch ihrer Welt zugehörig und ihr gut bekannt (Die Marschallin erkennt, kaum hört sie das Wort „Baron“, den Ochs allein an seiner Stimme. Sie hilft ihm. Sie ist bereit, mit ihm zu Abend zu essen. Er hat ihr „seinerzeit wahrhaftig Tag für Tag seine Aufwartung gemacht, da sie im Bad gesessen ist, mit nichts als einem kleinen Wandschirm zwischen ihr und ihm“).


    Deutlich aber ist Ochs schwer von Begriff (beispielsweise beharrt er auf der Morgengabe, obwohl der Notar ihm schon mehrfach erklärt hat, dass das nicht geht. Auch als er begreift, was es mit Mariandel/Octavian auf sich hat, geschieht das nur „allmählich der Situation beikommend“.


    Ochs ist zudem eindeutig Schürzenjäger durch und durch. Das Schürzenjägertum ist seine dominierende Verhaltensmaßgabe. An Treue denkt er nicht (Die Eheschließung führt nur dazu, dass er „doppelt scharf auf jedes Wild“ ist. „Wo nicht dem Knaben Cupido ein Geschenkerl abzulisten wär…“). Besitzdenken ist ihm fremd: „Hab' nichts dawider, wenn du ihr möchtest Äugerl machen, Vetter, jetzt oder künftighin. Ist noch ein rechter Rühr-nicht-an. Betracht's als förderlich, je mehr sie degourdiert wird. Ist wie bei einem jungen ungerittenen Pferd. Kommt all's dem Angetrauten letzterdings zugut', wofern er sein eh'lich Privilegium zunutz zu machen weiss.“


    Das Schürzenjägertum ist Ochs sogar wichtiger als das Geld: Als Ochs Sophie zunächst zu sich selbst sprechend (also ehrlich) charakterisiert, spricht er nicht zunächst von ihrem Geld, sondern von ihrem Körper: „appetitlich“. Auch der Marschallin gegenüber ist das Erste, was Ochs zur Charakterisierung Sophies einfällt, deren Schönheit („das Mädchen ist für einen Engel hübsch genug.“ Erst danach kommt Och auf das Geld zu sprechen.


    Erklären lässt sich dieses einerseits, andererseits wie folgt: Hofmannsthal hat zwei typische Theaterfiguren als Grundlage genommen:


    Einerseits den feschen Adeligen, galanter Kavalier der alten Schule, der ein amouröses Abenteuer nach dem anderen erlebt, für die Liebe lebt.


    Andererseits den dummen Bauern, der keine Manieren hat, der in die Residenzstadt kommt und sich danebenbenimmt.


    Diese beiden Typen hat Hofmannsthal im Ochs durcheinandergemischt (und ein bisschen verarmter Landadel dazugegeben), so dass Ochs die Eigenschaften beider Typen aufweist und je nach Situation auch zeigt.


    Das Austarieren dieser Typen ist die Aufgabe, die der Sänger des Ochs bzw. der Regisseur zu lösen hat. Mir persönlich wird die Rolle üblicherweise zu sehr in Richtung dummer Bauer ausgelegt. Ich würde gern ein wenig mehr vom feschen Kavalier sehen.


    Viele Grüße
    Thomas

  • Zitat

    Original von ThomasNorderstedt


    Das Austarieren dieser Typen ist die Aufgabe, die der Sänger des Ochs bzw. der Regisseur zu lösen hat. Mir persönlich wird die Rolle üblicherweise zu sehr in Richtung dummer Bauer ausgelegt. Ich würde gern ein wenig mehr vom feschen Kavalier sehen.


    Lieber Thomas,


    In den Inszenierungen, die ich gesehen habe, wurde das stets auch dadurch akzentuiert, daß sich die Gefolgschaft des Ochs tatsächlich so bauernhaft und undiszipliniert gab wie ein Haufen Landleute aus einem niederländischen Bild der "ruralen" Gattung. und auch äußerlich einen verwahrlosten Eindruck hervorrief. Da hob sich selbst Ochs mit seiner Art deutlich ab, in ihm steckt ja noch ein Rest von barockem Dandy.


    LG


    Waldi

  • Hallo Thomas,


    auch zum Ochs ist das Buch eine wahre Fundgrube. So enthält es das folgende Zitat von Richard Strauss in einem Brief von 1943 an Willi Schuh zum Ochs:


    "Ich unterschreibe wiederum, dass Ochs kein widerlicher, hässlicher alter Geißbock, sondern, wenn auch ländlich angehaucht und mit unsympathischen Charaktereigenschaften eines wahllosen Schürzenjägers und geizigen Landedelmannes behaftet, doch immerhin ein ansehnlicher, sogar hübscher Don Juan von etwa 35 Jahren sein soll, der sich auch im Boudoir einer Marschallin... zu benehmen versteht. ... Die Figur ist von dem Dichter kräftig genug gezeichnet, so dass der Darsteller eher mildern und verschönern soll, statt das Derbe und Unsympathische noch zu utnerstreichen. "


    Das Filmszenario zeigt sogar noch dessen Mutter, die "Stiftsdame", Freiin von Ochs auf Lerchenau (Ochs ist also Bestandteil seines Adelsnamens, und man darf diesen sicher nicht zufällig gewählten Namen nicht zu wörtlich verkörpern. Da hast Du völlig Recht), wie sie mit ihren letzten Habseligkeiten Kinder des Dorfes und einen Blinden beschenkt und wehmütig ein Kinderbild ihres nunmehr ebenfalls verarmten Sohnes betrachtet: "ein herziger kleiner - dreijähriger - Bub im Hemd, neben einem Schaukelpferd. Der Bub schwingt einen krummen türkischen Säbel". Erst danach sieht man den erwachsenen Ochs in seinem "verfallenen Edelhof", wie er mit einer List (er lockt sie in sein "Cabinet" einer jungen Bäuerin nachstellt und erst durch einen, ihm "durch eine bresche vom verwahrlosten Schindeldach" auf den Kopf fallenden Kater daran gehindert wird, sie zu erhaschen. Derweilen bestehlen ihn seine Diener, wo sie nur können.


    Der Leopold, den ich immer für den "Leibdiener" des Ochs gehalten hatte, ist im Film übrigens sein Cousin, der Sohn des verstorbenen Bruders der Freiin. Im damaligen Film war man halt erheblich keuscher als auf der Bühne, und da durfte es uneheliche Kinder höchstens in herzzerreißenden Melodramen geben.


    Daraus lernen wir: Ochs wurde erst durch die Armut zum groben Bauern, der seiner aufsässigen und schlecht bis gar nicht bezahlten Dienerschaft nicht wirklich Herr wird. Seine Voraussetzungen waren durchaus bessere, und das verrät er auch immer wieder zur allgemeinen Überraschung.


    Diese Widersprüchlichkeit MUSS von dem Sänger des Ochs aufgenommen werden, da sonst viele seiner durchaus wohlerzogenen Instinktreaktionen unlogisch erscheinen. Ich sehe den Ochs also als einen verarmten Adeligen, der dennoch genug zu essen bekommen hat um etwas rundlich zu sein, aber die Reste seines Anstands sorgfältig pflegt. Das Bauerntölpelhafte sollte man seiner Dienerschaft überlassen. Wäre die Mariandl ein wirkliches Mädchen, wäre durchaus vorstellbar, dass der Ochs sie noch beeindruckt.


    Hier sind wir uns also völlig einig. Der übliche Slapstick, den Regisseure dem Ochs so oft angedeihen lassen, mag zwar dankbare lacher erzeugen, verrät aber den Charakter. Am Schluss sollte man dezidiert Mitleid mit ihm empfinden, denn der fraglos bevorstehende Skandal, den sein Auftritt in dem Beisel ungeachtet der bemühungen der Marschallin mindestens in der Flüsterpropaganda erzeugen wird, dürfte es ihm unmöglich machen, in Wien noch eine gute Partie zu finden, was sein Schicksal besiegelt.


    Überhaupt: Schade, dass der Text so lang und womöglich noch geschützt ist, denn es ist wirklich hochinteressant, wie Hofmannsthal sein Bühnenstück für den Film "aufmacht". Allein wie er die Vorbereitung zu der die Oper eröffnenden Bettszene schildert, die es in dieser Form im Film nicht gibt (Filmzensur?), spricht ebenfalls Bände über das anfängliche Verhältnis der beiden - ohne dass dem bisher hier Gesagten ernsthaft widersprochen wird. Vielleicht werde ich es dennoch bei nächster Gelegenheit etwas ausführlicher referieren. Interessant ist schon mal, dass der Ochs die Beiden beobachtet, wie sie sich bei einam Waldspaziergang näher kommen, aber nicht recht weiß, ob er glauben soll, was er da gesehen hat.


    Und noch ein pikantes Detail: Sophie wird in dem Stift der Freiin, Ochsens Mutter (!), erzogen, die die Alliance zwischen ihr und ihrem Sohn gemeinsam mit Faninal arrangiert, indem sie diesem den beeindruckenden Stammbaum ihres Sohnes zeigt.


    :hello: Rideamus

  • Zitat

    Original von Rideamus


    Der Leopold, den ich immer für den "Leibdiener" des Ochs gehalten hatte, ist übrigens sein Cousin, der Sohn des verstorbenen Bruders der Freiin.


    Lieber Rideamus,


    In der Oper ist er nicht der Cousin, sondern der Sprößling des Barons (Baron zur Marschallin: "Nein, einen Sohn. Trägt lerchenauisches Gepräge im Gesicht. Halt' ihn als Leiblakai"). Der Film ist eine andere Sache.
    Das Edelmännische im Baron zu betonen, wurde auch seitens der Schöpfer des "Rosenkavaliers" gefordert. Ochs darf keineswegs als "Pantalone" o.dgl. typisiert werden. Oft wird er auch zu dick gemacht, ein wenig "mollert" genügt.


    LG


    Waldi

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