Elly Ney - - Pathos, Pose oder Innerlichkeit?"

  • Zitat

    Original von Alviano
    Was für mich durchaus schwer erträglich ist: dass Elly Ney ihre Karriere auch nach dem Krieg fortsetzen konnte. Und das, obwohl sie aus ihrer Haltung keinen Hehl machte. Während soviele Künstler - schaffende und reproduzierende - entweder ermordert worden waren oder ausgewandert sind (und nicht selten in schwierigen, wirtschaftlichen Verhältnissen leben mussten), konnte Ney weitermachen.


    Ja, dass die DDR als antifaschistischer Hort galt oder gilt ist ein bösartiges Märchen, das sogar Biermann noch geglaubt hat. Wenn jemand auf irgendeine Weise nützlich sein konnte, wurde er benutzt. Und künstlerische Aushängeschilder waren immer willkommen.


    Zitat

    Sowenig ich Karajan mag, aber ein direkter Vergleich zwischen dem Dirigenten und der Pianistin ist kaum möglich, die Motive für das jeweilige Handeln unterscheiden sich.


    Auch Furtwängler, Gründgens, Rühmann und wer auch immer noch waren zwar keine glühenden Nazis, haben sich aber benutzen lassen. Schwarzweißmalerei fällt mir bei ihnen schwer.
    Wenn aber jemand – tiefbraun wie E. N. – auch noch das Feuer schürt, ist – bei mir jedenfalls – der Ofen aus (um im Bild zu bleiben).


    Zitat

    Über Karlrobert Kreiten habe ich vor Jahren mal eine Fernsehdokumentation gesehen, die mich sehr erschüttert hat. Sein Name ist mir dann in der Gedenstätte Plötzensee wiederbegegnet.


    Da drin hab ich's nicht lang ausgehalten.


    Zitat

    Ich denke auch, es gibt eine Menge Künstler/innen deren Andenken von uns hier wach gehalten werden sollte, Elly Ney gehört für mich - in diesem Zusammenhang zumindest - nicht dazu.


    Schließe mich an.
    Hildebrandt

  • Interessiert habe ich diesen Thread gelesen. Ich möchte nicht ohne weiteres über ihr den Stab brechen.
    Auch ich unterscheide zwischen Mensch und Künstler. Genau wie bei Karajan. Und genauso wie bei ihm, denke ich auch hier.
    Ich hab schnell gegoogelt, denn hatte noch nie ihre Name gehört. Bestätigt fand ich, daß sie tatsächlich als Mensch schreckliche Ideen vertrat. Damit gehört sie moralisch für mich auf dem Misthaufen.


    Aber auch fand ich ein Zitat


    Zitat

    ihre brillante klavieristische Technik vor allem das Legato-Oktavenspiel im Pianissimo wurde in vielen Kritiken bezeugt


    Und da wurde auch gesagt, daß sie sich immer mehr auf Beethoven konzentrierte.


    Wenn ich dies so lese, denke ich daß Siegfried Recht haben könnte. Daß die Aufnahmen tatsächlich die Mühe wert sein könnten, auch wenn eine schreckliche Person sie einspielte.


    LG, Paul

  • Zitat

    Daß die Aufnahmen tatsächlich die Mühe wert sein könnten,


    Nun, ich mußte mich einmal im Rahmen eines Seminars über Künstler in politischen Diensten mit ihr befassen. Mir erschienen ihre Interpretationen im schlechtesten Fall exaltiert mit einer permanenten Betonung des technischen Könnens, im besten Fall zum Gähnen langweilig. Ich fand nichts an ihr, das nicht ein Solomon, ein Arrau oder ein Michelangeli besser gemacht hätte. Ich halte im Fall der Elly Ney diese "Ja-Aber-Haltung" ("ja, miese Figur, aber große Künstlerin") also für verfehlt. Ich sehe keinen musikalischen Grund einer Ehrenrettung.
    :hello:

    ...

  • Lieber Edwin,


    Ich kenne die Aufnahmen nicht, und kann deshalb nicht urteilen. Deshalb sagte ich auch "es könnte".
    Ich (ver)urteile nicht schnell und überhaupt nicht gerne. Aber als Mensch ist sie jedenfalls sehr zu bemängeln. Darin sind wir uns absolut einig.
    Übrigens, weil ich mit Beethovens Musik jetzt Mühe habe, brauche ich sie auch nicht zu hören.


    LG, Paul

  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner
    Ich sehe keinen musikalischen Grund einer Ehrenrettung.


    Lieber Edwin,


    am vergnüglichsten wird wohl die Darstellung in Kagels Film "Ludwig van ..." sein, wo das "weihevolle Falschspielen" (Kaiser) auf die Schippe genommen wird. "Der Pianistin Elly Ney, die Beethovens Klaviermusik ihr Leben lang wie eine Hohepriesterin hehren Ausdrucks hatte vortragen wollen, wurden von Mauricio Kagel diese rhythmischen Todsünden natürlich besonders heftig vorgeworfen." (Kaiser, 1979, S. 365)


    LG Peter

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  • Zum Glück bearbeitete Frau Ney einen musikalischen Acker, den andere neben ihr weniger anfechtbar und demnach auch fruchtbringender zu bestellen wussten, doch falls gegelentlich im Rahmen der mittlerweile hier immer beliebter werdenden Trash-und Tratsch-Threads mal einer über "Entfesselte klavierspielende Nazissen" eröffnet werden sollte, da gebührte der Dame ganz gewiss ein Ehrenplatz ! :kotz:


    PS: Auf sie bezogen, lässt sich das trockene Statement des alten Max Liebermann nach der Wahl Hitlers zum Reichskanzler, die beschönigend immer noch gerne als "Machtergreifung" bezeichnet wird, wunderbar anwenden:


    Zitat

    So ville kann ick janich fressen, wie ick kotzen möchte !

    Das geht über das Sagbare hinaus. Das läßt sich nicht deuten und bedarf keiner Deutung. Es kann nur gehört werden. Es ist Musik. (H.H.Jahnn)

  • Da muß ich mich wohl denn mal outen. Ich bin in dieser moralisch empörten Runde, die bei der Erwähnung Elly Neys sogar "Kotzen" auslöst, wohl der einzige, der diese Pianisin live erlebt hat - und zwar nicht einmal, sondern über etliche Jahre hin ziemlich regelmäßig. Mehr noch: Elly Ney hat mich mit ihren Auftritten in den 50er und frühen 60er Jahren klaviermusikalisch quasi "sozialisiert", will heißen: etliche Hauptwerke der klassisch-romantischen Literatur machte die alte Dame mir zugänglich. Ich hoffe, es waren keine nationalsozialistischen Interpretationen, die sie mir unterschob. Gemerkt habe ich jedenfalls davon nix, abgesehen davon, daß mir,dem 15jähigen ff., die Nazisse Ney völlig unbekannt war. Daß in den Kritiken jener Jahre die NS-Vergangenheit ausgespart blieb, war selbstverständlich. Ich las sogar ihre Lebenserinnerungen von 1952 und auch darin befand sich - natürlich - kein Sterbenswörtchen, sondern nur Hinweise auf die "schwere Zeit" und ihre "tapfere Pflichterfüllung" als Künstlerin, die noch unter den schwierigsten Verkehrsbedingungen bis zum Januar 1945 zu ihrem Publikum eilte.


    Mir begegnete eine sympathische Oma, die immer noch toll Klavier spielen konnte, auch wenn sie jenseits der 80 gelegentlich den Faden verlor und mehr schlecht als recht zu improvisieren suchte, bis sie ihn wieder gefunden hatte. Ihre etwas weihevolle Attitüde fand ich als Teenager lustig - entsprang, wie ich heute weiß, einer Geisteshaltung, die ganz dem 19. Jh. verpflichtet war. Ihre Interpretationen, die Edwin als exaltiert oder rein technisch bezeichnet, gehen zurück auf die Schule von Emil von Sauer und Theodor Leschetitzky. Wer heute ihre Interpretationen als antiquiert empfindet, kann trotzdem nicht übersehen, daß Elly Ney als die bedeutendste deutsche Pianistin ihrer Zeit galt, was einmal mehr das Zeitgebundene aller ästhetischen Urteile beweist. Nicht weniger berühmt war übrigens die Kammermusikerin Elly Ney mit ihrem gleichnamigen Trio, das so renommierte Musiker wie Wilhelm Stross (Violine) und Ludwig Hölscher (Cello) ergänzten.


    Mit Wilhelm Furtwängler verband sie nicht nur die Musik, sondern wohl auch die deutschnationale Grundhaltung. Diese Grundhaltung schloß zwar den Antisemitismus nicht automatisch ein (Furtwängler war gewiß kein Antisemit, was man von dem berühmten Vernunftdemokraten Thomas Mann beispielsweise so nicht behaupten kann), doch erhöhte sie nicht unbeträchtlich die antisemitische Infektionsgefahr. Daß sich Elly Ney von diesem Virus nicht nur anstecken ließ, sondern ihn nachgerade pflegte und nach dem Krieg offensichtlich so tat, als hätte es ihn nie gegeben, war in der Öffentlichkeit nur möglich, weil diese Öffentlichkeit nach dem selben Abwehrmuster reagierte. In sofern repräsentiert Elly Ney als Berühmtheit eine Biographie, die all den Millionen Nicht-Berühmten, also unseren Vorfahren, in der Grundtendenz nicht werniger geläufig war. Was uns Nachgeborenen freilich keinen Persilschein ausstellt, einer besseren, quasi geläuterten Generation anzugehören. Wir leben lediglich unter ungleich besseren Bedingungen, die unsere Moral und Ethik nicht in der Weise auf den Prüfstand stellen, wie dies zwischen 1933 und 1945 abverlangt wurde. In sofern wäre ich mit der in diesem Thread erwähnten Kotzübelkeit etwa vorsichtig. Elly Ney - eine verblendete Fanatikern? Man wird sie davon nicht freisprechen können - wie so viele damals, wie so viele anderwärts auch heute. Da hilft auch der Hinweis wenig, daß die Pianistin mit Albert Schweitzer, dem gefeierten Repräsentanten des Humanen, auf vertrautem Fuiße stand.


    Florian

  • Die von Siegfried eingangs erwähnte Box besitze ich auch. Mit Ausnahme der Bonus-CD's gibt's den Inhalt auch jeweils einzeln zu kaufen. Meine Empfehlung ist die unglaublich schön Einspielung der Mondschein-Sonate und Schumanns Sinfonische Etüden.


    Da sich Musikhören -zumindest bei mir- nicht im Ausspähen von Superlativen erschöpft, stellt sich die Frage, ob jemand das Nämliche besser oder schlechter gespielt hat nicht. Aber es gibt ja keinen Zwang, Ney-Platten zu hören. Die meinen -auch jenseits der Box- möchte ich nicht missen.


    Die Aufnahmen der Box spiegeln freilich die alternde Pianistin -die jüngsten Aufnahmen entstanden nur wenige Wochen vor ihrem Tode. Live-Mitschnitte sind nicht dabei, dafür aber die ein wenig drollig Simulation eines Konzertes, wie sie es mit ihrer Tochter Eleonore van Hoogstraaten zu geben pflegte: Klavierminiaturen alternierend mit Rilke-Rezitationen. Nun ist die Tochter, die auf dieser CD spricht, auch schon betagt und spricht hörbar mit dritten Zähnen, was dem Vers "Und dann und wann ein weißer Elephant" eine unbeabsichtigte Komik verleiht. Diese Abende endeten nach den Zugaben (und eine solche Zugabe konnte durchaus aus den Sinfonischen Variationen bestehen) stets mit dem Brahms-Lied "Guten Abend, gute Nacht", auch auf dieser CD verewigt.


    Vergleichend hören liesse sich wohl Beethovens op.111, das sie in den 1930er Jahren und eben in den 1960ern für Collosseum aufgenommen hatte.


    Pace, aber auch ich halte Elly Ney für eine großartige, wenngleich sehr eigenwillige Pianistin.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Zitat

    Original von florian
    Daß sich Elly Ney von diesem Virus nicht nur anstecken ließ, sondern ihn nachgerade pflegte und nach dem Krieg offensichtlich so tat, als hätte es ihn nie gegeben, war in der Öffentlichkeit nur möglich, weil diese Öffentlichkeit nach dem selben Abwehrmuster reagierte. In sofern repräsentiert Elly Ney als Berühmtheit eine Biographie, die all den Millionen Nicht-Berühmten, also unseren Vorfahren, in der Grundtendenz nicht werniger geläufig war. Was uns Nachgeborenen freilich keinen Persilschein ausstellt, einer besseren, quasi geläuterten Generation anzugehören. Wir leben lediglich unter ungleich besseren Bedingungen, die unsere Moral und Ethik nicht in der Weise auf den Prüfstand stellen, wie dies zwischen 1933 und 1945 abverlangt wurde. In sofern wäre ich mit der in diesem Thread erwähnten Kotzübelkeit etwa vorsichtig. Elly Ney - eine verblendete Fanatikern? Man wird sie davon nicht freisprechen können - wie so viele damals, wie so viele anderwärts auch heute.


    Lieber Florian,


    Ich hoffe, es wird hier nicht einen Thread über pro oder kontra jener Bewegung.
    Ich möchte aber einiges bemerken.
    In meiner Familie, in direkter Nähe, hat es Befürworter und Gegner jener Bewegung gegeben. Ein Onkel von mir war sogar SS-Soldat. Er hat am Ostfront gekämpft. Ein anderer Onkel dagegen hatte sich der Widerstand angeschlossen.
    Mein Vorname kam von dem Piloten Paul Adriani. Er fiel in den ersten Kriegstagen als er half mein Land zu verteidigen.


    Ich habe deshalb gesehen wie irregeführt Menschen sein können. Denn bis zu seinem Tode war und blieb mein Onkel gegen den Juden. Das hat er so oft gezeigt.
    Als Nazi verachtete ich ihn, aber als Mensch liebte ich ihn. Sein Benehmen hatte auch für meine Großeltern und Eltern Folgen. Denn viele Verwandten dachten, sie waren auch davon angesteckt worden. Da half das Benehmen des anderen Onkels nicht.


    Ich nenne es irreführen. Denn wenn diese Dame bewußt Sachen wie Endlösung (die Konsequenz) gut heißt, dann war sie moralisch noch tiefer gesunken als ich ihr schon einschätzte.
    Über ihre pianistische Aktivitäten habe ich kein Urteil, denn habe nie etwas von ihr gehört.


    Ich finde es dagegen eine Schande, daß sie je die Möglichkeit bekam nach dem Krieg wieder aufzutreten. Das gilt aber für mehr Künstler.


    LG, Paul

  • Es ist s e h r interessant was eine Pianistin hier für Wellen schlägt
    weil Sie Nazi war.
    Zum Glück gehöre ich der Nachkriegsgeneration an
    und hatte und habe mit dem Nationalsozialismus
    nichts zu tun.
    Ich weiß nur von meinem Elternhaus von Elly Ney und hörte Sie in einem Ihrer Berliner Konzerte
    wie ich schon erwähnte.
    Für mich stellt sich hier die Frage warum kann man nicht einfach
    mal alles Beiseite lassen und "nur" über die Pianistin
    Elly Ney hier sich zu Wort melden ohne in die Nazi Ecke
    gedrängt zu werden auch ohne sich z.B. übergeben zu müssen
    und dergleichen.
    Mal ganz einfach objektiv sich mit der Musikerin auseinander
    zu setzen wie das bei anderen Künstlern auch der Fall ist.
    Mir wird allmählich übel wenn ich alles über Netrebko & Co lese hier und in den Tageszeitungen
    da wird auch nicht mehr normal diskutiert, sondern auf einer Hysterie Ebene,
    die mir einfach nicht behagt!
    Ich hoffe auf einige verständisvolle musische Menschen hier, die vielleicht diese
    meine völlig unmaßgebliche Meinung
    eventuell teilen können.
    DANKE. :pfeif:


    :hello:

    mucaxel

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  • Hallo Florian,


    habe ich das richtig verstanden, Thomas Mann war Antisemit ?


    Das wäre ja sehr seltsam. Ein jüdischer Emigrant als Antisemit.


    :hello:Herbert.

    Tutto nel mondo è burla.

  • Zitat

    Original von Herbert Henn


    habe ich das richtig verstanden, Thomas war Antisemit ?


    Das wäre ja sehr seltsam. Ein jüdischer Emigrant als Antisemit.


    Lieber Herbert,


    ob es im Werk Thomas Mann antisemitische Tendenzen gibt, weiß ich nicht. Das wäre mir neu. Aber Thomas Mann entstammt definitiv keiner jüdischen Familie, Thomas Manns Mutter stammt aus Brasilien (Thomann hat seine Mutter auch literarisch "verarbeitet: Beispielsweise in der Novelle Tonio Kröger).
    Die Familie Mann gehörte dem Lübecker Stadtpatriziat an.


    Herzliche Grüße,:hello:


    Christian

    Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen! (Cato der Ältere)

  • Hallo Herbert,




    Du meinst wahrscheinlich Thomas Mann? Und beziehst Dich auf folgende Äußerung von Florian?



    Zitat

    Original von florian
    Furtwängler war gewiß kein Antisemit, was man von dem berühmten Vernunftdemokraten Thomas Mann beispielsweise so nicht behaupten kann



    Das ist zwar mal wieder OT, aber sei's drum:


    Thomas Mann war Emigrant, aber kein Jude, allerdings seit 1905 mit einer Jüdin (Katja Pringsheim) verheiratet.


    Von Thomas Mann sind m.W. bis etwa in die 20er Jahre (in Einzelfällen auch noch aus späterer Zeit) antisemitische Äußerungen belegt, die während der Münchener Räterepublik (1919) z.T. radikal ausfielen. Beschaffenheit und Ausmaß dieses Mann'schen Antisemitismus lassen sich im Rahmen des deutschen Bürgertums vielleicht als "durchschnittlich" charakterisieren: es handelte sich nicht unbedingt um eine zentrale weltanschauliche Konstante, aber um tiefsitzende Ressentiments, die bei Bedarf aktiviert wurden. Typisch war außerdem die Verknüpfung mit anderen Ressentiments, etwa antimodernen, antidemokratischen (wie sie auch im 1848er Kapitel der Buddenbrooks aufscheinen) und zunehmend antikommunistischen. Auch im literarischen Werk Manns gibt es durchaus antisemitische Stereotypen bei der Figurenzeichnung, bis hin zum Zauberberg.


    Umso bemerkenswerter der Lernprozess, den Mann während der Weimarer Republik durchlaufen hat. Er gehört zu den wenigen deutschen Künstlern und Intellektuellen, die anfangs eher "rechts" standen, sich dann aber zunehmend für die Demokratie engagierten. Der von Florian leicht abfällig benutzte Terminus "Vernunftdemokrat" bezeichnet tatsächlich eine beachtliche moralische und intellektuelle Leistung. Man vergleiche hier nur den Lebensweg des von Mann noch in seinen Betrachtungen eines Unpolitischen (1918 ) bewunderten Hans Pfitzner. Im Exil, insbesondere in den Radiobeiträgen während des Kriegs, rechnete Mann dann auch schärfstens mit dem Antisemitismus ab (in privaten Äußerungen auch, allerdings selten, mit seinen eigenen früheren Beiträgen zu diesem Komplex).


    Viele Grüße


    Bernd

  • Ich bin sehr dankbar über die vielen Informationen zu Elly Ney. Ich kenne von ihr das Mozart Konzert Nr. 15 in B Dur und hatte das immer einigermassen "unpolitisch" gehört. Als Jugendlicher hatte ich mich immer über ihre immer neuen nicht enden wollenden Abschiedstourneen amüsiert. Es sagt schon viel über die damalige Zeit aus, dass ich damals über diese Seite der Pianistin nichts erfahren habe.
    LG Peter

    Peter

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  • Ich habe keine Beweismittel gesehen , aus denen hervorgeht , ob nun Elly Ney oder Wilhelm Backhaus als Lieblingspianist(in) des "Führers" anzusehen sind .


    Es gab vor zig Jahren schon über viele Künstler wie Richard Strauss , Wilhelm Furtwängler oder Herbert von Karajan ( der gerade in einem der letzten RONDO - Magazine geradezu heilig gesprochen worden ist ) Diskussionen über deren Nähe , Mitgliedschaft oder sogar Aktivitäten in der NSDAP .


    1992 / 1993 erschien selbst für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung"
    mehr als umfangreicher Artikel , der sicherlich aus der Sicht des FAZ - Feuilletons sehr sorgfältig geschrieben worden ist , um die "Verdächigen" zu exkulpieren . Wer den Artikel aufmerksam studiert hat , der wiess , dass der Versuch der FAZ aufgrund des erdrückenden Beweismateriales von Anfang an scheitern musste .


    Dann , Du wirst Dich erinnern , gab es vor wenigen Jahren den "Fall Walser" . Ich habe das sorgfältig zusammengestellte Büchlein des in Münchenlebenden Musikjournalisten Joachim Kaiser , Süddeutsche Zeitung , einige Meter von mir entfernt stehen . Herr Kaiser kam zu dem wohl kaum anfechtbaren Ergebnis , dass Martin Walser kein Antisemit , "Nazi" sei . Nota bene : Kaiser und Reich - Ranicki bezeichnen sich wechselseitig seit vielen Jahren als "Freunde" .


    Dann der Fall "G. Grass" . Viel problematischer als Walsers "Fall" aus meiner Sicht .


    Aus heutiger Sicht müssen wir mit grossem Bedauern konstatieren , dass es nach der sog. Deutschen Wiedervereinigung nie zu einer Aufarbeitung des politischen Führungsapparates der DDR gekommen ist , hohe Offiziere bis zum Oberstleutnant auch in der Bundeswehr der Bundesrepublik Deutschland ihre Offizierskarriere fortsetzen konnten .
    Die DDR - Doktoranden den wahrscheinlich wichtigsten Teil ihrer stets über politische , linientreue Beziehungen erfolgten Promotionen in dem "Teilgebiet" Marxismus - Leninismus zu absolvieren hatten . Aus den Studienorten kann man zwanglos ablesen , wer besonders linientreu gewesen ist .


    Wer einige dieser politisch Linientreuen persönlich näher kennengelernt hat , der wird überrascht sein , wie kulturell hochstehend , allgemeingebildet , perfekt in gesellschaftlichen Umgangsformen viele dieser DDR - Bürger gewesen sind . Man sollte keine Pauschalurteiel fällen , sondern den Einzefall sich sorgfältig ansehen .


    Auch gerade in der BRD nach dem Zweiten Weltkrieg ist zu vieles an Aufarbeitung erst gar nicht angegangen worden . Dies hatte seine tiefen Gründe , zu denen der Normalbürger gar keinen Zugang hatte und hat .


    Leider wird meistens verkannt , dass es ausserhalb der gesellschaftlichen Minderheiten , die zu schützen Kernaufgabe eines Staates ist , auch "eingedeutsche " Bürger gab ( mein Vater ist zum Beispiel in dem politisch sicherlich unverdächtigen Kanada geboren worden ) , die schnellstmöglich vor diesen nie belangten Nazi-Schergen fliehen mussten .



    Viele Grüsse ,


    Frank

    Frank Georg Bechyna
    Musik & Medizin

  • Lieber Frank, dass Medard mit seinem Hinweis recht hat, wollen wir nun nicht unterschlagen. Da gibt's auch nichts zu relativieren. Daß bis auf den heutigen Tag von Nahestehenden und Nachfahren (immerhin 30 Jahre nach ihrem Tode) an der Biographie immer noch geschönt wird -man lese nur den Text im Booklet der von Siegfried geposteten, musikalisch übrigens fabelhaften Edition- macht die Einschätzung der Person Elly Ney nicht eben leichter. Dennoch wird aus dem Hinweis auf diverse Quellen beim gegenwärtigen Forschungsstand immer noch keine Bewertung von Person und Künstlerin. Für mich ist das daher auch kein Diskussionsthema.


    Ich meine allerdings, dass man völlig unabhängig von der Person und ihren Einstellungen das Klavierspiel beurteilen kann. Meine Freude an ihren Platten lasse ich mir jedenfalls nicht verhageln.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Lieber Thomas ,



    erst jetzt finde ich Deine Ausführungen .


    Nach der aktuell geführten , neuerlichen Diskussion über die Ehrenbürgerschaft von Frau Ney ( ausgerechnet in Tutzing ! ) hat sich für mich gezeigt , wie oberfächlich diese Diskussion um und über ihre politische (?) Vergangeheit geführt worden ist und weiterhin wird .



    H e u t e stehen vordergründig nur politische , vor allem kommunalpolitische , Intereseen im Zentrum der Diskussion . Dies ist übehaupt nicht hilfreich und sinnvoll .


    Meine Meinung über Neys Interpretation der letzten Beethoven-Klaviersonate kannst Du hier im Forum nachlesen in dem inzwischen umfangreicheren Thread unter Klavierforum Beethoven : Klaviersonaten Opp. 109 - 111 .


    Ney hat sicherlich keinen "Nazi - Beethoven" gespielt . Dies ist auch gar nicht möglich .


    Gerde ihre Deutung von Opus 111 , insbesondere Satz 2 , habe ich seit vielen Jahren zum Vergleich herangezogen ( alle mir zugänglichen Aufnahmen ) .


    Die nahen wie entfernteren Verwandten und Freunde der Pianistin haben post mortem zum Teil gar nicht überprüfbare "Fakten" in die Welt gesetzt , die niemand ( mehr ) überprüfen kann . Diese "Fakten" gehen bekanntlich zurück bis zu Beethovens Sekretär .


    Auch nach den "Tutzinger Erklärungen" , die ich für absurd halte , werde ich meine Ney - Aufnahmen n i c h t wegwerfen .



    Beste Grüsse ,




    Frank

    Frank Georg Bechyna
    Musik & Medizin

  • Lieber Frank,


    ich glaube, daß wir uns über die musiklische Qualität des Schaffens von Elly Ney absolut einig sind. Sie ist für mich auch mehr als nur Beethoven. Am Rande bemerkt: auch bei ihrem Gott Beethoven hat die Dame durchaus Schatten erzeugt.


    Sie menschlich zu beurteilen ist ein Michael Kater gewiss nicht der geeignete Autor. Prieberg ist aus historischer Sicht relevanter; das menschliche Spannungsfeld von Opportunismus und Bekenntnis, biographischer Prägung und Einbettung in eine uns heute fremde Gesellschaft verstehen zu müssen, um ihre Platten zu würdigen, weise ich allerdings für mich zurück.


    Ein Projekt wie Rattles "Rhythm is it" mag ja spektakulär sein; Markus Stenz mit seinem Grüzenich-Orchester geht in Köln auch in den sozialen Brennpunkt Chorweiler, und von der Jenaer Philharmonie sind mir vergleichbare Projekte auch bekannt.


    Elly Ney hat indes schon lange zuvor in Gefängnissen vor Strafgefangenen gespielt, überdies stets versucht, die Musik inhaltlich aufzuladen -was ja durchaus diskutierbar ist- indem sie das "Heiligenstädter Testament" vorgelesen oder ihr Spiel mit Rezitationen von Rilke-Gedichten durch ihre Tochter Eleonore van Hoogstraten alterniert hat.


    Gewiss, es gibt Musikliebhaber, für die Elly Ney nicht von Bedeutung ist, weil
    -nicht HIP
    -sie andere Aufnahmen bevorzugen
    -sie ohnehin die von ihr gespielten Komponisten nicht sonderlich mögen


    Nun, die haben ob der Biographie der Pianistin ihre -wenngleich außermusikalischen- Argumente gegen sie.


    Ich meinerseits sehe überhaupt keine Notwenigkeit darin, meine Wertschätzung der Pianistin gegen den Menschen begründen zu müssen. Zumal sie sich ohnehin nicht vor mir oder irgendeinem anderen Menschen zu verantworten hat.


    Von Beethovens op. 111 gibt es meines Wissens sogar drei Einspielungen (mir fehlt die aus den 1930ern). Aber Du weißt ja, lieber Frank, meine Schwäche gilt op. 109. Und da schubst auch Elly meine Favoritin Myra Hess von Platz 1.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

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  • Lieber Thomas :



    Bis auf Deine letzten Satz unterschreibe ich alles , was Du geschrieben hast .


    Myra Julia Hess ist aber ein anderes Thema .



    Bei Elly Ney , die in Düsseldorf geboren wurde , werden alle (!) ihre aussermusikalischen und auch die Verdienste , in denen sie ihr Können eingebracht hat , vorsätzlich beiseite gelasen , ja teilweise geleugnet . Das hat natürlich alles seinen unsinnige Zweck .


    Es gibt drei kommerzielle Aufnahmen mit Opus 111 von ihr .


    "Aufgeladen" hat nicht nur sie gspielt , aber der 2. Satz aus Opus 111 ist doch wie eine durchgehender verinnerlichter , kontemplativer
    Auseinanderungsprozess mit Beethoven . Eine der nachhaltigsten und auch "tiefsten" Deutungen , die ich kenne .


    Viele menschen legen sich alles so zurecht , wie sie es für einen bestimmten Zeitraum missbrauchen können .


    Neys Zuwendung zu Strafgefangenen ist Teil eines (Re-)Sozialisierungsprozesses , der Hochachtung verdient . Und heute genauso zu bewundern ist wie zu ihrer Zeit .


    Wer , wenn auch aus wissenschaftlichen Gründen , einige Male als "Besucher" in eienr JVA war , der wird dies vielleicht beurteilen können . Mit Prof. Br. , Köln , war ich dies einige Male ; auch in der damsals neuen JVA Köln - Ossendorf ("Klingelpütz" ) . Prof. Br. hat aus meinr Erinnerung heraus 1974 in der "Juristischen Rundschau" dies in einer Übersichtsarbeit dargestellt .


    Was das rein Pianistsiche anbelangt , so haben mich Neys Interpretationen der Klavierkonerte Beethovens allerdings nicht überezugen können .


    Dies ändert aber nichts an Frau Neys Bedeutung .


    Dir Danke für die substantiierte Antwort !


    Einen schönen Sonntag wünsche ich Dir ,



    Frank

    Frank Georg Bechyna
    Musik & Medizin


  • Hallo Thomas und Frank,
    das Fokussieren der faschistischen und antisemitischen Haltung Elly Neys hat in meinen Augen nichts mit "zurecht legen" oder "missbrauchen" zu tun. Sicher hatte diese Frau neben der politischen Haltung auch andere, vermutlich wunderbare Eigenschaften. Und es ist bestimmt ehrenwert, dass Ney sich auch in sozialer Hinsicht hat. Aber dies hier anzufügen, könnte wie ein Kompensationsversuch ihrer offenkundig mehr als fragwürdigen politischen Überzeugungen wirken.


    Elly Ney war Repräsentantin des NS-Staates - nicht, weil sie dazu gezwungen wurde. Auch nicht (oder nicht nur), weil sie - wie vielleicht Furtwängler - dadurch eigene Vorteile erlangen konnte. Sondern - soweit erkennbar - aus eigenem Antrieb, aus offenkundig innerer Überzeugung. Sie hat sich also nicht instrumentalisieren lassen, sie ist freiwillig und wohl ohne Not selbst aktiv geworden. Damit hat sie sich iin ihrem Bereich - dem Musikleben jener Tage - mit an die Spitze der Braunen gestellt und dabei geholfen, den Nazis eine Legitimation auch in kultureller Hinsicht zu geben.


    Und deswegen finde ich diesen Satz...

    Zitat

    Original von Thomas Pape
    Zumal sie sich ohnehin nicht vor mir oder irgendeinem anderen Menschen zu verantworten hat.


    ...auch nicht richtig. Weil sie als angesehene Pianistin, die ihre Gesinnung nach außen trug, eben kulturpolitische Wirkung hatte. Und diese Wirkung hat sie sehr wohl zu verantworten.
    Das hat - zumindest in meinen Augen - eine andere Qualität als die (Nicht-) Handlungen all jener opportunistischer Profiteure, die es natürlich auch in der Musikwelt der damaligen Zeit gab.


    Wie auch immer man dies im Einzelnen bewerten mag - durch ein wenig pianieren vor ein paar Strafgefangenen ist dies sicher nicht zu relativieren (so ehrenhaft das eigentlich auch sein mag).



    Zitat

    Original von Frank Georg Bechyna
    "Aufgeladen" hat nicht nur sie gspielt , aber der 2. Satz aus Opus 111 ist doch wie eine durchgehender verinnerlichter , kontemplativer
    Auseinanderungsprozess mit Beethoven . Eine der nachhaltigsten und auch "tiefsten" Deutungen , die ich kenne .


    Das, so finde ich, ist eine andere Sache. Niemand kann nach meiner Meinung die politische Haltung eines Interpreten aus dessen Spielweise heraus hören. Auch ich kann meinen beiden Deutsche-Grammophon-Platten, die ich mit Beethoven-Sonaten von ihr habe, etwas abgewinnen. Manchmal ist es mir zu überheilig tiefschürfend, quasi unlocker - die Angabe "Presto agitato" im letzten Satz der Mondscheinsonate ist ja nicht nur 'ne Tempobezeichnung - aber das ist ja nur mein Empfinden. Und die Appassionata hat echt was, wenn sie von der seltsamen alten Dame gespeilt wird.


    Besten Gruß,
    Vox

  • Nein, das geht auf keinen Fall, E N lässt sich nicht rein musikalisch betrachten. Da sei Gott davor.


    Hier geht es nicht nur um eine politische Meinung sondern um die Begeisterung für Unmenschlichkeit schlechthin.


    Für mich ist es immer wieder erschreckend zu sehen, wie es möglich ist, dass solch edle intelligente Musik von solchen Unmenschen geliebt werden kann.
    Deshalb, man soll die "Künstler" wie E N nicht totschweigen oder indizieren, aber niemals ohne ihren ideologischen Hintergrund hören.


    Die Vorstellung, dass sich KZ-Bestien abends Mozart und Beethoven Sonaten angehört haben lässt mich grausen und Menschen mit solchen Ansichten wie die E N sind von denen nicht weit entfernt.


    Künstler unabhängig von solchen Ansichten zu sehen zieht die Kunst in den Schmutz.


    Das ist nicht vergleichbar mit Karajan oder Furtwängler oder ähnlichen, das hat eine ganz andere Dimension.

  • Ich darf bei dieser Gelegenheit einmal mehr darauf hinweisen, daß politische Statements in diesem Forum unerwünscht sind.


    Manch mal gewinne ich den Eindruck, daß in allen Internetforen, die echte oder vermeintliche NS vergangenheit von Klassikinterpreten bevorzugtes Thema ist.


    Das ist aber sicher nicht meine Intention.
    Mich interessiert einzig und allein der Interpret, Komponist - etc.
    - nicht der Mensch.


    Damit weiß ich mich mit 99% aller Musikfreunde einer Meinung.



    Zitat

    Hier geht es nicht nur um eine politische Meinung sondern um die Begeisterung für Unmenschlichkeit schlechthin.


    Wenn man die Geschichte der Menschheit kenn - und hier soger erfundenes, wie Bibel etc einfließen lässt, dann wird man erkennen wie die Menschheit in der Tat ist.


    Man setze sich nur mit diversen Hinrichtungsmethoden auseinander - durch alle Kulturen. Heinrich der VIII beispielsweise war ein überaus musischer Mensch, er dichtete und komponierte - und hatte - laut zeitgenössischen Aussagen eine - angenehme (Sing)stimme....


    So gesehen, düfte man überhaupt keine Musik mehr hören.


    Aber das wäre einen Extra Thread wert - Und den werde ich gleich eröffnen.....


    (Link folgt)


    mfg Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat

    Original von Alfred_Schmidt
    Ich darf bei dieser Gelegenheit einmal mehr darauf hinweisen, daß politische Statements in diesem Forum unerwünscht sind.


    mit freundlichen Grüßen Alfred



    Lieber Alfred,


    ich wäre dir sehr verbunden, wenn du obigen Hinweis einmal unmissverständlich und verpflichtend auch deiner "Moderation" ans Herz legen würdest. Dieser Elly Ney gewidmete Thread ist nämlich unglückseligerweise genau dorthin gedriftet, wo ich ihn nie haben wollte.
    Wie du bin ich der Auffassung, daß ein Musikforum nicht zur Verbreitung politischer Meinungen mißbraucht werden darf. Doch genau das ist hier geschehen.

    Freundliche Grüße Siegfried

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  • Lieber Siegfried,


    ich werde Alfreds Wunsch selbstredend respektieren- nur erlaube ich mir die Anmerkung, dass eine Trennung des Interpreten von seiner Biographie meiner Meinung nach eine künstliche ist. Wir hatten dieses Problem unlängst im Fall eines britischen Dirigenten:


    Die Frage, warum besagter Musiker nach 1945 keine Karriere gemacht hat, hängt hier direkt mit seiner Biographie, sprich seinen Einstellungen vor 1945 zusammen. Ohne die Kenntnis seiner Biographie lässt sich die oben erwähnte Frage nicht beantworten. Natürlich sollte man in einem Klassikforum primär über die Musik diskutieren, aber man muss eine historische Persönlichkeit immer in ihrem historischen Kontext betrachten- um sie angemessen zu bewerten zu können. Abgesehen davon, dass uns dieses Wissen- ob wir wollen oder nicht- in unserer Einstellung zu einer historischen Persönlichkeit beeinflusst. Höre ich Elly Ney, interessiert mich primär ihr Klavierspiel, trotzdem schwingt das Wissen um ihre Biographie immer mit. Inwieweit ich als Hörer dieses kontextuelle Wissen an mich heranlasse liegt an mir, aber sich völlig davon frei zu machen, freimachen zu können ist eine Illusion, agesehen davon- und hier spreche ich für mich- will ich das aus den erwähnten Gründen auch nicht.


    Damit wir uns hier richtig verstehen: Man muss alle Aspekte vernünftig gewichten, also sollte hier die Musik im Vordergrund stehen, aber die übrigen Aspekte einfach auszublenden halte ich weder für zweckdienlich noch sinnvoll. Freilich muss man differenzieren und die Motive historischer Persönlichkeiten erforschen um zu einem differenzierten Urteil zu gelangen:


    War der oder diejenige ein Mitläufer oder ein überzeugter Nationalsozialist? Da muss man unterscheiden, aber kennen und in eine Bewertung einbeziehen soll und muss man dieses Wissen- und dieses auch diskutieren- sine ira et studio.


    Argumentiert man nämlich: Der Pianist, Geiger XYZ war ein brillianter Musiker und alles andere interessiert mich nicht, macht man es sich sehr leicht, zu leicht.


    Herzliche Grüße,:hello::hello:


    Christian

    Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen! (Cato der Ältere)

  • Lieber Alfred,
    gestatte, daß ich Widerspruch anmelde.


    Zwischen politischem Statement und politischem Statement ist ein Unterschied. Wenn jemand dieses Forum etwa für eine Anti-EU-Propaganda benützt, wie seinerzeit beim Irland-Nein zum EU-Vertrag, dann ist das sicherlich unzulässig.


    Wenn aber jemand begründet, warum er Elly Ney nicht mag, und diese Gründe in der Person Elly Neys zu suchen sind, dann halte ich das für legitim. Zumal Elly Ney ja zu ihrer Einstellung nicht gezwungen war, als sie von sich gab:
    Wir haben ja das wunderbarste Vorbild an unserem Führer, bei dem jedes Wort und jede Handlung eine Wiedergabe ist von heiligster Überzeugung, von unerschütterlichem Glauben. … Was ist denn klarer, wahrer, echter als die Musik unseres Beethoven? Gerade diese Musik brauchen wir heute, die Musik des Kämpfers und Siegers für die Kämpfenden und Siegenden. Das ist die Quelle, die im Herzen unseres Volkes als Gottesgabe verborgen liegt, die uns erlöst vom Banne des Feindlichen, Fremden, die uns zur Besinnung führt auf unsere Pflichten für unser Volk, unsere Jugend.“

    23. Juni 1935


    Es wird weiterhin mein heißes Bestreben sein, unserer Jugend die Einheit des gewaltigen Geschehens durch unseren Führer mit den erhabenen Schöpfungen unserer Meister nahezubringen.
    20. April 1937


    Mein Führer, nach meinem Berliner Schubert-Abend in der Philharmonie lebte aufs neue mein sehnlichster Wunsch auf, Ihnen, mein Führer, einmal Schubert vorspielen zu dürfen. Seit Jahren war es mein grösster Wunsch, meinen innigverehrten Führer an dieser ergreifenden Sprache der Ostmark teilnehmen zu lassen.“
    17. Dez. 1938


    Es ist mir nicht sehr angenehm, daß ich dort im Hotel Central wohnen muß. Jedoch hoffe ich, daß sich dort keine Juden mehr aufhalten, so wie es früher war.
    1940


    Es wäre eine Verlogenheit sonder gleichen, solche Aspekte aus falsch verstandenem Respekt vor den Personen von der Diskussion auszuschließen.


    Die einzige Möglichkeit wäre, Diskussionen über auch in politisches Fahrwasser geratene Künstlerpersönlichkeiten ganz zu untersagen. Dann fielen freilich von Beethoven über Gossec, Wagner bis herauf zu H. Eisler, Dessau und Schostakowitsch ein paar Namen weg, ohne die unser Forum reichlich salz- wenn nicht gar sinnlos wäre.


    Politische Ansichten einer Künstlerpersönlichkeit gehören auf jeden Fall dazu - zumal dann, wenn diese Einstellungsfragen für die Karriere oder einen wesentlichen Abschnitt der Karriere (mit-)entscheidend waren. Mitunter waren es eben diese politischen Einstellungen die etwas bewirkten und nicht das Können oder Nicht-Können eines Künstlers.


    Also ganz in Deinem Sinn ein absolutes Nein zu politischen Statements, wenn es um aktuelle Tagespolitik geht. Alles Andere gehört in die Diskussion zur Person eines Künstlers sehr wohl hinein.


    :hello:

    ...


  • Wäre es denn, wenn es rein um die Musik gehen sollte, dann nicht auch unerheblich gewesen, dass Elly Ney eine deutsche (siehe den von dir gewählten threadtitel) Pianistin gewesen ist?


    :hello: :untertauch:


    (p.s.: sorry, ich habe zu spät gesehen, dass der Titel dieses threads schon auf Seite eins beargwöhnt wurde.)


  • Lieber Alfred,


    keine Frage. Die Geschichte der Menschheit ist sicher keine allzu ruhmreiche. Das darf aber IMO nicht als Legitimation gesehen werden, die Schattenseiten des Menschen billigend in Kauf zu nehmen oder das Auge von diesem Pfad abzuwenden.
    Findest Du nicht auch, daß wir unse stets bemühen sollten, besser zu werden? Nicht in Konkurrenz zu anderen Menschen, sondern zunächst bezogen auf sich selbst. Dazu gehört IMO auch die Auseinandersetzung mit dem, was wir fast floskelhaft verachten, das Zurkenntnisnehmen und Auseinandersetzten auh mit dem Unangenehmen. Ob wir dann - um zum Thema zurückzukehren - immer noch Elly Ney hören können oder nicht, das bleibt jedem selbst überlassen und es wäre anmaßend, jemanden danach zu beurteilen, wie seine Entscheidung gefallen ist. Aber Kenntnis sollten wir davon haben, da Musik ein gesellschaftliches Phänomen ist - das ist doch auch Deine Perspektive - und wie Caesar vollkommen zu Recht darauf hinwies, nicht so leicht zu trennen von der persönlichen Seite und der Art, wie sich die Persönlichkeit in Beziehung zur Gesellschaft manifestiert.


    Sicher gehen wir niocht ständig durchs Leben und lesen Musikerbiographien en detail bevor wir uns einfach ihre Aufnahmen anhören. Aber bei einem Musiker, dessen Biographie erschlossen ist - wie die von Elly Ney - halte ich es genauso falsch, diesen Kontext vollständig ausschließen zu wollen, wie es IMO falsch ist, jemdanden, der die Biographie kennt und dennoch die Aufnahmen hört, zu verurteilen.


    Insofern geht es bei Aufarbeitung nicht darum, (den Hörer) zu verurteilen bzw. "Verbote" zu formulieren, sondern bewußt zu machen, auf daß jeder zu eigenen Schlüssen und Handlungen kennt. Das ist Gerechtigkeit. Auch denen gegenüber, die leiden mussten.


    :hello:
    Wulf

  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner


    Wie es auch bei Elly ney die Unterschlagung einer Facette ihrer Persönlichkeit wäre, ließe man unerwähnt, daß sie noch nach 1945 für als rechtsextrem eingestufte Vereinigungen gespendet hat. Eine Persönlichkeit zu erfassen, bedeutet, auch ihre dunklen Seiten zu kennen. Alles Andere wäre billige Schönfärberei und eines seriösen Forums unwürdig.


    D´accord. Das habe ich in meinem Posting gemeint: Diese Faccetten gehören zu einem vollständigen Bild dazu. Und darüber muss man auch diskutieren dürfen.


    Herzliche Grüße,:hello: :hello:


    Christian

    Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen! (Cato der Ältere)

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