H. I. F. Biber: »Rosenkranz-Sonaten« oder: Die Mysterien der Skordatura

  • Zitat

    Original von Klawirr
    Anscheinend sind die vorgeschriebenen »Verstimmungen« dagegen bei einer Barockvioline (geringere Halsneigung und Darmbesaitung) aber möglich.


    Also wird die Skordatur möglich durch ein anderes Material der Saiten (Darmsaiten statt stahlumsponnene Saiten, wobei aber meines Wissens auch bei Barockviolinen die g-Saite umsponnen ist), durch geringere Saitenspannung und durch einen "flacheren" Hals.


    Bei Wikipedia habe ich eine Grafik gefunden, die die Skordaturen in den Rosenkranz-Sonaten als Noten wiedergibt - das finde ich um einiges anschaulicher:


    800px-Mysterien_sonate.jpg


    Zitat

    In der einzigen mir bekannten Live-Aufnahme der Sonaten, verwendet der Violinist drei Violinen.


    Das hängt möglicherweise damit zusammen, dass eine extrem umgestimmte Violine zunächst schlecht die Stimmung hält - oder es werden möglicherweise für "Extremfälle" wie die Sonaten 8 und 11 Instrumente mit anderer Besaitung verwenden (bei Sonate 8 vielleicht ein Instrument mit zwei d-Saiten, wobei die erste auf d, die zweite auf f gestimmt wird, bei Sonate 11 ein Instrument mit vertauschter d- und a-Saite).


    Zitat

    Ja, die Erleichterung von Doppel- und Mehrfachgriffen ist ein Grund für die Skordaturen. Ein anderer, ebenso wichter Grund besteht allerdings darin, daß die veränderten Spannungsverhältnisse den Klang der Violine signifikant verändern (aus diesem Grunde verwenden manche Violinisten bei Studioeinspielung eben nur ein einziges Instrument: um die Klangveränderung bei gleichem Material besonders deutlich hörbar werden zu lassen).


    Zweifellos ändert sich mit der Saitenspannung auch der Klang - das ist auch auf einer Gitarre deutlich wahrnehmbar. Anhand der Noten ist aber auch erkennbar, dass bei einigen Sonaten die umgestimmten leeren Saiten einen Dreiklang bilden bzw. auch Saitenpaare in Oktaven gestimmt sind (Sonaten 2, 4, 11), was wie gesagt spieltechnische Gründe haben dürfte.


    Interessant ist, dass der Zyklus mit der Normalstimmung beginnt, sich mit Sonate 8 am weitesten davon entfernt (g-Saite um eine Quinte hochgestimmt!) und mit der Normalstimmung endet. In diesem Zusammenhang stellt sich mir die Frage: War von Biber eine zyklische Aufführung (also ein Spielen aller 15 Sonaten und der Passacaglia unmittelbar hintereinander) überhaupt vorgesehen? Gibt es von ihm diesbezügliche Spielanweisungen?


    Ist übrigens die folgende Aufnahme mit Pavlo Bezsosiuk bekannt:



    Er hat hier (in Englisch) recht interessante Anmerkungen zur Interpretation der Sonaten gemacht.


    :hello: Andreas

  • Zitat

    Original von Klawirr
    Hm, jetzt habe ich Melkus allerdings gar nichts sagen können (noch 'ne Einspielung, die ich mir wohl mal besorgen muß :wacky: ) ....


    Ich muss mir überhaupt erst einmal eine Einspielung besorgen :wacky:


    Angesichts der vielen besprochenen Aufnahmen und unterschiedlichen Interpretationsansätze bin ich aber etwas verunsichert, was die Wahl der Einspielung angeht. Mein persönlicher Geschmack tendiert eher zu einem meditativen Interpretationsansatz, denn bei einer musikalischen Darstellung der christlichen Mysterien sollte nach meinem Empfinden Virtuosität nicht im Vordergrund stehen. Diese Musik ist ja nicht "l'art pour l'art", sondern sie soll ganz offensichtlich eine Glaubensbotschaft transportieren.


    Welche Aufnahme wäre geeignet - Manze, Pierrot?


    :hello: Andreas

  • Lieber Paul, lieber BBB,
    danke für eure Ausführungen zu Melkus. Wie gesagt, werde ich mir wohl anschaffen müssen - ist allerdings aktuell anscheinend gestrichen und wird bei a****n-Marketplace zu Phantasiepreisen angeboten X( .
    Muß abgewartet werden...
    Herzlichst,
    Medard


  • Lieber Andreas,
    nun, ich denke, so wie Du' schilderst, würdest Du wohl mit beiden Einspielungen nicht ganz falsch liegen. Unter den Einspielungen, die ich kenne, markiert Andrew Manze in etwa den einen Extrempunkt (kontempaltive In-Sich-Gekehrtheit, stark introvertiert) während R. Goebel und P. Bismuth den anderen markieren (virtuos musikantisch, stark extrovertiert). Das zeigt sich eben auch an der Besetzung des Continuos: bei Manze wird es ganz zurückgenommen, ausschließlich Cembalo oder Orgelpositiv, nur in einer einzigen Sonate (der XII.) tritt ein Cello hinzu. Sicherlich eine beeindruckende Lesart, die Manze da vorgelegt hat, für meinen Geschmack aber etwas zu verhalten, zu reduktionistisch, zu schmucklos (um nicht zu sagen puritanisch - Biber war aber eben Katholik... ;) ).


    Über Alice Pierot habe ich ja nun schon einiges hier im Thread geschrieben. Sie interpretiert die Sonaten in etwa in die Richtung, die Manze als Extremposition markiert, ist dabei aber insgesamt etwas spielerischer, »sinnlicher« (wie ich das schon mehrfach genannt habe), lebendiger und farbiger - ohne dabei den spirituell-meditativen Charakter der Sonaten auch nur für einen Augenblick vordergründiger Virtuosität unterzuordnen. Wie gesagt: unter den Aufnahmen, die ich kenne ist dies die Ideallösung - und ich kann mir eigentlich kaum einen besseren Zugriff vorstellen.


    Ganz herzlich,
    Medard

  • Wegen des anhaltend schlechten Wetters, das nicht gerade für Freiluft-Aktivitäten geeignet war, habe ich mir heute Bibers Rosenkranz-Sonaten mit Pavlo Beznosiuk besorgt:



    Die Sonaten sind auch als Download (unkomprimiert, ohne DRM) bei Magnatune erhältlich, und da es schnell gehen musste, habe ich sie dort gekauft. (Übrigens gibt es dort als Hörproben die vollständigen Sonaten im MP3-Format mit 128 kbit/s, was von der Qualität her schon halbwegs akzeptabel ist, um sich ein Urteil zu bilden.)


    Neben Pavlo Beznosiuk, der als Konzertmeister und Mitwirkender bei zahlreichen Barockorchestern (The Academy of Ancient Music, Amsterdam Baroque Orchestra, Orchestra of the Age of Enlightenment, Hanover Band, New London Consort) bekannt sein dürfte, wirken bei dieser Aufnahme im Continuo mit: David Roblou (Cembalo/Truhenorgel), Paula Chateauneuf (Laute/Theorbe) und Richard Tunnicliffe (Cello/Gambe) mit.


    Man sollte meinen, dass über zwei Stunden Solovioline mit Continuo irgendwann mal langweilig werden, aber weit gefehlt. Nach erstmaligem Hören dieser Stücke kann ich jeden vollauf verstehen, der von dieser Musik fasziniert ist und den sie nicht wieder loslässt! Mir fehlt natürlich der Vergleich zu anderen Aufnahmen, aber ich möchte trotzdem versuchen, kurz meine Eindrücke zu schildern.


    Pavlo Beznosiuk ist ein Barockviolinist mit bewunderungswürdigen Fähigkeiten: Egal, ob Doppel- oder Tripelgriffe, ob Läufe in schnellsten Tempi oder Spiel in den höchsten Lagen - der Hörer merkt nichts von den teilweise enormen technischen Schwierigkeiten, die hier zu bewältigen sind; alles klingt sauber und scheinbar mühelos. Seine Virtuosität demonstriert er aber niemals vordergründig; er nimmt sie eher zurück und stellt statt des Technischen das Musikalische in den Vordergrund. Beznosiuk artikuliert ungemein differenziert, daneben nutzt er die Dynamik der Barockvioline vom zartesten, gerade noch hörbaren pianissimo bis zum satten forte voll aus.


    Die drei Musiker der Continuo-Gruppe begleiten sehr fantasievoll, in wechselnden Besetzungen und immer am Affekt des jeweiligen Satzes orientiert. Die vielleicht bemerkenswerteste Continuo-Besetzung findet sich in der Sonate 7, wo die Violine nur von einer Gambe begleitet wird, die allerdings mehrstimmig gespielt wird. Es ist wirklich erstaunlich, wie vielfältig man mit drei Continuo-Spielern begleiten kann.


    Deutlich hörbar ist die durch die Skordatur von Sonate zu Sonate wechselnde Klangfarbe der Violine. In der Sonate 11 sollen übrigens die beiden mittleren Saiten am Steg und am Halsende gekreuzt (!) werden.


    Die Interpretation in eine der beiden Schubladen "meditativ" oder "virtuos" einzuordnen, fällt mir mangels Vergleichsaufnahme schwer. Bei Beznosiuk gibt es sowohl Momente tiefster Versunkenheit, wo die Zeit fast stillzustehen scheint, als auch sinnliche Spielfreude, die aber niemals vordergründig virtuos wirkt. Mit der gebotenen Vorsicht (da ich von anderen Aufnahmen nur die Beschreibungen hier im Forum kenne, nicht aber die Aufnahmen selbst) würde ich Beznosiuk eher Richtung Pierot einordnen; die Aufnahme passt weder zur Beschreibung von Manze noch zu der von Goebel. Für die Sonate 11 braucht Beznosiuk 8:17 min, ist also vom Tempo in Richtung Holloway einzuordnen.


    Ich werde mir wohl demnächst noch eine zweite Einspielung kaufen (Pierot oder Holloway), die "Rasanten" wie Goebel oder Letzbor würden mich bei dieser Musik mit Sicherheit nicht ansprechen. Das Interesse ist jedenfalls geweckt, auch dank der vielen Informationen in diesem Thread - herzlichen Dank an Medard!


    :hello: Andreas

  • Zitat

    Original von Klawirr
    Aber vielleicht kann wirklich einmal ein Violinist etwas Fundierteres dazu verlauten lassen.


    Rüdiger Lotter, von dem eine Live-Aufnahme bei Oehms erschienen ist, schreibt dazu (hier nachzulesen, Hervorhebung von mir):


    Zitat

    Diese außergewöhnliche Skordaturhäufung hat immer wieder Anlass zu der Frage gegeben, welche Absicht Biber mit dieser für die Aufführung der Sonaten eher unkomfortablen Kompositionsweise verfolgt haben könnte.


    Leider lässt er die Frage offen, was genau er als unkomfortabel empfindet: Das Umstimmen des Instruments, das Vorhalten mehrerer Instrumente bei einer zyklischen Aufführung, den Unterschied zwischen Notation und tatsächlichem Klang (da die Notation in den Sonaten mit Skordatur eine Griffnotation und keine Klangnotation ist)? Anders formuliert: Ist Lotter der Meinung, dass alle Sonaten ohne Skordatur komfortabler zu spielen wären? Wenn ja, müsste er den praktischen Beweis erbringen.


    Zur Skordatur schreibt Lotter weiterhin, nachdem er einige zahlensymbolische Betrachtungen angestellt hat (Hervorhebung wiederum von mir):


    Zitat

    Die Skordaturen sind also im Gegensatz zu bisherigen Annahmen ausschließlich mathematisch motiviert. Sie bilden gemeinsam mit der Disposition der Gesamttaktzahl den Rahmen der kompositorischen Arbeit Bibers.


    Seiner Meinung nach gibt es also ausschliesslich (!) zahlensymbolische Gründe für die Skordatur, also weder klangliche noch spieltechnische.


    Allerdings sind diese Zusammenhänge für den Hörer (und wohl auch für den Spieler) nicht unmittelbar nachvollziehbar, wie Lotter zugibt:


    Zitat

    Da eine Verknüpfung der Skordatur- und Taktzahlebene über die Zahl 2772 für den Zuhörer weder akustisch noch verstandesmäßig unmittelbar nachvollziehbar ist, darf man vermuten, dass Biber sich mit diesem „Geheimnis der Rosenkranzsonaten“ an Gott selbst richtet.


    Vermuten darf man natürlich alles Mögliche, aber ich halte diese Zahlenspielereien für etwas weit hergeholt. Letztlich würden sie ja bedeuten, das sich das Wesentliche in diesem Zyklus auf einer abstrakt-mathematischen, für den Hörer und Spieler nicht unmittelbar wahrnehmbaren Ebene ereignet - die hörbare Musik wäre dann weitgehend ohne Bedeutung. Was meint Ihr zu Lotters Theorie - ist sie nachvollziehbar?


    :hello: Andreas

  • Zitat

    Original von Fugato
    Vermuten darf man natürlich alles Mögliche, aber ich halte diese Zahlenspielereien für etwas weit hergeholt. Letztlich würden sie ja bedeuten, das sich das Wesentliche in diesem Zyklus auf einer abstrakt-mathematischen, für den Hörer und Spieler nicht unmittelbar wahrnehmbaren Ebene ereignet - die hörbare Musik wäre dann weitgehend ohne Bedeutung. Was meint Ihr zu Lotters Theorie - ist sie nachvollziehbar?


    :hello: Andreas


    Lieber Andreas,
    nachvollziehbar finde ich Lotters Theorie schon - er legt sie ja auch äußerst folgelogisch argumentierend dar - überzeugend finde ich sie in ihrem Anspruch auf Ausschließlichkeit allerdings nicht (darum habe ich sie im Eingangsposting auch nur kurz angerissen und nicht weiter erläutert). Nun sind zahlensymbolische und zahlenmystische Spielereien im Barockzeitalter ja keine Seltenheit. Aber Bibers Arbeit auf dieses (zugegeben: komplexe) Zahlenspiel zu reduzieren und alle klangspirituellen Überlegungen zurückzuweisen halte ich doch für etwas absurd. ich meine: natürlich ist die Überkreuzstimmung in der XI. Sonate symbolisch, natürlich ist auch die Visualisierung des Kreuz mittels der augenfälligen Überkreuzspannung der beiden mittleren Seiten in der selben Sonate symbolisch. Aber dieses seltsame Zahlenrätsel, das Lotter da dechiffriert zu haben meint, scheint mir doch etwas überspannt (zudem geht dieses Rechenspiel der Skordaturintervalle ja auch nur so schön auf, wenn man tatsächlich die Ausführung mit drei Violinen, die Lotter als die Ideallösung propagiert, als von Biber intendiert zugrunde legt). Weiß nicht... Den Bezug der 2772 klingenden Takte zur zahl der kanonischen Bücher der Heiligen Schrift halte ich noch für nachvollziehbar (das ist IMO nicht zufällig). Die Verbindung zu Kepplers Sphärenharmonie scheint mir dagegen in Lotters difficilen und differenzierten Rechenspiel etwas arg ausgereizt... Bei Oehms, wo Lotters Interpretation gelabelt ist, scheint man ohnehin eine Vorliebe für solche sphärischen Rechenspiele zu haben. Dort sind auch Einspielungen von Pachelbels Hexachordum Apollinis und von Muffats Apparatus erschienen, zu denen in den Booklets ebenfalls diese etwas esoterisch anmutenden Sphärenharmoniespiele betrieben werden. Die Musiker intepretieren die Werke jedoch durch die Bank gut (das gilt auch für Lotter, der eine recht schöne Einspielung des Rosenkranzes vorgelegt hat)...
    Herzlichst,
    Medard

  • Zitat

    Original von Klawirr
    nachvollziehbar finde ich Lotters Theorie schon - er legt sie ja auch äußerst folgelogisch argumentierend dar - überzeugend finde ich sie in ihrem Anspruch auf Ausschließlichkeit allerdings nicht


    Das ist es auch, was mich daran stört - Lotter schreibt ja, die Skordaturen seien ausschliesslich mathematisch motiviert. Als ein möglicher Erklärungsversuch, der andere nicht ausschliesst, wäre seine Darstellung überzeugender.


    Zitat

    (zudem geht dieses Rechenspiel der Skurdaturintervalle ja auch nur so schön auf, wenn man tatsächlich die Ausführung mit drei Violinen, die Lotter als die Ideallösung propagiert, als von Biber intendiert zugrunde legt)


    Genau an dieser Stelle ist meiner Meinung nach seine Argumentation schwach: Wieso gerade drei Instrumente?


    Zitat

    Den Bezug der 2772 klingenden Takte zur zahl der kanonoschen Bücher der Heiligen Schrift halte ich noch für nachvollziehbar (das ist IMO nicht zufällig).


    So etwas findet sich durchaus auch noch bei Bach, scheint also bei religiös motivierten Werken üblich gewesen zu sein.


    Zitat

    Die Verbindung zu Kepplers Sphärenharmonie scheint mir dagegen in Lotters difficilen und differenzierten Rechenspiel etwas arg ausgereizt


    Das scheint mir auch so, wobei ich nicht nachvollziehen kann, wieso sich ein katholischer Musiker in einem religiösen Werk ausgerechnet auf die (sicher damals nicht unumstrittenen) Theorien eines protestantischen Gelehrten beziehen soll. Das ist für mich reine Spekulation, mehr nicht.


    :hello: Andreas

  • Zitat

    Original von Fugato


    Das ist es auch, was mich daran stört - Lotter schreibt ja, die Skordaturen seien ausschliesslich mathematisch motiviert. Als ein möglicher Erklärungsversuch, der andere nicht ausschliesst, wäre seine Darstellung überzeugender.


    Hallo Andres,
    für mich auch. Insbesondere bin ich davon überzeugt, daß bei der Entscheidung für die jeweiligen Skordaturen spieltechnische und klangliche Überlegungen im Vordergrund standen.


    Zitat


    Genau an dieser Stelle ist meiner Meinung nach seine Argumentation schwach: Wieso gerade drei Instrumente?


    Warum drei? Weil nur mit drei Instrumenten diese seltsamen Zahlenspiele so schön aufgehen... Das ist eine in-sich-kreisende, selbstrefernzielle, autoevidente (und somit IMO nur wenig tragfähige) Argumentation.


    Zitat


    So etwas findet sich durchaus auch noch bei Bach, scheint also bei religiös motivierten Werken üblich gewesen zu sein.


    :yes:


    Zitat


    Das scheint mir auch so, wobei ich nicht nachvollziehen kann, wieso sich ein katholischer Musiker in einem religiösen Werk ausgerechnet auf die (sicher damals nicht unumstrittenen) Theorien eines protestantischen Gelehrten beziehen soll. Das ist für mich reine Spekulation, mehr nicht.


    :hello: Andreas


    D'ACCORD!!!


    Ganz herzliche,
    Medard

  • Zitat

    Original von Klawirr
    Insbesondere bin ich davon überzeugt, daß bei der Entscheidung für die jeweiligen Skordaturen spieltechnische und klangliche Überlegungen im Vordergrund standen.


    Genau - es kann ja kein Zufall sein, dass durch die Skordatur zwei in Oktaven gestimmte Saitenpaare entstehen oder die ungegriffenen Saiten bereits einen vollständigen Akkord bilden.


    Die klanglichen Veränderungen sind ebenfalls von Bedeutung: In der Aufnahme mit Beznosiuk ist sehr schön zu hören, dass eine hochgestimmte Saite dünner und schärfer klingt, während eine heruntergestimmte Saite voller und weniger brilliant klingt. Es ist wohl auch kein Zufall, dass gerade bei den Sonaten 7 bis 9 am extremsten hochgestimmt wird und die Violine dadurch sehr scharf, schon fast schneidend klingt. Mich hat dieser Klang an das Arioso "Betrachte, meine Seel" aus Bachs Johannes-Passion erinnert, wo zwei Violen d'amore einen ähnlichen Klang erzeugen. In der Beznosiuk-Aufnahme wird dieser Klang in der Sonate 7 (Geißelung) noch dadurch verstärkt, dass im Continuo nur eine Gambe (mehrstimmig) spielt.


    Das tieftraurige Lamento zu Beginn der Sonate 9 gehört wirklich zum Ergreifendsten, was ich jemals an Barockmusik gehört habe - wer braucht da noch Zahlensymbolik?


    :hello: Andreas

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  • Zitat

    Original von Fugato


    Genau - es kann ja kein Zufall sein, dass durch die Skordatur zwei in Oktaven gestimmte Saitenpaare entstehen oder die ungegriffenen Saiten bereits einen vollständigen Akkord bilden.


    Eben! Alice Pierot (oder Susanne Lautenbacher, da müßte ich nachschauen) schreibt, daß die Skordaturen der Rosenkranzsonaten insbesondere die mehrstimmige Ausführung der Tonika und/oder Dominante deutlich erleichtern (nicht umsonst bilden in den Sonaten III, V, VII, VIII, IX, XII die leeren Seiten den Tonikaakkord oder in der in d-moll stehenden Sonate XIII die leeren Seiten A-Dur, also den Dominantakkord bilden) - das ist ja augenscheinlich. Sie schreibt aber auch, daß die Modulationsfähigkeit deutlich eingeschränkt würde, was womöglich der Grund dafür sei, daß Biber die Skordatur in späteren Werken (etwa in der Harmonia Artificiosa) nur noch äußert sparsam und weit weniger extrem eingesetzt habe.


    Zitat

    Die klanglichen Veränderungen sind ebenfalls von Bedeutung: In der Aufnahme mit Beznosiuk ist sehr schön zu hören, dass eine hochgestimmte Saite dünner und schärfer klingt, während eine heruntergestimmte Saite voller und weniger brilliant klingt. Es ist wohl auch kein Zufall, dass gerade bei den Sonaten 7 bis 9 am extremsten hochgestimmt wird und die Violine dadurch sehr scharf, schon fast schneidend klingt.


    :yes:



    Zitat

    Das tieftraurige Lamento zu Beginn der Sonate 9 gehört wirklich zum Ergreifendsten, was ich jemals an Barockmusik gehört habe - wer braucht da noch Zahlensymbolik?


    :hello: Andreas


    Genau! - Ich glaube daher, daß die Zahlensymbolik eher ein Beiwerk der Skordaturen gewesen ist, als daß sie im Zentrum gestanden hätte.


    Herzlichst,
    Medard

  • Zitat

    Original von Fugato
    - wer braucht da noch Zahlensymbolik?


    So ganz ohne wirds wohl nicht gewesen sein. Die 14 und 41 bei JSB, die Kreuzgestalt in Noten und noch ein paar andere Spielereien sind schon Absicht. Aber dass die da dauernd Noten gezählt hätten...


    Habt Ihr mal Prautsch gelesen?
    Der Mann hatte eindeutig zu viel Zeit. Zählt doch glatt alle Noten in der Kunst der Fuge und stellt fest, dass man die dritte Wurzel daraus mit der Anzahl der angeheirateten Onkel multiplizieren muss, um auf die Halbwertzeit des Papstes zu kommen. Naja, oder so ähnlich. :D
    Danach kommt nur noch der Da-Vinci-Code.

  • Hallo Hildebrandt,
    so ähnlich macht Lotter das auch:



    :rolleyes:


    Naja, immerhin wurde die Musik ja dereinst zu den exakten Wissenschaften gezählt...
    Herzlichst,
    Medard

  • Zitat

    Original von Klawirr
    Hallo Hildebrand,
    so ähnlich macht Lotter das auch:


    Hallo Medard,



    danke, aber jetzt hab ich das alles gelesen (auch bei Oehms), und nun ist mir schwindelig. :faint:


    Aber Du kannst ja auch mal unter die-tonkunst.de über Archiv und Suche nach "Prautzsch" zwei Besprechungen lesen, die einen ebenfalls leicht ratlosen bis verwirrten Eindruck hinterlassen.
    Viel Spaß! :D


    Schöne Grüße
    Hildebrandt

  • Zitat

    Original von Hildebrandt
    So ganz ohne wirds wohl nicht gewesen sein. Die 14 und 41 bei JSB, die Kreuzgestalt in Noten und noch ein paar andere Spielereien sind schon Absicht.


    Hallo Hildebrandt,


    da hast Du mich offenbar missverstanden - ich wollte nicht anzweifeln, dass hier Zahlensymbolik betrieben wurde. Man kann dies vom Verstand her zur Kenntnis nehmen, aber man kann es beim Hören nicht nachvollziehen - wer zählt da schon Noten? Und deswegen ist die Zahlensymbolik beim Hören der Musik nicht von Bedeutung.


    Zitat

    Habt Ihr mal Prautsch gelesen?


    Mir ist aufgefallen, dass die Zahlensymbolik für eine gewisse Zeit in der Bach-Literatur in Mode war. In jüngeren Werken findet man jedoch nach meiner Beobachtung kaum mehr etwas darüber. Emil Platens Buch über die Matthäus-Passion, das mir einige neue Einsichten über dieses Werk gebracht hat, verzichtet - wenn ich mich richtig erinnere - gänzlich darauf.


    :hello: Andreas

  • Zitat

    Original von Fugato



    Da hab ich ein "z" in Prautzsch vergessen. :rolleyes:


    Zitat

    da hast Du mich offenbar missverstanden - ich wollte nicht anzweifeln, dass hier Zahlensymbolik betrieben wurde. Man kann dies vom Verstand her zur Kenntnis nehmen, aber man kann es beim Hören nicht nachvollziehen - wer zählt da schon Noten? Und deswegen ist die Zahlensymbolik beim Hören der Musik nicht von Bedeutung.


    Schon klar, ich wollte Dich nicht missverstehen. Nur war ja so manches auch als "Augenmusik" gedacht. Hör Dir z. B. mal die Veränderungen über "Vom Himmel hoch" BWV 769 an. Da gibt man spätestens dann auf, wenn alle Zeilen gleichzeitig übereinander erklingen. Lesen kann man's schon, aber hören? Manchmal sind Noten bei der Musik doch ganz nützlich. :D
    Und auf seinem Portrait hält er das ganz unschuldig "in die Kamera". der alte Spitzbube.
    Glaubst Du nicht, dass einem gerade bei barocken Meistern so einiges entgeht, wenn man ganz auf die Noten verzichtet? Also nicht unbedingt irgendeine Suite, aber Kunst der Fuge, Matthäus-Passion, aber auch bei anderen Komponisten?


    Zitat

    Mir ist aufgefallen, dass die Zahlensymbolik für eine gewisse Zeit in der Bach-Literatur in Mode war. In jüngeren Werken findet man jedoch nach meiner Beobachtung kaum mehr etwas darüber. Emil Platens Buch über die Matthäus-Passion, das mir einige neue Einsichten über dieses Werk gebracht hat, verzichtet - wenn ich mich richtig erinnere - gänzlich darauf.


    Platen war ja auch in erster Linie Praktiker und jahrzehntelang akademischer Musikdirektor. Übrigens hält er heute noch als Pensionär Vorlesungen zur Musikgeschichte, er muss jetzt über 80 sein. Hut ab!


    Schöne Grüße
    Hildebrandt

  • Zitat

    Original von Hildebrandt
    Glaubst Du nicht, dass einem gerade bei barocken Meistern so einiges entgeht, wenn man ganz auf die Noten verzichtet? Also nicht unbedingt irgendeine Suite, aber Kunst der Fuge, Matthäus-Passion, aber auch bei anderen Komponisten?


    :yes: Deswegen stehen hier auch ein paar Partituren im Regal :pfeif:


    Ich glaube allerdings nicht, dass einem viel entgeht, wenn man sich nicht an der Notenzählerei beteiligt - darum ging es mir. Der Nutzen von Partituren, gerade bei komplexer polyphoner Musik, ist sicher unbestritten.


    Zitat

    Übrigens hält er heute noch als Pensionär Vorlesungen zur Musikgeschichte, er muss jetzt über 80 sein. Hut ab!


    Musik hält eben jung :D


    Mal sehen, ob wir mit 80 noch hier im Forum schreiben...


    :hello: Andreas

  • Guten Tag



    Inzwischen habe ich mir -auf Empfehlung von Forumsmitgliedern- diese



    Aufnahme gekauft und in den letzten Tagen mehrmals gehört, ich bin begeistert.


    Wenn: Goebel :jubel: :jubel:
    Dann: Alice Píerot :jubel: :jubel: :jubel:


    Schon das Claviorganum bringt Abwechslung in jeden Satz :jubel: :jubel:



    Gruß aus der Kurpfalz


    Bernhard

  • Servus,


    ich hatte gerade eines dieser seltenen Glückserlebnisse, wenn man ein Musikstück völlig neu entdeckt. Diesmal handelt es sich jedoch um ein mir seit langem Bekanntes, nämlich die Biberschen Rosenkranzsonaten (logisch, sonst würde ich ja nicht hier schrieben...), bzw. genauer die vorletzte der 15 Sonaten, die Mariä Aufnahme in den Himmel zum Inhalt hat.


    Im Prinzip besteht diese Sonate, obwohl sie mehr Satztitel hat, nur aus zwei Teilen: einem einleitenden langsamen Teil und einem ausgedehten Variationssatz mit gleichbleibendem Baßmotiv.


    Wie gesagt, ich kenne das Stück schon eine ganze Weile, jedoch ist es mir bisher nie nachhaltig im Gedächtnis geblieben, obwohl ich Ostinati sehr liebe.


    Und dann hörte ich heute vormittag Walter Reiter und das Ensemble Cordaria. Meine Ohren wurde im Laufe des Stückes immer länger. So wundervoll hatte ich das noch nie gehört und einige Wiederholungen später war ich auf Wolke 7. Das war pure Glückseligkeit!


    Ich konnte kaum glauben, dass mir die Schönheit dieser Sonate bisher so entgangen ist und habe alle meine Aufnahmen der Rosenkranzsonaten aus dem Schrank geholt und bei einer nach der anderen die 14. Sonate gehört.


    Das Ergebnis: tatsächlich hat das in meinem Ohren keiner auch nur annähernd so schön eingespielt, weder Ronez noch Beznosiuk, auch nicht Holloway und schon gar nicht Manze. Am brauchbarsten fand ich noch den Letzbor.


    Zwei Gründe konnte ich ausmachen für diese überzeugende Interpretation. Zum einen die Besetzung des Continuo. Bei Reiter wird in besagtem Stück ausschließlich gezupft, mit Theorbe und Doppelharfe. Die Instrumentalisten lassen einmal angezupfte Saiten klingen und das gibt einen wohligen Klangteppich, auf dem die Solovioline getragen wird.


    Das andere ist die Interpretation selbst. Man beginnt das Stück ziemlich verhalten, aber bald steigert sich die Intensität, mit der alle Beteiligten musizieren immer mehr. Die Continuoisten langen immer stärker rein und beginnen, immer mehr zu improvisieren. Dabei drängen sie sich aber nie zu sehr in den Vordergrund. Reiter macht natürlich diese Steigerung auch mit.


    Trotzdem bleibt das Stück aber immer ganz luftig, leicht und schwingend. Und genau diese Kombination von immer weiter steigender Intensität und Leichtigkeit macht für mich die überragende Qualität dieser Interpretation aus.



    .


    Walter Reiter, Violine (Mathias Klotz)
    Timothy Roberts, Cembalo und Orgel
    Elizabeth Kenny, Theorbe
    Joanna Levine, Cello und Gambe
    Frances Kelly, Doppelharfe
    Mark Levy, Lirone
    Kah-Ming Ng, Regal


    :hello:
    Thomas

    Da freute sich der Hase:
    "Wie schön ist meine Nase
    und auch mein blaues Ohr!
    Das kommt so selten vor."
    - H. Heine -

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  • Zitat

    Original von salisburgensis
    Meine Ohren wurde im Laufe des Stückes immer länger. So wundervoll hatte ich das noch nie gehört und einige Wiederholungen später war ich auf Wolke 7. Das war pure Glückseligkeit!
    .
    :hello:
    Thomas


    Du machst mir Hoffnung - gestern habe ich mir die Aufnahme aus einer Laune heraus gekauft, um endlich mal diese berühmten Stücke kennen zu lernen. Natürlich bin ich noch nicht dazu gekommen, mir die CDs anzuhören... :motz:
    Aber jetzt weiß ich ja, daß sich das Warten lohnt. Übers Wochenende gibt es aber erstmal lange Autofahrten, gepaart mit Benjamin Blümchen, Felix und Connie. :faint:


    :hello:Jürgen

    Ich brauche keine Millionen, mir fehlt kein Pfennig zum Glück...


  • Jetzt ist uns Armen, die wir diese Aufnahme nicht besitzen, vor allem der Mund wässrig geworden. Bitte kauf Dir doch noch die Pierot-Aufnahme :pfeif: und sag uns dann, ob wir damit glücklich bleiben können oder nochmal Geld ausgeben müssen.

  • Zitat

    Original von Hildebrandt
    Jetzt ist uns Armen, die wir diese Aufnahme nicht besitzen, vor allem der Mund wässrig geworden. Bitte kauf Dir doch noch die Pierot-Aufnahme :pfeif: und sag uns dann, ob wir damit glücklich bleiben können oder nochmal Geld ausgeben müssen.



    Ich hatte gehofft, dass es andersrum läuft und jemand schreibt, wie die 14. Sonate bei der Pierot-Aufnahme ausfällt... :D Ich hoffe mal, dass unser Pierot-Prediger Medard das noch tun wird. :angel:


    Aber im Ernst: alles, was ich zu der Aufnahme von Reiter geschrieben habe, bezieht sich ausschließlich auf diese eine Sonate. Den Rest davon habe ich noch nicht so gründlich gehört.


    Über kurz oder lang komme ich sowieso nicht um die Anschaffung der Pierot-Aufnahme vorbei. Kann halt noch eine Weile dauern.


    Aber im Gegensatz zum Preis der Pierot-Rosarien ist der der Reiter-Aufnahme kein Grund zum Zögern. Wer die Brilliant-Version kauft, ist bei jpc mit einem Sechser dabei. Die Originalauflage bei Signum ist natürlich etwas teurer.



    herzliche Grüße,
    Thomas

    Da freute sich der Hase:
    "Wie schön ist meine Nase
    und auch mein blaues Ohr!
    Das kommt so selten vor."
    - H. Heine -


  • der engländer walter reiter pflegt einen sanften, zurückhaltenden geigenklang -medard hat ihn weit oben "fahl" genannt. leider gibt die brilliantbilligbox keine auskunft über sein(e?) instrument(e?). gerade bei der sonate 14 wirkt der wirklich wunder. und durch die begleitung erinnert mich die gigue fast an einen fandango. weniger glücklich werde ich bei der gegenprobe, der sonate 7 (geißelung).
    aber, wie gesagt: 6€ (das sind 2 bier!)


    :hello:

  • Zitat

    Original von observator


    leider gibt die brilliantbilligbox keine auskunft über sein(e?) instrument(e?).


    :hello:


    oll's kloar?

    Da freute sich der Hase:
    "Wie schön ist meine Nase
    und auch mein blaues Ohr!
    Das kommt so selten vor."
    - H. Heine -

  • na, nit olls!


    baujahr, verwandtschaftsverhältnis von mathias zu sebastian, lackanalyse, sowie vornamen der gefällten fichten würden mich noch interessieren...

  • Baujahr vom Kastl ist mit 1727 angegeben.


    Mathias Klotz ist der Vater vom Sebastian gewesen.


    Die Fichte hieß Rudolf (genannt "Rudl") Hinterwäldler. Die Katze, die als Saiten endete, hörte auf auf den schönen Namen Elisabeth und die Haare für den Bogen hat der Gaul vom Mayer Sepp gelassen.


    Bloß mit dem Lack kann ich dir nicht weiterhelfen... :rolleyes:


    :hello:
    Thomas

    Da freute sich der Hase:
    "Wie schön ist meine Nase
    und auch mein blaues Ohr!
    Das kommt so selten vor."
    - H. Heine -

  • ich hab gewusst, dass ich mich auf dich verlassen kann!
    dafür verrate ich dir ein mysterium: notorische sonaten erklingen am besten auf instrumenten aus bäumen, welche von herrn castor fiber gefällt worden sind... :yes:

  • Zitat

    Original von observator
    ich hab gewusst, dass ich mich auf dich verlassen kann!
    dafür verrate ich dir ein mysterium: notorische sonaten erklingen am besten auf instrumenten aus bäumen, welche von herrn castor fiber gefällt worden sind... :yes:


    Der sie ja anschließend auch komponiert – die Sonaten. :D

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