simple Tonleitern rauf und runter...

  • Hallo


    Recht häufig in der Musikliteratur begegnen uns schlichte Tonleitern, die dennoch ganz enorme Wirkungen erielen können.


    Das "Hauptthema" des berühmten zweiten Satzes aus Bachs d-moll Doppelkonzert für zwei Violinen (BWV 1043) : Grundlage des Themas ist eine simple Durtonleiter abwärts! Erster Ton wird lange gehalten, dann eine Durtonleiter sechs Töne abwärts, der Grundton wird mit der unteren Nebennote umspielt, Grundton erklingt, werden noch ein paar Töne drangehängt, fertig ist das Thema. Und was für eins!


    Tschaikowsky: Nußknacker (leider nicht in der Suite enthalten) : 14: Pas de deux: Intrada. Die Harfe bereitet den Einsatz einer Streicherkantilene vor. Die Streicher setzen ein. Was erklingt: Eine vollständige Durtonleiter, die eine Oktave nach unten läuft! Einfachst! Aber dennoch: ich finds sehr schön.


    Wie kommts, daß es hier - nicht wie im Karneval der Tiere in der "Pianistenepisode" - dennoch sehr originell klingt und man dennoch mit einer reinen Tonleiter so verschiedene Dinge anstellen kann, denn die Musikliteratur ist voll von Tonleitern. Die interessantesten, gelungendsten, aber auch albernsten wollen wir hier sammeln.


    Meist erklingt diese Tonleiter natürlich nicht in gleichförmigen Notenwerten, obgleich es auch das gibt. Man denke an die Stelle in Beethovens fünftem Klavierkonzert, in der der Pianist anfängt "Tonleitern zu üben".
    Eine sehr wichtige Rolle spielt natürlich auch die Harmonisierung der Begleitstimmen oder vielleicht werden ja auch vollwertige Gegenstimmen hinzugefügt, wie dann im weiteren Verlauf in Bachs Doppelkonzert.


    Chromatische Tonleitern wie den "passus duriusculus" meine ich hier übrigens ausdrücklich NICHT, der gute alte passus duriusculus kann mit Leichtigkeit einen eigenen umfangreichen thread füllen.

  • Hallo allerseits,


    da fange ich doch gleich mal an: Johann Sebastian Bach, Messe h-moll BWV 232, Credo (siebenstimmige Fuge - das Fugenthema ist übrigens ein altes gregorianisches Motiv, das sich auch in Credo-Sätzen anderer Komponisten findet, wenn auch nicht als Thema einer derart kunstvollen Fuge).


    Der Basso continuo beteiligt sich nicht an der Fuge, sondern spielt das ganze Stück über nur Viertelnoten (bis auf den letzten Takt), wobei er auch mehrfach Tonleitern spielt. Das beginnt gleich im ersten Takt mit einer absteigenden A-dur-Tonleiter, in Takt 8 gibt es eine aufsteigende D-dur-Tonleiter und so weiter.


    Natürlich steht dahinter eine Symbolik. Die Oktave als vollkommenes Intervall symbolisiert den vollkommenen Gott, und sie wird mit einem Notenwert (Viertel) durchschritten, was auf den Text hinweist: Credo in unum deum - ich glaube an einen Gott. Dass dieses Stück acht Stimmen hat, dürfte auch kein Zufall sein...


    :hello: Andreas

    Einmal editiert, zuletzt von Fugato ()

  • Hallo,


    wenn ich an Tonleitern, also steigende oder fallende tonleitereigene Sekunden denke, fällt mir spontan der späte Beethoven ein. Die letzten Streichquartette sind voll davon, nicht unbedingt mit acht Tönen, aber fünf oder sechs sind häufig, wenn nicht gar Bausteine der Kompositionen (s. z.B. Thema und Variationen im zweiten Satz aus op. 127).


    Mit diesen "geringen" Mitteln erschafft Beethoven somit eine unglaublich sphärische Musik, wie immer dies ihm auch gelingen mag.


    Gruß,


    Uwe

    Ich bin ein Konservativer, ich erhalte den Fortschritt. (Arnold Schönberg)

  • Zitat

    Original von ThomasBernhard


    Wie kommts, daß es hier - nicht wie im Karneval der Tiere in der "Pianistenepisode" - dennoch sehr originell klingt ...


    Findest du? Ich finde die Tonfolge auch nicht gerade grandios erfunden, aber die Idee, das einzusetzen ist, finde ich schon sehr originell. :yes:

  • Nee, klar, find ich schon originell und witzig. Aber das Tonleitergeübe der "Pianisten" soll ja gerade die Stumpfsinnigkeit des Tonleiterübens aufs Korn nehmen, nicht ein originelles musikalisches Thema zu sein..


    :hello:

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  • Wie ist das eigentlich in den verschiedenen Aufnahmen?
    Ich habe diese Stelle meistens immer so gehört, dass die Tonleitern sehr unregelmäßig, regelrecht stümperhaft gespielt werden.
    Als ob die von Markus angesprochene Stumpfsinnigkeit des Übens noch einmal grob verstärkt wird.



    Gruß, Peter.

  • Hallo Thomas,


    wie unfair, daß du mein Lieblingsbeispiel gleich erwähnt hast. Es ist in der Tat das ergreifendste und dennoch simpelste Tonleiter-Thema, das ich kenne, ich werde regelrecht high davon.

    reinhören: Track 1 auf Disc 2


    Erklärungsversuche fände ich fast kontraproduktiv. Einfach auf sich wirken lassen.
    Nur soviel: fallende Skalen finden sich bei Tschaikowsky allenthalben, z.B. letzter Satz der Pathétique, auch Mittelteil des 2. Satzes usw. Man könnte sie sich sich als Aneinanderreihung des noch typischeren und elementareren Seufzermotivs vorstellen. Daher die (bei Tschaikowsky) eindeutig bevorzugte Richtung nach unten.


    Gruß,
    Khampan

  • Salut,


    ich wage die mutige Behauptung, es gäbe kein Werk von Mozart, in dem nicht mindestens eine komplette Tonleiter vorkommt [stimmt natürlich nicht, z.B. KV 574...]. Spontan fallen mir ein:


    KV 545, 1
    KV 414, 1
    KV 488, 1
    Marternarie
    Du! Du! Du wirst der Tochter Retter...


    Eine komplette chromatische Tonleiter - wenn auch etwas gedehnt - bietet mal wieder Bach mit den WTKn I und II... :rolleyes:


    :hello:


    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Zitat

    Original von Ulli
    Eine komplette chromatische Tonleiter - wenn auch etwas gedehnt - bietet mal wieder Bach mit den WTKn I und II... :rolleyes:


    Vollständig über eine Oktave in Halbtonschritten auf- oder absteigend? Da fällt mir jetzt spontan nicht ein, wo so etwas im WTK zu finden ist...


    :hello: Andreas

  • :D

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

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  • Zitat

    Original von Khampan
    Hallo Fugato,
    bei Ullis hintersinnigem Humor braucht man manchmal etwas länger. Ging mir auch so.
    "etwas g e d e h n t " !


    Aha - etwas gedehnt und aufsteigend, jeder Ton zweimal :D

  • :angel:

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Eine ganz eine hübsche Tonleiter findet man auch im ersten Satz von Elgars Cellokonzert (und natürlich spielt niemand diese Tonleiter schöner als Jaqueline du Pré :D )


    :hello:
    V.

  • Es gibt von Froberger eine "Fantasia supra ut, re, mi, fa, so, la", in der dann über sechs Minuten lang über die Tonleiter fantasiert wird. Ein sehr tolles, irgenwie herbes und doch zu Herzen gehendes Stück, macht sehr viel Spaß zu Spielen!

    Bach ist Anfang und Ende aller Musik

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  • Zitat

    Original von Violoncellchen
    Eine ganz eine hübsche Tonleiter findet man auch im ersten Satz von Elgars Cellokonzert (und natürlich spielt niemand diese Tonleiter schöner als Jaqueline du Pré :D )


    Genau :D


    Wo wir gerade beim Cello sind: Beginnt nicht bei einer der Suiten von Bach das Präludium mit einer absteigenden Tonleiter?


    :hello: Andreas

  • Zitat

    Original von sebastian
    Es gibt von Froberger eine "Fantasia supra ut, re, mi, fa, so, la", in der dann über sechs Minuten lang über die Tonleiter fantasiert wird.


    So etwas gibt es nicht nur von Froberger, sondern auch von Frescobaldi und anderen Komponisten aus dieser Zeit. Allerdings handelt es sich strenggenommen nicht um eine Tonleiter, da der siebte Ton fehlt.


    :hello: Andreas

  • Beethovens Violinromanze F-Dur enthält Tonleitern (auch chromatische) und endet sogar mit einer.


    Nicht umsonst ist das Üben von Tonleitern und Arpeggien empfehlenswert, weil diese einem immer wieder in der Literatur begegnen.

  • .......soll Ferrucio Busoni seinen Schülern vorgespielt haben. Einer berichtet, er wäre noch nie so ergriffen und beeindruckt gewesen. Und das obwohl B. nur Tonleitern rauf und runterspielte. Dies tat er aber wohl mit so viel Differenzierung an Rhtymik, Dynamik. Phrasierung etc., daß sich die Schüler dem Sog kaum entziehen konnten.....


    :hello:
    Wulf

  • beinahe hätten wir doch die Mutter aller Tonleiterstücke vergessen:


    Marain Marais, La Gamme en forme de petite opéra


    beginnt und endet nicht nur mit Tonleitern rauf und runter, sondern inszeniert auch einen schrittweisen Gang durch alle damit verbundenen Tonstufen (C-Dur, D-Moll, E-Moll, F-Dur ... und wieder zurück). "Inszeniert" insofern, als in augenzwinkernd opernhafter Manier die einzelnen, einer Tonart zugeordneten Abschnitte jeweils einen eigenen arien-ähnlichen Charakter haben (variiert auch in Tempo, Taktart, Besetzung) und die Überleitungen (Modulationen) als quasi Rezitative gestaltet sind. Das ganze zieht sich über fast 40 Minuten hin. Einfach spannend!

    Und falls jemand La Sonnerie de Sainte Geneviève du Mont à Paris vom gleichen Komponisten noch nicht kennt, ist er gut beraten sich die beiden Stücke auf einer CD zu beschaffen. Das geilste Ostinato der Musikliteratur.


    Zum Ausgleich für diese Abschweifung, hier noch eine witzige Tonleiter abwärts:
    Ravel, Klavierkonzert G-Dur, Schluß des 1. Satzes


    Gruß, Khampan

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  • ...und das schon in seinen früheren Werken - man höre sich nur mal die 1. Symphonie an (ganz auffällig ist der Beginn des Finalsatzes)...


    :hello:
    Stefan

    Viva la libertà!

  • Zitat

    Original von Barezzi
    ...und das schon in seinen früheren Werken - man höre sich nur mal die 1. Symphonie an (ganz auffällig ist der Beginn des Finalsatzes)...


    ... vor allem, weil er sich hier sozusagen langsam die Leiter hochtastet :D


    Wegen Bach und Cellosuiten habe ich mal nachgeschaut: Es handelt sich um den Beginn des Präludiums aus der Suite Nr. 3 in C-dur (BWV 1009).


    :hello: Andreas

  • Da ist ja zwar schon länger nichts mehr dazu gesagt worden, aber mir fällt da gerade aus Star Wars das Hauptthema (Main Theme) ein... die Basslinie verläuft schnurstracks die G-Dur Tonleiter hinunter. Ist zwar nicht die Melodie, aber wohl gerade deshalb so interessant.

  • Jetzt ist mir wieder eins eingeallen, was die Idee zu diesem thread mit ausgebrütet hat: Verdi: La traviata. Man hörts schon in der Ouvertüre anklingen, später dann im zweiten Akt: Arie der Violetta, auf dem Höhepunkt der Arie flötet sie Alfredo an, mit der bekannten Aufforderung, sie zu lieben. Auch eine simple Tonleiter abwärts. Und dennoch so ohrwurmesk.


  • Und was für eine :yes::yes:

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  • Hallo,


    In der Tannhäuserouvertüre wird später das erstes Thema gespielt vom Blech ständig von Streicher-Tonleitern mit Tonrepetition in passenden Hermonien umrahmt...das ist sehr beeindruckend!


    LG
    RL


    PS: Was ist mit Czerny oder Hanon ?!... :D :hahahaha:

  • Zitat

    Original von raphaell
    PS: Was ist mit Czerny oder Hanon ?!... :D :hahahaha:


    Dafür brauchen wir einen neuen Thread: Kompositionen, die nur aus Tonleitern bestehen. :hahahaha:


    :hello: Andreas